Intelligente Wachstumsmedien mit kontrollierter Substratfreisetzung

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162 WISSENSCHAFT · METHODEN BIOspektrum | 02.12 | 18. Jahrgang Chancen und Herausforderungen ó Die biomolekulare Forschung der letzten Jahrzehnte hat eine ungeheure Menge an Molekülen, Organismen und Synthesewegen aufgeklärt und die prinzipiellen Methoden zu ihrer Nutzung entwickelt. Dies bietet völlig neue nachhaltige Lösungen in den Bereichen Medizin, Chemie, Ernährung, Umwelt und Energie. Unter anderem können diese zum Ersatz chemischer Synthesen von Grund- substanzen bis hin zu komplexen Polymeren führen. Allerdings benötigen Entwicklungen im Bereich der Biotechnologie derzeit einen im Vergleich zu anderen Branchen sehr hohen Aufwand an Zeit, Personal und initialen Inves- titionen und sind mit einem relativ hohen Risiko verbunden. Ein entscheidender Punkt bei der Beant- wortung der Frage, inwieweit Bioprozesse bil- liger und schneller entwickelt werden können, ist das Verständnis der Unterschiede zwischen Produktentwicklungen in anderen Industrien und der Biotechnologie. Die Entwicklung von Bioprozessen setzt, bedingt durch ihre Kom- plexität, sehr spezifische wissenschaftliche Kenntnisse und Methoden voraus, wie sie nur in der naturwissenschaftlichen Ausbildung erworben werden. Andererseits werden die fachlichen Grundlagen für die eigentliche Pro- zessentwicklung nur in einer Ingenieursaus- bildung erworben. Im Unterschied zu anderen industriellen Bereichen (Maschinenbau und Physik) wurde dieser Zwiespalt im biotechno- logischen Bereich bisher nur ansatzweise gelöst. Prozessentwicklungen sind hier an der Basis naturwissenschaftlich dominiert. Inge- nieurwissenschaftliche Fragestellungen wer- den erst in den späteren Phasen der Prozes- sentwicklung berücksichtigt. Folglich erfolgt die Entwicklung nicht als ganzheitlicher, auf das Endverfahren ausgerichteter Prozess, son- dern insbesondere in den Anfangsphasen mit einem hohen Grad an trial and error, das heißt ausbildungs- bzw. erfahrungsbedingten Ent- scheidungen. Oftmals werden eingefahrene Strategien mit dem Ziel der Risikominimie- rung im Prozess der Maßstabsvergrößerung einfach weitergeführt. Allerdings wird durch die Vielzahl an technischen Faktoren durch diese Vorgehensweise das Risiko eines tech- nischen und wirtschaftlichen Fehlschlags erhöht [1]. Kontrolliertes Wachstum als durchgängige Strategie Ein wesentlicher Gesichtspunkt für die Ver- kürzung der Prozessentwicklung ist die Nut- zung einer einheitlichen durchgängigen Kul- tivierungsstrategie. Gegenwärtig werden meistens in der ersten Entwicklungsphase Kultivierungen auf der Basis des sogenannten Batch-Prinzips durchgeführt, bei dem der Wachstumsprozess im Wesentlichen durch die Aufnahmekapazität der Zelle für das Sub- strat bestimmt wird, mit der Konsequenz eines unkontrollierten Wachstums. Im Ver- lauf der Kultivierung kann es gerade bei höhe- ren Zelldichten, z. B. durch limitierten Gas- austausch, leicht zu ungewollten Limitatio- nen bzw. Inhibitionen kommen, die vom Anwender durch die limitierten Möglichkei- ten einer on-line-Analytik in dieser Phase oft nicht erkannt werden. Im Gegensatz dazu werden im industriellen Maßstab nahezu aus- schließlich Fed-Batch-Strategien angewandt, bei denen die Wachstumgeschwindigkeit und dadurch auch der Sauerstoffverbrauch be- wusst durch eine gewollte Limitierung kon- trolliert wird. Meistens geschieht dies durch eine geregelte Zugabe eines entscheidenden Nährstoffs, z. B. der Hauptkohlenstoffquelle. Die Anwendung der Fed-Batch-Technologie erlaubt in den meisten Fällen auch ohne eine ausgefeilte on-line-Analytik eine robuste Pro- zesskontrolle. Dies ist z. B. möglich, wenn die Zusatzrate für die Kohlenstoffquelle in aero- ben Prozessen dem relativ konstant bleiben- den volumetrischen Sauerstoffeintrag ent- spricht (Abb. 1). Bei einem solchen Prozess kommt es dann zum quasi-konstanten Wachs- tum über einen längeren Zeitraum, bis die Biomasse so hoch ist, dass das verfügbare Substrat vollständig in den Erhaltungsstoff- wechsel der Zelle fließt (Abb. 2A). Die Syntheseleistungen eines Organismus werden wesentlich durch die Umweltbedin- gungen bestimmt. Deshalb sind Ergebnisse Bioprozessentwicklung Intelligente Wachstumsmedien mit kontrollierter Substratfreisetzung PETER NEUBAUER 1 , JUOZAS S ˇ IURKUS 2 , STEFAN JUNNE 1 , JULIA GLAZYRINA 1 1 FACHGEBIET BIOVERFAHRENSTECHNIK, INSTITUT BIOTECHNOLOGIE, TU BERLIN 2 THERMO FISHER SCIENTIFIC, VILNIUS, LITAUEN Intelligent growth media with a biocatalytically controlled substrate release from soluble polymers allow controlled growth and higher produc- tivities. They are also a valuable tool for consistent bioprocess develop- ment through the different scales, because they guarantee similar growth conditions from the initial screening stage in 96-microwell plates and shake flasks to the final fed-batch bioprocess in a bioreactor. DOI: 10.1007/s12268-012-0159-y © Springer-Verlag 2012 ˚ Abb. 1: Grundlegende kinetische Zusam- menhänge der Fed-Batch-Kultivierung. Balance zwischen zellulären und externen Parametern und ihre Regelung im Fed-Batch- Prozess. K L a: Sauerstoffeintragskoeffizient; F/V·Si: volumetrische Fütterrate des Sub- strats (F: Fütterrate, V: Reaktorvolumen, S i : Substratkonzentration in der Fütterlösung); volumetrische (r) bzw. spezifische (q) Raten für den Sauerstoffverbrauch (O), Substra- tumsatz (S) und das Wachstum (μ); X: Bio- masse.

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162 WISSENSCHAFT · METHODEN

BIOspektrum | 02.12 | 18. Jahrgang

Chancen und Herausforderungenó Die biomolekulare Forschung der letztenJahrzehnte hat eine ungeheure Menge anMolekülen, Organismen und Synthesewegenaufgeklärt und die prinzipiellen Methoden zuihrer Nutzung entwickelt. Dies bietet völligneue nachhaltige Lösungen in den BereichenMedizin, Chemie, Ernährung, Umwelt undEnergie. Unter anderem können diese zumErsatz chemischer Synthesen von Grund-substanzen bis hin zu komplexen Polymerenführen. Allerdings benötigen Entwicklungenim Bereich der Biotechnologie derzeit einenim Vergleich zu anderen Branchen sehr hohen

Aufwand an Zeit, Personal und initialen Inves-titionen und sind mit einem relativ hohenRisiko verbunden.

Ein entscheidender Punkt bei der Beant-wortung der Frage, inwieweit Bioprozesse bil-liger und schneller entwickelt werden können,ist das Verständnis der Unterschiede zwischenProduktentwicklungen in anderen Industrienund der Biotechnologie. Die Entwicklung vonBioprozessen setzt, bedingt durch ihre Kom-plexität, sehr spezifische wissenschaftlicheKenntnisse und Methoden voraus, wie sie nurin der naturwissenschaftlichen Ausbildungerworben werden. Andererseits werden diefachlichen Grundlagen für die eigentliche Pro-zessentwicklung nur in einer Ingenieursaus-bildung erworben. Im Unterschied zu anderenindustriellen Bereichen (Maschinenbau undPhysik) wurde dieser Zwiespalt im biotechno-logischen Bereich bisher nur ansatzweisegelöst. Prozessentwicklungen sind hier an derBasis naturwissenschaftlich dominiert. Inge-nieurwissenschaftliche Fragestellungen wer-den erst in den späteren Phasen der Prozes-sentwicklung berücksichtigt. Folglich erfolgtdie Entwicklung nicht als ganzheitlicher, aufdas Endverfahren ausgerichteter Prozess, son-dern insbesondere in den Anfangsphasen miteinem hohen Grad an trial and error, das heißtausbildungs- bzw. erfahrungsbedingten Ent-scheidungen. Oftmals werden eingefahreneStrategien mit dem Ziel der Risikominimie-rung im Prozess der Maßstabsvergrößerungeinfach weitergeführt. Allerdings wird durch

die Vielzahl an technischen Faktoren durchdiese Vorgehensweise das Risiko eines tech-nischen und wirtschaftlichen Fehlschlagserhöht [1].

Kontrolliertes Wachstum alsdurchgängige StrategieEin wesentlicher Gesichtspunkt für die Ver-kürzung der Prozessentwicklung ist die Nut-zung einer einheitlichen durchgängigen Kul-tivierungsstrategie. Gegenwärtig werdenmeistens in der ersten EntwicklungsphaseKultivierungen auf der Basis des sogenanntenBatch-Prinzips durchgeführt, bei dem derWachstumsprozess im Wesentlichen durchdie Aufnahmekapazität der Zelle für das Sub-strat bestimmt wird, mit der Konsequenzeines unkontrollierten Wachstums. Im Ver-lauf der Kultivierung kann es gerade bei höhe-ren Zelldichten, z. B. durch limitierten Gas-austausch, leicht zu ungewollten Limitatio-nen bzw. Inhibitionen kommen, die vomAnwender durch die limitierten Möglichkei-ten einer on-line-Analytik in dieser Phase oftnicht erkannt werden. Im Gegensatz dazuwerden im industriellen Maßstab nahezu aus-schließlich Fed-Batch-Strategien angewandt,bei denen die Wachstumgeschwindigkeit unddadurch auch der Sauerstoffverbrauch be -wusst durch eine gewollte Limitierung kon-trolliert wird. Meistens geschieht dies durcheine geregelte Zugabe eines entscheidendenNährstoffs, z. B. der Hauptkohlenstoffquelle.Die Anwendung der Fed-Batch-Technologieerlaubt in den meisten Fällen auch ohne eineausgefeilte on-line-Analytik eine robuste Pro-zesskontrolle. Dies ist z. B. möglich, wenn dieZusatzrate für die Kohlenstoffquelle in aero-ben Prozessen dem relativ konstant bleiben-den volumetrischen Sauerstoffeintrag ent-spricht (Abb. 1). Bei einem solchen Prozesskommt es dann zum quasi-konstanten Wachs-tum über einen längeren Zeitraum, bis dieBiomasse so hoch ist, dass das verfügbareSubstrat vollständig in den Erhaltungsstoff-wechsel der Zelle fließt (Abb. 2A).

Die Syntheseleistungen eines Organismuswerden wesentlich durch die Umweltbedin-gungen bestimmt. Deshalb sind Ergebnisse

Bioprozessentwicklung

Intelligente Wachstumsmedien mitkontrollierter SubstratfreisetzungPETER NEUBAUER1, JUOZAS SIURKUS2, STEFAN JUNNE1, JULIA GLAZYRINA1

1FACHGEBIET BIOVERFAHRENSTECHNIK, INSTITUT BIOTECHNOLOGIE, TU BERLIN2THERMO FISHER SCIENTIFIC, VILNIUS, LITAUEN

Intelligent growth media with a biocatalytically controlled substraterelease from soluble polymers allow controlled growth and higher produc-tivities. They are also a valuable tool for consistent bioprocess develop-ment through the different scales, because they guarantee similar growthconditions from the initial screening stage in 96-microwell plates andshake flasks to the final fed-batch bioprocess in a bioreactor.

DOI: 10.1007/s12268-012-0159-y© Springer-Verlag 2012

˚ Abb. 1: Grundlegende kinetische Zu sam -men hänge der Fed-Batch-Kultivierung.Balance zwischen zellulären und externenParametern und ihre Regelung im Fed-Batch-Prozess. KLa: Sauerstoffeintragskoeffizient;F/V·Si: volumetrische Fütterrate des Sub-strats (F: Fütterrate, V: Reaktorvolumen, Si:Substratkonzentration in der Fütterlösung);volumetrische (r) bzw. spezifische (q) Ratenfür den Sauerstoffverbrauch (O), Substra-tumsatz (S) und das Wachstum (μ); X: Bio-masse.

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aus dem Batch-Screening generell nicht ein-fach in den Fed-Batch-basierten Fermenta-tionsmaßstab skalierbar. Aus diesem Grundgibt es derzeit viele Ansätze, die eine Minia-turisierung von Kultivierungssystemen ange-hen, unter anderem miniaturisierte Parallel-reaktoren, die meist auch eine gewisse on-line-Analytik enthalten [2, 3]. Bei diesen Sys-temen wird jedoch teilweise der Widerspruchzwischen Batch- und Fed-Batch-Kultur igno-riert. Somit bestehen wesentliche methodi-sche Unterschiede beim Übergang vom Scree-ning in den Produktionsmaßstab.

Enzymbasierte SubstratfreisetzungEine alternative Lösung zur Verwendung vonexternen Pumpen, die in Standardsystemen(Mikro-, Deep-Well-Platten, Schüttelkolben)nicht ohne größere Modifikationen und hohenapparativen Aufwand genutzt werden können,bieten neuartige Konzepte, die eine Substrat-freisetzung ohne externe Systeme aus demNährmedium heraus gewährleisten. Hierbeiwurde von uns die Methode der enzymbasier-ten Freisetzung von Zuckern aus Polymerenentwickelt (Abb. 2B) [4]. Dieses Konzept, dasinzwischen von der Ausgründung BioSilta inneue Medien (EnBase®) umgesetzt wurde, istin der Nutzung einfach. Es besticht dadurch,dass die Methode in allen Kultivierungsgefä-ßen angewandt werden kann, ohne vom Nutzerein tiefer gehendes Verständnis der Fed-Batch-Technologie zu verlangen [5]. Das Medium ent-hält neben Mineralsalzen und Spurenelemen-ten vor allem ein z. B. von Stärke abgeleitetesPolymer, das in dieser Form vom zu kultivie-renden Organismus nicht metabolisiert wird.Erst durch die Zugabe eines Enzyms in dasMedium wird das Substrat freigesetzt, z. B.Glukose bei der Zugabe von Glukoamylase.Entscheidend ist, dass hierbei das Enzym alsmolekulare Pumpe dient, das heißt die Mengebzw. Aktivität des Enzyms bestimmt die Frei-setzungsrate für das Substrat und damit dieWachstumsrate der Kultur.

Expression eines RNase-Inhibitorsals Beispiel einer durchgängigenBioprozessentwicklungDas Konzept der enzymatisch basierten Substratfreisetzung wurde exemplarisch fürdie Optimierung der Expression eines Ribo-nukleaseinhibitors angewandt [6–8]. Dieheterologe Expression von RNase-Inhibitorenwar bisher durch sehr niedrige Ausbeutenund die Aggregation des Proteins gekenn-zeichnet [9, 10]. Diese Proteinklasse bestehtaus einer Hufeisenstruktur; die Aminosäure-

sequenz enthält einen Core von 15 bis 16LRRs (leucine-rich repeats) und 30 bis 32Cysteine, die für die Aktivität des Proteins inreduzierter Form vorliegen müssen, jedochunter oxidierenden Bedingungen leicht intra-molekulare Disulfide bilden, die zur irrever-siblen Inaktivierung führen [11].

Da die Expression des nativen Proteins inEscherichia coli initial nicht erfolgreich war,wurde in einer ersten Versuchsserie das Genfür den RNase-Inhibitor in eine Vektor-Biblio-thek über Gateway-Klonierung kloniert, dieaus 45 Plasmiden mit unterschiedlich star-ken Promotoren, Ribosombindungssequen-zen und verschiedenen Fusionspeptidenbesteht [8]. Zusätzlich war in allen Stämmenein zweites Plasmid mit einem Monitoring-system enthalten, bestehend aus einer Lucif-erase unter Kontrolle eines Hitzeschockpro-motors, der bei Aggregation angeschaltet wird[12]. In einem ersten Screening auf 96er-Mikrowellplatten wurden mittels der Metho-de der enzymbasierten Substratfreisetzungdie Konstrukte selektiert, die eine löslicheExpression des RNase-Inhibitors ermöglich-ten, das heißt eine niedrige Luciferase-Akti-vität zeigten [8]. Dies wurde durch SDS-Poly-acrylamid-Gelelektrophorese- und Aktivi-tätstests bestätigt. Hierbei zeigten nur dieFusionskonstrukte mit Maltosebindungspro-tein eine Aktivität, unabhängig von der Stär-ke des Promotors bzw. der Ribosomenbin-dungssequenz. Nachfolgend sollte dann fürden endgültigen Kultivierungssprozess dieoptimale Fütterrate gefunden werden. Hierfürwurden Schüttelkolbenexperimente wiedermit enzymbasierter Substratfreisetzung

durchgeführt, die zu unterschiedlichen Zei-ten induziert wurden, um die optimale Wachs-tumsrate am Induktionszeitpunkt zu evalu-ieren. Die Experimente ergaben eine optima-le Wachstumsrate von ca. 0,22 pro Stunde.Diese konnte dann in der nachfolgenden Fed-Batch-Kultivierung durch eine exponentielleFütterung eingestellt werden. Im Bioreaktorkonnte die Induktion durch den wesentlichhöheren Sauerstoffeintrag bei höheren Zell-dichten durchgeführt und damit die Ausbeu-te im Verhältnis zum Schüttelkolben wesent-lich gesteigert werden. Interessanterweiseblieb jedoch die Konzentration an RNase-Inhi-bitor pro Zelle konstant, ein entscheidenderNachweis, dass der Erhalt der physiologischenBedingungen für die Zelle über die verschie-denen Maßstäbe entscheidend für eine erfolg-reiche Scale-up-Prozedur ist [8].

Das hier demonstrierte Prinzip der durch-gängig auf der Fed-Batch-Strategie basiertenProzessentwicklung wurde auch bei derWeiterentwicklung des Prozesses beibehal-ten. In einer Folgestudie mit dem Ziel, denRNase-Inhibitor ohne Fusionsprotein zu pro-duzieren, wurde das Protein im Periplasmavon E. coli exprimiert [7]. Hier konnte zusätz-lich die Redoxsituation im Kulturmediumüber Zusätze (z. B. Dithiothreitol, DTT) bzw.durch die Einstellung der Belüftung modu-liert werden. In dieser Studie stellte sichjedoch überraschenderweise heraus, dass derHauptteil des produzierten aktiven RNase-Inhibitors im Zytoplasma zu finden war. Des-halb wurde dann die Kombination von DTT-Zugabe und sauerstofflimitierter Kultivierungfür die Expression des nativen Proteins im

˚ Abb. 2: Fed-Batch-Kultivierung und die Ausnutzung des Fed-Batch-Prinzips in intelligentenNährmedien. A, Fed-Batch-Bioreaktor und Wachstumsprofil einer aeroben Fermentation mit kon-stanter wachstumslimitierender Fütterung. B, Fed-Batch-ähnliche Kultivierung durch enzymbasier-te Freisetzung des Nährsubstrats, sowie Wachstumsprofil. Die mechanische Pumpe wird hierdurch einen Biokatalysator ersetzt.

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Zytoplasma erprobt und sowohl im enzym-basierten Substratfreisetzungssystem als auchim Fed-Batch-Bioreaktor validiert [7].

Um die Ausbeute an RNase-Inhibitor weiterzu steigern, wurde das zytoplasmatische Kon-strukt in ein T7-Promotor-basiertes Über -expressionssystem kloniert [6]. Allerdings wur-de hier überraschenderweise trotz hoher Pro-duktion des Proteins keine Aktivität festge-stellt, vielmehr aggregierte der Großteil desProduktes in Einschlusskörpern (inclusionbodies). Dieses Problem wurde durch Ko-Expression des GroEL-ES-Chaperonsystemsgelöst. Die Prozessbedingungen wurden wiede-rum mit dem enzymbasierten Substratfreiset-zungssystem im Schüttelkolben optimiert. Derendgültige Fed-Batch-Kultivierungsprozess mitsequenzieller Induktion der Chaperone unddes RNase-Inhibitors, nachfolgendem Tempe-raturshift, Kontrolle der Redoxbedingungenüber mehrmalige DTT-Zugabe und sauerstoff -limitierter Fahrweise (Abb. 3) resultierte in

625 mg/l aktivem RNase-Inhibitor mit einerAktivität von 80.000 kU/l bei einer Zelltro-ckenmasse von 25 g/l [6].

Interessant ist, dass der Erfolg dieser Pro-zessentwicklung wesentlich auf die Nutzungder enzymbasierten Glukosefreisetzungzurückzuführen ist. Bei der üblichen Anwen-dung von Komplexmedien wäre das Scree-ning der aktiven Konstrukte erfolglos geblie-ben [8].

Dieses Beispiel dokumentiert die Stärkeeiner engen Verflechtung von naturwissen-schaftlichen und ingenieurtechnischen Her-angehensweisen. Offensichtlich können diegenutzten Strategien weiter optimiert werdenund frühzeitig Methoden der Prozesskontrolleund der on-line-Analytik über den gesamtenEntwicklungsprozess mit eingebunden wer-den. Hierbei bietet insbesondere die automa-tisierte Bioprozessentwicklung mit Roboternund die sinnvolle Integration statistischer Ver-suchsplanung (DoE) neue Möglichkeiten, die

˚ Abb. 3: Zellwachstum (A) und Fermentationsparameter (B) einer glukoselimitierten Fed-Batch-Kultivierung im Zehn-Liter-Bioreaktor mit Escherichia coli zur Produktion von rekombinantem RNase-Inhibitor. Zu beachten sind die verschiedenen Fermentationsphasen: Chaperoninduktion(+ARA), Induktion des RNase-Inhibitors (+IPTG), wiederholte Zugabe von DTT als Reduktionsmittel(+DTT), Temperaturabsenkung nach neun Stunden, sauerstofflimitierte Kultivierung durch Absen-kung der Belüftungsrate nach elf Stunden (modifiziert nach [6]).

AUTORENPeter NeubauerJahrgang 1962. Mikrobiologiestudium an der Universität Greifs-wald. 1992 Promotion. 1993–1995 Postdoc am Royal Institute ofTechnology KTH, Stockholm, Schweden. 1995–2000 wissen-schaftlicher Mitarbeiter und Leiter der AG Fermentation an derUniversität Halle-Wittenberg. 2000–2008 Professor für Biopro-cess Engineering an der Universität Oulu, Finnland. 2006 Stipen-diat der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung. Seit2008 Lehrstuhl für Bioverfahrenstechnik an der TU Berlin.

Stefan JunneJahrgang 1977. Studium des Chemieingenieurwesens an der Uni-versität Erlangen-Nürnberg. 2010 Promotion an der TU Berlin.Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Bioverfahrenstech-nik, Institut für Biotechnologie, TU Berlin, Leitung der Arbeiten imBereich Bioprozesstechnik und Modellierung.

Juozas SiurkusJahrgang 1980. Chemical Engineering-Studium an derKaunas University of Technology, Litauen. Master inBiotechnology Sciences, Technical University of Den-mark, Kopenhagen. 2004–2011 Wissenschaftler beiFermentas UAB; seit 2011 R&D Manager bei ThermoFisher Scientific (ehemals Fermentas), Vilnius, Litau-en. Seit 2007 Promotionsstudent bei Prof. Dr. Neu-bauer, erst Universität Oulu, Finnland, dann TU Berlin.

Julia GlazyrinaJahrgang 1978. Biotechnologiestudium an der Techni-schen Universität Kazan, Russland. Seit 2009 wissen-schaftliche Mitarbeiterin/Doktorandin am FachgebietBioverfahrenstechnik, Institut für Biotechnologie,TU Berlin.

für die Zukunft die Vision einer möglichstweitgehend automatisierten Bioprozessent-wicklung erlauben. ó

Literatur[1] Neubauer P (2011) Towards faster bioprocess develop-ment. Biotech J 6:902–903[2] Betts JI, Baganz F (2006) Miniature bioreactors: currentpractices and future opportunities. Microb Cell Fact 5:21[3] Duetz WA (2007) Microtiter plates as mini-bioreactors:miniaturization of fermentation methods. Trends Microbiol15:469–475[4] Panula-Perälä J, Siurkus J, Vasala A et al. (2008) Enzymecontrolled glucose auto-delivery for high cell density cultiva-tions in microplates and shake flasks. Microb Cell Fact 7:31[5] Glazyrina J, Krause M, Junne S et al. (2012) Glucose-limi-ted high cell density cultivations from small to pilot plant sca-le using an enzyme-controlled glucose delivery system. NBiotechnol 29:235–242[6] Siurkus J, Neubauer P (2011) Heterologous production ofactive ribonuclease inhibitor in E. coli by redox state controland chaperonin coexpression. Microb Cell Fact 10:65[7] Siurkus J, Neubauer P (2011) Reducing conditions are thekey for efficient production of active ribonuclease inhibitor inE. coli. Microb Cell Fact 10:31[8] Siurkus J, Panula-Perälä J, Horn U et al. (2010) Novelapproach of high cell density recombinant bioprocess deve-lopment: optimisation and scale-up from microliter to pilotscales while maintaining the fed-batch cultivation mode of E.coli cultures. Microb Cell Fact 9:35[9] Klink TA, Vicentini AM, Hofsteenge J et al. (2001) High-level soluble production and characterization of porcine ribo-nuclease inhibitor. Protein Expr Purif 22:174–179[10] Lee FS, Vallee BL (1989) Expression of human placentalribonuclease inhibitor in E. coli. Biochem Biophys ResCommun 160:115–120[11] Dickson KA, Haigis MC, Raines RT (2005) Ribonucleaseinhibitor: structure and function. Prog Nucleic Acid Res MolBiol 80:349–374[12] Kraft M, Knüpfer U, Wenderoth R et al. (2007) An onlinemonitoring system based on a synthetic sigma32-dependenttandem promoter for visualization of insoluble proteins in thecytoplasm of E. coli. Appl Microbiol Biotechnol 75:397–406

Korrespondenzadresse:Prof. Dr. Peter NeubauerFachgebiet BioverfahrenstechnikInstitut für BiotechnologieTechnische Universität BerlinAckerstraße 71–76D-13355 BerlinTel.: 030-314-72269Fax: 030-314-27577peter.neubauer@tu-berlin.dewww.bioprocess.tu-berlin.de

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