Interview: Alexandra von Quadt · Der Niederländer Boyan Slat ist erst 21, dreht aber schon an...

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Der Niederländer Boyan Slat ist erst 21, dreht aber schon an ganz großen Rädern. Der charismatische Student hat sich nichts Geringeres in den Kopf gesetzt, als

die Weltmeere vom Plastikmüll zu befreien – mit einer von ihm erdachten Technologie. Und bis jetzt sieht es ganz so aus, als könnte ihm das tatsächlich gelingen.

Wir sprachen mit ihm über den Zustand der Ozeane, den Umgang mit Bedenkenträgern und den Vorteil, keine Erfahrung zu haben.

Interview: Alexandra von QuadtFoto: Tracy Wright-Corvo

„Einige Professoren an der Uni haben mir gesagt, dass es nach heutigem Wissensstand keine Möglichkeit gibt, den Meeresmüll aufzuräumen.Doch ich habe mich davon nicht beirren lassen. Wirklich losgegangen ist es aber erst durch die Verbreitung meiner Idee im Internet – damit bekam ich Aufmerksamkeit.“ Boyan Slat

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— Plastikmüll im Ozean ist ein Thema, das in letzter Zeit immer häufiger diskutiert wird. Warum ist es aus Ihrer Sicht so wichtig, jetzt zu handeln?Die überwiegende Mehrheit des Kunststoffs in den Ozeanen ist derzeit großteilig, also noch intakt in ihrer ursprünglichen Form. Da treiben unzählige Eimer, Plastikflaschen, Bojen oder sogenannte Ghost Nets herum. Das sind Fischernetze, die verloren wurden und nun herumtreiben. Fische und andere Meeresbe-wohner bleiben in ihnen hängen und verenden elendig darin. Durch das Salz der Meere und das U V-Licht zerfällt das Plastik, was in den nächsten Jahrzehnten zu einer wachsenden Masse an Mikroplastik führen wird. Dieses Mikroplastik geht in die Organismen der Meeres fauna ein und ist nicht mehr aus unserer Nahrungskette herauszuhalten. Das ist aber noch nicht alles: Meeresmüll verursacht jedes Jahr allein im pazi fischen Raum schätzungsweise über eine Mil liarde Dollar Schäden in der Fischerei. Außerdem kostet die Entfernung des Mülls von Küstenstreifen bis zu 25.000 Dollar pro Tonne. Es ist also ganz einfach: Wenn wir nichts dagegen tun, dann haben wir ein richtig großes Problem. Das Plastik ist eine tickende Zeitbombe.

— Von welchen Mengen sprechen wir, und woher kommt der ganze Müll?Jede Woche landet das Volumen von ungefähr zwei Empire State Buildings an Plastik in den Weltmeeren. 80 Prozent des Mülls kommen vom Land, 20 Prozent werden durch Fischereibetriebe verursacht. Vergangenes Jahr haben wir eine

S IST EIN TR AUMH A F T ER Morgen Ende Juli in Honolulu: Die Sonne scheint, das Meer glitzert sauber und blau, und

drüben am Diamond Head Beach sieht man ein paar Surfer über die Wellen reiten.

Boyan Slat ist gestern Abend angekommen, aber selbstverständlich ist er nicht auf Hawaii, um Ferien zu machen. Es steht ein weiterer Meilenstein in seinem Projekt Ocean Cleanup an: In den nächsten Wochen wird unter dem Codewort Mega Expedition eine Flotte aus über 30 Booten von Honolulu nach San Francisco fahren, um genauere Daten über den Pacific Garbage Patch zu sammeln, jenen gigantischen Strudel aus Plastikmüll, der nur wenige hundert Meilen nördlich von Hawaii im Meer treibt.

Terr a MaTer: Wenn von Ihnen die Rede ist, fällt den meisten Menschen als Erstes dazu ein, wie jung Sie sind. Ist das ein Problem für Sie?Boyan SlaT: Für mich ist Alter als Messlatte grundsätzlich kein Thema. Ich denke aber, neue Ideen sollten aus den Köpfen von jungen Menschen stammen. Als ich die Idee hatte, den Ozean aufzuräumen, hatte ich keine Ahnung von Meerestechnik, es war eher eine Art Intui-tion. Ich habe mich einfach unvoreingenommen mit dem Thema auseinandergesetzt. Meiner Meinung nach verhält sich Kreativität umgekehrt proportional zu Erfahrung.

— Was genau meinen Sie damit?Na ja, Erfahrung zu sammeln bedeutet oft, zu lernen, was alles nicht möglich ist. Das behindert.

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„ Es ist ganz einfach: Wenn wir nichts gegen den Müll in den Ozeanen tun, dann haben wir ein richtig großes Problem. Das Plastik ist eine tickende Zeitbombe.“

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Machbarkeitsstudie durchgeführt, durch die wir herausgefunden haben, dass wir mit unserer Technologie in zehn Jahren fast die Hälfte dieses Plastiks in den Ozeanwirbeln entfernen könnten. Die Frage, die wir uns allerdings anschließend gestellt haben, lautet: „Die Hälfte von was?“ Wenn zehnmal so viel Plastik im Meer schwimmt wie erwartet, wird sich das natürlich auf die Kosten für die Räumung pro Kilo Plastik auswirken.

— Wie sind Sie eigentlich auf die Idee gekommen, die Ozeane dieser Welt aufzuräumen?Ich war immer schon ein Geek. Als ich zwei Jahre alt war, habe ich Möbel oder Baum-häuser gebaut. Ich habe Computer und Drucker aus einandergenommen, weil mich interessiert hat, was darin ist. Mit 12 Jahren habe ich dann einen Weltrekord aufgestellt – auf dem Sportplatz der Uni in Delft haben mehr als 200 Studenten aus ihren Händen genau zum gleichen Zeitpunkt Luftdruckraketen losgelassen. Das war zwar voll-kommen sinnlos, aber ich habe so schon recht früh gelernt, meine Ideen umzusetzen, Sponsoren zu finden und Finanzierungen aufzustellen. Es hat mich ein wenig auf das, was jetzt passiert, vorbereitet.

— … und dann kam das Meer ins Spiel.Mit 10 habe ich angefangen zu tauchen, mit 16 habe ich meinen Tauchschein gemacht – und dann habe ich in Griechenland auf Lesbos beim Tauchen anstatt Fischen nur Müll gesehen. Ich habe mir damals gedacht, dass man das doch beseitigen können müsste. Und diese Idee hat mich nicht mehr losgelassen.

— Wann wurde daraus ein konkretes Konzept?Wir haben in der Schule eine Aufgabe be kom-men. Wir sollten ein wissenschaftliches Projekt planen. Und ich hab mir gedacht, super, da nutze ich einfach die von der Schule vorgegebene Zeit, um mir über den Ozeanmüll Gedanken zu machen. Vorgegeben wurden rund 80 Stunden. Wir sind dann aber etwa 800 Stunden daran gesessen. Wir haben das Müllproblem unter-sucht und erste Hochrechnungen gemacht, haben

grob kalkuliert und herausgefunden, dass man etwa 79.000 Jahre und Milliarden von Dollar benötigen würde, um mit herkömmlichen Mitteln wie Booten und Netzen das Plastikproblem zu beseitigen. Also absolut aussichtslos.

— Aber wie sind Sie dann auf die zündende Idee gekommen?Ungefähr ein Jahr nach dem Schulprojekt habe ich einen Dokumentarfilm über den US-Meeres-biologen Charles Moore gesehen, der den Garbage Patch als Erster näher untersucht und publik gemacht hat. Er hat eine Computer-animation gezeigt und erklärt, wie der Müll sich bewegt und dass er wegen der Strömungen nicht an einem Ort bleibt. Seiner Aussage zufolge sei deshalb ein Aufräumen unmöglich. Aber genau diese Strömungen waren in meinen Augen die Lösung!

— Wie funktionieren diese Strömungen?Die Weltmeere werden an bestimmten Stellen durch Ozeanwirbel bewegt. Diese Wirbel sind durch die Drehung der Erde und die Winde ständig in Bewegung. Die fünf großen Ozean-wirbel sind der Wirbel im Indischen Ozean, der Nordatlantikwirbel, der Nordpazifikwirbel, der Süd atlantikwirbel und der Südpazifikwirbel. Meine Idee basiert auf der einfachen Annahme, dass sich der Müll genauso wie das Meereswasser stets nach vorhersehbaren und wetterbedingten Mustern bewegt.

— Die meisten solcher Geistesblitze von Teenagern bleiben allerdings auf ewige Zeiten ohne Wirkung. Wie ist es Ihnen gelungen, Ihre Idee umzusetzen?Allein kann man nicht sehr viel schaffen, das ist richtig. Auch für uns kam der Durchbruch, als wir eine kritische Masse erreichten. Ich habe ein Semester Raumfahrttechnologie studiert. Doch ich habe die ganze Zeit nur daran gedacht, wie ich den Lehrstoff für meine Erfindung nutzen könnte. Also habe ich die Uni geschmissen und gedacht: Okay, ich versuche das jetzt einmal ein halbes Jahr, und dann sehen wir weiter. Einige Professoren an der Uni haben mir dann gesagt, dass es nach heutigem Wissensstand keine

Boyan Slatwird am 27. Juli 1994 in der niederländischen Stadt Delft geboren. Ein Tauchurlaub in Griechenland inspiriert ihn mit 16 dazu, über die Säuberung der Meere nachzudenken. Zwei Jahre später, im Oktober 2012, präsentiert er erstmals seine Idee des Ocean Cleanup im Rahmen eines TED Talks im Internet, der Beitrag wird 1,6 Millionen Mal geteilt. Slat studiert an der Uni Delft Luft- und Raumfahrttechnik, bricht aber nach nur einem Semester ab, um sich nur noch seinem Projekt widmen zu können. Mit rund 90.000 Euro von Investoren aus dem Internet startet er 2013 die Pilotphase. Als Erstes erstellt er mit Wissenschaftern eine Machbarkeitsstudie, mit der er ab Juni 2014 eine Crowdfunding-Kampagne durchführt – sie spült 2,2 Millionen US-Dollar von 38.000 Menschen in 160 Ländern herein. Obwohl die erste Anlage erst 2020 in Betrieb gehen soll, ist der Visionär bereits 2014 von der UN zum Champion of the Earth ernannt worden.

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Möglichkeit gibt, den Meeresmüll aufzuräumen. Doch ich habe mich davon nicht beirren lassen. Ich habe 300 Euro Taschengeld und ein paar Wochen Zeit investiert, bin herumgefahren und habe mit vielen Leuten gesprochen. Wirk-lich losgegangen ist es aber durch die Verbrei-tung meiner Gedanken im Internet – die Idee wurde millionenmal geteilt –, damit bekam ich Aufmerksamkeit. Plötzlich ist es losgegangen. Wir haben im März 2013 an die 90.000 Euro von Investoren bekommen. Damit sind wir gestartet.

— Gab es viel Kritik oder Zweifel?99 Prozent aller Menschen, denen ich von meiner Idee erzählt habe, waren sofort begeistert. Es gab aber natürlich auch einige Kritiker – vor allem jene, die seit vielen Jahren an einer Lösung für das Plastikproblem forschen. Einerseits wurde mir gesagt, dass unsere Lösung nur eine weitere unüberlegte Idee sei, andererseits wurde darauf gepocht, dass es bereits bewiesen sei, dass man das Plastik nicht beseitigen könne und man sich eher auf die Vermeidung von Plastik an Land konzentrieren solle. Man hört zwar immer, dass Menschen offen für neue Ideen sind. Wenn diese aber ihre eigenen Theorien widerlegen oder in Frage stellen, sieht das gleich ganz anders aus. Dabei sollte es doch nicht Ziel eines Forschers sein, an pessimistischen Ergebnissen festzuhalten, wenn man durch neue Ideen etwas zum Positiven verändern kann, oder?

— Nach der ersten Finanzspritze konnten Sie immer mehr Leute ins Boot holen. Wie sieht nun Ihr Tag aus?Wir sind jetzt aus der One-Man-Show mittler-weile zu einer richtigen Forschungsstation

angewachsen, bestehend aus etwa 25 An-gestellten und rund 100 bis 120 Freiwilligen. Einen Großteil meiner Zeit nutze ich für meine Geschäftsführerrolle, kümmere mich um Strategie, Investoren, Finanzierung und natürlich um das Team. Außerdem macht es mir sehr viel Spaß, mir immer wieder neue Dinge einfallen zu lassen und diese weiterzu-entwickeln. Es gibt so viele unterschiedliche Bereiche innerhalb des Cleanups, und wir müssen innovativ sein, da wir Dinge tun, für die es keinerlei Vorbilder gibt.

— Können Sie kurz erklären, wie die Ocean-Cleanup-Technologie genau funktioniert?Es geht bei meiner Idee darum, die Meeres-strömung zu nutzen. Anstatt Boote und Netze werden wir lange schwimmende Barrieren verwenden, die an den Ozeanwirbeln instal-liert werden. Diese sind wie ein V geformt. Die Ausleger liegen so in der Meeresströmung, dass sich durch die natürliche Bewegung des Wassers der Kunststoff sammelt. Innerhalb des Vs entsteht so ein dichter Plastikmüllteppich, den man ganz einfach abschöpfen und in der Folge abtransportieren kann.

— Und in der Weiterverwendung des Plastiks liegt dann auch die wirtschaftliche Grundlage des Projektes?Ja, natürlich ist es unser Ziel, den Ocean Cleanup zu einem funktionierenden Geschäft zu machen. Es gäbe für mich nichts Cooleres, als dass sich das Modell zumindest selbst trägt. Wir haben bereits einige Recyclingmöglichkeiten auspro-biert. Die Qualität des Plastiks aus dem Ozean ist ganz erstaunlich. Es ist etwa 80 Prozent so gut wie neues Plastik. Man kann daraus zum Beispiel Möbel oder Kleidung machen – wir liegen damit voll im Trend. Viele Firmen verstehen den Mar-ketingwert von Ozeanplastik und sind ganz heiß darauf. Kunden zahlen gern mehr für ein nach-haltiges Produkt. Es gibt vonseiten der Industrie also eine hohe Nachfrage, nur kann bis jetzt noch niemand das Plastik aus dem Meer herausholen.

— Das heißt also, Sie wollen das Plastik an die Industrie zurückverkaufen …

„Man hört zwar immer, dass die Menschen offen für neue Ideen sind. Wenn diese aber ihre eigenen Theorien widerlegen, sieht das gleich ganz anders aus.“

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Das ist die Idee. Wir wollen uns über den Verkauf des Plastiks und dessen Wiederverar-beitung finanzieren. Neben der Entwicklung der Cleanup-Technologie kümmern wir uns jetzt auch um alle Fragen rund um das Recycling. Und wir werden genau herausfinden, wie man das Meeresplastik am besten weiterverarbeitet. Wir glauben zwar nicht, dass damit unsere Anfangsinvestitionen abgedeckt werden können, aber wir werden es versuchen!

— Haben Sie schon eine konkrete Vorstellung, wie viel Plastik da draußen im Meer schwimmt?Jein. Wir können es noch nicht beweisen. Es gibt zwar Hochrechnungen, aber wir wissen nicht, mit wie vielen Tonnen wir es zu tun haben. Die einen sagen, dass da draußen 10 Millionen Tonnen schwimmen, es gibt andere, die 100 Millionen Tonnen vermuten. Deshalb führen wir jetzt auch die Mega-Expedition durch. Ziel der Aktion ist es, beweisen zu können, wie viel und welche Art Plastik sich im Meer befindet. Am Anfang des Jahres wurde uns klar, dass wir einfach noch nicht genug über den Pacific Garbage Patch wissen. Die Daten, die uns jetzt vorliegen, sind 40 Jahre alt und bei weitem nicht schlüssig. Nur mit der großen Expedition können wir herausfinden, womit wir es genau zu tun haben. Nur so können wir im Anschluss exakte Berechnungen für unser Projekt durchführen.

— Wer unterstützt diese Expedition?Hauptsächlich Freiwillige. Wir haben einen großen Aufruf gemacht, und das Feedback war unglaublich. Neben unserem Mutterschiff, das die großen Untersuchungen durchführen wird, konnten wir rund 30 Segelboote und ihre Skipper gewinnen, die die drei Wochen lange Reise nutzen werden, um Proben zu nehmen. Wissen-schaftlich ausgebildete Volontäre fahren auf diesen Booten von Hawaii nach Kalifornien mit und senden dann die gesammelten Proben gleich nach der Ankunft an unser Labor.

— Wie geht die Datenerhebung auf See vor sich?Wir werden in drei Wochen mehr Daten sam-meln als in den letzten 40 Jahren zusammen!

Es werden rund 30 Boote den Garbage Patch durchqueren und insgesamt etwa 10 Millionen Plastikteile sammeln – von kleinen mikroskopi-schen Teilen bis hin zu großen. Wir werden etwa 60.000 Luftaufnahmen machen. Die Boote sind mit sogenannten Manta Trawls – auf dem Wasser schwimmenden Netzkonstruktionen – ausge-stattet, die jeden Tag mehrere Stunden durch das Wasser gezogen werden, um kleine Teile zu sammeln. Jedes Boot hat ein oder zwei Mobil-telefone mit einer speziellen App, die vormittags und nachmittags jeweils 30 Minuten von unseren Volontären gefüttert wird.

— Könnte man für diesen Zweck nicht auch Satelliten einsetzen? Die meisten Menschen stellen sich den Garbage Patch als eine Art Teppich vor, man hat die Bilder oft in den Medien gesehen. Die größte Fläche des Patches besteht jedoch nicht aus groß-teiligem Müll, sondern aus bereits zerkleinertem Mikroplastik, das sich teilweise unter der Wasser-oberfläche befindet. Ein kommerzieller Satellit kann einen halben Meter pro Pixel abbilden, das ist für unsere Zwecke viel zu ungenau. Während der Mega-Expedition benutzen wir einen Blimp, einen Ballon, der über dem Mutterschiff fliegt. Er kann drei Zentimeter pro Pixel abbilden und ist damit viel genauer.

— Gab es in den Jahren seit dem Start des Projekts Momente, die Ihre ursprüngliche Idee verändert haben? Wer neue Technologien erfindet und entwickelt, muss andauernd Probleme lösen – das ist ein natürlicher Nebeneffekt. Und wer Grenzen über-schreitet, wird auf neue Grenzen treffen, das liegt in der Natur der Sache. Diesen Umstand versuche ich auch meinem Team immer wieder zu vermitteln. Es ist ein stetiger Kampf – von einem Problem zum nächsten. Ich hoffe, dass es eines Tages eine Art finales Problem geben wird, auf das wir geradewegs zusteuern können. So können wir gewinnen. Natürlich hat sich das Ocean-Cleanup-Konzept ein wenig verän-dert. Eine Idee, die sich nicht weiterentwickelt, ist eine tote Idee. Wenn man sich meinen origi-nalen TED Talk vom Oktober 2012 ansieht,

Ocean Cleanup zum WeiterlesenWer ganz genau wissen will, wie Boyan Slats Müllmaschine funktioniert und wie abgesichert die Konstruktion aus wissen-schaftlicher Sicht ist, kann sich die 536 Seiten dicke Machbarkeitsstudie, verfasst in englischer Sprache, kostenlos aus dem Internet herunter-laden. Der Link: www.theocean cleanup.com/fileadmin/media-archive/theocean cleanup/press/downloads/TOC_ Feasibility_study_lowres_V2_0.pdf

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— Dann verändert sich die Aufgabenstellung auch für das gesamte Projekt?Wenn es dann an die Umsetzung geht, stehen wir vor Themen wie Lieferkette, Management und Herstellung, Logistik und Vertrieb. Das wird wieder spannend, vor allem weil wir bestimmte Dinge auslagern müssen beziehungsweise voll-kommen neue Leute engagieren müssen, die die entsprechenden Fähigkeiten mitbringen, um die nächsten Schritte im Cleanup-Prozess zu gehen.

— Sie haben wahrscheinlich anhand der Müllberge im Meer ein Bild davon, wie schlimm es um unseren Planeten steht. Glauben Sie eigentlich noch daran, dass die Menschheit eine Überlebenschance hat?Wir sollten es auf jeden Fall versuchen! Ich bin ein großer Optimist, kann aber nicht in die Zukunft sehen. Wir sollten auf jeden Fall Tech-nologie nutzen. Viele Menschen, die sich mit der Erhaltung unserer Umwelt beschäftigen, sehen Technologie als Feind, als den Ursprung allen Übels. „Ändert das System“ ist ein Satz, den ich oft höre. Ich sehe das anders: Technologie an sich ist neutral. Sie stellt eine Erweiterung mensch-licher Fähigkeiten dar, die wir nutzen sollten. Es geht darum, Technologien zu entwickeln, die unsere Probleme lösen. Und dabei handelt es sich um exponentielle Technologien, die sehr schnelle Veränderungen möglich machen. Es geht im Grunde darum, dass wir Menschen unseren Lebensstil des vergangenen Jahrhunderts zu einem Lebensstil machen, den wir auch im nächsten Jahrhundert leben können. Und dafür gibt es unendlich viele Möglichkeiten. Ich denke, die meisten Dinge, die erfunden werden könnten, sind noch nicht erfunden worden.

erkennt man die Unterschiede zu heute. Aber das Fundament der Idee hat sich nicht verändert – es geht immer darum, die Strömungen der Ozeane zu nutzen, um den Plastikmüll einzusammeln.

— Gelegentlich gibt es Kritik von Meeresbiologen, die sich um die Tiere Sorgen machen …Unsere Antwort an sie ist: Es gibt noch keinen Beweis dafür, dass unsere Technologie für Meerestiere gefährlich ist. Wir verwenden keine Netze, sondern schwimmende Barrieren, um die große Tiere herumschwimmen können. Plankton und kleine Tiere werden durch physikalische Gegebenheiten um die Barriere herumgespült. Wir haben bereits ein paar Tests gemacht und keine negative Auswirkung auf die Tiere fest-stellen können. Allerdings ist das Thema für uns sehr wichtig, und wir werden immer wieder Tests machen – vor allem bevor wir nächstes Jahr das erste Pilotprojekt in Japan starten.

— Gutes Stichwort: Sie wollen im Frühling 2016 bei der Insel Tsushima in Japan Ihre erste Versuchsanlage installieren. Läuft bis jetzt alles nach Plan?Es ist alles im Entstehungsprozess. Der Bürger-meister von Tsushima und ich haben bereits die rechtlichen Themen geklärt, und wir freuen uns sehr über die Unterstützung Japans. Die Insel leidet unter unheimlich viel Plastikmüll, der täglich an ihre Ufer und Strände geschwemmt wird. Jetzt untersuchen wir gerade die Strö-mungen rund um die Insel, um die beste Posi-tion für die Installation der Barriere zu finden. Außerdem testen wir das alles anhand von maßstabsgetreuen Modellen, um ihr Design zu optimieren. Im Frühling 2016 sollten wir so weit sein, dass wir in Produktion gehen können.

„Viele Menschen, die sich mit der Erhaltung unserer Umwelt beschäftigen, sehen Technologie als Feind. Ich sehe das anders.“

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WIE KOMMT DAS PLASTIK AUS DEM MEER?

So funktioniert Boyan Slats Idee zur Müllabfuhr in den Ozeanen.

Die Förderplattform schafft den Müll aus dem Wasser. Die dafür

nötige Energie bezieht sie aus Solarzellen auf dem Dach.

Pilotprojekt Vor der Insel Tsushima, gelegen zwischen Südkorea und Japan, wird im kommenden Frühjahr eine Versuchsanlage installiert – mit identer Funktionsweise, aber deutlich kleiner. Boyan Slat hofft auf Lerneffekte.

Förderplattform Sie schöpft das Plastik ab und füllt es in Container.

Die V-Form der Anlage bewirkt, dass sich der Müll an deren Spitze sammelt.

Die Meeresströmung sorgt dafür, dass der

Plastikmüll an die Barriere gedrückt wird.

Die Barriere ist sturmfest und im Meeresboden verankert.

50 km 50 km

Die Funktionsweise der von Boyan Slat erfundenen Anlage auf einen Blick. Springender Punkt: Die Meeresströmung erledigt die Hauptarbeit.

Müllkippen der Weltmeere Das Plastik sammelt sich in fünf gigantischen Müllwirbeln. Der größte von ihnen befindet sich im Nordpazifik.

Um den gesamten Abfall aus den Ozeanen zu holen, bräuchte man etwa 24 Anlagen, schätzt Ocean Cleanup. Gesamtkosten: 7,6 Milliarden Euro.

Gemessen an der Bedeutung für die Welt: ein Sonderangebot.

EINES KANN MAN Boyan Slat ganz bestimmt nicht nachsagen: dass er seine Ideen zu klein denken würde. Die An-lage, die 2020 im Great Pacific Garbage Patch installiert werden soll, wäre die bei Weitem größte Struktur, die je im Meer errichtet worden ist. Das gigantische V, das die schwimmende Barriere aus einer aufgeblasenen Kunststoffwurst mit einem drei Meter langen Vorhang unten dran bildet, soll laut Plan aus zwei Aus-legern mit je 50 Kilometer Länge bestehen, im Abstand von drei bis vier Kilometern unterbrochen von Bojen, die mit je drei Seilen aus reißfestem Fiber-glas und schweren Gewichten auf dem Meeresgrund verankert sind. Das soll dafür sorgen, dass die Konstruktion

trotz Strömung, Wind und Wellen an Ort und Stelle bleibt. Nicht die leichteste Übung, wenn man bedenkt, dass der Pazifik dort draußen rund 4.000 Meter tief ist. Wenn die Anlage einmal aufge-baut ist, erledigt die Meeresströmung den Rest: Der Plastikmüll sammelt sich an der Spitze der Barriere und bildet dort einen dicken Teppich, der dann nur mehr von einer turmartigen Förder­plattform abgeschöpft werden muss. Alle paar Wochen kommt ein Schiff und holt den gesammelten Abfall ab. In der Folge wird der recycelt, worauf auch das Geschäftsmodell von Ocean Cleanup basiert: Das Sammeln des Mülls kostet pro Tonne knapp 5 Euro; Ankäufer zahlen für diese Menge

50 Euro; das etwa zu Möbeln oder Kleidung recycelte Endprodukt wäre pro Tonne etwa 400 bis 500 Euro wert. Zuvor ist allerdings die Anfangs­investition zu stemmen: Laut Machbarkeitsstudie kostet eine Anlage geschätzt immerhin 317 Millionen Euro – und noch weiß kein Mensch, ob das Ding auch wie geplant funktioniert. Aufschluss darüber soll eine Versuchs­anlage geben, die im Frühjahr 2016 bei der japanischen Insel Tsushima auf-gebaut wird, freilich in deutlich ver-kleinertem Maßstab: Ihre Ausleger sind nur je zwei Kilometer lang und das Meer in Küstennähe ist natürlich auch nicht so tief. Aber jeder fängt schließlich einmal klein an.

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