im Leben des Pensionärs Peter Bichs el - Sage & Schreibe · kein Rezept. Ich koche einfach PETER...
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Der Solothurner Schriftsteller Peter Bichsel wird 80. Zum GEBURTSTAG gibts Hackbraten statt Torte, anstelle von Kerzen brennen Zigaretten, und das Fest ihm zu Ehren «geht bestimmt in die Hosen».
IST IMMER ZU FRÜH DRAN, WEIL ER GERN WARTETIn Bellach SO, seiner Wohngemeinde, sitzt Peter Bichsel in einem Wartehäuschen. Und raucht. Irgendwann wird dann der Bus nach Solothurn schon kommen.
Ein herrlich langweiliger Tag im Leben des Pensionärs
Peter Bichs el
WENN DER TAG BEGINNT Zwischen vier und acht Uhr erwacht Bichsel. Er trinkt bis zu sieben Espresso und raucht Zigaretten. Danach kocht er.
«KOCHEN IST ETWAS SEHR INTIMES»Wenn andere Zmorge machen, bereitet Bichsel in der Küche ein grosses Menü zu. Das macht er seit Jahrzehnten so, täglich.
STILLLEBEN MIT ZIGISie ist immer und überall: Selbst beim Hacken, Schnetzeln, Schälen, Scheibeln und Raffeln – Bichsel raucht immerzu.
HACKBRATEN À LA BICHSELEin Leben lang hat der Schriftsteller am Hack braten herumgetüftelt. Jetzt sei er perfekt. Bichsels Trick: Mozzarella rein.
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LAMM UND WOLF UND BICHSELDas Lamm für den Hackbraten dreht Bichsel durch den Fleischwolf. «Ich will am Stück sehen und anfassen, was ich später esse.»
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TEXT MARCEL HUWYLER FOTOS KURT REICHENBACH
Seine Zeitlupe. Peter Bichsel
sagt: «Ich langweile mich
gern. Ich mag jene Lange
weile, die die Zeit lang macht,
das Leben lang macht, jene
lange Weile, die mir Zeit gibt, die mir
‹lange Zeit› gibt, auf Schweizerdeutsch
‹längi Zyt›, ein wun derschönes Wort
für Sehnsucht.»
Nun denn.
Peter Bichsel erwacht am Morgen
um vier, fünf oder sechs Uhr, manch
mal werde es auch sieben oder acht.
Er steht auf, verrichtet die Morgentoi
lette, zieht sich an, Hose, TShirt, Strick
weste; seine BichselUniform, Hemd
und Leder gilet, trägt er erst, wenn er
das Haus verlässt. Er trinkt einen Es
presso (das vielleicht einzig Schnelle in
seinem Alltag, das er geniesst), dann
noch einen, drei, vier, fünf, bis zu sieben
Tässchen. Dazu raucht er Zigaretten,
viele Zigaretten, und liest Zeitung.
«Sie lesen die ‹Solothurner Zeitung›.»
«Eine furchtbare Zeitung.»
«Warum lesen Sie sie denn?»
«Ich mag Gewohnheiten.»
Bichsel liest die Ausgabe von ges
tern. Die aktuelle liegt draussen im
Briefkasten, er sei aber zu faul, sie zu
holen. Am Abend, wenn er heim
kommt, wird er die neue Zeitung
aus dem Briefkasten nehmen und
sie am Morgen darauf, wenn sie
von gestern ist, lesen.
Peter Bichsel wohnt seit
47 Jahren in einem Einfamilien
haus in Bellach (5249 Einwoh
ner), fünf Autobusminuten von
Solothurns Altstadt entfernt, wo
er seine Schreibstube hat, sein
Lager, wie er es nennt. Dort, und
nur dort, schreibt Bichsel, «ein
Schreiner hobelt ja auch nicht
daheim». In Bellach lebt er (der
in Luzern geboren wurde und in
Olten aufwuchs), weil er «über
all ein bisschen ungern wohnt»,
und weil dieses Haus halt da
mals, im Jahre 1968, grad zu kaufen war,
für 110 000 Franken, und er genügend
Ersparnisse, nämlich 20 000 Franken,
besass. Bellach sei kein richtiges Dorf,
sagt er, eine Streusiedlung ohne richti
ges Zentrum. An die Ge mein de ver samm
lungen geht er nie, «ich kann mich an
ders langweilen». Nein, der Herr Bichsel
sei noch nie an einer Gmeind gewesen,
sagt Ge mein deschrei ber Schnei der. Der
Gemeinderat Bellach hat einen 2500
FrankenAnteil an Bichsels Geburts
tags feier bewilligt. Ein Fest ist geplant,
«geht bestimmt in die Hosen», sagt
Bichsel, im Stadttheater Solothurn,
extra für den Jubilar (ich bin sicher,
den «Jubilar» hasst er, er würde dazu
«zum Kotzen» sagen).
Peter Bichsel kocht jeden Morgen
ein Menü. Und raucht dazu. Er kocht
nur für sich allein, ein richtig schönes,
grosses Menü, immer heiss, mit Fleisch,
Beilage, Gemüse und Sauce. Auf Reisen
in den USA brachte ihn das American
Breakfast so sehr auf den Geschmack,
dass er es daheim erst nachkochte und
dann «ausbaute». Bichsel kocht noch
vor Sonnenaufgang, wenn andere kaum
Zmorge mögen. Heute Hackbraten,
Kartoffelstock mit Sauce (ein Seeli
wird er allerdings keins machen), dazu
Rüebli. Danach gibts den ganzen Tag
nichts mehr. Ein schönes Gefühl seis,
mit leerem Magen zu Bett zu gehen und
mit Hunger aufzustehen. Hackbraten
ist sein Lieblingsessen, sein Leben lang
habe er daran getüftelt.
«Wie ist Ihr Rezept, Herr Bichsel?»
«Rezept? Sone Blödsinn, ich habe
kein Rezept, ich koche einfach.»
Bichsel verwendet Lammfleisch, das
er durch den Fleischwolf dreht. Ange
dünstete Zwiebel, Ingwer und Rüebli
stückchen kommen in die Masse, dazu
das Innere einer Luganighe und – «das
ist mein Trick!» – zerkrümelten Mozza
rella. Die Masse soll über Nacht im
Kühlschrank ruhen. Jetzt wickelt Bich
sel den Hackkuchen in einen Speck
mantel, bettet ihn in eine Form – und ab
damit in den Backofen bei 180 Grad.
«Für wie lange?»
«Das weiss ich doch nicht.»
Früher kochte Bichsel bei Festan
lässen in Solothurn im «Kreuz» und im
«Löwen», zünftige Mengen, 150 Zmittag,
300 Znacht, kochte zusammen mit einem
«einarmigen» Griechen, dessen
linke Hand nonstop durch eine
Bier flasche blockiert war. Damals
kochte Bichsel profimässig, schnet
zelte Gemüse, wie das Könner kön
nen, schnell, flink, blind, treffsicher,
zack, zack. Er konnte das, könnte
es noch immer, macht es aber nicht
mehr. Heute habe er Zeit zum Rüs
ten, sagt er, alle Zeit, lange Zeit.
«Bichsel, der rüstige Rentner.»
«Rüstig … sone Schissdräck.»
«… der rüstende Rentner.»
«Wunderbar, grossartig.»
Er schmunzelt. Und raucht. Und
spaltet bedächtig die Rüebli längs
und sägt sie unsäglich gemächlich
und gewollt unroutiniert in Stäbli.
Rezept? Sone Blödsinn. Ich habe
kein Rezept. Ich koche einfach
PETER BICHSEL
DAS MAHLEs ist angerichtet. Im Morgengrauen verspeist Bichsel sein Menü: Hackbraten, Kartoffelstock, Sauce und Rüebli.
DREHT SICH IM KREISIn der Stube steht Bichsels Spielkarussell, das dreht, blinkt und musiziert. Die Bronze - büste rechts zeigt ihn als 30-Jährigen.
u
Im «Flora» mit Wirtin Irma.Wegabkürzung durch den Manor.
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Peter Bichsel isst sein Mahl. Dazu
wird nicht geraucht. Draussen dämmert
es. Bichsel hat etwas Fieber, 38 Grad.
Neben Messer und Gabel liegt eine Pa
ckung Dafalgan, soll das Fieber senken,
gegen Husten nimmt Bichsel Prospan
Hustensaft, zum Essen trinkt er nur Was
ser. Sein (oder zwei, drei) Glas Wein, das
ihn schweizweit zur Kultfigur machte,
gibts erst am Nachmittag, in der Beiz. In
der Stube steht ein Sofa, es ist relativ neu.
Die Familie Bichsel, sagt Bichsel (seine
Frau Therese verstarb 2005, nach 49 Jah
ren Ehe, der Sohn und die Tochter sind
erwachsen), besass viele Jahre kein Sofa.
«Kein Sofa, warum nicht?»
«Kein Sofa, keine Homestory.»
Auf einem Beistelltischchen steht
ein elektrisch betriebenes Spielkarus
sell, das dreht sich, dudelt Chilbimusik,
lämpelt und blinkt. Ähnlich Freude be
reiten Bichsel nur Adventskalender.
Peter Bichsel geht nach dem Es
sen (und einer Dessertzigarette) noch
mals schlafen. Es ist noch nicht neun
Uhr, trotzdem nennt er das Verdauungs
nickerchen «mein Mittagsschläfchen».
«Herr Bichsel, die ‹Basler Zeitung›
hat Sie auf die Liste der 15 einfluss
reichsten Denker gesetzt.»
«Wunderbar.» (Sein Verschleierungs
wort für «interessiert mich nicht».)
«Die schreiben auch, Sie seien ein
passionierter Jammerer.»
«Grossartig.» (Sein Variations
Verschleierungswort für «interes
siert mich nicht».)
«Die schreiben weiter: ‹So ganz
versteht Bichsel die Welt nicht
mehr – und die Welt vielleicht auch
nicht mehr ihn.›»
«Sehr gut!» (Sein Ver schlei e rungs
wort für «sehr gut».) «Wäre ja auch
eine Beleidigung, wenn man mir
sagte, ich verstände die Welt.»
Peter Bichsel macht sich gegen
Mittag auf nach Solothurn, jetzt in
der BichselUniform. Sein Hemd sei
übrigens gestreift, weissblau, merkt
Bichsel an. Mike Müller trage, wenn er
ihn in der SatireTVShow «Giacobbo/
Müller» parodiere, ein weisses Hemd.
Sei falsch, sagt Bichsel.
Peter Bichsel schaut sich auf dem
Weg zur Bushaltestelle eine Grossbau
stelle an. Und raucht. Ende 2014 telefo
nierte er mit der Redaktion der Schwei-
zer Illustrierten und sagte, er höre auf
mit Kolumnenschreiben, er wolle nun
end lich, wie die anderen Pensionäre
auch, Baustellen anschauen. Er hat sich
getäuscht, ist enttäuscht. Auf den Bau
stellen gebe es nichts mehr zu sehen.
Vorbei die Zeiten, wo 30 Arbeiter hantier
ten, heute surre unablässig ein Kran, der
Bau wachse irrsinnig schnell in die Höhe,
Arbeiter seien aber keine zu sehen. Rent
ner auch nicht. Eben, was er immer sage,
näselt Bichsel, «die Öffentlichkeit: gibts
nicht mehr. Sich treffen und reden: gibts
nicht mehr. Nur noch Partygesellschaft.»
Peter Bichsel geht durch Solo
thurns Altstadt. Und raucht. Es ist Mit
tag. Er trägt einen längenverstellbaren
Wanderstock. Er wandere gern durch
Städte, und jeder Wanderer habe einen
Stecken. Bichsel nimmt Wegabkürzun
gen: Rein in den Manor, vorbei am Par
fum, vorbei an der Unterwäsche, bei
den Strumpfhosen rechts, zum Neben
eingang hinaus – steht er vor dem «Flo
ra». Zur Wirtin sagte er: «Ich nehme
das.» Sie bringt ihm ein Glas Wein. Er
liest die FeldschlösschenWerbung, die
auf dem Tisch steht («unverfälscht und
natürlich»), dann die Getränkekarte.
«Hier liegt noch eine NZZ, möchten
Sie die lesen, Herr Bichsel?»
«Muess nid si. Als wir die NZZ noch
hassten, war sie noch besser.»
Peter Bichsel geht zur Arbeit.
Und raucht. Im Dachgeschoss eines
Alt stadt hauses ist sein Schreibzimmer,
sein «Lager». Vollgestopft mit allerlei,
tausendmal beschrieben von Inter vie
wern. Was ist neu? Eine Figur von Karl
Marx, eine Art Spieluhr. Marx macht die
Faust, dreht sich im Kreis, dazu glöckelt
die «Internationale», das Kampflied der
sozialistischen Arbeiterbewegung. So
was mag Bichsel, ähnlich Freude berei
ten ihm nur Spielkarusselle, Advents
kalender und Hackbraten.
Peter Bichsel will noch einmal
eine Erzählung schreiben, sagt er. Seine
beste Kolumne übrigens, die er je für
die Schweizer Illustrierte schrieb, sei
«Vom Stier, der auch nur ein Mensch
war». Wenn er hier im Lager schrei
be, dann nur noch extrem langsam.
«Warum das, Herr Bichsel?»
«Schnell schreiben macht eine
Geschichte kaputt. Ich tippe auf
meinem Laptop nur mit einem Fin
ger, die andere Hand brauche ich für
anderes.»
«Wofür?»
«Den Kopf abzustützen.»
Er zündet sich eine Ziga rette an,
mit seinem Gasfeuerzeug, das er
«mein Kampfhund» nennt. Er raucht
und sagt, rauchen sei langweilig.
Peter Bichsel wird am
24. März 80 Jahre alt.
Nicht mal mehr auf den Baustellen hat es Rentner, die
zugucken PETER BICHSEL
DAS BICHSEL-KONZENTRATDie «Uhu»-Brille, die er extra anfertigen liess, und seine mit Zigarrenbanderolen verzierte Blechschachtel für Zigaretten.
DAS ERSTE LÄCHELN DES TAGESIn seinem «Lager» in Solothurns Altstadt zeigt Bichsel den sich drehenden und die «Internationale» spielenden Karl Marx.
----------«Meine beste Kolumne» von Peter Bichsel lesen Sie auf Seite 46
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In Solothurns Altstadt.
Im Büro, seinem «Lager».