Freiheit durch Sozialismus 2/2011
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Freiheit durch SozialiSmuS
Zeitung zur Programmdebatte in der Linken - 2/2011
Ein Programm für die Mehrheit!
Leiharbeit istmoderneSklavenarbeit. DIE LINKE
fordert deshalb
ein klares
Verbot. S. 3
Die von Rosa Luxemburg
formulierte Alternative
„Sozialismus oderBarbarei“ ist nach wie
vor aktuell. Es gibt keinen
Anlass, den Kapitalismus
schön zu reden. S. 5
DIE LINKE muss eineAntikriegsparteibleiben. Der Kampf
gegen Kriegstreiberei
und Militarisierung
gehört in ihr
Programm. S. 6
Von Sevim Dagdelen
DIE LINKE gibt sich ein Programm. In turbulen-
ten Zeiten. Der Kapitalismus hat die Welt in
die schwerste Finanz- und Wirtschastskrise
getrieben. Banken und Konzernen wird mit milliar-
denschweren Rettungspaketen geholfen. Armut, Nied-
riglohnsektor und prekäre Beschästigung wachsen,
auch in Deutschland. Staaten geben durch das Finanz-
diktat von IWF und EU ihre Souveränität auf. Die vom
Kapitalismus verschärste ökologische Krise ist schuld
an Millionen Hungertoten in Afrika. Kriege zur Durch-
setzung von wirtschastlichen Interessen sind an der
Tagesordnung. Die Demokratie wird zerstört.
Immer mehr Menschen zweifeln an dem Kapita-
lismus. So erklärten laut EMNID im August 2010 88
Prozent aller befragten Bundesbürger, dass das derzei-
tige Wirtschastssystem nicht ausreichend den Schutz
der Umwelt, den sorgsamen Umgang mit den Ressour-
cen und den sozialen Ausgleich in der Gesellschast be-
rücksichtigt. Einer Studie der Friedrich-Ebert-Stistung
zufolge erklärten 59 Prozent, dass in der Bundesrepu-
blik noch die alten Gegensätze zwischen der besitzen-
den und arbeitenden Klasse bestehen. Für 46 Prozent
ist der Sozialismus im Grunde eine gute Idee, die nur
schlecht ausgeführt wurde. Und für 31 Prozent wäre
wirkliche Demokratie erst möglich, wenn es keinen
Kapitalismus mehr gibt.
Statt die Verteilungsfrage zu thematisieren, wer-
den vermeintliche Konfliktlinien aufgebaut, um die
Solidarität zu schwächen: Norden gegen den globalen
Süden, Ost- gegen Westdeutschland, Junge gegen Alte,
vor allem aber Deutsche gegen MigrantInnen. Rassis-
tische Ressentiments und Vorurteile werden von den
Herrschenden geschürt und genutzt, um von den zen-
tralen gesellschastlichen Problemen wie der wachsen-
den Armut Vieler bei steigendem Reichtum Weniger
abzulenken.
Vor diesem Hintergrund beginnt, sobald das neue
Programm vom 21. bis 23. Oktober 2011 auf dem Par-
teitag in Erfurt verabschiedet und die Mitglieder es im
Anschluss per Entscheid angenommen haben, die ei-
gentliche Herausforderung: die Umsetzung des Pro-
gramms! "Jeder Schritt wirklicher Bewegung ist
wichtiger als ein Dutzend Programme", sagte schon
Karl Marx. DIE LINKE muss die Menschen nicht nur
von ihrem Programm überzeugen, sondern vor allem
daran arbeiten, dass es mit Leben gefüllt wird. Denn
viele Menschen haben Angst im Kapitalismus: um
ihren Arbeitsplatz, ihre Lebensperspektive im Fall von
Krankheit oder Arbeitslosigkeit, sie fürchten um ihre
Ersparnisse und sorgen sich um ihre und die Zukunst
ihrer Kinder. Viele fühlen sich ohnmächtig und lassen
sich entmutigen.
DIE LINKE sollte ihrer Wut und ihrem Protest eine
Stimme geben. DIE LINKE darf nicht auf Kungelei mit
den Mächtigen, sondern muss auf Druck und Gegen-
wehr der Menschen setzen. DIE LINKE muss sich ganz
konkret für eine Gesellschast einsetzen, in der nicht
länger die Profite weniger, sondern die Bedürfnisse der
Mehrheit im Mittelpunkt stehen. Aus genau diesen
Gründen braucht es ein Programm der Partei DIE
LINKE für die Mehrheit! Und eine Politik für
die Mehrheit!
Sevim Dagdelen ist Sprecherin für Migrations-und Integrationspolitik sowie für InternationaleBeziehungen der Bundestagsfraktion DIE LINKE.
2 | ARBEIT Freiheit durch SozialiSmuS - zeitung zur Programmdebatte - 2/2011
Die Linke muss für den Ausbaudes Öffentlichen Dienstes kämp-fen statt einen dritten Sektor zuetablieren.
von Sabine Zimmerman und Özlem Alev Demirel
Der öffentlich geförderte Beschästigungssek-
tor ist ein Streitpunkt der derzeitigen Pro-
grammdebatte. Was ist damit gemeint? Es
geht darum, Gelder der Arbeitsmarktpolitik zu nut-
zen, um Arbeitsplätze zu bezuschussen für Men-
schen, die nach Ansicht der Behörden auf absehbare
Zeit keine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt
haben. Erwerbs-
lose in struktur-
s c h w a c h e n
Regionen, ältere
Erwerbslose oder
auch Menschen, die gekennzeichnet sind von den
Folgen langer Arbeitslosigkeit haben angesichts der
Massenarbeitslosigkeit und der immer stärkeren Se-
lektionsmechanismen auf dem Arbeitsmarkt immer
weniger Chancen einen Job zu bekommen: Die Idee
ist es, diesen Menschen statt Hartz IV sinnvolle, frei-
willige Beschästigungsangebote zu unterbreiten.
Der derzeitige Programmentwurf spricht von
einer aktiven Arbeitsmarktpolitik, die sich vor allem
„für all diejenigen Menschen engagiert, die schlechte
Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. […] Öffentlich
geförderte Beschästigung muss sinnvolle und tarif-
lich bezahlte Arbeitsplätze anbieten. Diese sollten
besonders dort geschaffen werden, wo der Markt Be-
dürfnisse im sozialen, kulturellen und ökologischen
Bereich nicht abdeckt. Die Annahme dieser Arbeits-
plätze ist freiwillig.“
Einige in der Partei kritisieren, das sei nicht weit-
reichend genug. Öffentlich geförderte Beschästigung
dürfe sich nicht darin erschöpfen, Langzeitarbeits-
losigkeit zu bekämpfen, sie müsse vielmehr helfen,
einen „Dritten Sektor“ jenseits von Staat und Markt
auszubauen. Als Kompromiss im Programmentwurf
aufgenommen wurde deshalb zusätzlich die Aus-
sage, dass in der Partei darüber diskutiert wird, „in-
wieweit mit einem öffentlich geförderten
Beschästigungssektor über die Arbeitsmarktpolitik
hinaus die Beschästigung im Non-Profit-Bereich
dauerhast fortentwickelt und gestärkt werden kann.“
Der Dritte Sektor soll ein Raum für Selbstbestim-
mung und Kreativität sein und von zivilgesellschast-
Streitpunkt ÖBS: Was steckt hinter der Idee des Dritten Sektors?
Ausbau des Öffentlichen Dienstesals Alternative
57 Prozent der neuen Jobs im Jahr 2010 waren Leiharbeitsstellen. Bild: Dieter Schütz/pixelio.de
Schlechte Arbeitboomtvon Jutta Krellmann
Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes
belegen, dass der so genannte Aufschwung am
Arbeitsmarkt vor allem auf einem Boom schlech-
ter Arbeit beruht. Immer mehr Menschen sind
von Armut bedroht, obwohl sie Arbeit haben –
und die Bundesregierung forciert diese Entwick-
lung sogar noch.
Schwarz-Gelb macht bei der Förderung aty-
pischer Beschästigung da weiter, wo Rot-Grün
aufgehört hat. Unsichere Beschästigung und
niedrige Entlohnung gehen dabei Hand in Hand.
Im vergangenen Jahr waren 57 Prozent der
neuen Jobs Leiharbeitsstellen. Insgesamt mach-
ten die verschiedenen Formen atypischer Be-
schästigung – Leiharbeit, Teilzeitjobs und
befristete Stellen – drei Viertel des Beschästi-
gungszuwachses aus. Eine aktuelle Studie des
DIW zeigt zudem, dass die realen Nettolöhne von
Geringverdienern in den letzten zehn Jahren um
bis zu 22 Prozent gesunken sind.
Der Boom schlechter Arbeit muss endlich ge-
stoppt werden. DIE LINKE fordert ein Ende der
Lohndumping-Leiharbeit, der grundlosen Befris-
tung von Arbeitsverhältnissen und anderer For-
men prekärer Beschästigung. Daher brauchen
wir endlich einen flächendeckenden gesetzlichen
Mindestlohn von 10 Euro pro Stunde.
Jutta Krellmann ist Sprecherin fürArbeits- und Mitbestimmungspolitik derBundestagsfraktion DIE LINKE.
„
3Freiheit durch SozialiSmuS - zeitung zur Programmdebatte - 2/2011 ARBEIT |
von Ali Al Dailami und Christian Leye
Wir begrüßen es, dass der Programment-
wurf zum Thema Leiharbeit klar Stellung
bezieht und deren Verbot fordert.
Denn Leiharbeit bedeutet für die über 750.000 Be-
troffenen Unsicherheit, Niedriglöhne und eine Un-
gleichbehandlung am Arbeitsplatz. Leiharbeit spaltet
die Belegschasten und stellt ein strategisches Hinder-
nis für Arbeitskämpfe dar. Aus einer linken Perspek-
tive kann es nur eine Antwort darauf geben:
Leiharbeit ist moderne
Sklavenarbeit und muss
verboten werden! Den-
noch fordern einige in der
Partei eine bloße Regulierung der Leiharbeit, um unter
anderem auf die Bedürfnisse der Unternehmen Rück-
sicht zu nehmen, Produktionsspitzen durch Leiharbeit
ausgleichen zu können. Dem ist zu entgegnen, dass
Leiharbeit nicht dem Auffangen von Produktionsspit-
zen dient, sondern ein Instrument des Kapitals dar-
stellt, um eine drastische Form der Überausbeutung
möglich zu machen. So legt schon die Grundstruktur
des kapitalistischen Ausbeutungssystems, nämlich die
Aneignung von Mehrwert durch den Einkauf von Ar-
beitskrast zu möglichst niedrigen Löhnen, genau diese
Form der Verwendung der Leiharbeit als Instrument
der Überausbeutung nahe. Aber auch die aktuellen
Entwicklungen im Kapitalismus laufen auf diese Ver-
wendung hinaus. Mit der tendenziell zunehmenden
Ausrichtung der Unternehmen auf eine just-in-time-
Produktion ging das Bedürfnis des Kapitals nach fle-
xibel einsetzbaren Arbeitskrästen einher, derer man
sich auch schnell wieder entledigen können wollte.
Angeblich um die strukturelle Massenarbeitslosigkeit
zu bekämpfen, reagierten die politischen Interessen-
vertreter des Kapitals in der rot-grünen Bundesregie-
rung unter Schröder mit der Einführung der
Hartz-Gesetze: Die Betroffenen sollen durch niedrige
Regelsätze und Repressionen in den Niedriglohnsektor
und in prekäre Arbeitsverhältnisse gezwungen wer-
den. Dies gilt gerade auch für den Leiharbeitssektor,
der im Zuge der Agenda 2010 von jeglicher Regulie-
rung befreit wurde: So waren im Jahr 2010 insgesamt
32 Prozent der bei der Arbeitsagentur ausgeschriebe-
nen Stellen Leiharbeitsstellen. Vor dem Hintergrund
des strukturellen Bedürfnisses des Kapitals nach güns-
tigen und flexibel einsetzbaren Arbeitskrästen ist die
Verwendung von Leiharbeit als Instrument der Über-
ausbeutung also keineswegs zufällig, sondern die lo-
gische Konsequenz aus den ökonomischen und
politischen Entwicklungen der vergangenen Jahr-
zehnte. Somit ist die politische Forderung nach einem
Verbot der Leiharbeit aus einer linken Perspektive der
einzig sinnvolle Ansatz: Denn warum sollte sich eine
linke, klassenbewusste Partei angesichts dieses dra-
matischen Ausbeutungsverhältnisses um die Bedürf-
nisse des Kapitals kümmern statt auf der Seite der ca.
eine Million Leihar-
beiter und derer die
dazu gezwungen
werden? Offensicht-
lich kümmern sich die Unternehmen und ihre politi-
schen Vertreter auch herzlich wenig um die
Bedürfnisse der Leiharbeiter, von ihrer Arbeit ihre
Miete zahlen und in Sicherheit leben zu können. Die
Interessenvertreter des Kapitals sind an dieser Stelle
wesentlich konsequenter und klassenbewusster als
die Teile unserer Partei, die hier einer Art gesamtge-
sellschastlicher Vernunst genügen möchten, die es so
offensichtlich gar nicht gibt. ●
Ali Al Dailami ist Mitglied im ParteivorstandDIE LINKE und hat selbst als Leiharbeitergearbeitet
Christian Leye ist Sprecher des KreisverbandsDIE LINKE.Bochum.
Leiharbeit ist moderneSklavenarbeit
lichen Initiativen bis zu den Wohlfahrtsverbänden
reichen. Diese Idee hat unter Teilen der Linken eine
lange Tradition. Aber was sich auf den ersten Blick
vielleicht gut anhört, hat mehrere Fußangeln.
Erstens werden die Zustände und Verhältnisse
des „Dritten Sektors“ idealisiert. In der Realität ist
die Freiheit der Arbeit von vielen Trägern und Wohl-
fahrtsverbänden doch arg begrenzt, um gar nicht
erst von den Rechten der Beschästigten dort zu
sprechen. Und von einer Freiwilligkeit kann unter
den Bedingungen der Hartz-Gesetze keinesfalls aus-
gegangen werden.
Zweitens bleibt die Frage unbeantwortet:
Warum sollen sinnvolle gesellschastliche Aufgaben
nicht Teil des öffentlichen Dienstes sein? Es heißt,
der Dritte Sektors sei nötig, weil der öffentliche
Dienst hierarchisch ist, von der Bevölkerung als ne-
gativ empfunden wird. Aber das überzeugt nicht.
Von der Kinderbetreuung angefangen über Bürger-
ämter bis zu den örtlichen Stadtwerken leistet der
öffentliche Dienst wichtige Aufgaben der öffentli-
chen Daseinversorgung. Wir streiten dafür, den Öf-
fentlichen Sektor im Interesse der Bürger und
Beschästigten auszubauen und zu demokratisieren.
Hier ist auch Raum für selbstverwaltete Projekte,
die wichtige Aufgaben übernehmen und die öffent-
lich finanziert werden. Ein Beispiel sind die Frauen-
häuser, deren Arbeit durch die Kürzung der
öffentlichen Mittel immer mehr in Bedrängnis
gerät.
Drittens sollte uns die praktische Erfahrung zu
denken geben. In Berlin hat DIE LINKE es zwar ge-
schafft, für Langzeiterwerbslose bis zu 7.000 Stellen
in einem öffentlichen Beschästigungssektor einzu-
richten. Im gleichen Zeitraum wurden aber deutlich
mehr Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut. Das
ist keine Entwicklung, die wir uns wünschen!
Fazit: Erwerbslosigkeit ist nicht das Ergebnis
schlechter Voraussetzungen Einzelner, sondern
einer Wirtschastsordnung, die Kosten der Allge-
meinheit aufzwingt und Gewinne in den Händen ei-
niger weniger belässt. Deshalb muss die
Bekämpfung der Erwerbslosigkeit durch Arbeits-
zeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalaus-
gleich erfolgen, die eine gerechte Verteilung der
Arbeit ermöglicht. Öffentlich geförderte Beschästi-
gung ist daher allenfalls ein Ansatz, um Betroffenen
eine Alternative zu Hartz IV oder Ein-Euro-Jobs zu
bieten. Dort, wo soziale Projekte auf dauerhasten
Bedarf stoßen, sind sie regulär aus staatlichen Mit-
teln zu finanzieren, also in reguläre Stellen umzu-
wandeln. Unsere Energie gilt daher dem Ausbau des
öffentlichen Sektors als Träger der Daseinsvorsorge
und demokratisch organisiert. ●
Sabine Zimmermann ist Sprecherin fürArbeitsmarktpolitik der BundestagsfraktionDIE LINKE
Özlem Alev Demirel ist ParlamentarischeGeschästsführerin der Landtagsfraktion
DIE LINKE NRW.
Auch vor dem Hintergrund der Umsetzung
der Arbeitnehmerfreizügigkeit im Mai
2011 kämpste DIE LINKE für die
Einführung eines gesetzlichen
Mindestlohns in Höhe von 10 Euro.
Bild: Die Linke
„
Leiharbeit verbieten!Die Linke gehört konsequent auf die Seite der Beschästigten.
4 | ARBEIT Freiheit durch SozialiSmuS - zeitung zur Programmdebatte - 2/2011
Von Ralf Krämer
DIE LINKE ist eine Partei mit einem breiten po-
litischen Spektrum. Es ist richtig, dass dies im
Programm Ausdruck findet. Aber es muss
auch klar sein, was die zentralen Anliegen der Gesamt-
partei sind und was nicht. Beim Streit um den angeb-
lichen „Arbeitsbegriff“ im Programmentwurf und die
Forderung nach einem bedingungslosen Grundein-
kommen als vermeintliche Alternative der Existenzsi-
cherung anstatt Erwerbsarbeit geht es letztlich um
unterschiedliche Auffassungen zum Charakter der Par-
tei, geht es um ihr Profil und Prioritäten.
Einerseits ein Profil als sozialistische Partei, in der
Tradition der Arbeiterbewegung und mit einer Vorstel-
lung von Sozialismus, bei der die demokratische ge-
sellschastliche Organisation von Arbeit und Wirtschast
zentral ist. Andererseits eine Tendenz, die primär bür-
gerrechtlich orientiert ist und teilweise eine große Dis-
tanz zu Arbeiterbewegung und Gewerkschasten zeigt.
Im Programmentwurf war von vornherein klar,
dass Arbeit weit über Erwerbsarbeit hinaus reicht und
es darum geht, alle Arbeiten gerecht zu verteilen, ins-
besondere zwischen den Geschlechtern. In der Über-
arbeitung des Entwurfs wurde dies noch etwas aus-
führlicher dargestellt. Dennoch hat die Erwerbsarbeit,
also Lohnarbeit und selbstständige Arbeit, eine beson-
dere Bedeutung für Wirtschast, Gesellschast und Poli-
tik und für die Einzelnen. Auch dies wurde präzisiert.
Nur in ihr werden die Güter und Dienstleistungen pro-
duziert, die gekaust werden können, und damit die
ökonomischen Werte und Einkommen erwirtschastet.
Es ist unumgänglich für eine linke und sozialisti-
sche Partei, die die sozialen Interessen der Mehrheit
der Bevölkerung vertreten muss, den Kampf für „gute
Arbeit“ und gegen Massenerwerbslosigkeit, soweit das
im Kapitalismus möglich ist, ins Zentrum ihrer Politik
zu stellen. Aber auch der demokratische Sozialismus,
wie er im Programmentwurf beschrieben ist, wird
noch auf Warenproduktion und Geldwirtschast und
damit auf Erwerbsarbeit beruhen. Noch deutlicher
könnte gemacht werden, dass insbesondere auch die
Finanzierung aller öffentlichen und sozialen Ausgaben
auf der Umverteilung von Einkommen beruht, die in
Erwerbsarbeit produziert werden.
Gleichzeitig ist klar, dass wir Zwang zur Arbeit ab-
lehnen. Die Gesellschast muss dafür sorgen, dass auch
all diejenigen in Würde leben und an der Gesellschast
teilhaben können, die nicht über hinreichende eigene
Einkommen, Sozialversicherungs- oder Unterhaltsan-
sprüche verfügen. Dazu fordert DIE LINKE eine be-
darfsdeckende und sanktionsfreie Mindestsicherung,
die Armut verhindert und die Bürgerrechte der Betrof-
fenen achtet. Das von Teilen der Linken darüber hi-
naus vertretene Konzept des bedingungslosen
Grundeinkommens wird in der Partei auch weiterhin
kontrovers diskutiert werden.
Mit der Feststellung dieses bestehenden Sachver-
halts ist auch zu diesem Thema eine Formulierung ge-
funden, mit der alle oder jedenfalls breite Mehrheiten
leben können. Insgesamt sind mit diesen Überarbei-
tungen des Programmentwurfs Kompromisse gefun-
den worden, die sowohl die politische und
programmatische Breite als auch das Profil der LIN-
KEN deutlich machen. ●
Ralf Krämer ist Mitglied derRedaktionskommission der LINKEN und einerder BundessprecherInnen der SozialistischenLinken (SL)
Zum Weiterlesen: http://www.sozialistische-linke.de/programm/319
Gute Arbeit statt Bedingungsloses Grundeinkommenins Zentrum der Politik der Linken gehört der kampf für gute Arbeitund gegen Massenarbeitslosigkeit. Die Forderung nach einem bedin-gungslosen Grundeinkommen weist in die falsche Richtung.
Von Katharina Dahme und Harald Koch
Während in der ersten Fassung des Pro-
grammentwurfs noch unmissverständlich
festgehalten war, dass sich DIE LINKE an
keiner Regierung beteiligt, die Privatisierungen vor-
nimmt, Sozial- oder Arbeitsplatzabbau betreibt, ru-
derte der Parteivorstand mit seinem Leitantrag für den
Bundesparteitag zurück: Anstelle eines Verbots von
Arbeitsplatzabbau ist hier nur noch vage formuliert,
dass die Aufgabenerfüllung des Öffentlichen Dienstes
nicht verschlechtert werden darf. Protagonisten aus
dem Forum demokratischer
Sozialismus freuen sich da-
rüber, da die neue Formulie-
rung leicht als
Freifahrtschein zur Reduzie-
rung der Zahl im Öffentli-
chen Dienst Beschästigter
ausgelegt werden könnte. Schon im Vorfeld der Ent-
scheidung im Parteivorstand war unter anderem von
Dietmar Bartsch zu lesen, dass LINKE, die in Kommu-
nen und Ländern regieren, um Personalabbau ohnehin
nicht herumkommen. Denn man wolle „keine Schlapp-
hüte“ finanzieren.
Aber die Forderung nach Abschaffung der Ge-
heimdienste einerseits und die nach einem Ausbau
des Öffentlichen Dienstes andererseits sind kein
Wider- spruch. Denn das Nein zu Arbeitsplatzabbau
betrifft nicht die einzelne Stelle, sondern das Ziel eines
positiven Saldos an Beschästigten. Angesichts der im
europäischen Vergleich unterdurchschnittlichen Be-
schästigtenquote im Öffentlichen Dienst in Deutsch-
land könnte der Stellenabbau bei Abschaffung der
Geheimdienste leicht und mit großem gesellschastli-
chen Gewinn - beispielsweise mit personellen Zu-
wächsen in der Bildung oder der Pflege - ausgeglichen
werden.
Zweitens steht das Argument der Demographie.
Doch gerade eine alternde Gesellschast, muss nicht
weniger, sondern mehr Aufgaben öffentlich erfüllen,
wenn sie eine humane Gesellschast sein will. Das zeigt
sich schon jetzt am eklatanten Notstand an Personal
in der Altenpflege, wo in absehbarer Zeit eine halbe
Million Fachkräste fehlen werden. Hinzu kommt, dass
Prognosen zur Demographie mit Vorsicht zu genießen
sind. Sie sind mehr ein willkommenes Legitimations-
instrument, um unsoziale Vorhaben als alternativlos
zu propagieren, weniger eine ernstzunehmende Pla-
nungsgrundlage für gestaltende Politik.
Was heißt das nun für das Grundsatzprogramm
der LINKEN? Wenn die Partei glaubwürdig sein will,
dann darf sie sich weder in Regierung noch in Opposi-
tion einer neoliberalen Sachzwangslogik beugen, son-
dern muss klar an der Seite derjenigen stehen, denen
die herrschende Politik ins Gesicht schlägt und die für
soziale und demokratische Alternativen kämpfen. Die
Forderung nach einem Ausbau des Öffentlichen Diens-
tes ist hierzu ein wichtiger Bestandteil. Da in der ak-
tuellen Situation der personellen Unterbesetzung und
der Einschränkung öffentlicher Daseinsvorsorge jeder
Arbeitsplatzabbau im Öffentlichen Dienst die Aufga-
benerfüllung desselben weiter verschlechtert, besagt
der neue Formulierungsvorschlag im Leitantrag im
Grunde nichts anderes als das frühere klare Nein. Weil
er aber dennoch offen für anderslautende Interpreta-
tionen ist, wäre der Parteitag im Interesse einer glaub-
würdigen Politik der LINKEN gut beraten, zur
ursprünglichen Fassung zurückzukehren. ●
Katharina Dahme ist Mitglied imBundessprecherInnenrat von Linksjugend[`solid] und im Landesvorstandder LINKEN in Brandenburg.
Harald Koch ist Mitglied imLandesvorstand der LINKEN in Sachsen-Anhaltund direkt gewählter Bundestagsabgeordneterfür DIE LINKE im Wahlkreis 75 (Mansfeld).
Kein Arbeitsplatzabbau im Öffentlichen Dienst!Zustimmung zum Arbeitsplatzabbau im Öffentlichen Dienst in Regie-rung oder Opposition untergräbt die Glaubwürdigkeit der Linken
Gerade in einer alternden Gesell-schast müssen mehr Aufgabenöffentlich erfüllt werden „
5
Von Sahra Wagenknecht
Dass die ungezügelte Marktwirtschast „aus sich
selbst heraus sozial" sei, wie 2008 Friedrich
Merz, seinerzeit „Finanzexperte“ der CDU, be-
hauptete, war schon damals der blanke Hohn. Mittler-
weile türmen sich die Vermögen der Reichsten dieser
Welt auf 42,7 Billionen Dollar – 2,7 Billionen mehr als
noch vor Beginn der großen Krise 2007. Im selben
Zeitraum schnellte die Zahl der weltweit Hungernden
um über 100 Millionen nach oben. Über eine Milliarde
Menschen leiden heute an chronischer
Unterernährung. Hungerkrisen, nicht zu-
letzt ausgelöst durch Spekulationen auf
Nahrungsmittel, bedrohen das Leben un-
zähliger Menschen. Profite durch Hunger
- eine mörderische Geschästsstrategie! Wer diese un-
erträglichen Zustände beschreibt und die dafür ver-
antwortlichen Kapitalmächtigen anklagt, der malt
weder irreale Horrorszenarien noch betreibt er reali-
tätsfremde Schwarz-Weiß-Malerei, sondern er ver-
sucht zu verhindern, dass das 21. Jahrhundert zum
globalen Hunger- und Armutsjahrhundert verkommt.
Jean Ziegler nennt den globalisierten Finanzkapi-
talismus eine „mörderische Gesellschast“. Nicht alle in
der LINKEN sehen das so. Manche meinen, der gegen-
wärtigen Wirtschastsordnung „zahlreiche fortschritt-
liche Elemente“ und „potentielle Friedensfähigkeit“
bescheinigen zu müssen. Jedoch haben nicht zuletzt
die Kriege des Westens sowie die erneut gestiegenen
weltweiten Rüstungsausgaben auf 1,6 Billionen Dollar
die kriegerische Tendenz offenbart, die dem Kapitalis-
mus innewohnt. Diesem Friedensfähigkeit zu unter-
stellen, hat sich als ebenso haltlos erwiesen wie der
Glaube, dass die Deregulierung der Märkte und die Pri-
vatisierung öffentlicher Güter für faire Arbeitsbedin-
gungen, armutsfeste Renten und sichere Sozial-
systeme sorge. Wie sehr der Kapitalismus sozial ver-
sagt, wird innerhalb Europas besonders am Fall Grie-
chenland deutlich. Dort werden im Zuge der
Finanzkrise Löhne, Renten und Sozialausgaben dras-
tisch gekürzt. In Irland, Portugal und Spanien sieht es
nicht besser aus. Der Chef der Euro-Gruppe, Jean-
Claude-Juncker, hat von Slowenien "sofortige und bru-
tale Maßnahmen" verlangt, weil zuvor die neoliberale
Rentenreform gescheitert war. Ein Kürzungspaket jagt
in Europa das nächste. Auch Deutschland bleibt nicht
vom Sozialkahlschlag verschont. Es gibt daher keinen
vernünstigen Grund, die heutige Wirtschastsordnung
schönzureden. Zu den unbedingt zu verteidigenden
Vorzügen des Programmvorschlags der LINKEN gehört
es daher, dass dieser den Kapitalismus nicht schönre-
det, sondern zu dessen Delegitimierung beiträgt.
Große transnationale Konzerne setzen heute mit
ihrer gewaltigen ökonomischen Macht Parlamente
und Behörden unter Druck, das von ihnen geforderte
renditefreundliche Umfeld zu besorgen. Allein im Lob-
bydschungel um Brüssel herum nehmen über 15.000
Konzern-Lobbyisten Einfluss auf die Entscheidungen
der EU-Institutionen. Abenteuerlich ist es daher zu
behaupten, nur durch ein paar Gesetze ließen sich bei-
spielsweise private Großbanken zu sozialen Wohltä-
tern umwandeln. Denn wie skrupellos die
Finanzriesen ihre Macht ausspielen, zeigt sehr aktuell
die Eurokrise. Dass diese immer weiter eskaliert, hat
ganz wesentlich mit der profitgetriebenen Geschästs-
praxis der Banken- und Versicherungskonzerne, Hed-
gefonds und Pensionsfonds zu tun, die die
Anleihezinsen krästig nach oben drücken und Grie-
chenland, Portugal und andere Euro-Staaten in
schwerste Bedrängnis bringen. Die Troika aus EU, EZB
und IWF hat unter dem massiven Druck der Finanz-
branche die griechische Volkswirtschast in den Ruin
getrieben. So ist in Griechenland die Arbeitslosenquote
von 11 auf über 16 Prozent nach oben geschnellt, die
Schuldenquote auf 150 Prozent der Wirtschastsleis-
tung explodiert und die Industrieproduktion seit
einem Jahr um 11 Prozent geschrumpst. Der Kapita-
lismus versagt nicht nur sozial, er zerstört auch die in-
dustrielle Produktion. Neue Kredite an den
griechischen Staat werden nun abermals an brutale
soziale Kürzungen und den Ausverkauf öffentlichen
Eigentums geknüpst. Und der einflussreiche Bundes-
verband deutscher Banken droht, dass die Kürzungs-
diktate gefälligst einzuhalten sind. Was mit
Griechenland heute geschieht, könnte bereits morgen
in jedem anderen europäischen Staat Wirklichkeit
werden.
Natürlich bleibt es richtig, sich für Regelwerke ein-
zusetzen, welche die entfesselten Finanzmärkte regu-
lieren helfen und soziale und ökologische Fortschritte
bringen. Die Erpressungsmacht der Wirtschastsgigan-
ten und insbesondere der Banken auf die Politik kann
aber letztlich nur durch eine Neuordnung der Eigen-
tumsverhältnisse überwunden werden. Vor allem im
Bereich der Daseinsvorsorge, in der Finanzbranche und
überall dort, wo Unternehmen so viel Macht ange-
häust haben, um damit jede
grundlegende Veränderung zu blo-
ckieren, die ihren Profitinteressen
widerspricht, ist öffentliches und
demokratisch kontrolliertes Ei-
gentum nötig. Der neue Programmvorschlag der LIN-
KEN geht in diese richtige Richtung, die gegen all jene
verteidigt werden muss, die trotz Finanzkrise, milliar-
denschweren Bankenrettungspaketen und von der Fi-
nanzlobby bis zur Wirkungslosigkeit weichgespülten
Regulierungen immer noch meinen, ein paar bessere
Regeln würden genügen, dem Kapitalismus eine kom-
plett andere Entwicklungsrichtung aufzunötigen. Die
Grundausrichtung des Programmvorschlags sollte
daher nicht verwässert werden. ●
Sahra Wagenknecht ist stellvertretendeParteivorsitzende und wirtschastspolitischeSprecherin der Bundestagsfraktion DIE LINKE.
Der Kapitalismus versagtDer kapitalismus ist weder friedensfähig noch sozial. Der antikapitalistischeCharakter des Leitantrags darf nicht verwässert werden.
Für Alternativen zu einer „mörderischen Gesellschast“ „
DIE LINKE muss die Systemfrage stellen! Bild: www.linksfraktion.de
Freiheit durch SozialiSmuS - zeitung zur Programmdebatte - 2/2011 KApITAlIsmusKRITIK |
Von Martin Hantke und Alexander Neu
Unbestreitbar ist: Die NATO ist ein Kriegsfüh-
rungsbündnis. Ob in Afghanistan oder Libyen.
Täglich hat sie zivile Tote zu verantworten.
Sie steht für weltweite Kriege und imperiale Interes-
sensicherung mit militärischen Mitteln. Sie ist aber
auch Weltmeister bei den Rüstungsausgaben. NATO-
Staaten geben über 75% weltweit für Waffen und Rüs-
tung aus. Mit ihrer Erweiterungspolitik und der
geplanten Stationierung von Raketen und Raketenab-
wehrsystemen in Europa provoziert die NATO immer
wieder einen neuen kalten Krieg mit Russland. Kurz:
Wer weiterhin an der NATO festhält, akzeptiert Un-
frieden und Unsicherheit weltweit. Bis auf DIE LINKE
ist dies bei allen anderen im Bundestag vertretenen
Parteien der Fall. Im Leitantrag des Parteivorstandes
wird die Auflösung der NATO und ihre Ersetzung
durch ein kollektives Sicherheitssystem unter Ein-
schluss Russlands gefordert, wie auch der Austritt aus
den militärischen Strukturen der NATO. Das ist frie-
denspolitisch richtig. Denn für den Erhalt der NATO
gibt es kein einziges friedenspolitisch überzeugendes
Argument. Auch Argumente gegen einen Austritt aus
den militärischen Strukturen überzeugen nicht. Zum
einen ist es falsch, nur auf den früheren französischen
Staatspräsidenten Charles De Gaulle zu verweisen, der
den Austritt Frankreichs aus der militärischen Forma-
tion der NATO in die Wege leitete. Nicht nur Frank-
reich verweigerte sich von 1966 bis 2009 der
militärischen Formation der NATO, sondern auch Grie-
chenland von 1974 bis 1981 und Spanien von 1982 bis
1999. Bei Griechenland war die große Ablehnung in
der Bevölkerung gegenüber einer NATO-Mitgliedschast
ausschlaggebend, da die NATO sowohl die Obristen-
diktatur wie auch den Putsch 1974 in Zypern unter-
stützt hatte. Im Fall
von Spanien trug man
der hohen Skepsis der
SpanierInnen gegen-
über einem NATO-
Beitritt Rechnung. In
allen drei Fällen bedeutete der Wiedereintritt in die
militärischen Strukturen der NATO einen Militarisie-
rungsschub. Den Wiedereintritt Frankreichs in die mi-
litärischen Strukturen begründete der
rechtskonservative Staatspräsident Sarkozy mit der
Chance, dass Frankreich über einen Wiedereintritt sei-
nen Einfluss auf die NATO stärken könne. Er behielt
Recht. Frankreich kann für den Libyenkrieg die NATO
ganz anders nutzen als zuvor. Die Geschichte zeigt: Die
Durchsetzung eines Austritts aus der militärischen
Struktur wäre ein friedenspolitischer Gewinn und
würde die Kriegsführungsfähigkeit Deutschlands ent-
scheidend schwächen.
Auch nach einem Austritt aus den militärischen
Strukturen einerseits und dem Verbleib in den politi-
schen, also den eigentlichen Entscheidungsstrukturen
andererseits hat ein NATO-Mitgliedsland die Möglich-
keit, die Beteiligung der NATO an Kriegen und gefähr-
lichen Erweiterungen wie im Fall Georgiens per Veto
zu verhindern: So nutzte Frankreich das Veto beim
Irak-Krieg 2003. DIE LINKE in Deutschland sollte sich
diese Möglichkeit nicht verbauen. Zu guter Letzt: Wer
es mit der Forderung nach der Auflösung der NATO
wirklich ernst meint, muss sich für den Austritt aus
den militärischen Strukturen einsetzen. Es ist frie-
denspolitisch konsequent, wenn DIE LINKE beides in
ihrem Programm verankert. ●
Martin Hantke ist Mitglied desSprecherInnenrats der
Landesarbeitsgemeinschast Frieden undInternationale Politik der LINKEN in NRW und
Mitglied im Beirat der InformationsstelleMilitarisierung
Alexander Neu ist Mitglied imSprecherInnenkreis derBundesarbeitsgemeinschast Frieden undInternationale Politik der LINKEN sowie
Mitglied der Redaktion Wissenschast & Frieden
6
Von Judith Benda und Nele Hirsch
Vor wenigen Wochen vermeldete
die Hauptstadtpresse stolz,
dass der neue Chef der
Polizeiausbildung der Euro-
päischen Polizeimission
EUPOL in Afghanistan
aus Berlin sei. Polizei-
direktor Gary Menzel
leitete bis zum ver-
gangenen Jahr die
Kreuzberger Polizei-
wache in der Friedrich-
straße. Seitdem ist er in
Kabul für den Aufbau der
afghanischen Polizei zustän-
dig. In Brandenburg dagegen
war die Rot-Dunkelrote Regierung
seit 2010 andere Wege gegangen. Am 4.
September vermeldete der Pressesprecher
des brandenburgischen Innenministeriums la-
pidar, der brandenburgische Innenminister
habe bereits im Februar entschieden, „keine weiteren
Polizeibeamten des Landes Brandenburg
mehr nach Afghanistan zu entsenden“.
Hintergrund dieser Entscheidung
sei die Erklärung des Bundesau-
ßenministers vom 9. Februar
2010, wonach die Deutschen
in Afghanistan an einem
"bewaffneten Konflikt im
Sinne des humanitären Völ-
kerrechts" teilnehmen.
Diese völkerrechtliche For-
mel bedeutet nach Auffas-
sung von Innenminister Speer
„faktisch dasselbe wie Krieg.“
Brandenburg hatte sich seit 2002
an Polizeiausbildungen in Afghanis-
tan mit insgesamt 15 PolizistInnen betei-
ligt. Für seine Entscheidung gegen die
Polizeientsendung wurde das Land Branden-
burg von der Bundesregierung und konservati-
ven Landesregierungen hestig kritisiert. Die
Bundestagsfraktion und Landtagsfraktionen der LIN-
KEN, wie in NRW, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Nieder-
sachsen, Hessen und Hamburg, forderten daraufhin
den Rückzug der Bundespolizei und ihrer Länderpoli-
zeien aus Afghanistan. Im Leitantrag für das Pro-
gramm wurde eine Absage an derartige Polizeieinsätze
aufgenommen. Es heißt: „Bei Regierungsbeteiligungen
auf Landesebene für die Beendigung von internatio-
nalen Polizeieinsätzen zur Unterstützung von Kriegen
und autoritären Regimen einsetzen.“ Wir sollten hier
den Brandenburger Weg auch im Programm stärken
und im Absatz zu den Kriterien für Regierungsbeteili-
gungen zusätzlich verankern, dass sich DIE LINKE in
Regierungen dafür einsetzt, dass keine Polizei zur Un-
terstützung von Kriegen entsandt wird. Damit würde
DIE LINKE auch landespolitisch an Friedensprofil ge-
winnen und die Glaubwürdigkeit unserer friedenspo-
litischen Positionen stärken. ●
Judith Benda ist Delegierte zum Kongress derEuropäischen Linkspartei und aktiv imStudierendenverband DIE LINKE.SDS
Nele Hirsch ist Mitglied imgeschästsführenden Parteivorstand DIE LINKE.
Brandenburger Weg stärken! Nein zur kriegsunterstützenden Polizeiausbildung!Beendigung von internationalen Polizeieinsätzen zur Unterstützung vonkriegen und autoritären Regimen bei Regierungsbeteiligungen auf Landesebene.
Der Austritt aus den militärischenNATO Strukturen wäre ein friedenspolitischer Gewinn„
Wer die Auflösung der nATO will, sollte den Austritt Deutschlands ausden militärischen Strukturen dieses kriegsführungsbündnisses fordern.
NATO auflösen!
| FRIEdEn Freiheit durch SozialiSmuS - zeitung zur Programmdebatte - 2/2011
Bild: Arno Bachert pixelio.de
Von Adrian Furtwängler und Christine Buchholz
„Die Bundeswehr muss aus allen Auslandseinsät-
zen zurückgeholt werden, ihr Einsatz im Inneren ist
strikt zu untersagen.“ heißt es im Leitantrag. So ist es
nur folgerichtig, dass sich DIE LINKE für die schritt-
weise Abrüstung der Bundeswehr einsetzt, dabei sol-
len die „kriegsführungfähigsten Teile“ als Erste
abgerüstet werden. Die Bundeswehrreform des ertapp-
ten Plagiators von und zu Guttenberg und seines
Nachfolgers gehen jedoch in eine ganz andere Rich-
tung. Die Aussetzung der Wehrpflicht und die Redu-
zierung der Bundeswehr dienen dazu, die frei
werdenden Ressourcen zu einer massiven Aufrüstung
zu nutzen. Der Anteil der interventionsfähigen Trup-
pen wird massiv aufgestockt und in Rüstungsbeschaf-
fungsprogramme fließt nun mehr Geld. Die Werbung
und Suche nach Freiwilligen wird intensiviert und
kostet die Steuerzahler 10 Million Euro jährlich. An
Schulen, Hochschulen und in den Arbeitsagenturen
hält die Bundeswehr Ausschau nach neuem Personal.
Gerade an Schulen hat das Militär einen regelrechten
Werbefeldzug entfesselt.
Auf diese Jagd nach neuen Rekruten hat der Pro-
grammentwurf bisher noch keine Antwort. DIE LINKE
muss sich aber dagegen positionieren - sowohl was die
Militarisierung des öffentlichen Raums durch Gelöb-
nisse und Zapfenstreiche der Bundeswehr als auch die
Intensivierung der Rüstungs- und Kriegsforschung an
den Hochschulen angeht. Wir brauchen im Programm
eine klare Absage an die Präsenz der Bundeswehr in
den Schulen und anderen Bildungseinrichtungen und
die Forderung nach einer Zivilklausel an Hochschulen.
Bundeswehr und Kriegsforschung haben an Schulen
und Hochschulen nichts verloren.
Die Austritte von Vertretern der Bundeswehr sind
auch dann nicht gerechtfertigt, wenn ihnen als Gegen-
part Diskutanten aus der Friedensbewegung zur Seite
gestellt werden. Die Erfahrung zeigt: Die gut geschul-
ten und mit Hochglanzbroschüren ausgestatteten Ju-
gendoffiziere sind strukturell immer im Vorteil.
DIE LINKE unterstützt die zahlreichen Schüler-,
Lehrer-, Eltern-, und Studierendeninitiativen, die
gegen den Werbefeldzug der Bundeswehr Widerstand
leisten. Den Versuch, die Gesellschast zu militarisieren,
muss eine LINKE zum Thema machen. Der Kampf
gegen Militarismus und Kriegstreiberei gehört deshalb
ins Programm. Insbesondere gilt es die Forderung
nach einem Nein zur Militärpropaganda an Schulen in
den Leitantrag aufzunehmen. ●
Adrian Furtwängler ist Mitglied imBundessprecherInnenrat von Linksjugend
[`solid].
Christine Buchholz ist Mitgliedim geschästsführenden Parteivorstand DIELINKE und Sprecherin für Friedenspolitik in der
Bundestagsfraktion DIE LINKE.
7
Bundeswehr abrüsten!Die Linke muss sich gegen die Militarisierung der Gesellschast stellen.Für ein klares nein zur Militärpropaganda an Schulen.
Von Heike Hänsel und Ruth Firmenich
Auf den Nachdenkseiten erschien eine Kritik am
Programmentwurf mit dem Tenor „zu wenig
Analyse, zu viel idealistische Setzungen“. Das
gilt leider auch für den Abschnitt zu den Vereinten Na-
tionen. So wird ein Idealbild der UN gezeichnet, das der
Wirklichkeit nicht standhält. Diese unrealistische Be-
schreibung hat auch Konsequenzen für den aus den
Analysen resultierenden Forderungsteil. Um nicht
falsch verstanden zu werden. Es ist gut, dass DIE
LINKE sich als Partei des Völkerrechts positioniert. Da-
rauf weist auch Gregor Gysi in seinem Sommerinter-
view mit der Fraktion hin – und macht dabei zugleich
deutlich, dass die Partei gerade deshalb auch bereit
sein muss, das Völkerrecht gegen völkerrechtswidrige
Entscheidungen des UN-Sicherheitsrats zu verteidigen.
DIE LINKE muss sich vergegenwärtigen, dass sich die
Vereinten Nationen in den letzten 20 Jahren funda-
mental verändert haben. Gerade die sozialen, wirt-
schastlichen und zivilen Strukturen wurden
zurückgedrängt. Entgegen des in der UN-Charta formu-
lierten hohen Ziels, die Menschheit „vor der Geißel des
Krieges zu bewahren“, hat die UN eine beispiellose Mi-
litarisierung erfahren. Fast 8 Mrd. Euro werden mitt-
lerweile Jahr für Jahr für mitunter – um es vorsichtig
auszudrücken - fragwürdige UN-mandatierte Militär-
einsätze ausgegeben. Im Bundestagswahlprogramm
2009 hatte sich DIE LINKE mit „eine weitere Militari-
sierung der UNO lehnen wir ab“ noch klarer dagegen
positioniert. Im Leitantrag ist davon leider keine Rede
mehr. Auch findet sich keine Kritik daran, dass sich
Groß- und Mittelmächte mittlerweile an UN-Militär-
einsätzen auf Grundlage von Kapitel VI der UN-Charta,
d.h. sogenannte friedenserhaltende UN-Missionen, be-
teiligen. Während dies sowie die Beteiligung von Nach-
barstaaten aus der Konfliktregion vor 1990 geradezu
ein Tabu war, wird dieses ungeschriebene Gesetz von
den Bundesregierungen seitdem systematisch unter-
laufen. DIE LINKE muss sich dafür einsetzen, dass die-
ser Grundsatz bei Kapitel VI-Einsätzen wieder gilt.
Auch bei Missionen wie in Zypern oder den Golanhö-
hen sollten die Truppen für die Kapitel VI-Einsätze
nicht von NATO-Mitgliedern gestellt werden, die ganz
eigene Interessen in der Region verfolgen. DIE LINKE
muss sich generell einer interessengeleiteten Manda-
tierungspraxis des UN-Sicherheitsrats für NATO-
Kriege, ob in Afghanistan oder Libyen, entgegenstellen.
Als Völkerrechtspartei muss DIE LINKE Völkerrechts-
brüche des UN-Sicherheitsrats klar benennen. Sie muss
sich für eine Entmilitarisierung und für eine umfas-
sende Stärkung und Demokratisierung der zivilen, so-
zialen und wirtschastlichen Strukturen der Vereinten
Nationen einsetzen. In diesem Zusammenhang ist der
Vorschlag einer zivilen Katastrophenhilfe Deutschlands
unter dem Dach der UN im Leitantrag ein zukunsts-
weisender friedenspolitischer Weg.
Ganz ins Gegenteil gehen die aktuellen programm-
atischen Aufweichungsversuche aus dem Forum de-
mokratischer Sozialismus. Einmal mehr wird dafür der
Begriff der „Einzelfallprüfung“ , wie schon auf dem
PDS-Parteitag von Münster im Jahr 2000 verwendet,
um DIE LINKE für Auslandseinsätze der Bundeswehr
zu begeistern. Der mit großer Mehrheit vom Parteivor-
stand beschlossene Konsens „Die Bundeswehr muss
aus allen Auslandseinsätzen zurückgeholt werden.“
wird mit Verweis auf den Grünhelm-Vorschlag von
Oskar Lafontaine attackiert, um die beabsichtige Öff-
nung des Programms für Kriegs – und Auslandsein-
sätze der Bundeswehr zu erreichen. Das ist besonders
deshalb absurd, weil Oskar Lafontaine sich schon
mehrfach gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr
stellte und sogar konstatierte: „Mit Auslandseinsätzen
holt Deutschland sich den Terror ins Land“. Zudem ist
die Bundeswehr keine internationale Helfertruppe, und
als solche nicht ausgebildet. Vorschläge, sie beispiels-
weise nach Fukushima zu entsenden, sind nicht nur
realitätsfern, sondern gehen völlig an der gesamten Ka-
tastrophenschutz-Problematik vorbei. DIE LINKE steht
für die Beendigung der zivil-militärischen Zusammen-
arbeit. Wir wollen einen rein zivilen Katastrophen-
schutz von Profis, die dafür ausgerüstet und vor allem
ausgebildet sind. Deshalb: Soldaten werden zum Töten
ausgebildet und nicht zum Schutz von Menschenleben
oder zur Hilfe bei Katastrophen. Dafür sind die huma-
nitären Organisationen und Katastrophenschutzorga-
nisationen da. Wir lehnen die Instrumentalisierung von
menschlichem Leid, um die Entsendung der Bundes-
wehr legitimieren zu können, ab. So bleibt DIE LINKE
Antikriegs- und Friedenspartei. ●
Heike Hänsel ist Vorsitzende desUnterausschusses „Vereinte Nationen,internationale Organisationen undGlobalisierung“ im Bundestag und
entwicklungspolitische Sprecherinder Linksfraktion.
Ruth Firmenich ist Mitglied im SprecherInnenratder Bundesarbeitsgemeinschast Frieden und
Internationale Politik der LINKEN.
Völkerrecht verteidigen!Die Linke muss für die Stärkung der zivilen Strukturen der Un eintreten.
Freiheit durch SozialiSmuS - zeitung zur Programmdebatte - 2/2011 FRIEdEn |
Bereits die PDS lehnte Blauhelmeinsätze der
Bundeswehr ab.
Von Wolfgang Gehrcke und Christiane Reymann
Vielen Linken ist sie vertraut, sie haben die In-
ternationale gesungen, gesummt, mit oder ohne
erhobene Faust, fühlend, dass Menschenrechte
nicht allein national, sondern im internationalen Ver-
bund erkämpst werden. Internationale in diesem Sinn
gab es einige. Manche existieren nicht mehr, so die
Kommunistische Internationale, untergegangen an
einem Mangel an Demokratie, strategischer Klarheit,
aufgelöst, als sie
Stalin nichts mehr
nützte. Andere gibt
es noch, darunter die
Sozialistische Inter-
nationale sozialde-
mokratischer Parteien, sie wirkt weltweit
konterrevolutionär. Es gibt gute Gründe, zu einer In-
terna- tionalen als Zusammenschluss von Parteien auf
Distanz zu gehen, und doch fehlt etwas.
Vor über 150 Jahren analysierten Marx und Engels
im Kommunistischen Manifest, dass das Kapital auf
seiner Jagd nach Profit um den Erdball rast, alle Konti-
nente unterwirst, aber zugleich seine Totengräber her-
vorbringt in Form der Arbeiterklasse. Doch bis heute
haben wir es nicht geschafft, dem räumlich und zeitlich
entgrenzten Kapitalismus eine politische Krast entge-
genzusetzen. Internationale Bewegungen konnten zwar
wichtige Erfolge erzielen etwa gegen die Apartheid in
Südafrika, den Vietnamkrieg, auch gegen Kinderarbeit
oder für Klimaschutz. Die Sozialforen – weltweit, kon-
tinental, in den Ländern – entwickeln eigene Formen
des globalen Widerstands im Austausch politischer und
sozialer Erfahrun-
gen. Sind das schon
die Totengräber?
Zu Marx‘ und
Engels‘ Zeiten ging
das Gespenst des
Kommunismus in Europa um, nicht weltweit, und die
Proletarier aller Länder, die sich vereinigen sollten,
waren eher männlich und hellhäutig. Im vergangenen
Jahrhundert stießen die unterdrückten Völker dazu.
Reicht es, die Subjekte fortdauernd zu erweitern etwa
um Frauen, Landbevölkerung, indigene Ethnien oder
müssen wir nicht zugleich den Blick schärfen für die
aktuellen Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhält-
nisse? Dazu gehören das Patriarchat, die Selbstausbeu-
tung, die Enteignung und Privatisierung der Natur, der
Gene, des Wassers, kurz: alle Formen heutiger Produk-
tion von Mehrwert und seiner Verwandlung in Profit.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts muss das Pro-
gramm der LINKEN die globalen Verwertungsbedin-
gungen des Kapitals und die Gegenkräste erst noch
präzise erfassen und den Anspruch einlösen, welt- und
umweltverträglich zu produzieren, zu konsumieren, zu
verteilen und somit anders zu leben. Um ihrer selbst
willen muss die LINKE mit dem Eurozentrismus bre-
chen, jede eigene Forderung auf ihre globalen Wirkun-
gen überprüfen und auf dem ganzen Erdball die
vielfältigen Formen und Folgen von mehr Gemeineigen-
tum, mehr Geschlechterpolitik, Ökologie, Demokratie,
mehr Internationalismus erkunden. Dann kann sie bes-
ser weltweiten Widerstand und gemeinsames Nach-
denken über Strategie und Taktik befördern. Das wäre
antiimperialistische Politik heute, zu der wir nicht nur
„Die Internationale erkämpst das Menschenrecht“ sin-
gen, sondern sie erklären und einlösen. Mit der Forde-
rung nach der Gründung einer neuen Internationalen
in ihrem Grundsatzprogramm kann DIE LINKE ein
wichtiges Zeichen setzen, dass sie diesen Anspruch
ernst nimmt. ●
Wolfgang Gehrcke ist Mitglied imParteivorstand DIE LINKE und im
Fraktionsvorstand der Bundestagsfraktion.
Christiane Reymann ist aktiv in derfeministischen BundesarbeitsgemeinschastLISA der LINKEN und Delegierte zum
Kongress der Europäischen Linkspartei.
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Für eine neueInternationale
Es rettet uns kein höh’res Wesen, kein Gott, kein Kaiser, noch Tribun.
Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun!
Von Fabio de Masi und Sabine Lösing
Die LINKE ist eine demokratische Erneuerungs-
bewegung. Sie muss die Interessen der Bevöl-
kerungsmehrheit gegen die „Diktatur der
Finanzmärkte“ verteidigen. Das unterscheidet sie von
anderen Parteien.
DIE LINKE hat eine große Chance. Sie ist die einzige
Partei, die sich mitten in der schwersten Wirtschasts-
und Finanzkrise seit 80 Jahren ein Pro-
gramm gibt. DIE LINKE kann Köpfe und
Herzen gewinnen, während sich andere
Parteien der Realität verweigern. Der Pro-
grammentwurf der LINKEN bietet dafür
gute Voraussetzungen.
Wir erleben eine neue Epoche des Kapitalismus: Die
Bevölkerungsmehrheit wurde um Lohn und soziale Si-
cherheit gebracht. Wachsender Konsum wurde statt-
dessen durch eine Kreditblase finanziert. Die Blase ist
geplatzt, der „Klassenkampf von oben“ ist eröffnet.
Die Bevölkerungsmehrheit bezahlt nun die Krise.
Gerettet werden Banken, nicht Griechen, Iren oder Por-
tugiesen. Die Kürzungspakete in den Krisenstaaten
drücken die Wirtschast unter Wasser, während Finanz-
haie risikolos hohe Zinsen für Staatsschulden kassie-
ren.
Die zentrale Ursache der Schuldenkrise in Europa
– das deutsche Lohndumping – ist nicht behoben. Denn
verkaust ein Land wegen billiger Löhne dauerhast mehr
Waren und Dienstleistungen an das Ausland als es von
dort einkaust, müssen sich die Han-
delspartner verschulden.
In den nordeuropäischen Län-
dern erhalten Rechtspopulisten
Austrieb, während Souveränität
und Demokratie in den Krisenstaaten an die Finanz-
märkte und ihre Staatsanwälte des IWF, der EZB und
der EU verkaust werden.
Der europapolitische Abschnitt des Programment-
wurfs greist diese Entwicklung nunmehr auf. Er betont,
warum unser Nein zum Vertrag von Lissabon richtig
war und die Krise und die europäische Vertragsarchi-
tektur siamesische Zwillinge sind: Selbst linke Regie-
rungen müssen sich an die geltenden EU-Verträge hal-
ten. Der Kampf um andere Mehrheiten in Europa reicht
daher nicht: Die Forderung nach einer Neugründung
der EU ist unverzichtbar. Selbst der SPD-Vorsitzende
Sigmar Gabriel spricht nunmehr davon.
Die Forderungen der Linken sollten zudem um ein
wichtiges Instrument ergänzt werden: Banken leihen
sich billiges Geld bei der EZB und verleihen es zu Wu-
cherzinsen an Euro-Staaten. Das ist ein Schutzschirm
für Finanzhaie. DIE LINKE fordert, Staatskredite direkt
über eine öffentliche Bank zu niedrigen Zinsen auszu-
reichen – ohne Umweg über die privaten Geschästsban-
ken.
Viele Menschen wenden sich von Europa und den
etablierten Parteien ab. Sie wissen, dass gegen sie re-
giert wird. Sie spüren die Ohnmacht gegenüber Brüssel
genauso wie die Macht der anonymen Finanzmärkte.
Der Widerstand findet auf den öffentlichen Plätzen in
Athen, Madrid, Lissabon und Dublin statt. Das hat
nichts mit nationaler Romantik zu tun, sondern mit
Demokratie. Ohne linke Kritik der EU werden Wutbür-
ger uns nicht zuhören. Der Programmentwurf gibt lin-
ker Politik eine Stimme: in Berlin wie in Brüssel. ●
Fabio de Masi ist einer der BundesprecherInnender Sozialistischen Linken (SL).
Sabine Lösing ist für DIE LINKEAbgeordnete im Europäischen Parlament.
Nein zum Europa der Banken nur mit einer Revision der Verträge der europäischen Union wird dieUrsache für die euro-krise behoben.
Europa neugründen„
ein internationalistischer Anspruch ist für eine linke Partei unerlässlich.Die Forderung nach Gründung einer neuen internationalen wäre einwichtiges Zeichen, dass Die Linke diesen Anspruch ernst nimmt.
| InTERnATIonAlE Freiheit durch SozialiSmuS - zeitung zur Programmdebatte - 2/2011
Von Diether Dehm
Bei den Parlamentswahlen im April 2011 in
Finnland erhielt die rechtspopulistische Partei
"Wahre Finnen" 19 Prozent. Im Wahlkampf
hatte sie vor allem gegen das Bankenrettungspaket
der EU Stimmung gemacht. Finnland ist kein Einzel-
fall. Ähnliche Entwicklungen sind auch anderswo in
Europa zu beobachten. Bereits 2009 wurde in Norwe-
gen die dortige rechtspopulistische Fortschrittspartei
zur zweitstärksten Krast im Parlament. Rechtspopulis-
tische Parteien nehmen Unsicherheiten und Ängste in
der Bevölkerung auf und kanalisieren diese mit ihrer
programmatischen Klaviatur aus nationalistischen
und rassistischen Anklängen in gefährlicher Weise.
Bevor Anders Breivik zum Massenmörder wurde, war
er zunächst nicht in neonazisti-
schen Kreisen, sondern bei
Rechtspopulisten aktiv.
Rechtspopulisten verbinden
ihre rassistische Hetze mit Ab-
wehr einer europäischen Integration, wobei Postfa-
schist Fini für den Lissabon-Vertrag wirbt und Le Pen
dagegen. Besonders in Krisenzeiten sind sie damit
dort erfolgreich, wo ihnen die Kräste der Aufklärung
das durchgehen ließen und verschwiegen, dass diese
EU im rechtlichen Kern asozial, antikommunistisch, ja
auch antisozialdemokratisch ist. Durch Frontex usw.
ist die EU mit Neorassismus aufgefüttert und produ-
ziert Neorassismus zugleich, indem sie lohnabhängig
Beschästigte gegeneinander ausspielt. Dies findet sich
auch in Breiviks Manifest wieder. Diese aktuell so kon-
stituierte Festung aus Eliten, die EU heißt, ist Gist
gegen eine demokratische Integration Europas.
Überall haben die Rechten damit den Linken er-
hebliche Prozente weggehauen, wo Linke jegliche ra-
dikale EU-Kritik kampflos anderen überließen. Es hat
sich als selbstmörderisch erwiesen, wenn Linke mein-
ten, "sich schützend vor die EU stellen zu müssen oder
zu können" und ihre Kritik darum mäßigten. Gegen-
wärtig findet in der EU eine klassische Blitzableiter-
strategie der Rechten statt, mit der auf Dauer kein
Vakuum bleibt: Entweder die Linke wagt das müh-
same, aber populäre Benennen der Verursacher und
Profiteure, vor allem die Deutsche Bank - oder die
Rechte füllt "das Vakuum
rassistisch mit ihren Sün-
denböcken". Das ist der
Unterschied von populä-
rem zum demagogischen
Konstrukt des Populismus!
Breiviks antikommunistische und neorassistische
Gedankenwelt ist die von Broder, Rorty, Wilders und
Sarrazin in ihrem Hass auf Linke, Muslime, Palästi-
nenser und Andersdenkende. Es wäre naiv zu glauben,
dass sich eine Tat wie in Norwegen in Deutschland
nicht ereignen kann. Auch hier ist der Rechtspopulis-
mus - gesellschastlich weitgehend toleriert wenn nicht
sogar befördert - auf dem Vormarsch. Bis heute hat
etwa die SPD Sarrazin nicht aus der Partei ausge-
schlossen. Der Grund für seinen Erfolg liegt darin, dass
er an realen Problemen ansetzt, jedoch dann den Zorn
vom Konflikt zwischen oben und unten ab- und auf
Herkunst und Religion umlenkt. Die Empörung dazu
wird auch durch die Politik der EU verursacht. Ange-
sichts eines europaweiten Sozialabbaus, der insbeson-
dere durch den Lissabon-Vertrag und die als
Euro-Rettungspakete getarnte Bankenrettung forciert
wird, verarmt ein Großteil der Bevölkerung und wer-
den auch Mittelschichten in den Abstieg getrieben.
DIE LINKE steht hier vor einer großen Herausfor-
derung: In den letzten Jahren ist es ihr gelungen, ihre
Forderungen populär zu machen und zu verdeutli-
chen, dass die Ursache für die Probleme die herr-
schende Politik ist. Damit gilt DIE LINKE europaweit
als Erfolgsprojekt. Ihre linke Antwort auf die rechte
Gefahr muss weiterhin lauten: Konsequente Politik
für soziale Gerechtigkeit und Frieden! Wir müssen die
Wut und die Empörung grundgesetzförmig demokra-
tisieren, damit Solidarität statt Ausgrenzung möglich
wird. Zu Recht wird im Leitantrag der Neustart der
EU mit einer entschiedenen Veränderung des Primär-
rechts gefordert. Statt, wie in den EU-Verträgen, die
Kontrolle des Kapitalverkehrs zu verbieten, fordern
wir die öffentliche Kontrolle des gesamten Kredit-
und Ratingsektors, deren konsequenteste Form die
Vergesellschastung ist. ●
Diether Dehm ist Mitglied im Parteivorstandder LINKEN und europa- und
mittelstandspolitischer Sprecher derBundestagsfraktion.
Von Ellen Brombacher
„Unsere antifaschistische Praxis“, so der Pro-
grammentwurf, „ist dem Schwur von Buchenwald ver-
pflichtet: >>Die Vernichtung des Nazismus mit seinen
Wurzeln ist unsere Losung, der Aufbau einer neuen
Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel<<“.
Dieser Schwur blieb leider aktuell. Stimmt die Formu-
lierung im Programmentwurf, dass die Idee einer so-
zialen Marktwirtschast eine
Antwort auf den Schock von Krise,
Faschismus und Krieg war und
daher aus den Erfahrungen mit
einem entfesselten barbarischen
Kapitalismus resultierte, so gilt es,
über den Umkehrschluss gründlicher nachzudenken.
Der besagt, dass die Rückkehr zu einem offen asozialen
Kapitalismus - besonders seit Beginn der 90er Jahre
des 20. Jahrhunderts - aus dessen Entfesselung resul-
tiert und seine barbarischen Züge auch in den bürger-
lichen Demokratien wieder deutlicher in den
Vordergrund treten lässt. Es gibt, z.B. in Europa, durch-
aus Faschisierungstendenzen. Die antikapitalistische
Kritik im Programmentwurf könnte dahingehend prä-
zisiert werden, dass die aus Sozial- und Demokratie-
abbau resultierenden gesellschastlichen Gefahren
schärfer herausgearbeitet werden. Besonders wichtig
ist das Bekenntnis zum Kampf gegen jegliche Spielar-
ten des Rassismus.
Und noch etwas: Es ist sehr zu begrüßen, dass der
Parteivorstand entschieden hat, im Programment-
wurf nicht wie ursprünglich formuliert, den Begriff
des Nationalsozialismus zu verwenden. Denn
den von den deutschen Faschisten zur Selbst-
bezeichnung gewählten, gleichermaßen
demagogischen wie verlogenen Begriff dürfen wir
nicht übernehmen. Die deutschen Faschisten waren
weder national noch sozialistisch. Die Sozialisten
haben sie abgeschlachtet und die „eigene“ Nation in
Trümmer und Asche gelegt und mit unendlicher
Schande bedeckt. Den NS-Begriff mit der Begründung
bewahren zu wollen, er reflektiere die Einmaligkeit
deutscher Schuld an der Shoa, ist nicht überzeugend.
Es bedarf keines verkommenen Begriffs, um in Erin-
nerung zu halten, dass das unvorstellbarste Verbre-
chen des 20. Jahrhunderts in deutscher Verantwortung
geschah, untrennbar mit Deutschlands imperialisti-
schem Krieg verbunden. ●
Ellen Brombacher ist Mitglied imBundesprecherInnenrat der KommunistischenPlattform in der LINKEN.
9
Dem Schwur von Buchenwald verpflichtet Die Linke muss den kampf gegen jegliche Spielarten des Rassismusaufnehmen.
Der Aufbau einer neuenWelt des Friedens und derFreiheit ist unser Ziel „
Gegen rassistischeHetze „
Rechtspopulismus europaweit bekämpfen! Die unsoziale Politik der eU muss in den Fokus genommen werden. nur so lässt sich Rechtspopulismus wirksam entgegentreten.
Freiheit durch SozialiSmuS - zeitung zur Programmdebatte - 2/2011 AnTIFAschIsmus |
Hans Jürgen Steglich / pixelio.de
10
Von Sabine Wils
„Die Gesellschast braucht einen sozial-ökologi-
schen Umbau, um Mensch und Natur nicht weiter den
zerstörerischen Strukturen des Kapitalismus auszuset-
zen. Dieser kann keine Zukunst haben, da er, neben der
massiv praktizierten sozialen Ungerechtigkeit, die
Natur und ihre begrenzten Ressourcen zur Strecke
bringt.“ Mit solchen Aussagen im Leitantrag grenzt
sich DIE LINKE wohltuend von anderen Parteien ab,
die einen grünen Kapitalismus für möglich und erstre-
benswert halten. Dies gilt insbesondere für die Grünen,
die nicht müde werden, ihr Leitbild des „Green New
Deal“ zu propagieren. Zu Recht hat Oskar Lafontaine
dieses Leitbild auf dem Programmkonvent im vergan-
genen Jahr in Hannover als Mogelpackung charakte-
risiert. Denn wer - wie die Grünen - die
Eigentumsfrage nicht stellt, wird die ökologische Frage
nicht lösen können. Das Leitbild des „Green New Deal“
schließt weiteren Standortwettbewerb innerhalb der
EU und zwischen der EU und anderen globalen Wirt-
schastsregionen ein. Im ökologischen Umbau der Ge-
sellschast wird ein Faktor für den Sieg im globalen
Wirtschastskrieg gesehen. Es ist am Ende nur ein grün
angestrichener Kapitalismusentwurf. DIE LINKE ver-
bindet dagegen in ihrem Programmentwurf den so-
zial-ökologischen Umbau der Gesellschast mit der
Absage an die kapitalistische Wirtschastsordnung. Die-
ser Grundsatz muss im Forderungsteil des Programm-
entwurfes an einzelnen Stellen noch konkretisiert
werden. Ein Beispiel hierzu ist die Positionierung zu
CCS. Im Programmentwurf steht: „Technische Lösun-
gen wie die Kohlendioxidspeicherung haben unkalku-
lierbare Risiken und Nebenwirkungen und verzögern
nur den notwendigen Umbau.“ Das ist richtig. Kohle
ist keine Alternative, auch nicht mit CCS. Die hier eher
vage Formulierung muss konkreter werden. In das
Programm gehört ein klares Verbot von CCS. Das ist
wichtig, da die Kohlendioxidspeicherung tödliche Ri-
siken birgt, das Trinkwasser in der Region gefährdet
und nur der Profitsteigerung der großen Energiekon-
zerne dient. Wenn DIE LINKE an ökologischem Profil
gewinnen will, dann darf sie von solchen klaren Posi-
tionen auch in ihrer konkreten Politik nicht abwei-
chen.
Mit seinen umfassenden Darstellungen zur Zentra-
lität der ökologischen Frage widerspricht der Pro-
grammentwurf den Kritikern in der LINKEN, die ihrer
eigenen Partei immer wieder fehlende Kompetenz in
ökologischen Fragen unterstellen oder ihren Fokus auf
die soziale Frage als „Ein-Punkt-Partei“ diffamieren.
Denn es wird deutlich: Mit ihrer Forderung nach einer
anderen Eigentumsordnung und ihrem ausgearbeite-
ten Konzept für einen sozial-ökologischen Umbau der
Gesellschast hat DIE LINKE eine klare Antwort auf die
ökologische Frage. Die Herausforderung besteht darin,
dies auch nach außen zu vermitteln. Nach wie vor gel-
ten die Grünen bei weiten Teilen der Bevölkerung als
die einzige Partei mit klarem ökologischem Schwer-
punkt, was ihnen nach der Katastrophe in Fukushima
zu großen Wahlerfolgen verhalf. Um dieses Image an-
zugreifen, wäre eine Anbiederung der LINKEN an die
Grünen allerdings der grundfalsche Weg. Denn da-
durch droht eben das Alleinstellungsmerkmal der LIN-
KEN zu verwischen. Notwendig ist stattdessen eine
kritische Auseinandersetzung mit den Grünen, die Ka-
pitalismus und Krieg mit der Ökologie für vereinbar
halten.
Sabine Wils ist Mitglied im Parteivorstand derLINKEN und im BundessprecherInnrat der BAGBetrieb und Gewerkschast sowie Mitglied desEuropäischen Parlaments.
Die Zentralität der ökologischen Frage
Verbot von CCS insProgramm „
Um die ökologische Frage zu lösen, muss die eigentumsfrage gestellt werden.
Auszug aus der Rede von Oskar Lafontaine
beim Programmkonvent in Hannover am 7. No-
vember 2010:
„…Und selbstverständlich gönnen wir als faire
Sportsleute den Grünen jetzt die guten Umfrage-
ergebnisse. Aber das entbindet uns nicht von der
Verpflichtung, uns mit dieser Partei auseinander-
zusetzen und zu sagen: Krieg ist die schlimmste
Form der Umweltzerstörung. Eine Umweltpartei
kann nicht Kriege befürworten. Und wir müssen
der Partei der Grünen sagen, dieses Konzept der
Green Economy oder New Green Deal, oder was sie
alles erzählen – ist ja schon interessant, dass man
Anglizismen bemühen muss –, das ist ein Placebo,
das ist eine Mogelpackung. Wer die Eigentums-
frage nicht stellt, wird die ökologische Frage nicht
lösen können. Das ist unsere Sonderstellung hier
als Partei DIE LINKE. Und wir werden ja mittler-
weile, liebe Freundinnen und Freunde, aus der
Wissenschast unterstützt. Der Nobelpreis für Wirt-
schast 2009 – und ich empfehle allen, daran anzu-
knüpfen – ist an eine Wissenschastlerin verliehen
worden. Elinor Ostrom, die erforscht hat, dass Ge-
meinschastseigentum ökologischer verwaltet wird
als Privateigentum. Ja, selbst wenn das in der klas-
sischen Wissenschast erforscht wird, da sind wir,
DIE LINKE, doch gehalten, darauf hinzuweisen:
Gemeinschastseigentum ist viel, viel eher in der
Lage, zu umweltgerechtem Verhalten zu führen
als Privateigentum. Und wir schieben noch eine
Begründung nach: Nur mit Gemeinschastseigen-
tum lernt man verantwortungsvolles Handeln. Das
ist der entscheidende Punkt. Auch verantwor-
tungsvolles Handeln gegenüber der Natur. Und
noch etwas an die Adresse der Grünen. Wir können
nicht zulassen, dass die ökologische Frage von der
sozialen Frage abgekoppelt wird. Die Grünen sind
mittlerweile die Partei der Besserverdienenden.
Eine „Ökologiepolitik“, die dazu führt, dass nur die
Wohlhabenden sich Autos und Fernreisen leisten
können – eine solche Ökologiepolitik muss DIE
LINKE in Frage stellen!“
Nur Gemeinschastseigentumist ökologisch
Bild: www.linksfraktion.de
| ÖKoloGIE Freiheit durch SozialiSmuS - zeitung zur Programmdebatte - 2/2011
Von Ida Schillen
Es sollte die feministische Eröffnung des Grund-
satzprogramms werden. Doch das achtseitige
Papier mit dem Titel „Kämpfe um Zeit“ und mit
dem Inhalt der Vier-in-Einem-Perspektive wurde nicht
als Antrag in die Programmdebatte des Parteivor-
stands eingebracht, daher dort weder erörtert noch in
den Leitantrag aufgenommen. Möglicherweise wird
das Papier zum Programmparteitag im Herbst als An-
trag vorgelegt, so dass eine Kommentierung ange-
bracht ist. Hier und da wird darüber diskutiert, mit
unterschiedlichen Wertungen quer durch die Strö-
mungen.
Was ist eigentlich die Vier-in-Einem Perspektive?
So fragen Viele, denn der mathematisch-sperrige Be-
griff erschließt sich inhaltlich nicht aus dem Wort he-
raus. Die Verfasserinnen um Frigga Haug leiten den
Begriff aus der Kritik an der Arbeitsteilung her und
konstatieren, dass die „Verfügung über Zeit als Grund-
lage aller Herrschast“ anzusehen sei. Sie wollen das
Problem durch die Vierteilung der Zeit überwinden,
indem sie „ein Viertel Erwerbsarbeit, ein Viertel Repro-
duktionsarbeit, ein Viertel Muße, Kunst und Kultur
und um das Ganze komplett zu machen ein Viertel Po-
litik“ vorgeben. Unklar bleibt, ob es sich dabei um die
Zeiteinteilung eines Tages, einer Woche, eines Jahres
oder der gesamten Lebenszeit handelt. Der Text leitet
mit dem Credo ein: „Die Zeit soll denen gehören, die
sie leben“ . Das hört sich zunächst bestechend an. End-
lich Zeit für mich, endlich weniger arbeiten, endlich
weniger kochen, waschen,
putzen, endlich selbst über
„meine“ Zeit bestimmen. Es ist
interessant, über die Nutzung
der Zeit nachzudenken. Bei
näherem Hinsehen stellt sich
jedoch heraus, dass das sche-
matische starre Konzept der Vierteilung eine Bevor-
mundung darstellt. Was ist, wenn ich die
Reproduktionsarbeit, vor allem die lästige Hausarbeit,
auf ein Minimum reduzieren und daneben nur noch
Politik machen will? Oder wenn ich überhaupt keine
Politik machen will? Die Freiheit, über meine Zeit zu
bestimmen, wird durch das starre Schema wieder zu-
nichte gemacht. Unklar bleibt auch der kulturelle und
regionale Bezugsrahmen der Vier-in-Einem Perspek-
tive. Soll sie auch im internationalen Rahmen gelten -
für die Bäuerin in den Anden, den Hochseefischer und
die Politikerin in Berlin gleichermaßen?
Das Vier-in-Einem-Konzept wird als „Antwort auf
eine Jahrtausende währende Geschichte von Frauen-
unterdrückung“ gesehen. Klingt das nicht ziemlich an-
maßend? Die Geschichte der Feministinnen ist
begleitet von Kämpfen für Freiheit, Gleichheit und
Selbstbestimmung und Kämpfen gegen Männerge-
walt. Die Unterwerfung von Frauen unter männliche
und staatliche Herrschast wurde stets durch Gewalt
und materielle, rechtliche und kulturelle Diskriminie-
rung praktiziert und ist bis heute nicht überwunden.
Das Problem der fremdbestimmten und ungleichen
Verteilung der Zeit ist lediglich eine Folge davon und
nicht die Ursache. Eine Reduktion der feministischen
Kämpfe auf einen Kampf um die Zeit ist vereinfachend
und verharmlosend.
Von einer Perspektive, die sich als feministisch und
sozialistisch begreist, sollte erwartet werden, dass sie
die zentralen Forderungen der feministischen Bewe-
gung aufgreist und die aktuellen Verteilungsprobleme
löst. Auf ungleiche Löhne, un- und unterbezahlte Frau-
enarbeit und ungleiche Eigentumsverhältnisse zwi-
schen Frauen und Männern gibt Vier-in-Einem keine
Antwort. Kernforderungen der Feministinnen, das
Recht auf den eigenen Körper, der Kampf gegen den
§218 und sexuelle Misshandlungen, werden durch
Vier-in-Einem weder angesprochen noch gelöst. Die
vorgeschaltete historische Analyse erscheint wie der
Versuch, die Weltgeschichte an vier Fingern zu erklä-
ren. Es mag interessant sein, Zeitmodelle zu entwer-
fen. Als feministisches Konzept im linken
Grundsatzprogramm ist das Zeitmodell der Vier-in-
Einem-Perspektive nicht geeignet.
Ida Schillen ist Mitglied im Parteivorstand derLINKEN.
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Feminismus für AlleDie Vier-in-einem-Perspektive gibt keine Antwort auf ungleiche Löhneund ungleiche eigentumsverhältnisse
Gemeinsam gegen Niedriglöhne! Für ein gutes Leben! Bild: Bildarchiv Yeni Hayat/Neues Leben
Freiheit durch SozialiSmuS - zeitung zur Programmdebatte - 2/2011 FEmInIsmus |
Kernforderungender Feministinnenaufgreifen „
ImpressumFreiheit durch Sozialismus - Zeitung zur Programmdebatte in der LINKEN, Ausgabe 2 (2011)
V.i.S.d.P: Sevim Dagdelen, MdB, Platz der Republik 1, 11011 Berlin;
Redaktion: Ruth Firmenich, Martin Hantke, Nele Hirsch, Alexander Neu, Ida Schillen
Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Für sie sind die jeweiligen AutorInnen verantwortlich.
Layout und Satz: Kurtulus Mermer Bilder: www.pixelio.de, Linksfraktion, DIE LINKE
Kontakt: [email protected] Web: www.freiheit-durch-sozialismus.de
Konferenz zur Programm- und Strategiedebatte in
der LINKEN am Samstag, den 8. Oktober 2011 in
Berlin
DIE LINKE gibt sich ein Programm - in turbulenten Zei-
ten. Europa ächzt unter Sozialabbau und Bankenrettung,
in Afghanistan und Libyen führt die NATO Krieg und der
Kapitalismus verschärst die ökologische Krise.
DIE LINKE ist eine demokratische Erneuerungsbewe-
gung. Wir brauchen daher ein Programm für die Mehr-
heit. Im doppelten Sinne: Wir müssen die Interessen der
Bevölkerungsmehrheit gegen die Diktatur der Finanz-
märkte vertreten. Und wir brauchen ein Programm, das
die breite Unterstützung der Partei hat.
Wir wollen den Kapitalismus überwinden und eine sozia-
listische Demokratie schaffen. Uns bewegt die Frage,
wie wir das gemeinsam erreichen können. Wir laden
daher zu einer Programmkonferenz ein: am Samstag,
den 8. Oktober 2011 ab 11.00 Uhr in Berlin.
Kurs halten - Ein Programm für die Mehrheit
11.00 Uhr: Begrüßung und Einstieg: Nele Hirsch und Fabio de Masi
11.30 Uhr: Sahra Wagenknecht: Alternativen zur herrschenden Politik und zum kapitalistischen System:
12.00 Uhr: Podium I „Für eine antikapitalistische LINKE!“» Martin Hantke: Enteignung stoppen:Gesellschastliches Eigentum undDemokratischer Sozialismus. » Ralf Krämer: Gute Arbeit, gutes Leben:Sozialstaat erneuern.» Ida Schillen: Frau und Herr: Feminismus alsHerrschastskritik. » Heinz Bierbaum: Empört Euch: Demokratiebraucht Bewegung. Moderation: Steffi Graf
Anschließend: Diskussion im Plenum
13.30 Uhr: Mittagspause
14.30 Uhr: Podium II „Konsequent gegen Militarisierung und Krieg! Für eine internationalistische LINKE!" » Erhard Crome: Kein Frieden mit dem Krieg,Europa neu gründen.» Sevim Dagdelen: Partei des Völkerrechts:UNO entmilitarisieren - NATO auflösen. » Ellen Brombacher: Haltelinien - Bundeswehrals strikte Verteidigungsarmee. » Wolfgang Gehrcke: Internationale Solidaritätheute. Moderation: Alexander Neu
Anschließend: Diskussion im Plenum
16:00 Uhr: Oskar Lafontaine: Strategische Herausforderungen der LINKEN
17.00 Uhr: Ende der Veranstaltung
Weitere Informationen: http://www.freiheit-durch-sozialismus.de
Vorgesehener Ablauf:
Jetzt unterschreiben:
www.linke-fairplay.de
4. September: AKL-Programm-konferenz in Berlin
8. September: Antragsschluss fürAnträge und Leitanträge zumBundesparteitag
22. September: freiwilliger An-tragsschluss für Änderungsan-träge zum Leitantrag (DerParteivorstand bittet darum, imInteresse einer guten Parteitags-vorbereitung, möglichst alle Än-derungsanträge bis zu diesemZeitpunkt einzureichen)
24./25. September: Frauenple-num des Bundesparteitages imRahmen der Bundesfrauenkon-ferenz in Magdeburg
6. Oktober: offizieller Antrags-schluss für Änderungsanträgezum Leitantrag
8. Oktober: Programmkonferenz„Kurs halten – ein Programm fürdie Mehrheit“ in Berlin
21.-23. Oktober: Bundespartei-tag in Erfurt mit Abstimmungüber den Leitantrag zum Pro-gramm, anschließend: Mitglie-derentscheid
18. Dezember: Verkündung desErgebnisses des Mitgliederent-scheids
Zur Behandlung im Plenumwerden auf dem Bundespartei-tag nur die Änderungsanträgevorgeschlagen, die eingereichtwerden von:
▶ Landes-, Kreis- und Ortsverbän-den oder
▶ bundesweiten Zusammen-schlüssen oder
▶ Jugend- oder vom Studierenden-verband oder
▶ Organen der Partei oder▶ Kommissionen des Parteitages
oder ▶ mindestens 25 Delegierten
(Diese Unterschristen müssenbis zum Antragsschluss, nichtbis zum Beginn des Parteitagesvorliegen.)
In die Programmdebatte einmi-schen:
▶ Erarbeitet Änderungsanträgeund stellt sie in Eurer BO, EuremKreis- bzw. Landesverband zurDiskussion und werbt um Un-terstützung dafür. Bei der Suchenach ReferentInnen für Pro-grammveranstaltungen sind wirEuch gerne behilflich.
(Kontakt: [email protected])
▶ Beteiligt Euch an den Pro-grammkonferenzen und mobili-siert dafür in Eurem Umfeld!
Stationen der Programmdebatte:
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Bestellungen an das Büro WolfgangGehrcke (E-Mail:[email protected] oderFax 030 227-76185) bzw. an den VerlagPapyRossa (E-Mail: [email protected] Fax 0221-444305)