HA Der Maschinist C.G. Jung, HS Im Lauf der Zeit · 12 C. G. Jung, „Zur Phänomenologie des...
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1. Einleitung
In dieser Arbeit soll den verschiedenen Erzählsträngen des 2004 erschienenen Films Der
Maschinist des Regisseurs Brad Anderson, ausgehend von der Archetypenlehre,
nachgegangen werden. In der analytischen Psychologie von C. G. Jung (1875-1961) ist der
Begriff der Archetypen in Beziehung zum Individuationsprozess zu untersuchten. Dabei sind
die theoretischen Begriffe aus der analytischen Psychologie zu klären. Wie sich diese
theoretischen Begriffe praktisch auf die Entwicklung des Helden im Film übertragen lassen
wird im Fokus dieser Arbeit stehen. Dazu ist es notwendig, auf Jungs Definition des
Unbewussten näher einzugehen. Das Hauptaugenmerk liegt auf der Charakteranalyse von
Trevor Reznik, dem Hauptcharakter des Films. Es ist nicht zu übersehen, dass Der Machinist
eine Homage auf den russischen Schriftsteller Fjodor M. Dostojewskij (1821 - 1881) ist. Da
im Film häufig Anspielungen auf Dostojewskis Werke zu erkennen sind soll bei der 1
Charakteranalyse des Helden die Verarbeitung und Anerkennung der Schuld und Sühne auf
deren Individuationsweg untersucht werden. Bezug genommen wird vor allem auf den
Archetyp des Schattens, der nach Jung dem Unbewussten entspringt, und eine Hilfsfunktion
auf dem Individuationsweg der Helden darstellt, wobei die Auseinandersetzung des
Protagonisten mit dem Schatten definiert werden soll, der nach der Lehre von den Archetypen
seinen Sitz im kollektiven Unterbewussten hat. Dabei bleibt die Praxis der analytischen
Psychologie, die in engem Zusammenhang mit der Jung’schen Archetypenlehre steht,
unbeachtet. Die beiden Termini „Unterbewusstes“ und “Unbewusstes“, die von Jung in seinen
Schriften nicht durchgängig konsequent angewandt und oft synonym gebraucht werden, sind
zu klären, um sie danach auf die im Film vorkommenden Archetypen, besonders dem des
Schattens, anwenden zu können. Weiter soll in diesem Zusammenhang das Unbewusste als
Medium, hier explizit in der Symbolik des Fisches, untersucht werden. Auch die
Traumsymbolik nach C. G. Jung ist in Verbindung mit dem Schlaf ein wichtiges Puzzleteil auf
dem Individuationsweg Trevors und darf deshalb in dieser Arbeit nicht unbeachtet bleiben.
Nicholas ist Epileptiker, wie Lew Myschkin, die beiden Lieben des Fürsten sind vergleichbar mit Trevors Zuneigung zu Stevie auf 1
der einen und zu Maria auf der anderen Seite. Vgl. dazu: Fjodor Dostojewskij, Der Idiot, Frankfurt am Main 1998.�3
2. C. G. Jung
2.1 C. G. Jungs Konzeption des Unbewussten und die Archetypenlehre
Das Unterbewusste und das Unbewusste sind voneinander abhängige Termini, die dennoch
unabhängig voneinander gebraucht werden sollten. Jung unterscheidet zwischen einem
kollektiven Unterbewusstsein, später von ihm auch kollektives Unbewusstes genannt, das alle
Bereiche umfasst, die dem Ich niemals zuvor bewusst gewesen sind und dem einzelnen
Individuum von Anfang an anhaften. Das persönliche Unbewusste ist dagegen mit dem 2
Freud’schen Vorbewussten gleichzusetzen, das alle persönlichen verdrängten Inhalte enthält.
Das „Lexikon der Psychologie“ bezeichnet „Unterbewusstsein“ als die „Bewusstseinsebene,
deren Inhalte nicht bewusst sind, die aber durch Reflexion bewusst gemacht werden können“.
Dies sei der wesentliche Unterschied zum „Unbewussten“, dessen Inhalte durch
Selbstreflexion nicht zugänglich seien, was von Jung nicht deutlich getrennt und deshalb in 3
dieser Arbeit ganz allgemein als „Unbewusstes“ bezeichnet wird. Jung selbst schreibt dazu: Alles was ich weiß, an das ich aber momentan nicht denke; alles, was mir einmal bewußt war, jetzt aber vergessen ist; alles was von meinen Sinnen wahrgenommen, aber von meinem Bewußtsein nicht beachtet wird; alles was ich absichts- und aufmerksamkeitslos, d. h. unbewußt fühle, denke, erinnere, will und tue; alles Zukünftige, das sich in mir vorbereitet und später erst zum Bewußtsein kommen wird; all das ist Inhalt des Unbewußten. 4
C. G. Jung, selbst humanistisch gebildet, baut sein Werk auf dem Wissen der Antike auf, in 5
dessen Erfahrungsschatz er eine tiefe, allzeit gültige Weisheit zu finden glaubt. Nach der
Überlieferung aus Platons Schriften soll am Eingang zum Orakel von Delphi γνῶθι σεαυτόν
(gnôthi seautón) angebracht gewesen sein. Diese Aufforderung zur Selbsterkenntnis sollte 6
zur Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit anregen. Diese Selbsterkenntnis ist
das Idealziel von Jungs Individuationskonzept. Der Drang nach Selbstverwirklichung sei, so
Jung, bei jedem Menschen vorhanden; das Unbewusste konkretisiere sich dann in Bildern, die
aus dem Unbewussten kommen und Emotionen auslösen. 7
Was eigentlich in diesem Sinn morphologisch nicht korrekt ist, da eine Teilung zwischen dem Bewusstsein und dem 2
Unbewussten die Bezeichnung In-dividuum nicht rechtfertigt.
Spektrum Akademische Verlag GmbH Heidelberg, 2001. Zit. nach: Peter Möller, http://www.philolex.de/unbewust.htm.3
Carl Gustav Jung, Gesammelte Werke, nachfolgend als JGW bezeichnet.,“Theoretische Überlegungen zum 4
Wesen des Psychischen“. (Bd. 8), S. 185 - 261, hier S. 211
Vgl. C. G. Jung, „Schuljahre“, in: C. G. Jung, CJG, Erinnerungen, Träume, Gedanken von C. G. Jung, hg. von Aniela 5
Jaffé,nachfolgend bezeichnet als CGJ, Erinnerungen, Freiburg 1978. S. 31-89
Vgl. dazu „Symposion“, in: Platon, Sämtliche Werke (Bd. 2), hg von Walter F. Otto u. a. . Hamburg 1957. S. 203 - 2506
Vgl. Dieter Schnocks, Mit C. G. Jung sich selbst verstehen, Stuttgart 2013. S. 237
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2.2 Der Archetypus
C. G. Jung bezeichnet den Archetypus als eine erklärende Umschreibung „des Platonischen
εἶδος“. Bei Schnocks ist zu lesen, dass C. G. Jung den Begriff Archetypus, erst seit 1919 8
verwende, da er vorher von „Urbildern“ sprach. Originär als Vorläufer kann der 9
Neuplatoniker Plotin in Frage kommen, der aus dem Geist, dem νοῦς, den ἀρχέτυπος der
gesamten Welt entspringen sah. Die Vereinigung mit dem Göttlichen muss nach Plotin durch
eine ethische Leistung des Menschen selbst erreicht werden. Menschliches Denken sei
Vorbereitung, und die Besinnung auf den νοῦς die Voraussetzung. Allerdings stand bei 10
Plotin, anders als bei Jungs tiefenpsychologischer Terminologie, die Mystik der
Seelenwanderung im Vordergrund. Dennoch lassen sich zwischen Jungs Forschungsansatz 11
und Plotins Theorie in vielen Punkten Parallelen finden, wie zum Beispiel in folgender
Aussage Jungs: „Der Herabstieg des Geistes in die Sphäre des menschlichen Bewußtseins
drückt sich aus im Mythus vom göttlichen νοῦς, der in die Gefangenschaft der φύσις [phýsis]
gerät.“ Jungs Archetypen entspringen als Modell dem kollektiven Unbewussten. Im 12
Archetyp wird das Unbewusste ausgedrückt, das noch nicht bewusst gewesen ist, oder das
subjektiv bereits erlebt, aber wieder verdrängt wurde. Jung drückt dies wie folgt aus: „Der 13
Ausdruck ,Archetyp’ wird oft als bestimmtes mythologisches Bild oder Motiv miss-
verstanden. Aber solche Bilder sind nur bewusste Darstellungen; es wäre absurd,
anzunehmen, solche variablen Bilder könnten vererbt werden. Der Archetyp ist vielmehr eine
angeborene Tendenz, solche bewussten Motivbilder zu formen - Darstellungen, die im Detail
sehr voneinander abweichen können, ohne jedoch ihre Grundstruktur aufzugeben.“ Oder mit 14
Erich Neumann ausgedrückt ist „der Archetyp […] nicht nur eine Dynamis, eine dirigierende
Kraft, die, wie in der Religion, die Psyche des Menschen beeinflußt, sondern er entspricht
auch einer unbewußten ‚Konzeption‘, einem Inhalt.“ „Im Symbolbild des Archetyps“, so Neu-
C. G. Jung, „Über die Archetypen des kollektiven Unbewußten“, in: Archetyp und Unbewußtes. Augsburg 2000. S. 788
Dieter Schnocks, Mit C. G. Jung sich selbst verstehen, Stuttgart 2013. S. 449
Vgl. Joachim Stiller, Die Seele bei Plotin, http://joachimstiller.de/download/philosophie_seele_plotin.pdf10
Obwohl er sich ursprünglich von der Wiedergeburt distanzierte, hielt Jung in späten Jahren eine Reinkarnation jedoch 11
nicht mehr ausgeschlossen. Vgl. dazu CGJ, Erinnerungen, hg. von Aniela Jaffé, Freiburg 1978. S. 320ff
C. G. Jung, „Zur Phänomenologie des Geistes im Märchen“, in: Archetyp und Unbewußtes, Augsburg 2000. S. 206 - 12
250, hier S. 211
In diesem Punkt unterscheidet sich Jung drastisch von Freuds Ansichten, der nur das Unbewusste mit verdrängten 13
psychischen Inhalten sieht.
C. G. Jung, Zugang zum Unbewußten, in: Jung, C. G. (Hg.), Der Mensch und seine Symbole, Freiburg 1968. S. 6714
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mann, „teilt sich etwas als Sinnzusammenhang mit, das erst von einem entwickelten
Bewußtsein mit großer Mühe begrifflich gefaßt werden kann.“ Daraufhin bezieht sich 15
Neumann auf eine bestimmte Aussage, C. G.Jungs, dass es sich um Urbilder handle, die am
treffendsten durch die bildhafte Sprache wiedergegeben werden. „Anima“ und „Animus“ 16
gehören für Jung zu den wichtigsten Archetypen, die zum Vergleich in dieser Arbeit jedoch
nicht relevant erscheinen. Diese repräsentieren jeweils die weiblichen bzw. männlichen
Anteile eines Menschen, die nicht gelebt werden, aber wichtig für die Ganzheit der
Persönlichkeit sind. Weitere Beispiele für Archetypen sind die „Persona“. und der 17
„Schatten“. Letzterer wird in dieser Arbeit exemplarisch für Trevors Alter Ego Ivan
verwendet. Während die „Persona“ die Maske ausdrückt, die dem Menschen zu der Rolle
verhilft, die er im Leben gerne spielen möchte und deshalb bewusst nach außen zeigt,
verkörpert der „Schatten“ seine unbewusste Seite. Er beinhaltet jene Gedanken, Gefühle, 18
Wünsche und Eigenschaften, die im bewussten Leben abgelehnt werden und löst Emotionen
aus. Wichtig erscheint, dass das, was zunächst als autonomer Prozess aus dem Unbewussten 19
entspringt, bewusst wahrgenommen wird, um den Individuationsprozess in Gang setzen zu
können. Jung behauptet: „Menschliches Bewußtsein erst hat objektives Sein und den Sinn
geschaffen, und dadurch hat der Mensch seine im großen Seinsprozess unerlässliche Stellung
gefunden.“ Dazu bedarf es des Archetypen. Mit Jung weiter formuliert „[…] ergreift und 20
überwältigt [der Archetyp], zugleich erhebt er das, was er bezeichnet, aus dem Einmaligen
und Vergänglichen in die Sphäre des immer Seienden, er erhöht das persönliche Schicksal
zum Schicksal der Menschheit, und dadurch löst er auch in uns alle jene Kräfte, die es der
Menschheit je und je ermöglicht haben, sich aus der Fährnis zu retten und auch die längste
Nacht zu überdauern.“ 21
Erich Neumann, Die große Mutter, Freiburg 1988, S. 29.15
C.G. Jung, Psychologie und Alchemie, Zürich 1944, S. 44.16
Ein Begriff aus der Antike, der die Masken der Schauspieler. bezeichnet. Von Jung aber als Synonym für die Fassade 17
eines Menschen, die er nach außen zur Schau trägt, benutzt.
Vgl. JGW Psychologische Typen, (Bd. 6) Zürich 1960. S. 50518
Die Begegnung mit dem Archetypen löst Emotionen aus, was Verena Kast, eine Schülerin Jungs, mit dem A. A. M. 19
(angeborener Auslöse Mechanismus) von Konrad Lorenz vergleicht. Vgl.Verena Kast, Kreativität in der Psychologie von C. G. Jung, Zürich 1974. S. 82
CGJ, Erinnerungen, Freiburg 1978. S. 259f20
JGW, Über das Phänomen des Geistes in Kunst und Wissenschaft, (Bd. 15) Olten 1971. S. 9521
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Ein möglicher Kritikpunkt an der Theorie der Archetypen könnte sich darauf beziehen,
dass die Existenz archetypischer Bilder in der Psyche des Menschen, und somit auch im
kollektiven Unbewussten, naturwissenschaftlich nicht beweisbar sei. Zu bedenken ist hierzu,
dass es genügend Aussagen gibt, die in eine ähnliche Richtung gehen. Seien es die Gedanken
von Platon, der Sokrates von einem ungebildeten Sklaven die Lösung des mathematischen
Problems der Verdoppelung des Quadrats erfragen lässt, das Phänomen der Seelen-22
wanderung bei Plotin, die Bezeichnung Erbschuld/Erbsünde in der katholischen Kirche oder
der Glaube an die Reinkarnation in der Anthroposophie.
2.3 Individuation
"Individuation bedeutet: zum Einzelwesen werden, und, insofern wir unter Individualität
unsere innerste, letzte und unvergleichbare Einzigartigkeit verstehen, zum eigenen Selbst
werden. Man könnte ,Individuation' darum auch als ,Verselbstung' oder als ,Selbst-
verwirklichung’ übersetzen“, so Jung zum Begriff der Individuation. 23
Die Individuation befindet sich immer mehr oder weniger im Gegensatz zur Kollektivnorm, denn sie ist Abscheidung und Differenzierung vom Allgemeinen und Herausbildung des Besonderen, jedoch nicht einer gesuchten Besonderheit, sondern einer Besonderheit, die a priori schon in der Anlage begründet ist. Der Gegensatz zur Kollektivnorm ist aber nur ein scheinbarer, indem bei genauerer Betrachtung der individuelle Standpunkt nicht gegensätzlich zur Kollektivnorm, sondern nur anders orientiert ist. Der individuelle Weg kann auch gar nicht eigentlich ein Gegensatz zur Kollektivnorm sein, weil der Gegensatz zu letzterer nur eine entgegengesetzte Norm sein könnte. Der individuelle Weg ist aber eben niemals eine Norm. Eine Norm entsteht aus der Gesamtheit individueller Wege und hat nur dann eine Existenzberechtigung und eine lebensfördernde Wirkung, wenn individuelle Wege, die sich von Zeit zu Zeit an einer Norm orientieren wollen, überhaupt vorhanden sind. 24
Der individuelle Weg zur Individuation des Helden beginnt mit dem Bewusstwerden einer
neuen Schuld, die er auf sich lädt als er durch Unachtsamkeit, vielleicht auch durch einen
kurzen Schlafmoment, versehentlich eine Maschine in Gang setzt, was einem Kollegen den
linken Arm kostet. 25
Vgl. Platon, Die Wiedergeburt der Seele, in: Das Höhlengleichnis hg. von Bernhard Kytzler, Berlin 2012. S. 39f22
C. G. Jung, Die Beziehungen zwischen dem Ich und dem Unbewußten, Rascher, Zürich 1963, S. 6523
JGW Psychologische Typen, (Bd. 8), Olten 1971, S. 477f.24
Filmbeispiel auf DVD Der Maschinist:, Regie: Brad Anderson. Drehbuch: Scott Kosar. Castelao Productions. 2004. (Originaltitel: 25
El Maquinista.) Fassung: DVD. 3L Film GmbH & Co. KG., 2009, 98’. TC 19:11�7
3. Archetypen
3.1 Der Schatten
„Ein Schattenseiten führen", "nur noch ein Schatten seiner selbst sein", jemanden
"beschatten", "etwas wirft seinen Schatten voraus“, sind Redewendungen, die jeder negativ
versteht. Mit dem Schatten ist demzufolge stets etwas Negatives verbunden. Dabei darf nicht
vergessen werden, dass ohne den Schatten das Licht auch seine Bedeutung verlieren würde. 26
Archetypen bilden ein Beziehungsgeflecht zwischen dem bewussten Selbst und dem anderen,
dem unbewussten Selbst. Dieses Andere ist immer auch das Fremde, das das Individuum
nicht akzeptieren möchte. Dieses Andere wird von C. G. Jung Schatten genannt. Zwischen
den beiden Polen herrscht eine grosse Spannung, die in Bildern verarbeitet und gestaltet wird.
Das Schattenmotiv, das in der Archetypenlehre, und in dieser Arbeit auf dem
Individuationsweg Trevors, eine bedeutende Rolle spielt, spiegelt sich bereits in Platons
Höhlengleichnis: Die für die ganze Wirklichkeit gehaltenen Figuren sind nur Schattenbilder.
Der Mensch muss erst hinaufsteigen ans Licht, um die ungeliebte Wahrheit, die schmerzt, zu
sehen. Ziel dabei ist es, zu erkennen, dass der Schatten nicht die ganze Wahrheit ist, wie im 27
umgekehrten Fall, bei der analytischen Psychologie Jungs, der unbewusste Schatten ans Licht
geholt werden muss, was ebenso schmerzhaft ist, um zum Selbst zu gelangen. Nach dem
Moraltheologen Ziegenaus ist es notwendig, den Schatten bewusst ins Leben zu integrieren
und die Spannung auszuhalten. Er sagt: Es „kann das Böse nach Jung nicht durch ent-
schiedenes Gutsein überwunden werden.“ Der Schatten tritt häufig in der Erscheinungsform 28
der Teufelsfigur des christlichen Volksglaubens auf. In volkstümlichen Darstellungen ist diese
Physiognomie gleichbedeutend mit dem griechischen Gott Pan. Meistens ist er schwarz und
behaart, hat Bocks- oder Pferdefüße, Hörner, einen Schwanz, eine lange Habichtsnase und ein
hässliches Gesicht. Die Erkenntnis, dass sich das gleiche archetypische Bild oft kollektiv in
gleicher Gestalt zeigt, schöpft Jung vor allem aus Gesprächen mit Ureinwohnern, die er in
verschiedenen Kontinenten auf seinen vielen Reisen führte, und seiner Arbeit mit 29
Vgl. dazu Marie-Louise von Franz, Der Schatten und das Böse im Märchen, München 1985. S. 4026
Vgl. dazu Platon „Phaidon, Politeia“, in: Platon. Sämtliche Werke (Bd. 3), hg. von Ernesto Grassi, Hamburg 1958. 27
S. 224ff
Anton Ziegenaus, “Wirklichkeit und Wirkweise des Bösen“, in: Der Fels 37. Jahr Nr.10/2006. S. 285 28
http://www.der-fels.de/2006/10-2006.pdf
CGJ, Erinnerungen, Freiburg 1978. 242-29329
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Schizophrenen. Trotz dieser Physiognomie, die an sich das, bzw. den Böse[n] kennzeichnet, 30
ist der Schatten, wie jeder andere Archetpyus auch, weder positiv noch negativ. „Jeder
Archetypus“, sagt Jung, „enthält Tiefstes und Höchstes, Böses und Gutes und ist darum der
gegensätzlichen Wirkungen fähig. Es ist darum nie von vornherein auszumachen, ob er sich
positiv oder negativ auswirken wird […] und es hängt ganz entscheidend von der
Beschaffenheit des sie auffangenden Bewußtseins ab, ob [die Archetypen des Unbewussten]
zum Fluch oder Segen ausschlagen.“ 31
3.2 Die (Große) Mutter
Ein archetypisches Motiv, das mit dem Weiblichen zusammenhängt ist das der Großen Mutter.
Die stammesgeschichtliche psychologische Entwicklung entspringt einer matriarchalen Stufe,
was die ältesten Kunst- und Kultwerke der Menschheit bezeugen, in der der Archetyp der
Großen Mutter zu finden ist. Davon, dass dieses archetypische Bild noch in jedem 32
Menschen, Mann oder Frau, lebendig ist, ist C. G. Jung übezeugt. Sehr häufig hat dieser
Archetyp ein Janusgesicht, das sich auf der einen Seite als Heilige, auf der anderen Seite
jedoch als Hure zeigt. Jung unterscheidet die Wirkung des archetypischen Mutterbildes.
Geschlechtsspezifisch gilt der Archetypus der Mutter für die Frau als der Typus ihres
bewussten, geschlechtsmäßigen Lebens, während sie für den Mann aber „der Typus eines zu
erlebenden, fremden Gegenüber, erfüllt mit der Bilderwelt des Unbewußten [ist].“ Da in 33
dieser Arbeit der Archetyp Mutter auf einen männlichen Protagonisten einwirkt, sollen an
dieser Stelle C. G. Jungs Aussagen dazu herangezogen werden, der meint, dass
dementsprechend „die Mutter dem Manne […] eine Angelegenheit von ausgesprochen
symbolischen Charakter [ist]“ „Daher rührt auch wohl dessen Tendenz, die Mutter zu
idealisieren. Idealisierung ist ein geheimer Apotropäismus. Man idealisiert, wo eine Furcht
gebannt werden soll. Das Gefürchtete ist das Unbewußte und dessen magischer Einfluß. […]
In einer Phase, wo der Archetypus erscheint, tritt in der Regel eine mehr oder weniger völlige
Identität mit dem Urbilde ein. […] Der Mann identifiziert sich daher mit dem von der Sophia
Jung erzählt von einem Erlebnis mit einem Schizophrenen, der eine Vision hatte, aber aufgrund seiner Ausbildung den 30
passenden mythologischen Zusammenhang eines griechischen Textes, über einen Mithraskult, der Jung bekannt war, nicht kennen konnte. Vgl. CGJ, Erinnerungen, Freiburg 1978.
JGW (Bd.10), S. 266.31
Vgl. Neumann, a.a.O., S. 99.32
JGW (Bd. 9/1), Düsseldorf 2006, S. 118f.33
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begnadeten Sohn-Geliebten […]“ , so Jung. Dass die Mutter mit dem Kind aber meist in 34
positiver Verbindung steht, ist auch in chinesischen Sprache vertreten, deren 4000 Jahre alte
Schriftzeichen für „gut“ sich aus der Verbindung der beiden Zeichen für das Weibliche
„(Frau)“ zusammen mit dem Zeichen „Kind“ heraus entwickelt hat.
3.3 Das Kind
In Jungs analytischer Psychologie steht das Kind für das Selbst, das wachsen und sich
entwickeln will. In vielen Kulturen wurde das Kind schon vor Jahrtausenden verehrt, wobei
als Symbol dafür das "göttliche Kind“ steht. Beispielhaft zu nennen sind der griechische
Apollon, der indische Krishna, Gautama, der später Buddha wurde, Ganesha und Jesus.
Diesen „Kindern“ sind besondere Fähigkeiten zugeschrieben. Wie jeder andere Archetyp hat
auch das mythologische Kindmotiv zwei Seiten. Zum Beispiel soll das Götterkind Hermes
bereits als Baby seinem Bruder Apollon die Kühe gestohlen haben. Er wurde zur
Personifikation des göttlichen Schelms und Tricksters, der zwei Gesichter hatte: ein seriöses,
womit er zum Schutzpatron für die ehrbaren Kaufleute wurde, und ein unseriöses, das den
Gauklern und Dieben angehörte. Ein Grenzgänger also, der in vieler Hinsicht auch dem
Schatten zugehörig ist. An dieser Stelle scheint Tewes Wischmanns Gedanke, dass man die
analytische Psychologie als Psychologie des Paradoxen bezeichnen könne oder als
Psychologie des Tao, erwähnenswert. Denn jede These (Yin), so Wischmann, ziehe
unweigerlich seine Antithese (Yang) mit sich und werde in der beides vereinigenden Synthese
(Tao) zur Ganzheit transzendiert. 35
Für Jung ist der archetypische Kern des Kindes im Menschen wichtig, damit er für
eine Therapie zugänglich ist und er wird somit zum Strukturelement der Psyche. Kindsein 36
bedeutet aber auch immer, ohne kindisch zu sein, einen Anteil von Naivität zuzulassen, um
die Ursprünglichkeit eines Kindes, die meist durch die abstrakte und komplizierte Denkweise
der Erwachsenen verdrängt wird, wieder zu erlangen, womit Lebenskraft, ursprüngliche
Wahrhaftigkeit, Kreativität und Intuition verbunden sind.
Ebd. a.a.O, S. 119f.34
Tewes Wischmann, Der Individuationsprozeß in der analytischen Psychologie C.G. jungshttp://www.dr-wischmann.privat.t-35
online.de/jung.htm
Vgl. JGW 9/1, Düsseldorf 2006, s. 166ff.36
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4. Schlaf - Traum - Halluzination
4.1 Der Schlaf
Bei jedem Einschlafen trinken wir Wasser des Flusses Lethe und befinden uns nahe an der
Schwelle des Todes, denn Hypnos, so wurde der Gott des Schlafes, ein ruhiger, sanftmütiger
Gott, von den alten Griechen genannt, ist kleine Bruder von Thanatos, dem Totengott. Die
traumbringenden Dämonen, die Oneiroi, wiederum die Söhne des Hypnos. Nicht nur in den 37
antiken Religionen wird der Schlaf durch seinen Traum zum Bindeglied für sonst verborgene
Botschaften des Unbewussten. Die Bedeutung von Schlaf und Traum für unsere Kultur
korreliert mit dem psychotherapeutischen Anspruch dann, so C. G. Jung, wenn der Therapeut
ein archetypisches Symbol am Erleben des Patienten erkennt, denn „[…] im Archetypischen
liegt der kulturhistorisch bedingte Anteil an ‚Objektivierung‘, den der geisteswissenschaftlich
orientierte Zugang zum Gegenüber erlaubt: Da gibt es etwas Kollektives, über das ‚nur
Individuelle‘ hinausweisendes“. Die Medizin sucht in den Schlaflaboren nach den Ursachen 38
der Schlaflosigkeit. Die Naturwissenschaften nehmen an, dass der Schlaf sowie der Traum
eine Funktion haben. Wenn man dem Menschen Schlaf oder auch nur den Traum entzieht,
dann verändert sich sein seelisches Erleben, denn wir benötigen Schlaf, um zu lernen, zu
vergessen, uns zu konzentrieren. Im Jahre 1953 machten die US-amerikanischen 39
Schlafforscher Aserinsky und Kleitman die Entdeckung, dass Träume nicht zufällig
auftauchen, sondern regelhaft in einem ganz bestimmten und erkennbaren Schlafstadium.
Charakteristisch für dieses Stadium sind schnelle Augenbewegungen bei geschlossenen
Lidern (REM = Rapid Eye Movement). Durch Vergleiche bei Testpersonen fanden die
Schlafforscher heraus, dass sich im Laufe der Nacht eine Entwicklung im Wesen der Träume
vollzieht. Nach dem Erwachen aus der ersten Traumperiode ist der Bericht gewöhnlich kurz
und handelt von der Gegenwart. Wird jemand jedoch spät in der Nacht aus dem REM-Schlaf
geweckt, sind die Berichte reicher an Einzelheiten und Handlungen. Traumberichte in den
frühen Morgenstunden enthalten oft Träume, die mit der frühen Kindheit oder weit in der
Vergangenheit liegenden Ereignissen zu tun haben. Nach diesen Ergebnissen allerdings 40
dürfte sich, Trevor während seines Sekundenschlafs kaum an die bereits ein Jahr
Wolfgang Eirund, Traum und Glauben, in: IZPP | Ausgabe 1/2010 | Themenschwerpunkt „Religion und Religiosität“, http://37
www.izpp.de/fileadmin/user_upload/Ausgabe-1-2010/08_1-2010_E_Eirund.pdf.
C.G. Jung, Traum und Traumdeutung, München 2001, S. 211.38
Vgl. Eirund, a.a.O.39
http://www.schlaf.de/was_ist_schlaf/1_30_10_remschlaf.php40
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zurückliegenden Ereignisse erinnern, was die Aufarbeitung von Zurückliegendem erschwert,
was im Film deutlich wird.
4.2 Der Traum
Laut Jung sind Nachtträume und Tagträume nicht sehr verschieden, er bezeichnet Tagträume
als „aktive Imagination“ . Jung unterscheidet zwischen wichtigen und unwichtigen Träumen. 41
Wichtige Träume waren für ihn archetypische, vor allem sich wiederholende Träume und
kompensatorische Träume. Im Film deutet die sich stetig wiederholende Uhrzeit von 12:30 42
auf einen solchen sich wiederholenden (Tag)Traum hin, in dem sich ein Problem
widerspiegelt, das das Unterbewusstsein zu lösen versucht. Ebenfalls zu den bedeutenden
Träumen zählen die kompensatorischen Träume. Für Jung zeigt sich in kompensatorischen
Träumen eine gewisse „Autonomie des Unbewussten“. Das Unterbewusstsein reagiert mit
diesen Träumen auf die aktuelle Lebenssituation des Träumenden indem es versucht ein
seelisches Gleichgewicht wiederherzustellen, wenn die Seele ins Ungleichgewicht geraten ist.
Besonders auch die Bilder der Archetypen zeigen sich in der Jungschen Traumdeutung in
Symbolen, die sich in Träumen personifizieren, was in dieser Arbeit besonders wichtig ist.
Die Archetypen treten dem Selbst mit vielen Gesichtern entgegen, was beweist, dass das
kollektive Unbewusste, dem er nach Jung entspringt, in engem Zusammenhang, wenn nicht
gar Austausch mit dem persönlichen Unbewussten steht, da sich der Archetypus jeweils in der
passenden Gestalt zur Verfassung des Individuums zeigt. Im Film in Gestalt der Mutter, des
Kindes und des Schattens. Der Archetypus offenbart sich vor allem in Träumen, die nach Jung
„den Vorteil haben, vom Willen unabhängige, spontane Erzeugungen der unbewußten Psyche
zu sein, und die daher reine, von jeder bewußten Absicht unbeeinflußte Naturprodukte sind“. 43
Dass Träume viel über das Unbewusste aussagen, bezieht Jung auf seine eigene Erfahrung auf
einen Traum, der als wegweisend für seine Theorien zu sehen ist. An dieser Stelle soll dieser
bedeutende Traum C. G. Jungs zitiert werden, der Einblick in dessen Gedanken zum 44
Unbewussten und somit eine Ausgangsbasis zum Verständnis seiner Theorien geben kann: […] Ich war in einem mir unbekannten Hause […]. Es war „Mein Haus“. Ich befand mich im oberen Stock. Dort war eine Art Wohnzimmer, in welchem schöne alte Möbel im Rokokostil
Vgl. Aniela Jaffé, Der Mythus vom Sinn im Werk von C. G. Jung, Zürich 1983, S. 67.41
Filmbeispiel auf DVD, a.a.O., TC 9:0142
C.G.Jung, Die Archetypen und das kollektive Unbewusste, hg. von Lilly Jung-Merker und Elisabeth Rüf, Düsseldorf 2006, S. 61.43
Aufgrund der Erkenntnis, die Jung aus diesem für ihn immens wichtigen Traum gewann, endete auch die Beziehung zu Freud, der 44
diesen Traum auf völlig anderer Ebene deutete. Vgl. dazu: Jung, „Schuljahre“, in: CGJ, Erinnerungen, hg. von Aniela Jaffé, Freiburg 1978. S. 163
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standen. An den Wänden hingen kostbare alte Bilder. Ich wunderte mich, daß dies mein Haus sein sollte und dachte: nicht übel! Aber da fiel mir ein, daß ich noch gar nicht wisse, wie es im unteren Stock aussähe. Ich ging die Treppe hinunter und gelangte in das Erdgeschoß. Dort war alles viel älter, und ich sah, daß dieser Teil des Hauses etwa aus dem 15. oder aus dem 16. Jahrhundert stammte. Die Einrichtung war mittelalterlich, und die Fußböden bestanden aus rotem Backstein. Alles war etwas dunkel. […] Ich kam an eine schwere Tür, die ich öffnete. Dahinter entdeckte ich eine steinerne Treppe, die in den Keller führte. Ich stieg hinunter und befand mich in einem schön gewölbten, sehr altertümlichen Raum. Ich entdeckte […] Backsteinsplitter. Daran erkannte ich, daß die Mauern aus römischer Zeit stammten. […] Ich untersuchte auch den Fußboden, der aus Steinplatten bestand. In einer von ihnen entdeckte ich einen Ring. Als ich daran zog, hob sich die Steinplatte, und wiederum fand sich dort eine Treppe. Es waren schmale Steinstufen, die in die Tiefe führten. Ich stieg hinunter und kam in eine niedrige Felshöhle. Dicker Staub lag am Boden, und darin lagen Knochen und zerbrochene Gefäße wie Überreste einer primitiven Kultur. 45
„Die Beschäftigung mit dem Unbewußten ist uns eine Lebensfrage“, schreibt Jung. 46
Archetypen sind eine Hilfe, sich mit dem Unbewussten auseinanderzusetzen, das sich oft in
Träumen zeigt.
4.3 Die Halluzination
„Optische Halluzinationen sind nicht selten. Der Betroffene vermag Wichtiges nicht mehr von
Unwichtigem zu trennen, das Gehirn kann störende Signale nicht mehr ausfiltern, das
Bewusstsein wird von Eindrücken überschwemmt. Wie der Traum öffnet auch die Psychose
die Schleusen für eine Flut von Ideen und Phantasien, die tieferen Bewusstseinsschichten
entstammen.“ Es ist schwierig, im Film Halluzinationen von Träumen, die Trevor im 47
Sekundenschlaf hat, zu unterscheiden. In Phasen der absoluten Erschöpfung und im
Sekundenschlaf zeigen sich die Archetypen, die ihn auf seinem Individuationsweg begleiten.
Diese Filmszenen gehen den Begegnungen mit den Archetypen dann meist voraus.
5. Zum Film Der Maschinist
5.1 Kurze Inhaltsangabe
Trevor Reznik (Christian Bale) kann seit einem Jahr nicht mehr schlafen. Er gilt als
Außenseiter in der Fabrik, in der er als Maschinist arbeitet. Er wäscht sich die Hände wie
besessen mit Chlorbleiche, schrubbt die Fugen des Fußbodens mit der Zahnbürste und liest 48
Dostojewskij. In einer Arbeitspause lernt er Ivan (John Sharian) kennen, der behauptet, dass 49
Jung, „Schuljahre“, in: CGJ, Erinnerungen., hg. von Aniela Jaffé, Freiburg 1978. S. 16345
Jung, C. G.: Archetypen, München 2010, S. 26.46
Jörg Böckem in: http://www.spiegel.de/spiegelwissen/a-660648.html,47
Filmbeispiel auf DVD, a.a.O., TC 11:5948
Filmbeispiel auf DVD, a.a.O., TC 11;0449
�13
der Schweißer Reynolds (James DePaul) von FBI-Agenten abgeführt worden sei, weshalb er
ihn abgelöst habe. Als der Arbeitskollege Miller (Michael Ironside) Trevor auffordert, ihm
beim Einrichten einer Maschine zu helfen starrt Trevor zum vermeintlich neuen Schweißer,
Ivan, hinüber und betätigt versehentlich den Einschaltknopf der Maschine. Da die
Notabschaltungen nicht funktionieren, kommt Millers linker Arm in die Maschine und wird
dabei abgetrennt. Bei einem darauffolgenden Gespräch mit der Betriebsleitung wird Trevor
mitgeteilt, dass es im Betrieb keinen Mann namens Ivan gibt. Reynolds steht tatsächlich wie
gewohnt an dem Arbeitsplatz, an dem Trevor zuvor noch Ivan gesehen zu haben glaubt.
Obwohl Ivan angeblich nicht existiert, glaubt Trevor, ihn öfter in einem roten Pontiac Firebird
zu sehen und verfolgt ihn. Am Tresen einer Kneipe entdeckt Trevor in der Brieftasche des 50
seltsamen Mannes ein Foto, auf dem dieser mit Reynolds, dem Arbeitskollegen, mit dem
Trevor befreundet ist, zusammen beim Angeln zu sehen ist . Er glaubt an eine Verschwörung 51
und nimmt das Foto an sich. Jede Nacht fährt Trevor Reznik zum Flughafencafe und lässt sich
von der freundlichen Bedienung Maria (Aitana Sánchez-Gijón) Kaffee und Kuchen servieren.
Sex sucht er bei der Prostituierten Stevie (Jennifer Jason Leigh). Eines Tages schlägt die
Bedienung des Cafes, die alleinerziehende Mutter Maria ihm vor, mit ihr und ihrem Sohn
Nicholas (Matthew Romero Moore) am Muttertag auf den Rummelplatz zu gehen. Dort fährt
er mit Nicholas in der Geisterbahn, wo der Junge einen Anfall erleidet. In Panik trägt Trevor
den Bewusstlosen ins Freie und hat Schuldgefühle. Maria kommt gelaufen und erklärt ihm, 52
dass Nicholas Epileptiker sei und keine Gefahr drohe. Nach einer Prügelei in der Firma wird
Trevor entlassen. Reznik sieht wieder den roten Pontiac Firebird, rast mit seinem Pick-up
hinterher, kann ihn aber nicht einholen. Da er sich das Kennzeichen gemerkt hat, will er den
Fahrzeughalter ausfindig machen. Er muss erfahren, dass er vor einem Jahr seinen eigenen
Wagen mit diesem Kennzeichen als Totalschaden gemeldet hat. Erschrocken über diese
Auskunft sucht Trevor Zuflucht bei Stevie, die davon träumt mit Trevor zusammen ein
gemeinsames neues Leben anzufangen. Von dieser Idee scheint Trevor nicht abgeneigt zu
sein, doch als er bei Stevie das Foto Ivans aus der Brieftasche findet, glaubt er, dass Stevie ihn
mit Ivan betrügt. Er sieht nicht, dass er selbst, nicht Ivan, auf dem Foto abgebildet ist. Nach
heftigem Streit fährt er zum Flughafencafe, um mit Maria zu sprechen. Die Bedienung dort
Filmbeispiel auf DVD, a.a.O., TC 30:2350
Filmbeispiel auf DVD, a.a.O., TC 1:17:5451
Filmbeispiel auf DVD, a.a.O., TC 43:3852
�14
behauptet aber, dass es keine Kollegin mit dem Namen Maria gebe. Wieder entdeckt der 53
verzweifelte Trevor im Parkhaus den roten Pontiac Firebird und fährt ihm nach. Ivan, der
Fahrer, hält vor Trevors Wohnung und betritt mit Marias Sohn Nicholas das Haus. Trevor
findet Ivan in seinem Badezimmer vor dem Spiegel beim Rasieren mit einem Messer vor. Von
Nicholas gibt es keine Spur. Da Trevor in Ivan den Mörder von Nicholas sieht, stürzt er sich
auf ihn und schneidet ihm mit dem Messer die Kehle durch. Ivans Leiche rollt er in einen 54
Teppich und bringt sie zum Strand, wo er den Toten ins Meer kippen will, aber erkennen
muss, dass die Teppichrolle leer ist. Ivan steht plötzlich hinter ihm! Reznik erinnert sich, dass
er es war, der vor einem Jahr in dem roten Pontiac Firebird saß und ein Kind überfuhr. Er
fährt zum Polizeirevier und zeigt sich selbst wegen Fahrerflucht an. In der Gefängniszelle
findet Trevor endlich Schlaf. 55
5.2 Figurenkonstellation
Neben dem Protagonisten Trevor sind Ivan, Maria und Stevie die einzigen Hauptakteure, die
den gesamten Handlungsverlauf begleiten. Nicholas soll in der Figurenkonstellation jedoch
nicht vergessen werden, da er ein wichtiges Bindeglied zwischen Maria und Trevor darstellt.
Es steht ein Charakter im Mittelpunkt, dessen Leben derzeit aus Halluzinationen und
imaginären Bildern besteht. Trevor, kann als Antiheld bezeichnet werden. Er ist ein einfacher
Arbeiter mit wenig Sozialkontakten, der seinem Hobby, dem Fischen nicht mehr nachgeht. Er
leidet unter einem Putz- und Waschzwang und hat nach eigenen Angaben seit über einem Jahr
nicht mehr geschlafen. Er ist ständig in Bewegung. Seine Arbeit, die Bedienung einer 56
Bohrmaschine, die keine kognitiven Ansprüche stellt, findet in lauter, schmutziger
Atmosphäre statt. Außerdem ist er bis auf’s Skelett abgemagert. Wie in der Arbeit, steht auch
das Räderwerk in seinem Gehirn nicht still. Die Prostituierte, Stevie, Trevors Kontaktperson
in der realen Welt ist sexy, aufreizend nachlässig gekleidet, zeigt sich empathisch und ehrlich.
Sie gehört zum unteren sozialen Milieu, bedient Freier, die mitunter auch Gewalt gegen sie
anwenden. Maria, die ebenfalls den Archetypus der Mutter verkörpert, ist dagegen bieder 57
Filmbeispiel auf DVD, a.a.O., TC 1:21:4753
Filmbeispiel auf DVD, a.a.O., TC 1:27:0354
In diesem Absatz nicht erwähnte bedeutende Filmbeispiele finden sich bei im Detail beschriebenen Szenen a.a.O.55
Filmbeispiel auf DVD, a.a.O., TC 17:2156
Filmbeispiel auf DVD, a.a.O., TC 57:2757
�15
und stets sauber gekleidet, mütterlich und pflichtbewusst. Die Alleinerziehende pflegt keine
sozialen Kontakte. Sie arbeitet nachts als Kellnerin. Als Archetyp steht sie, gleichrangig mit
Stevie, Trevor als Helfer zur Seite. Auch das Kind Nicholas ist ein Helfer an der Seite
Trevors. Nicholas leidet an Epilepsie, lebt mit seiner Mutter Maria in bescheidenen
Verhältnissen. Die Wohnung der beiden entspricht der aus Trevors Kindheit, was deutlich
macht, dass auch Trevor und Nicholas ein und dieselbe Person sind. Ebenso ist Maria
identisch mit Trevors Mutter, was alte Fotos belegen. So steht sie in einer Doppelfunktion 58
als Mutter. Einmal für Nicholas als Archetupus Kind und einmal als die leibliche Mutter
Trevor, sowohl in der Rolle des Nicholas als auch in der Rolle als der Archtyp Mutter für den
erwachenen Trevor als Bedienung im Flughafencafe. Die wichtigste Person in dieser
Konstellation ist Ivan. Ivan ist ein fiktiver Kollege Trevors, dessen Charakter, Sprache und
Gestik Trevor sichtlich unangenehm sind. Auf den ersten Blick scheint Ivan Trevors
Gegenspieler zu sein. Trevor glaubt, dass Ivan Stevies Exmann ist und eine Verschwörung
gegen ihn gerichtet ist. Erst im Laufe des Films entpuppt sich Ivan als Helfer in seiner
Funktion als Bote. 59
Filmbeispiel auf DVD, a.a.O., TC 38:5058
Abb. 1 erstellt von Pfau59
�16
6. Mehrstängiges Erzählen in Der Maschinist
6.1 Entwicklung des Protagonisten - der Individuationsprozess
6.1.1 Begriffsklärung
Verena Kast betont, „dass der Individuationsprozess zugleich ein Integrationsprozess und ein
Beziehungsvorgang ist.“ demnach ist es für Trevor nicht möglich allein und ohne Hilfe 60
seinen Weg der Individuation zu gehen. Da er kaum soziale Kontakte pflegt, sind es die
archetypischen Figuren, die diese notwendigen Sozialkontakte ersetzen. Archetypen bilden
ein Beziehungsgeflecht zwischen dem bewussten Selbst und dem anderen, dem unbewussten
Selbst. Dieses Andere ist immer auch das Fremde, das das Individuum nicht akzeptieren
möchte. Dieses Andere wird von C. G. Jung Schatten genannt. Zwischen den beiden Polen
herrscht eine grosse Spannung, die in Bildern verarbeitet und gestaltet wird. Diese Bilder
zeigen sich in Symbolen, die sich in Träumen und Mythen personifizieren. Der Schatten tritt
dem Selbst in vielen Gesichtern entgegen, was beweist, dass das kollektive Unbewusste, dem
er nach Jung entspringt, in engem Zusammenhang, wenn nicht gar Austausch mit dem
persönlichen Unbewussten steht, da sich der Archetypus jeweils in der passenden Gestalt zur
Verfassung des Individuums zeigt. Der Archetypus offenbart sich vor allem in Träumen, die
nach Jung „den Vorteil haben, vom Willen unabhängige, spontane Erzeugungen der
unbewußten Psyche zu sein, und die daher reine, von jeder bewußten Absicht unbeeinflußte
Naturprodukte sind“. Jungs Hauptanliegen war, dass das Individuum das Erbe des 61
Archaischen erkennt und unter Kontrolle bringt, um nicht von ihm überwältigt zu werden.
Jung beschreibt im folgenden Zitat die Notwendigkeit der Integration des aus der Phantasie
kommenden Archetypus: „In allen Fällen von Dissoziation erhebt sich deshalb die
Notwendigkeit der Integration des Unbewußten ins Bewußtsein. Es handelt sich um einen
synthetischen Vorgang, den ich als ‚Individuationsprozeß‘ bezeichnet habe.“ 62
Nach dem von ihm verursachten Verkehrsunfall mit tödlichem Ausgang leidet Trevor
an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Das Ereignis scheint beim Helden eine Art
dissoziative Amnesie verursacht zu haben, denn er hat offensichtlich den Unfall vergessen,
verdrängt, ins Unbewusste abgeschoben, das wiederum aber das Geschehen gespeichert hat.
Das Ich des Helden, der gleichzeitig ein Antiheld ist, ist gespalten in Bewusstes und
Unbewusstes, was seinen extremen körperlichen Zerfall erklärt. In der ersten Filmszene sieht
Verena Kast, Sich wandeln und sich neu entdecken, Freiburg 1996, S. 12.60
Jung, C. G.: Die Archetypen und das kollektive Unbewusste, hg. von Lilly Jung-Merker und Elisabeth Rüf, Düsseldorf 2006, S. 61.61
Ebd. S. 42.62
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man Trevor, der versucht eine Leiche, eingerollt in einem Teppich, zu entsorgen. Der
Zuschauer wird enttäuscht. Es ist keine Leiche da. Aber es ist eine Stimme zu hören die
Trevor die Frage stellt: „Wer bist du?“ Das scheint der Protagonist, selbst nicht genau zu 63
wissen und muss in kleinen Schritten auf seinem Individuationsweg, von C. G. Jung auch
Nachtmeerfahrten genannt, geklärt werden. Annähernd dieselbe Szene wird gegen Ende des
Films wiederholt. Allerdings ist Ivan, der hinter Trevor am Ufer steht und die Szene mit einer
großen Taschenlampe ausleuchtet, diesmal deutlich zu sehen. 64
6.1.2 Das Unbewusste in der Symbolik
Die großen religiösen Symbole gehören zur Welt des kollektiven Bewusstseins und des
kollektiven Unbewussten. Diese sind uns auch im Wachzustand zugänglich und haben eine
Verbindung zum kollektiven Unbewussten. Die Erfahrung mit religiösen Symbolen kann als
eine archetypische Erfahrung betrachtet werden. Immer wieder rücken, neben dem
Kühlschrank als zentrales Objekt, Abbildungen von Fischen und Anglerzubehör in den 65
Fokus, wie zum Beispiel der Aufkleber auf seinem Auto: „rather go fishing“. Nach C. G.
Jungs Theorie wissen die Menschen, „daß der Schatz in der Wassertiefe ruht, und werden ihn
zu heben versuchen. Da sie nie vergessen dürfen, wer sie sind, so dürfen sie ihr Bewußtsein
unter keinen Umständen verlieren. Sie werden also ihren Standpunkt auf der Erde festhalten;
sie werden damit - um im Gleichnis zu bleiben - zu Fischern […] Aber nicht jeder ist ein
Fischer. Manchmal bleibt diese Figur auch auf ihrer instinktiven Vorstufe stehen, […] wer ins
Wasser schaut, sieht zwar sein eigenes Bild, aber dahinter tauchen bald lebendige Wesen auf;
Fische sind es wohl […]“. Das Symbol im Film ist aber nicht lebendig. Angeln als Hobby 66
scheint derzeit von Trevor nicht aktiv ausgeübt zu werden. Die zuvor Fische liegen im
Gefrierschrank. Der Fisch ist für Trevor kein Symbol, das ihn emotionell ergreift. Die toten
Fische können den Protagonisten nicht beleben. Der Kühlschrank wird im Film häufig in
Szene gesetzt. Am Kühlschrank befinden sich auch die Post-its mit dem „Hangman“-Spiel, an
dessen Lösung Trevor verbissen arbeitet. Trotz dieser Nähe die das Symbol der Erlösung zu
Trevor hat, nimmt er es nicht wahr. Eine mögliche Bedeutung erschließt sich auch, als die
eingefrorenen Fische im Tiefkühlfach des Kühlschranks auftauen , da Trevor in seinem 67
Filmbeispiel auf DVD, a.a.O., TC 2:5863
Filmbeispiel auf DVD, a.a.O., TC 1:29:1364
Filmbeispiel auf DVD, a.a.O., TC 12:1365
Jung, C. G.: Archetypen, München 2010, S. 27.66
Filmbeispiel auf DVD, a.a.O., TC 1:1:4067
�18
desolaten Zustand nicht mehr in der Lage ist, den Geschäften des täglichen Lebens
nachzugehen. Dazu gehört auch das pünktliche Bezahlen von Rechnungen, was dazu geführt
hat, dass der Strom abgesperrt wurde. Den üblen Geruch in seiner Wohnung, den Trevors
Vermieterin wahrnimmt, scheint er nicht zu bemerken. Der Kühlschrank kann daher als
Methapher dafür stehen, dass das, was auf Eis gelegt wurde, nicht automatisch verschwindet.
Dem Sprichwort „aus den Augen aus dem Sinn“ zufolge ist es nur aus dem Gesichtsfeld und
somit aus dem Bewusstsein verschwunden. Da Jesus, der selbst seinen Henkern ihre Schuld
vergibt, mit dem Zeichen des Fisches in Verbindung steht, kann der ständige Hinweis auf
Fische auch als Hinweis auf die Vergebung einer Schuld zu verstehen sein. Es schreibt C. G.
Jung: „Die Menschheit suchte und erwartete, und es war der Fisch - ‚levatus de profundo‘ -
aus der Quelle, der zum Symbol des Heilbringers wurde.“ 68
6.1.3 Persönlicher Individuationsweg Trevors
Die verschiedenen Erzählstränge des Films bestehen aus den Begegnungen des Protagonisten
mit den Archetypen. Meist blenden sich diese nach einem Sekundenschlaf ein, oder 69
erscheinen als Halluzination. Diese Begegnungen sind wichtig, damit der Held seinen
Individuationsweg erfolgreich beenden kann. Der Ablauf der persönlichen Entwicklung
Trevors bleibt bis über die Hälfte des Films hinaus verschwommen, weil es schwierig ist, die
verschiedenen Erzählstränge auseinanderzuhalten. Ein Post-it am Kühlschrank zeigt ein
Galgenmännchenspiel mit sechs Buchstaben, das zu lösen ist. Der Protagonist zieht
verschiedene Lösungsmöglichkeiten in Betracht, die zwar nicht stimmig, aber für seine
Entwicklung förderlich sind. Häufig ist es für den Zuschauer nicht schlüssig, ob es sich in der
Filmsequenz um Realität oder Traum handelt. Erst gegen Ende des Films verdichten sich die
Erzählstränge. Die Schlüsselszene stellt die Fahrt in der Geisterbahn, die Trevor zusammen
mit Nicholas unternimmt, dar. Der Marktschreier auf dem Rummelplatz wirbt für die Fahrt
damit, indem er „eine Fahrt in die Abgründe der Seele“ verspricht - und auch hält, denn 70
Trevor bekommt Bilder aus seiner Vergangenheit vorgeführt, die längst in seinem
Unbewusstsein schlummern. An einer Weggabelung will er Nicholas, der am Steuer sitzt,
dazu bewegen, den „Way of Solution“ einzuschlagen, dieser wählt jedoch einen anderen,
während Trevor machtlos zusehen und sich fügen muss. Jede Analepse und jede Begegnung
mit einem Archetypen bringt sowohl den Protagonisten als auch den Zuschauer der Lösung
Jung, C. G.: Archetypen, München 2010, S. 21.68
Filmbeispiel auf DVD, a.a.O., TC 14:3769
Filmbeispiel auf DVD, a.a.O., TC 41:0770
�19
des Konfliks ein Stück näher. Zudem implizieren sie bei Trevor Reznik ein Déjà vu. Trevor
erinnert sich plötzlich daran, dass er selbst vor einem Jahr den roten Pontiac Firebird besaß
und ein Kind überfuhr. Nicholas. Als er im Rückspiegel sah, dass dessen Mutter angerannt
kam, gab er Gas und beging Fahrerflucht. Das Wort unter dem Strichmännchen am Galgen
heißt KILLER! Die Aufgabe ist gelöst. 71
Trevor stellt sich der Polizei. Endlich biegt er an dieser Weggabelung rechts ab und schlägt
damit den richtigen Weg ein. Die freundschaftliche Abschiedsgeste von Ivan, als Trevor die 72
Polizeistation betritt, deutet darauf hin, dass der Augenblick gekommen ist, an dem es Trevor
Rezinik gelungen ist, seinen Schatten endgültig anzunehmen, nachdem er sich ausführlich mit
ihm auseinandergesetzt hat. Trevor hat Frieden mit sich selbst geschlossen. In der
Gefängniszelle angekommen kann er endlich schlafen. 73
7. Begegnungen mit den Archetypen als persönliche Helfer auf dem
Individuationsweg des Protagonisten
7.1 Der Schatten im Film
Das im Individuationsprozess geforderte Annehmen der eigenen Person mit allen Unan-
nehmlichkeiten ist ein schwieriger Schritt, wobei das Erkennen des Schattens als das
persönliche Unbewusste eine große Rolle spielt. Jung schreibt dem Schatten eine wichtige
Rolle zu: „Die Figur des Schattens personifiziert alles, was das Subjekt nicht anerkennt und
was sich ihm doch immer wieder - direkt oder indirekt - aufdrängt, also zum Beispiel
minderwertige Charakterzüge und sonstige unvereinbare Tendenzen.“ Im Metzler Lexikon 74
literarischer Symbole steht der Schatten als „Symbol des Abkünftigen, Entfremdeten,
Entseelten, aber auch des Wesens“, wobei als relevant betrachtet wird, dass der Schatten in
Abhängigkeit des Gegenstandes steht, das ihn wirft. Diese Beschreibung passt sowohl zu C. 75
G. Jungs Theorien als auch zum Hauptcharakter von Der Maschinist. In der sechsten Minute
des Films sieht man Trevor schwach und kraftlos, bis auf das Skelett abgemagert. Er wirkt 76
nur noch wie ein Schatten seiner selbst. Die Begegnung Trevors mit seinem Schatten, den er
Filmbeispiel auf DVD, a.a.O., TC 1:32:1871
Filmbeispiel auf DVD, a.a.O., TC 1:34:2172
Filmbeispiel auf DVD, a.a.O., TC 1:35:3073
JGW, „Die Archetypen des kollektiven Unbewussten“, (Bd. 9/I), S. 30274
Heinz Druegh in: Günter Butzer und Joachim Jacob (Hrsg.), Metzler Lexikon literarischer Symbole, Stuttgart 2012, S. 367.75
Filmbeispiel auf DVD, a.a.O., TC 5:01ff76
�20
allerdings nicht als solchen erkennt, kommt erst zustande, als er sich bereits in einem
desolaten körperlichen Zustand befindet. Nach eigenen Angaben hat er zu diesem Zeitpunkt
bereits seit fast einem Jahr nicht mehr geschlafen. Dem eigenen Gegenüber zu begegnen ist
nach Jung ein bedeutender Moment. Er meint: „Dies ist die erste Mutprobe auf dem inneren
Wege, eine Probe, die genügt, um die meisten abzuschrecken, denn die Begegnung mit sich
selber gehört zu den unangenehmeren Dingen, denen man entgeht, solange man alles
Negative auf die Umgebung projizieren kann.“ 77
Die erste Begegnung Trevors mit dem Schatten findet bereits in der zweiten
Filmminute statt. Allerdings ist er noch nicht zu sehen. Nur seine Stimme ist zu hören, als er
die Frage stellt: „Wer bist du?“ Als Archetyp zeigt sich der Schatten Trevor in einer 78
Arbeitspause. Als Trevor nach dem Anzünden einer Zigarette - der Zigarettenanzünder ist im
Film in den Focus gerückt - nach einem Sekundenschlaf erwacht, steht Ivan neben seinem 79
Auto. Auch im Film lassen sich zumindest einige der oben genannten Teufelsmerkmale bei 80
Ivan erkennen, der eindeutig den Schatten verkörpert. Dabei sind diese archetypischen Bilder
im kollektiven Unbewussten nur als Wirkkräfte zu verstehen, als Energie, die von der sinnlich
erfahrbaren Welt durch typische bildhafte Symbolgestalten ausgedrückt werden. Nach Jung
sind „die Urbilder […] unendlicher Wandlung fähig und bleiben doch stets dieselben, aber nur
in neuer Gestalt können sie aufs neue begriffen werden. Immer erfordern sie eine neue
Deutung.“ In einer Filmszene zeigt er seine verkrüppelte Hand in einer Geste, bei der der 81
Zuschauer unwillkürlich an Hörner denken muss. Dennoch darf der Schatten nicht 82
zwangsläufig mit dem Bösen gleichgesetzt werden. Wenn der Schatten also als die „dunkle
Seite der Seele“ bezeichnet wird, sollte „dunkel“ nicht voreilig negativ konnotiert werden,
sondern als der Part der Seele gesehen werden, der schlecht sichtbar ist und deshalb keine
Beachtung findet. Da sich hier aber meist, wie im Keller, den Jung als Beispiel heranzieht, 83 84
Jung, C. G.: Archetypen, München 2010, S. 23.77
Filmbeispiel auf DVD, a.a.O., TC 2:5878
Filmbeispiel auf DVD, a.a.O., TC 14:1679
Filmbeispiel auf DVD, a.a.O., TC 16:0680
JGW Bd. 16), a.a.O., S. 20881
Filmbeispiel auf DVD, a.a.O., TC 32:5482
Dieter Schnocks, Mit C. G. Jung sich selbst verstehen, Stuttgart 2013. S. 4083
Vgl. dazu CGJ, Erinnerungen, Freiburg 1978. S. 16384
�21
verdrängte „Antiwerte“ befinden, bekommt der Schatten meist eine destruktive Seite, wie er 85
sich auch im Filmbeispiel in der Person des Ivan vorerst äußert. Trevor sieht ihn Ivan das
Böse, das er verabscheut, ja sogar zu bekämpfen versucht. Er verbindet sich mit dem
„Schatten“, der dunklen Seite des Menschen, meist negative Assoziation. Allerdings darf
dabei nicht vom negativen Menschenbild eines Schopenhauer oder Hobbes ausgegangen
werden. Um die Schattenanteile als Negativum zu assoziieren, muss die These, dass der
Mensch im Grunde gut ist, stimmen. Indem Trevor Ivan als vermeintlichen Exmann von
Stevie entlarven zu meinen scheint, wird er sogar zu seinem Rivalen, was als erste Anzeichen
einer Annäherung des Schattens als Alter Ego zu deuten ist. Der Name Ivan für die 86
Schattenfigur scheint bewusst gewählt worden zu sein. So steht der Name Ivan für die
Gesamtheit aller Russen , wie etwa die deutsche Bezeichnung Otto Normalverbraucher, für 87
Jedermann. Interessant ist allerdings auch eine weitere Bedeutung des aus dem Hebräischen
stammenden Namen, nämlich, dass er aus Jahwe, dem Wort für Gott und Chanan, das für
Gnade steht, zusammengesetzt ist. Somit würde der Schatten hier auf der einen Seite mit 88
seiner Person und auf der anderen Seite mit seinem Namen für die Dualität im Gottesbegriff
selbst stehen. Es drängt sich eine Verbindung hierzu aus dem häufig im Film erwähnten
russischen Autor Dostojewskij auf, der einen Charakter in seinem Roman Die Brüder
Karamasow ebenfalls Iwan nennt, der sich die Frage stellt, ob denn der Teufel nicht eine
Erfindung des Menschen nach seinem Ebenbild sein könne, ebenso wie Gott. Betrachtet 89
man jedoch den Schatten als Dämon, der weder gut noch böse ist und dem Menschen als
Helfer zur Seite steht, passt die Annäherung von Ivan an Trevor, in der Funktion als Führer
auf dem Weg zur Erkenntnis sehr gut. Obwohl Jung den Geist als ein Prinzip sieht, das im
Gegensatz zur Materie steht, vergleicht er die Beziehungen zwischen Gegensätzlichem, die 90
sich in lebendigen Symbolen darstellen, in der Symbolgestalt des Hermes, dem Boten, den
Jung als „Offenbarungsgott in der frühmittelalterlichen Naturphilosophie“ und als „nichts
Vgl. dazu Dieter Schnocks, Mit C. G. Jung sich selbst verstehen, Stuttgart 2013. S. 4085
Vgl. dazu Filmszenen:a)Trevor meint die Stiefel Ivans im Flur von XY stehen zu sehen, Filmbeispiel auf DVD, a.a.O., TC 35:28, 86
b)Auf Bildern ist er mit Ivan ausgetauscht Filmbeispiel auf DVD, a.a.O., TC 35:45
https://www.wortbedeutung.info/Iwan/87
http://www.vornamen.ch/name/ivan.html88
Fjodor M. Dostojewskij, Die Brüder Karamasow, München 1978.89
Vgl. „Zur Phänomenologie des Geistes im Märchen“, in: Archetyp und Unbewußtes, Augsburg 2000. S. 206 - 250, hier 90
S. 207�22
Geringeres als [den] welt-schöpferische[n] nous selber“ betrachtet . Weiter lässt sich darin 91
nach Jung auch der alchemistische Mercurius erkennen, da in ihnen allen Stofflich-
Materielles und zugleich Geistiges verbunden sei: „Er [Mercurius] ist der Teufel, ein
wegweisender Heiland, ein evasiver ‚Trickster‘ und die Gottheit […]. Er ist das Spiegelbild
eines mit dem opus alchymicum koinzidenten mystischen Erlebnisses des artefix. Als dieses
Erlebnis stellt er einerseits das Selbst, andererseits den Individuationsprozeß, und das
kollektive Unbewußte dar.“ Auch das alchemistische Symbol dazu (Quecksilber, Planet 92
Merkur), unterstützt Jungs These.
Obgleich dem Trickster bei Jung eine andere Rolle zugeordnet wird, auf die in dieser
Arbeit nicht näher eingegangen wird, scheint es legitim, das obige Zitat an dieser Stelle
einzufügen, weil dadurch deutlich wird, dass sich der positive Schattenaspekt auch in der
Figur des Teufels als Widersacher personifizieren kann. Die ewige Unruhe Trevors scheint
sich der Figur des Mercurius anzunähern. Schnocks meint, dass der Schatten dem Ich sehr
nahe sei. Er schreibt: „Man hat ihn darum auch einen Hüter der Schwelle zum Unbewussten
genannt. Der Schatten ist in den meisten Fällen der Bereich, dem wir auf dem Weg nach innen
zuerst begegnen. Und er bleibt für jeden Menschen eine immerwährende Herausforderung, da
er als wichtigste psychische Grundfunktion nicht zu beseitigen ist. Man kann die
Schatteninhalte bewusst machen und auf vernünftige Weise ins Leben integrieren.“ Dass 93
Trevor sich auf dem Weg befindet, den Schatten anzunehmen, wird im Lauf des Films immer
deutlicher. Die Einheit von Trevor und Ivan wird in der Szene besonders hervorgehoben, in
der Trevor im Spiegel hinter seinem eigenen Spiegelbild das von Ivan entdeckt. Ivan 94
versucht Trevor deutlich zu machen, dass nicht er, so wie von Trevor vermutet, der Killer ist,
sondern Trevor selbst. „ Nicht ich […] du […]“ sagt sein Alter Ego. Diese Szene bringt 95
einen Wendepunkt in das Geschehen. Die Rolle Ivans in der Figurenkonstellation ändert sich.
Ab diesem Zeitpunkt nimmt ihn auch Trevor als Boten wahr, der ihm dabei hilft, Licht ins
Dunkel zu bringen.
JGW Die Archetypen und das kollektive Unbewußte, (Bd 9/1) Düsseldorf 2006, S. 119.91
JGW „Der Geist Mercurius“, in: Symbolik des Geistes, (Bd. 13) Ostfildern 2011. 1948, S. 211 - 270, hier S.119; hieraus 92
stammt auch die Doppelnatur und Gleichsetzung des Mercurius mit der sapientia und dem Heiligen Geist!
Dieter Schnocks, Mit C. G. Jung sich selbst verstehen, Stuttgart 2013. S. 4293
Filmbeispiel auf DVD, a.a.O., TC 1:25:3394
Filmbeispiel auf DVD, a.a.O., TC 1:26:1195
�23
7.2 Die Mutter im Film
Im Film Der Maschinist kommt die janusgesichtige Mutter besonders deutlich zur Geltung.
Die archetypisch überpersönliche Große Mutter, gilt als die Urheberin des Lebens. Nach Jung
ist die Trägerin des im Kollektiven Unbewussten angelegten Mutter-Archetypus ist in erster
Linie die persönliche Mutter bzw. deren Vertreterin. Ihr werden Eigenschaften zugeschrieben,
die ihr selbst gar nicht anhaften. Nach Jung stehen psychisch Kranke unter einem 96
besonderen Einfluss des Mutterbildes, was sich bei Trevor Reznik, in seiner mentalen 97
Instabilität bestätigt. Im Film kümmern sich sowohl Maria als auch Stevie um das leibliche
Wohl von Trevor: Stevie, die für die Hure steht, bereitet Trevor Frühstück und gibt ihm
Geborgenheit, Maria, die Heilige, deren Name bereits an die Gottesmutter erinnert, serviert
ihm im Flughafencafe Kuchen und zeigt viel Empathie. Beide Male erhält Trevor von der 98
Großen Mutter Nahrung und neue Kräfte. Im Film sind als bezeichnende Szenen sowohl die
Umarmungen in den intimen Stunden bei Stevie und das von ihr servierte Frühstück als 99
auch die Geste Marias, als sie Trevor mitfühlend ein Stück Kuchen zu seinem Kaffee serviert.
Nach Neumann sind „Nahrung geben, Schützen, Wärmen, und Festhalten die Fuktionen, „in
denen sich der Elementarcharakter des Weiblichen […] auswirkt. Das erste Treffen mit 100
diesem Archetypus findet mit Stevie als reale Person und mit Maria im Flughafencafe 101 102
bereits während der ersten zehn Minuten des 98 Minuten dauernden Films statt. Selbst die
persönliche Mutter wird ins Spiel gebracht, was deutlich wird, wenn Trevor alte Kinderbilder
in seinem Fotoalbum liebevoll betrachtet, auf denen die Wohnsituation seiner Kindheit mit
der von Maria identisch ist und einem Erinnerungsobjekt, der Glasschale seiner Mutter, die, 103
sorgsam gehütet, im Film immer wieder in den Fokus gerückt wird. An dieser Stelle könnte 104
der Vergleich des Jungschülers Erich Neumann greifen, in dem er die Große Mutter als „Welt-
Körper-Gefäß“ darstellt, da er für das Verständnis des Archtyps nach dieser Symbolik
Vgl. C.G.Jung, Die psychologischen Aspekte des Mutter-Archetyps (1938). In: C.G.Jung: Archetypen. München 1990, S. 75ff96
Vgl. JGW, 9/1, Düsseldorf 2006 ,S. 118.97
Filmbeispiel auf DVD, a.a.O., TC 8:3498
Filmbeispiel auf DVD, a.a.O., TC 58:1599
Neumann, a.a.O., S. 45.100
Filmbeispiel auf DVD, a.a.O., TC 5:0101
Filmbeispiel auf DVD, a.a.O., TC 8:34102
Filmbeispiel auf DVD, a.a.O., TC 45:00ff103
Filmbeispiel auf DVD, a.a.O., TC 1:32:52104
�24
greift. Maria ist auch identisch mit der leiblichen Mutter Trevors, was nach Jung noch eine 105
enge Verbindung zur Anima darstellt, die sich nach seinen Angaben im Jugendalter jedes
Menschen vom Archetyp der Großen Mutter herauslösen sollte. Trevors Sehnsucht nach der
ursprünglichen mütterlichen Geborgenheit der eigenen Kindheit kommt dadurch zum
Ausdruck.
7.3 Das Kind im Film
Jung betrachtet den Kinderarchetypus als ein treffendes Beispiel für einen Mythnbestandteil,
der im Traum und in psychotischen Phantasieprodukten erscheint. „Am deutlichsten und 106
sinnvollsten aber manifestiert sich das Kindmotiv in der Neurosentherapie bei dem auch die
Analyse des Unbewußten hervorgerufenen Reifungsprozeß der Persönlichkeit, den ich als
Individuationsprozeß bezeichnet habe“ , behauptet er, was auf den Protagonisten zutreffend 107
ist. Der Archetyp Kind ist im Film Der Maschinist individuell charakterisiert. Er wird von
einem etwa zehnjährigen Jungen verkörpert, für den Trevor eine Vaterfigur darstellt. Nicholas
vertritt zum einen Trevor in seiner eigenen Kindheit, zum anderen das Kind, das bei dem von
ihm verschuldeten Autounfall ums Leben kam. Damit greift für die erste Verbindung
Nicholas’ zu Trevor die Aussage Jungs, dass das Kindmotiv ein Bild für gewisse Dinge der
eigenen Kindheit, die wir vergessen haben, sei. Jung behauptet, dass man „dem Archetypus 108
‚Kind’ […] empirisch bei spontanen […] Individuationsprozessen [begegnet].“ In diesem 109
Fall liege eine Identifikation des Patienten mit seinem persönlichen Infantilismus dar, was im
Fall des Protagonisten durchaus möglich zu sein scheint, wenn die Identität Trevors mit dem
Kind in Betracht gezogen wird. Dabei darf nicht vergessen werden, dass es sich bei dem
Kindmotiv nicht um ein reales Kind handelt, sondern um eine mythologische Kind-
vorstellung, ein irrationales Symbol eines wunderbaren Kindes mit nicht empirischen
Eigenschaften. Immer wieder steht das fiktive Kind Nicholas Trevor als Helfer zur Seite.
Dieser Archetyp tritt relativ spät auf In der oben beschriebenen Schlüsselszene in der 110
Geisterbahn, ist es das Kind, das den Wagen lenkt und Trevor auf diesem Weg auf
Neumann, a.a.O., S. 51ff.105
Vgl. JGW, (Bd. 9/1), Düsseldorf 2006, S. 167.106
Ebd., S. 173.107
Ebd., S. 175.108
Ebd., S. 194.109
Filmbeispiel auf DVD, a.a.O., TC 38:36110
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Geschehnisse aufmerksam zu machen versucht, die aus seinem Bewusstsein gelöscht
wurden. Meist tritt Nicholas zusammen mit der Mutter auf, die in das Geschehen 111
miteinbezogen wird, was nach Jung durch die ablehnende Haltung des Bewusstseins, das
noch in der Konfliktsituation gefangen ist, oder auch durch den horror vacui des Unbewussten
veranlasst wird, weil der Held für eine Hilfe, bzw. für eine neue Geburt noch nicht bereit
ist. Ein weiterer wichtiger Punkt, schon gegen Ende des Films, ist der, als Nicholas und 112
Ivan Hand in Hand, Nicholas also bereits losgelöst von der Mutter, das Haus betreten, in dem
Trevor wohnt. Es scheint, dass sie sich Zugang verschaffen wollen zu dem, was seinen 113
intimen Bereich darstellt, der verschlossen ist, zu dem keiner Zugang hat, nicht einmal er
selbst.
8. Schlussgedanken
Beim Protagonisten des Films Der Maschinist, Trevor Reznik, wird deutlich, dass der
Schatten nicht nur das Böse, sondern auch das Gute für das Bewusste unzugänglich machen
kann. Dieser Archetypus wurde wie eine Brücke genutzt, um eine Verbindung zwischen dem
Bewussten und dem Unbewussten herzustellen. Der Archetypus muss demnach vielschichtig
betrachtet werden. C. G. Jung, der seinem Archetypus diese Ambivalenz zugesteht, kann in
dieser Hinsicht zugestimmt werden, dass das Verdrängte, der Schatten, als zur Person gehörig
bejaht und angenommen werden muss, damit das Individuum zum Selbst finden kann. Der
Protagonist hat sich mit seiner Schattenseite auseinandersetzt, sich diese bewusst gemacht,
daran gearbeitet umzudenken, wenn auch unbewusst. Das wird durch seine Auseinander-
setzung mit den Post-its deutlich, an deren Lösung er verbissen arbeitet, allerdings die Schuld
erst bei anderen sucht, bevor der den Schatten in der Person des Ivan akzeptierten kann.
Trevor stellt die existentielle Fragen nach Schuld und Sühne. Dadurch und durch die intensive
Auseinandersetzung mit seinem anderen Pol und der Hilfe der sich ihm zeigenden Archetypen
wird der Individuationsweg des Dostojewski lesenden Helden erfolgreich. Durch die
Anerkennung und Bewusstmachung seiner Schuld, der Erleichterung seines Gewissens und
der Möglichkeit, dafür Sühne zu leisten, ist wieder ein Energiefluss zwischen beiden Polen
möglich. Das Unbewusste hat seinen negativen Aspekt und somit auch seine Gefährlichkeit
für Trevor verloren. Indem er sich seiner Schuld bewusst ist, sie anerkennt und dafür sühnt,
Filmbeispiel auf DVD, a.a.O., TC 42:34111
JGW, (Bd. 9/1), Düsseldorf 2006, S. 182.112
Filmbeispiel auf DVD, a.a.O., TC 1:24:04113
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kann er endlich Ruhe finden. Trevors persönliches Dunkel verschwindet. Er, der sich mit
seinem Dämon versöhnt hat, schleppt sich in seiner spärlich möblierten Zelle zu einem
unbequem aussehenden Ruheplatz und kann schlafen. Der Film löst sich in gleißendem 114
weißem Licht auf. Die Archtypen, die im Film als Helfer fungieren, haben ihre 115
Schuldigkeit getan, die Erzählstränge laufen zusammen, indem der Protagonist seinen
Individuationsweg beendet hat.
Filmbeispiel auf DVD, a.a.O., TC 1:35:30114
Filmbeispiel auf DVD, a.a.O., TC 1:36:18115
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Quellenangaben
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DVD
Der Maschinist. Regie: Brad Anderson. Drehbuch: Scott Kosar. Castelao Productions. 2004. (Originaltitel: El Maquinista.) Fassung: DVD. 3L Film GmbH & Co. KG., 2009, 98’.
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