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Perspektiven und Gestaltung digitaler Arbeit
Prof. Dr. Hartmut Hirsch-KreinsenForschungsgebiet Industrie- und Arbeitsforschung
TU Dortmund
Folie 2Hirsch-Kreinsen, März 2017
Mainstream der Debatte: Qualifizierte Arbeit unverzichtbar für Industrie 4.0
Ø „Menschenleere“ Fabrik nicht realistischØWegfall von RoutinetätigkeitenØ Zunahme von Entscheidungsspielräumen und von dispositiven
AufgabenØ Autonome Formen der Kommunikation und KooperationØ Steigende Kompetenzen: Integration von IT- und Produktionswissen
Mensch in der „Rolle des Erfahrungsträgers, Entscheiders und Koordinators“ (Kagermann, 2014)
Folie 3Hirsch-Kreinsen, März 2017
(Bildquelle BITKOM et al. 2015)
Folie 4Hirsch-Kreinsen, März 2017
MENSCHENplanen, steuern, vernetzen…
(Bildquellen: Fraunhofer IML, Jettainer, Daimler, ten Hompel 2015)
Industrie 4.0 � Internet der Dinge � Alles wird autonom!
BEHÄLTERsagen was zu entnehmen ist.
CONTAINER organisieren ihre Ladung – vieleContainer das logistische Netz.
LKWfahren Güter u. Waren autonom.
FAHRZEUGE und STAPLERorganisieren sich im Schwarm.
REGALEordern selber ihren Nachschub.
Folie 5Hirsch-Kreinsen, März 2017
(Bildquelle: FhG IAO 2014)
Vision Schwarm: Objekte und Menschen kooperieren vernetzt
Folie 6Hirsch-Kreinsen, März 2017
„Pessimistische“ Sicht
§ Weitreichende Jobverluste
§ Polarisierung von Qualifikationen durch Erosion mittlerer Tätigkeiten
§ Erweiterte Kontrollpotentiale, technologiezentrierte Sicht
§ Digitale Fließbandarbeit, entgrenzte und prekäre Arbeit (Crowdwork)
„Optimistische Sicht“
§ Kompensation durch neue Arbeitsplätze
§ Aufwertung von Arbeit und steigende Qualifikationen
§ Höhere Autonomie und Selbstorganisation
§ Verbesserte Work-Life-Balance und lebensphasen-orientierte Arbeitsmodelle
Widersprüchliche Prognosen über die Zukunft der Arbeit
Folie 7Hirsch-Kreinsen, März 2017
(Quelle: eigene Synopse, Ittermann et al. 2016)
§ Vielzahl von Studien zu den Beschäftigungseffekten: u.a. Frey/Osborne 2013/2017 (Oxford Martin School), Bowles
2014 (London School of Economics), Bonin et al. 2015 (ZEW Mannheim), Brzeski/Burk 2015 (ING-Diba), Brynjolfsson/McAffee 2014 (MIT),
Pfeiffer/Suphan 2015 (Uni Hohenheim), Boston Consulting Group 2015, Wolter et al. 2015 (IAB Nürnberg), Dengler/ Matthes 2015 (IAB Nürnberg),
Jäger et al. 2015 (Fraunhofer ISI), World Economic Forum 2016, Frey et al. 2016 (Oxford Martin School), Arntz et al. 2016 (Uni Heidelberg/ZEW),
PWC/WifOR 2016, Vogler-Ludwig et al. 2016 (BMAS), Wolter et al. 2016 (IAB Nürnberg)
§ Widersprüchliche quantitative Prognosen aufgrund unterschiedlicher methodischer Ansätze – vereinfachte Annahmen über technologische Potentiale vs. differenzierte Szenarien
Jobverluste: unklar und umstritten
Völlig offene Frage: weitreichende und dauerhafte Jobverluste vs. längerfristige Kompensation
Folie 8Hirsch-Kreinsen, März 2017
(z.B. Hirsch-Kreinsen et al. 2015; acatech 2016 et al.)
Genereller Wandel von Qualifikationen und Kompetenzen:§ Wachsende Bedeutung von IT-Kenntnissen, Interdisziplinarität, soziale Kompetenz§ Weiterbildung und Kompetenzentwicklung als Perspektive§ Wandel von Berufsbildern – Entstehung hybrider Qualifikationsmuster
Aber: Strukturwandel von Arbeit
Vertiefte Segmentation zwischen Beschäftigtenguppen und Qualifikationen: § Substitution und Wandel von Einfacharbeit und Routinetätigkeiten§ Standardisierung und Dequalifizierung mittlerer Qualifikationen§ Wandel und Bedeutungszuwachs dispositiver qualifizierter Tätigkeiten
Beschleunigte Flexibilisierung und Entgrenzung von Arbeit:§ Innerbetrieblich, z.B. Projektarbeit§ Fluide Betriebsgrenzen, z.B. Open Innovation und Crowdwork
Folie 9Hirsch-Kreinsen, März 2017
Operative Aufgaben und Tätigkeiten
Ø Zum einen: Partielle Substitution einfacher, repetitiver Aufgaben, z.B. Logistik, Maschinenbedienung, Datenerfassung
Ø Zum zweiten:Erosion qualifizierter Aufgaben durch Formalisierung, Standardisierung und KontrolleVerbleib begrenzt qualifizierter „Residualaufgaben“
Ø Zum dritten: Aufgabenerweiterung, Assistenzsystemen als „Fähigkeitsverstärker“, Breitere Überwachungsaufgaben und Handlungsspielräume, „informierter Entscheider“, Integration von Produktionswissen und IT-Kompetenzen
Differenzierte vs. ganzheitliche Arbeitsformen?
Folie 10Hirsch-Kreinsen, März 2017
Indirekte Bereiche: Planung, Steuerung, Prozessentwicklung
Ø Einerseits: Abgabe von dispositiven Kompetenzen „nach unten“, Automatisierung von Planungs- und Steuerungsfunktionen Einschränkung von Handlungsspielräumen durch Vorgaben und Assistenzsysteme
Ø Andererseits: Anspruchsvolle Systemplanung und ImplementationBeherrschung von Sondersituationen„trouble shooting“, Kenntnisse der SystemlogikBlick auf das Gesamtsystem erforderlich
(cf. Bauer/Schlund, 2017 et al.)
Auf- oder Abwertung von Planung und Steuerung?
Folie 11Hirsch-Kreinsen, März 2017
Entwicklungszenarien Digitaler Arbeit
„better jobs…at every level …enriched by an informatingtechnology“ (Zuboff1988)
„substitute for labour in a wide range” (Frey/Osborne 2017)
„lousy and lovely jobs” (Goos/ Manning 2007)
„Das Arbeitsverhältnis wandelt sich so zum Arbeitseinsatz“ (Hoffmann/Suchy 2016)
(Bildquelle: FIA, FhG IML)
Folie 12Hirsch-Kreinsen, März 2017
Spielräume für die Entwicklung von Arbeit
ØKonsequenzen für Arbeit kein Automatismus und SelbstläuferØZwar „technology push“, aber Überschätzung der
technologischen Potentiale vermeidenØKein „Technikdeterminismus“, vielmehr Gestaltungsalternativen
von ArbeitØStets dynamischer Wandel von Arbeit beeinflusst von
Gestaltungszielen und entsprechenden Strategien
Industrie 4.0 als Gestaltungsprojekt
Folie 13Hirsch-Kreinsen, März 2017
(Bildquelle BITKOM et al. 2015)
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Folie 14Hirsch-Kreinsen, März 2017
Industrie 4.0 als Sozio-technisches System
- Nicht ein entweder Technologie oder Mensch, sondern Abstimmung von Technik, Mensch und Organisation
- Nicht Optimierung einzelner Teilsysteme, sondern Optimierung des Gesamtsystems
(Bildquelle: Eigene Darstellung)
Folie 15Hirsch-Kreinsen, März 2017
Schnittstellen im Systemals die zentralen Gestaltungsräume
SchnittstelleMensch-
Organisation
SchnittstelleOrganisation-Technologie
SchnittstelleMensch-
Technologie
(Bildquelle: Eigene Darstellung)
Folie 16Hirsch-Kreinsen, März 2017
Mensch-Maschine-Interaktion
Automatisierung von „3D-Tätigkeiten - dirty, dangerous and demanding“ -Schaffung ergonomisch guter Arbeitsplätze, Montageroboter
Gestaltung der Informationsfunktionen:
• „Human-centred design“ – aktive Einbeziehung von Nutzern, iterative Optimierung auf der Basis von Erfahrungswissen
• Aufgabenangemessene effektive Visualisierung
• Sicherung von Lernmöglichkeiten - „Learnstruments“
• Datenschutz und Regelung von Kontrolle
• Generell „Intelligenzverstärung“
(Bildquelle: FhG IML)
Folie 17Hirsch-Kreinsen, März 2017
Besondere Herausforderung: „Ironien der Automatisierung“ angesichts steigender Autonomie der technischen Teilsysteme
Ø Einerseits routinehafte Überwachungstätigkeiten und mangelnde Systemtransparenz , monotone „Normalsituation“ mit abnehmendem Systemverständnis
Ø Andererseits unerwartete und kritische Systemzustände mit fehlendem Verständnis, Handlungsmöglichkeiten und mangelnder Reaktionsfähigkeit
(z.B. Lüdke 2015; Scholters et al. 2017)
Bewältigung von „Complacency“ und Sicherung von „Awareness“, Vermeidung von „Mode Confusion“ und „Lack of Understanding“…..
Folie 18Hirsch-Kreinsen, März 2017
Vermeidung von „Ironien der Automatisierung“ durch z.B.:
• Dynamische und komplementäre Systemgestaltung• Situative Aufgabenvariabilität zwischen Technik und Mensch• Vermeidung unkontrollierbarer „feedback cycles“ im Gesamtsystem
• Technische Teilsysteme als adaptive Systeme• Sicherung von Improvisations- und Interventionsmöglichkeiten
• Erwartungskonformes „Handeln“ der Maschinen
(z.B. Lüdke 2015; Brödner 2017; Scholters et al. 2017)
Fundamentaler Unterschied zwischen algorithmischem, selbsttätigem Verhalten von artifiziellen Agenten und absichtsvollem, autonomem Handeln von Menschen
Folie 19Hirsch-Kreinsen, März 2017
Schnittstelle Mensch-Organisation
Neue Gestaltungsspielräume durch
• Wegfall von Routineaufgaben und Aufgaben der Systemkoordination
• Verlagerung dispositiver Aufgaben auf operative Ebene
• Echtzeit statt sequentielle Arbeitsfolge
• „Social-Media-gestützte“ Kommunikation und Kooperation
Gestaltungsoptionen
• Arbeitsanreicherung und Erweiterung von Handlungsspielräumen auf der operativen Ebene
• Flexibilität und polyvalenter Personaleinsatz
• Operateur wird zum „repetitiven Künstler“ (Bosch)
Folie 20Hirsch-Kreinsen, März 2017
Flexible Arbeitsstrukturen auf der Basis aufgewerteter Qualifikationen – „Schwarm“
Digital unterstützte Kooperation unterschiedlich spezialisierter Mitarbeiter in
zellularen Arbeitsstrukturen
Förderung interdisziplinärerkollektiver Intelligenz
(Bildquelle: Eigene Darstellung)
Folie 21Hirsch-Kreinsen, März 2017
Technologie – Organisation: Dezentrale Regelkreise
• Neue Gestaltungspotentiale durch dezentrale flexible Technologien• Schaffung autonomer selbstorganisierter Organisationszellen • Funktionsintegration in Echtzeit - Gezielte Abkehr von sequentiellen und
differenzierten Abläufen – „Enttaktung“ der Prozesse• Durch Social Media ermöglichte Dezentralisierung und Hierarchieabbau
• Nachhaltiger Wandel von Management und Leitungsfunktionen
Rückkehr des Konzepts der Fertigungsinseln und Öffnung „EDV-zementierter“
Unternehmensstrukturen
Folie 22Hirsch-Kreinsen, März 2017
(Bildquelle: Bettenhausen/Kowalewski 2013: 6)
Starre Automatisierungs-
hierarchie
Dezentrale vernetzte Prozesse
Folie 23Hirsch-Kreinsen, März 2017
Ganzheitlichkeit und Flexibilität
Leitbild: „Social Manufacturing and Logistics“
SchnittstelleMensch-
Organisation
SchnittstelleOrganisation-Technologie
SchnittstelleTechnologie-
Mensch
Dezentralisierung und Bottom-up-
Prozesse
Adaptive und komplementäre
Interaktion
(Bildquelle: Eigene Darstellung)
Folie 24Hirsch-Kreinsen, März 2017
Herausforderungen für das Management
- Strategische Ausrichtung von Digitalisierung - Chief Digitization Officer
- Professionalisierung des Personalmanagements und Entwicklung von HR-Strategien
- Reduzierte Differenzen zwischen „White Collar“ und „Blue Collar“ –Verschwinden von Kompetenz- und Wissensdifferenzen
- Wachsende Bedeutung von „Soft Skills“, insbesondere Team- und Kommunikationsfähigkeiten des Managements
- „Führen auf Distanz“ und Motivation statt Kontrolle
- Statt Hierarchie vermehrt „Peer-to-Peer“ Communities
Perspektive: „Demokratisierung“ des Unternehmens?
Folie 25Hirsch-Kreinsen, März 2017
Herausforderungen für Mitbestimmung und Arbeitspolitik
- Systematische Informationsbeschaffung über I4.0-Vorhaben, ggf. Beteiligung von externen Experten, Bündelung von Kompetenzen in Form von AGs
- Fragen des Personaleinsatzes und Alternativen der Arbeitsgestaltung
- Ausbau von Qualifizierung und Weiterbildung und Möglichkeiten des „learning-by-doing“ und Erhalt von Erfahrungswissen
- Regelung von Flexibilisierung und „work-life-balance“ – bei z.T. heterogenen Beschäftigteninteressen (Stichwort: Technikaffinität und Erreichbarkeit)
- Regelung von Datentracking und Kontrollmöglichkeiten
- Ausbau direkter Partizipation und Beteiligung
Ausweitung von Mitbestimmungsrechten?
Folie 26Hirsch-Kreinsen, März 2017
Vielfältige Herausforderungen für Politik
Insbesondere Gefahr eines „digital divide“ durch breit angelegte Kompetenzentwicklung vermeiden
- Ausgleich wirtschaftsstruktureller Divergenzen zwischen Groß- und Kleinbetrieben bzw. „Hightech“- und Lowtech“-Sektoren – Vermittlung der spezifischen Potentiale vor allem für KMU
- Generelle Förderung von Mitarbeiterfähigkeiten: Ausbau der Angebote der Aus- und Weiterbildung zu Industrie 4.0 und Nutzung innovativer digital-basierter Methoden
- Nicht nur Förderung von „Hightech-Arbeit“, sondern auch Unterstützung geringqualifizierter Arbeit
Fokus auf spezifische Wissensdomänen und Branchenkompetenzen erforderlich
Folie 27Hirsch-Kreinsen, März 2017
Perspektiven von Industrie 4.0?
Ø Bislang ungeklärte Reichweite und Einsatzfelder der neuen Systeme
ØMögliche Produktivitätseffekte vs. hohe KostenØUmstellungsprobleme und Kompatibilität mit bestehenden Daten-
/IT-/ProduktionsstrukturenØ Vorbehalte und Desinteresse bei vielen KMUØGenerell lang laufender evolutionärer Prozess, jedoch mit
disruptiven Folgen in bestimmten (Geschäfts-)Bereichen
„Digitale Inseln“ mit unterschiedlichen Formen der Arbeit?
Folie 28Hirsch-Kreinsen, März 2017
Arbeit der Zukunft?
Bildquelle: http://marcogloor.com/allgemein/was-ist-gute-arbeit-marco-gloor-marketing-gloormarketing
Digitalisierung
WidersprüchlicheGlobalisierung
DemographischerWandel
Steigendes Bildungsniveau/ Akademisierung
Werte und Kulturwandel
SteigendeFrauenerwerbsquote
Migration
Folie 29Hirsch-Kreinsen, März 2017Grafik:G.Katsimitsoulias,FraunhoferIML
(Bildquellle: FhG IML)
Digitalen Wandel sozial und innovativ gestalten