Generalbass - Kirchenmusik im Erzbistum Paderborn
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Generalbass
Tutorial für den C-Kurs
Ab dem 16. Jahrhundert wurden (mehrstimmige) Vokalwerke häufig durch Tasten- oder Zupfinstrumente begleitet. Hierbei notierte man – quasi in Kurzschrift – nur die Bassstimme, die jeweils der tiefsten Stimme folgte. Ziffern unter dieser Bassstimme gaben Abweichungen vom einfachen Dreiklangsaufbau an. Diesen bezifferten Bass nannte man basso continuo oder basso seguente, auch basso principale oder basso generale, zu deutsch: Generalbass.
Die Voraussetzung hierfür war, dass sich der Dreiklang im 16. Jahrhundert zur Grundlage des
harmonischen Geschehens entwickelt hatte.
Die Akkorde wurden aus dem Stehgreif auf der Orgel, dem Cembalo der Laute oder der Theorbe, dem Cembalo oder der Orgel ergänzt, eine klangliche Verstärkung der Bassstimme durch Gambe, Cello, Kontrabass oder Fagott möglich. Bezifferung
Ein Strich über der Ziffer 3, 5 oder 8 unter dem ersten Akkord bezeichnet die Lage, in
der das Stück beginnen soll (Terz, Quinte oder Oktave im Sopran, also Terz-, Quint-
oder Oktavlage).
Ohne Bezifferung werden die Terz und die Quint ergänzt und der Basston verdoppelt. (Terz- und Quint-Ergänzungen werden also nicht eigens angegeben.)
Ziffern unter der Bassstimme geben Abweichungen vom einfachen Dreiklangsaufbau (3-5-8) an, immer vom Basston aus gerechnet.
Neben allen Ziffern können Versetzungszeichen (#, b oder Auflösungszeichen)
stehen, die auf eine Erhöhung oder Erniedrigung hinweisen (z. B.: 7b, 6b, 5#, 4#,
gelegentlich auch 4+)
Versetzungszeichen (#, b oder Auflösungszeichen) allein unter dem Bass stehend, beziehen sich auf die Terz des Dreiklangs.
Ein waagerechter Strich ohne Ziffer (___) unter der Bassnote bedeutet, dass der
Akkord liegen bleibt (dann häufig als halbe Noten notieren) bei fortschreitendem
Bass (oft in Viertelnoten).
Ein schräger Strich ohne Ziffer (/) bedeutet, dass die Bassnote ein akkordfremder
Ton ist (meist Vorhalt) und in den Oberstimmen die Harmonie des folgendes
Basstones zu nehmen ist.
Stimmführung
Beim Aussetzen des Generalbasses sind die gängigen Satz- und Stimmführungsregeln zu
beachten:
keine Leittonverdopplungen
keine Verdopplung von alterierten Tönen
Intervallabstand zwischen Sopran / Alt und Alt / Tenor nicht über eine Oktav
Stimmkreuzungen vermeiden
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Stimmumfänge nicht über- bzw. unterschreiten
„Gesetz des nächsten Weges“: gleiche Töne bleiben liegen, sich ändernde Töne
gehen den kürzesten Weg
richtige Behandlung von dissonanten Tönen (Vorbereitung und Auflösung)
keine übermäßigen Intervalle in der Stimmführung
bevorzugt Gegenbewegung in den Außenstimmen
Verbot von offenen Quint- und Oktavparallelen
Sextakkord
Eine 6 unter dem Basston bedeutet Sextakkord. Es wird die Sexte (= Grundton) über dem
Basston (= Akkordterz) ergänzt, außerdem tritt die Akkordquinte - also die Terz vom Basston
aus gerechnet - hinzu.
Wenn die 6 durchgestrichen (von oben links nach unten rechts oder umgekehrt) ist, heißt
das: die 6 ist erhöht, es wird also ein Kreuz oder ein Auflösungszeichen vor die Sexte gesetzt
(in einigen Ausgaben aber auch 6#).
a) Beim normalen Umkehrungs-Sextakkord - also ein Akkord mit der Terz im Bass - sollte
falls möglich - die 6 über dem Basston verdoppelt werden, die ja der Grundton ist. Gut klingt
es oft auch, wenn die Terz über dem Basston verdoppelt wird, die ja beim Umkehrung-
Sextakkord die Quint des Akkordes ist. Wenn es von der Stimmführung her sinnvoll ist oder
um offene Quint- und Oktavparallelen zu vermeiden, kann aber auch der Basston - also die
Terz des Akkordes verdoppelt werden, sofern es sich hierbei nicht um einen Leitton handelt.
b) Häufig wird die 6 zur 5 geführt: In diesem Fall handelt es sich um einen Vorhalts-
Sextakkord. Da hier im Bass nicht die Terz sondern der Grundton des Akkordes liegt, wird in
diesem Fall der Basston verdoppelt.
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c) Manchmal steht bei Kadenzen unter dem Subdominant-Ton eine 6. In diesem Fall
empfiehlt es sich den Basston zu verdoppeln, da es sich hier meist um eine Substitut-
Subdominante handelt. Das heißt: die Akkordquinte ist durch eine Sexte ersetzt. (lat.:
substituere = ersetzen), der Basston als Grundton verdoppelt und hinzu tritt die Terz.
d) Im Zusammenklang von 6 und der 3 über einem Basston ergibt sich mitunter ein
verminderter Dreiklang, also ein Akkord mit zwei kleinen Terzen (häufig, wenn die 6 erhöht
ist). In diesem Fall wird in der Regel der Basston (= Akkordterz), gelegentlich auch die
Akkordquinte verdoppelt. Der Grundton kann als Leitton nicht verdoppelt werden.
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Vorhalt
Der Vorhaltston vertritt einen Akkordton als dessen obere oder untere Nebennote.
Er erscheint in der Regel auf betonter Taktzeit und ist in der Barockzeit vorbereitet. Das
heißt: In der vorangegangenen Harmonie ist der Vorhaltston akkordeigen und wird in
derselben Stimme in der nachfolgenden Harmonie zum akkordfremden Ton, der dann
stufenweise in einen akkordeigenen Ton geführt wird.
Die ältesten Vorhalts-Typen sind Vorhalte von der oberen Nebennote:
4 - 3 dazu ergänze ich 5 und 8
6 - 5 dazu ergänze ich 3 und 8
7 - 6 dazu ergänze ich 3 und 8
9 - 8 dazu ergänze ich 3 und 5
Vorhalte können unabhängig von der jeweiligen Akkordlage- oder -umkehrung in allen
Stimmen auftreten.
Es gibt auch doppelte Vorhalte, d. h. zwei gleichzeitige Vorhaltstöne:
6 - 5
4 - 3 dazu ergänze ich 8
9 - 8
4 - 3 dazu ergänze ich 5
Andere harmoniefremde Töne sind Durchgangstöne, Wechselnoten und Vorausnahmen.
Nachstehend eine Kadenz mit Vorhalten, Sextakkorden und Trugschluss (auf die V. Stufe [=
Dominante] folgt - anstatt der gehörsmäßig erwarteten I. Stufe [= Tonika] die VI. Stufe [=
Trugschlussakkord]). Beim Trugschlussakkord wird (im Generalbasszeitalter) aus
stimmführungstechnischen Gründen die Akkordterz verdoppelt.
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Vorhalte
Quartsextakkord
Der Quartsextakkord wird im Generalbass mit
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bezeichnet. Es wird immer der Basston verdoppelt.
Wir unterscheiden drei Formen des Quartsextakkordes:
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a) Den sogenannten Vorhalts-Quartsextakkord haben wir schon unter dem Kapitel Vorhalt
kennengelernt.
6 - 5 4 - 3
Er steht auf betonter Zählzeit, beide Vorhalte 6 und 4 werden vorbereitet und lösen sich auf zu
5 und 3. Im Bass steht der Grundton, der verdoppelt wird. Die 8 wird also hinzugefügt.
b) Der Wechselquartsextakkord steht auf unbetonter Zählzeit.
5 - 6 - 5
3 - 4 - 3
Es handelt sich hier um einen Wechsel der Terz und der Quinte jeweils eine Sekunde hinauf zur Sexte
bzw. Quarte und wieder zurück. Im Bass steht wieder der Grundton, der verdoppelt wird.
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c) Beim Durchgangsquartsextakkord liegt tatsächlich die Akkordquinte im Bass. Er steht auf
unbetonter Zählzeit. Als Bezifferung erscheint wieder:
6
4
Auch wenn es sich in diesem Fall um die Akkordquinte handelt, wird der Basston verdoppelt, also
hier: Quintverdopplung.
Sixte ajoutée (frz. „hinzugefügte Sexte“), kurz für „Accord de la sixte ajoutée“, genannt
auch Subdominant-Quintsextakkord (S56), ist die von Jean-Philippe Rameau eingeführte
Bezeichnung für die einem Dreiklang hinzugefügte große Sexte. In Rameaus Verständnis
ist dieser Akkord eine (satztechnische) Subdominante.
In der Generalbassbezifferung sieht er folgendermaßen aus:
6
5
Die 5 (vom Basston aus gerechnet) soll vorbereitet werden und anschließend abwärts
weitergeführt werden, da sie wie eine Septime zu behandeln ist.
Hier die verschiedenen Lagen des „Sixte ajoutée“ - je nach Lage des vorausgegangenen
Akkords:
Neapolitanischer Akkord
Der Neapolitanische Akkord (oder kurz „Neapolitaner“) ist ein Akkord, der durch
Tiefalteration der Sexte einer Substitut-Subdominante (Sexte anstatt Akkordquinte) mit
Grundtonverdoppelung) entsteht. Außerdem ist die Akkordterz immer klein, also auch in Dur
entsteht dadurch eine Moll-Subdominante (z. B. in C-Dur: f-as-des anstatt der „normalen“
Subdominante f-a-c, in a-Moll: d-f-b statt d-f-a).
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Nach anderer Lesart handelt es sich ein Durdreiklang auf der erniedrigten II. Stufe mit
Terzverdopplung.
(In diesem Verständnis kann sich der Neapolitaner aber auch „verselbständigen“ und zur
Modulation in weiter entfernte Tonarten verwendet werden. Die ist sehr häufig in der
Romantik anzutreffen.)
Seinen Namen, der erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts aufkam, erhielt der Klang wegen
seiner häufigen Verwendung in der neapolitanischen Opernmusik des 18. Jahrhunderts
(Neapolitanische Schule), bei der er vorerst nur in Molltonarten verwendet wurde
und Affekte wie Leid, Trauer und Schmerz symbolisierte, später aber auch in Durtonarten.
Im Generalbass ist der Neapolitaner an der Bezifferung 6b (bzw. Auflösungszeichen) unter
dem Subdominantbasston zu erkennen, in Durtonarten ergänzt um b (bzw.
Auflösungszeichen), das sich ja dann auf die 3 bezieht.
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Septimakkorde - kurz Septakkorde - und deren Umkehrungen
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Eine 7 zeigt an, dass zusätzlich zu den selbstverständlichen Intervallen Terz und Quinte noch
eine Septime erklingen soll, sodass ein Septakkord in Grundstellung entsteht. Die Septime
muss vorbereitet werden und anschließend abwärts aufgelöst werden.
Die Quinte kann entfallen (unvollständiger Septimakkord). Dann wird der Basston
verdoppelt. Dies ist oft der Fall bei mehreren Septakkorden in Grundstellung hintereinander.
Bei sogenannten Quintfallsequenzen entsteht ein Wechsel von vollständigen (mit Quinte)
und unvollständigen (ohne Quinte) Septakkorden wenn man die Regel: „7 vorbereiten, 7
abwärts führen“ beachtet und verbotene Parallelen vermeiden will.
6
5
5 und 6 zeigen an, dass die Quinte und Sexte über dem Basston erklingen sollen. Der
entstehende Quintsextakkord wird von der Akkordlehre als 1. Umkehrung eines Vierklangs
betrachtet, bei dem die Terz im Bass liegt.
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Wenn ich also die Terz des Septakkords in den Bass nehme, beträgt der Abstand vom
Basston zum Grundton eine Sexte und der Abstand vom Basston zur Septime eine Quinte
(rein oder vermindert). Die Quinte über dem Basston muss als Septime des Vierklangs
vorbereitet und nach unten aufgelöst werden.
Außerdem kommt die Terz dazu, die in der Bezifferung aber in der Regel nicht auftaucht, es
sei denn sie ist erhöht #, erniedrigt b oder aufgelöst.
Der Quintsextakkord wird im Generalbass genauso bezeichnet und behandelt wie der
Akkord mit der Sixte ajoutée.
4
3
3 und 4 zeigen an, dass gleichzeitig Terz und Quarte zum Basston erklingen sollen, die
Akkordterz wird stillschweigend ergänzt. Der entstehende Terzquartakkord wird von der
Akkordlehre als 2. Umkehrung eines Vierklangs betrachtet, bei dem die Quinte im Bass liegt.
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Wenn ich also die Quinte des Septakkords in den Bass nehme, beträgt der Abstand vom
Basston zum Grundton eine Quarte und der Abstand vom Basston zur Septime eine Terz. Die
3 vom Basston aus muss als Septime des Vierklangs vorbereitet und nach unten aufgelöst
werden. Der Auflösungston kann im Ausnahmefall auch stellvertretend im Bass erscheinen.
Außerdem kommt die Sexte (= Akkordterz) dazu, die in der Bezifferung aber in der Regel
nicht auftaucht, es sei denn sie ist erhöht, erniedrigt oder aufgelöst.
2
Eine 2 zeigt an, dass über dem Basston eine Sekunde sowie Quarte und Sexte zu spielen sind.
Der entstehende Sekundakkord wird von der Akkordlehre als 3. Umkehrung eines Vierklangs
betrachtet, bei dem die Septime selbst im Bass liegt.
Wenn ich also die Septime in den Bass nehme, beträgt der Abstand vom Basston zum
Grundton des Vierklangs eine Sekunde, vom Basston zur Terz des Vierklangs eine Quarte und
vom Basston zur Quinte des Vierklangs eine Sexte.
Zur 2 wird also noch 4 und 6 über dem Basston hinzugefügt. 4 und 6 werden mit
entsprechenden Vorzeichen nur angezeigt, wenn die Töne alteriert werden (erhöht,
erniedrigt oder aufgelöst) bzw. die 6 bei Erhöhung durchgestrichen.
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Kadenzen mit verschiedenen Septakkordformen:
Dominant-Septnonakkorde
Auch verminderte Dominant-Septnonakkorde (Dominante ohne Grundton, aber mit kleiner
Septime und kleiner None = Dv) werden im Generalbass wie Septimenakkorde bzw.
Septimenakkord-Umkehrungen beziffert.