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Film und Krieg

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Michael Strübel (Hrsg.)

Film und Krieg Die Inszenierung von Politik zwischen Apologetik und Apokalypse

Leske + Budrich, Opladen 2002

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Der Herausgeber: Dr. Michael Strübel, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Erfurt.

Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahrne Ein Titeldatensatz für die Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich

ISBN 978-3-8100-3288-1 ISBN 978-3-322-95044-4 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-95044-4

© 2002 Leske + Budrich, Opladen

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschlitzt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikro­verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Satz: Verlag Leske + Budrich, Opladen

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Inhalt

Vorwort .................................................................................................... 7

Andreas Dörner Die politische Kultur der Gewalt Zur Inszenierung von Gewalt als Teil des expressiven Individualismus im amerikanischen Film ................................................ 17

Michael Strübel Kriegsfilm und Antikriegsfilm Ein filmgeschichtlicher Abriss aus der Sicht der internationalen Politik ......................................... ..................................... 39

Detlev Kannapin "Geh hin und sieh dir das an." Sowjetische Spielfilme im Kontext von Revolution und Krieg -Drei Beispiele .......................................................................................... 75

Peter Krause/Birgit Schwelling ,,Filme als Orte kollektiver Erinnerung" Aspekte der Auseinandersetzung mit der Erfahrung des Vietnamkriegs in Apocalypse Now .......................... .......................... 93

Herbert Heinecke Die Debatte um The Deer Hunter -politische und künstlerische Dimensionen ............................................... 109

Gerhard Lampe Medienfiktionen beim NATO-Einsatz im Kosovo-Krieg 1999 ............... 127

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Dietmar Schiller Zwei Wochen im Juni: Anatomie einer politischen Krise Eine Analyse televisueller Symbolpolitik am Beispiel

Inhalt

des Brandanschlags in Solingen .............................................................. 135

Jörg R.J. SchirraiStefan Carl-McGrath Identifikationsformen in Computerspiel und Spielfilm ........................... 147

Reinhard Wesel Haben Massenmedien eine besondere Bedeutung in der bzw. für die internationale Politik? Kritische Überlegungen zu einigen gängigen Annahmen ........................ 163

Michael Strübel Von Kuwait nach Kabul: Medien im Krieg und die Macht der Bilder ............................................... 187

Autorinnen und Autoren .......................................................................... 209

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Vorwort

In den vielfältigen Publikationen zur Milleniumswende waren sich die mei­sten Wissenschaftler und Publizisten zumindest in zwei Punkten einig: Das xx. Jahrhundert war das Jahrhundert der Kriege. Kriege, die in ihrer Häufig­keit, ihrer regionalen Verteilung und Intensität für die Zivilbevölkerung wie für die Kombattanten jedwedes bis dahin bekannte Ausmaß überschritten. Das xx. Jahrhundert war aber auch ein Säkulum rapider technischer Ent­wicklungen und rasch aufeinander folgender, bzw. sich zum Teil überlagern­der künstlerischer Entwicklungen und Umbruchphasen. Mit dem Engagement der Kinematographen gegen Ende des XIX. Jahrhunderts begann sich in einer Kombination von Photographie und technischer Mechanik eine neue Kunst­form ihren Weg zu bahnen. Der Siegeszug des Films, der "movies", der be­wegten Bilder, fand den Weg aus den Jahrmarktsbuden der Laterna Magica hinaus in die neu errichteten Lichtspielpaläste der Metropolen Berlin und Pa­ris, London, Rom und New York und sogar Moskau. Als kosmopolitische Kunst, was die Stummfilmzeit noch besonders verstärkte, konnte der Film trotz seines dominierenden Unterhaltungswertes nicht unbeeinflusst bleiben von den gewalttätigen und kriegerischen Erschütterungen der Epoche. Die propagandistische Funktion, die Filme haben können, und ihre agitatorische Aussagekraft erkannten die politischen Protagonisten auf der extremen Lin­ken, die Anhänger der russischen Revolution einerseits, und - mit einiger zeit­licher Verspätung - die Vertreter der nationalistischen völkischen Rechten, die deutschen Nationalsozialisten, andererseits. Dazwischen lag in der Zeit zwi­schen den beiden Weltkriegen die Suche nach Themen und Formen eines Ki­nos, dem neben dem Unterhaltungswert eher beiläufig die Funktion zufiel, als Amalgam zu dienen zwischen Nationenwerdung und politischer Identitätssu­che, in einer von vielen Zeitgenossen als unübersichtlich empfundenen Um­bruchphase.

So unterschiedlich die Darstellung von Kriegen in Filmen ist, so unter­schiedlich sind auch die diversen Aspekte im kollektiven Gedächtnis der Völker über den Krieg oder zumindest zu jenen Kriegen, an denen sie direkt oder indirekt beteiligt waren, und die sie tangierten. Das von der Geschichts-

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8 Vorwort

wissenschaft erst langsam entdeckte und nur mühsam zusammengefügte Konstrukt des "kollektiven Gedächtnisses" lässt sich nicht nur auf Denkmäler und Monumente, auf Gemälde, Plakate, Postkarten oder Fotos projizieren. Es berührt auch und gerade das Medium Film. Dieses versucht mit Beginn des visuellen Zeitalters im XX. Jahrhundert die Situation der Zeit zu dokumentie­ren. Mehr als alle anderen Medien verfügt der Film, auch aufgrund einer vi­suellen Erziehung der Zuschauer und der Codierung dramaturgischer Effekte (schwarz-weiß, hell-dunkel, gut-böse) über ein reichhaltiges Angebot an emotionalen Wiedererkennungseffekten und Signalwirkungen, die bis in die Tiefenbereiche der subjektiverfahrbaren Gefühlswelt reichen. Indem die Grenze zwischen Imagination und Realität, zwischen "facts" und "fiction" nicht mehr erkennbar ist, in dem Maß, in dem die empirische Wahrheit, die Abfolge historischer Ereignisse nicht mehr falsifizierbar oder verifizierbar wird, entwickelt das Medium Film seine ihm eigene Suggestivkraft.

Im Zusammenwirken des Ganzen, - Ton und Musik, Licht und Bild, Schnitt und Montage, Schauspielführung und Starsystem, Architektur und In­terieurs sowie der Postproduction, der Nachbereitung des Materials, der Werbung, des Verleih- und Vertriebssystems - erreichen Filme ein Millio­nenpublikum, das mit dem Kauf einer Kinokarte bereit ist, sich rational und emotional auf ein Thema einzulassen. Krieg als elementare Erfahrung, vor allem in Verknüpfung mit anderen existenzprägenden Ereignissen wie Liebe und Tod, stößt beim Kinopublikum auf einen hohen Identifikationswert und befriedigt in besonderer Weise den einmaligen Vorteil des Mediums Film: Entfernt und doch mittendrin zu sein, weit weg und doch so nah. Authentizi­tät und virtuelle Realität werden zusammengeführt und bilden eine Einheit. Dies ist zwar nur ein schöner oder schrecklicher Schein, doch die Realität von Krieg und Gewalt im Kino oder in interaktiven Spielen ist immer noch durch ein Interface gesteuert. Per Knopfdruck, per Austritt aus dem Dunkel des Kinosaals oder durch das Abschalten des Fernsehgeräts kann sich der Rezipient dem Grauen des Krieggeschehens entziehen und in eine mögli­cherweise friedlicher erscheinende Realität zurückkehren.

Mit dem Kriegsthema wurden und werden dadurch mehrere Dimensio­nen angesprochen. Die eine ist die aktuelle Dimension: die eigene oder durch andere überlieferte und verdeutlichte Geschichte des Erlebnisses von Gewalt und Krieg, mit all den Höhepunkten und Tiefen, die das biographisch bedeu­tet. Hierzu gehören auch all die Wunden und Beschädigungen physischer und psychischer Art, die mit dem Kriegserlebnis einhergehen. Eine weitere Di­mension betrifft Patriotismus, Nationalismus oder gar Militarismus sowie je­ne Ligaturen von regionalen oder nationalen Bindungen und Tiefendimensio­nen, die sich in den Biographien herausdestilliert haben. Sie sind durch Filme reanimierbar und verdichten sich in der ikonographisch codierten Bilderwelt. Dabei wird durch die Aufhebung der Grenzen von "facts" und "fiction" eine "zweite" Realität - was eigentlich eine contradictio in adjecto ist - geschaf­fen. Historische Ereignisse werden uminterpretiert und mythologisiert. Bis-

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weilen wird auch eine revisionistische Geschichtsauffassung transportiert. Im Fall der Kriegs- und Antikriegsfilme werden Opfer zu Tätern; Niederlagen, verlorene Schlachten werden zu Siegen; Kriegsverbrecher werden zu Helden. Die Helden der Verweigerung, die Kritiker des Krieges und die Deserteure, stehen am Pranger, und nicht etwa ihre Vorgesetzten, die sich zu Bestimmern der Vernichtung von Leben machen. Ein aus dem Gesellschaftsvertrag resul­tierendes Wertesystem und eine auf demokratischer Legitimation beruhende politische Hierarchie wird außer Kraft gesetzt. Vielleicht ist es das unbewuss­te und durch political correctness tabuisierte Konstrukt des Führerprinzips, das Kriegsfilme in besonderem Maße prägt und ihre ungebrochene Populari­tät, z.B. in den Kaufvideoshops und Wiederholungen in am Kommerz orien­tierten privaten TV -Kanälen, ausmacht. Andererseits sind, wie zu zeigen sein wird, Antikriegsfilme fast zeitlos dazu geeignet, die Menge der Betrachter zu polarisieren, konträre und antagonistische Meinungen und Einstellungen of­fenzulegen.

Der Grund hierfür liegt auf der Hand. Es gibt im Werteverständnis in al­len Religionen und Weltanschauungen wohl kaum ein wichtigeres Gut als das des menschlichen Lebens. Indem dies in Kriegen zur Disposition steht, ist die individuelle Existenz angesprochen. Im Staats- und Gesellschaftsver­ständnis von Macchiavelli über Hobbes bis Clausewitz diente die Vorberei­tung zum Krieg dem existentiellen Eigenschutz: Si vis pacem para bell um. Jedes noch so absurd erscheinende Menschenopfer im Krieg wurde und wird legitimiert aus übergeordneten Zielen: Für Volk und Vaterland, für den Kö­nig und für den Führer, für Gott und die Welt. Der Antikriegsfilm stört und zerstört diese Weltsicht: Das Menschenopfer im Krieg ist umsonst. Leid, Krankheit, Tod und Zerstörung, irreparable Schäden an Mensch und Umwelt dienen keinem höheren Ziel. Sie nützen auch niemandem, eher führen sie zu neuen Kriegen. Die Toten sind umsonst gestorben, und die Krüppel der Weltkriege müssen ohne Sinn mit ihrer Verstümmelung leben. Weder be­kommen die Frauen ihre gefallenen Männer wieder zurück noch werden die Kriegswaisen jemals ihre Eltern treffen. Der Verlust von Heimat ist nicht wiedergutzumachen und die verlorenen Jahre des Krieges sind nicht wieder einzuholen. Misstrauen und Missgunst, Hass und Rachegelüste bleiben be­stehen und nur in einigen seltenen Fällen werden aus den Kriegsgegnern von gestern Friedensfreunde für heute und morgen. Im Prozess der europäischen Integration nach 1945 ließen sich hier einige positive Fälle anführen. Dies weist darauf hin, dass der Krieg keineswegs eine Art von anthropologischer Konstante ist. Generell gäbe es aus der Sicht der Friedens- und Konfliktfor­schung die Möglichkeit einen zivilisatorischen Fortschritt voranzutreiben. Ihm müsste allerdings die Einsicht aller Beteiligten zur Verhaltensänderung zugrunde liegen: Si vis pacem para pacem.

Der vorliegende Band gliedert sich in zwei Teile: Im ersten werden Bei­träge vorgestellt, die sich mit Filmen, speziell Spielfilmen im engeren Sinn beschäftigen, und diese nach Ländern und Themen aus unterschiedlichen

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10 Vorwort

Blickwinkeln untersuchen. Im zweiten Teil wird Film im weiteren Sinn von "movies", also bewegten Bildern verstanden, sei es als Dokumentation, Fea­ture oder Computersimulation. Dabei spielt die Wechselwirkung zwischen medialer Präsentation von Kriegen und politischer Verarbeitung durch ent­sprechende Akteure eine entscheidende Rolle, die gerade für die Disziplin der internationalen Beziehungen eine Reihe von methodischen und grund­sätzlichen Fragen aufwirft. Eine der Herangehensweisen, mit der ein vertie­fender Einblick in die filmische Umsetzung von gewaltbereitem Handeln möglich wird, ist die Einbeziehung von Besonderheiten der politischen Kul­tur eines Landes. Andreas Dörner versucht in seinem Beitrag eine politische Kultur des gewaltoffenen Mainstream-Kinos der USA zu erklären aus den Eigentümlichkeiten von internalisierten Normen. Hierzu gehört die indivi­dualistische Option des "pursuit of happiness", die Frontier-Erfahrung im Western mit dem Mythos vom einsamen Helden, der die Gewalt als ord­nungsstiftende Komponente wie selbstverständlich zu nutzen vermag, und schließlich das Hobbesche Theorem vom Kampf aller gegen alle, - "homo hominem lupus est" - welches das individuelle Überleben nur durch die Nut­zung von Waffengewalt außerhalb des staatlichen Gewaltmonopols garan­tiert. Anhand mehrerer Filme verdeutlicht Dörner seine These, dass Gewalt­handein als Identitätsmoment des expressiven Individualismus in den USA nicht notwendigerweise negativ besetzt sei, sondern ambivalent, wenn nicht sogar positiv, interpretiert wird. Hieraus ergebe sich, so Dörner, dass aus amerikanischer Sicht grundsätzlich Gewalthandeln auch im Fall von Polizei­gewalt oder von militärischen Interventionen "nicht nur nützlich und gele­gentlich unabdingbar, sondern auch durch Grundbedürfnisse der menschli­chen Expressivität" zu rechtfertigen sei.

Weniger von Forschungen über politische Kultur, dafür aber mehr von dem zeitgeschichtlichen Kontext und der Entstehungsgeschichte von Film­werken geprägt ist Detlev Kannapins Analyse dreier sowjetischer Filme, die sich in unterschiedlichen Dekaden mit Revolution und Krieg befassen. Diese Filme sind nicht nur bedeutsame Zeitbilder, sondern auch Teil eines kultu­rellen Gedächnisses über Revolution und Krieg. Sie könnten verschiedenarti­ger in Stil und Inhalt nicht sein, was allerdings auch für die ex-post­Interpretationen zutrifft. Gegen die These, Eisensteins Film Panzerkreuzer Po­temkin sei "totalitäre Propaganda", von kommunistischer Ideologie beherrscht und ,,Ausdruck einer aggressiv militaristischen Kulturpolitik" verteidigt Kan­napin den Geist des emanzipatorischen Aufbruchs, von dem dieser Klassiker des Revolutionsfilms durchdrungen ist. Dennoch will er ihn nicht einfach stalinistischer Apologetik zuordnen. Er sei eher als tragisches Dokument zu identifizieren über das Schicksal revolutionärer Erhebungen ohne politisches Bewusstsein. Anders der Film Der Fall von Berlin aus den fünfziger Jahren. Hier sei die Reinheit Stalins verklärt, die Gräueltaten der deutschen Wehr­macht und die Schilderung der Kriegsbedingungen nur angedeutet, was ty­pisch für die Monumentalisierung und Mythologisierung der Stalin-Zeit war.

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Vorwort 11

Als drittes Beispiel geht er schließlich auf den 1985 realisierten Film Geh und sieh von EIern Klimov ein. Dieser Film sei eine intensive Nachstellung der Grausamkeiten und der Verbrechen, die die deutsche Wehrmacht im Jahr 1942/1943 in Weißrussland begangen hat. Dabei wird sowohl die physische Vernichtung von Menschenleben behandelt als auch die unwiederbringliche Zerstörung eines dörflichen Mikrokosmos. Anhand dieses dritten Films ver­weist Kannapin auf ein Wahrnehmungs paradoxon: Die Ablehnung des Krie­ges beruht auf der Abneigung des Publikums gegen die Bilder. Der Film sei, so der Autor, historisch und ästhetisch stimmig, und vermutlich nahe an der Wahrheit des Geschehens, - etwa bei der deutschen Politik der "verbrannten Erde", die die marodierende Wehrmacht hinterließ. Die Schonungslosigkeit, mit der die Zerstörung der dörflichen Idylle und der Alterungsprozess im Ge­sicht des zehnjährigen Hauptdarstellers innerhalb von wenigen Kriegstagen gezeigt wird, geht mehr unter die Haut als Action-Szenen und pyromanische Showeffekte des Hollywood-Kinos. Durch Klimovs Film wird ein grundle­gendes Problem im Verhältnis von formal-ästhetischen und inhaltlich-poli­tischen Aspekten deutlich, nämlich die Darstellbarkeit des Kriegsgeschehens.

Mit dieser Schwierigkeit, die in der Verselbstständigung von Gewaltbil­dern liegt und der kontextabhängigen Wirkungs geschichte von Kriegfilmen, setzt sich in der Folge der eigene Beitrag auseinander. In einem filmge­schichtlichen Abriss wird versucht, Fragestellungen aus den Disziplinen der Friedens- und Konfliktforschung sowie der Internationalen Beziehungen auf Kriegs-, bzw. Antikriegsfilme anzuwenden. Neben der Verarbeitung der Zeitgeschichte und des dokumentarischen Materials wird die thematische Ausrichtung und - soweit erkennbar - die politische Botschaft behandelt, die die Filmschaffenden an das Publikum richten. Das Medium Film hat im XX. Jahrhundert nicht nur Geschichten für die Leinwand in bewegten Bildern fest­gehalten und reproduziert. Filme selbst haben Geschichte gemacht. Vertieft und exemplifiziert wird dies anhand der Präsentation ausgewählter Klassiker von Antikriegsfilmen, deren Machart und Ästhetik zunächst von traditionellen Kriegsfilmen nicht so einfach unterscheidbar ist. Ein besonderes und in der Fachliteratur kaum bearbeitetes Gebiet sind jene Filme, die sich mit Atomkrieg oder zivilen Atomkatastrophen beschäftigen, sei es nun in eher satirischer oder eher an der Realität orientierten Art. Das Frappierende dabei ist ihre un­veränderte Aktualität, etwa beim Abschreckungsparadoxon. Das zweite Ge­biet, zu dem nicht nur viele Spielfilme und Dokumentationen vorliegen, son­dern das zu besonderen politischen Kontroversen Anlass gibt, sind die Filme zum Vietnamkrieg.

Neben eigenen Betrachtungen, insbesondere unter systematisierenden Aspekten und der Frage nach einem möglichen Geschichtsrevisionismus, werden in zwei Beiträgen Vietnamkriegsfilme genauer präsentiert und analy­siert. Peter Krause und Birgit Schwelling haben sich aus der Fülle der Viet­namfilme insbesondere Francis Ford Coppolas Apocalypse Now ausgewählt und behandeln ihn als "Ort kollektiver Erinnerung" im historischen Kontext

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von Rezeption und Wirkung. Letztes ist nach Ansicht der Autoren zwar schwer nachweisbar, zumindest aber lassen sich Aussagen machen über "be­stimmte Umgangsformen mit dem Ereignis Vietnam". Hierzu gehört das Aufbrechen einer kollektiven Amnesie, bzw. eine Interpretation des Krieges, in der auch in der Welt des Films, die Niederlage zum Sieg uminterpretiert oder das militärische Desaster, das Vietnam für die USA bedeutete, auf die Studenten- und Antikriegsbewegung geschoben wurde. Coppolas Interesse, so Krause und Schwelling, habe sich auf die moralische Dimension im Krieg gerichtet, nämlich auf die Frage danach, wo die Grenze verläuft zwischen le­gitimem Handeln bei der Ausführung militärischer Befehle einerseits und der verbrecherischen Tötung andererseits. Indem der Film hierfür keine Antwort parat hat, wird die Annahme zur Gewissheit, dass es keine solche Grenze zwischen Gut und Böse, zwischen Zivilisation und Barbarei, mehr gibt.

Was dies zunächst für die Biographie des amerikanischen Soldaten be­deutet, ist das Thema vieler Vietnamfilme. Der Kulturschock, den der Trans­fer aus dem Behütetsein der durchschnittlichen Middle-class-Familie und ei­ner intakten Lebens- und Arbeitswelt in die Kriegswirren der Dschungel und Sümpfe Indochinas mit sich bringt, eignet sich dramaturgisch hervorragend für die Bilderwelt des Films. Dies nutzte auch Michael Cimino in seinem 1978 produzierten Film The Deer Hunter, mit dem sich Herbert Heinecke auseinandersetzt. Dieser Film sorgte für kontroverse politische Debatten und hat bei den Berliner Filmfestsspielen 1979 einen Eklat provoziert. Das ganze Festival war durch den Auszug der Delegationen aus den sozialistischen mittel­und osteuropäischen Staaten fast vom Abbruch bedroht. Umstritten waren vor allem drei Punkte: Erstens die Foltermethode des Russischen Roulettes, die im Film vom Vietcong an den gefangengenommenen US-Soldaten ausgeübt wur­de, die es aber im Vietnamkrieg gar nicht gab. Zweitens die Darstellung der Vietnamesen, die dem Rassismus Vorschub leiste, und schließlich eine sich unpolitisch gebende Präsentation des Vietnamkriegs. Heinecke setzt sich in­tensiv mit allen drei Argumenten auseinander und konstatiert eine letztlich kontrafaktische Wirkung des Films. Indem dieser bewusst apolitisch konzi­piert war, musste er den unterschiedlichsten Interpretationen Tür und Tor öffnen.

In einem zweiten thematischen Block wird mit dem Beitrag von Gerhard Lampe die mediale Darstellung und Verarbeitung von Kriegen vertieft, ins­besondere die Kriegsberichterstattung und die Rolle des Fernsehens. In meh­reren Studien zum Zweiten Golfkrieg und in der Auseinandersetzung mit der Rolle der Medien während des Kosovo-Konflikts haben sich Publizisten und Journalisten, Friedensforscher und Medienwissenschaftler diesem Thema gewidmet. Der Krieg der Medien und seine Darstellung in den Medien, der "information warfare", wurde explizit von Seiten des NATO-Sprechers Shea als mindestens so wichtig wie die Kämpfe auf dem Balkan selbst einge­schätzt. Indem Hunderte von Journalisten und Kamerateams das NATO­Hauptquartier in Brüssel belagerten, und ihre Heimatredaktionen laufend mit

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Vorwort 13

Informationen und "Wackelbildern" versorgen mussten, bekam der Krieg et­was Unwirkliches und vermeintlich Virtuelles. Die Angriffe der NATO er­folgten ausschließlich aus der Luft mit ferngesteuerten Bomben. Die Resul­tate auf dem Boden wurden von beiden Seiten unterschiedlich interpretiert und der Weltöffentlichkeit in verkürzter, manipulierter und zensierter Form zugänglich gemacht. Interviews mit Flüchtlingen, Kamerafahrten durch bren­nende Dörfer, Close-ups von Massakern, - dies und vieles mehr wurde den ausgewählten Presseleuten vor Ort je nach politischer Richtung präsentiert. Die mediale Vermittlung der Medien, so zeigen nicht nur nachträgliche journalisti­sche Recherchen sondern auch die Ermittlung des internationalen Kriegsver­brechertribunals, lässt eine, jeweils von Fall zu Fall, unterschiedlich inszenierte Bildrealität vermuten, die mit der Wirklichkeit nur noch sehr bedingt in Ein­klang zu bringen war. Nur wenige Militärexperten und Sicherheitspolitiker haben sich die Mühe gemacht, sich mit einer entsprechenden zeitlichen Di­stanz mit den offiziell verkündeten Versionen auseinanderzusetzen.

Aus der Distanz von mehreren Jahren nach dem Waffenstillstand im Ko­sovo stellen sich damals gängige Informationen der NATO und des Verteidi­gungsministeriums als unhaltbar heraus. Dies betrifft die Politik der UCK vor dem Anfang des Krieges, als mit ausländischer albanischer Unterstützung ein sezessionistischer Untergrundkrieg gegen die jugoslawische Bundesarmee und serbische Minderheiten im Kosovo stattfand. Ähnliches geschah zwei Jahre später in Mazedonien, wo allerdings die EU-Staaten und die NATO die mazedonische Regierung gegen die Sezessionsbestrebungen der Albaner un­terstützte. Im Kosovo-Konflikt stellte sich der "Hufeisenplan", nach dem die Serben das Kosovo hufeisenförmig mit Paramilitärs in Besitz nahmen und ethnische Säuberungen durchführten, zumindest in dieser platten Form als ei­ne Finte von Geheimdiensten heraus. Nicht nur Bilder können lügen. Auch Sprache kann demaskierend sein, beispielsweise wenn die Luftangriffe der NATO mit dem verharmlosenden Begriff des "collateral damage" belegt werden. Sie haben keineswegs nur militärische Ziele gehabt, sondern trafen unschuldige Menschen auf der Flucht und die Zivilbevölkerung in den Groß­städten. Auf einem anderen Blatt steht die grundsätzliche Frage, ob die ge­wählte militärische Option politisch als "ultima ratio" legitimiert werden kann, auch wenn genau dies durch die medialen Fiktionen vermittelt werden sollte. Skepsis ist angebracht, vor allem wenn man genau analysiert, wie mit ,,kleinen" Manipulationen große Politik gemacht wurde. G. Lampe demon­striert dies mit dem ins Internet gestellten Filmmaterial der NATO zum Bom­bardement eines Personenzugs in Grdelicka am 12.4.1999. Ähnlich wie im Zweiten Golfkrieg und dem jahrelang dauernden Konflikt in Bosnien und Herzegowina wurde Bildmaterial bearbeitet und verfälscht.

Um eine andere Art "televisueller Symbolpolitik" geht es in dem Beitrag von Dietmar Schiller. Ausgehend vom Brandanschlag in Solingen, bei dem fünf Türkinnen ums Leben kamen, geht der Autor der Frage nach, wie in staatstragenden Inszenierungen mit diesem Ausbruch an rechter Gewalt im

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14 Vorwort

Jahr 1993 umgegangen wurde. Hierzu betrachtet er vier Ereignisse, nämlich die Trauerfeier für die Ermordeten, die Einweihung des Berliner Doms, die Regierungserklärung des Bundeskanzlers und die Gedenkreden zum 40. Jah­restag des 17. Juni 1953. Vor allem das zweite und vierte Ereignis interpre­tiert der Autor als eine televisuelle Inszenierung mit starken national ausge­richteten Vergangenheitsbezügen und dem Bestreben nach De-Thematisie­rung der Ausländerfeindlichkeit und des Rassismus. Nach Solingen war das Thema keineswegs erledigt und hat mit der Ermordung von Alberto Adriano im Jahr 2000 in Dessau einen weiteren traurigen Höhepunkt erreicht. Eine der möglichen Erklärungen hierfür liefert D. Schiller, indem er die symbol­trächtigen Inszenierungen von nationalen Images und Ideologemen betrach­tet, die er für das Jahr 1993 einem ,,Extremismus der Mitte" zuordnet. Durch die Akzeptanz rechtsradikaler und rechtsextremer Positionen wurden diese salonfähig und zu entsprechenden Gewalttaten sogar ermutigt. Ein antidemo­kratisches Kräftefeld und die Öffnung der politischen Mitte für rechtsextreme Positionen führte zu Push- und Pull-Effekten vom rechten Rand auf die Mit­te. Die Darstellung in und durch die Medien hatte dabei einen nicht unerheb­lichen Anteil, der, so Schiller, immer wieder der kritischen Reflexion durch die Medienschaffenden selbst bedürfe.

Film und Fernsehen sind nicht die einzigen Medien, in denen Gewalt und Krieg thematisiert werden. Vor allem sind sie keine interaktiven Medien, wenngleich es erste Ansätze gibt, die Zuschauer partizipatorisch in den Hand­lungsablauf einzubeziehen. Jörg R. J. Schirra und Stefan Carl-McGrath versu­chen in ihrem Beitrag eine Verknüpfung zu leisten zwischen jenen Spielfilmen, die stark vom Einsatz der subjektiven Kamera bestimmt sind und den neuen Computerspielen. Nach ihren Ausführungen gibt es einen spezifischen Aspekt, in dem sich die Darstellung gewalttätigen Handeins deutlich unterscheidet, nämlich bei der Art der Identifikation des Mediennutzers mit den Figuren der Darstellung. In einem Spielfilm der serie noir, wie beispielsweise Das unbe­kannte Gesicht (Dark Passage, USA 1947) wird versucht, die Zuschauer zur totalen Identifikation mit der Hauptfigur zu veranlassen. Indem der Blick der Kamera die Bilderfahrung des aus einem Gefängnis entflohenen Darstellers ist, der erst nach einer Gesichtsoperation ins Bild kommt, hat der Betrachter des Films keine Möglichkeit Distanz herzustellen. Ganz anders nun die Si­tuation in den von den Autoren vorgestellten Computerspielen. Im Rollen­wechsei, bei dem der Spielende Opfer und Täter zugleich ist, wird der Zu­schauer zum Regisseur und kann die Gewalttätigkeiten der Spielfiguren zu­mindest in einem schematisierten Rahmen steuern. Eine Bewertung dieser Formen von Identifikation wollen die beiden Autoren nicht vornehmen. Sie sind allerdings bereit zuzugestehen, dass ein Empathieverlust gegenüber den Opfern stattfindet.

Auf der Ebene der internationalen Politik bewegt sich Reinhard Weseis Analyse. Er setzt sich kritisch auseinander mit der eigenen Zunft und post­modernen Medientheorien. Diese postulieren, dass die Definitionskompetenz

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Vorwon 15

von Kriegen den politischen Akteuren im Sinne der traditionellen Völker­rechtslehre abhanden gekommen ist. Demnach wäre, verkürzt ausgedrückt, sowohl "aganda setting" wie "foreign policy making" auf den vorpolitischen Raum verlagert, zu dem vor allem die elektronischen Medien gehören. Regie­rungen, Diplomaten, Parteien spielten nur noch eine periphere Rolle. Gegen die gängige These vom "CNN-Effekt", der kurzfristigen Mobilisierung der Öf­fentlichkeit durch eine inszenierte Pseudo-Realität mit erzwungenem Aktivis­mus und fragwürdiger Effizienz, setzt der Autor als Unterscheidungsmerkmale die kognitiven und operativen Aspekte der internationalen Politik. Unbestritten ist aus seiner Sicht ein enges Zusammenwirken von massenmedial erzeugtem öffentlichen Handlungsdruck und politischen Veränderungsprozessen. Doch dies sei weder neu noch ungewöhnlich. Auf keinen Fall ist diese Gemengelage ein Ersatz für die Diplomatie und die Handlungskompetenz sozialer Gruppen, wie die Transitionsprozesse in Mittel- und Osteuropa bewiesen. Paul Virilios These vom "virtuellen Krieg", der Umschlag von filmischer oder rüstungs­technischer Simulation zur kriegerischen Realität, sei entweder logisch in­konsistent oder begrifflich verwirrend. Wesel hält dieses postmoderne Kon­strukt als Fiktion sogar "für eine wunderbare Vorstellung, wenn es gelänge, reales Leiden und Sterben durch computer-simulierte Kämpfe bzw. rein di­gitale Auseinandersetzungen überflüssig zu machen." Die Tatsache, dass man hiervon noch weit entfernt ist, wird in dem letzten Beitrag über die Rolle der Medien im Krieg und die Macht der Bilder analysiert, wobei konkrete Fälle vorgestellt werden.

Mit dieser Konnotation eröffnet sich eine neue Diskussionsebene. Den­noch existiert beim Publikum weiterhin die Faszination durch traditionelle Kriegsfilme, die die Kinosäle füllen. Es ist eine Renaissance von Kriegsfil­men zu beobachten, die einen ungebrochenen Patriotismus und heldenhafte Identitifizierungsangebote vermitteln und in einer ahistorischen, einseitigen Sicht der Geschichte wurzeln. Zwar mögen Neuproduktionen - wie Pearl Harbour (2001) - durch ungewöhnliche Techniken und Special Effects mo­dern wirken. Aber sie sind gleichzeitig antiquiert und anachronistisch, wenn das zugrundeliegende Handlungs- und Personenschema in den Blick rückt. Den Blick und die Analysekompetenz der Betrachter hierfür zu schärfen, ist eines der Anliegen dieses Buches.