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Hauser Kritik der neomythischen Vernunft Band 3

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HauserKritik der neomythischen Vernunft

Band 3

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Kritik der neomythischen Vernunft

Die Fiktionen der science auf dem Wege in das 21. Jahrhundert

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Ferdinand Schöningh

Linus Hauser

Kritik der neomythischen Vernunft

Band 3 Die Fiktionen der science auf dem Wege

in das 21. Jahrhundert

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© 2016 Fer di nand Schö ningh, Paderborn(Ver lag Fer di nand Schö ningh GmbH & Co. KG, Jü hen platz 1, D-33098 Pa der born)

In ter net: www.scho e ningh.de

Ein band: Evelyn Ziegler, MünchenPrin ted in Ger ma ny.

Her stel lung: Fer di nand Schö ningh GmbH & Co. KG, Pa der born

ISBN 978-3-506-78197-0

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Für Mary, von der ich am meisten lernte

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Inhaltsverzeichnis

VORWORT ............................................................................................................ 15

EINFÜHRUNG IN DEN DRITTEN BAND: BEGRIFFLICHE GRUNDLAGEN .......................................................................................... 17

I. Die romantische Hoffnung auf einen grundlegenden Paradigmenwechsel ................................................................................... 17

1. Erkenntnis im Denkkollektiv (Ludwik Fleck) ........................................... 18 2. Konversionen und neue Paradigmen (Thomas S. Kuhn) ............................ 21 3. Weltanschaulich geprägte kollektive Erkenntnis (Stephen

Toulmin) .................................................................................................... 24 4. Neomythische Kolportage als erhoffter Paradigmenwechsel .................... 26 II. Eine exemplarische Verschränkung von weltanschaulichen und

wissenschaftlichen Fragen: Der Raumfahrtwissenschaftler Harry O. Ruppe .................................................................................................... 28

III. Fiktionen und Science: Zu ihrer Interdependenz ....................................... 31 1. Wissenschaftstheoretische Grundlagen ..................................................... 31 2. Der Einzug der Fiktionen in die Science ................................................... 33 3. Über Stufen der Wissenschaftsrezeption ................................................... 37

Band 3 Die Fiktionen der Science auf dem Wege

in das 21. Jahrhundert

ACHTER HAUPTTEIL QUANTENPHYSIK – QUANTENMETAPHYSIK –

QUANTENTHERAPIE

§ 28 Quantenphysik im Absprung zur neomythischen Metaphysik ............................................................................................. 43

I. Grundzüge der Quantenphysik in erkenntnistheoretischer Problembetrachtung ................................................................................... 43

1. Die klassische Physik Newtons und die mechanistische Versuchung ................................................................................................ 43

2. Grundmuster der Quantenphysik ............................................................... 45 a. Die Unanschaulichkeit der Physik und ihre Konsequenzen ....................... 45 b. Die Unschärferelation ................................................................................ 47

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INHALTSVERZEICHNIS

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c. Der Doppelspaltversuch ............................................................................ 50 d. Komplementarität und ein Universalitätspostulat ...................................... 51 e. Quantenphysik und ihre Zustände ............................................................. 52 f. Vom Weltäther zu den Feldtheorien .......................................................... 56 II. Metaphysikförmige Nutzung der Quantenphysik in neomythischer

Tendenz ..................................................................................................... 62 1. Metaphysik – eine kontextorientierte Bestimmung ................................... 62 2. Alltägliches Begreifen – Abstraktionsbegriffe –

Definitionsbegriffe .................................................................................... 65 3. Quantenphysik und Erkenntnisgrenzen: Das heuristische Postulat

einer unbestimmten kinetischen Energie ................................................... 67 4. Wo Rezeption der Quantenphysik stattfinden kann .................................. 69 5. Welle-Teilchen-Dualismus, Komplementarität und Alchemie .................. 71 6. Exoterische Unschärfephysik und esoterische

Quantenfeldbestellung ............................................................................... 78 a. Innerweltliche Kausalität Gottes bei Aristoteles, Thomas von

Aquin und der Barockscholastik ................................................................ 78 b. Der personale Gott existiert – aber wird bedeutungsloser: das

Beispiel der Barockscholastik ................................................................... 80 c. Der Raum und das Vakuum in Leibnizens Briefwechsel mit

Clarke ........................................................................................................ 85 7. Neomythische Missverständnisse von Feldtheorien .................................. 87 8. Neomythische Bündelungen: Physik und Selbstorganisation .................... 92 a. Ein Vorbegriff von Selbstorganisation ...................................................... 92 b. Hermann Haken und die Synergetik: „ein einheitliches Weltbild,

eine einheitliche Weltschau zu entwickeln“ .............................................. 95 c. Ilya Prigogine – „was wir ‚fühlbare Realität‘ des Universums

nennen“ .................................................................................................... 100 9. Von der Quantenphysik zur Subquantenkommunikation:

David Bohm ............................................................................................ 110 a. Physik und DiaMat: Biografie eines Unangepassten ............................... 110 b. Naturphilosophie und darüber hinaus ...................................................... 112

§ 29 Physik weist ins New Age ................................................................ 127

I. New-Age-Physik im Kontext .................................................................. 127 II. Wie die Neomythen sich bemerkbar machten ......................................... 128 III. Zwei Repräsentanten des New Age-Denkstils ......................................... 141 1. Im Morgenrot des New Age: Sir George Trevelyan ................................ 141 a. Die Biografie eines nonkonformistischen Geistes ................................... 141 b. Ein Manifest über das kommende Wassermannzeitalter ......................... 145 2. Die Evangelistin des New Age: Marilyn Ferguson ................................. 150 IV. Welterklärung light und Wissenschaft soft .............................................. 158 1. Fritjof Capra läutet die Wendezeit ein ..................................................... 158

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INHALTSVERZEICHNIS

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a. Capra verortet sich kulturgeschichtlich ................................................... 158 b. Capras Philosophie der Quantenphysik ................................................... 167 2. Physik und Samadhi: Peter Russell ......................................................... 176 3. Gary Zukavs Wu Li-Physik ..................................................................... 181 4. Amit Goswami: „In der Nichtlokalität der Quantenwelt ist der

transzendente Himmel“ ........................................................................... 185 a. Bewusstsein ist alles ................................................................................ 185 b. Never fear, the Quantum Doctor Is Here ................................................. 197 V. Quantentherapien: Die Ebene der Geschäftsleute und Klienten .............. 200 1. Neomythische Therapie geht vor Theorie:

Wissenschaftlichkeitsansprüche der Szene .............................................. 200 2. Heilangebote im Internet ......................................................................... 201 3. „Die ultimative Erkenntnis ist, dass das Leben genau so, wie es ist,

vollkommen ist“: Frank Kinslow ............................................................. 206 4. Richard Bartlett: Moderne Physik und Engel-Download ........................ 213 a. Eine Zauberer-Idealbiografie und sein Zauberbuch ................................. 213 b. Thetawissenschaft als „nützliche Mythologie“ ........................................ 218 5. Ein Zweifachnobelpreisträger und quantentherapeutische

Göttermenschen-Geräte ........................................................................... 221

NEUNTER HAUPTTEIL SUCHE NACH GEBORGENHEIT IM KOSMOS –

AUFBRÜCHE IN DEN WELTRAUM

§ 30 Der physikalische Kosmos und der neomythische Cosmologic turn ................................................................................. 225

I. Kosmologie im Kontext einer evolutionären Weltanschauung ............... 225 1. Nichts Neues unter der Sonne? ................................................................ 225 2. Immanuel Kant: Naturgeschichte und pragmatische

Geschichtsschreibung .............................................................................. 226 II. Metaphysikträchtige Aspekte heutiger Kosmologie ................................ 228 1. Viele Fragen angesichts raumzeitlicher Losigkeit ................................... 228 2. Wo wäre da noch Raum für einen Schöpfer? Steven Hawking

verabschiedet Philosophie, Deismus und Theismus ................................ 234 3. Endlich doch ein Zuhausestern: Die Herberge „Zum

Anthropischen Prinzip“ ........................................................................... 246 4. Frank J. Tiplers neomythisches Universum ............................................. 251 a. „The Anthropic Cosmological Principle“ ................................................ 251 b. „The Physics of Immortality“: Neomythos im Superlativ ....................... 253 5. Panspermiehypothesen einst und heute ................................................... 263 a. Ouvertüre in der Antike. Basilides von Alexandrien ............................... 263 b. Svante Arrhenius und „Das Werden der Welten“ .................................... 264

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c. Fred Hoyle, „bei dem die Erde die Rolle eines Empfängers spielt – wie zahllose andere im All“ ..................................................................... 266

d. Francis Cricks Postulat einer gelenkten Panspermie ............................... 272

§ 31 Raumfahrtwissenschaftler als Propheten – Auf dem Weg zum neuen Musterbeispiel der Systemesoterik ................ 279

I. Der Glaube an Engel und Außerirdische ................................................. 279 II. Raumfahrtpioniere und ihre Neomythen ................................................. 281 1. Konstantin Eduardowitsch Ziolkowski: Vater der russischen

Raumfahrtwissenschaft ............................................................................ 281 a. Ziolkowskis wissenschaftliche Leistungen .............................................. 281 b. „Bleiben uns nicht die Wissenschaft, die Materie, die Welten, die

Menschheit, die uns umgeben wird, indem sie diesen grenzenlosen Raum einnimmt?!“: Der Roman „Außerhalb der Erde“ (1916) .............. 283

c. Kosmismus und Raumfahrtutopie ........................................................... 287 d. „Wissen, Möglichkeiten! ... Wo sind eure Grenzen?“: Ziolkowskis

neomythische Philosophie ....................................................................... 290 2. Hermann Oberth – Vater der deutschen Raumfahrtwissenschaft ............ 297 a. „Es ist aber auf der Welt nichts unmöglich …“: Zur Biografie ............... 297 b. Philosophieren auf dem Weg zum Neomythischen ................................. 300 c. Oberths Kontakte zu den fernen Uraniden .............................................. 306 3. Max Valier: Zwischen Esoterik und Raketenantrieb ............................... 314 a. Lebenswege zum ersten Flug mit Raketenantrieb ................................... 314 b. Der Schritt in die Metaphysik als philosophisch-empirische

Wissenschaft ............................................................................................ 316 4. Eugen Sänger: Mit Photonenraketen durch das Universum in die

Transzendenz hinein ................................................................................ 322 a. Prolog „Auf zwei Planeten“ (Kurd Laßwitz) ........................................... 322 b. Sängers wissenschaftliche Biografie ....................................................... 323 c. Sängers Neomythen ................................................................................. 325 5. Ezechiel und die Raumfahrtwissenschaftler – präastronautische

Interpretationen ....................................................................................... 334 a. Vorspiel in der Luftfahrt: Burrell Cannons Ezechiel Airship .................. 336 b. Irene Sänger-Bredts vorsichtige präastronautische Annäherung ............. 337 c. Josef Blumrich: „Zu meiner eigenen Arbeit möchte ich sagen, daß

ich sie vom Standpunkt des Ingenieurs aus durchführte“ ........................ 339

§ 32 Das Thema der Vielheit der Welten – ein Blick in die abendländische Geistesgeschichte ............................................... 345

I. Am Vorabend der Astronautengötter ....................................................... 345 II. Die Pluralität der Welten im Kontext eines evolutiven Weltbildes ......... 356 1. Evolutiver Zeitgeist und extraterrestrisches Leben ................................. 356

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2. Carl du Prel: Das „Einmünden der Bewusstseinsentwicklung einzelner Sterne in den Gesamtfluss kosmischer Entwicklung“ .............. 363

3. Camille Flammarion: „Unbekannte Pflanzen, wunderbare Wesen, Menschheiten …“ .................................................................................... 367

III. Die wissenschaftsfundierte Pluralität-der-Welten-Technologie: Carl Sagan und Frank Drake zwischen NASA, SETI-Institut und Hollywood ............................................................................................... 372

1. Radioastronomie: Außerirdische selbst zu Wort kommen lassen ............ 372 2. Frank Drake: „... das technisierteste, aber auch das menschlichste

wissenschaftliche Thema“ ....................................................................... 374 3. Carl Sagan. Topstar in Wissenschaft und Showgeschäft ......................... 384

§ 33 Pluralität der Welten am Himmel: UFOglaube ........................ 397

I. Die faktische Situation ............................................................................. 397 II. Direkte Anwege zum UFO-Glauben: Atlantis, Lemuria und das

„Shaver Mystery“ .................................................................................... 403 III. Orson Welles bringt „Radio Listeners in Panic“ ..................................... 412 IV. Wegweiser im UFO-Kult ......................................................................... 416 1. Kenneth Arnold: Die Uroffenbarung des UFO-Glaubens ....................... 416 2. Donald E. Keyhoe: Die US-Regierung vertuscht UFO-Beweise .............. 419 3. George Adamskis Kontakte mit Aliens ................................................... 422 4. Kontaktlerschwemme – einige Beispiele ................................................. 430 V. Ein tödlicher UFO-Neomythos: Heavens Gate ....................................... 433 1. Die Gruppe, ihr Gründer Marshall Herff Applewhite und ihr Ende ........ 433 2. Eine ufognostische Botschaft der Gruppe ................................................ 439

ZEHNTER HAUPTTEIL PRÄASTRONAUTIK – DIE SYSTEMESOTERIK DES

21. JAHRHUNDERTS

§ 34 Präastronautik. Pseudologia Phantastica zwischen Parawissenschaft und totalitärer Weltpolitik ............................ 449

I. Metaphysische Absprungpunkte der Präastronautik ................................ 449 II. Evolutionstheorie und ihre Tendenz zu Ismen ......................................... 452 1. Ausgangspunkte und Voraussetzungen ................................................... 452 2. Richard Dawkins: Wegweiser im Kosmos der Replikatoren ................... 455 III. Unmittelbare Vorgänger von Dänikens ................................................... 462 1. Iosif Shklovsky: der Marsmond Phobos ist ein künstlicher Satellit ......... 463 2. Matest M. Agrest: Sodom und Gomorrha durch extraterrestrische

Wesen zerstört ......................................................................................... 464 3. Le Poer Trench: Im HOUSE OF LORDS zwischen alter

Systemesoterik und Präastronautik .......................................................... 466

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4. Von Dänikens direkter Vorfahr: Robert Charroux .................................. 469 IV. Erich von Däniken: „Wahrheit und Lüge sind Kriterien, die man

auf meine Aussage nicht anwenden kann“ .............................................. 473 1. Die grundlegende Hypothese ................................................................... 473 2. „Heute Nacht habe ich geespert“. Biografische Notizen zu Erich

von Däniken ............................................................................................ 479 3. Aus Erscheinungen von Jenseitigen werden außerirdische

Besucher .................................................................................................. 485 4. Neuscholastik, Unheimliche Begegnungen der dritten Art und

Planeten der Lüge .................................................................................... 486 5. Hermeneutische Prämissen der Präastronautik ........................................ 489 a. Dänikens Euhemerismus ......................................................................... 489 b. ‚Wörtliche‘ Bibelauslegung und Realienargumente ................................ 491 6. Dänikens Beweise ................................................................................... 499 a. Alttestamentliche Heilsgeschichte nach Däniken: Der katholische

Hintergrund ............................................................................................. 499 b. „Nehmen wir Moses wörtlich“: Dänikens alttestamentliche

Exegesen .................................................................................................. 501 7. Erich von Däniken und der Kreationismus .............................................. 508 8. Metaphysische Grundlagen von Dänikens .............................................. 512 9. Präastronautik als Lösungsansatz für die metaphysischen

Orientierungsaufgaben der Moderne und ihre Traditionskrise ................ 521 V. Transhumanismus/ Posthumanismus: Keine alternative

Systemesoterik ......................................................................................... 526 VI. Präastronautik in globaler Breitenwirksamkeit – vom cineastischen

Abendland zu Indiens politischer Elite .................................................... 531 1. Der Subtext der Präastronautik ................................................................ 531 2. Das präastronautische Denkkollektiv: Forschungsgesellschaft für

Archäologie, Astronautik und SETI ........................................................ 534 3. Präastronautik als ein wesentliches Leitmotiv im aktuellen

Sciencefiction-Film ................................................................................. 539 4. Präastronautik und totalitärer Hindunationalismus – vom

Abendland zu Indiens politischer Elite .................................................... 544

SCHLUSSWORT: BEGRIFFLICHER ZUSAMMENHANG DER DREI BÄNDE .................................................................................................... 559

I. Ein Blick auf die Rezeption der ersten beiden Bände .............................. 559 II. Die Ausgangspunkte: Mythos, Religion und Kultur ............................... 561 III. Die Neomythen ........................................................................................ 567

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BIOGRAFISCHE INFORMATIONEN ZUM DRITTEN BAND .............................. 573

LITERATUR ........................................................................................................ 589

BIBLIOGRAFIE DER REZENSIONEN ZUR KRITIK DER NEOMYTHISCHEN VERNUNFT .............................................................. 633

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Vorwort

Das wissenschaftliche Lebensprojekt der Erforschung von Neomythen ist in die-sem letzten Semester meiner Lehrtätigkeit vollendet. Darüber bin ich glücklich und dankbar.

Viele haben mich unterstützt. An erster Stelle sei genannt Frau Edeltraud Kuhl, ohne die keiner der drei Bän-

de zustande gekommen wäre. Meine studentischen Hilfskräfte Valerie Nicolay und Maren Schubert haben

unzählige Bücher ausgeliehen, kopiert und eingescannt. Deborah Spratte hat mü-hevoll die Fußnoten Korrektur gelesen.

Mein wissenschaftlicher Mitarbeiter Michael Novian hat genauso wie meine wissenschaftliche Mitarbeiterin Antonia Graichen viele Stunden an der Bearbei-tung des Textes gesessen. Michael Novian, der im Anschluss an meine Untersu-chungen zum Neomythos eine eigenständige Theorie des Retromythos aufgestellt hat, sollte einen vierten Band mit dem Titel Vom Neomythos zum Retromythos schreiben.

Bei unseren monatlichen Treffen im Münsterland haben mir Landeskirchenrat Prof. Dr. Dieter Beese, Prof. Dr. Detlev Dormeyer, Prof. Dr. Folker Siegert und Prof. Dr. Rainer Stichel Gelegenheit gegeben, meine Thematik intensiv zu disku-tieren.

Im Dauergespräch zum Thema befand ich mich mit meinem Gießener Kollegen Prof. Dr. Franz Josef Bäumer, der mir wesentliche Anregungen zum Religionsbe-griff gegeben hat.

Last but not least danke ich meinem philosophischen Doktorvater Prof. Dr. Hermann Schrödter, der auch hin und wieder in mein Doktorandenkolloquium kam und so für ein außerordentlich fruchtbares Treffen der Generationen gesorgt hat. Seine Anmerkungen zu meiner Thematik sind für mich stets von besonderer Bedeutung gewesen.

Motivation waren auch die vielen Rezensionen, auf die ich im Schlusswort ein-gehen werde.

Linus Hauser, Weihnachten 2015

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Einführung in den dritten Band: Begriffliche Grundlagen

I. Die romantische Hoffnung auf einen grundlegenden Paradigmenwechsel

Im ersten Band der Kritik der neomythischen Vernunft wurde eine Bestimmung des Neomythos erarbeitet, die auch in diesem dritten Band weiter erprobt werden soll.

Religionsförmige Neomythen sind ein kulturelles und individuelles Sich-Beziehen auf Endlichkeit ohne die Voraussetzung ihrer Radikalität und in der Erwartung der realen Aufhebung derselben durch das Handeln des Menschen oder anderer endlicher Mächte.

Der dritte Band dieser Kritik der neomythischen Vernunft beschäftigt sich mit den in den neomythischen Bereich weisenden Fiktionen der Science.

Fiktionen der Science sind Längere neomythische Gedankenspiele in der Welt der Wissenschaft, über die Welt der Wissenschaft, aus der Welt der Wissenschaft und für die Welt der Wissenschaft.

Diese Formulierung verweist darauf, dass sich Wissenschaftler, das interessierte Publikum und wirtschaftliche und politische Mächte in einer interdependenten Si-tuation befinden. Das für uns interessante Produkt dieser wechselseitigen Beein-flussung sind wissenschaftliche Weltbilder und wissenschaftliche Weltanschauun-gen1. Die systemtheoretischen Kommunikationsmedien Macht, Geld und Ehre sind weitere Produkte dieses interdependenten Prozesses und spielen hier erst in einem zweiten Zugriff eine mögliche Rolle. Aus der wissenschaftlichen Theorie kann sich ein Weltbild entwickeln und aus diesem eine wissenschaftliche Weltanschau-ung und diese kann umgekehrt der Durchsetzung macht- und wirtschaftspoliti-scher Interessen dienen bzw. dazu direkt entwickelt worden sein.

Ich will hier wissenschaftliche Weltbilder und wissenschaftliche Weltanschau-ungen nur unter einem spezifischen Gesichtspunkt, dem ihrer thematischen oder unthematischen Ausrichtung auf Neomythen, betrachten. Andere Erscheinungs-formen derselben sind hier – um das Gebiet eindeutig einzugrenzen – nicht Unter-suchungsgegenstand. Dabei lege ich in diesem dritten Band – im Gegensatz zu den ersten beiden Bänden – den Hauptakzent auf Physik und Space Science.

Es hat sich im Verlaufe der zu diesem dritten Band führenden Untersuchung ergeben, dass die Vertreter neomythischer Positionen im Bereich einer – wie auch 1 Vgl. dazu ausführlich: Hauser, Bd. 2, 20-29.

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EINFÜHRUNG IN DEN DRITTEN BAND

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immer epigonalen – Philosophie der Quantenphysik, einer Philosophie der Evolu-tion und der Selbstorganisation, einer Philosophie der Informations- oder der Gen-technologie oder die Protagonisten von raumfahrtwissenschaftlichen Visionen und diejenigen, die über physikalische Kosmologie philosophieren, nicht selten diesel-ben Personen sind. Deshalb werden die neomythischen Fiktionen der betreffenden Autoren manchmal erst schrittweise im Ausgang von der jeweils angesprochenen Wissenschaftsperspektive zum Sprechen gebracht werden.

Um über die neomythischen Fiktionen der Science zu schreiben, bedarf es eini-ger, über die Ausarbeitungen in den ersten beiden Bänden hinausgehender begriff-licher Überlegungen. Es ist sinnvoll, diese im Ausgang von drei wissenschaftsthe-oretischen und -geschichtlichen Klassikern und ihrer Rezeption anzustellen. Ich beziehe mich hier auf Ludwik Fleck (1896-1961), Thomas Samuel Kuhn (1922-1996) und Stephen Edelston Toulmin (1922-2009).

1. Erkenntnis im Denkkollektiv (Ludwik Fleck)

„Jedes Wissen hat“, so schreibt Ludwik Fleck, „einen eigenen Gedankenstil mit seiner spezifischen Tradition und Erziehung“1. Er zielt mit dem Begriff Denkkol-lektiv weniger auf das Verstehen innerhalb genau abgegrenzter wissenschaftlicher Gemeinschaften, sondern vielmehr auf Prozesse in Gemeinschaften, die auf einer wissenschaftlichen Grundlage fußen, ohne nur aus Wissenschaftlern zu bestehen. Fleck definiert als Denkkollektiv die „Gemeinschaft der Menschen, die im Ge-dankenaustausch oder in gedanklicher Wechselwirkung stehen, so besitzen wir in ihm (dem Denkkollektiv, L.H.) den Träger geschichtlicher Entwicklung eines Denkgebietes, eines bestimmten Wissensbestandes oder Kulturstandes, also eines besonderen Denkstils“2.

Der Begriff des wissenschaftlichen Denkkollektivs ist, weil Fleck jede Art kul-turgemeinschaftlich vermittelten Erkennens als Denkkollektiv bestimmt, eine Spe-zialform des allgemeinen Denkkollektivbegriffs, der auf die wissenschaftlich sich fundierenden Kollektive hin spezifiziert wurde.

Denkstil ist für ihn ein „bestimmter Denkzwang und noch mehr: die Gesamtheit geistiger Bereitschaften, das Bereitsein für solches und nicht anderes Sehen und Handeln“3. Aus einem solchen Denkstil heraus entstünden und vergingen wissen-schaftliche Tatsachen4.

1 Fleck, Krise, 426. 2 Fleck, EET, 54f. 3 Fleck, EET, 85. 4 Vgl. Fleck, EET, 124 u.ö.

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BEGRIFFLICHE GRUNDLAGEN

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Fleck zählt sechs Bedingungen auf, unter deren Voraussetzung allein wissenschaftliche Er-kenntnisse über Tatsachen erzielt werden könnten1:

1. das sich zufällig bietende Material, 2. die richtungsweisende psychologische Stimmung, 3. die aus Fachgewohnheiten kollektivpsychologisch motivierten Assoziationen, 4. die unreduzierbare und retrospektiv nicht klar zu fassende erste Beobachtung, As-

soziation, Idee o.ä., 5. das langsame Bewusstwerden, die Erfahrungssammlung, und 6. das künstliche Ergebnis.

Das Denkkollektiv, das die denksozialen Voraussetzungen individuellen For-schens eröffne, sei in sich vielschichtig gegliedert. Fleck nennt zwei qualitativ un-terscheidbare Arten von Denkkollektivteilnehmern2. Jedes Denkkollektiv besitze erstens einen esoterischen und zweitens einen exoterischen Kreis von Teilneh-mern. Die Grundrelationen zwischen dem esoterischen und dem exoterischen Kreis seien, hinsichtlich der Beziehung der exoterischen Mitglieder zu den esote-rischen, das Vertrauen zu den Eingeweihten3, auf der anderen Seite, als Beziehung der esoterischen Mitglieder zu den exoterischen, die Abhängigkeit von der öffent-lichen Meinung4 des Denkkollektivs. Differenziere man das Verhältnis des exote-rischen zum esoterischen Kreis nicht qualitativ, sondern quantifizierend, so erhalte man den Übergang vom fachmännischen zum populären Wissen, d.h. den Über-gang vom speziellen Fachmann, als Mittelpunkt des esoterischen Kreises der an einem Problem arbeitenden Wissenschaftler, hin zu den allgemeine(n) Fachmän-ner(n), und den gebildeten Dilettanten bis hin zum populären Verständnis5.

Im Hinblick auf die Quantifizierung dieses Verhältnisses relativ auf die For-schungsergebnisse entsprächen diesen Spezialisierungsgrade der Zeitschriftenwis-senschaft, der Handbuchwissenschaft und der Lehrbuchwissenschaft als den Re-präsentanten fachmännischen Wissens bis hin zur populären Wissenschaft, die den größten Teil der Wissensgebiete eines jeden Menschen versorge. Die populäre Wissenschaft sei der speziell der Wissenschaft zugehörige „allgemeinwirkende() Faktor jedes Erkennens“6. Sie führe nicht in die Wissenschaft ein, sondern biete unter Wegfall von Details und Schulstreitigkeiten eine ästhetisch ansprechende Ausführung und apodiktische Wertung. Ihr Ziel ist es nicht, eine wissenschaftliche Lehrmeinung zu vertreten, sondern eine „Weltanschauung“ als ein „besonderes

1 Vgl. Fleck, EET, 117f. 2 Vgl. Fleck, EET, 138. 3 Vgl. Fleck, EET, 139. 4 Vgl. Fleck, EET, 139. 5 Vgl. Fleck, EET, 147f. 6 Fleck, EET, 148.

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EINFÜHRUNG IN DEN DRITTEN BAND

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Gebilde gefühlsbetonter Auswahl populären Wissens verschiedener Gebiete ent-stammend“1.

Die wissenschaftliche Weltanschauung bilde wiederum die öffentliche Mei-nung und wirke in dieser „Gestalt auf den Fachmann zurück“2. Sei etwa eine Me-tapher der Weg gewesen, um dem fachmännischen Wissen einen Weg zur populä-ren Wissenschaft zu bahnen, so könne es dann auch umgekehrt passieren, dass ei-ne Transformation und gefühlsmäßige Umwertung dieser Metapher wiederum zu einer neuen Sicht des fachmännischen Wissens führe. So sei auch das populäre Wissen für den Vollzug der Wissenschaft erkenntnistheoretisch bedeutsam.

Halten wir für unseren Kontext fest: Wissenschaft geschieht in einem kollekti-ven Rahmen, der nicht nur finanziell und prinzipiell ‚die‘ Wissenschaft unter-stützt. Wissenschaft ist vielmehr angewiesen auf den Halt innerhalb eines Denk-kollektivs, in dem sich eine richtungsweisende Stimmung ergibt, aus der heraus aus Fachgewohnheiten kollektivpsychologisch motivierte Assoziationen entstehen können. Diese wiederum stützen die Theoriebildung und führen zu Ergebnissen, die als wissenschaftliche Tatsachen präsentiert werden. Es gibt weiterhin eine In-terdependenz zwischen den esoterischen und den exoterischen Denkkollektivteil-nehmern. Diese Denkkollektivteilnehmer differenzieren sich in die speziellen Fachleute, die allgemeinen Fachleute und die gebildeten Dilettanten. Dieser Diffe-renzierung entsprechen die Spezialisierungsgrade der Zeitschriftenwissenschaft, der Handbuchwissenschaft, der Lehrbuchwissenschaft und der populären Wissen-schaft, wobei Letztere ihren Beitrag zur Begründung einer Weltanschauung leistet. Dabei kann es vorkommen, dass nicht nur gebildete Laien in der Fachliteratur ihre weltanschaulichen Interessen befriedigt finden, sondern dass sich hochrangige Wissenschaftler im populären und oft mehr als mittelmäßigen metaphysischen Standpunkt etwa eines New Age-Protagonisten philosophisch adäquat verstanden fühlen. Diese Weltanschauung wirkt dann zurück bis hin zu den speziellen Fach-leuten. Eine wichtige Rolle spielen in diesem interdependenten Prozess Meta-phern, die aus der Popularisierung fachwissenschaftlicher Erkenntnisse entstehen, im breiten weltanschaulichen Bereich entfaltet werden und in dieser Form wieder im fachwissenschaftlichen Bereich virulent werden. Hier sollen neomythische wissenschaftliche Weltanschauungen in ihrer Genese und Entfaltung in den Blick genommen werden.

1 Fleck, EET, 149f. 2 Fleck, EET, 150.

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2. Konversionen und neue Paradigmen (Thomas S. Kuhn)

Paradigmen konstituieren nach Kuhn durch „symbolische Verallgemeinerungen, Modelle und Musterbeispiele“1 eine wissenschaftliche Gemeinschaft. Sie seien nicht vorkonstruierbar, sondern würden im wissenschaftlichen Alltag im Vollzug verstanden und anerkannt.

Es gebe drei Grundarten von dergestalt differenzierten Paradigmen. Symboli-sche Verallgemeinerungen seien die formalisierbaren Bestandteile einer wissen-schaftlichen Auffassung, Modelle seien „Standardbeispiele einer Gemeinschaft“2, die immer wieder als exemplarisch angeführt würden und Musterbeispiele seien die grundlegenden Metaphern, Analogien und ontologischen Bestimmungen, durch die eine Theorie anschaulich werden könne.

Auf dem Hintergrund eines Paradigmas konstituiere sich normale Wissenschaft. Sie betreibe keine Grundlagenforschung mehr. Nachdem ein Paradigma eingesetzt sei, orientiere sie sich am Detail, um den Anwendungsbereich desselben zu erkun-den.

Normale Wissenschaft sei eine Harmonisierungsbemühung hinsichtlich des Verhältnisses von Theorie und Fakten, die sie in „Schublade(n)“3 einordne. Kuhn spricht provozierend vom „puzzle-solving“, dem „Rätsellösen“4 und vergleicht ihre Tätigkeit weiter mit einem „Geduldsspiel“5 bzw. einem „Kreuzworträtsel“6. Normale Forschung sei nicht bestrebt, Neuheiten hervorzubringen, sondern interessiere sich für die spezifische Art des Weges, wie erwartetes Verhalten des Untersuchungsgegenstandes erreicht werden könne.

Die theoretische Frage nach den verwandten Regeln und ihrer Triftigkeit werde der normalwissenschaftlichen Forschung erst dann wichtig, wenn die Gestaltungskraft eines Paradigmas schwinde. Die Normalwissenschaft strebe nicht nach tatsächlichen und theore-tischen Neuheiten und finde auch keine, wenn sie funktioniere, sondern sie bewege sich im Bereich kniffligen Rätsellösens.

Normale Wissenschaft unterscheide sich grundlegend von der außerordentlichen Wissenschaft7, die dann beginne, wenn nicht zu leugnende Widerstände im Fak-tenmaterial aufträten. Neue Entdeckungen begännen damit, dass wenn eine Ano-malie bewusst werde, der anomale Bereich explizit befragt und dann die For-schung den untersuchten Gegenstand vom anomalen Fall zum erwarteten Ergebnis führen würde. In einer solchen Phase verstärkter fachwissenschaftlicher Unsicher-heit funktioniere dann plötzlich das Rätsellösen nicht mehr. Es zeichne sich eine

1 Kuhn, Paradigma, 393. 2 Kuhn, Paradigma, 401. 3 Kuhn, SWR, 45. 4 Kuhn, SWR, 59. 5 Kuhn, SWR, 60. 6 Kuhn, SWR, 60. 7 Vgl. Kuhn, SWR, 117.

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mögliche wissenschaftliche Revolution ab. Man suche nach neuen Regeln, Theo-rieversionen wucherten, und endlich entstehe eine neue breit akzeptierte Theorie als gültige Antwort auf die Krise.

Wie gestalteten sich die Reaktionen der Wissenschaftler auf eine Krise im Ein-zelnen? Anomalien würden, so Kuhn, zunächst einmal nicht als Gegenbeispiele zum Paradigma behandelt, wenn nicht ein anderer Paradigmaanwärter bereitstehe. Würde man ein Paradigma ablehnen, ohne dass eine Alternative vorhanden wäre, würde man die Wissenschaft im Ganzen ablehnen müssen. So wucherten Para-digmaversionen, doch die meisten Wissenschaftler warteten, bis zukünftige Praxis des Rätsellösens die Probleme erledigt habe. Wenn eine Anomalie eine neue echte Krise und die Heraufkunft eines neuen Paradigmas kausieren solle, müsse sie mehr sein als nur eine singuläre Anomalie. Sie müsse deutlich das Paradigma in Frage stellen, besonders wichtige Anwendungen der Theorie verhindern und lang-sam im Bewusstsein der Wissenschaftler bedrückend werden1. In dieser Situation könne eine Anomalie vom bloß besonders schwierigen Rätsel zur Hauptaufgabe einer Disziplin werden.

Schmiegten sich noch die ersten Lösungsvorschläge eng an das geltende Para-digma an, so erforderten spätere neue Versuche mehr oder weniger entscheidende Paradigmenpräzisierungen bis hin zu kaum mehr rechtfertigbaren „ad hoc-Anpassungen“2 des alten Paradigmas an die neue Situation, so dass endlich ein neuer Paradigmaanwärter auftauche.

„In einem gewissen Sinn … können sie sogar die Welt umwandeln“3. Die Paradigmaneubegründung erfordere nicht mehr normalwissenschaftliche

Arbeit, sondern außerordentliche Forschung, die aber nur geleistet werde, um endlich wieder zu neuem Rätsellösen gelangen zu können.

Entstehe ein neues Paradigma (meistens durch Aussterben der konservativen äl-teren Vertreter des alten Paradigmas4), so hätten wir es mit einer „wissenschaftli-chen Revolution“ zu tun5. Diese sei eine Umwälzung wissenschaftlicher Theorie-bildung, die nur als grundlegender „Gestaltwandel“6 verstanden werden könne – denn der „Wettstreit zwischen Paradigmen kann nicht durch Beweise entschieden werden“7.

Zwar würden wissenschaftliche Revolutionen retrospektiv meist nicht als sol-che, sondern als Erweiterungen wissenschaftlicher Erkenntnis angesehen und

1 Vgl. Kuhn, SWR, 116f. 2 Kuhn, SWR, 117. 3 Kuhn, SWR, 146. 4 Kuhn zitiert hier (SWR, 200) Planck, 1928, 22: „Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt

sich nicht in der Weise durchzusetzen, daß ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern vielmehr dadurch, daß die Gegner allmählich aussterben und daß die her-anwachsende Generation von vornherein mit der Wahrheit vertraut gemacht ist“.

5 Vgl. Kuhn, SWR, Kap. 9 und 10. 6 Kuhn, SWR, 165. 7 Kuhn, SWR, 196.

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Wissenschaftsgeschichte nach gelungener Revolution kumulativ gedeutet, doch sei dies nur der Versuch der Vertreter des geltenden Paradigmas die gesamte Wis-senschaftsgeschichte auf sich zu beziehen.

Der Übergang von einem zum anderen Paradigma findet nach Kuhn gerade nicht kumulativ und als Moment eines teleologisch deutbaren Prozesses statt, son-dern so, dass Wissenschaftler plötzlich unterschiedliche Dinge in unterschiedli-chen Welten ‚sehen‘. Paradigmen sind nach Kuhn einander inkommensurabel. Die Orientierung an einem neuen Paradigma beruhe auf einer nicht wissenschaftlich-argumentativ erzwingbaren Konversion1 und setze sich eben meist erst durch das Aussterben der Gegner allgemein durch. Entscheidend sei letztlich der Glaube an die rätsellösende Kraft des neuen Paradigmas2.

Damit schließt sich für Kuhn der Kreis. Ein neues Paradigma sei aufgetaucht und ermögliche neue rätsellösende Normalwissenschaft. Dies werde solange gut gehen, bis wiederum spezifisch paradigmasprengende Anomalien aufträten, die auf die Heraufkunft eines neuen Paradigmas hinwiesen. Kuhns Modell ist umstrit-ten3. Es hat allerdings zweifellos eine analytische Kraft und wird unter diesem Ge-sichtspunkt von mir nutzbar gemacht werden.

Es gibt aber noch einen anderen Grund, warum Kuhns Paradigmentheorie hier angeführt wird. Neben dem in Politiker- und Esoterikerkreisen beliebten ‚dumm-deutschen‘4 Ausdruck Quantensprung für einen vermeintlichen Meilenstein im Erkennen und Handeln ist auch der Terminus Paradigma und besonders die Ver-bindung Paradigmenwechsel beliebt. Die von Kuhn verwandte Metapher der Konversion kann in Verbindung mit seiner Konzeption eines ein neues Sehen er-möglichenden Gestaltwandels schon bei ihm selbst nicht grundlos irritieren: „Be-vor der Wissenschaftler auf das neue Paradigma umschaltete, lief sein Denken in völlig anderen Bahnen … Sein Umschalten (switch) auf das neue Paradigma und sein Auffinden des neuen Paradigmas müssen also sozusagen identisch sein“5. In-sofern haben sich auf Kuhn berufende Vertreter neomythischen Denkens nicht ganz Unrecht, wenn sie vermeintlich umwälzende Erkenntnisse einer Wissen-schaft gern und oft mit dem Wort Paradigmenwechsel belegen und diesen dann in einem zweiten Schritt noch dazu metaphysisch aufladen.

1 Vgl. Kuhn, SWR, 200. 2 Ähnlich argumentiert (gleichsam vom ,gesunden Menschenverstand‘ her) Meynell, 1975, 85:

„Even if one admits that there is a sense in which advocates of rival paradigms live within different ,worlds‘, there is a sense in which these ,worlds‘ do have points of contact“.

3 Solider Ausgangspunkt für die Diskussion ist immer noch Masterman, 1974. 4 Vgl. dazu Henscheid/ Lierow/ Maletzke/ Poth, 1985 und Lierow/ Maletzke/ Poth, 1986. 5 Watkins, 1974, 35.

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3. Weltanschaulich geprägte kollektive Erkenntnis (Stephen Toulmin)

„Durch welche historisch-gesellschaftlichen Vorgänge und gedanklichen Verfah-ren wandeln sich Begriffspopulationen und Theorien – die Methoden und Werk-zeuge der kollektiven Erkenntnis – und entwickeln sich bei ihrer Weitergabe von einer Generation zur nächsten?“1 ist die Leitfrage von Stephen Toulmin in seinem Buch über die Kritik der kollektiven Vernunft (1972).

Kollektive Erkenntnis habe sowohl eine „persönliche“ als auch eine „gemein-schaftliche Seite der Begriffsverwendungen“2 und spiegele „Lebens- und Denk-formen, Erkenntnis- und Ausdrucksformen wider“, die als Ergebnisse der „Kul-turgeschichte und -vorgeschichte“3 zu bewerten seien.

Um Toulmins Gedankenverlauf für unsere begriffliche Selbstvergewisserung näher zu erläutern, fragen wir, wie abgegrenzte intellektuelle Disziplinen4 entste-hen.

Wodurch konstituiert sich ein geistiges Unternehmen als eine eigene Disziplin? Diese Frage impliziert zugleich eine andere: Es gibt nicht eine nur momentane Astronomie, denn die Astronomie hat eine lange Tradition und hat Ursprünge bei-spielsweise bei babylonischen Priestern, die die Gestirnsgeister beobachten woll-ten, es gibt nicht nur heutige Theologie, denn heutige Theologie fußt auf der Schrift, den Vätern, den Scholastikern etc. Was macht die späteren Phasen zu legi-timen Erben der früheren Phasen einer Wissenschaft? Toulmin sagt, und hier un-terscheidet er sich von Kuhns Inkommensurabilitätsthese, dass es eine in ihrer Be-deutsamkeit für den Wissenschaftsvollzug nicht zu unterschätzende Genealogie der wissenschaftlichen Probleme5 gebe, die allen anderen Kontinuität stiftenden Faktoren zugrundeliege. Die Legitimität späterer Modelle und Begriffe bestehe darin, dass diese die Probleme lösten, vor denen die älteren versagt hätten. Das Bewusstsein des Versagens eines ‚älteren‘ wissenschaftlichen Begriffs setze aber wiederum eine gewandelte Problemsituation, die Geschichtlichkeit von Problemen selbst, voraus. Diese einer Wissenschaft sich bietenden Probleme ergäben sich aber nicht aus der sich entfaltenden logischen Explikation einer Wissenschaft, sondern aus historischer Konstellation.

Wissenschaftler stützten sich in ihrer Erklärungspraxis meistens weniger auf strenge Deduktionen und formal exakte Darstellungen, sondern eher auf ästheti-sche Realisationen von Argumenten (Schaubilder, Datenverarbeitungsprogramme, Metaphern etc.). Gerade diese Art von Erklärung ermögliche erst die Weitergabe der Ideen einer Disziplin, die „Enkulturation“6 einer neuen Wissenschaftlergenera-

1 Toulmin, ME, 42. 2 Toulmin, ME, 51f. 3 Toulmin, ME, 53. 4 Toulmin, ME, 174. 5 Vgl. Toulmin, ME, 179. 6 Vgl. Toulmin, ME, 190.

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tion, durch die sie erst eine weitergebbare Gemeinschaftsseite erhalte. Die Menge der Ideengehalte, die zur Gemeinschaftsseite einer Disziplin, nicht zu den persön-lichen Metaphern und Spezialauslegungen eines einzelnen Forschers gehöre, sei der Weitergabegehalt1 einer Theorie.

Der Begriff des Weitergabegehaltes disjungiere sich in die Arten der (1) „gegenwärtigen Erklärungsziele der Wissenschaft“, des (2) „gegenwärtige(n) Vorrat(s) an Begriffen und Er-klärungsverfahren“ und der (3) „summierten Erfahrung der Wissenschaftler, die in dieser Disziplin arbeiten“2.

Im Begriff des Weitergabegehaltes liegt schon der Bezug auf die Geschichtlichkeit der Weitergabe. Wie modifiziert sich der Weitergabegehalt in einem kollektiven geistigen Unternehmen? Wie werden Ideenvarianten3 akzeptiert?

Zwar könne die „Initiative des Einzelnen … zur Entdeckung neuer Wahrheiten führen, doch die Entwicklung neuer Ideen ist eine Gemeinschaftssache“4.

Ein neuer Gedanke müsse als kollektiv bemerkenswert5 akzeptiert werden. Not-wendig sei, dass ein Theorievorschlag zur Lösung aktuell empfundener Theorie-probleme dienen müsse, wenn er realisiert werden solle.

Die gewohnten Argumentationsweisen könnten zu spezifisch sein, um neue Si-tuationen zu erfassen. So entstehe der Übergang von der „,gesetzesbezogenen‘ zur ,gewohnheitsrechtlichen‘ Argumentation“6. Die Wissenschaft beginne sich dann selbst in Bezug auf ihren historischen Ort zu befragen. Das Selbstbild von Wis-senschaftlichkeit müsse plötzlich mit Bezug auf die Vergangenheit reflektiert und entworfen werden, um den eigenen Ort und damit die Präsentation einer Ideenva-riante als Kontinuität wahrende zu markieren. Ineins mit dem Blick zurück auf die Vergangenheit werde dabei auch mit dem Blick auf die Zukunft von dieser Ver-gangenheit her argumentiert. Es werde die Frage gestellt, ob die nicht logisch, sondern realistisch absehbaren Konsequenzen des vorgeschlagenen Weges Prob-lemlösungen gewährleisteten, die zugleich die fachwissenschaftliche Identität, ih-ren Weitergabegehalt, nicht zerstörten. Wissenschaftler lebten in ihren Antworten auf derartige Probleme weiterhin auch ihre Grundhaltungen und Weltanschauun-gen in ihrer Disziplin aus und störten wie beförderten dadurch den Gedankenaus-tausch7.

Die lehrbuchmäßige Verfahrensweise in der Vorstellung von Wissenschaft referiere Wege und Ergebnisse in objektivistischen Wendungen, etwa ,es war bekannt …‘, ,man wusste

1 Toulmin, SWR, 189. 2 Toulmin, SWR, 209. 3 Vgl. Toulmin, SWR, 242. 4 Toulmin, SWR, 243. 5 Vgl. Toulmin, SWR, 243. 6 Toulmin, SWR, 279. 7 Vgl. Toulmin, ME, 13.

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…‘, ,es wurde gezeigt …‘ etc. Wissenschaftliche Probleme und Errungenschaften würden so entpersönlicht und damit zugleich auch ungeschichtlich dargestellt, um die Objektivi-tätsbezogenheit der Disziplin zu pointieren. Individualität trete dann höchstens in Störfaktorfunktion oder als singuläre Heldentat auf.

Eine wissenschaftliche Profession ist nach Toulmin als ein geschichtliches Gebil-de zu betrachten, dessen institutionelle Entwicklung interdependent zu der von ihr realisierten wissenschaftlichen Disziplin verläuft. Die gleichen kollektiven Inte-ressen verliehen diesen beiden Seiten eines Vernunftunternehmens Kontinuität und Gestalt. Im Kontrast zur lehrbuchmäßigen, unpersönlichen Exposition von wissenschaftlichen Ergebnissen erlangten neue Ideen wie wissenschaftliche Insti-tutionen und Publikationen ihren Stellenwert durch einzelne einflussreiche Men-schen, geschichtliche Aufgaben, politische Entscheidungen u.v.m. Der Wissen-schaftler arbeite nicht dergestalt rational, dass er seine Theorie stringent formal entwickele. Statt Schritt für Schritt logisch zu rekonstruieren und zu konstruieren, versuche er vielmehr schöpferisch aus akuter Problemlage heraus neue Argumente und Problembewältigungsmöglichkeiten zu erkunden, die Weltgestaltung ermög-lichten.

Die Gestalt eines kollektiven Vernunftunternehmens, die anhand Toulmins her-ausgearbeitet wurde, kann sich auch zur Betrachtung anderer kollektiver Unter-nehmungen als nur abgegrenzt wissenschaftlicher Disziplinen eignen. Vorausge-setzt ist nur, dass das kollektive Unternehmen auf der Basis eines gemeinsamen unbestrittenen Zieles oder Ideals beruht, das vernunftgemäß realisiert werden soll. In diesem dritten Band untersuchen wir kollektive Vernunftunternehmen, die auf einer expliziten oder suchenden Neomythologie beruhen und sich auf den Weitergabegehalt einer grandiosen Welterklärung bzw. Selbstgestaltung beziehen.

4. Neomythische Kolportage als erhoffter Paradigmenwechsel

Im Verlaufe der Untersuchung werden wir sehen, dass manche wissenschaftlichen Denkkollektive ihre Virulenz und innere Dynamik durch zwei einander ergänzen-de Motive bekommen, die ihre innere Einbettung in einer kollektiven psychologi-schen Situation haben. Im Hinblick auf die exoterischen Mitglieder eines wissen-schaftlichen Denkkollektivs ist es dort die Erwartung eines grundlegenden Para-digmenwechsels, der mit der Verbindlichkeit der empirischen Wissenschaft zu-gleich Grundfragen des Lebens beantwortet und lösbar macht. Einige dieser exote-rischen Erwartungen beziehen sich auf neomythische Interessenlagen und nur die-se werden hier untersucht.

Die esoterischen Mitglieder dieses Kollektivs sind wiederum manchmal inte-ressiert an einem metaphysischen Paradigma, welches innerwissenschaftlich die

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wissenschaftlichen Maßstäbe geradezu sprengt. Die Romantik1 hat von einem Ge-nie geträumt, welches das Chaos der Sinnsplitter der Moderne zu einem umfas-senden und Halt gebenden Kunstgebilde zusammenfügt. Im zweiten Band habe ich zur näheren Erläuterung dieser kosmischen neomythischen Bedürfnislage den Begriff der Kolportage eingeführt.

Eine Kolportage ist ein Längeres Gedankenspiel, das aus unterschiedlichen Wer-ken oder Wirklichkeitsbereichen einen bisher ungewohnten und fremdartigen As-pekt (Kolportagetopos) herausarbeitet, durch den das Verstehen neue und oft fas-zinierende Maßstäbe angeboten bekommt, die zu einer Entscheidung über deren Triftigkeit herausfordern.

Eine wissenschaftsförmige2 Kolportage verabsolutiert unter dem Schein erfah-rungswissenschaftlicher Grundlegung Maßstäbe einer speziellen Disziplin und/oder auch mehrerer aktueller Leitwissenschaften, findet in diesen ihren Kol-portagetopos und deutet aus diesem die Teilbereiche des Lebens oder auch der Wirklichkeit im Ganzen.

Eine wissenschaftsförmige neomythische Kolportage verknüpft ihre Deutungen mit der Idee einer Aufhebung der menschlichen Endlichkeit auf der Basis höherentwickelter Wissenschaften. Eine solche Art der Kolportage will ich im Ausgang der scientologischen Theorie des Urstoffs Theta terminologisch auch als Thetawissenschaft fassen.

In der Sehnsucht nach dem grandiosen Verstehen der Welt in der Kolportage eines übergreifenden metaphysischen Paradigmas finden wir dieses romantische Interesse wieder.

Es taucht die Vision eines wissenschaftsfundierten, d.h. ‚emphatisch objekti-ven‘, ‚empirischen‘ Blicks auf den kosmischen/ontologischen Zusammenhang der Dinge3 auf. Der als transzendentale Idee notwendige Bezug auf die Einheit von ‚Welt‘ macht so aus diesem Grenzbegriff von ‚Welt im Ganzen‘ etwas prinzipiell empirisch Zuhandenes (Heidegger), Beherrschbares.

Es gibt viele wissenschaftsförmige Kolportagen, die nicht neomythisch sind. Sie interessieren in diesem Zusammenhang nicht. Hier sollen ausschließlich die neomythischen wissenschaftsförmigen Kolportagen als Anwege zu und Entwürfe von Thetawissenschaft Thema sein und ich beziehe die folgenden begrifflichen Reflexionen nur noch auf diese.

Mit dem Paradigmenbegriff bietet sich einem grandiosen romantischen Verste-hen des Zusammenhangs der Dinge ein Ansatzpunkt wissenschaftliche, wissen-schaftsförmige und neomythische Interessenlagen miteinander zu verknüpfen. Die

1 Vgl. dazu Hauser, Bd. 1/146-181 und Schweizer, 2008. 2 Dieser schöne Terminus stammt von Matthias Werner. 3 Vgl. dazu Gebhard, 1984.

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vergangenen wissenschaftlichen Vorstellungen werden als im Erlöschen befindli-che Formen alter normaler Wissenschaft verstanden, die nun in einer wissen-schaftlichen Revolution abgelöst würden. Die eigenen Forschungen werden als Phase der außerordentlichen Wissenschaft und die eigene Person nicht selten als wegweisende Persönlichkeit, die das neue und eventuell endgültige Paradigma hervorbringe, gedeutet.

Wenn weiterhin ästhetisch bestimmte Realisationen von Argumenten im Kon-text der Weltanschauung eines Wissenschaftlers wesentlich für die kollektive Er-kenntnis sein können, kann der Stellenwert neomythischer Interessenlagen in man-chen wissenschaftsförmigen Diskussionen verständlich werden. Unter diesen Vo-raussetzungen kann die Genealogie wissenschaftlicher Problemstellungen sich nicht nur auf im engeren Sinne interdisziplinäre Maßstäbe beziehen, sondern auch auf einen Weitergabegehalt Bezug nehmen, der sich aus metaphysischer Interes-senlage heraus traditionell in der Geschichte einer Disziplin an diese anhängt. Toulmin bezieht sich hier auch auf die Vorgeschichte der Wissenschaft. So gehört etwa ein theologisches1 beziehungsweise astrologisches Interesse von Beginn an zur Astronomie und verlässt deren Randzonen nicht oder es verbinden sich weiterwirkende antike pagane oder christliche Theologie und Metaphysik mit der physikalischen Kosmologie.

Ich will, gleichsam als Ouvertüre, diese Zusammenhänge der letzten Abschnitte an einem Bespiel erläutern.

II. Eine exemplarische Verschränkung von weltanschaulichen und wissenschaftlichen Fragen: Der Raumfahrtwissenschaftler Harry O. Ruppe

Die Präastronautik geht im Gefolge Erich von Dänikens (*1935) von der Voraus-setzung aus, dass die Menschheit genetisches Produkt einer außerirdischen Rasse sei und dass unsere Kultur wesentlich durch deren genetisches Programm und de-ren Hilfe geprägt sei. Ihr Kolportagetopos ist das Eingreifen einer außerirdischen Intelligenz als Kulturstifter in die Menschheitsentwicklung, die die unterschied-lichsten ontogenetischen, paläontologischen, historischen und archäologischen Fragen beantwortbar mache (Pyramidengeheimnis, Evolution des Menschen und missing link, Rätsel der Naczkaebene etc.).

Ausführlich hat im November 1983 Harry Oskar Ruppe (*1929) diese damals so genannte AAS-Hypothese (ANCIENT ASTRONAUT SOCIETY-Hypothese) zum Thema gemacht. Stellen wir ihn zunächst vor.

1 Theologisch bzw. Theologie wird hier nicht nur im Hinblick auf monotheistische Religionen

verstanden.

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Ruppe promoviert über die Kosten bemannter Marsflüge, arbeitet später am MARSHALL SPACE FLIGHT CENTER in Huntsville für die NASA, wird dort Direktor des FUTURE PROJECTS OFFICE, verfasst das zweibändige Lehrbuch der Raumfahrt-technik Introduction to Astronautics (1966f), untersucht Fragen der bemannten und unbemannten Erforschung des Sonnensystems, wirkt an Vorhaben zur Erfor-schung des Mondes und der Planeten Mars und Pluto mit und wird später Profes-sor für Raumfahrttechnik der TECHNISCHEN UNIVERSITÄT MÜNCHEN.

Die Darstellung Ruppes – der sich selbst als „Freund“1 Erich von Dänikens be-zeichnet – gilt in Präastronautik-Kreisen als eine wesentliche wissenschaftstheore-tische Grundlage ihrer Variante von alternativer/Kultarchäologie.

In seiner Rede über Philosophische Gedanken zur AAS-Hypothese, die in der Mitgliederzeitschrift ANCIENT SKIES abgedruckt ist, formuliert er die AAS-Hypothese zunächst so: „Im Laufe der Erdentwicklung wurde unser Heimatplanet zumindest einmal von zumindest einer extraterrestrischen Zivilisation zur richti-gen Zeit besucht; dabei wurde die Entwicklung zum Menschen hin wesentlich be-einflußt“2.

Im Rahmen seiner Interpretation des Kritischen Rationalismus Sir Karl Rai-mund Poppers (1902-1994) versucht Ruppe den wissenschaftlichen Charakter der AAS-Hypothese vom Falsifikationismus her wissenschaftlich aufzuwerten.

Karl Popper wendet sich in der Logik der Forschung gegen den Versuch, wissenschaftliche Theoriebildung über „Wahrnehmungsprotokolle“3 zu gestalten. Er bringt durch die „Logik der Forschung“ gegenüber der „Logik der Sätze“ das von der „Philosophie kanonisierte Idealbild einer Einheitswissenschaft auf den Boden problemorientierter, tätiger und inter-subjektiv organisierter Sachforschung zurück“4.

Den Protokollsätzen des Wiener Kreises stellt er sein konventionalistisches Basissatz-konzept gegenüber, um die Bedingungen anzugeben, unter denen ein theoretisches System als falsifizierbar anzusehen ist. In einer ersten Umschreibung bestimmt er den ,Basissatz‘ folgendermaßen: „... in realistischer Ausdrucksweise kann man sagen, daß ein besonderer Satz (Basissatz) ein (singuläres) Ereignis darstellt oder beschreibt. Anstatt von den durch Theorie verbotenen Basissätzen zu sprechen, können wir dann auch sagen, daß die Theorie gewisse Ereignisse verbietet, d.h. durch das Eintreffen solcher Ereignisse falsifiziert wird“5.

Popper will den Begriff der „objektiven Wissenschaft“ scharf von „unserem Wissen“ unterscheiden. So bestimmt er die Basissätze näher als ihrer „Form“ nach „singuläre Es-gibt-Sätze“ (Beispiel: ,an der Raum-Zeit-Stelle k gibt es l‘). Diese singulären Es-gibt-Sätze lassen sich niemals aus einem allgemeinen Satz ohne Angabe spezieller Rahmenbedingun-gen deduzieren und sie lassen es zugleich zu, dass ein allgemeiner Satz mit ihnen in Diversität zu stehen vermag und der Basissatz diesen allgemeinen Satz entsprechend falsi-

1 Ruppe, 1996, 8. 2 Ancient Skies, Nr. 6/1983. Wiederabdruck der wesentlichen Auszüge in: Fiebag, 1985, 392-

394. 3 Popper, 1973, 63. 4 Bubner, 1977, 78-95, hier: 85. 5 Popper, 1973, 55.

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fizieren kann. Diese strenge Falsifikationsmöglichkeit macht Poppers Wissenschaftstheorie für Ruppe interessant.

Wenn (so Ruppes Popper-Interpretation) eine Hypothese wissenschaftlich genannt werden wolle, so müsse sie möglich und widerlegbar sein.

Von diesem Grundmerkmal einer wissenschaftlichen Hypothese her werde die Präastronautik dann erst in dem Moment als unwissenschaftliche Weltanschauung wissenschaftlich unhaltbar, wenn der strenge Beweis erbracht werde, dass die Er-de noch niemals von einer extraterrestrischen Zivilisation besucht worden sei.

Somit sei es die Zielsetzung der Präastronautik, zu beweisen, dass die Versu-che, das Nicht-Stattgefundenhaben eines extraterrestrischen Besuches auf der Erde zu beweisen, zum Scheitern verurteilt seien. Deshalb müsse sich die Präastronautik auf die Suche nach Indizien begeben, die – etwa archäologisch – nachweisen könnten, dass die Erde einen solchen Besuch hatte.

Die grundlegende Voraussetzung für den Sinn bzw. die – wie Ruppe formulie-ren würde – Möglichkeit dieser Hypothese bestehe darin, dass drei Faktoren als prinzipiell möglich angesehen werden.

Zunächst einmal werde erstens vorausgesetzt, dass die Möglichkeit bestehe, dass eine zureichend entfaltete extraterrestrische Zivilisation zeitgleich mit der Vorgeschichte der Erde existiere. Diese Möglichkeit könne niemand bestreiten.

Ruppe geht zweitens von der Voraussetzung aus, dass interstellare Raumfahrt möglich sei.

Und er geht dabei drittens als Raumfahrtexperte noch weiter, wenn er behaup-tet: „Die Entwicklung raumfahrttechnischer Gedanken während der letzten zwei Jahrzehnte läßt diese Aussage als wahrscheinlich erscheinen“1.

Wenn also eine solche Zivilisation existiere und weiterhin interstellare Raum-fahrt nicht nur möglich sei, sondern auch verwirklicht werde, dann könne eine ex-traterrestrische Zivilisation „entsprechend der Hypothese der Prä-Astronautik handeln“2.

Ruppe schreibt abschließend im Hinblick auf seine Popper-Interpretation: „Die Hypothese der Prä-Astronautik ist … in der genannte Formulierung grundsätzlich nicht widerlegbar, weil keine ihrer drei Voraussetzungen als falsch beweisbar ist (das wird durch die Größe des Kosmos praktisch garantiert)“3.

Diese Argumentation enthält eine Immunisierungsstrategie (Popper) und lässt an das Bei-spiel vom unsichtbaren Gärtner denken: Anthony Flew (1919-2010) hat zur Charakterisie-rung einer anthropomorphen und zugleich sich immunisierenden Rede von Gott das Bild

1 Fiebag, 1985, 393. 2 Fiebag, 1985, 393. 3 Fiebag, 1985, 393.

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Band 3

Die Fiktionen der Science auf dem Wege in das 21. Jahrhundert

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Achter Hauptteil: Quantenphysik – Quantenmetaphysik – Quantentherapie

§ 28 Quantenphysik im Absprung zur neomythischen Metaphysik

I. Grundzüge der Quantenphysik in erkenntnistheoretischer Problembetrachtung

1. Die klassische Physik Newtons und die mechanistische Versuchung

Mit Isaac Newtons (1643-1727) Schrift Philosophiae naturalis principia mathe-matica (1687) wird die Mechanik als physikalische Disziplin begründet. Die Be-wegungen von Teilchen scheinen auf kausal eindeutige Weise beschrieben werden zu können1.

Das erste newtonsche Gesetz lautet: „Jeder Körper beharrt in seinem Zustand der Ruhe oder der gleichförmigen geradlinigen Bewegung, wenn er nicht durch einwirkende Kräfte gezwungen wird, seinen Zustand zu ändern“2. Die gleichför-mige Bewegung eines ‚Körpers‘ kann damit ohne die sich von Aristoteles (384-322 v. Chr.) herleitende, popularisierte Vorstellung einer dauernd wirkenden Kraft vorstellbar gemacht werden3. Es handelt sich bei diesem Trägheitsgesetz nicht um ein experimentell nachprüfbares Gesetz, sondern um ein Axiom, das einen neuen Prinzipienbereich begründet.

Damit wird eine von der Metaphysik absehende populäre Rezeption der aristo-telischen Vorstellung von Bewegung, als etwas, das eine ständige Krafteinwir-kung benötige, gekippt.

Das zweite Gesetz beschreibt – wie Newton durch die Analyse von Stoßprozes-sen von Massen nachweist – den Zusammenhang zwischen der Kraft � und der durch sie verursachten Beschleunigung � eines Körpers.

„Die Beschleunigung ist der einwirkenden Kraft proportional und erfolgt in Richtung derjenigen geraden Linie, nach welcher jene Kraft wirkt“4. Das dritte newtonsche Gesetz entspringt alltäglicher Erfahrung und experimenteller Rekon-struktion. „Wirkung und Gegenwirkung entsprechen einander, oder die Wirkun-

1 Vgl. dazu etwa: Bergmann/ Schäfer/ Dorfmüller, 1998, 94-125. 2 „Lex I. Corpus omne perseverare in statu suo quiescendi vel movendi uniformiter in direc-

tum, nisi quatenus illud a viribus impressis cogitur statum suum mutare“ (Newton, 1726, 13, Übersetzungen im Folgenden L.H.).

3 Zum Hintergrund gängiger Rezeptionswege vgl. Müller, 2006. 4 „Lex II. Mutationem motus proportionalem esse vi motrici impressae, et fieri secundum

lineam rectam qua vis illa imprimitur“ (Newton, 1726, 13).

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gen zweier Körper aufeinander sind stets gleich und von entgegengesetzter Rich-tung“1.

Auf der Basis des dritten Gesetzes kann Newton den Körper idealisiert als ei-nen materiellen Punkt fassen, von dessen Ausdehnung abstrahiert werden kann. Mit diesem Massenpunkt-Modell liegt eine deutliche Grenze der Interpretation der klassischen Physik als einem als direkt lebensweltlich wahrnehmbaren Theorie-modell vor. Damit rückt – was später wichtig werden wird – die klassische Physik schon an diesem Anfangspunkt aus dem Bereich der alltäglichen Anschaulichkeit heraus und es erscheint eine prinzipielle Gemeinsamkeit mit der Quantenphysik. Newton führt in diesem Zusammenhang auch den Begriff des Impulses ein. Der Impuls � wird definiert als das Produkt aus der Masse � und der Geschwindigkeit � eines Körpers (� = � × �). Das anschließende, auch viertes Gesetze genannte, corrolarium über das Parallelogramm der Kräfte bringt den später in der Quanten-physik wichtigen Gedanken einer Additivität von Kräften ins Spiel2.

Wenn man in der Physik Newtons den Ort, die Geschwindigkeit und die Masse und damit Ort und Impuls kennt, scheint sich eine Grundlage zur Beschreibung aller physikalischen Vorgänge und Erscheinungen zu ergeben.

Mit Massenpunkt, Geschwindigkeit, Beschleunigung (Fallgesetze), Impuls, den drei newtonschen Axiomen der Mechanik, dem Gravitationsgesetz und der von Newton und Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) parallel erarbeiteten Diffe-rential- und Integralrechnung ergeben sich im 18. Jahrhundert die elementaren Grundlagen der Physik bis ungefähr 1900. Eine letzte Vertiefung erhält diese klas-sische Physik durch den durch Julius Robert Mayer (1814-1878) und Hermann Ludwig Ferdinand von Helmholtz (1821-1894) Mitte des 19. Jahrhunderts entwi-ckelten Energiebegriff.

Newton hat sich hinsichtlich der in die Metaphysik hineinreichenden Konse-quenzen seiner Theorie zurückgehalten. Am Ende seiner Philosophiae naturalis principia mathematica schreibt er als Schlusssätze: „Ich habe bisher die Erschei-nungen der Himmelskörper und die Bewegungen des Meeres durch Schwerkraft erklärt, aber ich habe nirgends die Ursache der letzteren angegeben. Diese Kraft rührt von irgendeiner Ursache her … Ich habe noch nicht dahin gelangen können, aus den Erscheinungen den Grund dieser Eigenschaften der Schwere abzuleiten, und Hypothesen erdenke ich nicht … Es genügt, daß Schwere existiere, daß sie in nach den von uns dargelegten Gesetzen wirke und daß sie alle Bewegungen der Himmelskörper und des Meeres zu erklären imstande sei“3.

1 „Lex III. Actioni contrariam semper et aequalem esse reactionem: sive corporum duorum

actiones is se mutuo semper esse aequales et in partes contrarias dirigi“ (Newton, 1726, 14). 2 Vgl. Newton, 1726, 14. 3 Newton, 1726, 530. Auf diese Stelle macht Szabo, 1996, 18 aufmerksam.

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Das mechanistische Weltbild macht aus dieser vorsichtigen erkenntnistheoreti-schen Perspektive im 18. und 19. Jahrhundert eine Weltanschauung, die den gan-zen in sich geschlossenen Kosmos als großen Mechanismus begreift1.

Demokrits (460-371 v. Chr.) atomistisches Weltbild kann in dieser Zeit seine letzte Erfüllung finden. Die klassische Physik scheint eine bruchlose Determinie-rung des Weltprozesses nachweisen zu können. Berühmt wurde der Ausspruch von Pierre-Simon Marquis de Laplace (1749-1827), der, die Metaphorik eines den absoluten Standpunkt einnehmenden Jenseitsreisenden2 verwendend, 1814 schreibt: „Ein Geist, der für einen Augenblick alle Kräfte kennte, welche die Natur beleben, und die gegenseitige Lage aller Wesenheiten, aus denen sie besteht, müß-te, wenn er umfassend genug wäre, um alle diese Daten der mathematischen Ana-lyse unterwerfen zu können, in derselben Formel die Bewegung der größten Himmelskörper und des leichtesten Atoms begreifen, nichts wäre ungewiß für ihn, Zukunft und die Vergangenheit lägen seinem Auge offen dar“3.

Diese physikalische und allgemein in die Erfahrungswissenschaften naturphilo-sophisch ausgeweitete Erkenntnisutopie kann sich nicht lange halten. Der Prozess der ‚Idealisierung‘ und Abstraktion vom alltäglichen Objekt geht weiter. In der Physik des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts beginnen immer mehr noch scheinbar anschauliche Voraussetzungen der klassischen Physik zu bröckeln und leiten den Aufstieg der Quantenphysik ein. Wo aber die Anschaulichkeit schwindet, da nimmt die Sehnsucht sie zu erzeugen zu. Physikalistisch ausgerich-tete populäre Naturphilosophie tritt im Namen der Physik auf den von Immanuel Kant (1724-1804) in der Vorrede zur Kritik der reinen Vernunft (1781) so schön benannten „Kampfplatz“ der Metaphysik.

2. Grundmuster der Quantenphysik

a. Die Unanschaulichkeit der Physik und ihre Konsequenzen Für den Mathematiker ist die Mathematik zunächst ein System hypothetischer Sätze der folgenden Art: Wenn Zeichensysteme die Eigenschaften a und b besit-zen, dann besitzen sie auch noch die weiteren Eigenschaften c, d, e usw. In dieser Hinsicht ist die Frage nach den empirischen Eigenschaften mathematischer Zei-chen für den Mathematiker nicht bedeutsam.

1 Vgl. dazu Hauser, Bd. 1, 189-196. 2 Vgl. dazu Hauser, 2009, §20. 3 Zit. nach Zimmer, 1961, 27.

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„Logik und Mathematik stellen – im Hinblick auf die Anwendungen – ein System von Re-geln dar, nach denen aus gegebenen Sätzen andere folgen, wobei die Gültigkeit vererbt wird. Man spricht hier deshalb auch von Umformungen ‚salva veritate‘“1.

Wer heute Physik betreibt, ‚rechnet‘ manchmal bei formalen Ableitungen und ab-strahiert dabei methodisch von der physikalischen Bedeutung der Formeln. Es ist unproblematisch, dass manchmal Ergebnisse zustande kommen, die keinen physi-kalisch brauchbaren Sinn haben. Ein Physiker muss trotzdem prinzipiell diesen formalen Operationen reale Beobachtungsdaten korrespondieren lassen können. Für ihn ist die ontologische Frage nach dem Wirklichkeitsbezug der verwendeten formalen Denkfiguren wesentlich. Sinnvoll und notwendig ist zwar das zeitweise Untertauchen in den „reinen Formalismus“2 um seine reichen Möglichkeiten zu nutzen. Am Ende einer solchen Vorgehensweise steht dann allerdings trotz allem die Notwendigkeit, über wirkliche oder Gedankenexperimente zu einer physikali-schen Deutung der ‚errechneten‘ Ergebnisse zu kommen. Damit aber stellt sich das Problem, formal abgeleitete Aussagen als empirisch nachprüfbare Aussagen über die physikalische Wirklichkeit zu erweisen. Empirische Deutung heißt, dass es notwendig wird, empirischen Objekten oder Beziehungen Zeichen oder Zei-chenreihen zuzuordnen – wobei gerne übersehen wird, dass es sich bei diesem Akt der Zuordnung um einen Vollzug des Subjekts und nicht um ein objektivistisches Identifizieren handelt.

Eine besondere Art der empirischen Deutung mathematischer Aussagen ist die Deutung derselben aus Naturgesetzen. Hier werden die Individuenvariablen und -konstanten einer Formel, das heißt die Zahlen, als Maßzahlen von physikalischen Größen verstanden. Eine Formel wird dann als empirisch gültig bezeichenbar, wenn man zwar zusammengehörige, aber einzeln und unabhängig voneinander gemessene Werte der Variablen so in die Formel einsetzen kann, dass die Formel in jedem Einzelfall numerisch richtig ist.

Die oft scheinbare partielle Anschaulichkeit der klassischen Physik kommt unter anderem dadurch zu Stande, dass diese praktisch universal mit stetigen Größen und Funktionen gearbeitet hat, die bei aller Abstraktheit immer noch die Erleb-nistönung des alltäglichem Begreifen nachvollziehbaren Erkenntnisprozesses be-sitzen.

Schon die nicht unübliche Beschreibung zeigt diese vermeinte Anschaulichkeit: Stetig zu sein bedeutet, dass die Funktion nirgends eine Lücke hat, d.h. für alle a aus R gilt:

lim(x → a-) f(x) = lim(x -> a+) f(x); wobei lim(x -> a-) heißt, dass sich x von unten an a annähert, analog ist mit lim(x -> a+) die Annäherung von oben gemeint. Kurz gesprochen: eine Funktion ist stetig, wenn ich den Graphen in einem Zug zeichnen kann, die Funktion also nirgends eine Lücke besitzt. 1 Schleichert, 1966, 22. 2 Schleichert, 1966, 11.

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Wenn wir uns der Quantenphysik hingegen in der Logik eines alltäglichen und anthropologisch fundierten Begreifens nähern, ist die erste Erwartung von der wir Abschied nehmen müssen, die Vorstellung, ‚klassische Zustände‘ und ‚klassische Objekte‘ vorzufinden1.

„Die klassische Physik … sagt für bewegte Teilchen eine exakte Flugbahn mit exakt defi-nierten Werten für Ort und Impuls zu jedem Zeitpunkt voraus …“2.

Diese Perspektive scheint unserer im Allgemeinen objektivistisch orientierten All-tagserfahrung zu entsprechen, die vom erkenntnisleistenden Subjekt zu abstra-hieren pflegt. Die Alltagserfahrung bezieht sich aber nicht auf einzelne Atome und sorgfältige Experimente. Physikalisch betrachtet liegen der im weitesten Sinne be-obachtbaren Welt quantenmechanische Vorgänge zugrunde, die aber unsere Vor-stellungs- und Anschauungsmöglichkeiten transzendieren. Die alltäglichem Be-greifen eigene Selbstverständlichkeit einer Haltung, dass diesem oder jenem – selbst schon unanschaulichen – Massenpunkt in diesem oder jenem Augenblick diese oder jene Lage und Geschwindigkeit zukomme, lässt sich in der Quanten-physik nicht mehr einnehmen. Dies macht – wie wir später sehen werden – die metaphysikförmige Faszination der Quantentheorienwelt aus. Die gegenüber der klassischen Physik nun endgültig eindeutig kontraintuitiven und deutungsbedürf-tigen Züge der Physik als Quantenphysik rufen das Bewusstsein von Unanschau-lichkeit hervor und evozieren damit möglicherweise Übertretungen eines physika-lischen – d.h. in keiner Weise das transzendente Absolute betreffenden – ‚Bilder-verbotes‘ durch populäre Veranschaulichungen. Dies ist der Absprungpunkt für populäre Naturphilosophien, die die Quantenphysik weltanschaulich deuten.

Veranschaulichen wir diese dem alltäglichen Verstehen erkenntnistheoretisch heikle Situation im Ausgang von der Darstellung der – populär und fast sprich-wörtlich gewordenen – Unschärferelation.

b. Die Unschärferelation

Die Messung einer physikalischen Größe impliziert die Verbindung eines Mess-instrumentes mit der zu messenden Größe. Wenn man beispielsweise die Tempe-ratur einer Flüssigkeit messen will, dann kann man ein Thermometer in diese Flüssigkeit tauchen. Weil das Thermometer selbst eine gewisse Wärmekapazität besitzt, entnimmt es der Flüssigkeit eine kleine, prinzipiell bestimmbare Wärme-menge und verändert damit die Flüssigkeitstemperatur. Im makrophysikalischen Bereich spielt das meist keine praktische Rolle oder wenn doch, so kann man dies

1 Vgl. Küblbeck/ Müller, 2007. 2 Atkins/ Paula, 2006, 283. Vgl. Leisi, 2006, 35.

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experimentell oder durch nachträgliche rechnerische Korrekturen ausgleichen. Diese Art des Ausgleichs ist aber – wenn man so sagen will – ‚unnatürlich‘, weil sie eine messtheoretische Entscheidung des handelnden Subjekts ist. Es ist mög-lich und legitim – durch eine pragmatische messtheoretische Entscheidung – im makrophysikalischen Bereich die Interaktion zwischen Instrument und Objekt ent-sprechend klein zu machen. In der Atomphysik ist es gemäß der planckschen The-orie des Wirkungsquantums nicht möglich. Werner Heisenberg (1901-1976) ge-lingt es 1927, diese zur atomistischen Struktur von Materie und Energie gehörende Situation in seinem Aufsatz Über den anschaulichen Inhalt der quanten-theoretischen Kinematik und Mechanik mathematisch zu beschreiben. Diese Be-schreibung hat als Unschärferelation Wissenschaftsgeschichte gemacht.

Die Unschärferelation kann durch folgendes Gedankenexperiment1 verständlich gemacht werden: Wir stellen uns vor, es solle die Bewegung eines Elektrons in einem Wasserstoff-atom verfolgt werden. Dazu benutzt man ein Mikroskop, das mit kurzwelligen Gamma-strahlen arbeitet, um eine zureichende Auflösung zu erhalten. Um den Ort des Elektrons feststellen zu können, muss es durch ein Gammaquant getroffen werden und dieses Quant in das Mikroskop reflektieren. Um die Bewegung des Elektrons zu ermitteln, muss auch sein Impuls gemessen werden, der sich aus der bekannten Masse und der zu ermittelnden Geschwindigkeit errechnet. Weil das Elektron im Kontext der Ortsbestimmung mit dem Lichtquant in eine mathematisch nicht rekonstruierbare Interaktion getreten ist und sich dadurch in einem neuen Zustand befindet, ist diese Bestimmung nicht möglich. Aufgrund der Gammastrahlung hat das Elektron wahrscheinlich sogar das Atom verlassen. Es ist also prinzipiell nicht möglich, Ort und Impuls zugleich und damit die Bahn eines Elektrons zu beobachten. Jede Ortsbeobachtung macht den Impuls unbestimmbar. Daraus ergibt sich zunächst, dass im atomaren Bereich exakte Messungen von Einzelgrößen möglich und zu-gleich bestimmte zusammengehörige Größen nicht mit beliebiger Genauigkeit gemeinsam messbar sind.

Der erkenntnistheoretisch bedeutsam gewordene und populär rezipierte Gehalt von Heisenbergs Überlegungen zur Unschärferelation lässt sich folgendermaßen skizzieren2: Man betrachte in einem Gedankenversuch – weil man einzelne Elek-tronen nicht wie aus einem Gewehr abfeuern kann – ein Elektron aus einem Elek-tronenstrahl der sich parallel zur x-Achse mit der Geschwindigkeit x bewege.

1 Vgl. dazu auch Polkinghorne, 2006, 55f. 2 Ich beziehe mich hier besonders auf das unveröffentlichte Gießener Manuskript von Stahl,

o.J. Vgl. auch dazu analog: Haken/ Wolf, 2004, 68f.