Große Tage für das Lebensmittelrecht

1
PRESSE „Brauchen wir ein neues Lebensmit- telgesetz?“ So lautete das Thema des ersten Deutschen Lebensmittelrecht- stags 1988. Es ging um die damals noch zwischen Herstellern und Han- del umstrittene Haftung beim Vertrieb von Lebensmitteln, die so genannte Kettenverantwortung. Der Münchner Lebensmittelrecht- ler Thomas Mettke fasste die Entwick- lung zu einem intellektuellen Par- forceritt zusammen. Als Justiziar der Allgäuer Alpenmilch gehörte er zu den Gründungsvätern des Lebensmittel- rechtstags, zu dem sich alljährlich für zwei Tage spezialisierte Rechtsanwäl- te, Wissenschaftler und Anwender aus Unternehmen und Behörden treffen. Zu den Initiatoren gehörte auch der unvergessene Rewe-Justiziar Gert Meier. Mettke zitierte aus Meiers Buch „Die Wirklichkeit der Mythologie“, wie Her- mes zum Götterboten und Patron der Kaufleute wurde. Er wolle niemals mehr lügen, versprach Hermes dem Götterva- ter, könne aber nicht versprechen, im- mer die ganze Wahrheit zu sagen. „Das wird auch nicht von dir erwartet“, sagte Zeus mit einem wohlwollenden Lä- cheln. „Deine Pflichten würden im Schließen von Verträgen, der Förderung des Handels und der Aufrechterhaltung des Wegerechts bestehen.“ Mit dieser Szene sei die Aufgabe des europäischen Lebensmittelrechts für die nächsten Jahre treffend umrissen, mein- te Mettke. „Gibt es eine europäische Ver- kehrsauffassung“, war die Frage, mit der sich der Lebensmittelrechtstag immer wieder beschäftigte. „Ihr sollt kein Aas essen. Dem Fremdling in deiner Stadt darfst du es geben“, heiße es schon im 5. Buch Mose. In selben Geiste verteidig- ten die Mitgliedsstaaten ihre nationalen Reinheitsgebote für Bier, Käse, Pasta und Whisky. Die Vollendung des Binnen- markts dauerte bis zum 1. Januar 1992. Seit den 90er Jahren setze eine Neu- orientierung der Gesetzgebung ein, die dem Verbraucherschutz den ersten Rang einräumt. Nach der Tschernobyl-Kata- strophe und der BSE-Krise wurde der im Umweltrecht anerkannte Gedanke der Vorsorge zur zentralen Zielsetzung auch des Lebensmittelrechts. Heute sind der Schutz von Tieren und Pflanzen Teil der Lebensmittelsicherheit. Der später vielgeschmähte Martin Bangemann benannte die Chancen – und auch die Grenzen dieses Anspruchs bei der Vorstellung eines Grünbuchs schon 1996: Lebensmittelrecht müsse berücksichtigen, was die Verbraucher über Lebensmittel und ihre Herstellung denken, erklärte der EU-Kommissar, aber die Möglichkeiten der EU dafür sei- en begrenzt. Seit der Basisverordnung von 2002 bestimmt das Vorsorgeprinzip die Le- bensmittelgesetzgebung – und damit auch die Lebensmittelrechtstage. Die Politiker tragen der Risikowahrnehmung der Öffentlichkeit und den damit ver- bunden Ängsten Rechnung. Damit wird das Vorsorgeprinzip für Mettke zum ge- sellschaftlichen Konstrukt. Solange Vor- sorge jedoch nur auf Risikoanalyse basie- re und für die Nützlichkeit keine Bewer- tungskategorien entwickelt würden, drohe sie auch Innovationen zu blockie- ren. „Der Paradigmenwechsel der Le- bensmittelgesetzgebung zur Gesell- schafts- und Gesundheitspolitik“, er- scheint Mettke unum- kehrbar. „Technikangst und Paradiessehnsucht“ beschäftigten den Le- bensmittelrechtstag zu- letzt 2011. Werbung be- dient diese emotionalen Erwartungen und wird nach Desillusionierungen als Täu- schung empfunden. Mettke empfiehlt deshalb, bei der Verbraucherpolitik „Abschied zu nehmen vom Ideal eines rational und bewusst handelnden Sub- jekts.“ Christoph Murmann/lz 12-12 Große Tage für das Lebensmittelrecht 25. Deutscher Lebensmittelrechtstag – Zeus, Moses und Martin Bangemann – Rückblick auf eine unaufhaltsame Entwicklung Wiesbaden. Das Lebensmittelrecht wird seit den 90er Jahren vom Vor- sorgeprinzip bestimmt. Auf dem 25. Deutschen Lebensmittelrechts- tag fasste ein bemerkenswerter Vor- trag die Entwicklung zusammen und problematisierte die politi- schen Motive. FOTO: THOMAS FEDRA Gutgelaunt: Festrednerin Sabine Leutheuser-Schnarrenberger genießt als Bundesjustiz- ministern die Wertschätzung der Juristen. Mit ihr saßen im Wiesbadener Kurhaus auf dem Podium (v. l.) Thomas Mettke, Prof. Rudolf Streinz und Prof. Friedhelm Hufen. Wiesbadener Kurhaus: Seit Jahren die respektheischende Kulisse des Deutschen Lebensmittelrechtstags. Auditorium: Zur Jubiläumsveranstaltung trafen sich über 250 Lebensmittelrechtler im Großen Festsaal. Entdecken Sie mehr auf Ihrem iPad! .net Lebensmittelrechtstag: Weitere Bilder vom Event lebensmittelzeitung.net/lm-tag Christoph Murmann /lz 12-12

description

25. Deutscher Lebensmittelrechtstag – Zeus, Moses und Martin Bangemann – Rückblick auf eine unaufhaltsame Entwicklung

Transcript of Große Tage für das Lebensmittelrecht

Page 1: Große Tage für das Lebensmittelrecht

Presse

„Brauchen wir ein neues Lebensmit-telgesetz?“ So lautete das Thema desersten Deutschen Lebensmittelrecht-stags 1988. Es ging um die damalsnoch zwischen Herstellern und Han-del umstrittene Haftung beim Vertriebvon Lebensmitteln, die so genannteKettenverantwortung.

Der Münchner Lebensmittelrecht-ler Thomas Mettke fasste die Entwick-lung zu einem intellektuellen Par-forceritt zusammen. Als Justiziar derAllgäuer Alpenmilch gehörte er zu denGründungsvätern des Lebensmittel-rechtstags, zu dem sich alljährlich fürzwei Tage spezialisierte Rechtsanwäl-te, Wissenschaftler und Anwender ausUnternehmen und Behörden treffen.

Zu den Initiatoren gehörte auch derunvergessene Rewe-Justiziar Gert Meier.Mettke zitierte aus Meiers Buch „DieWirklichkeit der Mythologie“, wie Her-mes zum Götterboten und Patron derKaufleute wurde. Er wolle niemals mehrlügen, versprach Hermes dem Götterva-

ter, könne aber nicht versprechen, im-mer die ganze Wahrheit zu sagen. „Daswird auch nicht von dir erwartet“, sagteZeus mit einem wohlwollenden Lä-cheln. „Deine Pflichten würden imSchließen von Verträgen, der Förderungdes Handels und der Aufrechterhaltungdes Wegerechts bestehen.“

Mit dieser Szene sei die Aufgabe deseuropäischen Lebensmittelrechts für dienächsten Jahre treffend umrissen, mein-te Mettke. „Gibt es eine europäische Ver-kehrsauffassung“, war die Frage, mit dersich der Lebensmittelrechtstag immerwieder beschäftigte. „Ihr sollt kein Aasessen. Dem Fremdling in deiner Stadtdarfst du es geben“, heiße es schon im

5.Buch Mose. In selben Geiste verteidig-ten die Mitgliedsstaaten ihre nationalenReinheitsgebote für Bier, Käse, Pasta undWhisky. Die Vollendung des Binnen-markts dauerte bis zum 1. Januar 1992.

Seit den 90er Jahren setze eine Neu-orientierung der Gesetzgebung ein, diedem Verbraucherschutz den ersten Rangeinräumt. Nach der Tschernobyl-Kata-strophe und der BSE-Krise wurde der imUmweltrecht anerkannte Gedanke derVorsorge zur zentralen Zielsetzung auchdes Lebensmittelrechts. Heute sind derSchutz von Tieren und Pflanzen Teil derLebensmittelsicherheit.

Der später vielgeschmähte MartinBangemann benannte die Chancen –

und auch die Grenzen dieses Anspruchsbei der Vorstellung eines Grünbuchsschon 1996: Lebensmittelrecht müsseberücksichtigen, was die Verbraucherüber Lebensmittel und ihre Herstellungdenken, erklärte der EU-Kommissar,aber die Möglichkeiten der EU dafür sei-en begrenzt.

Seit der Basisverordnung von 2002bestimmt das Vorsorgeprinzip die Le-bensmittelgesetzgebung – und damitauch die Lebensmittelrechtstage. DiePolitiker tragen der Risikowahrnehmungder Öffentlichkeit und den damit ver-bunden Ängsten Rechnung. Damit wirddas Vorsorgeprinzip für Mettke zum ge-sellschaftlichen Konstrukt. Solange Vor-sorge jedoch nur auf Risikoanalyse basie-re und für die Nützlichkeit keine Bewer-tungskategorien entwickelt würden,drohe sie auch Innovationen zu blockie-ren.

„Der Paradigmenwechsel der Le-bensmittelgesetzgebung zur Gesell-schafts- und Gesundheitspolitik“, er-

scheint Mettke unum-kehrbar. „Technikangstund Paradiessehnsucht“beschäftigten den Le-bensmittelrechtstag zu-letzt 2011. Werbung be-dient diese emotionalenErwartungen und wird

nach Desillusionierungen als Täu-schung empfunden. Mettke empfiehltdeshalb, bei der Verbraucherpolitik„Abschied zu nehmen vom Ideal einesrational und bewusst handelnden Sub-jekts.“ Christoph Murmann/lz 12-12

Große Tage für das Lebensmittelrecht25. Deutscher Lebensmittelrechtstag – Zeus, Moses und Martin Bangemann – Rückblick auf eine unaufhaltsame Entwicklung

Wiesbaden. Das Lebensmittelrechtwird seit den 90er Jahren vom Vor-sorgeprinzip bestimmt. Auf dem25.Deutschen Lebensmittelrechts-tag fasste ein bemerkenswerter Vor-trag die Entwicklung zusammenund problematisierte die politi-schen Motive.

FO

TO

: T

HO

MA

S F

ED

RA

Gutgelaunt: Festrednerin Sabine Leutheuser-Schnarrenberger genießt als Bundesjustiz-

ministern die Wertschätzung der Juristen. Mit ihr saßen im Wiesbadener Kurhaus auf

dem Podium (v. l.) Thomas Mettke, Prof. Rudolf Streinz und Prof. Friedhelm Hufen.

Wiesbadener Kurhaus: Seit Jahren die respektheischende

Kulisse des Deutschen Lebensmittelrechtstags.

Auditorium: Zur Jubiläumsveranstaltung trafen sich über

250 Lebensmittelrechtler im Großen Festsaal.

Entdecken

Sie mehr auf

Ihrem iPad!

.net Lebensmittelrechtstag:Weitere Bilder vom Event

lebensmittelzeitung.net/lm-tag

Chris

toph

Mur

man

n /lz

12-

12