Ficken für Plastik
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Transcript of Ficken für Plastik
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Short-Story
Nicht alle Personen,
Orte und Ereignisse sind frei erfunden.
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„Die Gedanken sind frei …“ klingt sanft in meinen
Ohren. Ein kleines Gedrängel macht mich neugierig, und vor
meinem Lieblingsschuhladen sehe ich einen Ständer.
„Fuck for Plastics“ schreit mich geradezu an.
„Ficken für Plastik?“
Jetzt erst erkenne ich die neue Frühjahrskollektion mit
voll coolen Flips, die nicht floppen werden, weil darüber ein
auffälliges Schild angebracht ist. Was will man mir „Fuck for
Plastics“ sagen?
Nachdenklich stöckel ich über das Kopfsteinpflaster,
und ärgere mich über die sorgfältig restaurierte Altstadt und
meine verschrammten Pumps. Nebenan (im Buchladen)
steht Liesbeth (meine Lieblingsbuchhalterin und beste
Freundin) am Fenster und beobachtet trübsinnig das
Treiben, und ihre preisreduzierten Tassen, Gläser und Teller
mit lustigen Sprüchen und historischen Stadtmotiven.
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Ich stelle mich daneben und frage: „Was ist denn da
los?“
„Siehst du doch“ ist Liesbeths patzige Antwort, und
meine Phantasie beginnt sich zu bewegen. Sind
Gummilatschen in Fetischkreisen jetzt in? Sind die
Rosettenroten die Must-Haves, die ich jetzt zum Leben und
Überleben brauche, und locken meine sündteuren 13
Zentimeter-High-Heels nicht mal mehr übergewichtige
Aufreißer aus den Provinzen an? Bin ich Mega-Out?
Ich spüre mit jeder Faser meines Körpers, dass ich ohne
die quietschbunten Dinger nicht mehr leben kann.
Dann sehe ich Liesbeth, und mir fällt ein, dass es
höhere Ziele im Leben gibt. Nicht mir und meinen Lüsten,
der notleidenden Buchbranche muss geholfen werden.
Dennoch sind meine Zweifel noch stark. Ich frage mich, was
Freiheit bedeutet, wo Freiheit anfängt, und wo der Freiheit
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meterhohe Grenzpfosten vor die vorlauten Mäuler gesetzt
werden müssen?
Aber ist Literatur nicht auch ein Stück Befreiung?
Zauselige, chinesische Dissidenten machen das doch vor. Die
sprechen das aus, was sie bewegt, und werden
weltberühmt. Setzt literarische Freiheit die Kunst und das
Können voraus, das zu ignorieren, was mich manipulieren,
gängeln und einsperren will?
Wenn fickende Badelatschen die Menschen anzieht,
wie Pflaumenkuchen die Bienen, dann wird das auch in
anderen Lebensbereichen funktionieren - hundertprozentig.
Meine Gedanken sind frei und meine Phantasie kennt
keine Grenzen, aber mein Verhalten kann man mit einer
weißgefleckten Maus im ungeölten Tret-Rädchen
vergleichen. Nicht nur meinen Leserinnen und Lesern geht
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es so und nicht anders. Auch ich lebe in einem gut
abgesicherten Käfig der Konventionen.
Manchmal rümpfe ich provozierend mein Näschen. Ich
freue mich wie ein Kind beim Anblick eines bunten Lutschers
mit Himbeergeschmack. Mein Herz hüpft wenn ich ein
nettes Kompliment bekomme, auch wenn mein Verstand
sagt, dass das frech gelogen ist. Und ich fühle mich ins
finstere Rechtfertigungseckchen gedrängt, wenn ich anecke,
nicht den Erwartungen der Latte-macchiato-Mütter und
deren genormten Gutmänner aus meinem näheren und
weiteren Bekanntenkreis entspreche, und nicht so
funktioniere, wie man es von mir erwartet.
Warum soll ich die Tatsachen wegdiskutieren? Ich bin
nicht frei, ich bin zu einer biederen Konformistin mit
kleingärtnerisch-revolutionären Gedankenspielchen
verkommen.
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Vielleicht kann ich mich nicht frei fühlen, weil ich nicht
das beschreiben darf, was ich denke? Weil ich spüre, dass
meine geschriebenen Gedanken meine Leserinnen und Leser
irritieren könnten, weil es sich nicht gehört, freiheitliches
Gedankengut zu verbreiten?
Zu allen Zeiten wuchsen Mord und Tyrannei im
moralingedüngten Boden der Sprache. Saugen Diktatoren ihr
geheimes Wissen um die Mechanismen der Manipulation
mit der Muttermilch auf? Gelingt die Unterdrückung und
Gleichschaltung der Massen nur durch eine größere
Ansammlung das-sagt-man-nicht-gesäuerter Gehirne in
konsumgeilen Körpern? Je länger ich darüber nachdenke,
desto mehr Fragen verdrängen die bunten Plastiklatschen
aus meinem Gehirn.
Ich weiß, meine Gedanken klingen subversiv, aber sie
sind es nicht, und ich werde das erklären.
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Nehmen wir einmal an, mich würde die triebhafte Lust
packen, ein kleines Büchlein zu schreiben. Ich weiß,
unzählige Frauen und Männer werden früher oder später
von der Schreibseuche befallen, um die Menschheit zu
beglücken, und um Freunde und verwandte zu pesten. Ich
gestehe hier und jetzt, auch ich bin eine hochgradig
Anfällige.
Die Gründe für mein Laster sind vielfältig, aber was soll
ich darüber diskutieren? Tatsache ist, dass vordergründig
meine Ruhmsucht, aber letztendlich auch mein qualvoll
überzogenes Konto bei der Volks- und Raiffeisenbank
befriedigt werden muss, die mir zwar den Weg frei machen
will, aber kein Verständnis für meine Ambitionen zeigt.
Das Thema meines noch zu schreibenden Buches steht
noch nicht fest, aber es wird das enthalten, was zu einem
Millionen-Bestseller gehört. Vor allem soll mein Buch die
verhärteten Herzen von Millionen, wenn nicht der
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Weltbevölkerung berühren. Das ist mein kurz und
mittelfristiges Ziel, und dazu stehe ich.
Die Zutaten zu meinem literarischen Menü sind
bekannt und schnell zusammengerührt. Ein großer,
gutaussehender Mann mit Geld und standesgemäßem
Background (Arzt, Adliger oder Revolutionär mit adligen
Wurzeln), liebt eine sensible und blonde (junge) Frau. Sie will
ihn auch, aber bevor es zum Showdown kommt, gerät sie
ohne ihr Zutun und darum unverschuldet in eine prekäre
Lage. Vielleicht ist sie in die Hände von schlimmen
Mädchenhändlern gefallen, oder sie hatte eine schwierige
Jugend mit inzestuösem Hintergrund, oder Beides
zusammen und noch viel mehr erdulden müssen.
Die schöne und sensible (blonde) Frau muss durch
allerlei Untiefen wandern (huren), um dann stolz und
aufrecht den Schmutz und die Demütigungen hinter sich zu
lassen. Auf dem langen Weg dahin, hat sie zwar ihre Dessous
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verloren, oder gar nicht mehr angezogen, aber sie hat ihre
Würde behalten, und ihr Stolz ist ungebrochen. Die schöne,
jung (blonde) Frau hat sich (und das ist wichtig) aus eigener
Kraft von allen auferlegten Zwängen böser Männer und
neiderfüllter Ex-Freundinnen (rot- oder schwarzhaarig)
befreit. Etwa im letzten Drittel (allerspätestens im letzten
Viertel) meines Bestsellers wird sie wie ein weiblicher Phönix
(oder elfenhaftes Einhorn) aus der Asche der Demütigungen
aufsteigen. Solche Geschichten lassen aufatmen, denn wer
denkt nicht spontan an eigene Befindlichkeiten und lästige
Ehemänner die nicht mehr zur durchgestylten Wohnung
passen.
Meine Protagonistin wird ihren gutaussehenden Arzt
(oder revolutionären Adligen) heiraten, der zwischenzeitlich
die Armen gespeist und die Welt vor dem drohenden
Untergang gerettet hat. Ich bin noch am überlegen, ob der
Revolutionär blutüberströmt in ihren Armen sterben soll,
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oder gerettet wird. Aber dieses Detail werde ich noch
recherchieren, und dem aktuellen Zeitgeist anpassen.
So etwa und auf geschätzten hundert- bis
sechshundert Seiten könnte sich der Handlungsstrang in
meinem zukünftigen Millionen-Bestseller in die Länge
ziehen, wobei es keine Rolle spielt, ob die Story im
Mittelalter, in der Neuzeit, oder in der Zukunft spielt. Immer
sollte die große und ewige Liebe das Ziel aller Träume sein.
Niemals, also wirklich niemals darf sich die reine Liebe nur
auf den ex-und-weg-Austausch von Körperflüssigkeiten
reduzieren.
Soweit sind mir die Marktmechanismen klar, und ich
bin so vernünftig, dass ich weiß, dass mein zukünftiger
Bestseller ein großes und wunderbares Gefühl vermitteln
soll, das von der Seele, über den Körper bis zu meinem
monetären Wohlbefinden alles beeinflussen kann.
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Doch die Anarchie in meinem Kopf sagt etwas anderes.
Mein Gehirn fragt: „Und wo bleibt in deinem Schmöker die
literarische Freiheit?“
Ich antworte mit einer listigen Gegenfrage: „Freiheit?“
Und das graue Ding in meinem Kopf antwortet:
„Solange du nicht schreibst, was du denkst, bist du nicht frei,
und deinen Bestseller kannst du in die Tonne kloppen.“
Schüchtern versuche ich das Aufbegehren zu
beschwichtigen, denn mein Gehirn kennt mich besser, als ich
mich. Ich frage: „Aber was ist mit meinen kritischen
Rezensionistinnen? Werden die nicht voll total erschrecken
und mich wie wochenlang mit Shrimps-Cocktails gefütterte
Berber-Löwinnen zerreißen?“
In meinem Kopf rumort es, und ich spüre, wie mein
Gehirn einen mittelschweren Lachanfall bekommt. Dann
höre ich ein kicherndes: „Ja das werden die, und die werden
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dich steinigen und wie eine Aussätzige aus ihren dünkeligen
Literaturkreisen verjagen.“
Ich antworte verängstigt: „Aber …“
„Nichts aber. Es ist deine revolutionäre Pflicht, das zu
tun, was ich dir sage.“
„Ich weiß ja nicht. Soll ich das wirklich …“ Meine
Zweifel sind unüberhörbar. Zu tief sitzt meine Angst vor der
schreibenden Solidargemeinschaft, die harmlose
Liebstiftlerinnen duldet, und Abweichlerinnen wie tollwütige
Hündinnen aus den Kreisen wegknüppelt.
Plötzlich mischt sich mein Verstand ein.
„Hör genau zu. Du musst dich befreien, sonst wird das
nichts. Die Ratgeber, die Schreibschulen und die Flachfrauen,
die dir einreden wollen, wie du zu schreiben hast, sind alle für
‘n Arsch.“
Habe ich da richtig gehört? Mein sonst so nüchterner
und logisch taktierender Verstand hat „Arsch“ gesagt - ein
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schmutziges und intolerables Wort? Wenn der das darf, darf
ich das dann auch?
Ich sage mit unüberhörbar zweifelndem Unterton in
der Stimme: „Und was ist mit (kurzes Hüsteln) Ficken?“
Niemand antwortet, und ich fühle, wie mich der
Gottseibeiuns alleingelassen hat.
„Fuck for Peace“ klingt revolutionär-romantisch, und
ich muss an den gutaussehenden Arzt in meinem Buch
denken, der die blonde, junge Frau leidenschaftlich küsst.
Aber wie klingt in so einer Situation die Feststellung: „Schatz
denk an Badelatschen. Wir ficken für den Frieden.“
Das klingt nicht romantisch. Das klingt direkt, vulgär
und lässt keine Zweifel aufkommen. Die blonde und junge
Frau kann und darf nicht hauchen: „Ja fick mich“, weil sie
schüchtern ist, und ich bin es auch. Sie kann sich nur empört
abwenden, und aus dem Happy-end wird nichts. In meinem
Bestseller dürfen weder der Arzt (und auch nicht der Adlige)
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das böse Wort verwenden. Ficken zerstört die Spannung,
denn „ich will ficken“ gehört sich nicht. So etwas darf weder
geschrieben, noch gedacht werden, und ich bin verzweifelt.
Was wird aus meinem Bestseller, wenn ich schon am ersten
Wort in Gewissensnöte komme. „Ficken“ reduziert meinen
Roman auf Badelatschen-Niveau, weil „Ficken“ das
Wesentliche ohne Umwege und Zweideutigkeiten
beschreibt. Literarische Größe, und das ist mein Ziel, wird
durch „Ficken“ auf guten, ehrlichen, direkten und
schmutzigen Sex reduziert.
Ein Buch, in dem das Wort „Ficken“ verwendet wird,
kann man weder der Großtante schenken, noch den stolzen
Eltern. Über „Ficken“ kann man nicht diskutieren, weil
„Ficken“ genau das aussagt was es bedeutet.
Ich bin verzweifelt, weil ich schüchtern bin. Ich kann es
nicht leugnen. Ich bin angepasst und ich kann nicht aus
meinem Käfig raus. Ich glaube, dass aus meinem Bestseller
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nichts wird. Morgen gehe ich los, und kauf die bunten
Latschen.
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N a c h t r a g
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