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Nürnberg, 7.7.2001 H.-J. Bungartz: Von Erbsen, Rankings und Hochglanzbroschüren Folie 1 Hans-Joachim Bungartz Institut für Mathematik der Universität Augsburg 2. Nürnberger AbsolventInnentag der Sozialwissenschaften „Neue Herausforderungen des Lehrens und Lernens“ Von Erbsen, Rankings und Hochglanzbroschüren Die Alma Mater im Wettbewerbsstress

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Hans-Joachim Bungartz

Institut für Mathematik der Universität Augsburg

2. Nürnberger AbsolventInnentag der Sozialwissenschaften

„Neue Herausforderungen des Lehrens und Lernens“

Von Erbsen, Rankings und Hochglanzbroschüren

Die Alma Mater im Wettbewerbsstress

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Was will/soll ein Mathematiker bei den Sozialwissenschaften?

• Meine erste und bislang einzige Begegnung mit der Soziologie:Bettina Heintz: die innenwelt der mathematik, Springer, 2000:

„Wir reinen Mathematiker tragen zwar nichts zur Krebsbekämpfung bei, dafür sind wir aber auch nicht schuld an der Umweltverschmutzung!“ (ein ungenannter Gesprächspartner)Und die FAZ rezensiert (sozusagen als Quintessenz):

„Reine Mathematik ist Mathematik, die um ihrer selbst willen betrieben wird und vielleicht auch anwendbar ist, sich aber nicht durch Anwendungen rechtfertigt. Sie ist der Onan unter den Wissenschaften. Sie strebt nach innerer Befriedigung, hat aber kein Interesse daran, andere Disziplinen zu befruchten.“

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Aviso!

• Themenheft „Wettbewerb“ im Frühjahr 2001• Glosse zum Wettbewerb samt Exzessen an der Uni:

– Wettbewerb um Professoren: „die besten Köpfe?!“– Wettbewerb um Studenten: „viele, und nur die Besten!“– Wettbewerb um Reputation: Es leben die Erbsen!

• klassische Erbsen: Publikationszahl, Zitierhäufigkeit, ...• moderne Erbsen: Drittmittel, Start-ups, Medienpräsenz, ...

– Wettbewerb um Ressourcen: Stellen und Bares– Wettbewerb zwischen Hochschulen, Fakultäten, Lehrstühlen

• Fortschrittsjünger contra Bedenkenträger – der gesunde Menschenverstand bleibt auf der Strecke

• Magnifizenzen et al. auf der Suche nach dem Königsweg

• Im Fahrwasser: jede Menge Groteskes und Absurdes!

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Disziplinärer Amok oderWie alles begann

• Sprach der Limnologe zum Informatiker:

„Also ich empfehle Ihnen dringend, einen Limnologen einzustellen. Meiner Erfahrung nach können sich Limnologen blitzschnell das erforderliche Wissen aus Mathematik und Informatik aneignen, wohingegen andersherum Mathematiker und Informatiker über Jahre hinweg große Probleme haben, sich in Biologie und Limnologie einzuarbeiten, weil ihnen einfach das Prozessverständnis fehlt.“

(So geschehen auf einer SFB-Begutachtung in München 1997)

• Sprach der Philologe zur Presse:

„Ohne die Geisteswissenschaften wären den Skinheads an den Hochschulen doch Tür und Tor geöffnet.“

(So geschehen in Augsburg im Frühjahr 2000)

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Wettbewerb zwischen den Universitäten

• Wo alle hin wollen ...

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Wettbewerb zwischen Universitäten: Hochschulrankings

• Demnächst auch in Brigitte und Super Illu!• USA: harte Faktoren

– Dollars pro Student und Jahr (Spitzenreiter Caltech: 200k$)

– Lernende-zu-Lehrende-Verhältnis (Caltech: 3:1)– Durchhaltequote bei Studienanfängern– Erfolgsquote innerhalb der Regelstudienzeit– Heftigkeit der Selektion unter den Bewerbern

• Harvard: etwa jeder achte Bewerber wird genommen• deutsche Strategie bisher: Uni halt‘s Maul – lang lebe die

ZVS!• Konsequenz: in Harvard 95% ins Ziel, in D <70%, z.T. <5%!!• Deutschland neu: in einigen Fächern (z.B. Medizin) bis zu

20% Eigenvergabe durch die Hochschulen selbst• also: Gebt den Unis das volle Auswahlrecht! (G. Casper)• erster Schritt: Experimentierklausel in Bayern (TUM)

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Folgen akademischer Wettbewerbskultur

Mit Rankings leben ...1993 Zukunftsvision – und heute??

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Wettbewerb zwischen Universitäten: Hochschulrankings

• in Deutschland: viele weiche Faktoren– Frage an Papa Vorstandsvorsitzender: „Wohin

würden Sie Sohnemann oder Tochterfrau schicken?“– Frage an Professor X: „Was halten Sie denn von

Ihren Kollegen Y und Z?“– Frage an Otto Normalstudent: „Wie ist denn das

Studium hier an dieser Uni?“– bevorzugte Befragungsorte:

• vor Prüfungssälen• am Ausgang der Mensa

• daneben allerlei Erbsenfaktoren:– Publikationswut und Zitierwürdigkeit– Drittmittelaufkommen– ...

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Wettbewerb zwischen Universitäten: Hochschulrankings und mehr

• Die Alma Mater auf der Suche nach der Identität:– Lamento 1: „...von Zuständen wie an angelsächsischen

Universitäten weit entfernt ...“ (O. Meitinger)– Lamento 2: „Deutschen Universitäten mangelt es an

einer Corporate Identity!“ (W. A. Herrmann)

• der erste Schritt: Merchandising! (Sweatshirts & Co)

• Rankings können helfen: „Unsere Bauchchirurgen sind besser als Eure!“

• Alumni-Clubs, -Tage, -Treffen und -Veranstaltungen ebenso:– Alumni-Forum und Alumni-Homecoming an der TUM– Veranstaltungen wie die heutige

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Wettbewerb zwischen Universitäten:

Es darf geklaut werden!• Münchener Ruderwettkampf: LMU gegen TUM

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Wettbewerb zwischen Universitäten:

Das allmähliche Erwachen ...• Wecker: u.a. Roman Herzog 1999

– „... muffige Routine ...“– „... unsere Hochschulen in ihren alten Strukturen zentrale

Erwartungen der Studierenden nicht mehr erfüllen.“

• die Gremien reagieren:– ein Beispiel aus Augsburg: Rektor Bottkes Antrittsrede

1999– überall: emsige Hochschulräte– Invasion der Unternehmensberater– Aufwertung der Studiendekane– Lean Management (allerdings mit den Good Old Boys)– Evaluierungen noch und nöcher – Erbsen allenthalben– leistungs- und belastungsbezogene Mittelallokation

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Gewollte und ungewollte Pannen• Wettbewerb um Inhalte:

– Versagen in Eigenregie: Entwicklungspläne von Fakultäten und Universitäten

• philosophische Fakultäten an der Uni Augsburg: „Alles bleibt beim Alten, und das ist auch gut so!“

• math.-naturwiss. Fakultät an der Uni Augsburg: Mathematik, Physik, Geographie, Informatik – wer mit wem??

– verordnete Merkwürdigkeiten: Augsburg als Nukleus der Umweltkompetenz in Bayern (vivat HTO!)

• Wettbewerb um moderne Strukturen:„Ich frage mich nach 6 Jahren als Kanzler der größten brandenburgischen Hochschule, ob das Land Ministerien braucht, die Entscheidungen dort, wo sie solche treffen, sie so treffen, dass Reformansätze ... ad absurdum geführt werden, dort aber, wo die Ministerien gefordert wären, Entscheidungen ... zu treffen, diese eben nicht treffen, so dass die zu lösenden Probleme in zur Lösung unfähigen Strukturen versacken.“ Alfred Klein, Potsdam,

2000

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Wo Wettbewerb, da Werbung

• Grundfrage: Wie viel Geld für die Verpackung, und wie viel für die Schokolade?

• Wissenschaftspuritaner klassischer Prägung:– „Mogelpackung“, „Schnickschnack“, „unseriös“– „Die Würde der Universität ist in Gefahr!“– Ziel: mediale Bannmeile um den Elfenbeinturm

• marktorientierte Börsengangvorbereiter der Uni AG:– „absolut unverzichtbar!“– „professionell (also bunt, glänzend und teuer)

umzusetzen“– Ziel: Industriestandard (allerdings ohne Industrieetat!)– Angriff an allen Fronten:

• Internet-Auftritt: Homepage and more• Material zum Anfassen: Leaflets, Hochglanzbroschüren, ...

• Goldener Mittelweg?

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Wo Wettbewerb, da Werbung

• Realität heute:

Choose the best – go TUM!• Realität morgen:

Die bayerischen Universitäten – wir haben verstanden?

Uni Passau – aus Freude am Lernen?

Jo is denn heut‘ scho‘ Weihnachten?

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Internet-Auftritt – eine Extremposition

• Dann besser gar nicht ...

... aber wie bei amazon.com und Konsorten muss es ja auch nicht gerade sein!

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Printmedien: Hochglanz!!

• Hochglanzbroschüren, Leaflets, professionelles Layout, Corporate Identity – OK, aber Metabroschüren?

Einfalt in der Vielheit??

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Noch mehr Hochglanz!

• Hochglanzbroschüren, Leaflets, professionelles Layout, Corporate Identity – OK, aber Metabroschüren? Und mit solchen Weisheiten?

„Weißraum ist Freiraum“

Und zum Thema Zeichensatz/Schrift lernen wir:

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Die DFG und Hochglanz• Quintessenzen der Forschung (aus forschung, 3-4/1999):

– „Das rasche Wachstum des Marktes lässt neben verbesserten auch völlig neue Produkte erwarten.“

– „Bei der Leistungsaddition wird die Leistung vieler Halbleiterquellen summiert und – z.B. – einem Stecker zugeführt.“

– „Übrigens ein Summierprinzip, das bei jeder Frequenz eingesetzt werden kann.“

– „Waldbesitzer, Förster, Imker oder Mountainbiker sehen den Wald als Nutz- und Bewegungsraum unterschiedlich.“

– „Weggabelungen dienen als Orientierungshilfe.“

• Kurz: bahnbrechende Resultate, in professionellem Layout auf Hochglanz präsentiert!

• Übrigens: Auch mehrfacher (falscher) Gebrauch des Worts Exzellenz macht unsere Arbeit nicht exzellenter!

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Weitere Kapriolen• z.B. gestresste Businessplaner auf der Suche

nach ihrem Jour (sprich Schur) Fixe ...• oder professorale Elfenbeintürmler, die plötzlich

zu großangelegten Fundraising-Kampagnen ausschwärmen ...

• oder der Siegeszug unaussprechlicher multikultureller Unwörter wie entrepreneurial ...

• oder Spin-offs, deren Hauptzweck im Nachweis von Industriekontakten des jeweiligen Lehrstuhls liegt ...

• oder Start-upper, deren dot-com(e)-Enthusiasmus rasch einer dot-gone-Ernüchterung weicht ...

• oder ...

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Wettbewerb zwischen den Fächern

• der Tragödie erster Teil: das Selbstverständnis– Kulturwissenschaftler als Bollwerk der abendländischen

Zivilisation gegen jedwede Barbarei– Naturwissenschaftler als Garanten allen Heil bringenden

Fortschritts– Mathematiker als Gralshüter menschlicher Intelligenz– Ingenieurwissenschaftler als die geborenen Macher und

Führungspersönlichkeiten schlechthin

• der Tragödie zweiter Teil: das Bild von den anderen– Kulturwissenschaftler als schlicht und ergreifend

überflüssig– Naturwissenschaftler als a- oder unmoralisch und

skrupellos– Mathematiker als weltfremde Spinner– Ingenieurwissenschaftler als Kind gebliebene Bastler

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Ein Beispiel aus Erlangen

• Sonderbeilage über die Technische Fakultät der FAU, erschienen 9/00 in verschiedenen Regionalblättern

• Schnelltest: „Eigne ich mich zum Ingenieur?“• 7 Fragen, Antworten von 1 (trifft nicht zu) bis 5 (trifft

voll zu)

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Neue gegen Platzhirsche – der ewige Kampf

• immer dasselbe Spiel:– einst: Mechanik stört

Juristen/Mediziner/Theologen/Astronomen– dann: die Jünger Watts, Voltas und Ohms drängeln sich vor– heute: die Informatik expandiert

• Fazit: es gibt Ärger– Der Kuchen (schon aufgeteilt!) reicht nicht für aller Appetit.– Die Etablierten sehen die Tradition auf ihrer Seite.– Die Neuen sind en vogue und tragen die Nase hoch.

• Kampf ums Dasein:– eiserne Gustavs gegen die eiserne Bahn– Züge und Schiffe gegen Flieger– Verkehr zu Wasser, zu Lande und in der Luft gegen die

Datenhighways

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Mangelware Informatiker – Inderwahn in Deutschland

• Vor einem Jahr der Renner:

„Die ersten indischen Software-Spezialisten sind gestern am St. Pöltner Hauptbahnhof eingetroffen. Darunter auch der berühmte Hattemal Fatalerror (12. von rechts, winkend) und sein Freund Hit Ännikie Tukonntinnju (75. von links, lächelnd).“

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Die Nerven liegen blank (1)

• Empfang des Rektorats für die emeritierten und die neu berufenen Professor(inn)en

• Smalltalk bei Sekt und Schnittchen• erste Begegnung mit neuen Kolleg(inn)en

„Grüß Gott, Meier.“

„Angenehm, Schmidt – von welcher Fakultät sind Sie denn?“

„Mathematisch-naturwissenschaftliche Fakultät.“

„Ah ja, also einer von denen, die uns ständig etwas wegnehmen!“

Sprach‘s und wandte sich brüsk ab.

• Fazit: Gott sei Dank waren die Schnittchen gut!

So geschehen in Augsburg, Juli 2000 (Namen geändert )

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Die Nerven liegen blank (2)

• Ein Maschinenbau-Professor angesichts bekannt gewordener Umwidmungspläne der Hochschulleitung:

„Wie soll denn bitte die wachsende Weltbevölkerung ernährt werden, wenn an der TUM das Institut für Landmaschinen aufgelöst wird?“

„Wer ernährt denn die Menschen in Zukunft? Der abgestürzte Computer vielleicht? Nein, die Landmaschinen tun‘s!“

„Ein Institut mit einer so langen Tradition darf man nicht auflösen!“

• Die Schuldigen also

- die metastasierenden Informatiker mit ihren blöden Computern- der dreiste Präsident, der Besitzstände anzugehen wagt

• Übrigens: Ein Traktor macht auch niemanden satt!

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Die Nerven liegen blank (3)

• Dritter Vorbote akademischen Wahnsinns:– Habilitation im Fach Geographie– Habilitationsvortrag: Plädoyer für konventionelles

Erstellen und Deuten von Karten– Fazit am Schluss: „Geographische Informationssysteme

sollten aus dem Grundstudium herausgehalten werden, um nicht die solide Grundausbildung in klassischen Fertigkeiten eines Geographen zu verwässern.“

– auf penetrantes Nachfragen: „Sie müssen bedenken, dass konventionelle Karten viel flexibler und leichter transportierbar (sic!) sind als eine geographische Datenbank.“

• Mit dieser Argumentation würde unsereiner immer noch mit dem Rechenschieber hantieren und quälen!

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Versuch eines Fazits

• nicht allem, was zurzeit „sexy“ ist, blind nachlaufen• aber auch keine Glorifizierung oder Perpetuierung

bloßer Tradition• Flexibilität bei der Profilierung unerlässlich• studentische Nachfrage nicht ignorieren• Ausgleich zwischen Kontinuität und Aktualität• Ausgleich zwischen Inhalt und Verpackung• Versachlichung statt Ideologisierung der Diskussion• weg vom fakultären Denken: Fakultätsgliederung in

Deutschland ist ein Anachronismus! (der Streit um die Mechatronik etwa erinnert an Regina

Zindler)

• mehr Chancen dem gesunden Menschenverstand!

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Auf den Punkt gebracht:

• „Mit nur etwas gesundem Menschenverstand wäre alles ganz einfach – aber, wie Sie ja wissen, ist der in der Politik nicht zu finden.“

(Jean-Claude Juncker am Vorabend des EU-Gipfels in Nizza)

... und in der Wissenschaft?