FAMILIENARBEIT mit sozial benachteiligten und bildungsungewohnten Familien – demonstriert am...
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FAMILIENARBEIT
mit sozial benachteiligten und
bildungsungewohnten Familien –
demonstriert am Beispiel der ELTERN-AG
Prof. Dr. Meinrad Armbruster, 14.03.2006
Die PISA-Studie (2001, 2005) weist nach, das die
soziale Herkunft der Kinder über ihr schulisches
Bildungs- und Leistungsniveau entscheidet.
Die Vernachlässigung von Kindern aus einkommens-
schwachen und bildungsfernen Schichten ist der
Hauptgrund für das schlechte Abschneiden Deutsch-
lands im internationalen Vergleich (vgl. Baumert,
2001; Bos et al., 2003).
Die Unterschiede in der Lesekompetenz zwischen 15-
jährigen Kindern aus Familien der Ober- und Unter-
schicht sind in keinem Land so groß wie in der
Bundesrepublik - selbst in den USA sind sie nicht so
ausgeprägt.
PISA- und IGLU-Studie: Die Rolle der sozialen Herkunft
Eltern, Schule, Schulabbrecher: Die Lage
taz, 08.02.2006
„Die weltweiten Pisa-Tests haben gezeigt, dass der
Bildungserfolg eines Kindes in keinem anderen
vergleichbaren Industriestaat so abhängig von der
sozialen Herkunft ist wie in Deutschland.“
Die Bedeutung des Elternhauses
Die häuslichen Lebensbedingungen haben einen etwa
doppelt so großen Einfluss auf die kindliche
Entwicklung wie institutionelle Angebote.
European Child Care and Education [Krumm et al. , 1999, ECCE - Study Group]
Die Zusammenarbeit mit den Eltern ist eine Grundvoraussetzung für einen erfolgreichen Besuch von KiTa und Grundschule.
Was wissen wir über Familien, die unter Bedingungen von sozialer Benachteiligung leben?
1) Die Eltern weisen i.d.R. folgende Merkmale auf
- soziale Deprivation - Bildungsferne - Migrationshintergrund
2) In sozial benachteiligten Elternhäusern sind überdurchschnittlich häufig Kinder mit Entwicklungsverzögerungen und Lernbeeinträchtigungen anzutreffen.
- Die Lebenslagen dieser Eltern sind mit besonderen Risikofaktoren assoziiert, die für die Kinder schwere Nachteile beinhalten.
- Nach außen treten diese Familien oft durch einen spezifischen subkulturellen Lebensstil in Erscheinung.
• niedriges Bildungsniveau (Schule, Ausbildung)
• familiäre Dysharmonie
• Arbeitslosigkeit
• Armut (Hilfe zum Lebensunterhalt/Alg II)
• frühe Elternschaft
• Alleinerziehendenstatus
• Migrationshintergrund
• beengte Wohnverhältnisse
• chronische körperliche oder seelische Krankheit
Merkmale sozialer Benachteiligung
Prinzipielles zur Elternarbeit
Frühe Kindheit: „Je früher, desto besser!“
Intuitive Erziehungsfähigkeit: „Elternsein ist nicht schwer, ...“*
Kompetente Kinder: „Hilf mir, es selbst zu tun!“
Eltern als Experten ihrer Kinder: „gleiche Augenhöhe; keine hierarchischen Ebenen“
•Empowerment
•Konzentration auf positive Verhaltensziele: „Lernen mit Spaß!“
•Implizites Lernen: „Übung macht den Meister!“
Elternseite
Erzieher- und Lehrerseite
•Artikel 6, Absatz 2 legt fest, dass „die Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern sind.“
Grundlagen des Empowerment-Ansatzes
Klientenorientierung
Für die Arbeit der Lehrer heißt dies, genau in Erfahrung zu bringen, wer denn ihre „Klienten“ eigentlich sind, welche Bedürfnisse sie haben und wie am besten diesen Bedürfnissen entsprochen werden kann.
Lebenswelt
Alle Menschen nehmen ihre Welt primär aus der subjektiven Warte der „Lebenserfahrung“ heraus wahr. Diese Sensibilisierung ist eine Grundvoraussetzung für erfolgreiche Elternarbeit.
Ressourcenorientierung
Lehrer docken an die Stärken der Eltern an und helfen, die Chancen zur Selbstverwirklichung zu erhöhen.
Positive Psychologie
Die Lehrer ermutigen die Eltern ausdrücklich, mehr von dem zu tun, was gute Gefühle macht und gut läuft.
Eltern sind natürliche Erzieher und Lehrer ihrer Kinder!
Die Elternbildung ist entscheidend für den Schulerfolg der Kinder!
Deshalb: Eltern-Empowerment
Bildungsferne Eltern befähigen, Bildungschancen zu ergreifen z.B.Lese-, Schreib-und Rechnen-Fähigkeiten der Eltern verbessern, damit sie ihre Kinder besser fördern können.
Positive Beispiele:
Penn Green Center - Early Excellence Center
Family help for School Success
Erziehungspartnerschaft statt Elternarbeit
Was ist ELTERN-AG?
ELTERN-AG
ist ein Präventionsprogramm zur Steigerung elterlicher Erziehungskompetenzen im Bereich
früher Erziehung und Bildung
Was ist ELTERN-AG?
ELTERN-AG ist
• ein selektives Programm der primären Prävention
• zur Steigerung der Erziehungskompetenz
• für sozial benachteiligte Eltern sowie Migranten
• von der Schwangerschaft bis in die Schule
ELTERN-AG
• baut auf dem Erfahrungsaustausch von Eltern in der Gruppe auf
• ermöglicht das Kennenlernen von Einrichtungen der Frühpädagogik
• erleichtert die Gestaltung von Übergängen (Familie, KiTa, Grundschule)
Schwangerschaft/Geburtsvorbereitung
Geburt
Säuglingsalter
Kleinkind/Krippe
Kindertagesstätte
Gundschule
Sekundarstufe
Elternarbeit – idealtypisch: Von der Schwangerschaft bis in die Sekundarstufe
Ziele der Elternarbeit
1. Vorbereitung auf Elternschaft, Vermitt-lung von Grundfertigkeiten und –wissen
2. Verbesserung der Erziehungskompeten-zen (Erziehungsfertigkeiten, -wissen)
3. Schulung von sozialen Kompetenzen, gegenseitige Unterstützung
4. Kooperation mit Einrichtungen der Frühpädagogik
5. Gestaltung der Übergänge von KiTa in die Grundschule; von der Grundschule in die Sekundarstufe
Alterszeitraum 0 – 10 Jahre
Jöckel, K.-H., Babitsch, B. Bellach, B.-M., Bloomfield, K., Hoffmeyer-Zlotnik, J., Winkler, J. & Wolf, C., (2003). Messung und Quantifizierung soziographischer Merkmale in epidemiologischen Studien . Arbeitsgruppe Epidemiologische Methoden.
Kriterien zur Auswahl der Eltern: bildungsfern, sozial benachteiligt oder Migrationshintergrund
Schulbildung
Berufliche Bildung
Migrationshintergrund
Finanzielle Lage/Armut
Arbeitslosigkeit/Unterstützung zum Lebensunterhalt
Körperlich-seelische Beeinträchtigung oder Krankheit
Schulabschluss a) Schule beendet ohne Hauptschulabschluss
b) Hauptschulabschluss bzw. POS 8. oder 9. Klasse
Ausbildungsabschluss a) Keinen beruflichen Abschluss und nicht in beruflicher Ausbildung
b) In beruflicher Ausbildung (Auszubildende[r] )
MigrationshintergrundAus einem anderen Land mit schwierigen sozioökonomischen und politischen
Verhältnissen nach Deutschland gekommen, mit einer anderen Muttersprache
aufgewachsen und Eltern mit einfachem Bildungsabschluss?
Hilfe zum LebensunterhaltHilfe zum Lebensunterhalt (Sozialhilfe, Arbeitslosenunterstützung; seit mehr als 12
Monaten) und keine finanzielle Unterstützung von Angehörigen oder Bekannten?
Chronische gesundheitliche Probleme
Seit längerem schwerwiegende Krankheit oder Abhängigkeit, welche im
Lebensstandard und beruflichen Weiterkommen beeinträchtigen?
Kriterienkatalog zur Auswahl der Klienten für die ELTERN-AG
Gespräche mit Multiplikatoren vor Ort• Zentrale Treffpunkte z.B. KiTa, Krippe (Gespräche mit Leiterinnen, Erzieherinnen etc.)• Aufsuchen von Multiplikatoren im Stadtteil (z.B. Kinderärzte, Hebammen, Streetworker)• Die zwei Gretchenfragen: 1) Wo finden wir „unsere“ Eltern? 2) Wie können wir „unsere“ Eltern am besten ansprechen? (bei Beachtung des Vertrauensschutzes!)
Akquisition der Eltern• Aktionen und Events, z.B. Kinderkleiderbasar, AG-Café, Spielplatz-Clown • Persönliche Ansprache und aufsuchende Werbung• ELTERN-AG als Gewinn: „Die Teilnahme bringt mir mehr Vorteile als die Nicht-Teilnahme“ (Klientenperspektive, Kosten-Nutzen-Rechnung)
Wie werden die Eltern niedrigschwellig erreicht?
Vorlaufphase:ca. 4 – 6 Wochen (aufsuchend, Geh-Struktur)- Gespräche mit Multiplikatoren vor Ort- Akquisition der Eltern
Initialphase:Bausteine Sitzung 1 – 10 jeweils mit Wissens-, Stressmanagement- und Kommunikationsteil- Info-Teil („Schlaue Eltern“, 10´ Vortrag, 20´ Diskussion)- Stressbewältigung („Relax“, 30´ Stressregulierung & Entspannung)- ELTERN-AG („Mein aufregender Erziehungsalltag in der letzten Woche“, 30´ Gruppengespräch & Aktion)
Konsolidierungsphase:Bausteine Sitzung 11 – 20s.o. und Verselbständigung, Förderung von Kooperationen mit KiTa und Schule
Ablauf der ELTERN-AG
Die Eckpunkte der ELTERN-AG:
Frühe Kindheit: Von der Schwangerschaft bis zum Schuleintritt
Kompetente Kinder: „Selbstregulierung durch Schaffen von förderlichen Bedingungen“
Intuitive Erziehungsfähigkeit: „ Eltern sind die geborenen Erzieher“
Entinstitutionalisierte Hilfe - Verzicht auf „Experten“: MentorInnen als
Begleiter auf gleicher Augenhöhe Gender-Orientierung: Sensibilisierung der Mütter- und Väterrolle (Männer und Frauen als MentorInnen) Wissenschaftlicher Ansatz: theoretische hergeleitete Konzeption (Neurowissenschaften, Entwicklungspsychologie, Pädagogik; Evidenzbasierung)
Prinzip: Gleiche Augenhöhe• Arbeiten mit Eltern als Klienten und Experten der eigenen Kinder • Ermutigung zur Selbsthilfe durch spezifische Moderationstechniken • Empowerment als ideelle Grundlage und Technik
Prinzip: Qualifizierte Zusatzausbildung für MentorInnen• Eingangsbedingung: Abgeschlossene akademische Ausbildung z.B.
in Sozialpädagogik oder vertiefte pädagogische Berufserfahrung• Fähigkeit zur Aneignung der spezifischen ELTERN-AG-Haltung • Durchlaufen der ELTERN-AG-Zusatzausbildung „Frühe Bildung und
Erziehung“mit begleiteter und supervidierter Praxisphase;
Abschlusskolloquium, Zertifkat (Ausbildungsdauer: 9 Monate)
ELTERN-AG- Prinzipielles
Die sechs grundsätzlichen Erziehungsregeln der ELTERN-AG
Respekt vor dem Kind
Förderung und Ansprechbarkeit
Grenzen-Setzen und Konsequenz
Verstärkung des erwünschten Verhaltens und Ignorieren des
unerwünschten Verhaltens
Konstruktives Austragen von Konflikten
Gewaltfreie Erziehung
Methodik der ELTERN-AG
Stringente Ausrichtung an Klientenbedürfnissen, d.h. „Orientierung an den vier Grundbedürfnissen!“ (Kontrolle, Lust/Unlust, Bindung, Selbstwerterhöhung)
Förderung der Konsistenz, d.h. „Ermöglichen von Kompetenzerfahrung und Wohlbefinden!“
Lernen erfolgt implizit, d.h. „Handlungsorientierte Auseinandersetzung mit alltäglichen Problemen“
Umsetzung in der ELTERN-AG
Empowerment-Ansatz, d.h. „Selbstermächtigung durch eigenes Tun!“
Ressourcenorientierung, d.h. „Nur was im System vorhanden ist, kann von ihm genutzt werden!“
Homogene Gruppe als Medium/Gleiche Augenhöhe, d.h. „ Lernen und die Interaktion werden nicht durch Beschämung, Frustration, Unlust und Kontrollverlust behindert!“
Theorietransfer
Spaß am Lernen – auch für sozial benachteiligte Menschen
Lernen muss so konzipiert sein, dass es
a) der Befriedigung der Grundbedürfnisse dient;
b) thematisch an unmittelbar relevanten
Problemlagen ansetzt;
c) einen schützenden Rahmen bietet und zu neuen
Erfahrungen ermutigt.
Implizites Lernen ist für misserfolgsmotivierte Menschen ein geeigneter Weg, um über Erhöhung von Selbstwert und Selbstvertrauen eine neue Lernmotivation zu entwickeln!
Vier grundlegende menschliche Bedürfnisse
ein Bedürfnis nach Bindung
ein Bedürfnis nach Kontrolle
ein Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung
ein Bedürfnis nach Lust
Diese Bedürfnisse müssen befriedigt werden, damit Menschen
alltägliche Anforderungen erfolgreich meistern können!
adaptiert nach Grawe, 2004
Rollenbilder: Erzieherinnen und Lehrer
entweder
- traditionelle Pädagogen,
- Fach-Spezialisten,
- Instrukteure,
- „Selektionshelfer“
oder
Sozialpädagogen,
Freunde der Schüler,
Animateure,
Facilitatoren,
Coaches,
Moderatoren,
Mediatoren,
Navigatoren
Forschung in der ELTERN-AG?
Forschung:Das Theoriemodell der wissenschaftlichen Begleitforschung
Persönlichkeit der Eltern
Erziehung
ELTERN-AG
Soziodemographische Kontextuelle- und Stressfaktoren
Partnerschaftliche Beziehung
Entwicklung der Kinder
Heidelberger Sprachentwicklungstest (H-S-E-T) von Grimm und Schröler
Sprachentwicklung der Kinder
Entwicklungstest zur Feststellung des Entwicklungsstandes der Kinder
Entwicklungstest für Kinder im Alter von 6 Monaten bis 6 Jahr (ET 6-6) von Petermann und Stein
Erfasste Dimensionen: Körpermotorik Handmotorik soziale Entwicklung emotionale Entwicklung kognitive Entwicklung Sprachentwicklung (eingeschränkt)
Forschung
April 2004 – Dezember 2005 > 20 ELTERN-AG-Gruppen mit > 150 Eltern (homogene Gruppen) mit ca. 290 Kinder erreicht > 40 MentorInnen mit neunmonatiger Zusatzausbildung Landesweites Familienfest (160 Eltern, 240 Kinder)
bis Ende 2006• Flächendeckender Angebotsausbau in Sachsen- Anhalt soll abgeschlossen sein
• ELTERN-AG als „ Produkt-Paket“, Kaufangebot an Jugendämter, Kitas und Beratungsstellen (§ 16 KJHG Familienbildung; Krankenkassen)
Leistungsbilanz ELTERN-AG
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!