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1 Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur Freistil IM SCHATTEN DER GESCHICHTE DER AMERIKANISCHE COMIC-AUTOR ART SPIEGELMAN Von Christian Gasser Produktion: WDR/SWR 2008 Redaktion: Klaus Pilger Sendung: Sonntag, 28.01.2018, 20:05-21:00 Uhr Regie: Susanne Krings Sprecher: David Rott, Wolfram Koch, Maren Kroymann, Yorck Dippe, Ulrich Hass Christian Redl, Roman Thesing Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar -

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Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur

Freistil

IM SCHATTEN DER GESCHICHTE

DER AMERIKANISCHE COMIC-AUTOR ART SPIEGELMAN

Von Christian Gasser

Produktion: WDR/SWR 2008

Redaktion: Klaus Pilger

Sendung: Sonntag, 28.01.2018, 20:05-21:00 Uhr

Regie: Susanne Krings

Sprecher: David Rott, Wolfram Koch, Maren Kroymann, Yorck Dippe, Ulrich Hass

Christian Redl, Roman Thesing

Urheberrechtlicher Hinweis

Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt

und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein

privaten Zwecken genutzt werden.

Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige

Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz

geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig.

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Aufbau 01. Intro – Im Schatten keiner Türme 02 New York / SoHo (aussen) 03 Die Anfänge: 1954-1972 04 Gefangener auf dem Höllen-Planeten (1972) 05 New York, Raw Büro: Françoise Mouly – private affairs 06. MAUS 07 Brooklyn: Rabbi Andy Bachman 08 RAW / Hi-Lo / New York (3): Andere Zeichner 09 Spiegelman nach MAUS 10 New York (4); Atelier The New Yorker – Portrait of the Artist – Comics heute

intro/shadows of no towers

keine atmo

Art Was bisher geschah: Wie Sie sich vielleicht erinnern, ist in der

letzten Episode die Welt untergegangen.

atmo 9/11 originalatmos/Panik (wdr-feature Egon Koch) musik Raz Mesinai Tr. 27

Art Unsere Tochter Nadja war erst drei Tage zuvor in eine Highschool

am Fuss der Türme eingeschult worden … keine atmo

o-ton spiegelman 01

that morning, thinking i was gonna die, it's a good way to get yourself focussed. thinking like: oh i really should have done more of this one thing that i believe i was put on the planet to make, you know, comics-making.

spiegelman An diesem Morgen war ich überzeugt zu sterben. Das ist vermutlich die beste Motivation, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: In meinem Fall auf Comics.

musik Raz Mesinai Tr. 27

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Art Wir waren in der Schule, suchten unsere Tochter, als der erste Turm einstürzte. Es fühlte sich an wie das Ende der Welt.

Habe ich Ihnen schon erzählt, dass der zweite Turm gleich hinter uns einstürzte? Es war beeindruckend.

keine atmo o-ton spiegelman 02

it's only when the personal and the political intersect that you're actually dealing with a resonant narrative world.

II,6 solipsism-propaganda 11' one is only involved in personal only when in solipsism. when one is only involved in political, one is involved in propaganda.

spiegelman Nur die Verbindung des Persönlichen mit dem Politischen erzeugt

sinnvolle Geschichten. Sonst ist man entweder zu ich-bezogen oder macht Propaganda.

musik Dajos Béla "Mickey Mouse" Ansagerin (Titel) Im Schatten der Geschichte. Der amerikanische Comic-Autor Art Spiegelman Ein Feature von Christian Gasser

musik Raymond Scott: "Huckleberry Duck" (tr. 21)

o-ton spiegelman 03 People have an idea that comics are very simple to do. and if anything it's the most complex thing i know how to do it. because you have to be a fairly accomplished writer as well as an acocomplished graphic artist, as well as being able to work in-between those 2 things which is a 3rd thing.

spiegelman Im Gegensatz zur landläufigen Meinung ist der Comic eine

überaus komplexe Ausdrucksform: Man muss nicht nur als Autor und als Zeichner leidlich begabt sein, sondern auch fähig sein, Wort und Bild zu etwas Drittem zu verbinden.

o-ton spiegelman 04 when sept 11 happened i'd already sort of like drifted away from making comics as the center of my activity. there were too many rewards for doing covers for the New Yorker, giving lectures, writing – and all of these other

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activities were related in my mind and infeemer? one way of another to comics, were easier to do, had lot more social prestige connected to them, and paid better.

spiegelman Vor dem 11. September hatte ich mich von den Comics als

Lebensinhalt entfernt. Die Versuchung war einfach zu gross, Titelbilder für den New Yorker zu zeichnen, Vorträge zu halten, zu schreiben … Diese Tätigkeiten hatten zwar alle mit Comics etwas zu tun, waren aber einfacher, mit höherem gesellschaftlichem Ansehen verbunden und besser bezahlt.

Autor Paradoxerweise waren es der Erfolg von MAUS und die damit

verbundenen Erwartungen, die Art Spiegelman vom Comic-Zeichnen abhielten.

o-ton spiegelman 05

what is very hard is to remove the eyeballs that sit on your shoulders with great expectations of what you do next.

trocken Autor Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 kündigte Art

Spiegelman seinen lukrativen Job beim Wochenmagazin The New Yorker und schuf für Die Zeit eine zehnteilige Comic-Serie über die dramatischen Ereignisse und ihre Vereinnahmung durch die amerikanische Regierung. Titel: "In The Shadow Of No Towers"

Musik Superman ost Brawl Art (pathetisch wie ein alter Nachrichtensprecher) Unser Held fühlt sich gleichermassen terrorisiert von der Al-Kaida

wie von seiner Regierung: Die kriegsgeile Bush-Bande missbraucht die tragischen Ereignisse für ihre eigenen Zwecke.

Musik Jamie Saft, "Mach/Hey" 01 Autor Art Spiegelman war einer der wenigen ameikanischen Künstler,

der seine Stimme schon kurz nach dem 11. September gegen Bush und seine Politik erhob.

Seine Reflektion über die Wochen nach dem 11. September ist eine Schwindel erregende, von Zweifeln und Selbstzweifeln, paranoiden Wahnvorstellungen, beißender Satire und schwarzem Humor beschleunigte Irrfahrt durch den amerikanischen Albtraum.

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o-ton spiegelman 06 the NO TOWERS pages were {…} sort of a long, but compressed diary of the way my city and my brain felt that particular month, well i knew i was working on the equivalent of a war-time diary.if somebody wants to know what it was like to be in Lower Manhattan, in the aftermath of sept 11, some of that got attached to every sequence of NO TOWERS. but if anything: i was now a full-fledged, shattered multiphrenic trying to find the shards of myself and turn them into different kinds of panels.

spiegelman Diese Comics waren ein Kriegs-Tagebuch über die Befindlichkeit

meiner Stadt und meines Gehirns im Monat nach dem 11. September.

Ich fühlte mich zerrissen in tausend Einzelteile und versuchte, die Scherben zu Comic-Bildern zusammen zu fügen.

keine atmo Autor Am 11. September 2001 kollidierte die Zeitgeschichte mit Art

Spiegelmans Leben, und das ist der Stoff, der ihn zum Comic-Zeichnen zwingt.

weg? o-ton spiegelman 07 i don't work as hard when i'm comfortable, i suppose. i don't feel like one of these kind of happy painters who want to express the joy of music and his soul by splashing colors on a canvas. so it's usually when it's something that is really troubling to me that i have to find a way to like kind to deal with that irritation, {…} and dealing with that irritation has lead to work. and certainly, sept 11th was that for me.

spiegelman Ich bin keiner dieser glücklichen Maler, die ihre Lebensfreude mit

Farbklecksern auf einer Leinwand zum Ausdruck bringen. Gewöhnlich zwingt mich erst die Auseinandersetzung mit einem

Problem, das mich wirklich beschäftigt, zum Arbeiten. Der 11. September war ganz klar so ein Problem.

(spielszene) atmo New York, Ground Zero 2007 (cg) (ab anfang, mit schwarzem Redner)

musik raz tr. 7

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Art Du erinnerst dich, Françoise, dass ich mich selber als einen heimatlosen Kosmopoliten bezeichnete. Ich irrte. Ich verstehe nun endlich, warum viele Juden Berlin nach der Reichkristallnacht nicht verließen.

musikalischer trenner, John Zorn „Nezikin“

new york (1) - SoHo

atmo Café Café (cg)

Autor Die Greene Street in SoHo, Manhattan, eine ruhige Strasse mit alten zehnstöckigen Wohnhäusern.

Art Spiegelman steht am Tresen eines Cafés und wartet auf seinen doppelten Espresso.

Die Zigarette hält er schon zwischen den Fingern. Es ist 10 Uhr am Vormittag.

o-ton spiegelman 08 it wasn't a neighborhood that hadn't really been discovered in 1977, it was mostly artists living here because it was

invisible.

Autor Als seine Frau Françoise Mouly und er 1977 in SoHo einzogen,

lebten hier vor allem Künstler, erinnert er sich. Das Viertel habe sich seither gründlich verändert:

o-ton spiegelman 09 the neighborhood has now changed to the point where it doesn't seem to even have much in the world? of art-galleries, it just has a reputation for art, that's allowed high-end-shoe-stores for women and samples of fashion-designer's clothing to become the main part of the street-landscape.

spiegelman Es zehrt noch von seinem Ruf als Künstlerviertel, aber mittlerweile

haben teure Mode-Boutiquen die Galerien verdrängt. Autor Seit über dreißig Jahren spielt sich Art Spiegelmans Leben an der

Greene Street ab, und seit über 15 Jahren begegne ich ihm in einem der drei Räume, in denen er lebt und arbeitet:

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Im Loft, den er mit seiner Frau Françoise Mouly und ihren Kindern Nadja und Dashiell bewohnt; im Büro ihres Verlags RAW Books, oder, ein paar Blocks weiter nördlich, in seinem Atelier.

o-ton spiegelman 10 right now, MANHATTAN has gotten so insanely expensive, {…} it doesn't had the easy ferment that it used to have before gentrification. there's an art-market, there's a comic-market, there's a market-market, and this stuff had everything except that market. it had people talking to each other and making stuff in contact with each other.

spiegelman Manhattan ist heute so teuer, dass die Kultur keinen Nährboden

mehr hat. Es gibt einen Kunstmarkt, einen Comic-Markt, einen Markt-Markt … – aber keine Szene mehr wie früher, in der die Künstler in ständigem Austausch miteinander arbeiten.

atmo Greene Street

Autor An einer Straßenkreuzung nutzt Art Spiegelman das Rotlicht, um

sich die erste von vielen Zigaretten anzustecken. Bis auf seine Underground-Phase in den späten sechziger und

siebziger Jahren lebte er immer in New York. Und wie jeder echte New Yorker hat auch er ein zwiespältiges Verhältnis zum Big Apple.

Entfremdung und Desorientierung, sagt er mit einem

selbstironischen Lächeln, seien zwar seit jeher sein künstlerisches Kapital, aber die Situation werde immer unterträglicher.

o-ton spiegelman 11 i just feel alienated and displaced. more than usual. alienation and displacement has been my stock and trade for a very long time, but i would say it's been increased.

i'd feel more comfortable in cities i could still smoke in for example.

spiegelman Und überhaupt, ich würde mich in einer Stadt wohler fühlen, in der

ich noch rauchen dürfte.

musik John Zorn/Masada: "Rokhev"

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Autor Art Spiegelman wurde 1948 in Stockholm geboren, als der Sohn von Anja und Wladek Spiegelman, polnische Juden, die den Holocaust überlebt hatten.

1951 wanderten die Spiegelmans in die USA aus und ließen sich in New York nieder, wo Wladek Spiegelman als Diamantenhändler ein Vermögen machte.

Auf einem Foto aus dem Frühjahr 1960 sitzen Art und seine Mutter

auf der Veranda ihres Hauses in Queens: Die Sonne scheint, Art trägt kurze Hosen, und mit einem strahlenden Gesicht zeigt er seiner Mutter ein Comic-Heft.

Anja Spiegelman förderte Arts künstlerische Neigungen – im Gegensatz zum Vater, einem geizigen und gefühlskalten Menschen, der darin nur Zeitverschwendung sah.

Im Comic-Roman MAUS schilderte Art Spiegelman das Schicksal

seiner Eltern während des Dritten Reichs. MAUS machte ihn weltberühmt und brachte ihm 1992 den Pulitzerpreis ein.

Der New Yorker Rabbi Andy Bachman:

musik: Rabbinical School Dropouts: "Nuclear Jet Set"

o-ton rabbi bachman 01

it uses the medium that people ordinarily associate with cartooning and comics, both of which have associations with comedy, and he inverts it. and that's again the brilliance of it. so you're expect it like: how could this be serious, and yet you find yourself going to levels of understanding the Holocaust you would never could have gone through before. so that's the genius of it.

rabbi bachman Art Spiegelman verwendete den Comic, eine Ausdrucksform, die

die meisten mit "Komik" verbinden, und unterlief diese Erwartungen.

Man fragt sich, wie kann ein Comic über den Holocaust überhaupt ernsthaft sein – und dann dringt man dank "Maus" auf eine Ebene des Verstehens vor, die man sonst nie erreicht hätte.

Das war brillant, einfach genial.

musik Dajos Béla: "Mickey Maus" spiegelman Ein deutscher Journalist fragte mich, ob es denn nicht

geschmacklos sei, einen Comic über Auschwitz zu zeichnen. Meine Antwort: Nein. Auschwitz war geschmacklos.

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o-ton spiegelman 12

one of the things that was amusing to me in my german interviews was: an interviewer coming over and saying: isn't it a terrible taste to make a comic-book about AUSCHWITZ? my response was: No, i think Auschwitz was of terrible taste.

Die Anfänge: 1954-1972

musik Scott: "Powerhouse"

o-ton spiegelman 13

what was it in my kind of traumatized childhood what made me fixate on comics the way ducklings might fixate on something other than their mother and follow forever. (lacht)

Autor Nicht nur die Schatten der Weltgeschichte bestimmen Art

Spiegelmans Leben und Werk, sondern auch seine Leidenschaft für Comics.

In unserem Gespräch im November 2007 erinnert er sich an seine Kindheit: Manchmal kommt er sich vor wie ein Entenküken, das sich auf etwas anderes als seine Mutter fixiert und diesem Mutterersatz ein Leben lang folgt.

musik Beau Hunks: Sax/"Toy Trumpet"

o-ton spiegelman 14 it was the main art that came into our home. my parents didn't take me to museums. (…} the first real important note? that didn't have any of the (seufzt) super-ego of the parents' world connected to it. like: "read this book, it's good for you". this had more to do with something that somehow was for me. and i thought it was for me.

spiegelman Der Comic war die einzige Kunstform, die ich als Kind wahrnahm. Comics waren auch die ersten Nachrichten aus einer Außenwelt, die nichts mit dem Superego der Eltern und ihren Ratschlägen zu tun hatten – "Lies dieses Buch, das ist gut für dich" …

Die Comics, dachte ich, gehörten mir allein.

musik Alfred E. Neumann: It's a gas

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MAD {…} just changed my life. I studied that the way some kids studied the Talmud.

Autor Das satirische Comic-Magazin MAD hat das Leben von Art

Spiegelman verändert. Autor MAD wurde 1952 vom Zeichner und Autor Harvey Kurtzman

gegründet. Die Stilmittel: Eine Mischung aus Satire und Parodie, die

Verballhornung der Popkultur und die Unterwanderung des American Way of Life im konsumwütigen Nachkriegsamerika.

MAD hatte in kurzer Zeit einen riesigen Erfolg mit nachhaltiger Wirkung.

o-ton spiegelman 16 because MAD was not BATMAN, MAD was not Donald Duck or Tintin. MAD subverted Tintin, Batman, DD into a far more twisted version of itself, {…} and i think at that point, by being the first post-modern work in that way in our culture, i mean not just in comics, but i think MAD was central to shifting a lot of about the Zeitgeist in America. and i was especially sensitive to it. but i think, through MAD one was able to understand the world one was in, because MAD was the first thing that took the media on directly and as we move into the 21st Century, so much of our experience is mediated. {…} and it led – not just to me becoming an underground cartoonist, but to i would say, to underground comics in general.

q.15. question authority 40'45" and {…} i would say without feeling i'm exagerating, that MAD created the circumstance that allowed a generation to question authority when it came of age in 1967 or 1966.

Spiegelman Ich studierte MAD, wie andere Kinder den Talmud studierten. MAD war nicht Batman, Donald Duck oder Tim und Struppi. MAD

machte aus Tim, Batman und Donald Duck eine verzerrte Version ihrer selbst.

Somit war MAD das erste postmoderne Kunstwerk unserer Kultur: Die MAD-Macher waren die Ersten, die die Medien selber zu ihrer Zielscheibe machten.

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MAD ermöglichte uns, unsere Welt zu verstehen und veränderte den Zeitgeist in Amerika.

Ohne MAD hätte es vermutlich keine Underground-Comix gegeben.

Ich würde sogar behaupten, dass meine Generation dank MAD die Autoritäten in Frage stellen konnte, als wir 1966/67 erwachsen wurden.

musik Jimi Hendrix: "Purple Haze" intro Autor Im Frühjahr 1968 schob ein schlaksiger junger Mann in einem viel

zu weiten Anzug einen Kinderwagen durch das Hippie-Viertel Haight-Ashbury in San Francisco.

Der Mann hieß Robert Crumb. Im Kinderwagen lag die erste Ausgabe der Zeitschrift ZAP COMIX. Das war die Geburtsstunde der Underground Comix.

musik Jefferson Airplane: "Somebody To Love" o-ton spiegelman 17

there was that feeling of urgency and discovery (…}. that moment of: the world has new rules. (...) 40' and San Francisco seemed to be its nerve-center. and so there was a revolution in comics, as well as in rock'n'roll, as well as in poetry, and in various other aspects of the culture, and i really felt like we were part of a vital moment. that actually had that sense – the sense of community of making something, coexisted with the individual struggles of each of the components of that community.

spiegelman Es herrschte das Gefühl von Dringlichkeit, von Entdeckung und

von Neubeginn: Es gab eine Revolution in den Comics, im Rock'n'Roll, in der Poesie und anderen kulturellen Bereichen. Ich war überzeugt, einen historischen Moment zu erleben, und San Francisco war sein Nervenzentrum.

Jeder zog zwar sein eigenes Ding durch, aber wir waren Teil einer großen Gemeinschaft.

Autor Die Underground Comix befreiten den amerikanischen Comic von seinen Klischees:

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musik Hanna Barberas top 10 sound-fx Robert Crumb, Gilbert Shelton und andere zeigten, dass Comics

auch etwas anderes sein können als Unterhaltung für die ganze Familie …

atmo Superman-Film: kampf- oder zerstörung Autor … und als eskapistische und moralisch verklemmte Fantasien um

testosterongesteuerte Superhelden in engen Pyjamas.

musik Love: "A House"

Autor Sie griffen die Themen auf, die die bewegte Jugend der sechziger Jahre beschäftigten – Sex, Drogen, Rock'n'Roll und Politik –, und sie entdeckten das Potential des Comics, persönliche Dinge auszudrücken. Das, was die Leute dachten und fühlten.

o-ton spiegelman 18 there was a development that included the possibilities of using comics as a medium to express whatever is inside you.

Autor Mit den Comics aus dem Untergrund änderten sich auch das

Publikum und das Vertriebsnetz: Die vorwiegend erwachsene Leserschaft kaufte seine Comics in Headshops, Plattenläden, Buchhandlungen, Universitäten oder auf der Strasse. Comix wie ZAP erreichten mehrere 100 000 Exemplare.

o-ton spiegelman 19 so: i went to college, discovered sex&drugs & discovered cartoons who really, at that time, seemed more developed than me in that direction, so i can then look at a period of my work where one panel owes a lot to Kim Deitch, the next panel owes sthg to R.Crumb, the panel after owes sthg to S. Clay Wilson, the subject matters are sort of moving through territories that are more the domain of other cartoonists and actually away of some of the earlier things i had done. it took a few years to begin to find any kind of voice of my own again. so somewhere from 1967 to 1971 or 2, i did a lot of stuff which is if anything just a little embarrassing to me now, whether it was just part of working things out.

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spiegelman Ich ging ins College, entdeckte Sex und Drogen und Comics über Sex und Drogen.

Deshalb gab's eine Phase, in der meine Comics sich stark an Vorbilder wie Robert Crumb, S. Clay Wilson oder Kim Deitch anlehnten. Sie brachten mich weiter als meine eigene Arbeit.

Es dauerte ein paar Jahre, bis ich wieder eine eigene Stimme fand. Zwischen 1967 und 1972 entstand viel Zeug, das ich heute eher peinlich finde.

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prisoner on the hell planet

musik Rumänische Doina (yikhes 1) intro Autor 1972, in der Kurzgeschichte "Gefangener auf dem Höllen-

Planeten", setzte sich Art Spiegelman zum ersten Mal mit dem Schicksal seiner Eltern auseinander. In expressionistischen und holzschnittartigen Zeichnungen schildert er die Gefühlsschwankungen zwischen Schuld und Wut, die der Selbstmord seiner Mutter Anja auslöste.

spielszene musik Raz Mesinai tr. 02

art (trocken, nüchtern, kalt) 1968 hat sich meine Mutter umgebracht. Sie hinterliess keine

Zeile. Mein Vater fand sie in der Badewanne, ihre Pulsadern waren

aufgeschnitten.

musik Rumänische Doina o-ton spiegelman 20

and with the PRISONER ON THE HELL PLANET strip {…} i had real doubts about publishing, i just knew i had to make it. i had to deal with this newly uncovered memory of sthg i'd forgotten, which is that: well, 4 years before, your mother committed suicide. oh yeah? oh, oh yeah! i'd manage to pretty much forget it. yeah. talk about represision ...

well, i could say the words, "oh she committed suicide", but it didn't connect to any event in my head.

spiegelman Ich habe lange gezweifelt, ob ich "Gefangener auf dem Höllenplaneten" überhaupt veröffentlichen sollte. Aber ich wusste, dass ich diese Geschichte zeichnen musste. Ich musste mich der Erinnerung an ein Ereignis stellen, das ich vergessen oder besser: verdrängt hatte: Der Selbstmord meiner Mutter.

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spielszene musik raz mesinai tr. 6

art Es war zuviel. Ich musste weg. Ein Freund der Familie fand mich in der Eingangshalle. Alter Mann Jetzt weinst du! Das hättest du besser getan, als deine Mutter

noch lebte!

musik Rumänische Doina

spiegelman Kaum hatte ich diese Erinnerung ausgegraben, schmiss ich meine anderen Comics weg.

o-ton spiegelman 21 the memory got uncovered, and then all of a sudden i threw away all the junk i was working on and began working on that strip.

spielszene atmo Gefängnis Raz Mesinai Tr. 20

art (vorwurfsvoll, leicht zynisch) Nun, Mutter, falls du zuhörst: Herzlichen Glückwunsch. Du hast das perfekte Verbrechen

begangen. Du hast mich ermordet, und nun lässt du mich hier auch noch die Strafe dafür absitzen.

gefangener (aus entfernter Zelle) Schnauze, Mann. Wir wollen schlafen! mouly_private affairs

o-ton mouly 01

pour moi ca a ete un choc tres tres tres important de lire PRISONER ON HELL PLANET {…}

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atmo innen Autor Françoise Mouly, mit der Art Spiegelman seit 1977 verheiratet ist,

ist heute Art Director der Wochenzeitschrift The New Yorker. Wir sitzen im RAW-Büro: Eine fensterlose Höhle voll Comics,

bizarren Objekten, Siebdruckplakaten, alten Maschinen, in der Françoise Mouly und Art Spiegelman zwischen 1980 und 1991 die legendäre Avantgarde-Comic-Zeitschrift "RAW" herausgaben.

musik raz mesinai metamorphosis tr. 14

o-ton mouly 02

il y avait qc de incomprehensible, d inacceptable, d irrecevable pour moi parce qu il etait sense avoir pitié de sa mere, se sentir coupable, enfin tt ca il l exprimer, cad qu il exprimait ds une bande dessiné qui est d un raccourci extraordinaire, {…} il y avait les 2 cotes de la chose: il appelait ca mere "murderer", et le dessin ou il la montrait, elle etait pathetique, inspirant la pitié. {…} mais une fois que ca avait exprime ca avait une lucidité, une realite, une presence, indeniables.

Mouly Als ich "Gefangener auf dem Höllen-Planeten" gelesen habe, war ich erschüttert. Ich hatte nie etwas Vergleichbares gelesen.

Diese Geschichte war für mich unverständlich, inakzeptabel: Art hätte Mitleid empfinden müssen und Schuldgefühle haben. Aber er nannte seine Mutter "Mörderin". Und gleichzeitig zeichnete er sie wie ein Häufchen Elend.

Diese Widersprüche drückte Art in wenigen Bildern aus, mit höchster Klarheit und Glaubwürdigkeit.

Autor 1976 zog die französische Architekturstudentin und Comic-

Liebhaberin Françoise Mouly für ein paar Monate von Paris nach New York.

Musik Raz Mesinai Trial, tr. 15 Autor Als sie Art Spiegelman kennenlernte, stellte er gerade seine

experimentellen Comics der siebziger Jahre zum Buch "Breakdowns" zusammen, darunter auch seine frühen Auseinandersetzungen mit der Familiengeschichte.

In diesen Arbeiten, die in Deutschland von Klaus Theweleit mitherausgegeben wurden, reflektierte Art Spiegelman die

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Sprache der Comics. Er spielte mit Zeichenstilen, unterlief die traditionellen Genres und untersuchte, wie weit man Text und Bild voneinander trennen kann, ohne dass die Geschichte ihren Sinn verliert.

o-ton mouly 03 qd je l ai rencontre il etait en train de travailler sur BREAKDOWNS{…} et donc je l avais aidé sur la partie pratique de faire son livre. j'avais adoré ça.

Mouly Ich half ihm und entdeckte dabei, dass ich das Büchermachen

liebe.

Autor Von da an waren Art Spiegelman und Françoise Mouly ein Paar

und ein Team. Dank Françoise entdeckte Art die europäische Comic-Kultur, sie

war die treibende Kraft hinter dem Magazin RAW, und nicht zuletzt, gesteht Art Spiegelman, gab sie ihm den notwendigen Halt für die Arbeit an MAUS.

o-ton spiegelman 22 i know that in the world i lived in i needed to have the steadiness and stableness that that living with somebody allowed other things happen through. {…} it allowed me to make MAUS,

musik raz mesinai metamorphosis tr. 14 Autor BREAKDOWN schloss die experimentelle Phase ab. Art

Spiegelman überlegte sich, welches Projekt er als nächstes in Angriff nehmen sollte.

Für Françoise Mouly war klar: Art musste sich der Geschichte seiner Eltern stellen.

überleiten in: "Vie Tsvey iz Naftale der deriter (yikhes) intro

o-ton mouly 04 c etait clair que de toute facon il fallait qu il le fasse. {…} il ne s entendait pas du tout avec son pere, mais une fois qu il etait revenu a NY {…33'} enfin – art le savait, vladek le savait que il etait necessaire qu ils parlent, que les deux soient mis en face

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{…} – il ne pouvait pas completement ignorer son pere – qu'il y avait une tension ds la piece qui etait tellement intense que la seule facon etait qu'ils parlent, 34' que art lui demande de raconter son histoire.

mouly Art verstand sich überhaupt nicht mit seinem Vater Wladek. Die

Spannung war unerträglich, wenn sich die beiden im selben Raum aufhielten. Aber Art konnte seinen Vater nicht gänzlich ignorieren, nachdem der aus Kalifornien zurückgekehrt war und wieder in New York lebte. Es gab nur eine Möglichkeit, wie Art und Wladek vernünftig miteinander reden konnten: Wenn Art seinen Vater über seine Lebensgeschichte ausfragte.

maus (spielszene)

atmo Ländliche Abendstimmung, Sommer, auf der Veranda Art Endlich schläft er. Françoise Es ist schon wahnsinnig anstrengend, einen ganzen Tag mit ihm

zu verbringen. Er ist so verspannt. Wladek Lauter, lang anhaltender, mehrfach wiederholter Angstschrei (aus

dem innern des Hauses) Françoise Was ist das? Art Nichts, nur Wladek … Er stöhnt wieder im Schlaf. Als ich klein war,

habe ich gedacht, alle Erwachsenen schreien im Schlaf, Nacht für Nacht …

Wladek Schrei verstummt Françoise seufzend Es ist so friedlich hier nachts. Fast unmöglich zu glauben, dass es

Auschwitz je gegeben hat.

musik John Zorn: "Shtetl"

Spiegelman Ich wollte nicht die Geschichte erzählen, wie Captain America Treblinka befreit. Ich wollte möglichst genau die Geschichte meiner Eltern aufzeichnen, und wie sie sich auf mich auswirkte. Es schien mir unmöglich, etwas zu beschönigen und meinen Vater als

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Helden darzustellen. Das wäre eine dermaßen große Lüge gewesen, dass sie meine Absicht zunichte gemacht hätte, die Geschichte zu verstehen.

Autor Der Selbstmord der Mutter hatte die Beziehung zwischen Wladek

Spiegelman und seinem Sohn Art endgültig zerrüttet. Die Beziehung zwischen Vater und Sohn entspannte sich nur,

wenn ein Mikrophon zwischen ihnen stand und Wladek seinem Sohn sein Leben im Nationalsozialismus erzählte.

keine atmo

o-ton Wladek 01

and all of a sudden, one of the kids noticed me, and he started screaming: "A Jew is going, A Jew is going!". And all the children were so afraid, they were running (4x) to their houses. And a minute later, all the women came out from the houses. I was not running away. Because if I would run away, they would say: "Of course it was a Jew here". And they were talking into the Jews always: "Be afraid, a Jew will catch you and will kill you!" This was their teaching of these mothers for the children. {…} So I approached closer where the mothers and the kids are. And I said: "Heil Hitler! Don't be afraid. I am not a Jew. I am the same what you. You can play." And I calmed them

down. And the mothers laughed at me, and I said: "Heil

Hitler" and I went my way. This experience cost me a lot of hairs. Because I thought that I am lost now but I came out very well."

Wladek Und plötzlich ein Kind bemerkt mich und schreit: "Ein Jude! Hilfe

Mutti, ein Jude!" Schnell sind die Mütter rausgekommen, zu sehen, was tut sich. Die Mütter haben immer erzählt: "Sei vorsichtig! Ein Jude wird dich in ein Sack fangen und aufessen!" So was haben sie gelernt ihre Kinder. Ich habe mir genähert. Wenn ich wäre weggelaufen, hätten sie gekonnt sehen: Ja, er IST ein Jude. "Heil Hitler", habe ich gesagt. "Keine Angst, Ihr Kleinen. Ich bin kein Jude. Ich will euch nichts tun. Heil Hitler." So bin ich noch mal davongekommen.

trocken

Autor 1978 – als in den USA auch die mehrteilige Fernseh-

Dokumentation "Holocaust" ausgestrahlt wurde – begann Art Spiegelman mit der Arbeit an MAUS.

(ab hier plus folgenden Autor/O-ton ev streichen)

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Die einzelnen Kapitel veröffentlichten Spiegelman und Mouly

zunächst als kleinformatige Beilagen in ihrem Comic-Magazin RAW.

o-ton spiegelman 24 like MAUS was not made with like: (verzerrte stimme) "the holocaust is perfect for a comic book they'll never expect that."

IV, 3, NO HOLOCAUST INDUSTRY 14' there wasn't that HOLOCAUST INDUSTRY that exists in the media now, in fact, one of the reasons i allowed myself to go towards MAUS had to do with the fact that it wasn't the story that most people knew in 1977, when i was first thinking about this. therefore, it was worthy of telling, because it wasn't that told. it wasn't just one more spin on the Holocaust Movie of the Week.

spiegelman "Maus" entstand nicht mit dem Hintergedanken: "Ein Comic über den Holocaust, das ist perfekt, das wird alle überraschen …"

Als ich "Maus" begann, gab's noch nicht die Holocaust-Industrie von heute. Im Gegenteil: 1977 wussten nicht viele Leute über den Holocaust Bescheid. Deshalb machte es für mich Sinn, diese Geschichte zu erzählen.

musik John Zorn: "Shtetl" Autor Wladek Spiegelman erzählte seinem Sohn über die

unbeschwerten dreißiger Jahre in Polen, über seine große Liebe zu Anja, den Ausbruch des zweiten Weltkriegs und die deutsche Besetzung Polens, über die ersten Pogrome, die Gettos, die Jahre auf der Flucht und in unsicheren Verstecken, die Geschäfte auf dem Schwarzmarkt – bis sie, Anja und Wladek, von zwei angeblichen Fluchthelfern an die Nazis verraten und nach Auschwitz verladen wurden.

O-Ton Wladek Spiegelman 02

they pushed us in truck, your mother, men, women, two tiny windows. we were sure that we were going to be finished; we knew we were going to Auschwitz. etc.

Wladek Ein paar Tage später sind gekommen die Lastautos. Sie haben reingestoßen vielleicht 100 von uns. Noch einmal bin ich gewesen zusammen mit Anja. Und man hat uns gebracht in dem

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Konzentrationslager Auschwitz. Und wir haben gewusst, von hier wir kommen nicht mehr raus. Wir haben gekannt die Geschichten – wie sie uns werden vergasen und schmeißen in die Öfen. Es ist gewesen 1943, wir haben gewusst alles. Und nun sind wir dort gewesen.

musik John Zorn: "Shtetl"

o-ton spiegelman 26 i never set out to make Auschwitz for beginners. i didn't want Vladek to become the cover-boy next to anne frank, the covergirl.

spiegelman Ich hatte nicht die Absicht, ein "Auschwitz für Anfänger" zu

machen oder meinen Vater als Coverboy neben Anne Frank, das Covergirl, zu stellen.

Autor Auf einer zweiten Ebene setzte sich Art Spiegelman in MAUS mit

der schwierigen Beziehung zu seinem Vater auseinander. Damit erweiterte er die damalige Holocaust-Diskussion um einen entscheidenden Aspekt: Die traumatisierende Wirkung auf die Nachkommen der Überlebenden.

musik Dajos Béla: "Mickey Maus"

Autor Der Strich ist spröde und nüchtern, die Schwarzweiss-

Zeichnungen sind reduziert und schmucklos und stehen ganz im Dienst der Geschichte.

Eine zusätzliche Verfremdung bewirken die Tiergesichter, die Art

Spiegelman seinen Figuren aufsetzte: Er zeichnete die Juden als Mäuse, die Deutschen als Katzen und die Polen als Schweine.

o-ton spiegelman 26 it's the problem of having Hitler as a collaborator. {…} i used his metaphor. it was this schmock's idea to divide people up into the Übermenschen, Untermenschen … , taxonomies, certain people as another species. i didn't think that was such a good idea, but this was the history i was left to work with. but one of the main things that were important to me was not to endorse the idea but was to give it as a kind of metaphor that is designed to self-destruct. that you are finally left with Vladek not as a MAUS, but as a person.

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you're finally left with some poles who act admirably and some poles who act terribly. at that point, those masks are just that: they're masks.

spiegelman Mein Problem war, dass ich Hitler als Mitarbeiter hatte. Ich habe

lediglich seine Metaphern verwendet – es war schließlich seine Idee, Menschen in Über- und Untermenschen zu unterscheiden und gewisse Völker als (andere Spezies?????) zu betrachten.

Das finde ich keine sehr gute Idee, aber das war das historische Material, mit dem ich arbeiten musste.

Wichtig war für mich, die Metaphern so verwenden, dass sie sich selber zerstören:

Am Schluss sehen die Leser Wladek nicht als Maus, sondern als Menschen, sie sehen Polen, die sich vorbildlich und andere, die sich schrecklich verhielten.

Letztlich sind diese Tiergesichter nur Masken.

musik "Yiddish Hora" (Yikhes 6)

Autor Nicht nur zeichnerisch, sondern auch inhaltlich arbeitete Art

Spiegelman bewusst zurückhaltend: Er macht mit jedem Strich deutlich, dass er nur aufzeichnet, was ihm sein Vater Wladek erzählte.

o-ton spiegelman 25 (fortsetzung!) i just felt, the best way to teach anything about history is through indirection. if you really just concentrate on sthg relatively simple like {…} but: to try to deal with information directly, is a way of kind of losing it, the info becomes abstracted at that point and has less impact as information.

in english at least i liked the fact that the word history exists as "history" and also as "his story", so that for me it's so connected. if there is such a thing as a thematic center to MAUS, it has to do that history is what happens to people, it's as stupid and simple as that.

spiegelman Geschichte lässt sich nur indirekt vermitteln. Beschäftigt man sich

zu direkt mit den Fakten, verlieren sie an Wirkung. Mir gefällt, dass man im englischen "History", Geschichte, auch

"his story", seine Geschichte, lesen kann. Letztlich ist Geschichte nichts anderes als das, was den Menschen

widerfährt.

musik raz mesinai, metamorphosis tr. 6

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Autor Der Überlebenskampf nahm im KZ ungeheuerliche Dimensionen

an. Wo es ums nackte Überleben geht, bleibt die Menschenwürde auf der Strecke. Wladek überlebt Auschwitz nur, weil er der schlauere Händler ist. Er spürt instinktiv, wen er sich zum Freund machen muss und welche Wärter sich bestechen lassen. Schnell lernt er, die Dinge höher einzuschätzen als die Menschen.

o-ton Wladek 03 (o-ton stimmt mit text nicht wirklich überein)

Wladek Ich bin gewesen so glücklich. Jemand hat gebracht Anja. Sie hat

so ausgesehen wie ein Gerippe. "Meine Freundinnen warten draußen," sagte sie, "ich bringe ihnen

die Reste." "NEIN!", rief ich ihr zu, "Behalte alles für dich selber! Kümmer dich

nicht um Freunde. Glaub mir, die kümmern sich auch nicht um dich!"

Autor Wladek ist kein Held. Auschwitz hat ihn nicht geläutert. Überlebt hat Wladek als griesgrämiger, egozentrischer krankhaft

geiziger Tyrann mit rassistischen Zügen.

o-ton spiegelman 27 this of course is such a christian idea. cause it's the idea of the martyr. that somehow suffering ennobles. the only thing i could figure out about suffering is: it hurts. if you'd say: he's better because he suffered, then the suffering actually has a use. and of course, suffering has no use. some people came through this somehow bigger than they were, some people came out smaller and somepeople came out in some peculiar way the same.

it's not respectful to think that the suffering had a use. it's also contemptable to think that somehow the people who survived are therefore either better or worse than the ones who didn't survive. because the main thing was to be caught up in such a big a configuration, meant that: survival was random. if the war had lasted for instance one more year, my father would have been dead of nothing else than tuberculosis, or scarlett fever or one of the many plagues that went through it, if not directly into a gas-chamber.

spiegelman Die Vorstellung, dass das Leiden, das Martyrium, den Menschen verbessert, ist christlich!

Beim Leiden fällt mir nur eines ein: Es schmerzt.

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Würde das Leiden den Menschen läutern, hätte es ja einen Sinn. Aber das Leiden ist sinnlos.

Manche Menschen kamen größer aus dem KZ raus, andere kleiner, wiederum andere haben sich im KZ irgendwie nicht verändert.

Es grenzt an Verachtung zu denken, dass die Überlebenden besser oder schlechter sind als die Toten.

Das Überleben war reiner Zufall. Hätte der Krieg ein Jahr länger gedauert, wäre mein Vater vermutlich gestorben. An einer Krankheit oder in einer Gaskammer.

rabbi andy bachman

musik Andy Statman: "Another Glass of Wine" Autor Brooklyn, New York, die Heimat einer der lebendigsten jüdischen

Gemeinschaften außerhalb Israels. Andy Bachman ist Rabbi der Congregation Beth Elohim.

o-ton rabbi bachman02 he started to break the taboo that the survivor wasn't a saint. {…} Spiegelman took it to a whole new level of speaking openly about the fact that a survivor could a terrible father. or could be an abusive person. or at the very least, a highly complicated and contradictory person.

Rabbi Bachman Art Spiegelman brach eines der größten Tabus: Er sprach offen darüber, dass ein Überlebender nicht notwendigerweise ein Heiliger ist, sondern auch ein schrecklicher Vater oder zumindest eine hochkomplizierte und widersprüchliche Person sein konnte.

atmo Klezmer aus Autoradio, Andy Statman: "Another Glass of Wine" Autor 750.000 Juden leben in Brooklyn. Die Synagoge Congregation

Beth Elohim steht im Wohnviertel Park Slope, in einer ruhigen, von vielen Bäumen und kleinen Vorgärten gesäumten Strasse zwischen den für Brooklyn typischen, dreistöckigen Brownstone-Häusern.

Sie wurde 1861 von fortschrittlichen deutschen Juden gegründet und ist heute mit über 1000 Mitgliedern die größte reformierte Synagoge in Brooklyn.

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o-ton rabbi bachman 03 my name is RABBI ANDY BACHMAN, i m the senior rabbi here at this synagogue, congregation BETH ELOHIM it's called. it's the largest reformed synagogue in Brooklyn. i m 44 i live in the neighborhood with my family, (…} i had started a community outreach organisation called BROOKLYN JEWS with my wife Rachel. it was really meant to reach a whole variety of 20-30-somethings who are not really affiliated with synagogues but were very interested in connections to jewish life, {…} through history, through art & culture, through music, so i've developed a certain skill-set in just doing cultural programming that pulls people into the building:

Autor (über den Rabbi legen) Andy Bachman ist 44, trägt Jeans, ein kurzärmliges Hemd und

einen Dreitagebart, er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Bachman ist über die Grenzen von Brooklyn bekannt für sein

kulturelles Engagement: Mit Lesungen, Konzerten, Vorträgen und anderen Veranstaltungen versucht er, bei den jungen, nichtgläubigen Juden das Interesse an der jüdischen Kultur zu wecken.

Rabbi Bachman "Maus" erschien, als ich in Wisconsin studierte. Dass ein Kind von Überlebenden, der auch Underground-Comix-

Zeichner war, seine Geschichte als Comic erzählte, schockierte mich nicht grundsätzlich, aber es machte mich sehr neugierig.

o-ton rabbi bachman 04 i heard about it when the book first came out. {…} i was an undergraduate student, i was at the university of wisconsin, {…3'} So i wasn t shocked by the idea, i was kind of intrigued, that someone who was in underground comic, a child of survivors, would try going to try to tell his story through the medium that he knew.

q.3 offensive 4' i m aware that out here in the broader jewish world there were people who felt that to depict anything related to the Holocaust in cartoon form was offensive, {…}

Rabbi Bachman Ich weiß natürlich, dass allein die Vorstellung, jemand könnte den

Holocaust in einem Comic darstellen, viele Juden provozierte.

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Autor Die Juden als Mäuse zu zeichnen, sei zwar provokativ, aber letztlich nur konsequent gewesen – sagt Rabbi Bachman. Schließlich seien die Juden auch in den Propagandafilmen der Nationalsozialisten als Ratten dargestellt worden.

o-ton rabbi bachman 05

i guess the most radical thing about it was that - you look at old films, you know, old nazi-films, and like JUD SüSS and the famous scene of jews turning into rats. {…} on the other hand, obviously, from an artistic perspective, that was exactly the choice to make. so – when you're looking at it through the lense of animals as characters, and noone's human, in a way it levels the playing field for talking about what it is that's at stake. and in a way it lowers the barrier for a gentiles non-jews to able to comment to the Holocaust conversation and not come in as: "oh i'm gentile, i'm somehow responsable for the holocaust",

Rabbi Bachman Künstlerisch gesehen waren die Tiermetaphern die bestmögliche

Entscheidung. Man sieht nur Tiere, keine Menschen, und diese Metaphern

machen es möglich, sich auf das wirklich Wesentliche zu konzentrieren.

Nicht zuletzt reduzierte es für Nicht-Juden die Hemmschwelle, mit Juden über den Holocaust zu diskutieren, ohne gleich das Gefühl zu haben, als Nicht-Juden seien sie irgendwie mitverantwortlich für den Holocaust.

Autor Mit "Maus" stieß Art Spiegelman eine weitere Diskussion an: Er

untersuchte die traumatisierende Wirkung des Holocausts auf die Kinder der Überlebenden zu einem Zeitpunkt, als die Holocaust-Forschung diesem Aspekt noch keine große Bedeutung beimaß.

o-ton rabbi bachman 06 it also takes a generation to deal psychologically with the trauma, before you can find different expressions of it. so in many ways, noone could have ever done anything like spiegelman attempted to do, you needed another generation in order to do it, to come to terms with it, to be able to even speak openly about it. if you look at – usual depictions, i know working in the jewish community, i know a lot of holocaust survivors. most of the children of holocaust survivors that i know do not hear the stories about the holocaust directly from their parents. but their parents will tell me, because i m not their son.

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so there's that distance. Rabbi Bachman Normalerweise ist erst die übernächste Generation in der Lage,

sich psychologisch mit dem Holocaust auseinanderzusetzen. In diesem Sinn gelang Art Spiegelman, indem er sich als Kind von Überlebenden damit auseinandersetzte, etwas Unerhörtes.

Als Rabbi habe ich viel mit Holocaust-Überlebenden zu tun. Die wenigsten Überlebenden reden mit ihren Kindern über ihre

Erfahrungen. Aber sie reden mit mir, weil ich nicht ihr Sohn bin. Sie brauchen diese Distanz, um darüber sprechen zu können.

spielszene (II,16)

atmo Ländliche Abendstimmung, Sommer, auf der Veranda musik yikhes naftule

Art Ich weiß, Françoise, es klingt verrückt, aber irgendwie wünsche ich

mir, ich wäre MIT meinen Eltern in Auschwitz gewesen, um wirklich zu wissen, was sie durchgemacht haben! Ich glaube, es ist irgendein Schuldgefühl, ein leichteres Leben als sie gehabt zu haben.

musik Raz Mesinai, tr. 21

o-ton spiegelman 28 if you're asking if it was cathartic, then i have to say: NO. (…} i think somehow i fell always a little bit insulted when people think it was a form of psychotherapy, because i mean, i really experienced both, and psychotherapy is much more expensive.

spiegelman Wenn Sie mich fragen, ob MAUS eine kathartische Wirkung hatte:

Nein. Ich bin immer etwas beleidigt, dass Leute glauben, MAUS sei für mich eine Therapie gewesen. Ich habe beides gemacht, und die Psychotherapie ist viel teurer.

hi/lo_raw

musik Talking Heads: "Drugs"

Autor 1980 veröffentlichten Françoise Mouly und Art Spiegelman die

erste Ausgabe ihres Avantgarde-Comic-Magazins RAW und machten mit viel Chuzpe und einem geradezu provokativen

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Selbstbewusstsein die Verwandtschaft zwischen Comics und Kunst sichtbar.

o-ton spiegelman.29 when i worked on RAW magazine, there was a vision of erasing the hive between high culture and low culture. that the same currents could run through both. that there is a lot of high culture that's actually just kitch & pernicious, and that there actually things happening in the lower popular precincts of culture that are throbbing with experience emotion vitality and ideas. and that therefore it wasn't a useful division. there are other ways to slice it.

spiegelman Mit RAW wollten wir Gräben überwinden. Wir wollten zeigen, dass

dieselben kulturellen Strömungen durch High und Low fließen können, dass vieles in der Hochkultur nichts mehr ist als übler Kitsch, während die Popkultur voller Ideen, Emotionen und Vitalität stecken kann.

musik The Residents: "Floyd" (11)

Autor RAW war für viele eine Erleuchtung. Auch für mich. Grosses Format, dickes Papier, hochwertiger Druck – so hatten wir

Comics noch nie gesehen. Auch inhaltlich war RAW ein Augenöffner: Punk und New Wave

lösten die Hippie-Ästhetik ab, und die genialen Dilettanten und begnadeten Individualisten der achtziger Jahre zündeten ein graphisches Feuerwerk mit hohem intellektuellem Anspruch.

Das Verdienst von Françoise Mouly und Art Spiegelman war es, stilistisch sehr unterschiedliche und einzigartige Künstler in einem Magazin zusammenzubringen.

Noch wichtiger war die Brücke, die sie zwischen den USA und Europa schlugen: Die amerikanischen RAW-Leser entdeckten anspruchsvolle europäische Autoren wie Jacques Tardi, Lorenzo Mattotti und Mariscal, und wir Europäer stießen auf amerikanische Avantgardisten wie Gary Panter, Mark Beyer und Ben Katchor.

atmo strand bookstore musik Liquid Liquid: "Optimo"

o-ton RAW 01 burns 01

when raw was created, it was really created in this void, there was really nothing out there. and I was going over to visit art, and he would pull out pile of books, european artists, obscure

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artists from the 3ties, and he was terribly excited by this work, but no american artist would see it at all. (…}we should put out one issue with comics how they should be.

burns RAW wurde in einem Vakuum gegründet. Wenn man Art und Françoise besuchte, rissen sie stapelweise obskure Comics aus Europa oder den dreißiger Jahren aus dem Regal, die man sonst nie zu sehen bekam. Deshalb entstand RAW: Sie wollten zeigen, wie Comics auch sein können.

Autor Charles Burns, Gary Panter, Kaz, David Mazzucchelli – sie

gehören heute zu den bedeutendsten Vertretern des amerikanischen Autorencomics, nicht zuletzt dank RAW, das ihren Karrieren entscheidende Impulse gab.

Auch über anderthalb Jahrzehnte nach der letzten Ausgabe lebt der Geist von RAW in New York weiter, und die Künstler treffen sich regelmäßig, an Vernissagen, bei Buchpremieren und anderen Veranstaltungen.

o-ton RAW 02 panter i dind´t really think about the snobbiness, or that museum-kindofthing, the label people attached to RAW; I didn´t really care. I was really interested in having comics look in a different way than comics did.

panter Der Snobismus-Vorwurf hat mich nie gestört. Für mich war wichtig,

Comics zu entdecken, die anders aussahen.

o-ton RAW 03 kaz

that's what blew my mind completely, and completely blew open the whole doors of what you can do in a comic-strip and say in a comic-strip, without any restrictions.

kaz In RAW entdeckte ich, dass im Comic eigentlich alles möglich ist,

ohne Einschränkungen!

o-ton RAW 02 mazzucchelli

i miss it. {…} that was very exciting to be around people who thought about comics the more or less same way. or at least had the same kind of questions and exploration about comics. it certainly seems like RAW acted as a kind of focal point for talking about comics in a certain way that no other single publication seems to be doing in the same way. {…} RAW was one of those things that got people upset, or made people very happy.

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mazzucchelli Der Austausch mit Künstlern, die ähnlich über den Comic dachten,

war sehr bereichernd. In RAW wurde der Comic reflektiert wie in keiner anderen Zeitschrift. Entweder man liebte RAW oder man hasste es.

o-ton RAW 05 burns now there's a lot more outlet for that work. more selfpublished work, more companies putting obscure work out. at that time,

there was nothing. {…} there was this wasteland. they

succeeded on their mission.

burns Im Gegensatz zu früher gibt es heute weit mehr Möglichkeiten, auch ungewöhnliche Comics zu veröffentlichen. Damit hat RAW seine Mission erfüllt.

nach maus

musik Frank London: "Golem Khosidl" Autor 1986 erschien der erste Band von MAUS im angesehenen

Belletristik-Verlag Penguin Books, 1992, nach insgesamt 13jähriger Arbeit, folgte der abschließende zweite Band.

MAUS war ein internationaler Bestseller, der Autor Art Spiegelman wurde 1992 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet, und der Zeichner Art Spiegelman mit einer Ausstellung im Museum of Modern Art gewürdigt.

Der Erfolg forderte aber seinen Tribut.

o-ton mouly 05 avoir fait MAUS {…} a ete une des choses les plus destabilisantes qui auraient pu arriver a art. pourquoi, ben – c est pas terriblement dur a comprendre ou a expliquer, ben d abord parce que qd on est monte sur l himalaja et qu on a atteint le sommet, apres MAUS c etait tres tres tres dur de faire quoi que ce soit ou il n ait pas le sentiment que ce soit futil. 2è le succes de MAUS ca a ete – ca c est un peu plus dur a expliquer, mais ca a ete l ENFER. l enfer. {…} et tout ce que les gens voulaient de lui, c est qu il en fasse un film. {…} et d avoir a dire NON et NON et NON et NON et NON a tt le monde, la pression emotionelle, intellectuelle la-dessus,

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c est bien plus dur que d'etre ds l obscurite et de croire en qc et de la faire.{…} et pendant a peu pres 10 ans, je l ai vu ds le desespoir le plus complet.

mouly MAUS hat Art völlig aus dem Gleichgewicht geworfen. Warum? – Nun, was will man als nächstes tun, nachdem man den

höchsten Gipfel bereits bestiegen hat? Nach einem Meisterwerk wie MAUS war es sehr schwierig, etwas

zu machen, das nicht völlig wertlos schien. Noch schlimmer wirkten sich der Erfolg und der hohe

Erwartungsdruck aus. Alle forderten eine Fortsetzung und eine Verfilmung, und Art musste ständig "nein" sagen, "nein" und nochmals "nein".

Es war die Hölle. Art verbrachte zehn Jahre in einer tiefen Depression .

new yorker

musik Kramer: "Greenberg Variations" Tr. 1

Autor Zehn Jahre lang, von 1992 bis 2002, zeichnete Art Spiegelman

keine Comics mehr. Er illustrierte Bücher, zeichnete ein Kinderbuch, gab mit Françoise

Mouly die Kindercomic-Anthologien "Little Lit" heraus, versuchte ein Musiktheater auf die Beine zu stellen … – Vor allem provozierte er das amerikanische Bildungsbürgertum mit Titeln für den altehrwürdigen New Yorker.

Autor Gleich sein erstes Titelbild, es erschien zum Valentinstag 1993,

löste einen Sturm der Entrüstung aus, sowohl bei Juden, Schwarzen als auch liberalen Weissen:

Ein chassidischer Jude küsst eine schwarze Frau.

o-ton spiegelman 31

well, it was seen widely and it's a respected magazine, a highly respected magazine. so it did mean that, i think as I said in that book that came out about the NY covers, that this was an experiment in recombining DNA – to what degree could an underground sensibility intertwined with an incredibly sophisticated establishment magazine sensibility. it worked for a while, but i think DNA has a tendency to like reassert itself.

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spiegelman Für mich war es ein Experiment: Bis zu welchem Punkt liessen sich meine vom Underground geprägten Moleküle mit der DNS eines dermaßen etablierten und kultivierten Magazins der Bourgeoisie verbinden?

Es funktionierte fast zehn Jahre lang, aber die DNS hat die Neigung, letztlich doch ihre Eigenständigkeit zu behaupten.

Autor Art Spiegelman genoss es, die amerikanische Gesellschaft und

Zeitthemen mit Biss und Ironie zu karikieren. Und doch betrachtet er sich nicht als politischen Zeichner.

o-ton spiegelman 32 – no strong desire ever to become a political cartoonist. that wasn't ever part of my internal job-description. coz that stuff – talk about ephemera. i mean, after an immediate event is over, any drawing one makes about tends to be just a footnote in a history-text-book.

Spiegelman Der politische Cartoon ist zu kurzlebig. Kaum ist das Ereignis

vorbei, verkommt die Zeichnung zur Fußnote in einem Geschichtsbuch.

Autor Botschaften und Bekehrungswillen sind ihm fremd, und er

verweigert sich jeglicher Vereinnahmung:

o-ton spiegelman 33

i remember one of the first wisecracks when people would come to me after MAUS was finished to try to get me comment on skinheads in East Germany or whatever is:

"i just don't want to be the Elie Wiesel of comic-books". Autor Als er nach MAUS zu allen möglichen jüdischen Themen um seine

Meinung gebeten wurde, selbst zu Skinheads in Ostdeutschland, war seine Antwort ebenso smart wie sarkastisch:

o-ton spiegelman 33

"i just don't want to be the Elie Wiesel of comic-books".

Musik Raz Mesinai Tr. 27

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Autor Seinen berühmtesten Titel zeichnete Art Spiegelman wenige Tage

nach dem 11. September 2001 Zwei matt-schwarze Türme auf glänzend-schwarzem Hintergrund.

keine atmo Autor Dann verließ er den New Yorker aus Protest gegen den

Opportunismus der amerikanischen Medien.

musik Raymond Scott: "Dinner Music for a Pack of Cannibals"

o-ton spiegelman34 well, the press is a fearful creature here. it's not that brave.

Autor Die Überzeugung, gleich zu sterben, befreite ihn von allen

Zwängen;

Autor er wurde wieder das, was er schon als kleiner Junge sein wollte:

Comic-Autor.

o-ton spiegelman35 "oh schmock, you're gonna die, and you should have made more comics .

portrait

atmo Atelier

Autor Art Spiegelman steckt sich eine weitere Zigarette an. Er steht zwischen den beiden großen Tischen, die sein Atelier

räumlich teilen.

o-ton spiegelman 36 the division is between 19th century and 21th cent, i have a table on the left that has pens, and art papers and paints and things like that, and a table on the right that has a large computer-screen, a scanner, and so on. so i shift back and forth between those two centuries.

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34

spiegelman Auf dem linken Tisch liegen Papier und Federn, auf dem Tisch rechts steht der Computer. So pendle ich zwischen dem 19. und dem 21. Jahrhundert hin und her.

Autor Er startet den Computer, um seine neueste Arbeit zu zeigen:

"Portrait des Künstlers als junger %@*!" (zensurbeep).

o-ton spiegelman37 but – i must say that by the time i lived through this election last november, i was feeling so disheartened, that to make stuff that would be political commentary seemed to be like losers' game, like a real sucker's game. maybe it's an over-reaction {…}, or maybe it's just the fact that things are so dire and i feel so relatively powerless, that i'm involved in a intensively autobiographical project now. it has an urgency for me. that has to do with trying to understand how i got here, i mean, to now,

spiegelman Nach der Wiederwahl von George W. Bush im November 2004 waren mein Verdruss und mein Ohnmachtsgefühl so groß, dass mir jeder weitere politische Kommentar sinnlos schien.

Deshalb vertiefte ich mich nach "In The Shadow Of No Towers" in ein sehr autobiographisches Projekt: Ich hatte das Bedürfnis zu verstehen, wie ich zu dem wurde, was ich heute bin.

Musik Scott "Penguin" Autor "Portrait des Künstlers als junger %@*!" (zensurbeep), das

Vorwort für die Wiederveröffentlichung von "Breakdowns", ist eine Reflektion seiner Comic-Besessenheit und seines Werdegangs von MAD bis MAUS.

Dabei spielt er mit seinen Stilen und Erzählweisen aus den letzten 40 Jahren und macht aus diesen Memoiren beiläufig auch eine unterhaltsame Lektion über die Sprache der Comics.

o-ton spiegelman38 but put together it's not just an autobiography, it's about how comics shaped me, so that's of course partly autobiographical, but it also is kind of this re-organising my life into comics.

spiegelman Es ist mehr als eine Autobiographie, es geht darum, wie die

Comics mein Leben gestalteten. Ich reorganisiere sozusagen mein Leben als Comic.

comics heute

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atmo atelier, innen

Autor In den fünfzehn Jahren seit meiner ersten Begegnung mit Art

Spiegelman hat sich einiges verändert. Seine Haare sind grau geworden, die Gesichtszüge sind weicher, er wirkt weniger angespannt, sondern gelassener und milder.

Gleich geblieben ist seine Leidenschaft für die Comics.

o-ton spiegelman39 it's certainly allowed it to be one of the most interesting periods of ferment, for comics, because: we now had the big bang, and we have to see what happens in the seconds after. {…} new artists come along. out of nowhere.{…} to take advantage of these situations. which is great, and a lot happens.

spiegelman Wir leben in einer der interessantesten und kreativsten Epochen.

Wir haben einen Urknall erlebt, und nun tauchen aus dem Nichts zahlreiche talentierte Künstler auf, die diese Situation nutzen. Das ist großartig, und es geschieht viel Neues.

Autor Seine Augen strahlen wie die des kleinen Jungen, der zum ersten

Mal ein MAD in seinen Händen hielt. Er hat guten Grund, sich zu freuen: Der Autorencomic boomt wie

nie zuvor. Mehr und mehr Comic-Autorinnen und –Autoren verarbeiten

persönliche Themen, setzen sich mit ihrem eigenen Leben oder mit der Zeitgeschichte auseinander, und schaffen aus diesen Stoffen interessante und erfolgreiche Comic-Romane.

o-ton spiegelman 40 the idea that now bookstores mostly have graphic novel sections, that museums are showing comics on their walls, that critics and the general press are writing about comics without having to explain that they're writing about comics and apologizing before they do it. in most corners of the culture, comics have been kind of embraced here. {…} it's probably all symptomatic of the same thing that comics have just moved into a different cultural zone than they used to occupy.

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spiegelman Heute verkaufen die meisten Buchhandlungen auch Comics, das Feuilleton bespricht Comics, ohne sich erst dafür zu entschuldigen, Comics erhalten Literaturpreise und werden in Museen ausgestellt … – das sind alles Zeichen dafür, dass der Comic in eine andere Liga aufgestiegen ist.

Autor Die Comic-Szene steht in Art Spiegelmans Schuld: Mit MAUS und

mit RAW, mit seinem Erfolg, seinem Weltruhm und vor allem seiner bedingungslosen Hingabe zum Comic hat er Entscheidendes dazu beigetragen, dass der Comic heute als künstlerische Ausdrucksform respektiert wird. Darauf ist er zu Recht stolz.

o-ton spiegelman 41 i don't deny it. i'm very proud of what i was able to make. {…} – if one thinks of it as a medium that has been retarded, not been allowed to mature. what do you associate with comics? – well what you used to associate with comics was: only trivial subject-matter, simple, like jokes, escapist stories with those strange sexual subtext maybe. the last thing you would associate with comics is: The existencial personal psyche and its contents.

spiegelman Früher assoziierte man mit dem Comic nur Triviales, simplen Humor und eskapistische Stories. Niemand suchte im Comic existentielle persönliche Geschichten. Das hat sich nun geändert.

Musik “Crazy Rhythm” Autor Und Art Spiegelman selber? Der Schock des 11. Septembers hat ihn zum Comic

zurückgebracht. Er ist sich bewusst, dass er Comics machen kann, ohne sich stets an MAUS zu messen.

Und doch – er lächelt halb selbstironisch, halb resigniert, als er im überquellenden Aschenbecher eine Zigarette ausdrückt.

"Ich weiß schon", sagt er dann, und klaubt einen letzten Glimmstengel aus dem halbleeren Päckchen:

"Egal was ich noch schaffe – auf meinem Grabstein wird eine riesige Maus sitzen."

o-ton spiegelman42 well i mean, i will have that giant MAUS on my tombstone, no matter what work i want to do, and that's fine.

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musik Dajos Béla "Mickey Maus"

Absage

Im Schatten der Geschichte – Der amerikanische Comic-Autor Art Spiegelman Ein Feature von Christian Gasser Es sprachen: David Rott Wolfram Koch Maren Kroymann Yorck Dippe Ulrich Hass Christian Redl Und Roman Thesing Quelle der Wladek-O-Töne: "The Complete Maus", 1995 Technische Realisation: Jürgen Glosemeyer und Mechthild Austermann Regieassistenz: Ralf Haarmann Regie: Susanne Krings Redaktion: Gisela Corves Eine Produktion des Westdeutschen Rundfunks mit dem Südwest Rundfunk, 2008