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INFO-PARTNER Zukunft der Bildung - die Bildung der Zukunft Prof. Ernst Buschor, Bildungsdirektor des Kantons Zürich Sonderdruck für die Festschrift «200 Jahre Eniehungsrat des Kantons Zürich, 1798-1998~ <c Der Kanton Ziirich miss im Schulwesen wieder einen Schritt vorwärts tun; er kann nicht länger stehen bleiben, wenn ringsum Al- les bestrebt ist, die Volksschule zu heben. Das mögen alle diejenigen bedenken, welche nichts Neues wollen!n Diese Sätze stammen nicht etwa von mir, sondern von einem mei- ner Vorgänger, Erziehungsdirek- tor Johann Emanuel Grob: Sie stehen am Anfang der Weisung zur Volksschulgesetzabstimmung von 1898, der zweiten Auflage dieses Gesetzes, das 1888 von den Stimmberechtigten abgelehnt wor- den war. Der Regierungsrat führt weiter aus: *Seit 40 Jahren haben wir auf dem Gebiete des Volksschulwesenskei- ne Gesetzesrevision mehr zu Stan- de gebracht, während es in der Mehrzahl der anderen schweizeri- schen Kantone in den letzten 10 Jahren möglich gewesen ist, die Erweiterung der obligatorischen Schulpflichtfür das reifere Jugend- alter durchzuführen, die Primar- schule nach oben sauszubauen oder die obligatorische Fortbildungs- stufe einzurichten. .... Auf allen Stufen menschlicher Tätigkeit ... macht sich bei uns ein erfreulicher Aufsch wring, ein mächtiges Rin- gen nach Verbesserung rrnvoll- kommener und unbefriedigender Zustände bemerkbar. Wir dürjten da nicht länger zaudern, das her- an wachsende Geschlecht durch eine griindlichere Allgemeinbil- dung zu befähigen, mit Erfolg in diesen Wettkampf einzutreten.» Die Situation hat sich insofern verändert, als der Kanton Zürich heute dank verschiedener Teilre- visionen des Volksschulgesetzes und des Lehrerbildungsgesetzes, aber auch dank des täglichen Ein- satzes aller für die Bildung Ver- antwortlichen im interkantona- len Vergleich gute Schulen hat. Die Lage ist aber insofern gleich, als sich der Kanton vor gut IOO Jahren im Wandel zum Industrie- Zeitalter befand. Heute steht die Gesellschaft an der Schwelle zum globalen Informationszeitalter. Noch mehr als damais kommt dem Bildungswesen eine Schltis- selrolle zu, weil die Stärkung un- seres Humankapitals unsere wich- tigste Quelle des gesellschaftli- chen Überlebens und des Wohl- standes ist. Ich will daher in den folgenden Ausführungen aus den Veränderungen des Bildungsbe- griffs Schlüsse für das Bildungs- wesen der Zukunft ableiten. 1

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INFO-PARTNER Zukunft der Bildung - die Bildung der Zukunft Prof. Ernst Buschor, Bildungsdirektor des Kantons Zürich

Sonderdruck für die Festschrift «200 Jahre Eniehungsrat des Kantons Zürich, 1798-1998~

<c Der Kanton Ziirich miss im Schulwesen wieder einen Schritt vorwärts tun; er kann nicht länger stehen bleiben, wenn ringsum Al- les bestrebt ist, die Volksschule zu heben. Das mögen alle diejenigen bedenken, welche nichts Neues wollen!n

Diese Sätze stammen nicht etwa von mir, sondern von einem mei- ner Vorgänger, Erziehungsdirek- tor Johann Emanuel Grob: Sie stehen am Anfang der Weisung zur Volksschulgesetzabstimmung von 1898, der zweiten Auflage dieses Gesetzes, das 1888 von den Stimmberechtigten abgelehnt wor- den war. Der Regierungsrat führt weiter aus:

*Seit 40 Jahren haben wir auf dem Gebiete des Volksschulwesens kei- ne Gesetzesrevision mehr zu Stan- de gebracht, während es in der Mehrzahl der anderen schweizeri- schen Kantone in den letzten 10 Jahren möglich gewesen ist, die Erweiterung der obligatorischen Schulpflicht für das reifere Jugend- alter durchzuführen, die Primar- schule nach oben sauszubauen oder die obligatorische Fortbildungs- stufe einzurichten. .... Auf allen Stufen menschlicher Tätigkeit ... macht sich bei uns ein erfreulicher

Aufsch wring, ein mächtiges Rin- gen nach Verbesserung rrnvoll- kommener und unbefriedigender Zustände bemerkbar. Wir dürjten da nicht länger zaudern, das her- an wachsende Geschlecht durch eine griindlichere Allgemeinbil- dung zu befähigen, mit Erfolg in diesen Wettkampf einzutreten.»

Die Situation hat sich insofern verändert, als der Kanton Zürich heute dank verschiedener Teilre- visionen des Volksschulgesetzes und des Lehrerbildungsgesetzes, aber auch dank des täglichen Ein- satzes aller für die Bildung Ver- antwortlichen im interkantona- len Vergleich gute Schulen hat. Die Lage ist aber insofern gleich, als sich der Kanton vor gut IOO Jahren im Wandel zum Industrie- Zeitalter befand. Heute steht die Gesellschaft an der Schwelle zum globalen Informationszeitalter. Noch mehr als damais kommt dem Bildungswesen eine Schltis- selrolle zu, weil die Stärkung un- seres Humankapitals unsere wich- tigste Quelle des gesellschaftli- chen Überlebens und des Wohl- standes ist. Ich will daher in den folgenden Ausführungen aus den Veränderungen des Bildungsbe- griffs Schlüsse für das Bildungs- wesen der Zukunft ableiten.

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Entwicklungsgeschichte des Bildungsbegriffs

Die Vorstellungen über die Funk- tionen der Bildung und des Bil- dungswesens haben in den letzten 200 Jahren einen starken Wandel erfahren. Der Begriff «Bildung» geht auf Meister Eckhart zurück (126&1328), der in Genesis I 26 (dimago Dei» mit «Gott nachge- bildet» übersetzt hat. Bis zur Französischen Revolution gait Bildung als etwas Elitäres für Freie, Mönche oder gehobene Schichten. Wilhelm von Hum- boldt (1767-1835) hat das klassi- sche Bildungsideai geschichtsprä- gend umschrieben und in Preus- sen gestaltet, was ihm bis heute eine Nachwirkung verschafft hat. Als Hauptort für die Allgemein- bildung betrachtete er das Gym- nasium, wobei den klassischen Sprachen Griechisch und Latein und der Vermittlung der antiken Kultur die Hauptrolle bei der Persönlichkeitsbildung zukommt. Obwohl sein Bildungsideal we- gen des elitären Charakters und der Vernachlässigung des sozia- len Umfeldes auf Kritik stiess, hat es die Gymnasialbildung bis in die neuere Zeit beeinflusst. Im klaren Gegensatz zu Hum- boldt stand das Erziehungsideal von Heinrich Pestalozzi (1746- 1827). Für ihn war die breite Volksbildung der Mittelpunkt, mit welcher die sittlich-religiö- sen, geistigen und physischen Grundlagen gepflegt und heran- gebildet werden soilten. Im Zen-

trum steht die Harmonie der Ent- wicklung von Kopf, Herz und Hand, was im Gegensatz zur ein- seitigen intellektuellen Förde- rung Humboldt's stand. Er hält fest': «Die Festigkeit der Arbeits- führung. durch welche die guten Kinder an unzerstreute Auf- merksamkeit und an das geduldi- ge Vollenden einer jeden Sache, bis sie recht war, gewöhnt wur- den, erleichtert ihnen das Lernen sehr. Überhaupt zeigte sich bei dieser Verbindung der Kopf- Übung mit den Handarbeiten der Unterschied der Kinder viel leb- hafter und vielseitiger, als wenn man nur eines mit ihnen be- treibt.» Er warnt davor, Kinder in Fabriken zu senden, «WO sie von Pflicht und Sitten nichts hören, wo ihr Kopf, ihr Herz und ihr Körper gleich erdrückt, oder we- nigstens unentwickelt und unan- gebaut bleibtd. Zu diesen frühen Kritikern des Humboldt'schen Bildungsideals zählte auch der Zürcher Erzie- hungsrat Hans Georg Nägeli (1773-1836) der in seinem «Um- riss für das gesamte Volksschul-, Industrieschul- und Gymnasial- wesenn 1832 schrieb, dass die Humboldt'sche Gymnasialbildung im Endresultat «nicht zum ei- gentlichen Humanismus, die Spracherlernung nicht nur nicht zum Verständnis und zur Er- kenntnis des idealen Inhalts der Schriftwerke der Classiker, nicht nur nicht zur Aneignung der Bil- dung jener Cultur-Völker, hin- führt, sondern davon abführt»'.

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Er sieht das Hauptziel der Bil- dung «in der Harmonie der Bür- ger- und Menschenbildung» so- wie der «Harmonie des Denkens und des Glaubens, des Wissens und Wollens. und nicht auf «ei- ner kleineren oder grösseren Summe von Kenntnissen»'. Er legt dabei grossen Wert auf die Lehre in Ubereinstimmung mit dem Evangelium und schliesst sein Werk mit dem Satz «denn wir sind alle Einer in Christo-Je- sud. Er mahnt den Regierungsrat vor falscher Sparsamkeit und hält fest: «Lasset die Staatsgelder da Wuchern, wo sie wirklich hundert- fälltig goldene Früchte, Früchte des Geistes tragen6»! Vor allem Max Scheler (1874- 1928) stellte dem elitären Ideal Humboldts zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein der Chancen- fairness verpflichtetes Bildungs- ideal gegenüber. Er anerkennt die Notwendigkeit fachiich-spe- zialisierten Leistungswissens. Scheler verlangt aber dessen Fundierung auf einer weltan- schaulich-ethischen Grundlage. In seinem wegweisenden Berli- ner Referat von 1925 über «Die Formen des Wissens und die Bil- dung» schreibt er: «Gebildet ist nicht derjenige, der «viel» zufälli- ges Sosein der Dinge weiss und kennt oder derjenige, der Vor- gänge maximal nach Gesetzen voraussehen und beherrschen kann - das erste macht den Ge- lehrten, das zweite den Forscher aus - sondern gebildet ist, wer sich eine persönliche Struktur, ei-

nen Inbegriff aufeinander zur Einheit eines Stieles angelegter idealer beweglicher Schemata für die Anschauung des Denkens, die Auffassung, die Bewertung und Behandlung der Welt und ir- gendwelcher zufälliger Dinge in ihr aneignete7.» Er lehnt aus- drücklich zum Selbstzweck wer- dendes Leistungswissen ab, weil es den Menschen dehumanisieri und seine Person bedroht, wenn sie zum Funktionsträger techno- kratischer oder totalitärer Syste- me wird. Er schliesst sein Referat mit der Feststellung, dass sich die humanistische Idee des Bildungs- Wesens der Idee des Erlösungs- Wissens unterordnen müsse. «Denn alles Wissen ist in letzter Linie von der Gottheit - und nicht für die Gottheit8..» Anders verlief die Entwicklung im angio-amerikanischen Raum. Schon 1215 konnte sich der Adel mit der Magna Charta ziemlich wirksam vor Übergriffen des hö- heren Adels schützen. Mit der Habeas-Corpus-Akte von 1679 waren auch die Bürger gegen willkürliche Übergriffe mehr oder weniger geschützt. Der Phi- losoph John Locke (1632-1704) begründete den Empirismus und forderte die Trennung zwischen der Legislative und Exekutive. Der Moralphilosoph Adam Smith veröffentlichte IT76 das heute noch beachtenswerte Werk eDer Reichtum der Nationen», mit dem er die moderne Volks- wirtschaftslehre begründete. Er erkannte die Vorteile der Arbeits-

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teilung. die aber auf funktionie- rende Märkte angewiesen ist. Er forderte die Wirtschaftsfreiheit und den Freihandel als wichtige Rahmenbedingung für das Gleich- gewicht und die optimale Ent- wicklung von Produktion und Konsum. Gleichzeitig entwickel- te James Watt (1736-1819) lei- stungsfähige Dampfmaschinen und schuf eine wichtige Grundla- ge für die Industrialisierung. Dies spielte sich zur Zeit der Na- poleonischen Kriege ab, die das Ancien Regime in Kontinental- europa blutig beendeten und dem Bürgertum zu neuen Frei- heiten verhalfen. Sie nutzten die- se im Rahmen der Industrialisie- rung. Die Französische Revoluti- on und die von England ausge- hende Industrialisierung bewirk- ten damit eine eigentliche Zei- tenwende mit weitreichenden Folgen für die Gesellschaft. Es gelang allerdings erst nach dem Zweiten Weltkrieg mit der eu-. ropäischen Integration, das euro- päische Staatensystem im Schat- ten des Ost-West-Konflikts poli- tisch zu stabilisieren. Nach dem 1957 von den Russen ausgelösten Sputnik-Schock be- fürchtete der Westen eine länger- fristige Unterlegenheit gegen- über dem Osten, was vor allem die Vereinigten Staaten zur Be- schleunigung der technischen Entwicklung im zivilen und mi- litärischen Bereich veranlasste. In Kontinentaleuropa fiihrte dies in den sechziger Jahren zu bil- dungspolitischen Reaktionen.

1965 erschütterte Georg Picht mit seinem Buch «Die deutsche Bildungskaiastrophe» die Grund- festen der deutschen. aber auch (weil sie im Kern auch auf uns zutrafen) der schweizerischen Bildungspolitik. Unter dem Schlagwort «Bildungsnotstand heisst wirtschaftlicher Notstand» prognostizierte er das Ende des wirtschaftlichen Aufschwungs, weil in wenigen Jahren jene qua- lifizierten Nachwuchskräfte feh- len würden, die im technischen Zeitalter das westdeutsche Pro- duktionssystem am Leben erhal- ten müssten. Praktisch gleichzei- tig veröffentlichte J.J. Servant- Schreiber sein Werk «Le défi amer i cah , indem er Europa im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten eine sich rasant ver- grössernde Technologielücke prophezeite, falls nicht erheb- liche bildungspolitische Ge- genmassnahmen ergriffen wür- den. Der Kern der Aussagen beider Werke war der Gleiche: Die Re- gierungen Westeuropas bzw. Westdeutschlands lassen es zu, dass ihre Länder hinter der von den Vereinigten Staaten ange- führten internationalen Entwick- lung der wissenschaftlichen Zivi- lisation immer weiter zurückblei- ben. Postuliert wurde ein massi- ver Anstieg der zugewiesenen staatlichen Mittel für das höhere Bildungswesen. Diese Forde- rungen wurden durch lautstarke Proteste von Studierenden auf der Strasse unterstützt. Die Poli-

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tik konnte dem Druck wenig entgegensetzen und reagierte mit einem massiven Ausbau des Mittel- und Hochschulwesens. Dies hat Auswirkungen bis in die Gegenwart. Der Anteil der Schweizer Bildungsausgaben am BIP ist von 4.1% (1970) auf 5.6% (1975) angestiegen und seither mehr oder weniger stabil geblieben. In diese Zeit fallen auch grosse Anstrengungen in der Didaktik zur schrittweisen Verbesserung der Lehrmittel sowie der Lehrer- ausbildung und -Weiterbildung in der Volksschule. Dank diesen An- strengungen ist es gelungen, die Schule auf der Höhe der Zeit zu halten.

Die Zeitenwende im Umfeld der Schule: die Globaiisierung

Doch gleichzeitig setzte ein neu- er, rascher Wandel des Umfelds der Schule und der Gesellschaft ein. Die Institutionsbindung an die Kirchen ist stark zurückge- gangen. Die Freizeit rückte - mit kräftiger Unterstützung der Me- dien - mehr ins Lebenszentrum. Die Stabilität und Integrations- funktion der Familie nimmt im allgemeinen ab, weil die gesell- schaftliche Kommunikation viel- fältiger erfolgt und die Medien ei- ne wachsende Bedeutung im Le- ben der Jugendlichen einneh- men. Der Medienkonsum über- trifft zeitmässig die Unterrichts- stunden. Der Rückgang der tra-

ditionellen Bindungen an die Kir- che und die Familie sowie die Einflüsse einer wesentlich breite- ren, diffuseren Wertewelt begün- stigen die - von der Freizeitindu- strie geförderte - Konsumhal- tung. Die Kinder und Jugendli- chen kommen - durch die Medi- en irn Stil des «Edutainmentm mit Informationen überflutet - zur Schule und müssen dort in hoher Dichte weitere Informationen auf- nehmen und verarbeiten. Dabei suggeriert die «postmaterielle Gesellschaft» Vergnügen, Spon- taneität, Lust, Kaufen und hedo- nistische Selbstverwirklichung - zu Lasten kontinuierlicher Per- sönlichkeits- und Leistungsfähig- keitsentwicklung sowie selbstlo- ser Hilfsbereitschaft. Der gerade in der beruflichen Welt vermehrt geforderte Leistungswillen und Einsatz stösst rasch an die Gren- zen der Belastbarkeit und der Konzentrationsfähigkeit. Mit der glücklicherweise friedli- chen Implosion der kommunisti- schen Staaten drängen neue Län- der in die Weltmärkte. Die euro- päische Wirtschaftsgemeinschaft entwickelt sich zur Europäischen Union mit bewusster Pflege des binnenwirtschaftiichen Wettbe- werbs und - in Zukunft - einer Währung. Ähnliche, wenn auch einstweilen weniger weitgehende Integrationsprozesse laufen auf dem amerikanischen und asiati- schen Kontinent. Mit dem WTO- Vertrag werden die Mögiichkei- ten des globalen Wettbewerbs verstärkt. Dies alles wird umso

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rascher umgesetzt, als moderne Kommunikationsnetze eine weit- gehend simultane globale Infor- mation ermöglichen und mit der faktischen Weltsprache Englisch die rasche Verständigung sicher- gestellt ist. Im übrigen stehen im Luftverkehr, beim Landtransport und auf dem Wasser genügend und kostengünstige Transportka- pazitäten zur Verfügung. Zur treibenden Kraft der Globalisie- rung werden auch die globalen Kapitalmärkte und die multina- tionalen Gesellschaften. Währ- end bisher von den bestehenden Produk tionsstandor ten aus ex- portiert wurde, werden diese neu zu einer variablen Grösse: Ein internationaler Standortwettbe- werb setzt ein, der vor allem auch die Regierungen zwingt, ihre Standortattraktivität durch gun- stige Rahmenbedingungen für die Unternehmen zu steigern. Dadurch wird der bisherige in- nen- und finanzpolitische Spiel- raum teilweise entscheidend ein- geschränkt - oder die Arbeits- losigkeit erhöht. Weitere Folgen der Globalisie- rung sind eine zusätzliche Be- schleunigung von Forschung und Entwicklung. Das deutsche Wis- senschaftsministerium rechnet mit einer Verdoppelung der wis- senschaftlichen Erkenntnisse in den nächsten 10 Jahren. Im glei- chen Zeitraum werden rund die Hälfte der heute gängigen Tech- nologien durch neue abgelöst sein. Dies hat auch massive Aus- wirkungen auf die fachliche Aus-

bildung, die wesentlich rascher veraltet und im Rahmen eines le- benslangen Lernens modernisiert werden muss. Zusätzliche Aus- wirkungen der Globalisierung sind neue, grossräumige Arbeits- märkte für Spezialisten und Ma- nager, die zwar insgesamt nicht zu massiven Wanderungen, aber zu multinationaleren Unterneh- menskulturen führen. Die durch Bürgerkriege und politische Wir- ren bedingten Wanderungsströ- me dürften in Zukunft noch zah- lenmässig bedeutender werden. Es ist wohl auch damit zu rech- nen, dass vermehrt grössere, vor allem wirtschaftlich motivierte Wanderungsbewegungen in die in- dustriestaaten auftreten werden. Es ist hier nicht der Ort, Vor- und Nachteile der Globalisierung ab- zuwägen oder Gegenstrategien darzulegen. Es ist aber davon aus- zugehen, dass die Entwicklung - ähnlich wie bei der Zeitenwende der Französischen Revolution und der Industrialisierung - nicht reversibel sein wird. Die beiden Entwicklungen erfolgten im 18.1 19. Jahrhundert räumlich ge- trennt parallel in England bzw. Kontinentaleuropa. Die Globali- sierung erfolgt wesentlich rascher und global simultan, so dass sie eine grössere sozio-ökonomische und gesellschaftliche Belastung - aber auch Chance - darstellen wird. Zumindest teilweise neu ist, dass der rasche Wandel der Tech- nologien und der Kommunikati- on nur durch ein proaktives Bil- dungswesen bewältigt werden

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kann, das die richtigen inrellektu- ellen, sozialen und kulturellen Qualifikationen rechtzeitig heran- bildet. Der Erfolg der Zukunft wird daher nicht in erster Linie durch das Kapital und die Arbeit, sondern massgeblich durch ein zukunftsweisendes, zeitgemässes Bildungswesen entschieden. Im Prozess des lebenslangen Ler- nens ist die Lebenstüchtigkeit der Gesellschaft zu stärken.

Entwicklungstendenzen der Pädagogik

Die Probleme der - oder mit der - Jugend blieben nicht verbor- gen. Einerseits wurden die Eva- luationsmethoden im Bereich Wissensmessung verfeinert und im Rahmen internationaler Tests auf summativer Basis ausgebaut. Andererseits setzte eine Diskus- sion Über Ansätze der Messung und Entwicklung der Sozialkom- petenz ein. Steigende Gewalt- Phänomene in den US-Schulen und wesentlich häufigere, massi- ve psychische Defekte von Schü- lennnen und Schülern führten zu neuen Betrachtungsweisen der Intelligenz. Die Frage wurde im- mer drängender, wie solche gra- vierende Defizite vermieden oder abgebaut werden können. So entstanden verschwommene Begriffe wie im Bestseller von D. Goleman «Emotionale Intelli- g e n z ~ ~ . H. Gardner entwickelte in den achtziger Jahren eine neue Klassifikation der Intelligenz, die

zwischen folgenden Intelligenz- formen unterscheidet'": sprachli- che, logisch-mathematische und räumliche Inteliigenz, Bewe- gungsintelligenz, intra- und inter- personelle Intelligenz sowie na- turalistische Intelligenz. In der Studie der UNESCO über die MLernfähigkeit: Unser verborge- ner Reichtum»" werden vier Lernformen unterschieden: Wis- sen zu erwerben, zu handeln, zu- sammen zu leben und für das Le- ben zu lernen. Vieles trägt aber Züge des rezepthaften, wie etwa die Untersuchung von R. J. Ster- nenberg über Erfolgsinteiligenz, wo er 20 Faktoren auffiihrP. Eine zweite Stossnchtung wissen- schaftlicher Empfehlungen lässt sich mit dem Begriff Schulqua- litätssicherung zusammenfassen. Ausgehend von Rutter's Untersu- chung aus dem Jahre 1980 «15 O00 Schulstunden»" setzte eine inter- nationale Welle von Schulquaiitäts- Untersuchungen ein, an der sich auch die OECD beteiligte. Aus diesen Untersuchungen stammen auch die ersten Konzepte der Teil- autonomen Schule, die keine Zür- cher «Erfindung» ist. Der Begriff wurde Mitte der achtziger Jahre in Deutschland geprägt. Die Ergeb- nisse dieser Form der Schulqua- litätsentwickiung sind internatio- nal repräsentativ zusammengefasst in der Studie der OECD von 1989 «Quality of Schools»". Die Unter- suchungen umschreiben die Rah- menbedingungen guter Schulen, wobei der Begriff der «guten Schu- le» nicht immer transparent ist.

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Eine Sichtung der Literatur er- gibt zusammengefasst 23 Kriteri- en, von denen 17 die jeweilige Schulkultur umfassen, eines die örtlichen Schulbehörden und die Eltern betrifft und die übrigen vier schwerpunktmässig im Kom- petenzbereich der Oberbehörden liegen'?

1. Schulkultur als lokale, gemeinschaftliche, Umfeld- orientierte Identität;

2. verstärkt schulzentriertes Gestalten des Schulbetriebs;

3. pädagogisch-administrative Prozesssteuerung durch die Schulleitung;

4. gemeinsame, schülerzentrierte pädagogi- sche Wertvorstellungen der Schule;

5. methodisch-didaktischer Konsens;

6. Gemeinschaftsanlässe der ganzen Schule;

7. gemeinsame Lehrkräfteaus- bildung in der Schule;

8. klassenübergreifende Verhaltensregeln (Disziplin, Hausaufgaben usw.);

9. klare Normen und hohe Leistungsanforderungen an Schüler und Lehrkräfte;

10. Teamgeist und Zusammen- arbeit statt Einzelkämpfer- turn der Lehrkräfte;

11. Innovationswille für die Zukunftstauglichkeit des Untemchts;

und Wohlbefindens als Basis der Lernwilligkeit;

12. Schulklima des Vertrauens

13. Förderung und Erfolgser- lebnisse der schwächeren Schüler;

14. maximale Lernzeitausnut- zung;

15. systematische Lernfortschrittskontrollen im Unterricht;

16. vertiefte Zusammenarbeit unter den Schulen;

17. Selbstevaluation des Unter- richts durch Lehrkräfte und Schule;

18. gute Zusammenarbeit mit den Eitern und Ortsbehör- den;

19. Extern unterstützte Evalua- tion der Kernleistungen der Schulen;

20. pädagogisch- organisatorische Personal- entwicklungsmögtichkeiten;

21. kontinuierliche pädagogische und organisa- torische Verbesserungen;

22. aktive Unterstützung der Autonomie durch die Schul- behörden;

23. Förderung des Freiraums der Schule durch die Ober- behörden.

Die amerikanischen Beiträge unterscheiden sich insgesamt von den kontinentaleuropäi- schen durch eine stärkere Beto- nung der Evaluation als Füh-. rungsinstrument, der Befragun- gen und summativer Leistungs- tes tsl6. Vor allem im anglo-amerikani- schen Raum war diese Schulent- wicklung schon früh mit Ele-

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menten des New Public Mana- gement (NPM) vermengt. Dabei ist festzuhalten. dass New Public Management nicht über ein ei- genes pädagogisches Konzept verfügt. NPM stellt auf der Meta-Ebene Steuerungsformen und die hierfür erforderlichen Führungsinstrumente zur Verfü- gung. Es tendiert zwar zu einer möglichst wet tbewerbsgesteuer- ten Führungskultur, verlangt diese aber nicht implizit oder so- fort. Eine wettbewerbsgesteuer- te Kultur kann - ausgehend von den heutigen bürokratischen Regelsteuerungssysternen - oh- nehin nur in Schritten und kaum in allen Bereichen (z.B. Primar- schule) erreicht werden”. Im europäischen Rahmen ge- winnt das Deregulierungsziel vor allem auf der universitären Stufe an Bedeutung. So ist das Ziel der laufenden deutschen Hochschul- reform, «durch Deregulierung, durch Leistungsorientierung und durch Schaffung von Leistungs- anreizen Wettbewerb und Diffe- renzierung zu ermöglichen sowie die internationale Wettbewerbs- fähigkeit der deutschen Hoch- schulen für das 21. Jahrhundert zu sichern»’*. Dies liegt auch im Rahmen der Bestrebungen der Europäischen Union, durch Eva- luation der Lehre und Forschung, Regelstudienzeiten und Zwischen- prüfungen nach dem System der Kreditpunkte Qualität und Mo- bilität der Hochschulleistungen zu steigern.

Der Beitrag der Bildungsökonomie

Ein weiterer Bereich der Bil- dungsforschung von steigender Bedeutung ist die Bildungsökono- -

mie. Diese befasst sich im weite- sten Sinne mit den Bedingungen der Wirksamkeit von Bildungs- systemen. Die Bildungsökonomie hat stark das zur Zeit auslaufende Nationale Forschungsprogramm 33, Wirksamkeit der Bildungssy- sterne, mitgeprägt’’. Ein wichtiger Ansatz ist die Ermittlung des so- zialen Ertrags der Bildung durch die Saldierung der erhöhten Brut- toeinkommen dank der Ausbil- dung und der hierfür aufgewende- ten Kosten der Gesellschaft. Da- bei zeigt sich, dass der Ertrag durchwegs massiv höher ist als der (gesellschaftliche) Aufwand. Den höchsten Produktivitätszuwachs erzielt im allgemeinen die Volks- schulbildung, vor allem in den Entwicklungsländern. Für die Schweiz wurden kürzlich Berech- nungen publiziert, welche diese allgemeine Tendenz bestätigen”. Die höchste Rendite weist die Be- rufsbildung auf, gefolgt von den Maturitäts- und Fachhochschulen. Die niedrigste Rendite ergibt sich für die Universitäten. Dies wird auf institutionelle Rahmenbedin- gungen zurückgeführt (hohe Dro- pout-Rate, was die Durchschnitts- kosten steigert, lange Studiendau- em in einzelnen Fakultäten, Defi- zite der Lehre als Folge des Mas- senbetriebs und Defizite der Se- lektion).

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Schliesslich belasst sich die Bil- dungsökonomie mit dem Zusam- menwirken der bildungspoliti- schen Faktoren mit den übrigen ökonomischen Schlüsselgrössen wie der Beschäftigung, der Stand- ortwahl, der Arbeitsmarktpolitik. der Lohnpolitik usw. Dabei zei- gen sich sinkende Halbwertszei- ten des Fachwissens und komple- xe, für die Wirksamkeit der Bil- dung aber wichtige Formen des Zusammenwirkens zwischen der Grundausbildung und der Aus- bildung am Arbeitsplatz (on-the- job-training). Hierher gehört auch die Frage nach der Form der Berufslehre und der unterschied- lichen Rolle der Fachhochschu- len und Universitäten. Unbestrit- ten ist allgemein, dass der Bedarf an (hoch) spezialisierten Fach- kräften zunehmen wird und de- ren Verfügbarkeit zu einem im- mer wichtigeren Standortfaktor werden wird. Insgesamt stimmt auch die Formel: je höher der Bil- dungsstand, umso höher das Ar- beitseinkommen. Bildung - vor allem Volksschulbildung - ist da- her ein oder sogar der entschei- dende Faktor des Wohlstandes. Vor aiiem die sinkende Halb- wertszeit des Fachwissens stellt neue Anforderungen an die Lemzyklen: Lebenslanges Ler- nen wird zur absoluten Notwen- digkeit. Da vor allem die Hoch- schulen nie Berufstüchtigkeit im engeren Sinne vermitteln können - sie muss in der Praxis erhärtet werden - ist es wesentlich, Studi- enzeiten zu verkürzen und eine

klare Trennung des Lernstoffs im Schulsystem und in der Praxis vorzunehmen. Offen ist auch die Arbeitsteilung zwischen Schulen und Unternehmen im Rahmen der Weiterbildung, ja der Kon- zeption der Weiterbildung über- haupt. Kann bzw. inwiefern soll die heutige Arbeitsteilung zwi- schen staatlicher Grundausbil- dung und kostendeckender Wei- terbildung beibehalten werden? Im Hinblick auf die höheren Ar- beitseinkommen wird im Rahmen der Bildungsökonomie mehr- heitlich die Auffassung vertreten, die Yochschulausbildung sollte vermehrt über verzinsliche Dar- lehen finanziert werden. Eine vermehrte Mitfinanzierung der Weiterbildung (durch private und öffentliche Arbeitgeber) ist vor allem dort unumgänglich, wo es sich um für die Laufbahn not- wendige Zusatzausbildungen han- delt, über die Arbeitnehmerin- nen und -nehmer verfügen müs- sen (2.B. obligatorische Lehrer- Weiterbildung). Die Forderungen gehen dabei soweit, dass für die Weiterbildung die gleichen Rechts- ansprüche wie für die Grundaus- bildung gefordert werden. Allgemein wird aber unterstri- chen, dass dem Staat bei der Bereitstellung des Angebots der Weiterbildung insofern eine Schlüsselrolle zukommt, als er für ein angemessenes Angebot mitverantwortlich ist und bei der Qualitätssicherung der Angebote mitwirken sollte. Ferner ist es we- sentlich, dass alle Schulen ihre

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Absolventinnen und Absolven- ten mit dem Bewusstsein und Willen entlassen, lebenslang für ihre Weiterbildung besorgt zu sein. Hier ist unter anderem die Volksschule gefordert. Untersu- chungen belegen, dass Weiterbil- dungsangebote vor allem von höher gebildeten und kaum von Personen besucht werden, wel- che lediglich über einen Volks- schulabschluss verfügen”. Wer die Schule ohne Lemfreude ver- lässt - und dies tun zu viele - der wird wichtiger und für seine Per- son notwendiger Weiterbildungs- rnöglichkeiten beraubt!

Von der christlich geprägîen Bildung zum säkularisierten Haus des Lernens

Betrachtet man die Entwicklung der bildungspolitischen Diskussi- on der letzten 200 Jahre, so ist ei- ne eindeutige Verlagerung von der Diskussion über Bildungsin- halte zu den Lernprozessen fest- stellbar. Von Eckhart’s Menschen- bild als Abbild Gottes über Hum- boldt’s Orientierung an den ho- hen Werten der Antike bis zur Bildung als sittliche Verankerung im Christentum bei Pestalozzi, Nägeli oder Scheler dominiert die Idee der Bildung als Positio- nierung im Leben. Scheler hat dabei pragmatisch festgehalten, dass es in der Fülle wachsenden Wissens nicht «die» Bildung - et- wa im Sinne Humboldt’s - geben kann, sondern dass jeder einzelne

aufgrund des ihm verfügbaren Wissens seine individuelle sittli- che Persönlichkeits- und Lebens- gestaltung entwickeln und le- benslang weiterentwickeln muss. Vor allem seit den achtziger Jah- ren steht die Frage im Mittel- punkt, wie das Lernen optimiert werden kann. Unbestritten ist, dass Wissensvermittlung allein nicht genügt, sondern dass lang- fristig erfolgreiches Lernen auch gewisse heranzubildende Persön- lichkeitsmerkmale verlangt. Bil- dung soll durch eine ausgewoge- ne Förderung von Wissen und Persönlichkeitsmerkmalen ver- mittelt werden, mit denen zusam- men eine hohe Lebenstüchtigkeit erreicht werden soll. Bezeichnend für diese Haltung sind sowohl das Leitbild der Zür- cher Schulen im Lehrplan als auch die kürzlich veröffentlich- ten «Postulate für das Gymnasi- um» der Konferenz der Schwei- zer Gymnasialrektoren. Im Leit- bild der Zürcher Volksschule werden 10 Grundhaltungen po- stuliert: Erkenntnisinteresse und Orientierungsvermögen, Verant- wortungswille, Leistungsbereit- Schaft, Dialogfähigkeit und Soli- dan tat, Traditionsbewusstsein, Umweltbewusstsein, Gestaltungs- vermögen, Urteils- und Kri- tikfähigkeit, Offenheit sowie Musse. Hier stehen - ähnlich wie in der pädagogischen Diskussion - Verhaltensprägungen und we- niger Lerninhalte im Mittel- punkt. Auch das 1991 revidierte Volksschulgesetz hebt im Zweck-

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artikel ebenfalls Verlialteiisprä- gungen stark hervor. Es erwähnt auch die «christliche Grundlage» ausdrücklich. In den oben erwähnten Postula- ten für das Gymnasium wird zu Recht die Förderung der Willens- kraft in ethischen und musischen Belangen und der physischen Fähigkeiten verlangt sowie geisti- ge Offenheit und selbständiges Urteil. Leistungsbereitschaft, Neu- gierde und Lernwille sind gezielt zu fördern. Bildung wird defi- niert als «Erwerb und Umsetzung von Kenntnissen, in der Aneig- nung von Fertigkeiten und im Er- kennen und Entwickeln von Werthaltungen.» Ein Verweis auf die christlichen (oder andere) Werte fehlt - wie beim Leitbild der Zürcher Volksschule - was dem Wesen unserer säkularisier- ten Schule entspricht. Dies be- lässt aber auch die Frage unbe- antwortet oder bewusst der Lehr- person, was - abgesehen von der Toleranzpflicht oder der Be- jahung der Staatsordnung - Ge- genstand der Wertbildung sein soll. Dabei bilden als wichtiger Teil des Kultunvissens die Religionen und - in unserem stark auf christ- lichen Fundamenten aufbauen- den Staat - das Christentum eine Schlüsselrolle. Das Zürcher Volks- schulgesetz weist im Zweckarti- kel ausdrücklich auf diese Grund- lage hin. Allerdings schwächen zwei Tendenzen diese Basis: die Zahl der praktizierenden Prote- stantinnen und Protestanten so-

wie Katholikinnen und Kathoii- ken nimmt ab. Sie machen zwar immer noch zusammen YS der Be- völkerung aus. Laizistische Krei- se tendieren auf eine Ausweitung des Religionsunterrichts in Rich- tung einer allgemeinen Informa- tion über Religionen. Sie begrün- den dies mit dem vermehrt not- wendigen multikulturellen Ver- ständnis und der Förderung der Toleranz. Man kann heute in vie- len Schulhäusern kaum mehr ei- ne konsequent protestantische oder katholische Werthaltung als Leitidee der Wertprägung betrei- ben bzw. feststellen. Es erheben sich daher Zweifel, ob eine solche Werthaltung wirksam und nach- haltig im heute vorgesehenen Re- ligionsunterricht der Oberstufe vermittelt werden kann. Meines Erachtens sollten daher auf der Oberstufe die kirchlichen Schulen zu den Durchschnittsko- sten staatlicher Schulen mit der Auflage der Unentgeltlichkeit fi- nanziell unterstützt werden. Be- dingung für eine solche Unter- stützung müssten gleiche Qua- litätsstandards in der Ausbildung auf den zwei bzw. drei Unter- richtsstufen und die Respektie- rung des Toleranzgebots sowie der demokratischen Verfassung sein. Einen ersten Schritt in diese Richtung hat der Regierungsrat mit dem Entwurf des Mittelschul- gesetzes getan, mit dem er die Möglichkeit der Subventionie- rung von privaten Schulen bis höchstens einem Drittel der Ko- sten der staatlichen Schulen vor-

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sieht. Eine solche Regelung muss- te auf die Sekundarstufe begrenzt werden. weil dort - im Unter- schied zur Primarschule - eine Differenzierung nach Schulstu- fen bzw. Niveaus erfolgt. In der Primarschule steht dagegen ne- ben der Wissensvermittlung die allgemeine Sozialisation im Vor- dergrund. Bei der Lernprozessentwicklung sind auch die positiven Auswir- kungen der pädagogischen For- schung zu berücksichtigen. Die Lernforschung erlaubte substan- tielle Verbesserungen der Lehr- mittel und Untemchtsformen. Die Evaluationsmethoden wur- den verfeinert und damit neue Grundlagen für die Schulqua- litätsentwicklung und -sicherung geschaffen. Das komplexe Zu- sammenwirken von Wissensver- mittlung und Verhaltensprägung führte zu neuen Schulmodellen, die unter den Stichworten «Teil- autonome Schule»", «Haus des LernensP, «geleitete Schule» «Marbacher ModeW4 entwickelt und umgesetzt werden. Ihnen al- len ist gemeinsam, dass die Schu- le mit einer Schulleitung gemein- sam den Unterricht im Rahmen vorgegebener Treffpunkte der Schulstufen situativ wirkungsop- timal gestaltet, wobei kontinuier- liche Verbesserungen durch Selbst- und Fremdevaluation sy- stematisch überprüft werden. In diesen Modellen steht der Unter- richt durch die einzelne Lehrper- son im Zentrum. Er ist aber ein- gebettet in einen kontinuierli-

chen gemeinsamen pädagogi- schen Entwicklungsprozess der Schule, womit gewissermassen ei- ne «Schule nach Mass» entsteht. Damit wird ein eigentlicher Para- digmawechsel im Schul- und Lehrbetneb vor allem der Volks- schule ausgelöst: Bisher stand die pädagogisch gut ausgebildete Lehrperson als Einzelperson in der Unterrichtserteilung im Mit- telpunkt. Sie prägte weitgehend selbständig durch ihren persön- lich gestalteten Lehrstil im Rah- men des Lehrplans und der (teil- weise obligatorischen) Lehrmit- tel den Unterricht. Die Schulauf- sicht konzentrierte sich deshalb in logischer Konsequenz auf die Visitation der Einzellehrperson. Damit ergab sich praktisch eine Dominanz der «Kiassenkultur», geprägt durch die Lehrperson. In der Teilautonomen Schule wird der Freiheitsgrad der Schule - teilweise zu Lasten der regulie- renden Oberbehörden, teilweise zu Lasten der Unterrichtsautono- mie der einzelnen Lehrperson - vergrössert. Die Schule wird zum gemeinsam zu gestaltenden Haus des Lernens der Schulgemein- schaft (Schülerinnen und Schüler, Lehrpersonen, Schulpflege und Eltern). In diesem Rahmen ha- ben die Oberbehörden den Re- gulierungsgrad der Schule deut- lich zu senken; organisatorisch hat dies praktisch die Einführung von Globalbudgets anstelle der zahlreichen Subventionen und Bewilligungen aller Lehrstellen zur Folge.

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lm Kanton ist der Umbau der Schulen. im Sinne der vermehr- ten Autonomie, auf Stufe der Hochschulen durch das Univer- sitätsgesetz und durch das Fach- hochschulgese tz beschlossen. Der Aufbau geleiteter, in diesem Be- reich sogar autonomer Schul- Strukturen ist im Gang. Noch of- fen ist die Zukunft der Lehrerbil- dung. Die erforderliche Gesetz- gebung wird zur Zeit von einer kantonsrätlichen Kommission be- handelt. Das neue Lehrerbil- dungsgesetz soll einen flexiblen Rahmen für die künftigen Be- dürfnisse der Schule schaffen, wobei im Sinne des rascheren Wandels Grund- und Weiterbil- dung grundsätzlich gleichgestellt werden sollen. Grund- und Wei- terbildung sind daher organisato- risch enger zu vernetzen. Die heutigen Seminarien und Teile des Pestalozzianums sind zu ei- nem gemeinsam geführten, eng mit der Universität zusammenar- beitenden Ganzen zusammenzu- fügen. Ausdrücklich wird im Ge- setz neu festgehalten, dass nicht die Lehrerbildungsgesetzgebung die Ausbildung der Lehrkräfte bestimmt, sondern der «Lei- stungsauftragm der Volksschule.

Der Bildungsaufîrag der Volksschule der Zukunft

Die Bildungsinhalte der Hoch- schulen werden ausschliesslich oder zunehmend gesamtschweize- risch festgelegt. Dies gilt insbe-

sondere für die eidgenössisch ge- regelten Berufe des Bundesamtes für Berufsbildung und Technolo- gie BBT (früher BIGA). Allge- mein besteht die Tendenz, Berufe nicht mehr kantonal, sondern eid- genössisch oder interkantonal (Konkordat über die Anerken- nung von Ausbildungsabschlüs- sen) zu regeln. Auch die Maturität ist sowohl eidgenössisch wie inter- kantonal geregelt. Der grösste Spielraum der Kanto- ne besteht bei der Volksschule, obwohl auch hier zumindest die regionale Koordination der Inhai- te an Bedeutung gewinnt. So ver- pflichtet das Konkordat über die Schulkoordination zum Schulbe- ginn mit 7 Jahren. Ferner besteht eine Informationspflicht über we- sentliche Schulentwicklungen. Ein Teil der Koordination ergibt sich auch aus Kostengründen. Die Entwicklung von Lehrmitteln ist heute mit Kosten verbunden, wel- che in der Regel regional gedeckt werden müssen. Dennoch behält der Kanton einen erheblichen faktischen Spielraum bei der Ge- staltung der Voiksschule. Damit stelit sich die Frage der Gestal- tung der Bildungsziele zumindest teilweise kantonal. Hier liegt im übrigen auch eine Stärke des Schweizer Schulsystems, indem es immer wieder Innovationen in einzelnen Kantonen erlaubt, die häufig von anderen Kantonen übernommen werden. Betrachtet man die Bildungsziele für die Zukunft, so ist sowohl das beschriebene Umfeld der Globa-

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lisierung als auch die Charakteri- stika der heutigen Jugend sowie die Anforderungen an das Ver- halten zu berücksichtigen. Die beiden letzteren gehören zur Per- sönlichkeitsbildung. An erster Stelle stehen die Sprach- kenntnisse. Sprache ist das Tor zur Kommunikation. Hierfür sym- bolisch ist der Begriff der Mün- digkeit, der vom Wort Mund ab- geleitet ist und die selbständige Ausdrucks- und Handlungsfähig- keit umschreibt. Vor allem von der Wirtschaft wird beklagt, dass die im Rahmen der Volksschule erreichte Ausdrucksfähigkeit in Schrift und Wort ungenügend sei. In diesem Zusammenhang ist auch festzuhalten, dass die Schwei- zer Bevölkerung bei einem inter- nationalen Vergleichstest über die Lesefähigkeit relativ schlecht abschlossz. Die Volksschule muss eine hohe Sprachfähigkeit in der Muttersprache erreichen. Dies ist durch Leistungstests zu erhärten. Mängel an Sprachkenntnissen werden häufig einem hohen An- teil Fremdsprachiger zugeschrie- ben. Der vor einem Jahr durch- gefihrte Test in Deutsch und Ma- thematik26 hat aber gezeigt, dass auf der Oberstufe bis zu einem Anteil Fremdsprachiger von rund 40% keine signifikant schlechteren Klassenleistungen der Deutschsprachigen resultie- ren. In der Mathematik weisen die beiden Gruppen keine signifi- kanten Unterschiede aus. Auf der Oberstufe empfiehlt daher die Bildungsdirektion, in diesen

Fällen die gegliederte Sekundar- schule einzuführen und Deutsch als Niveaufach vorzusehen. In der sechsten Klasse wird zur Zeit ein ähnlicher summativer Leistungstest für Deutsch und Mathematik ausgewertet. Die er- sten Ergebnisse zeigen, dass der Fremdsprachigenanteil hier - er- staunlicherweise - das Sprach- können nur leicht beeinflusst. Ein deutlicher Einfluss geht aber von der sozialen Herkunft so- wohl auf den Deutsch- als auch den Mathematikunterricht aus. Je niedriger die durchschnittliche soziale Herkunft der Schülerin- nen und Schüler ist, desto schlechter sind die Klassenlei- stungen. Die soziale Schichtung des Einzugsgebiets ist somit für den Lernerfolg von grosser Be- deutung. Vertiefte Analysen wer- den nun noch aufzeigen müssen, wie sich die Lemleistungen der Kinder der einzelnen Schichten bei unterschiedlichen Klassen- Strukturen auswirken. Zur erweiterten Sprachkompe- tenz gehört auch die Fremdspra- chenkompetenz. Sie ist in der gIo- balen Welt zentral und eine Stär- ke des Schweizer Schulwesens. Das Thema Fremdsprachen hat im Zusammenhang mit dem zür- cherischen Schulversuch «Schul- projekt 21» einige nationale sprachpolitische Emotionen ge- weckt, da nicht nur Computer zum Einsatz gelangen, sondern auch die Weltsprache Englisch bereits in der 1. Klasse erlernt wird. Von Anfang an bestand

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aber i i i i Schulprojekt 21 die Ab- sicht, Englisch und Französisch auf das gleiche Niveau der Ver- ständigung im Alltag zu führen. Englisch wurde als zuerst zu er- lernende Sprache gewählt, weil sie im Zusammenhang mit der gleichzeitig zu fördernden Ver- wendung von Computern Vortei- le hat und wahrscheinlich eine höhere Motivation bei den Schü- lern besteht. Wir streben gleich- zeitig auch Verbesserungen im Französisch an, indem der Erzie- hungsrat den Auftrag erteilte, ein neues, von der 5. Klasse der Pri- marschule bis zur 3. Klasse der Oberstufe durchgehendes Lehr- mittel zu erarbeiten. Ferner hat der Erziehungsrat beschlossen, Englisch auf der Oberstufe ab der ersten Klasse obligatorisch zu er- klären. Das Schulprojekt 21 ist ein vor- erst dreijähriger Schulversuch, der die erste bis sechste Klasse der Primarschule umfasst. Er soll Grundlagen bereitstellen für die Erneuerung der Volksschule. Folgende Punkte stehen im Zen- trum:

- Unterrichtsformen und -me- thoden für die Förderung des eigenständigen Lernens und des Lernens im Team

- Effizienter Einsatz moderner Informations- und Kommuni- kations technologien

- Wirkung des frühzeitigen Eng- lischunterrichts

- Optimierung der Aus- und Weiterbildung für Lehrkräfte

Ab der ersten Klasse der Primar- schule lernen und arbeiten die Kinder im Klassenverband und in der altersdurchmischten Gruppe. Diese Unterrichtsform ermög- licht u.a., dass leistungsfähige Schiilerinnen und Schüler die Lehrplanziele rascher erarbeiten und allenfalls eine Klasse über- springen können. Das Lernen mit dem Computer beginnt in der ersten Klasse. Die Schülerinnen und Schüler ma- chen sich mit dem Computer ver- traut und lernen, diesen als Werk- zeug und Lernhilfe nutzen. Die Computer im Schulhaus sind ver- netzt und verfügen über einen In- ternetanschluss. Als Unterrichtssprache wird ab der ersten Klasse neben Deutsch auch Englisch eingesetzt. Einzel- ne Unterrichtssequenzen werden in englischer Sprache erteilt. Ab der fünften Klasse wird im bishe- rigen Umfang Französisch unter- richtet. Schülerinnen und Schüler lernen somit während ihrer Volks- Schulzeit neben Deutsch zwei weitere Sprachen. Dies ent- spricht dem Entwurf zum Spra- chenkonzept der EDK. Die Finanzierung des Schulver- suchs erfolgt durch Kanton und Gemeinden sowie durch Dritte. Zur Finanzierung durch Dritte richtet der Kanton ein Legat ein. Dieses wird durch die Wirtschaft, private Institutionen und Stiftun- gen finanziert. Zur Bildung gehört ebenso ein mathematisch-nat urwissenschaft- liches Grundwissen - angepasst

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an die Bildungsstufe und an die Aufnahmefahigkeit der Schule- rinnen und Schüler. Es ist festzu- stellen, dass die Schweiz bei den internationalen Vergleichstests über Mathematik- und Natur- wissenschaftskenntnisse im Mit- telfeld steht. Dies führen Moser und andere Verfasser in erster Li- nie darauf zurück, dass in der Schweiz für das Erreichen der Lernziele der eváluierten 13jähri- gen ein Schuljahr weniger zur Ver- fügung steht:’. Wesentlich ist beim naturwissen- schaftlichen Unterricht die Ver- bindung zu den Technologien und den Aspekten des Umwelt- schutzes, damit sowohl das Be- wusstsein für den raschen Wandel als auch die Verantwortung für die natürliche Umwelt entwickelt wird. Im Rahmen der Technologi- en gehört auch eine gewisse Ver- trautheit mit modernen Informa- tionstechnologien zur Grundaus- bildung. Dieser Unterricht ist mit einer allgemeinen Medienerzie- hung zu verbinden. Jugendliche müssen lernen, in einem ständigen Überangebot von Informationen das für sie Wichtige kritisch zu se- lektionieren. Wer das nicht lernt, droht zu einem funktionalen An- alphabeten zu werden. Es geht hier also nicht um die Vermittlung von Programmierkenntnissen, sondern um die Fähigkeit, Infor- mationstechnologien, die eigene Information und Bildung passiv (Aufnahme von Informationen) und aktiv (Vermittlung von Infor- mationen wie Schülerzeitungen

usw.). kritisch und konstruktiv als Einzelperson und im Team zu nut- zen. Diese Fähigkeit individuellen Lernens und Gestaltens bildet ei- nen Schwerpunkt des Schul- Projekts 21. Im Kanton Zürich wurde schon früh die Bedeutung der Informa- tik für die Schule erkannt. Erste Schulprojekte gehen auf das Jahr 1984 zurück. 1991 wurde die In- formatikgrundbildung auf der Oberstufe für obligatorisch er- klärt. Charakteristisch ist, dass wir auf ein Fach «Informatik» verzichten. Der Computer soll fächerübergreifend eingesetzt werden. Es geht insbesondere darum, die didaktischen Chancen der neuen Technologien zu nut- zen. Gute Lernprogramme bie- ten für den Unterricht eine Reihe von Vorteilen, die es zu nutzen gilt. Insbesondere sind dies:

- Selbstgesteuertes Lernen: Die Schülerinnen und Schüler be- stimmen bei entsprechenden Programmen Lemweg und Lerntempo selbst. Sie wählen einen individuellen Schwierig- keitsgrad und holen sich Hilfe, wenn sie diese benötigen.

- Mehrkanaliges Lernen: Die In- tegration von Text, Bild, Ton und bewegten Bildern erlaubt den Lernstoff über mehrere Sinneskanäle aufzunehmen. Verschiedene Zugangsweisen können unterschiedlichen Lem- typen gerecht werden.

- Unmittelbare Rückmeldung: Übungsprogramme geben den

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Lernenden im Gegensatz zu Arbeitsblättern eine unmittel- bare Rückmeldung. Das er- laubt, den eigenen Kenntnis- stand besser einzuschätzen.

- Entlastung der Lelzrkräfte: In einem Übungsprogramm kön- nen Ubungen beliebig oft und in beliebiger Reihenfolge wie- derholt werden. Lehrkräfte werden dadurch von Routine- aufgaben entlastet und erhal- ten Freiräume für die persönli- che Begleitung der Lernenden während des Lernprozesses.

- Förderung der Motivation: Die Interaktivität des Mediums kann die Lernmotivation för- dern. Gruppenarbeit am Com- puter führt zu intensiverer und aufgabenbezogener Kommu- nikation unter den Schülerin- nen und Schülern und übt die Teamarbeit.

Nicht nur als Übungsgerät hat der Computer seine Berechtigung. Ebenso wichtig ist die projektori- entierte Arbeit mit Standardpro- grammen, der Einsatz des Compu- ters als Werkzeug im Unterricht. Der Kanton Zürich hat auch eine Reihe von Lernprogrammen selbst entwickelt, unter anderem «LinguaStudio Non-stop Englisch 1», ein multimediales Sprachlern- Programm, das Sprachaufnahme erlaubt. In Zusammenarbeit mit der interkantonalen Lehrmittel- zentrale ist «Input» entstanden, ein Lehrmittel zum Thema Infor- matik und Gesellschaft. Wir sind der Ansicht, dass auch die gesell-

schaftlichen Auswirkungen der Informatik in der Schule themati- siert werden sollten. Eine zunehmend grössere Bedeu- tung für die Schule erhält das In- ternet. Wie bei einem neuen Me- dium nicht anders zu erwarten, ist jedoch sein Einsatz in der Schule für viele Lehrkräfte noch neu und ungewohnt. Es wurde deshalb e¡- ne Orientierungshilfe für Lehr- kräfte und Schulbehörden ver- fasst, die Hinweise für den Unter- richt gibt und Anwendungsmög- lichkeiten des Internet aufzeigt. Insbesondere stehen folgende Nutzungsmöglichkeiten im Vor- dergrund:

- Das Internet als Lexikon: Als fast unerschöpfliche Informati- onsquelle besteht das Problem hier meist dann, aus der Infor- mationsfülle eine Auswahl zu treffen und wertvolle von nutz- loser Information zu trennen. Schülerinnen und Schüler sol- len lernen, in einem Meer von Informationen das Benötigte rasch zu finden.

- Das Internet als Brieflasten: E- Mail ist eine schnelle, kosten- günstige und einfache Möglich- keit sich weltweit mit anderen Schülerinnen und Schülern aus- zutauschen. Im Rahmen des Fremdsprachunterrichts lässt sich E-Mail zur echten Kommu- nikation nutzen.

- Das Internet als Bühne: Das Pu- blizieren im Netz kann für Schulen und Klassen eine Mög- lichkeit sein, sich zu präsentie-

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Page 19: INFO-PARTNER Zukunft der Bildung die Bildung der …...INFO-PARTNER Zukunft der Bildung - die Bildung der Zukunft Prof. Ernst Buschor, Bildungsdirektor des Kantons Zürich Sonderdruck

ren. Zudem erhalten Eltern und andere Interessierte Einblick in die schulische Arbeit.

- Das Internet unter der Lupe: Das Internet kann in der Schu- le auch aus medienpädagogi- scher Sicht ein Thema sein. Die Auswirkungen des Internets auf Wirtschaft und Gesell- schaft sowie Berufs- und Pri- vatweit sind in der Medienkun- de zu thematisieren.

- Das Internet als Lernhilfe: Mit der zunehmenden Interakti- vität des Internets und dem ko- stengünstigen Zugang wird es immer attraktiver werden, mit dem Internet zu lernen, aber auch Lernprogramme platt- formunabhängig anzubieten (Stichwort: Distant-learning).

Einen weiteren Bereich der Bil- dung stellt das lokale, nationale und globale Kulturwissen dar. Kul- tur ist dabei bewusst als alle Aus- prägungen menschlichen Geistes zu verstehen. Hier wird stets eine Auswahl des Werdens und Wach- sens der Kulturen und der Hinter- und Entstehungsgründe aktueller Ausprägungen getroffen werden müssen. Wichtig ist, den Sinn und das Interesse für Kultur- und Ge- seilschaftsfragen zu wecken und insbesondere die Entstehung und Bedeutung unseres demokrati- schen Staates sowie dessen ge- schichtliche Entwicklung zu er- klären. Auch das Wissen über die wichtigsten wirtschaftlichen Zu- sammenhänge und die Vertrautheit mit dem Musischen gehören dazu.

Zur Bildung gehört die Förde- rung handwerklicher Fähigkeiten und sportlicher Ertüchtigung, zu- mal der Volksschule häufig der Vorwurf wachsender Kopflastig- keit gemacht wird. Diese Ausbil- dung kann auch mit der Vertie- fung von Technologien verbun- den werden. Auch hier kann es sich in erster Linie nur darum handeln, den Sinn für solche Tätigkeiten zu wecken. Gleich- zeitig sind beide Bereiche gut ge- eignet, Ausdauer, Teamgeist und richtige Selbsteinschätzung zu schulen. Es ist hervorzuheben, dass die Schule stets vor einem Stoffselek- tionsproblem steht. Bei dieser Selektion gilt als oberstes Prinzip die Förderung der Lebenstüch- tigkeit der Schülerinnen und Schüler im Sinne einer geistigen Positionierungsfähigkeit im Le- ben, der Stärkung des Selbstver- trauens und der richtigen Selbst- einschätzung im Gesellschafts- und Wirtschaftsleben. Die Qua- lität der Bildung lässt sich nicht primär an der Stundentafel able- sen, sondern ebenso an der Form der Untemchtserteilung und ih- rer ganzheitlichen Einbettung im gemeinsamen Haus des Lernens. Schulqualitätssicherung muss da- her komplexe Bezugsfelder ein- beziehen. In diesem Rahmen bildet auch die Schulung des individuellen Verhaltens eine Schlüsselrolle. Dabei sind «aite>p und aneue» Verhaltensweisen zu schulen. Fleiss, Zuverlässigkeit, Genauig-

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keit. Pünktlichkeit. Lernwille. Leistungsbereitschaft und Mit- menschlichkeit zählen eher zu den bereits «älteren» Charakter- eigenschaften. In einer Welt ra- scheren Wandels werden Initiati- ve, Innovationsfähigkeit, Team- fähigkeit, multikulturelles Ein- fühlungsvermögen. Wille zum le- benslangen Lernen («Lernunter- nehmern), Offenheit für Neues und Urteilsfähigkeit eine zuneh- mend wichtigere Rolle spielen. Zur Persönlichkeitsbildung gehö- ren damit Wissenserwerb und Verhaltensentwicklung. Das Bin- deglied zwischen beiden ist gera- dezu die Kunst des Lernens zu lernen - mit Kopf, Herz und Hand, wobei Lernbegeisterung für Kopf und Hand nur dauerhaft geweckt werden kann, wenn die Lehrenden auch mit Herz und Engagement überzeugen. Aus- gangspunkt muss sein, das zu ler- nen, was man für eine Kultur des lebenslangen Lernens unbedingt braucht. Es sind dies solide Grundkenntnisse im Sprachbe- reich, der Mathematik, des Um- gangs mit Technologien und der Umwelt sowie des gesellschaft- lich-kulturellen Verhaltens. Sie machen den Kern der Lebens- tüchtigkeit aus. Diese Fähigkei- ten müssen an ausgewählten, konkreten Beispielen geübt und vertieft werden. Bildung wird damit zur Fähig- keit, sich mit der gesellschaftli- chen, kulturellen, technischen, natürlichen und wirtschaftlichen Umwelt aus einem Verständnis

der Vergangenheit, Gegenwart und im Hinblick auf die Zukunft auseinanderzusetzen und aus die- ser Werthaltung Aufgaben in Ge- meinschaft, Beruf und Gesell- schaft verantwortlich wahrzuneh- men. Die Bildungspolitik muss diese Zielerreichung fördern.

Schulentwicklung als ein konti- nuierlicher Erneuerungsprozess

Aus dem ständig zu aktua1isi.e- renden Lebensbezug ergibt sich die Notwendigkeit der ständigen Erneuerung der Inhalte und der periodischen Erneuerung der Strukturen. Mit dem Universi- tätsgesetz und dem Fachhoch- schulgesetz hat der Kanton Zü- rich hierfür wichtige Grundlagen geschaffen, die nun umzusetzen sind. Im Bereich der Mittelschu- len steht die Modernisierung der Gesetzgebung und der Reform der Maturität vor dem Abschluss. Bei den Berufsschulen liegt die Federführung vorwiegend beim Bund, wobei die Umsetzung primär durch die Kantone erfol- gen muss. Hier werden in der kommenden Legislatur ebenfalls gewichtige Modernisierungsauf- gaben wie der teilweise Übergang von der dualen auf die tnale Aus- bildung und neue Blockmodelle für den Unterricht anfallen. Im Kompetenzbereich des Kan- tons liegt aber weitgehend die Modernisierung der Volksschule. Vor genau 100 Jahren ist sie grundlegend modernisiert wor-

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den. Damit wurde die Schule des Industriezeitalters geschaffen. die in der GrundstrukLur prägend blieb. Mittelpunkt bildet die pro- fessionell ausgebildete Lehrper- son, die im Rahmen der Lehrmit- tel- und Lernzielvorgaben den Unterricht autonom erteilt. Neu wird die Volksschule als Teil- autonome Schule zum Haus des Lernens, gefUhrt unter der un- mittelbaren Verantwortung der Schulpflege von einem Schullei- ter. Die Schule erstellt ein Leit- bild und ein Jahresprogramm, das den gemeinsamen didakti- schen und organisatorischen Rah- men prägt. Diese Schule wird die Schülerinnen und Schüler in wachsendem Masse auf die Welt des globalen Dorfes hinweisen, die zwar wie bisher durch den Le- bensbereich des vielfältigeren fa- miliären kommunalen Umfelds geprägt ist, in der aber gleichzei- tig elektronische Medien, multi- kulturelle Einflüsse (fremdspra- chige Jugendliche) und eine höhere berufliche Mobilität das Schul- und Alltagsleben prägen. Die Einrichtung einer Schullei- tung erfordert auch sine neue Kompetenzteilung zwischen der Schulpflege und der Schulleitung. Erste externe Evaluationen zei- gen, dass sich die neue Form der Schulleitung gut einspielt. Die of- fenen Fragen betreffen eher die Struktur der Teamleitung (Lei- tungsteam mit Aufgabenteilung oder Schulleiter). Kaum Proble- me ergeben sich bei der fakti- schen Aufgabenübertragung von

der Schulptiege auf die Schullei- tung. Im Gegenteil: die Schullei- tung vermag die Schulpflege wirk- sam zu entlasten. so dass die teil- autonome Schulform von der Schulpflege eher als ein Umbau von einem operativen in ein Lei- tungsorgan empfunden wird. was die Attraktivität der Schulpflege erhöhen und den Milizcharakter aufwerten und stärken wird. Noch nicht im Detail geregelt ist allerdings die Kompetenzzutei- lung in Personalfragen zwischen Schulpflege und Schulteitung. Ein solches Schulmodell erfor- dert die Sicherstellung der Teil- autonomie in organisatorisch-fi- nanzieller Hinsicht. Auf diesem Gebiet muss eine substantielle Deregulierung stattfinden, die dort ihre Grenzen findet, wo die Gleichwertigkeit der Schulen im Kanton in Frage gestellt wird. Die Bildungsdirektion verfügt über ein im Detail ausgefeiltes Modell für die Schülerpauschale, welche die mehr als ein Dutzend Einzelsubventionen im Volks- Schulwesen und den damit ver- bundenen heutigen «Papierkrieg» ablösen soll. Die Schülerpauscha- le soll aufgrund verfügbarer Da- ten der Gemeinden und der Volkszählung differenziert wer- den, wobei Zuschläge für Volks- schichten mit schwächeren Schul- leistungen im Vordergrund ste- hen. Ausgewertet werden dabei insbesondere auch die Erkennt- nisse der beiden Evaluationen der Oberstufe und der sechsten Klasse. Die Bildungsdirektion ist

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zudem daran. ein Globalbudget- konzept für die Schulgemeinden zu entwickeln. In einem Modell der globalen Schulsteuerung soll insbesondere auch innerhalb to- lerierter Klassengrössen auf die kantonale Bewilligung von Leh- rerstellen verzichtet werden. Die Zürcher Volksschule neigt dazu, Defizite oder Schwächen der Kinder und Jugendlichen re- lativ rasch durch eine Einweisung in eine Sonderklasse oder durch Stütz- und Fördermassnahmen zu kompensieren. Im internatio- nalen Vergleich erhalten wesent- lich weniger Jugendliche derarti- ge Massnahmen zugesprochen als im Kanton Zürich mit rund 30%. Mit der integrativen Schu- lungsform (ISF) wurde ein Sy- stem entwickelt, das heute in vie- len Gemeinden zur Anwendung kommt. Es ist dadurch gekenn- zeichnet, dass möglichst viele Kinder und Jugendliche vollstän- dig in den Normalunterricht inte- griert werden. Mit Hilfe moder-

' ner Lerntechniken wie Computer können ktinftig - unter Aufsicht und Begleitung der Lehrperson - vielfältige individuelle Defizite Normalbegabter aufgearbeitet wer- den. Im Haus des Lernens der Zu- kunft werden allfällige «Heil- Pädagogen» - zumindest bei mitt- leren und grösseren Schulhäu- sern - als Teil- oder Vollbeschäf- tigte in das Schulteam zu inte- grieren sein. Dies wird allerdings zur Folge haben, dass vermehrt schulische Heilpädagogen ausge-

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bildet und eingesetzt werden müssen. Diese werden sowohl Lehrkräfte beraten als auch un- mittelbar im Unterricht unter- stützen. Der Vorteil eines solchen Modells ist die hohe soziale Inte- gration in den Klassenverband. Weitere Probleme sind - neben der Förderung schwächerer Schülerinnen und Schüler - die Förderung Begabter. Nach der ursprünglich restriktiven Rege- lung bezüglich des Klassenüber- springens ist neu ein erleichtertes Uberspnngen der Klassen mög- lich. Einen wesentlichen Beitrag zur Förderung sowohl Hochbe- gabter als auch Schwächerer soll im Schulprojekt 21 durch den teilweise klassenübergreifenden Unterricht geleistet werden. Äl- tere unterstützen dabei Jüngere, teilweise im Rahmen der Team- arbeit. Solche Unterrichtsformen erweitern gleichzeitig die Soziali- sationserfahrungen und unter- streichen den kontinuierlichen Lernprozess im Haus des Ler- nens. Die Kiassenerfahrung wird vermehrt auch als Schulerfah- rung erlebt und gelebt. Eine Aargauer Untersuchungg zeigt auf, dass in mehreren Deutschschweizer Kantonen (SZ, GL, BL, AR, SG, GR, AG und VS) rund 23% der Kinder bei Schulbeginn lesen und/oder rech- nen können. Rund 10% der Kin- der sind dem Lehrplan um ein Jahr voraus. Klassenübersprin- gen ist eine mögliche Lösung. Die bessere Lösung stellt die auch im Rahmen der Erziehungsdirekto-

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renkonferenz geförderte Basisstu- fe dar.. Der heutige Kindergarten ist durch ein eigentliches Lernver- bot in kognitiven Fächern gekenn- zeichnet, weil in ihm vor allem ei- ne allgemeine Sozialisationsschu- lung stattfinden soll. In der Basisstufe erfolgt ein indi- viduell gleitender Übergang von der Sozialisationsschulung in das kognitive Lernen. Dies erfordert einen neuen Typ von Lehrkräf- ten, welche sowohl den Unter- richt im Kindergarten als auch in der ersten und zweiten Klasse er- teilen können. Es ist an sich nicht einsichtig, weshalb alle Kinder im August des siebten Lebensjahres den Schritt zum kognitiven Ler- nen machen sollen. Diese admi- nistrativen Kategorien sind daher durch eine gleitende individuelle Einschulung nach Mass und per- sönlichen Fähigkeiten abzulösen. Wir können es uns nicht leisten, Fähigkeiten brach liegen zu las- sen oder gar negative Wirkungen durch ein Blockieren des Lern- willens auszulösen. Obwohl in der Vernehmlassung über das Lehrerbildungsgesetz dieses Modell auf wenig Sympa- thie stiess, muss es näher geprüft werden. Die Einführung der Ba- sisstufe wird jedoch eine jahre- lange Vorbereitung erfordern, weil ein neuer Lehrkräftetypus zuerst ausgebildet werden muss und die Modalitäten des Zusam- menwirkens mit der Primarschu- le näher zu prüfen sind. Die grössere Vielfalt von Lebens- formen - in einigen europäischen

Staaten werden bereits nahezu die Hälfte der Kinder ausserhalb herkömmlicher Familien gebo- ren - werden auch neue Anfor- derungen an das Haus des Ler- nens stellen. Viele Eltern - oder Alleinerziehende - wollen oder müssen berufstätig sein. Der Kanton Zürich kennt kaum Ta- gesschulen und verfügt über eine niedrige Krippenplatzdichte. Da- mit wird die Erziehung rasch zum Problem, mit der Folge einer ge- ringeren Bereitschaft zur Kinder- erziehung. Die Schule wird sich dieser Problematik in Zukunft vermehrt annehmen müssen, sei es in der Form von Blockzeitmo- dellen des Schuluntemchts, sei es in derjenigen der Tagesschulen; dabei ist festzuhaken, dass die Betreuungskosten zumindest den wirtschaftlich Leistungsfähigen zu verrechnen sind, allenfalls ver- bunden mit einer Kostenumlage zugunsten wirtschaftlich Schwä- cherer. Der schnellere WandeI wird die Schule auch in kürzeren Interval- len vor neue Situationen stellen. Schulversuche von Über 20 Jahren Dauer, wie derjenige der abtei- lungsübergreifenden Oberstufe, würden sich in Zukunft selbst überleben, weil die Lern- und So- zialisationsprofile schneller än- dern. Es müssen daher neue For- men des Schulinnovationsmana- gements entwickelt werden. In ei- nem kontinuierlichen Entwick- lungsprozess sind viele kleinere Neuerungen dezentral zu erpro- ben, aber zentral zu evaluieren.

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Dann erübrigen sich aEntwick- lungssprünge». wie sie zum'Auf- holen neuerer Entwicklungen nun teilweise vorgenommen wer- den müssen. Die Volksschule wird damit zu ei- nem System permanenten kol-. lektiven Lernens. Dies heisst nicht, dass in Zukunft ein Frei- pass der Schulen besteht. Für die Unter-, Mittel- und Oberstufe müssen Treffpunkte der Wissens- Vermittlung definiert werden, de- ren Erreichung aber in einem we- sentlich weitergehenden Mass der Schule obliegen. Dies setzt zwei Dinge voraus:

Teilautonome kommunale Volksschulen breite, evaluationsorientierte kantonale Schulqualitätssiche- rung.

Praktisch alie dargelegten Reform- ansätze im Sinne eines Haus des Lernens verlangen pädagogisch und organisatorisch gut struktu- rierte Schulleitungen in den ein- zelnen Schulhäusern. Sie sind das Bindeglied vom gelockerten Klassenverband zum Haus des Lernens als Gemeinschaft Leh- render, Lernender, deren Eltern und der politisch für die Schul- führung verantwortlichen Schul- pflege. Das Konzept der Teilau- tonomen Schule wird damit zum tragenden Element der Zürcher Schule von morgen. Ihre kanto- nale Generalisierung ist notwen- dig, ja dringlich. Dabei ist auch in Zukunft die Qualität des Unter- richts massgeblich durch die ein- zelne Lehrperson bestimmt. Sie

soll im Rahmen des Leistungs- und Qualifikationssystems peri- odisch unter den Aspekten der Klassenführung. der Unterrichts- gestaltung. der innerschulischen Mitwirkung und der Mitwirkung nach aussen qualifiziert werden. Der Erziehungsrat hat ein ent- sprechendes Qualifikationssy- stem sowohl für die Volksschule als auch die Mittelschulen verab- schiedet. Auch die Universität hat ein entsprechendes Evaluati- onskonzept en t~ icke l t ?~ . Künftiges rascheres kollektives Lernen aller Beteiligten verlangt einerseits mehr Spielraum - er soll im Rahmen der Teilautono- men Schule noch erweitert wer- den - und andererseits neue, lei- stungsfähigere Kommunikations- Strukturen. Mit der internen oder der Selbstevaluation wird ein in- nerschulischer Prozess der pen- odischen Überprüfung des Er- reichten und des Geplanten an- gestrebt. Jede Schule ist zur In- novation verpflichtet! Sie wird dabei unterstützt durch die exter- ne Evaluation und die neue Schulaufsicht. Periodische Eva- luationen sollen ein repräsentati- ves Bild über die Wirkungen und die Leistungsfähigkeit der Zür- cher Schulen vermitteln. Eigene Tests werden periodisch durch in- ternationale Tests wie die bisher durchgeführten beiden TIMMS- Tests für 13jährige oder den ge- planten Test der OECD für das Jahr 2000 unterstützt. Sie erlau- ben im kognitiven Bereich wich- tige internationale Vergleiche und

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Positionierungen der einzelnen Bildungssysteme. Mit der geplanten Ablösung der Bezirksschulpkgen durch eine pro- fessionelle Schulaufsicht soll ein Instrument der Schulqualität so- wie der Innovationsanstrengungen der einzelnen Schulen geschaffen werden. Professionelle interdiszi- plinäre Teams sollen nach einem den Schulen bekannten Raster umfassende Schulqualitätsanalysen und -beurteilungen vornehmen. Im Mittelpunkt steht weniger die Fehlersuche als die breite Analyse der Schulqualität. Diese Review- Teams sollen nicht nur auf Schwächen oder gar Fehler hin- weisen, sondern massgeschneider- te Empfehlungen für die eigene Schulentwicklung unterbreiten. Gleichzeitig sollen sie bemerkens- werte Innovationen der Schulen bekannt machen und den Erfah- rungsaustausch unter Schulen, mit der Lehrergrundausbildung und der -Weiterbildung gezielt fördern; eine derartige massiv erweiterte Aufgabe kann nicht mehr einem Milizorgan zugemutet werden. Ei- ne Professionalisierung, wie sie das Zürcher Projekt «Neue Schulauf- sicht an der Volksschule» vor- siehtm, ist unvermeidlich. Der wech- selnde Beizug ausgewiesener Prak- tiker aus den einzelnen Schulberei- chen (Lehrerbildung, ausgewiese- ne Lehrkräfte, Pädagogik usw.) soll eine gezielte Weiterentwick- lung der Zürcher Schule unterstüt- zen und - soweit andere kantonale Partner ähnliche Ziele verfolgen - gemeinsam vorgenommen werden.

Reformen im Bereich der Berulsbildung

Während - wie erwähnt - die Gymnasialreform vor dem Ab- schluss steht, setzt die Reform der Berufsbildung ein. In organi- satorischer Hinsicht ergeben sich dabei erste Synergien. Ähnlich den Mittelschulen sollen im Kan- ton Zürich die Berufsschulen den Status Teilautonomer Schulen mit Globalbudgets erhalten. Was materielle Reformen betrifft, liegt die Federführung hier - noch mehr als bei den Mittel- schulen - beim Bund. Das Haupt- problem der Berufsbildung ist ge- genwärtig der Mangel an Lehr- stellen. Der im internationalen Vergleich relativ niedrige Anteil der Studierenden ist mitbedingt durch das leistungsfähige Berufs- bildungswesen. Je gleichwertiger die Karrierewege sind, umso we- niger wird das Gymnasium zum «Königsweg» der Ausbildung. Dies wird schon in der Schweiz an den höheren Maturitäts- und Studierendenquoten der West- Schweiz im Vergleich zur Deutsch- Schweiz deutlich. In der West- Schweiz hat die Berufsbildung schon früher an Attraktivität zu- gunsten des gymnasialen Wegs verloren. Höhere Akademiker- quoten und im Vergleich zur Deutschschweiz höhere Akada- mikerbeschäftigungspobleme sind die Folgen. Während die Mittel- und Hoch- schulen sich in den letzten Jahren mit einer steigenden Nachfrage

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konfrontiert sahen, verliert die Berufslehre in der Schweiz an At- traktivität. Anders als Gymnasia- sten sind die 15- und 16-jährigen, die eine Lehrstelle suchen, be- reits Nachfrager auf dem Ar- beitsmarkt. Die Ausbildungska- pazitäten unterliegen konjunk- turellen Schwankungen. Der Lehrstellenmarkt ist Teil des Ar- beitsmarktes! So wichtig auch das kantonale Lehrstellenmarketing und der Lehrstellenbeschluss des Bundes für die Vermehrung des Lehrstellenangebotes sind, den strukturellen Wandel vermögen die auf kurzfristigen Erfolg ange- legten Anstrengungen nicht zu bewältigen. Es sind daher gemeinsame An- strengungen des Staates mit den Unternehmen nötig, um die At- traktivität des sowohl qualitativ hochstehenden als auch kosten- günstigen Ausbildungssystems der Berufslehre zu steigern. Ge- samtschweizerisch fehlen heute rund 7 O00 Lehrstellen. Sie fehlen vor allem in zukunftsträchtigen Berufen wie Informatik. Nach Auffassung der Fachleute sollte die Schweiz zur Verwirklichung einer mit den Maturanden ver- gleichbaren Freiheit der Berufs- wahl bei heute gut 50000 Lehr- abschliissen rund 8000 bis 10000 Lehrstellen mehr haben, was eine Stellenlücke von rund 15ooO Stellen ergibt. Zum Vergleich: Der dieses Jahr erstmals in der Deutschschweiz vorgesehene Nu- merus clausus in der Humanme- dizin führt dazu, dass von rund

14000 Maturandinnen und Ma- turanden 130 nicht das Studium ihrer ersten Wahl antreten kön- nen! Das ist zweifellos für die oder den Einzelnen hart - aber irn Bereich der Berufsbildung ist die Wahl eines Berufs, der nicht der ersten Wahl entspricht, sicher wesentlich häufiger. Bei der Reform der Berufsbil- dung muss auch der Tatsache Rechnung getragen werden, dass die berufliche Erstausbildung meist nicht mehr zum Lebensbe- ruf führt. Sie ist vielmehr der er- ste Schritt bzw. der Einstieg in die Arbeitswelt und die wegweisen- de Grundlage für die Laufbahn- entwicklung. Die Erstausbildung soll daher auch drei Jahre nicht mehr übersteigen. Dies verlangt, dass das lebenslange Lernen auf allen Bildungsstufen konsequent verwirklicht wird. Es sind Rah- menbedingungen zu schaffen, welche auf allen Stufen neue in- novative Ansätze zur Wissens- Vermittlung und Wissensanpas- sung ermöglichen. Mit ein Grund für die abnehmen- de Attraktivität der Berufslehre war das bisher fehlende Angebot von berufsorientierten Ausbil- dungsgängen auf Hochschulni- veau. Mit dem Aufbau der Fach- hochschulen in der Schweiz wer- den bisher nicht vorhandene at- traktive Weiterbildungsmöglich- keiten für Berufsleute geschaf- fen. Die Fachhochschulen kon- zentrieren und fördern die Wis- sensvermittlung auf der Grundla- ge von theoretisch fundiertem

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Anwendungswissen. Sie haben daher auch angewandte For- schung und Entwicklung zu be- treiben. Die Universitäten sollen sich dagegen mehr auf die Wei- terentwicklung des global orien- tierten Grundlagenwissens kon- zentrieren. Die Fachhochschulen arbeiten eng mit der Wirtschaft zusammen und erbringen für sie gezielt Dienstleistungen und för- dern den Technologietransfer. Sie fördern mit den Universitäten den Transfer des Grundlagenwis- sens. Dabei dürfen diese Abgren- Zungen nicht überspitzt gesehen werden. Auch Universitäten för- dern Anwendungswissen und auch Fachhochschulen werden Fragestellungen des Grundlagen- Wissens bearbeiten. Zutrittsbedingung an die Fach- hochschulen ist die Berufsmatu- ra. Das Problem besteht aber darin, dass wir gegenwärtig noch über zu wenig Berufsmaturanden verfügen. Das System der Berufs- matura ist noch im Aufbau be- griffen. Der zusätzliche Schultag für Berufsmaturandinnen und -maturanden wirkt sich ungünstig auf den betrieblichen Einsatz der Lehrlinge aus. Es müssen daher neue Wege zur Berufsmatura, et- wa in einer Konzentration auf vermehrten Blockuntemcht für Berufsmaturanden, ’ entwickelt werden. Andernfalls ist zu erwar- ten, dass in der Schweiz eine ähnliche Entwicklung wie in Deutschland einsetzt: der wach- sende Zugang zu den Fachhoch- schulen über die gymnasiale Ma-

tura. Nach den heutigen Schwei- zer Vorstellungen ist dieser Über- tritt nur nach einem mindestens einjährigen Praktikum im rele- vanten Studiengebiet möglich. Es ist allerdings schwierig, solche Plätze für Praktika zu finden. Um Lehrstellen in strategisch be- deutenden Berufen zu fördern wie auch die Attraktivität der Be- rufsbildung generell zu erhöhen, sind neue Wege der Berufsausbil- dung vorzusehen. Es ist eine Ad- aption des holländischen Berufs- bildungsmodells zu prüfen. In den Niederlanden beginnen die Lehrlinge ihre Lehre zuerst, mit einem Schuljahr, welches eine Allgemein- und Fachausbildung umfasst. Nachher folgt die be- triebliche Ausbildung. Die Lehr- linge erbringen schon ab dem er- sten Tag im Betrieb eine höhere Leistung für die Unternehmung, weil sie einen Teil der Fachaus- bildung absolviert haben. Ein sol- ches Modell ist vorerst für Beru- fe mit hohem zukünftigen Markt- potential und wenig verfügbaren Lehrstellen (z.B. Informatik und Kommunikation) vorzusehen. Als weitere Massnahme zur Stei- gerung der Attraktivität der Be- rufsbildung ist die Durchlässig- keit zwischen den sich im Aufbau befindenden Fachhochschulen und den Universitäten zu verbes- sern. Der Schulterschluss zwi- schen der praxisonentierten wis- senschaftlichen Ausbildung und der theoriezentrierten wissen- schaftlichen Ausbildung ist zu fördern. Den Fachhochschulab-

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solventen soll ein Ubertritt zur Universität ermöglicht werden. Die ETH ist bereit, Fachhoch- schulabsolventen zum Studium zuzulassen. Vordiplome sollen gegenseitig anerkannt werden. Für die Universitäten und vor al- lem für die Universität Zürich ist eine gleichartige Vereinbarung zu realisieren. Immer mehr zeigt sich, dass vor al- lem schwächere Volksschulabsol- ventinnen und -absolventen Mühe haben, eine Stelle zu finden. Zwar gibt es heute verschiedene Über- brückungsmodelle wie das 10. Schuljahr oder die Vorlehre und Integrationskurse. Nicht all diese Formen sind aber geeignet, auf die Berufsbildung optimal vorzube- reiten. Der Kanton Zürich ist zur Zeit damit beschäftigt, die Ange- bote zu überprüfen. Ein Haupt- problem ist die Finanzierung, weil der Widerstand der Gemeinden zunimmt, solche Kurse mitzufi- nanzieren. Sie sind der Auffas- sung, dass es sich hier nicht mehr um Aufwendungen der Volks- schule und damit nicht um solche in ihrem Kompetenzbereich han- delt. Dazu ist festzuhalten, dass die Schnittsteile VolksschulelBe- rufsschule nicht so absolut ge- trennt werden kann. Es müssen auch hier neue Modelle der Finan- zierung entwickelt werden. Schon dieser kurze Überblick zeigt, dass in der kommenden LÆ- gislaturperiode auch eine Total- revision des Einführungsgesetzes zum Berufsbildungsgesetz in Aus- sicht genommen werden muss.

Ahnlich wie bei den Fachhoch- schulen wird die Reform der Be- rufsbildung und der Volksschule kaum kostenneutral vorgenom- men werden können. Es ist aber wichtig, dass gleichzeitig vertret- bare Einsparungen realisiert wer- den. Denn nachweisbar wirksa- men Investitionen in unser Hu- mankapital wird eine hohe Prio- rität einzuräumen sein.

Die künftigen Aufgaben des Bildungsrates

In der Napoleonischen Zeit wur- de im Hinblick auf die grosse Be- deutung des Bildungswesens als politisches Fachorgan der Erzie- hungsrat geschaffen. Ihm oblag - und obliegt - die oberste pädago- gische Gestaltung des Bildungs- Wesens. Bisher ist e r für die Be- rufsbildung nicht zuständig, weil diese der Volkswirtschaftsdirekti- on zugeteilt ist und über ein eige- nes Organ, den Berufsbildungs- rat, verfügt. Dies hat den Nach- teil, dass zwar die Ausbildungen vor und nach der Berufsbildung der Bildungsdirektion zugeord- net sind, jedoch nicht die Berufs- bildung. Dies führt dazu, dass der heutige Erziehungsrat für die Mittelschulausbildung zuständig ist, was bewirkt, dass der Koordi- nation der Volksschulen mit den Mittelschulen ein grosses Ge- wicht eingeräumt wurde. Die Ko- ordination zwischen Volksschule und Berufsbildung ist jedoch durch die unterschiedliche Zu-

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Ordnung nur in einem geringeren Umfang möglich. Mit der Konzentration bzw. weit- gehenden Beschränkung der Bil- dungsabschlüsse auf solche von nationaler und internationaler Anerkennung verlagern sich die Kompetenzen der Sekundarstufe II und der Tertiärstufe auf den Bund und die Konferenz der kan- tonalen Erziehungsdirektoren, denen die nationale Anerken- nung der kantonalen Ausbildun- gen obliegen. Die neue Univer- sitäts- und Fachhochschulgesetz- gebung und das geplante Mittel- schul- und Lehrerbildungsgesetz bauen auf diese neue Kompetenz- Ordnung auf. Der pädagogische Gestaltungsschwerpunkt des neu- en Bildungsrates liegt deshalb bei der Volksschule und der damit eng verbundenen Lehrerbildung. Bei den Berufs- und Mittelschu- len stehen in bezug auf die Kom- petenzen des Bildungsrates schul- organisatorische Aspekte im Vor- dergrund. Das Gesetz über die Zuordnung der Berufsbildung und die Schaf- fung eines Bildungsrates sieht - neben der Übertragung der Be- rufsbildung von der Volkswirt- schaftsdirektion zur Bildungsdi- rektion - im wesentlichen die Umwandlung des Erziehungsra- tes in einen Bildungsrat vor. Der neue Bildungsrat wird aus den dargelegten Gründen im Bereich der tertiären Bildung - abgese- hen von der Lehrerbildung - nur- mehr begrenzte Mitwirkungs- rechte haben. So wird.er noch zu

Gesetzesänderungen. zu den Ent- wicklungsplänen der Hochschu- len sowie zu Grundsatzfragen (2.B. Numerus clausus) zuhanden des Regierungsrates Stellung neh- men. Die Gesetzesvorlage über- trägt jedoch dem neuen Bildungs- rat die dem Berufsbildungsrat zu- stehenden Kompetenzen im Be- rufsbildungsbereich. Generell kann festgehalten wer- den, dass der neue Bildungsrat für pädagogische und organisatori- sche Fragen im Volksschul-, Mit- telschul- und Berufsbildungsbe- reich zuständig sein wird. Er wird jedoch wie der heutige Erzie- hungsrat über keine finanziellen Kompetenzen verfügen. Das Ge- setz sieht ferner vor, dass der Bil- dungsrat aus sieben bis neun Mit- gliedern besteht. Neben der Bil- dungsdirektorin oder dem Bil- dungsdirektor sollen ihm Persön- lichkeiten aus den Bereichen Bil- dung, Wirtschaft, Kultur, Wissen- schaft und Sozialwesen ange- hören. Der Kantonsrat entschied, die Vertretung der Lehrerschaft im Bildungsrat nicht mehr aus- drücklich im Gesetz zu verankern. Der Regierungsrat hat daher in Aussicht gestellt, dass er vorerst die Zahl von neun Mitgliedern ausschöpfen und je eine Lehrer- Vertretung der Volks-, Berufs- und Mittelschulen irn Bildungsrat vor- sehen wird. Neu ist auch die Wahl durch den Regierungsrat anstelle des Kantonsrates. Dies trägt zwei- fellos zu einer Erweiterung der Rekrutierungsbasis und zur stär- keren fachlichen Ausrichtung des

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Gremiums bei. weil damit die vom Kantonsrat einzubringenden par- teipolitischen Aspekte an Bedeu- tung verlieren. Ziel des Gesetzes ist es, durch die Integration der Berufsbildung in der Bildungsdirektion die Einheit des Bildungswesens auf allen Stu- fen zu verwirklichen und damit das Zusammenwirken der Bil- dungsstufen zu verbessern. In der Vernehmlassung zum Gesetzes- entwurf wurde die Frage aufge- worfen, ob ein Erziehungs- oder Bildungsrat notwendig und im Sinne der wirkungsorientierten Verwaltungsführung zweckmässig sei. Im Sinne einer Einheit der obersten strategischen Führung könnten die Entscheidungen auch vom Regierungsrat getroffen wer- den. Es ist kaum bestreitbar, dass ein derartiges Modell auch funkti- onsfähig wäre, wie etwa die Er- fahrungen grösserer Kantone wie Bern oder Aargau zeigen. Ein Bil- dungsrat hat aber den Vorteil ei- ner stärkeren Verankerung der Schule - vor allem der Volksschu- le - in den betroffenen Kreisen. Im Falle einer regierungsrätlichen Kompetenzausübung müssten viele der heutigen Kompetenzen des Erziehungsrates an die Bil- dungsdirektion delegiert werden, weil der Sitzungsplan des Regie- rungsrates kaum die zusätzliche Belastung der Regierungssitzun- gen im Ausmass der Erziehungs- ratssitzungen (zwei halbe Tage pro Monat) zuliesse. In der kommenden Legislaturpe- riode soll die Verwaltungsreform

abgeschlossen werden. Der Regie- rungsrat wird in diesem Rahmen die Existenz und die Form des Bil- dungsrates nochmals überprüfen. Bis dann werden auch erste Erfah- rungen mit dem neuen Bildungs- rat vorliegen. Bezüglich des ge- samtstaatlichen Führungssystems werden auch die Erfahrungen mit dem neuen Kantonsratsgesetz zu berücksichtigen sein. Die Bildung ständiger Kommissionen - darun- ter wahrscheinlich einer kantons- rätlichen Bildungskommission - sowie die erweiterten Möglichkei- ten der Mitsprache des Kantonsra- tes im Rahmen wesentlich kürze- rer Fristen bei parlamentarischen Vorstössen und der neu möglichen «Planungsmotion» werden zu ei- ner vermehrten Mitsprache des Kantonsrates im strategischen Be- reich führen. Sofern dies zu einer Einschränkung der Regierungs- ratskompetenz als «leitendes Or- gan» führt, wird man das Zusam- menwirken und die Zahl der Or- gane grundlegend überprüfen müssen. Der Erziehungsrat hat in seiner zweihundertjährigen Geschichte massgeblich zur Qualität des Bil- dungswesens und zur Akzeptanz der Entscheidungen beigetragen. Ursprünglich wollte man damit verhindern, dass bildungsfremde Überlegungen überhand nehmen. Er ist jedoch zu einem breit ab- gestützten Entscheidungsgremi- um für pädagogische Fragen ge- worden, dessen Einsatz zum Wohl des Zürcher Bildungswe- sens von grossem Nutzen ist.

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Anmerkungen

‘ PSW 4280119 (1790) S . 276 PSW 1: 160/40 (1777)

’H.G. Nägeli. Umriss für das gesamte Volksschul-, Industrieschul- und Gym- nasialwesenr Zürich 1832. S . 30

H.G. Nägeli. a.a.O., S . 164 H.G. Nägeli, a.a.0. S . 162

’M. Scheler, Die Formen des Wissens und der Bildung. zit. aus Philosophische

.Weltanschauung, DALP 301, Bern 1968, S . 47

” M. Scheler. a.a.0.. S . 48 Vgl. dtv 1690

Io Vgl. H. Gardner, Teaching for Multiple Intelligence, in: Educational Leader- ship, Vol 55 No. 111997, vor allem S . 12 und S. 18

II Deutsche Fassung: Berlin (Luchter- hand) 1997, S . 73 ff

I? Sternenberg’s 20 Faktoren der Erfolgs- intelligenz: Seibstmotivation, Selbstbe- herrschung, Durchhaltevermögen, Fä- higkeit zur besten Nutzung der eigenen Intelligenz, Urnsetzungswille, Ergebnis- Orientierung, Beharrlichkeit, Initiati- ve, Angstlosigkeit. Zielstrebigkeit. Kri- tikakzeptanz, kein Selbstmitleid, Unab- hängigkeit, Überwinden persönlicher Schwierigkeiten, Konzentration auf Ziele, Vermeidung von Über- und Un- terforderung. Geduld, Klarsicht. Selbst- vertrauen sowie analytisches und krea- tives Denken. Mit diesen Eigenschaften dürfte in der Tat auch ohne grösseren Forschungsaufwand eine Karriere si- cher sein ... Vgl. Psychologie heute, März 1998, S . 21 ff Vgl. M. Rutter, 15 O00 Schulstunden, (Beltz) Weinheim. 1980

I‘ Vgl. Quality of Schools, OECD. Paris 1989

’ H.G. Nägeli, a.a.0.. S . 30 und S. 150

“Vgl. M. Rutter. op cit.. Quality of Schools, OECD. Pans 1989. K.J: Eli- mann (Hrsg.). Was ist eine gute Schu- le?. Hamburg (Bergmann) 1989. K. Aurin, Gute Schulen, worauf beruht ih- re Wirksamkeit?. Heilbronn (Kiinick- hardt) 1991. H. Ditton I L. Gecker. Qualität von Schule und Unterricht, Z. f. Pädagogik, 1995. S . 5 Total Quality for Schools, A. Guide to Impiementa- tion. Milwaukee (ASQC-Press) 1994, Bertelsrnann-Stiftung, Innovative Schul- systeme im Vergleich, Bd. 1, Dokumen- tation zur internationalen Recherche, Gütersloh 1996, H. Fend, Qualität im Bildungswesen, (Juventa) Weinheim und München 1998. Avenarius I Bau- rnert I Döbert / Fössel (Hrsg.). Schule in erweiterter Verantwortung, Beiträge zur Schulentwicklung. Neuwied (Luch- terhand) 1998

I b Als typisches Beispiel sei auf das Werk von S.J. Spanbauer, A Quality System for Education, ASQC Quality Press 1992. verwiesen.

I’ Ein gutes Beispiel ist das neuste Werk zur Qualitätssicherung im Bildungswe- sen von Helmut Fend, Qualität im Bil- dungswesen, (Juventa) Weinheim und München 1998, Kap. 6 «Ordnungspoli- tische Konzepte: Was erzeugt langfri- stig Qualität im Bildungswesen? Ge- staltungsmöglichkeiten von Bildungs- systemen und Einzelschulem DfE iVwI (4. Jg.) S . 6

I * Vgl. M. Weiss, Bildungsökonomische Wirkungsforschung: Konzepte, Metho- den, empirische Befunde, Vomagsfas- sung des Symposiums *Wirksamkeits- analyse von Biidungssystemen - Theo- ne und Praxis, des NFF’ 33 vom 30.131. M a n 1995

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:‘I S. WulteríB. Weber. Der monetare Nui- zen von Bildung. in: Die Volkswirt- schaft 9/98. S. 10 ff R. Schrader. Warum Erwachsene (nicht) lernen. ChurlZurich (Rüegger) 1997 Zum Konzept der Zürcher Teilautono- men Schule sei auf die Dokumente in [email protected] verwiesen. Vgl. fer- ner E. Buschor, Schulen in erweiterter Verantwortung - die Schweizer An- strengungen, in: Recht der Jugend und des Bildungswesens, H.4, 1997. S. 335 ff sowie E. Buschor, Schulen in erweiterter Verantwortung - Die Schweizer Erfah- rungen und Anstrengungen, in: Avena- nus / Baumert / Döbert / Fössel (Hrsg.), Schule in erweiterter Verantwortung, Beiträge zur Schulentwicklung, Neu- wied (Luchterhand) 1998 S. 67 ff Vgl. Zukunft der Bildung - Schule der Zukunft, Denkschrift der Bildungs- kommission des Landes Nordrhein- Westfalen, Bertin (Luchterhand) 1995 ’

Vgi. Marbacher Modell, Schulen mit hoher Leistung und gesunden Lehr-

krriften. uenfieifriltigier Text der Jacobs Stiftung vom Sommer 1996

’‘ Vgl. OECD. Literacy. Economy and Society. Pans 1995

”Vgl. U. Moser/H. Rhyn. Bedingungen des Lernerfolgs. Erziehungsdirektion des Kantons Zurich 1997. S. 32

:’ Vgl. U. Moserl E. Ramseier / C. Keller / M. Huber. Schule auf dem Prüfstand, ChurlZürich (Rüegger) 1997. S. 38

:“Vgl. M. Stamm, Frühlesen und Früh- rechnen als soziale Tatsachen? Lei- stung, Interessen, Schulerfolg und so- ziale Entwicklung von Kindern, die bei Schuleintritt bereits lesen und I oder rechnen könnten, Aarau 1998 Vgl. Qualitätsbeurteilung, Forschung, Kommunikation, Info2, Universität Zürich 1997 Broschüre wif!-Projekt. Entwicklung einer neuen Schulaufsicht an der Volks- schule des Kantons Zürich - Informati- on für Schulbehörden und Schulen, Bil- dungsdirektion des Kantons Zürich 1998

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