FABRIK RUND BRIEF - fabrik- · PDF fileFABRIK RUND BRIEF Jugend-Schreibwettbewerb...
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No. 51 | Winter 2011/2012
Literaturhaus Freiburg
Stockt die FABRIK das Vorderhaus für ein Literaturhaus Freiburg auf?
Kommt die Energiewende?
Ein Gespräch mit den Schönauer Stromrebellen zum Atomausstieg
FABRIK RUND BRIEF
Jugend-Schreibwettbewerb
Preisverleihung undSiegergeschichte
Herausgeber
FABRIK für Handwerk, Kultur und Ökologie e.V.Habsburgerstraße 979104 FreiburgTel. +49 (0)761.50365-30eMail: [email protected]: www.fabrik-freiburg.de
Redaktion
Joachim Herb, Regina Leonhart, Ute Lingg, Dietrich Roeschmann, Hans Schmid, Martin Wiedemann
Fotos & Illustrationen
AMICA (S. 5), BAGAGE (6, 23), Michael Bamberger (21), Marc Doradzillo (4), tilla eulenspiegel/photocase.com (28),EWS Schönau (19), Bernd Joerger (25, 26, 31), Swen Osterloh (1, 2, 8-10), Hans Schmid (16), Martin Wiedemann (14/15), Telemach Wiesinger (13), übrige: FABRIK-Archiv
Satz & Layout
Regina Leonhart, Hans Schmid
Druck
schwarz auf weiss
Papier
100% Recycling
Auflage
2500 Exemplare
Erscheinungsweise
halbjährlich (in der Regel Juli & Dezember)
Impressum
Titel: Vorplanungsskizze für die Aufstockung des Vorderhauses (Ausschnitt)
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Inhalt
im Gespräch mit den Schönauer Stromrebellen fiel der auf Hans-Peter Villis, Vorstandschef der EnBW, gemünzte Satz „Leider hat er ein Problem: es glaubt ihm keiner.“ Noch vor Erscheinen dieses Rundbriefes hatte Hans-Peter Villis ein weiteres Problem: er wird nicht Vorstand der EnBW bleiben ... Mehr zum notwendigen Umbau eines Atomstrom-Konzerns und zu anderen Aspek-ten der Energiewende im Gespräch mit Ursula und Michael Sladek.
Eine weitere offene Frage, die uns in der FABRIK umtreibt, ist das kommende Literaturhaus Freiburg. Kommen wird es, nur wohin ist unklar. Wir haben uns als Standort ins Gespräch gebracht, genauso wie es auch die Brauerei Ganter und die Universität Freiburg getan haben. Unsere Argumente und Pläne stellen wir in diesem Rundbrief ausführlich dar.
Sollte das Literaturhaus Freiburg in die FABRIK kommen, dann wird ein gutes Jahr 2011 getoppt von einem sehr guten Jahr 2012! Und sollten wir auch noch unsere Ziele in Sachen „Förderkreis Vorderhaus - Kultur in der FABRIK“ erreichen, dann haben wir richtig viel geschafft.
Drei große, ernsthafte Themen also in diesem Heft, darüber sollen aber kleinere und größere Nachrichten aus der FABRIK nicht zu kurz kommen. Und schon gar nicht die schöne Siegergeschichte aus dem Schreibwettbewerb für Jugendliche.
Für 2012 wünschen wir unseren Leserinnen und Leser das Allerbeste
die Rundbrief-Redaktion
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
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FABRIK-Rundbrief | Winter 2011/2012
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03 | Editorial
04 | NachrichtenGlückwunsch ans EWERK | Demo gegen Rechts-radikale | AMICA mit neuem Projekt | FABRIK- Jahresspenden | PSD hilft friga | Abschied von pass-wort |
08 | Baut die FABRIK das Literaturhaus Freiburg?Auf dem Vorderhaus könnte eine schöne Etage für die Literatur entstehen
11 | Macht Kleinkunst groß!Im Januar startet der Förderkreis für das Vorderhaus eine neue Mitgliederkampagne
14 | Ein Abschied ohne TränenBye, Bye, Pope - der Papst war in Freiburg
16 | Die Energiewende gelingt nur mit dezentralen StrukturenEin Gespräch mit Ursula und Michael Sladekvon den Elektrizitätswerken Schönau
21 | Polt und die Biermösl Blosn ...... zum letzten Mal gemeinsam in Freiburg auf der Bühne
22 | LandesförderungBaden-Württemberg erhöht die Zuschüsse für die Soziokulturellen Zentren im Land
24 | Geht‘s noch?!Preisverleihung des 9. Jugend-Schreibwettbewerbs
26 | 2. KlasseDie Siegergeschichte des Schreibwettbewerbs von Adriana Fellner
30 | Was bringt uns 2012 steuerlich?Eine Kolumne von Axel Pätz
31 | Adressen & Kontakte
Für den 22. Oktober 2011 hatten Neonazis unter dem Namen „Freie Kame-radschaften“ in Emmendingen einen Marsch angemeldet.
Am 22.10.1940 wurden in Emmendingen und anderen Städten Südba-dens alle Juden abgeholt und nach Südfrankreich deportiert. In den folgenden Wochen starben allein aufgrund der katastrophalen Verhältnisse in den Lagern 150 Menschen. Wegen dieses Datums verbot die Stadt Emmendingen den Aufmarsch der Neonazis und hatte bei einer Gegendemo sofort ein Riesen-bündnis auf ihrer Seite; mittendrin: der Motorradclub „Kuhle Wampe“ aus Freiburg. Der Marktplatz war gut gefüllt mit Infoständen von linken Gruppen und bürgerlichen Parteien.
Neonazis ließen sich während der Gegendemo kaum noch blicken. Dafür umso mehr die Polizei, die zunächst noch nicht einmal ein Moped zur Aus-schmückung des „Kuhle Wampe“- Standes durchlassen wollte. Die Polizei teilte mit, sie sei zum Schutz anwesend. Merkwürdigerweise fanden sich aber keine Polizisten vor der jüdischen Synagoge ein, als auf dem Vorplatz Rosen zur Erinnerung an die deportierten Juden ausgelegt wurden.
Die Mitglieder des MC „Kuhle Wampe“ durften schließlich „unter dem Schutz“ von sieben Hundertschaften ihr Vorhaben durchführen. Gegen Ende der Kundgebung bewegte sich noch ein Zug von Antifaschisten zu dem Platz, den die Neonazis ursprünglich für ihren Aufmarsch vorgesehen hatten. Und hier wurde jedem Betrachter klar, dass das Argument mit dem Polizeischutz eher fadenscheinig war. So wurden die Antifaschisten eng begleitet, schikanös umzingelt und behindert sowie mit Auflagen belegt. Rund 50 von ihnen wurde im Vorhinein ohnehin ein Platzverweis erteilt.
Der MC „Kuhle Wampe“ verteilte an seinem Stand zahlreiche Antifa-Flyer und seine Clubzeitung „Megaphon“. In den Gesprächen mit neu gewonnenen Fördermitgliedern und interessierten Passanten fielen Sätze wie „Euch gibt’s ja auch noch“ bis zu „Auf Euch kann man sich wenigstens verlassen.“
Anfang November wurde das EWERK Freiburg nach
16 Monaten Umbauzeit mit einem großen Festakt
wiedereröffnet - liebe Kolleginnen und Kollegen,
Eure Freude über das Ende der Baustelle und den
gelungenen Umbau war deutlich spürbar.
Die Gaststätte neu und endlich vom Theaterfoyer
aus erreichbar, ein schicker Aufzug, neue Toiletten
und der Brandschutz auf dem Stand der Technik.
Kein täglich sich erneuernder Staub mehr auf den
Computertastaturen, keine kreischenden Bohrer
mehr im Ohr und alle Scheinwerfer wieder an Ort
und Stelle. Und Euer Haus hat jetzt viel mehr offene
Türen als vor dem Umbau. Das fördert die Neugier
und Neugier ist nie fehl an einem Platz voller Kunst
und Kultur. Die Baustelle habt Ihr tapfer hinter Euch
gebracht, das härtet ab für den alltäglichen Veran-
staltungsbetrieb.
Wir wünschen Euch im runderneuerten Haus volle
Säle, gelungene Veranstaltungen, Durchhaltever-
mögen und vor allem das, was alle auf, hinter und
über der Bühne brauchen: Stressresistenz!
Alles Gute!
Demo gegen Rechtsradikale in EMDer Motorradclub Kuhle Wampe war mit einem Infostand dabei
Glückwunsch ans EWERKSechzehn lange Monate sind vorbei
Mit dem Club-Logo vorneweg: die Kuhle Wampe auf dem Marktplatz in EmmendingenDie Wiedereröffnung wurde zur „Langen Kulturnacht“
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FABRIK-Rundbrief | Winter 2011/2012 Nachrichten
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Nachrichten FABRIK-Rundbrief | Winter 2011/2012
Die FABRIK ist in diesem Jahr Stiftungsmitglied bei
der „Initiative zur Gründung der Stiftung 100 e.V.“
geworden. Mit den gestifteten 1.000 Euro ist die
FABRIK bereits das 57. Mitglied der Entwicklungs-
hilfeorganisation, die in Bangladesh und Nepal
Selbsthilfeprojekte unterstützt, in denen sich vor-
wiegend Frauen engagieren, um nachhaltig für die
Befriedigung der elementarsten Grundbedürfnisse
wie Nahrung, Bildung, Wohnung und Gesundheit zu
sorgen. Ausführlicher berichtet haben wir über die
„Stiftung 100“ bereits im Rundbrief Nr. 48
vom Sommer 2010.
Weitere 1.000 Euro spendete die FABRIK dem
„netzwerkB“, einer Selbstorganisation von Opfern
sexualisierter Gewalt, die eine Interessenvertretung
Betroffener bildet und ihnen eine Stimme gibt.
„netzwerkB“ hilft den Opfern bei der Aufarbeitung
des erlittenen Unrechts und bei der Durchsetzung
ihrer Ansprüche auf Hilfe und Schmerzensgeld. Der
Sprecher des 2010 gegründeten Vereins, Norbert
Denef, gilt als das erste Missbrauchsopfer, das
sich in Deutschland von der römisch-katholischen
Kirche eine Entschädigung erstreiten konnte.
Neben der Aufarbeitung von Missbrauch in
gesellschaftlichen Organisationen wie Kirchen,
Heimen, Schulen und Internaten, aber auch in den
Familien, hat die Prävention für „netzwerkB“ einen
hohen Stellenwert.
FABRIK-JahresspendenGeld für gute und wichtige Zwecke
AMICA startet neues ProjektMehr Rechte und Sicherheit für Frauen in Krisenregionen
Seit über achtzehn Jahren betreut die Freiburger Hilfsorganisation AMICA e.V. Frauen und Mädchen, die an Kriegstraumata leiden und begleitet sie bei der Bewältigung ihrer Erlebnisse. Das Ende des Kriegs bedeutet jedoch nicht das Ende der Gewalt. Mitarbeiterinnen in den AMICA-Projekten verzeichnen einen massiven Anstieg von häuslicher Gewalt und sexuellen Übergriffen. Da-her startete in diesem Jahr ein innovatives Projekt zum Schutz der Betroffenen.
Immer wieder hören die Psychologinnen, Gynäkologinnen und Sozial-arbeiterinnen in den AMICA-Projekten in Bosnien-Herzegowina, dem Kosovo und in Palästina Berichte von Klientinnen, die Gewalt im sozialen Nahbereich erlebt haben. Oft stehen die Täter den Opfern sehr nah und haben selbst mas-sive Gewalterlebnisse durchlitten. Schutz und Beratung für die Betroffenen gibt es kaum, ihr Leiden wird tabuisiert und totgeschwiegen. Sich gegen die Misshandlungen zu wehren kostet die Frauen sehr viel Mut, zumal oft ökono-mische Abhängigkeiten bestehen.
Deshalb setzen AMICA und ihre Partnerorganisationen auf eine Doppel-strategie: psychosoziale Beratung und Begleitung für die Betroffenen sowie Arbeit mit den Tätern, um Verhaltensmuster und Rollenbilder nachhaltig zu verändern. Zum Programm gehören Therapiesitzungen, Einzelgespräche, Selbsthilfegruppen, Seminare, Hausbesuche und SOS-Telefone. Vorgesehen sind außerdem Schulungen zur Sensibilisierung und Früherkennung von Gewalt für Zielgruppen, die mit Opfern in Kontakt kommen.
Das Projekt wird vom Bundesministerium für Entwicklung und Zusam-menarbeit unterstützt. AMICA bringt einen hohen finanziellen Eigenanteil ein und bittet deshalb um Spenden. Das Geld wird u.a. verwendet für die Vernetzungstreffen von Fachkräften, die therapeutische Arbeit mit Tätern, die Gehälter des Fachpersonals vor Ort sowie für die regelmäßigen Treffen der Selbsthilfegruppen.
Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Palästina, ...
Spendenkonto:
Volksbank Freiburg Konto 2 100 100 BLZ 680 900 00➔ www.stiftung100.de
www.netzwerkb.org➔
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FABRIK-Rundbrief | Winter 2011/2012 Nachrichten
Die friga-Sozialberatung hat im Rahmen der Spendenvergabe von „psd...hilft“ im Oktober 3.000 € als finanzielle Unterstüt-zung für ihre Beratungsarbeit erhalten.
Dieses Jahr wurde die friga zuneh-mend von Menschen aufgesucht, die sich in Burnout-Prozessen befinden. Bei der Beratung dieser Menschen geht es in erster Linie um den Erhalt des Arbeitsplatzes, die Inanspruchnahme von gesundheitlichen Maßnahmen, sowie um Möglichkeiten der Neuorientierung und die dafür angebotene Unterstützung von öffentlicher Seite.
Mit ihrer Spende fördert die PSD Bank dankenswerterweise nun schon zum zwei-ten Mal die Beratungsarbeit der friga.
BAGAGE erweitert Räume und ProgrammSeit September ist im Hinterhaus noch mehr geboten
Wo bis Juli noch Papyrus und NABU arbeiteten, entspannen sich jetzt Kursteilnehmerinnen in den Pausen
Seit nunmehr zwanzig Jahren bietet die Pädagogische Ideenwerkstatt BAGAGE auf zwei
Stockwerken des Hinterhauses Seminare und Weiterbildungen für MitarbeiterInnen in Kin-
dertageseinrichtungen, Kinderkrippen und Schülerhorten an. Ein zentrales Element ihrer
Fortbildungsarbeit ist für BAGAGE die bewusste Gestaltung der Seminarräume, die in ihrer
Ausstattung und Atmosphäre von der Idee einer „neuen Kultur des Lernens“ geprägt sind.
So entstanden Räume, die je nach Bedarf Seminarraum oder Werkstatt sind, Laborato-
rium oder Klausurraum, Atelier oder Spielort. Individuell zugeschnittene Erfahrungsräume
in denen mit Kopf, Herz und Hand gearbeitet, geforscht und fantasiert werden kann.
Mit diesem Konzept einer erfahrungsorientierten Lernwerkstatt wuchs in den letzten
Jahren die Zahl der Besucher stetig an, während BAGAGE immer mehr an die Grenzen der
räumlichen Möglichkeiten stieß.
Die diesjährige Sommerpause wurde daher genutzt, um - auch im Hinblick auf das anste-
hende Vereinsjubiläum - ein zukunftsfähiges Raumkonzept zu verwirklichen.
Mit viel Engagement und Leidenschaft entstanden:
• zwei neue helle Büros
• Platz für die umfangreichen Archive
• ein separater Raum für Kopier- und Bindearbeiten
• ein repräsentativer Eingangsbereich mit Informationstheke für die Besucher
• zwei getrennte, multifunktional gestaltbare Seminarräume
• eine großzügige Cafeteria mit Wohlfühlatmosphäre
Viele fleißige Hände arbeiteten in der knappen Sommerpause, um die Räume pünktlich
zum Start der Seminare im September fertigzustellen. Wände wurden eingerissen und
versetzt. Das ehemalige Büro wurde zusammen mit dem alten Raum zu einem größeren,
mit Medien und Präsentationsflächen ausgestatteten Seminarraum ausgebaut. Im ehe-
maligen NABU-Büro entstand ein völlig neuer Aufenthaltsraum mit Sitzgelegenheiten,
Kronleuchter, Sofaecke und einer großen Kaffeetheke. Auch das Büro platzt jetzt nicht
mehr aus allen Nähten: in den neuen Räumlichkeiten gibt es für die vier MitarbeiterInnen
optimale Arbeitsbedingungen. Danke an alle am Umbau Beteiligten!
Die ersten Reaktionen der SeminarteilnehmerInnen und Besucher waren äußerst positiv
und BAGAGE freut sich natürlich, dass das Konzept aufzugehen scheint.
„psd ... hilft“ der friga3.000 € für Burnout-Beratung
Scheckübergabe in der PSD Bank
Neue Adresse:
Nicole Stange-Egert
Skagerrakstraße 1
79100 Freiburg
Tel.: 0761/292532-0
www.pass-wort.eu
➔
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Nachrichten FABRIK-Rundbrief | Winter 2011/2012
Vermissen werde ich es auch, wenn bei meinen Wochenend- oder
Nachtschichten unter meinem Fenster keine Biergartenstimmung
und kein Gigs-für-Kids-Trubel mehr herrschen wird.
Auch bei den Leuten vom Haus- und Kulturbüro möchte ich mich
bedanken – danke an Hans, Martin, Joachim, Annette, Gina, Ute,
Karin, Dieter, Jogi und Alf für viele nette Plaudereien, aber auch
für eure Offenheit für Fragen, eure Hilfsbereitschaft und eure
Kooperativität.
Und Thomas von saw darf sich über meinen Abschied auch ein
kleines bisschen freuen: Weil ich umziehe, werde ich bald neue
Visitenkarten und Kurzbriefe brauchen ;-)
Ein richtiger Einstand ist bei meinem Einzug leider im Zeitman-
gel und allgemeinen Chaos untergegangen, aber einen kleinen
Ausstand wird es Ende Februar auf jeden Fall geben – wo und
wie genau, muss ich mir noch überlegen.
Macht‘s gut, man sieht sich!
Nicole
pass-wort
Übersetzungen für Medien, Kultur & Wissenschaft
„Kurzes Gastspiel“Nicole Stange verabschiedet sich mit ihrem Übersetzungsbüro von der FABRIK - ein Brief zum Abschied
Nicole Stange wird mit „pass-wort“ in neue Räumlichkeiten ziehen
Ein paar haben es vielleicht schon mitbekommen: Nach nicht mal
ganz zwei Jahren im Vorderhaus der FABRIK habe ich beschlos-
sen, mich in Zukunft mit ein paar Übersetzerkolleginnen in einer
Bürogemeinschaft zusammenzutun und mein Vorderhausbüro
Ende Februar 2012 zu verlassen.
Das hat vor allem handfeste praktische Gründe, weil sich meine
berufliche Realität in Zukunft ändern muss: Wie sich gezeigt hat,
ist kulturell und politisch anspruchsvolles, kritisches Fernsehen
auf lange Sicht wohl doch ein Auslaufmodell, und ich kann und will
meine Arbeit nicht zu Dumpingpreisen verkaufen oder noch mehr
ranklotzen, um davon leben zu können. Deshalb werde ich meine
Fühler in Zukunft wieder stärker in Richtung Medizin, Forschung
und Wissenschaft ausstrecken, und dazu ist es gut, mehrere
Sprachkombinationen und Kompetenzen unter einem Dach zu
vereinen.
Ich gehe mit einem lachenden und einem weinenden Auge, weil
ich die bunte, lebendige Atmosphäre in der FABRIK von Anfang an
sehr gemocht habe, schon zu „Nur-Kita-Zeiten“. So abwechslungs-
reich und vielfältig wird es in Zukunft sicher nicht. Besonders die
Vorderhäusler sind mir natürlich ans Herz gewachsen: Friga-Tor-
sten, der meine (nicht vorhandenen) Spezialkenntnisse in Englisch
mit seinen Pubquiz-Fragen immer mal wieder strapaziert hat, die
Mädels von Amica, meine unmittelbaren Nachbarinnen, Herbert
von der Kinderhausini und natürlich Christian und seine Crew
von der Vorderhausgaststätte – eure Gastfreundschaft habe ich
zwar selten genug in Anspruch genommen, aber die zahlreichen
Rettungsaktionen, wenn ich mal wieder meinen elektronischen
Schlüssel nicht dabei oder irgendwie falsch bedient hatte, werde
ich nicht so schnell vergessen, danke .
[pass ► wort]
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FABRIK-Rundbrief | Winter 2011/2012 Literaturhaus Freiburg
Das Literaturbüro Freiburg ist Anlaufstelle für Literaturschaffende und Literaturinter-
essierte in Freiburg und der Region. Es wird getragen vom Literatur Forum Südwest,
einem gemeinnützigen Verein, der 1988 von Autorinnen und Autoren zur Förderung des
literarischen Lebens gegründet wurde. Schon bald wurden auch literarische Übersetzerinnen
und Übersetzer aufgenommen, die dem Verein seither ein besonderes Profil verleihen. Heute
steht er allen offen, die sich für die Förderung und Vermittlung von Literatur einsetzen. Zu
den Schwerpunktaufgaben gehören Literaturvermittlung, Beratung und Information, die
Förderung von Autoren und Übersetzern sowie der Jugend. Das Augenmerk liegt auf regio-
naler, überregionaler und internationaler Gegenwartsliteratur. Die Veranstaltungsformate
sind dabei vielfältig und spartenübergreifend.
Das Literaturbüro Freiburg arbeitet seit Jahren konstant gut und erfolgreich. Was die Arbeit
erschwert sind die beengten Räumlichkeiten im Alten Wiehrebahnhof. Zu kleine Bürofläche,
zu wenig Platz für Lesungen oder Seminare. Vor gut einem Jahr haben Gemeinderat und
Verwaltung signalisiert, dass der nächste Entwicklungsschritt, ein Literaturhaus für Freiburg,
wünschenswert und denkbar ist.
Nachdem die erste Idee, ein Anbau am Stadttheater, aus Finanzierungsgründen nicht weiter
verfolgt wurde, hat in unseren Köpfen Nachdenken eingesetzt - arbeiten wir in der FABRIK
doch schon seit Jahren gut mit dem Literaturbüro zusammen. Nicht nur die Zusammenarbeit
von Literaturbüro und Vorderhaus beim Schreibwettbewerb für Kinder und Jugendliche hat
eine inzwischen neunjährige Tradition. Die Lesereihe „unter sternen“, die Vorleser-Nacht
zum Jahresende, die Mitarbeit im Rahmen der „stories“ oder beim nächsten „Lirum Larum
Baut die FABRIK das Literaturhaus Freiburg?
Eingang des Vorderhauses, links der Saal, rechts der Biergarten
�
Literaturhaus Freiburg FABRIK-Rundbrief | Winter 2011/2012
Lesefestival“ - Lesen und Vorlesen haben schon immer einen
festen Platz im Veranstaltungsprogramm des Vorderhauses und
bei den gigs für kids.
Der Gedanke, diese Zusammenarbeit auch räumlich zu ver-
tiefen, liegt daher nahe. Die Standortsuche für das Literatur-
haus muss sowohl unter kulturellen wie unter Gesichtspunkten
der Stadtentwicklung gesehen werden. Eine Kultureinrich-
tung in einem innenstadtnahen Stadtteil mit einer gut entwik-
kelten Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr
– da kommt man schnell auf den Gedanken FABRIK. Das Lite-
raturhaus hier an der Nahtstelle von Herdern und Zähringen
würde die Stadtteile nördlich der Innenstadt sicherlich stärken.
So haben wir im Frühjahr das Gespräch mit dem Trägerverein
des Literaturbüros gesucht, die grundsätzliche Bereitschaft
ausgelotet und dann unserem Architekten den Auftrag zur Vor-
planung unter Berücksichtigung der Erfordernisse des Litera-
turbüros erteilt. Dazu gehören natürlich Büroräume, aber auch
flexible Räume für geschlossene und öffentliche Veranstaltun-
gen, Lagerflächen und der barrierefreie Zugang. Den Wunsch
nach einem Veranstaltungssaal für größere Lesungen können
wir mit dem Saal des „Vorderhaus – Kultur in der FABRIK“ ab-
decken. Herausgekommen ist ein architektonisch und ästhe-
tisch gelungener Entwurf zur Aufstockung des Vorderhauses.
Vorplanung und erste Kostenberechnungen haben wir inzwischen
der Stadtverwaltung und interessierten Gemeinderäten sowie dem
Kultur- und dem Oberbürgermeister vorgestellt.
Die FABRIK mit ihren vielfältigen Bildungs- und Kulturangeboten
ist für das Literaturbüro ein bestens geeigneter Standort, um als
Literaturhaus selbstbewusst nach außen aufzutreten, sich in ein
geistig offenes und interessiertes Umfeld zu stellen. Kommen doch
allein ins Programm des „Vorderhaus“ jährlich 30 000 Besucher,
die Kursangebote werden von weiteren 20 000 Teilnehmern wahr-
genommen.
200 000 Besuche verzeichnen wir im Jahr und bekommen immer
wieder Rückmeldungen, die die besondere Atmosphäre in der FA-
BRIK loben. Eine Atmosphäre, die aus der guten Zusammenarbeit
aller auf dem Gelände entsteht. Synergien, die nicht nur intern wir-
ken, sondern auch für Menschen von außerhalb spürbar und erleb-
bar sind und sich in vielen Bereichen zeigen. Nicht zuletzt bei einem
der zentralen öffentlichen Orte, der Gastronomie des Vorderhaus.
Nach ersten Berechnungen entstehen rund 650 000 Euro Kosten.
Seitenansicht des Vorderhauses, vom Biergarten aus betrachtet
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FABRIK-Rundbrief | Winter 2011/2012 Literaturhaus Freiburg
Sollte das Literaturhaus in die FABRIK einziehen, können wir die Baukosten
finanzieren und schließen mit dem Literaturbüro einen langfristigen Mietver-
trag ab. Die Stadt muss bei diesem Modell finanziell nicht in Vorleistung treten.
Natürlich sind aber auch andere Modelle denk- und diskutierbar.
Und, in aller Bescheidenheit, wir halten den Entwurf unseres Architekten Swen
Osterloh ästhetisch und funktional für sehr gelungen. Der Veranstaltungsraum
des Literaturhauses liegt offen zum Vorderhof hin, hier kann das Haus seine
Aktivitäten gut sichtbar machen, seine Präsenz zeigen und in die Öffentlich-
keit ausstrahlen, als eine ganz eigenständige Institution auf dem Gelände der
FABRIK.
Die bauliche Offenheit ist ein inhaltlicher Aspekt der Architektur. Auf das Back-
steingebäude eine lichte, moderne Struktur zu setzen, überzeugt auch formal.
Können wir unsere Pläne umsetzen, findet sich auf dem Dach eine neue Photo-
voltaik-Anlage, die dem Klimaschutz hilft. Und eine Sonnenterrasse für alle die
arbeitsamen und kreativen Menschen auf unserem Gelände!
So könnte der Grundriss des Literatur-haus Freiburg aussehen:
Drei helle Büros
Ein kleines Foyer mit Teeküche für Begegnungen und Kommunikation im Arbeitsalltag und für Veranstaltungen eine kleine Pausengastronomie. Zusätzlich eine eigene kleine Toilettenanlage.
Zwei größere Räume für Seminare und Schreibwerkstätten, die zusammen-gelegt werden können und dann Platz für Lesungen mit rund 120 Gästen bieten, dazu die Funktionen Garderobe und Stuhllager.
Von fast allen Räumen aus öffnet sich ein schmaler Balkon zur Westseite.
Erschlossen wird das 2. OG mit einem Aufzug und über die außenliegende Freitreppe über dem Vorderhaus-Dach an der Mitte der Ostfassade. Mit dieser Treppe sind auch Dachterrasse und Photovoltaik-Anlage erreichbar.
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Förderkreis-Kampagne FABRIK-Rundbrief | Winter 2011/2012
Der Förderkreis Vorderhaus – Kultur in der FABRIK startet im Januar 2012 eine
Mitgliederkampagne. Ihr Ziel ist es, die Zahl seiner Mitglieder im kommenden Jahr von 100 auf 200 zu verdoppeln. Damit soll die hohe Qualität der Vorderhaus-Kultur per-spektivisch gesichert werden. Zwölf renom-mierte Künstler und Personen des öffent-lichen Lebens werden die Kampagne über das kommende Jahr hinweg unterstützen, darunter Größen des deutschen Kabaretts wie Dieter Hildebrandt und Georg Schramm oder Ursula Sladek, Gründerin der Elektri-zitätswerke Schönau und Trägerin des Gold-man Environmental Prize 2011.
Das Vorderhaus – Kultur in der FABRIK zählt zu den Institutionen im deutschen Kabarettbetrieb. Hier gastieren die Großen der Branche bei ihren Freiburg-Auftritten, hier werden noch unbekannte Talente gefördert und immer mal wieder auch Ausflüge über die Grenzen des Kabaretts hinaus unternom-men. Dazu hat sich die Kinderkultur in-zwischen als eigenständiger und für Frei-burg wichtiger Bestandteil im Rahmen der Vorderhaus-Kultur entwickelt.
Um dabei mitzuhelfen, dieses für die Stadt und die Region bedeutsame kulturelle Angebot per-spektivisch zu sichern, wurde 1997 der Förder-kreis Vorderhaus - Kultur in der FABRIK ge-gründet. „Macht Kleinkunst groß!“ lautet nun der Titel einer Mitgliederkampagne, die der För-derkreis im Januar starten wird. Ihr Ziel: die Zahl der Mitglieder im Verlauf des Jahres 2012 von 100 auf 200 zu verdoppeln.
Erreicht werden soll diese ehrgeizige Marke mit Hilfe unterschiedlicher Aktivitäten und Unter-stützer. So werden unter anderem zwölf renom-mierte Künstler und Personen des öffentlichen Lebens über das Jahr hinweg die Kampagne begleiten und auf Plakaten und mit Anzeigen für eine Mitgliedschaft im Förderkreis werben. Den Auftakt macht im Januar der Altmeister des deutschen Kabaretts Dieter Hildebrandt. Weitere Kabarettgrößen wie Georg Schramm werden genauso folgen wie Ursula Sladek, Gründerin der Elektrizitätswerke Schönau und Trägerin des Goldman Environmental Prize 2011 und andere Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben.
Schon im Sommer hatte die Stadt ihre An-erkennung für die erstklassige Kulturarbeit, die im Vorderhaus seit vielen Jahren geleistet wird, durch eine beträchtliche Erhöhung der Zuschüsse für die Kleinkunst- und Kinder-theaterbühne dokumentiert, deren Renom-mee auch weit über die Grenzen Freiburgs hinaus reicht. Mit der Verdoppelung der Mitgliederzahl des Förderkreises könnte nun die letzte Finanzierungslücke geschlossen werden, um die hervorragende Qualität des Vorderhaus-Programms auch längerfristig zu gewährleisten.
Der besondere Clou: Mit ihren Beiträgen fördern die Mitglieder im Förderkreis das Vorderhaus indirekt gleich doppelt: weil das Land Baden-Württemberg das Vorderhaus
noch einmal zusätzlich in Höhe von 50 Pro-zent der gespendetene Beträge unterstützt. Konkret bedeutet das: Zu den 110 Euro Mindestbeitrag einer Einzelperson schießt das Land pro Jahr noch einmal 55 Euro an öffentlicher Förderung zu. Was ein guter Grund ist, Mitglied im Förderkreis zu werden – aber noch lange nicht der einzige.
Macht Kleinkunst groß! Der Förderkreis Vorderhaus – Kultur in der FABRIK startet eine Mitgliederkampagne
➔ Mitglied werden im Förderkreis Vorderhaus - Kultur in der
FABRIK kann man:
• als Einzelperson (Mindestbeitrag 110 Euro pro Jahr)
• zu zweit – zum Beispiel als Ehepaar – (Mindestbeitrag 170
Euro pro Jahr)
• als Gruppe ab drei Personen – zum Beispiel Freundeskreise -
(Mindestbeitrag 70 Euro pro Gruppenmitglied und Jahr) oder
• als Firma (Mindestbeitrag 440 Euro pro Jahr).
Die Beiträge sind Spenden an den Förderverein und steuerlich
absetzbar, die Förderer erhalten automatisch eine Spenden-
bescheinigung zugesandt.
Weitere Infos und ein Mitgliedsantrag zum downloaden unter
www.vorderhaus.de
macht kleinkunst GROSS!MITGLIED WERDEN IM FÖRDERKREIS VORDERHAUS
F Ö R D E R K R E I S
Ich / wir möchte(n)
den Förderverein für das Vorderhaus e.V., Habsburgerstr. 9, 79104 Freiburg
mit einer jährlichen Spende in Höhe von (Betrag bitte eintragen) unterstützen:
€ als Einzelperson (Mindestbeitrag 110 Euro pro Jahr)
€ als Paar (Mindestbeitrag 170 Euro pro Jahr)
€ als Gruppe (Mindestbeitrag 70 Euro pro Person und Jahr)
€ als Firma (440 Euro pro Jahr).
Die Spende ist nach §10bEStG steuerlich abzugsfähig. Fürs Finanzamt erhalte ich
jährlich eine entsprechende Spendenquittung. Meine Spendenerklärung und meine
Einzugsermächtigung kann ich jederzeit schriftlich widerrufen.
Ich bin damit einverstanden, dass ich mit Namen und Beruf als Mitglied des
Förderkreises in den Publikationen der FABRIK/des Vorderhauses genannt werde.
Ich möchte lieber nicht öffentlich als Förderkreis-Mitglied genannt werden.
Name Vorname
Straße Hausnummer
Postleitzahl/Ort
Beruf
Telefon E-mail
Oben genannter Betrag soll einmal jährlich von meinem Konto abgebucht werden:
Kontoinhaber Bank
BLZ Kontonummer
Ort, Datum, Unterschrift
Bitte ausfüllen und senden an den: Förderverein Vorderhaus e.V. – Kultur in der FABRIKHabsburgerstr. 9 · 79104 Freiburg · Tel: 0761/503 65 43 · Fax: 0761/503 65 55
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w.v
orde
rhau
s.de
coupon_foerderkreis_hks43k 13.12.11 14:33 Seite 1
FABRIK-Rundbrief | Winter 2011/2012 Förderkreis-Kampagne
Martin, kaum haben Stadt und Land ihre Zuschüsse für das Vorderhaus
erhöht, startet nun der Förderkreis eine Mitglieder-Kampagne – ist im
Vorderhaus der Goldrausch ausgebrochen?
Martin: Nein, überhaupt nicht. Seit Jahren haben wir mit dem Kulturbetrieb ein jährliches Minus von 150.000 Euro erwirtschaftet. Aber angesichts dessen, was wir auf die Beine stellen, und wie viele Leute wir damit erreichen, ist das – so komisch das für Außenstehende zunächst klingen mag – sogar ein sehr guter Wert. Deshalb war die Erhö-hung der städtischen Zuschüsse um 50.000 Euro eigentlich überfällig. Zumal der FABRIK-Verein, der das Defizit bisher gänzlich übernehmen musste, signalisiert hatte, dass er das auf Sicht nicht mehr tun kann.
Kurzum: Ihr seid also nur dabei, das Vorderhaus-Defizit zu verringern?
Martin: Nicht nur, wir wollen in erster Linie der Qualität unserer Ar-beit eine Perspektive geben. Die Rechnung dazu geht so: Der FABRIK-Verein ist auf Sicht bereit, die Hälfte des Defizits im Kulturbereich zu tragen. Deshalb hat uns die Erhöhung der städtischen Zuschüsse noch einmal einen Motivationsschub gegeben, die jetzt noch verbleibende Lücke von rund 25.000 Euro aus eigener Kraft zu schließen – genauer gesagt: mit der Hilfe von Menschen oder Unternehmen, die unsere Arbeit gut und wichtig finden und deshalb bereit sind, sie zu fördern. Das ist der Hintergrund unserer Mitgliederkampagne.
Für die Ihr auch damit werbt, dass Mitglieder gleich doppelt fördern ...
Martin: ... weil die neue Landesregierung uns mitgeteilt hat, dass sie damit ernst machen wird, jede Spende, die wir und natürlich auch all anderen soziokulturellen Zentren erhalten, noch einmal um 50 Prozent mit öffentlichen Fördergeldern aufzustocken. Auch das bedeutet für uns starken Rückenwind für eine neue gemeinsame Anstrengung von Verein und vielen Privatleuten.
Das heißt: Wenn ich 200 Euro im Jahr für das Vorderhaus spende, dann
schießt das Land zusätzlich noch einmal 100 Euro zu.
Martin: Ganz genau – und du kannst deinen Beitrag als Spende von der Steuer absetzen.
Wenn die Mitgliederkampagne Erfolg hat, könnt Ihr euch also erstmal ein
bisschen zurück lehnen.
Martin: Im Gegenteil: Wir können uns endlich richtig in die Rie-men legen, um unsere Ideen in ein gutes Programm umzusetzen und müssen nicht mehr nebenher ständig drüber nachdenken, ob und wie es weitergehen kann. Vielleicht dürfen wir dazu sogar bald noch ein neues großes Projekt anpacken.
Das bedeutet?
Martin: Wir haben uns ja als Standort für das Literaturhaus bewor-ben, das in Freiburg entstehen soll. Das wäre natürlich das Tüpfelchen auf das i nach einem guten Jahr 2011, wenn die FABRIK da den Zuschlag erhält. Unsere Hausaufgaben haben wir gemacht und, wie wir glauben, attraktive Pläne vorgelegt. Jetzt kümmern wir uns erstmal wieder mit Volldampf um neue Mitglieder. Also: Wer noch nicht dabei ist im Förderkreis, bitte schnell den Coupon (hier im Heft oder unter: www.vorderhaus.de) ausfüllen – es lohnt sich in vielerlei Hinsicht.
Der Qualität eine Perspektive gebenMit einer erfolgreichen Mitgliederkampagne für den Förderkreis könnte das Vorderhaus eine letzte Finanzierungslücke schließen –
und neue Kraft schöpfen. Ulrich Fuchs sprach mit
FABRIK-Geschäftsführer Martin Wiedemann.
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Ich sage jetzt mal nichts.Sie sind dran!
Dieter Hildebrandt, Kabarettist
macht kleinkunst GROSS!MITGLIED WERDEN IM FÖRDERKREIS VORDERHAUS
www.vorderhaus.deF Ö R D E R K R E I S
anz_hildebr_43k_Hildebrandt_end 07.12.11 15:55 Seite 1
10 gute Gründe Mitglied im Förderkreis Vorderhaus zu werden
Sie fördern Freiburgs erste und bekannteste Kabarettbühne.
Sie fördern die renommierte und für die Region bedeutsame Kinderkultur im Vorderhaus.
Für besonders nachgefragte Veranstaltungen und Pro-gramme informieren wir Sie exklusiv über den Start des Vorverkaufs.
Einmal im Jahr laden wir Sie zu einem exklusiven Abend für Förderkreis-Mitglieder ins Vorderhaus ein.
Einmal im Jahr laden wir Sie zum Eröffnungsabend des freiburg-grenzenlos-festival im Theatersaal der Messe Freiburg ein.
Mit Ihrem Spendenbeitrag unterstützen Sie uns doppelt, weil das Land Baden-Württem-berg noch einmal 50 Prozent dazu legt.
Wir schicken Ihnen auf Wunsch monatlich unser Programmheft und/oder newsletter zu.
Wenn Sie das wollen, werden Sie auf unserer website und in den Förderkreispublikationen als Förderer genannt.
Wir schicken Ihnen, wenn Sie es wünschen, unsere FABRIK- Publikationen (Rundbrief, Jahresbericht) zu.
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Förderkreis-Kampagne FABRIK-Rundbrief | Winter 2011/2012
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FABRIK-Rundbrief | Winter 2011/2012 Der Papst in Freiburg
... die A Cappella Gruppe „Die Giselas“ dagegen in eher ungewohntem Habit
Ein Abschied ohne TränenAm letzten Wochenende im September war Ausnahmezustand in Freiburg: ein leibhaftiger Papst gab sich die Ehre seines Besuches. Nach all den Jubelarien gaben ihm 26 Freiburger Künstlerinnen und Künstler gemeinsam mit rund 250 Zuschauern einen satirisch-musikalischen Abschiedsgruß mit auf den Heimweg: Bye, Bye, Pope!
Prediger bei der Arbeit: der Freiburger Schlagzeuger Schroeder mit gewohntem Werkzeug ...
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Der Papst in Freiburg FABRIK-Rundbrief | Winter 2011/2012
Große Prediger-Konkurrenz in der FABRIK: Frank Sauer spricht nicht über Kondome, Peter Hermanns und Sybille Denker warnen sehr wohl und Marcus Jeroch schleudert seine wowoetische Predigt über die irrege-leitete Herde.
Und zum Abschied alle gemeinsam: „Bye, bye, love“, der zeitlose Klassiker der Everly Brothers ins Freiburger Hier und Heute umgetextet ...
Bye, bye Pope – bye, bye your holinessGott sei gelobt – der Spuk ist jetzt vorbeiBye, bye, Pope, bye, bye.
Ab morgen kehrt bei uns der Alltag einUnd deine Kirchen werden wieder leerer seinHier ist nicht wirklich was passiertBye, bye, Pope – wir haben uns gut amüsiert.
Wo ein bayerischer Papst den Wein segnet, darf ein Münchner nicht fehlen. Willy Scheuchenpflug vermisst auf seiner Wolke allerdings mehr als nur Bier. Luja!
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FABRIK-Rundbrief | Winter 2011/2012 Interview
FABRIK-Rundbrief: Der Atomaustieg ist per-
fekt, erneuerbare Energien werden massiv
gefördert, jeder große Energieversorger hat
plötzlich Ökostrom im Angebot. Haben Poli-
tik und Wirtschaft die Lehren aus Fukushima
gezogen?
Michael Sladek: Schön wär’s. Aber der Atomausstieg, den die Bundesregierung jetzt beschlossen hat, stellt lediglich die
Die Energiewende gelingt nur mit dezentralen Strukturen
Der Ausstieg aus der Atomenergie ist beschlossene Sache, aber ebenso wie Fukushima längst aus den Schlagzeilen verschwunden. Was ändert sich nun wirklich in unserem Land? Für eine echte Wende muss noch viel getan werden, meinen die Schönauer Stromrebellen.
Bundesregierung die Augen nicht mehr verschließen ...
... und nahm prompt acht Atomkraftwerke
vom Netz. Das klingt doch nach einer guten
Nachricht ...
Ursula Sladek: Zumindest ist es ein positives Signal. Zum einen, weil es ein Umdenken der Regierung andeutet, aber
von Rot-Grün verabschiedete Situation wieder her, die bis vor eineinhalb Jahren galt und dann von Schwarz-Gelb wie-der gekippt wurde. Eine wirklich positive Folge von Fukushima dagegen ist, dass es in Deutschland jetzt erstmals ganz deut-lich belegbar einen breiten gesellschaftli-chen Konsens über die Notwendigkeit des Atomausstiegs gibt. Davor konnte auch die
Ursula und Michael Sladek von den Elektrizitätswerken Schönau beim Interview
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Interview FABRIK-Rundbrief | Winter 2011/2012
auch, weil damit klar wurde, dass Atom-kraftwerke keineswegs unentbehrlich sind: Nirgendwo ging wegen ihres Fehlens das Licht aus! Die Frage ist jetzt nur, was man mit dieser Erkenntnis anfängt. Da gibt es momentan noch wenig Anlass zum Opti-mismus.
Aber überall bei den Befürwortern der Er-
neuerbaren ist doch eine starke Aufbruch-
stimmung spürbar?
Michael: Was die Bundesregierung nach Fukushima beschlossen hat, än-dert trotzdem nichts an den bestehenden Strukturen des Energiemarktes. Solange die Politik nicht gezielt auf eine Verände-rung dieser Strukturen hinarbeitet, dürfte der endgültige Atomausstieg bis zum Jahr 2022 kaum zu realisieren sein.
Was steht im Weg, der politische und der ge-
sellschaftliche Wille sind doch formuliert?
Michael: Die vier großen Energiever-sorger. In Deutschland steht für die zurzeit viel Geld auf dem Spiel. Man darf nicht vergessen: Ihre AKWs sind regelrechte Gelddruckmaschinen. Deshalb fordern sie von der Politik jetzt vehement einen Ausgleich für die Gewinne, die ihnen die Produktion von Atomstrom bislang ga-rantierte. Die Bundesregierung geht auf diese Forderungen ein, indem sie gezielt die zentralistischen Strukturen stützt, die die Stromerzeugung in der Hand weniger Großunternehmen bündelt. Im Fokus ste-hen dabei vor allem Großkraftwerke, Mo-delle der dezentralen Sromerzeugung und -verteilung dagegen bleiben völlig außer Acht. Und das Erneuerbare-Energien-Ge-setz verschärft diese Situation noch.
Inwiefern, es wird doch gerade sehr viel Geld
in die Förderung von Offshore-Windanlagen
gesteckt oder in Desertec-Programme für
die Solarstromproduktion in der Wüste?
Michael: Sicher, auf den ersten Blick wirkt das vernünftig. Auch die Geothermie erhält massive Unterstützung – und das, obwohl bislang nur ein oder zwei Anlagen wirklich funktionieren und derzeit noch völlig unklar ist, ob Geothermie überhaupt einen Beitrag zum Atomausstieg leisten kann. Genau das ist das Problem: Während
das meiste Geld momentan in Großtech-nologien fließt, fallen Binnenland-Wind-anlagen und die Photovoltaik zunehmend aus der Förderung heraus . Das dezentrale Potenzial der Kraft-Wärme-Kopplung, also größerer und kleinerer Blockheizkraft-werke, die bei einem gezielten Ausbau von Nahwärmenetzen bis zu 40 Prozent des Stroms abdecken könnten, liegt absolut brach.
Mit anderen Worten: Die Energiewende hat
gerade erst begonnen, und schon geht es in
die falsche Richtung.
Ursula: Ja, das muss man leider so se-hen. Nehmen wir zum Beispiel die großen Hoffnungen, die die Bundesregierung ge-genwärtig in die Offshore-Windlagen setzt. Um den Strom von der Küste zu den Ver-brauchern zu bringen, müsste als erstes das Stromnetz deutlich ausgebaut werden. Aber hätten wir damit irgendetwas gewon-nen? Nein. Denn abgesehen davon, dass dieser Ausbau auch ohne den zu erwarten-den Widerstand aus der Bevölkerung Jahre bräuchte, stünden wir am Ende trotzdem vor der gleichen Situation wie heute: das Stromnetz wäre immer noch in der Hand weniger großer Unternehmen. Daran lässt sich ablesen: das Ausstiegsmodell der Bun-desregierung beschränkt sich auf den Er-satz einer Großtechnologie, der Atomen-ergie, durch eine andere Großtechnologie. Strukturell ändert sich dadurch nichts.
Wenn der Umstieg technologisch machbar
ist, was weist darüber hinaus?
Michael: Das ist der entscheidende Punkt. Bei all den technologischen Fra-gen, die die Energiewende aufwirft, darf man ihre gesellschaftspolitische Dimension nicht außer Acht lassen. Fukushima hat uns vor allem eines gezeigt: die Zentralisie-rung der Energieversorgung in den Hän-den einiger weniger Großunternehmen schafft Abhängigkeiten, die sich im Erstfall schnell zu einer Gefahr für die gesamte Gesellschaft auswachsen. Damit wird die Energiefrage im Kern auch zu einer Frage des demokratischen Selbstverständnisses: Wie wollen wir leben? Wohin entwickelt sich unsere Gesellschaft? Den Zentralis-mus können wir nur durch einen quali-
tativen Strukturwandel überwinden. Das bedeutet: Statt in Großtechnologien und die Erweiterung zentraler Netze zu inve-stieren, muss der Ausbau kleiner, dezentra-ler Strukturen vorangebracht werden. Und das geht nur mit Bürgerbeteiligung.
Das bedeutet, die Bürger übernehmen vor
Ort zusammen mit den Kommunen die Ver-
antwortung für die Energieversorgung?
Ursula: Genau. Die Energieerzeugung und die Energieverteilung müssen zu ei-nem System umgebaut werden, das nicht mehr wie bislang die Interessen weniger Großunternehmen bündelt, sondern im Dienste aller steht. Partizipation heißt, dass die Bürger gleichermaßen Stromkon-sumenten und Stromproduzenten sind. Genutzt wird dafür, was vor Ort an rege-nerativen Energien vorhanden ist: Wind, Wasser, Sonne, Kraft-Wärmekopplung. Intelligente, dezentrale Stromnetze ma-chen es heute schon möglich, Produktion und Verbrauch in ein optimales Verhält-nis zu bringen, um auch bei Stromspitzen weitgehend unabhängig von Zukäufen zu sein. Die technische Machbarkeit dieses Konzepts erarbeiten wir derzeit in einer gemeinsamen Studie mit der Fachhoch-schule Offenburg.
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FABRIK-Rundbrief | Winter 2011/2012 Interview
Michael: Hinzu kommt, dass viele Kommunen inzwischen ein großes Inter-esse daran haben, die Energieversorgung gemeinsam mit ihren Bürgern in die Hand zu nehmen. Und es funktioniert: In Titi-see-Neustadt übernehmen ab Mai 2012 die neu gegründeten Stadtwerke das ört-liche Stromnetz von der EnBW-Tochter Energiedienst. Das Besondere daran: Gesellschafter dieser Stadtwerke sind die Gemeinde, die Elektrizitätswerke Schönau und die Bürger, die sich zu einer Genos-senschaft zusammengetan haben, im Auf-sichtsrat sitzen und natürlich die gleichen Rechte haben wie alle anderen Anteilseig-ner auch.
Das setzt bei den Bürgern ein großes Enga-
gement voraus. Ist das realistisch?
Michael: Den Ball spiele ich gerne zurück: Die FABRIK in Freiburg ist ent-standen, weil Menschen etwas wollten. Richtig?
Ja, sogar viele ganz unterschiedliche Men-
schen ...
Michael: Und – war das realistisch? Natürlich war es das, weil sich ein ganz neues und ziemlich gutes Lebensgefühl damit verbindet, wenn du die Versor-gungsmentalität hinter dir lässt und die Dinge selbst in die Hand nimmst, die du bewegen möchtest. Bei unseren Kunden ist das ein sehr wichtiger Aspekt. Vielen reicht das gute Gefühl nicht, einfach nur sau-beren Strom zu beziehen. Sie wollen das noch bessere Gefühl haben, selbst an der Stromproduktion beteiligt zu sein. Dafür investieren sie nicht nur Zeit, sondern oft auch Geld. Als wir 1997 die EWS Genos-senschaft gründeten, verfügten wir über 1,5 Mio. Mark Eigenkapital. Heute steuern wir auf die 10 Mio. Euro zu – und das ganz ohne Werbung. Schon allein daran lässt sich ablesen, welch enormes Poten-zial im Ausbau dezentraler, partzipativer Strukturen steckt.
Aber geht das auch mit der Stromindustrie?
Welches Interesse sollte sie an einer solchen
Umstrukturierung haben, die faktisch auf eine
Einschränkung ihrer Macht hinausliefe?
Ursula: Das ist sicher eine der großen Herausforderungen: Wie können wir die Großen an diesem Wandel beteiligen? Fest steht: Ohne sie wird es nicht gehen, da sie sonst immer Sand ins Getriebe streuen werden. Aber geht es wirklich mit ihnen?
Michael: Das halte ich für ausgeschlos-sen. Das beste Beispiel dafür ist die EnBW. Glaubt man ihrem Vorstandvorsitzenden Hans-Peter Villis, dann steckt der Konzern derzeit in einem großen Umbruch – weg vom Atom- und Kohlestromkonzern, hin zu einem blitzsauberen Ökostromunter-nehmen. Leider hat er ein Problem: Es glaubt ihm keiner. Und das zu Recht. Öko-logische Wirtschaft ist immer dezentral or-ganisiert, ohne das geht es nicht. Wie soll da ein Unternehmen wie die EnBW, das derart fest an den alten Strukturen hängt, den ökologischen Wandel schaffen? Durch frisches Personal in den Führungsetagen? Wohl kaum.
Wie wir dich kennen, hast du sicher einen
besseren Vorschlag …?
Im letzten Rundbrief haben wir die „expeditionen“ vorgestellt, in der
zum 25. Jahrestag der Katastrophe von Tschernobyl in sechs
europäischen Städten viele Veranstaltungen organisiert wurden.
Die Reihe endet jetzt mit einer großen Ausstellung im Augustiner-
museum in Freiburg.
Die Region um Tschernobyl ist heute die „Verbotene Zone“,
strahlenverseucht, auf Jahrtausende unbewohnbar.
Aber die Region Polissja war jahrhundertelang eine blühende Region,
Zentrum für viele Nationalitäten und unterschiedlichste Glaubens-
richtung, bis hin zum Rückzugsort für russische Partisanen.
Die Ethnologische Sammlung zeigt intensive Einblicke in die
Geschichte von Land und Leute, Fotografien, die bei Expeditionen
in die Verbotene Zone entstanden, Alltagsgegenstände und
Zeichnungen aus der Zeit Napoleons.
18.12.2011 – 18.3.2012, Di – So, 10 – 17 Uhr
Augustinermuseum Freiburg
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Interview FABRIK-Rundbrief | Winter 2011/2012
Michael: Ja, es hilft nur ein gründ-licher Umbau. Man müsste die EnBW filetieren und ihre einzelnen Teile dezen-tral aufstellen. Stromerzeugung und -ver-teilung gehören in die Hand der Bürger und der Kommunen. Doch da haben wir jetzt ein Problem, und dessen Lösung liegt bei den Grünen: seit sie in der Landes-regierung sitzen und quasi über Nacht zu Miteigentümern der EnBW wurden, ist es fraglich, ob wir sie noch auf unserer Seite haben. Ich beneide die Grünen nicht um dieses Erbe. Entscheidend ist jetzt aber, was sie damit machen. Nach dem rasan-ten Wertverlust des Unternehmens um fast 30 Prozent sollten sie den Mut fin-den, die Strukturfrage endlich neu stellen. Sie betonen es ja selbst immer wieder: Die Zukunft gehört der Vielfalt.
Trotz Fukushima und dem Regierungs-
wechsel im Land scheint das in der breiten
Öffentlichkeit bislang aber noch nicht so
richtig angekommen zu sein.
Ursula: Ich würde das nicht so ne-gativ sehen. Man kann momentan ganz erstaunliche Veränderungen beobachten. Die gleichen Leute zum Beispiel, die noch vor ein einem halben Jahr gesagt haben: Windenergie im Schwarzwald? Auf keinen Fall!, die sagen heute: Wir brauchen die Windenergie – und zwar sofort! Plötzlich werben Bürgermeister und Landräte dafür, das Thema hat eine hohe Medienpräsenz und die Menschen sind überzeugt davon, dass es ohne ökologische Energiewende keine Zukunft gibt.
Michael: Ohne Fukushima wäre das sicher nicht so schnell gegangen. Das ist einerseits gut – andererseits aber auch sehr bitter. Fast könnte man meinen, dass sich Menschen nur in GAU-Einheiten verän-dern. Vor 25 Jahren machte die Reaktorka-tastrophe von Tschernobyl die Gefahren der Atomkraft mit einem Schlag deutlich. Mit der Angst wuchs bei Teilen der Be-
völkerung erstmals das Interesse an der Nutzung regenerativer Energien. Ein Um-denken kam in Gang. Aber es reichte nicht. Es brauchte einen zweiten GAU, Fukus-hima, um in Deutschland und der Schweiz endlich die gesellschaftliche Ächtung der Atomkraft zu bewirken. Frankreich und die USA sind davon noch weit entfernt, und man fragt sich, ob es auch dort erst zur Katastrophe kommen muss, damit die Menschen daraus lernen. Was wäre das für ein Zynismus!
Die Japaner stehen nun genau vor dieser
Situation. Wie groß schätzt ihr die Chancen
ein, dass die Katastrophe dort nicht bloß als
Kollateralschaden einer energieintensiven
Industrienation im globalen Wettbewerb
verbucht wird, sondern tatsächlich einen
Bewusstseinswandel bewirkt?
Ursula: 2002 waren wir in Japan auf Vortragsreise. Wir hatten Kontakt zu vielen Bürgerinitiativen, die sich damals schon
Am 12. April 2011 erhielt Ur-
sula Sladek in San Francisco
den Goldman Environmen-
tal Prize. Die mit 150.000
Dollar dotierte Auszeich-
nung, die als Öko-Nobel-
preis gilt, wird jährlich an
sechs Menschen vergeben,
die ein hohes persönliches
Risiko für den Umwelt-
schutz eingegangen sind.
Nach der Preisverleihung in Kalifornien lud US-Präsident
Barack Obama die Ausgezeichneten zum Besuch ins Weiße
Haus in Washington. Versteht sich, dass Ursula Sladek nicht
ohne Geschenk kam ...
„Ich dachte mir, wenn ich schon mal bei Obama eingeladen
bin, dann will ich ihm nicht nur die Hand schütteln – er soll
auch etwas von meinem Besuch haben. Also habe ich kurz
vor meinem Abflug unsere „100 gute Gründe gegen Atom-
kraft“ ins Englische übersetzen lassen. Leider hat die Zeit
nicht mehr gereicht, ein schön gebundenes Buch daraus
zu machen, aber ein schöner Ausdruck tut‘s ja auch. Den
habe ich dann ins Weiße Haus geschmuggelt, vorbei an al-
len Kontrollen. Als wir
schließlich vor dem
Oval Office standen,
fragte ich eine Mitar-
beiterin, ob ich Obama
diese Papiere geben
dürfe. Sie starrte auf
die Blätter und fragte:
Sind die kontrolliert
worden? Ja klar, sagte
ich, logisch! Und so
stand ich wenige Minuten später an Obamas Schreibtisch
im Oval Office, erklärte dem Präsidenten, dass es kein Pro-
blem sei, aus der Atomenergie auszusteigen und trotzdem
das Klima zu schützen und übergab ihm unsere „100 Guten
Gründe“. Das war schon ein ganz besonderes Gefühl ... Ob
er sie gelesen hat? Wahrscheinlich nicht. Er hatte andere
Probleme an diesem Tag. Er wirkte müde und kaputt, nach-
dem am Morgen die Haushaltsdebatte gescheitert war und
die Regierung kurz vor der drohenden Entlassung ihrer
Angestellten stand. Government shutdown nennt sich das
... ein unglaublicher Vorgang! Am Ende gab es dann noch
ein Erinnerungsfoto mit Obama.“
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FABRIK-Rundbrief | Winter 2011/2012 Interview
gegen Atomkraft engagierten und sich jetzt verstärkt international vernetzen. Viele von ihnen kamen in den letzten Monaten wie-der auf uns zu und baten um Unterstüt-zung. Man darf nicht vergessen, dass die ja-panische Anti-AKW-Bewegung noch ganz am Anfang steht. Bislang machte sich dort kaum jemand Gedanken über die Gefah-ren der Atomkraft. Erst nach Fukushima sind die Menschen aufgewacht, und es sind vor allem Frauen, die aktiv werden. Im Januar wird in Tokio jetzt erstmals eine große Anti-Atomkonferenz stattfinden und ein japanischer Verlag wird unsere „100 guten Gründe gegen Atomkraft“, mit de-nen wir seit 2009 für den Atomausstieg werben, in japanischer Übersetzung ko-stenlos unter die Leute bringen. Ob und wann diese Bewegung in Japan Erfolg ha-ben wird, ist noch ungewiss. Sicher ist aber: Sie haben die Empirie auf ihrer Seite. Vor ein paar Jahren veröffentlichte Greenpeace eine Studie, die belegt, dass Japan seinen
enormen Strombedarf zu 100 Prozent aus regenerativen Energien decken kann. Die aktuelle Atomkrise bestätigt das: von den 54 AKWs, die es in Japan gibt, sind zurzeit 44 wegen technischer Mängel oder War-tungsarbeiten abgeschaltet – und trotzdem gehen die Lichter in Tokio nicht aus und die Industrie produziert weiter.
Könnt ihr zum Abschluss einen Blick in die
Zukunft wagen?
Ursula: Bei allen Problemen, die ich sehe, sollten wir Fukushima als Chance begreifen. Die Menschen wollen sich nicht länger vorschreiben lassen, mit welchen Gefahren und in welchen Abhängigkeiten sie leben sollen. Der Zug hat seine Fahrt aufgenommen. Wenn wir jetzt den Ausbau dezentraler Strukturen in der Energiever-sorgung vorantreiben, dann stärken wir damit nicht nur die lokale Wertschöpfung sondern erschließen zugleich einen gigan-tischen Zukunftsmarkt für neue Technolo-
gien. Die Entwicklung intelligenter Netze ist da nur ein Beispiel.
Michael: Ich bin mir sicher, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis auch Politik und Wirtschaft auf diesen Weg einschwenken werden. Ob ich das noch erlebe, ist eine andere Frage. Aber um im Bild zu bleiben: Der Zug ist losgefahren und hat an Ge-schwindigkeit zugelegt. Jetzt müssen wir nur darauf achten, dass die Weichen richtig gestellt werden.
Spätestens seit dem
Atomausstieg ist
deutlich geworden,
dass die Solarener-
gie den Durchbruch
geschafft hat. Nicht
nur die immer aus-
gereiftere Erzeugung
von Energie durch
Sonnenkraft, sondern
auch durch ihre viel-
fältigen Anwendungsmöglichkeiten ist die Solarenergie
eine der wichtigsten Alternativen zur atomaren oder
fossilen Energieerzeugung.
In seinem gerade erschienenen Buch „Solare Zeiten“
beschreibt der Freiburger Journalist Bernward Janzing die
Geschichte der Solarenergie. Von frühesten Überlegungen
zum Einsatz in der Raumfahrttechnik bis zur heutigen
facettenreichen Nutzung spannt sich ein weiter Bogen an
Industriegeschichte, die gleichwohl erst ermöglicht wurde
durch Bürgerinitiativen und politisch engagierte Bastler.
Atomkraftgegner, Forscher, Politiker und Unterneh-
mer haben einen Wirtschaftszweig ins Laufen gebracht,
der heute Milliardenumsätze schreibt und einen der Wege
in die Energieerzeugung der Zukunft aufzeigt.
Janzing erzählt in seinem Buch die einzelnen Ge-
schichten von technischen Fortschritten, politischen und
ökonomischen Hemmnissen immer zugleich mit den
Biographien Einzelner. Manches wirkt aus heutiger Sicht
anekdotisch, wie die Geschichte des ersten fahrbaren
Solar-Ofens, der auf den ersten Blick wie ein Open-Air-
Plattenspieler anmutet. In Erinnerung gerufen wird
beispielsweise, dass Rolf Disch 1987 Weltmeister bei der
„Tour de Sol“ war. Die Verdienste vieler unermüdlicher
Bastler und Vorantreiber werden gewürdigt, etwa die von
Werner Mildebrath, Elektriker aus Sasbach im Kaiser-
stuhl, der die Sasbacher Sonnentage ins Leben rief. Die
Sonnentage wurden über den Umweg der „Öko-Messe
Freiburg“ zur Intersolar, der weltweit größten Fachmesse
für Solartechnik.
Das Buch ist voll von solchen Geschichten, kurzweilig
und informativ, dazu reich bebildert. Zum Schmökern
oder in einem Rutsch Durchlesen, fürs Erinnern und fürs
Vorwärtsschauen.
Bernward Janzing, Solare Zeiten, 192 Seiten,Picea Verlag, 24 Euro
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Polt und die Biermösl Blosn FABRIK-Rundbrief | Winter 2011/2012
Pfiats Eich!Das Vorderhaus - Kultur in der FABRIK
gibt es jetzt seit 23 Jahren, in denen viel
passiert ist und viele besondere Künstler
für uns aufgetreten sind. Unter all diesen
Abenden war der 9. Dezember ein beson-
derer: das letzte Gastspiel von Gerhard
Polt & der Biermösl Blosn in Freiburg.
Diesem Gastspiel folgen überhaupt nur
noch sechs gemeinsame Abende, dann
trennen sich die künstlerischen Wege der
Biermösl Blosn.
Unter den vielen Gastspielen in Freiburg
gab es legendäre Abende. Als Geburts-
tagsgeschenk zum Zehnjährigen Gerhard
Polt solo auf der kleinen Bühne des Vor-
derhauses, ganz dicht und nah, eine gran-
diose Erinnerung. Nicht weniger der „Ab-
vent“, ein gemeinsamer Abend von Polt &
Biermösl und den Toten Hosen: Rocking
Stadttheater! Das hat das altehrwürdige
Haus vorher und nachher nicht mehr ge-
sehen. Kabarettfans, die auf den Stühlen
tanzen und Rockfans, die zur klassischen
Trompete von Stopherl Well abgehen.
Eines von insgesamt nur sieben gemein-
samen Konzerten. Es lässt sich ahnen, wie
stolz und glücklich wir als Veranstalter
waren.
Die Dinge ändern sich, etwas trauern hilft
und dann geht es weiter. Wie, werden wir
sehen – aber wir wissen, dass wir Gerhard
Polt und Hans, Christoph und Michael Well
wieder begegnen werden. Auf der Bühne
und daneben. Bis dahin salli zemm, pfiats
Eich, passt scho!
Bayerisches Gstanzl - auf hochdeutsch:
Heute sind wir im deutschen Wärmeparadieswo mancher jetzt mit dem Beltracchi lieber nicht mehr per Du istwo sie ein Literaturhaus bauen wollen, groß und schickund wo man das Vorderhaus fragt, warum nicht kostengünstig in der Fabrik?!
Hansi Well am 9.12.2011 im Paulussaal Freiburg
Staatssekretär Jürgen Walter / Grüne
war bei seinem Freiburg-Besuch im
Oktober zusammen mit Oberbürger-
meister Dieter Salomon auch in der
FABRIK zu Gast. Im Gespräch wie in
der abschließenden Pressekonferenz
bestätigte Jürgen Walter die Umset-
zung der zugesagten Förderhöhe. Die
2:1-Förderung kommt, allerdings ge-
deckelt auf einen maximalen Zuschuss
von 325.000 Euro pro Einrichtung. Das
ist bitter für manch großes Zentrum im
Land, den kleinen und mittleren Zen-
tren hilft die Erhöhung aber wirklich
weiter. Und zu den mittleren Soziokul-
turellen Zentren gehört die FABRIK.
Vor dem Hintergrund des langjährigen
Verfahrens wird deutlich, dass es auch
in der neuen Regierung nicht einfach
war, die Zusage der 2:1-Förderung um-
zusetzen. Jürgen Walter, wie auch die
LAKS, der Landesverband der Sozio-
kulturellen Zentren, haben daran gro-
ßen Anteil. Dafür herzlichen Dank. Und
vielleicht motiviert der Erfolg ja dazu,
22
FABRIK-Rundbrief | Winter 2011/2012 Landesförderung
Immer Anfang Dezember kommt er auf
den Schreibtisch, der Antrag auf Landes-
förderung für das nächste Jahr. Das zieht
zwei Tage rechnen, schreiben, zusammen-
stellen, Bestätigungen einholen nach sich
und bietet die Aussicht, vom Land zusätzlich
zur städtischen Förderung Mittel für unsere
Kulturarbeit zu erhalten.
Grundlage der Landesförderung ist der
städtische Zuschuss, die sogenannten „Kom-
plementärmittel“. Der Förderschlüssel be-
trägt theoretisch 2:1, das heißt, für jeden
Euro der Stadt legt das Land 50 Cent dazu.
Praktisch lag die Zuschusshöhe in der Ver-
gangenheit allerdings eher bei 30% statt
der zugesagten Hälfte, auch wenn seitens
des Kultusministeriums immer wieder in
Aussicht gestellt wurde, dass sich das än-
dern werde.
Seit März gibt es eine neue Landesregie-
rung, seit Mai einen neuen Staatssekretär
und seit einigen Wochen gibt es die berech-
tigte Hoffnung, dass „2:1“ endlich umgesetzt
wird.
Es tut sich was im LandVon früheren Landesregierungen lange versprochen, hat Grün-Rot jetzt den 2:1 Förderschlüs-sel für die Soziokulturellen Zentren in Baden-Württemberg umgesetzt. Der neue Kulturstaats-sekretär Jürgen Walter war auf Rundreise bei Kultureinrichtungen im Land und besuchte in Freiburg gemeinsam mit Oberbürgermeister Dieter Salomon und Kulturbürgermeister Ulrich von Kirchbach auch die FABRIK.
über die Deckelung oder gar über einen ande-
ren Förderschlüssel nachzudenken. Oder sich
das Verhältnis der Förderung städtischer und
staatlicher Kultur und des freien Bereichs noch-
mal genauer anzuschauen. Die Förderung der
Soziokulturellen Zentren hat nämlich nicht mit
der Zunahme ihrer flächendeckenden Bedeu-
tung für das kulturelle Leben im Land Schritt
gehalten.
Der neue Staatsekretär hat seine Antrittsrede
im Mai unter die Überschrift „Kultur macht
reich“ gestellt und darin konstatiert, dass Kultur
mehr ist als nur Unterhaltung und Vergnügen,
sondern auch Auseinandersetzung mit der
Gesellschaft und damit der Menschen mit sich
selbst. In Freiburg gibt es seit 2007 einen über-
greifenden Zusammenschluss von Kultureinrich-
tungen, die „Initiative Kultur Macht Reich“, in
der die FABRIK natürlich vertreten ist. Nicht nur
deshalb, lieber Jürgen Walter, wollen wir Sie zu
einem erneuten Besuch in die FABRIK einladen,
um das Gespräch über die inhaltlichen, und ja,
vielleicht auch die finanziellen Implikationen
unseres gemeinsamen Mottos fortzusetzen.
23
Landesförderung FABRIK-Rundbrief | Winter 2011/2012
Hoher Besuch, hier bei BAGAGE im Hinterhaus: Kulturbürger-meister Ulrich von Kirchbach, Oberbürgermeister Dieter Salomon und Staatssekretär Jürgen Walter
Zu Gast bei BAGAGE
Im nächsten Jahr feiert die Pädagogische Ideenwerkstatt BAGAGE ihr zwanzigjähriges Vereinsjubiläum. Seit Beginn unserer Arbeit sind wir auf dem Gelände der FABRIK und haben uns natürlich sehr gefreut, dass wir nach so langer Zeit seltene Gäste in den Räumen der Ideenwerkstatt begrüßen durften. Im Rahmen eines Informationsgesprächs mit Kul-turschaffenden in Freiburg besuchte Staatssekretär Jürgen Walter in Begleitung von Oberbürgermeister Dr. Dieter Sa-lomon, Kulturbürgermeister Ulrich von Kirchbach und Kul-turamtsleiter Achim Könneke die FABRIK. Eine Station auf dem Rundgang durch das Gelände war das Gespräch mit den beiden Vorständen der Pädagogischen Ideenwerkstatt, in dem wir einige Aspekte unserer Arbeit darstellen konnten.
Überraschend für unsere Gäste waren sicher die Infor-mationen zu den Planungsarbeiten für den Bau eines Öko-logiezentrums in Polen. In der Nähe von Breslau entsteht derzeit unter der Projektleitung von BAGAGE auf einer Fläche von 7,5 ha ein Zentrum für Umweltbildung- und -erziehung. Gefördert wird die Maßnahme mit Mitteln der EU und der Deutschen Bundesstiftung für Umwelt. Die Ko-ordination der Entwicklungsarbeiten für diesen in Osteuropa einzigartigen Umweltpark leisten wir hier von Freiburg aus. Vielleicht könnte das in absehbarer Zukunft sogar die Reise einer offiziellen Delegation aus Freiburg nach Polen zur Folge haben.
Was bleibt nach dem kurzen Besuch? Auf jeden Fall die spontane Zusage von OB Salomon, am 21. Juli 2012 auf unseren Jubiläumsfeierlichkeiten ein persönliches Grußwort zu sprechen. Wir freuen uns auf diesen Besuch!
LAKSLandesarbeitsgemeinschaft Soziokultureller Zentren Baden-Württemberg
In der LAKS Baden-Württemberg sind 51 Soziokulturelle Initiativen
und Zentren zusammengeschlossen, aus Freiburg gehören dazu die
FABRIK, das EWERK und - als Gastmitglied - das Radio Dreyeckland.
Allen Einrichtungen gemeinsam ist, dass sie selbstverwaltet und in
freier Trägerschaft eine alternative und soziale Kulturarbeit leisten,
die inzwischen anerkanntermaßen zu einem unverzichtbaren Teil des
kulturellen Lebens im Ländle geworden ist. Und damit ist wirklich auch
das Land gemeint: 50% der Einrichtungen befinden sich in Orten bis
zu 50.000 Einwohnern.
Rund 1,5 Millionen Menschen nutzen jährlich das Angebotsspektrum
der Soziokulturellen Zentren.
Die LAKS vertritt nicht nur die gemeinsamen Interessen der Sozio-
kulturellen Zentren, sie verteilt auch die jährlichen Fördermittel des
Landes unter ihren Mitgliedern. Dem Land war die Soziokultur im Jahr
2011 insgesamt rund 2,0 Mio. Euro wert, was durchschnittlich 13 % des
Budgets der Soziokulturellen Einrichtungen ausmacht. Weitere 30 %
kommen über die kommunalen Zuschüsse und beachtliche 57% ihrer
Etats erwirtschaften die Soziokulturellen Zentren selbst.
Während landesweit jeder Theaterbesuch im Schnitt mit 99,31 Euro
aus öffentlichen Mitteln bezuschusst wird, „kostet“ das Erlebnis in
einer soziokulturellen Einrichtung die öffentliche Hand gerade einmal
4,88 Euro.
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FABRIK-Rundbrief | Winter 2011/2012 Schreibwettbewerb
„Geht‘s noch?!“Am Sonntag, den 27. November, fand im Vorderhaus die Preisverleihung des diesjährigen Schreibwettbewerbs für Jugendliche von 12 bis 16 Jahren statt
Die Jury, die aus Vertretern des Literaturbüros und des Vorderhauses
sowie aus Preisträgerinnen der vergangenen Jahre bestand, wählte
aus rund 80 Einsendungen zum Thema „geht‘s noch?!“ die zehn
besten Stories aus.
Besonders gefreut hat uns, dass nach neun Jahren erstmals auch
die Presse anwesend war. Heidi Ossenberg, Kulturredakteurin der
Badischen Zeitung hat in ihrem Artikel diesen sehr unterhaltsamen
Abend treffend beschrieben.
Über ihre Texte sprechen mögen die meisten eher nicht, die ausgeleuchtete Bühne des Freiburger Vorderhauses ist vermutlich ein allzu ungewohntes Ter-rain für diese zehn jungen Damen. Mo-derator Felix Schiller will ihnen gerne die Scheu nehmen: „Sagt einfach: geht’s noch?, dann höre ich schon auf zu fra-gen!“ Geht’s noch?! – so lautete auch das Motto des neunten Schreibwettbewerbs „Stories“ für Zwölf- bis Sechzehnjäh-rige, das Vorderhaus, Literaturbüro, städtisches Kulturamt und SWR Stu-dio Freiburg gemeinsam veranstalteten. Aus 80 Einsendungen, vorwiegend aus Südbaden, wählte eine Jury die zehn besten Geschichten aus. Am Sonntag-abend wurden die Siegerinnen bei ei-ner charmanten Überraschungsparty, die vier junge Musiker der Big Band des Freiburger Wentzinger Gymnasiums be-reicherten, ausgezeichnet.
Das Motto regte die jungen Schrei-berinnen – weniger als zehn Prozent der eingesandten Texte stammten von Jungs – zu ganz unterschiedlichen Stilformen an: Innere Monologe, Traumschilderun-gen, Gedichte oder Krimis bekam die Jury zu lesen. Heiteres war eher Man-gelware, doch das sind die Verantwort-lichen gewöhnt: „Das hängt mit dem Alter der Schreiberinnen zusammen; in
der Pubertät lotet man Grenzen aus, ist widerborstig, rebellisch, kritisch – das spiegeln natürlich auch die Texte,“ weiß die Leiterin des Literaturbüros, Stefanie Stegmann. Recht häufig sei von Mob-bing unter Schülern zu lesen gewesen
– „das hat uns schon zu denken gege-ben“. Felix Schiller konstatiert trocken: „Dafür gab es weniger Vater- und Mut-termorde oder Lehrertötungsphanta-sien als in früheren Jahren.“
Gewaltexzesse sind auch für Adriana Fellner kein Thema. Die 16-jährige Schülerin des St. Ursula Gymnasiums in Freiburg hat den Wettbewerb mit ei-ner Geschichte gewonnen, die die fiktive Begegnung zweier junger Erwachsener in einem Zug schildert. Fellner macht sich in dem sprachlich sehr ausgefeilten Text die Perspektive des jungen Mannes zu eigen, eines Verlegersohnes namens Jasper Merder aus dem Freiburger Stadtteil Merdern(!). Dieser hinter-fragt die Privilegien, die seine Herkunft und soziale Stellung mit sich bringen. So sitzt er in einem Zugabteil zweiter Klasse, obwohl er ein Erste-Klasse- Ticket besitzt.
Er trifft dort auf eine junge Erziehe-rin aus dem Stadtteil Stühlinger, die ihn innerhalb weniger Minuten durch ihre lebendige, erfrischend direkte und und verständnisvolle Art fasziniert. Adriana Fellners Text, von der Schauspielerin Sybille Denker vorgetragen, zeichnet sich durch eine sehr genaue und empa-thische Beobachtungsgabe aus und er-hielt viel Beifall. Heidi Ossenberg
Der Siegertext des Schreibwettbewerbs spielt in einem Zug. FOTO: DPA
Im Zweite-Klasse-AbteilAm Sonntagabend wurden in Freiburg die Siegerinnen des Schreibwettbewerbs „Stories“ gekürt.
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Schreibwettbewerb FABRIK-Rundbrief | Winter 2011/2012
Die Siegerinnen von 1 bis 10:
1. Adriana Fellner 16 Jahre alt, Freiburg
2. Martha Schillmöller 14, Freiburg
3. Magdalena Wejwer 14, Umkirch
4. Jana Kurz 15, Sexau
5. Jessica Gohlke 14, Freiburg
6. Laura Nasilowski 13, Schopfheim
7. Nora Weber 13, Maulburg
8. Leonie Bourgeois 14, Schopfheim-Wiechs
�. Verena Vetter 15, Bleichheim
10. Noemi Moosmann 16, Emmendingen
➔
Oben: Die Siegerinnen des Schreibwettbewerbs auf der Bühne des VorderhausesUnten: Die „kleine“ Bigband des Wentzinger Gymnasiums
Adriana Fellner
2. Klasse
Das Licht der kränklichen Neonröhre flackert. Der Zug rattert über die Gleise, knarrt, quietscht, als bräche er jeden Moment entzwei. Wer entscheidet ei-gentlich über die Inneneinrichtung von Zügen? Wer kam auf die Idee, dass gelbgraue Stangen, beigegraue Wände, gefleckter grüngrauer Boden und grau-blaue Sitze mit graurosa Einsprengseln eine ansprechende Kombination erge-
ben? Nicht mal in den 80ern, Epoche modetreuer Stilverirrungen, kann sowas als schön gegolten haben.
Die Tür öffnet sich, der Schaffner be-tritt den Waggon. Er bringt eine Woge kalter, beißend nach Metall riechender Luft mit. Der Lärm sticht in den Ohren. Wortlos zücke ich meine Fahrkarte und zeige sie dem Schaffner. Er wirft mir einen schiefen Blick zu, der zu fragen scheint: Was macht einer wie du hier, in diesem hässlichen, zugigen Abteil? Ich schlage die Augen nieder, weiche sei-nem Blick aus. Diese Frage bekomme ich zu Hause oft genug gestellt.
Mit kreischenden Rädern hält der Zug an einer weiteren Station. Bleiches Licht einer einsamen Neonröhre strömt durch die Fenster ins Abteil, kämpft ver-geblich gegen die wolkenverhangene Dunkelheit der Nacht. Weit hinten steigt jemand ein. Der Zug fährt weiter und meine Welt wird enger, reduziert sich auf das harte Rattern der Räder auf den Schienen, das dunkle, flackernde Licht, die trostlose Einrichtung. Sie hüllen mich ein, betäuben mich.
Plötzlich schwillt das Rattern wieder an, füllt einige Sekunden das Abteil und weckt mich. Mist. Ich bin eingedöst. Ver-schlafen greife ich in die Tasche meiner Jacke, die neben mir auf dem Sitz liegt, suche nach meinem Portemonnaie – und erstarre. Nichts. Leer. Mit einem Ruck setze ich mich auf. Und bemerke, dass mir jemand gegenübersitzt.
Es ist ein Mädchen. Ihre Haut ist braun, sie hat die Farbe von Milchkaffee. Schwarze, glänzende Locken umrahmen ihr kleines Gesicht, das in der Haarflut zu ertrinken scheint. Die Augen neh-men es fast ganz ein, die dunkle Iris bil-det einen reizvollen Kontrast zum Weiß darum herum. Ihr zierlicher Körper ist in enganliegende, moderne Kleidung gehüllt.
Als ich sie so anstarre, verziehen sich ihre Lippen zu einem Lächeln. In ihren Augen glitzert der Schalk. Einen Mo-ment lang treffen sich unsere Blicke, dann senkt sie den Blick auf etwas, das sie in der Hand hält. „Jasper Michael Friedrich Merder, geboren am 11.08.1993 in Freiburg, wohnt in der…“ „Erstens spricht man meinen Namen deutsch aus, nicht englisch. Und zweitens, was machst du mit meinem Ausweis?!“ „Musst halt besser drauf aufpassen. Sei froh, dass ich ihn genommen habe und nicht der Penner, der hier grade durch-lief. Der hätte dir deinen Geldbeutel nicht mehr zurückgegeben. Hier, fang!“ Sie wirft ihn mir in den Schoß. „Jetzt soll ich wohl Danke sagen!“, fauche ich sie an. Sonderlich beeindruckt wirkt sie nicht, sie wirft mir einen belustigten Blick zu. Als ich sie jedoch weiter an-funkele, gibt sie nach. „Okay, okay, noch
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FABRIK-Rundbrief | Winter 2011/2012 Schreibwettbewerb
Schauspielerin Sybille Denker liest den Siegertext
mal von vorne. Tut mir leid, es war nicht böse gemeint.“
Schweigen.„Es hat mich nur interessiert, warum
jemand mit solchen Klamotten wie dei-nen hier sitzt.“ Schweigen.
Frustriert wirft sie die Arme in die Luft. „Gut, dann schweigen wir uns also einfach an. Ist mir auch recht.“
Schweigen. „Gut, wie wär’s damit: Wir machen
einen Tausch. Du erfährst etwas über mich, ich erfahre etwas über dich. Okay?“ Und ohne eine Antwort abzu-warten, leiert sie herunter: „Also: Ich heiße Mai, bin 18, komme aus Freiburg und habe Geburtstag am ersten Okto-ber 1993. Ich wohne in Haslach in einer Zweizimmerwohnung, aber erst seit kurzem, weil…“
„Okay, das reicht, danke!“ Ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen. „Er-zählst du das jedem, wenn er dich lange genug anschweigt?“ „Nur, wenn ich etwas dafür zum Tausch bekomme.“ Sie lächelt jetzt auch, und eine Weile sitzen wir nur da und lächeln uns an wie zwei bekloppte Irre, während um uns herum die Welt davonfliegt. Dann sagt sie: „Du bist dran.“ „Mit was dran?“ Mein Kopf fühlt sich ein bisschen benebelt an. Als wäre ich noch immer nicht ganz wach. „Na, mit was wohl? Tausch, weißt du noch? Ich erzähle etwas über mich, du über dich?“ „Ach so“, sage ich langsam. „Was willst du denn wissen?“
Ich rede nicht gerne über mich. Vor allem nicht über meine Eltern, mein Zu-hause, meine Schule, meine Freunde… eigentlich über alles Persönliche. Nicht, weil ich es nicht schätzen würde, immer mehr als genug Geld zu haben, drei- bis viermal im Jahr in Urlaub zu fahren, eine Privatschule zu besuchen… es kommt mir nur alles so oberflächlich vor. Als gäbe es nichts Wichtigeres, als sein Image zu pflegen, seinen eng-lischen Rasen zu stutzen und mit den Nachbarn um das dickere, lautere Auto zu konkurrieren. Die Designerklamot-ten sind wichtiger als die Person, die sie trägt. Die Schulnoten zählen mehr als das, was man nach der Schule damit
machen will. Es ist egal, wie scheiße es dir gerade geht, wenn du lächelst und beteuerst: „Ja, danke, gut, und dir?“ Alles ist Fassade, Ruf, Ansehen. Ich hasse es.
„Zuerst würde ich gerne wissen, wo du herkommst und wo du hinwillst. Und warum du mit Designerklamotten, 150 Euro im Geldbeutel und einer 1.-Klasse-Fahrkarte in diesem hässlichen Abteil sitzt und nicht ganz vorne in der ersten Klasse.“ Treffer versenkt. Genau das, worüber ich nicht reden wollte.
„Ich komme vom Bodensee, aus Überlingen. Meine Oma wohnt da und ich habe sie übers Wochenende be-sucht. Und jetzt fahre ich nach Hause zu meinen Eltern, weil ich morgen früh in die Schule muss.“ Ich verstumme und hoffe, dass sie nicht noch mal fragt, warum ich nicht vorne sitze. Sie würde mich auslachen wie alle anderen auch – und seltsamerweise stört mich dieser Gedanke. Aber ich hoffe umsonst.
„ Und… was machst du hier? Oder ist das zu indiskret?“ Ich würde jetzt gerne ja sagen, aber das könnte sie als Abfuhr verstehen, und das will ich nicht. „Nein, nein, ist schon okay. Ich sitze hier, weil…“
Und ich erzähle ihr meine Geschichte. Die Geschichte von Jasper Michael Friedrich Merder, Sohn von Manuel Merder, Inhabers des Merderverlags, und dessen Erbe. Es ist die Geschichte eines Einzelkindes aus reichem Haus, das schon immer die volle Last elter-licher Aufmerksamkeit und Finanzkraft tragen musste. In meiner Kindheit hatte ich zwei Zimmer: Eins zum Schlafen und später Fernsehen, eins vollgestopft mit Spielzeug. Die wenigen Freunde, die ich hatte, stammten alle aus der Nachbar-schaft und besaßen ähnliche Zimmer, weshalb ich erst in der Grundschule bemerkte, dass nicht alle Kinder solche Zimmer hatten. Es gab da einen Jun-gen in meiner Klasse, der im Stühlinger wohnte. Ich weiß nicht genau, weshalb er bei uns zur Schule ging, wahrschein-lich sagten seine Eltern gern, dass sie ihr Kind im gediegenen Merdern zur Schule schickten. Seine Eltern waren
nicht arm, sie waren so durchschnitt-liche Mittelständler, wie man nur durch-schnittlich sein kann. Aber dieser Junge hatte eben nicht zwei Zimmer, eins mit Spielzeug und eins mit Bett und Fern-seher. Er hatte eins, ein bisschen Lego, ein bisschen Playmobil, ein paar Spiel-zeugautos und einen alten Gameboy. Ich weiß das, weil ich in der vierten Klasse mal bei ihm zu Besuch war. Als ich danach meinen Eltern erzählte, was wir gemacht hatten und wie es bei ihm zu Hause aussah, sahen sie mich einem seltsamen Ausdruck im Gesicht an. Wenige Monate später besuchte ich meine neue Schule, das Birklehof-Gym-nasium in Hinterzarten.
Dort war ich wieder „unter Meines-gleichen“, wie meine Eltern zu sagen pflegten, ein Ausdruck, den sie oft benutzten und dessen Bedeutung ich mir erst viel später bewusst wurde. Sie meinten damit Kinder aus gutem Hause, Kinder mit reichen Eltern, die einen ge-wissen gesellschaftlichen Status hatten. Mit der Zeit wurde der Fernseher aus meinem Schlafzimmer zu einem LCD-TV, mein Spielzimmer beherbergt nun einen Laptop, eine Stereoanlage und meine CD-, DVD- und BluRay-Samm-lung. Ein zweiter LCD steht vor einer Sofaecke, wo ich mit meinen Freunden auf meiner Xbox Kinect spielen kann. Obwohl ich erst seit drei Monaten den
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Schreibwettbewerb FABRIK-Rundbrief | Winter 2011/2012
Führerschein habe, steht vor der Tür ein brandneuer Smart, der darauf war-tet gefahren zu werden. Er wartet oft, denn ich benutze hauptsächlich den Zug, um von A nach B kommen. Wo ich im 2.-Klasse-Abteil sitze und mich vom Schaffner anstarren lasse, weil mir meine Eltern jeden Monat eine Regio-karte für die erste Klasse kaufen.
„Ich sitze hier, weil ich es hasse, ver-hätschelt zu werden und jedes Mal be-wundernde Blicke zu ernten, wenn ich jemandem meinen Namen sage. Ich hasse es, die perfekte Fassade aufrecht zu erhalten und mich von Leuten an-glotzen lassen zu müssen, die nur dar-auf warten, dass sie durchsichtig wird. Ich hasse diese lauernde Aufmerksam-keit, die ich bekomme, bloß weil mein Vater Merder heißt und nicht Müller oder Meier. Das ist nicht meine Welt, und trotzdem wird immer wieder von mir verlangt, dass ich mich anpasse, so bin wie die anderen, nett lächle und Hände schüttele und Geld verprasse, während sich andere nicht mal was zu essen leisten können!“
Ich verstumme und mir wird bewusst, dass ich diesem Mädchen, das mir ge-genübersitzt und das ich eigentlich überhaupt nicht kenne, gerade meine ganze banale Lebensgeschichte erzählt habe. Ich warte darauf, dass sie anfängt zu lachen oder mich zu verspotten
wegen meiner kleinen Gewissenskon-flikte, doch das tut sie nicht. Im Gegen-teil, sie steht auf und setzt sich neben mich. Ihre kleine Hand schiebt sich in meine und drückt sie fest. Wärme durchströmt mich, gefolgt von einem Kribbeln, das von ihrer Hand in meine Hand und von dort aus durch meinen ganzen Körper wandert. Ihre Augen sind klar und ernst, als sie sagt: „Du denkst, du bist im Grunde wie sie. Du denkst, für deine Probleme interessiert sich keiner, weil sie sowieso lächerlich und klein sind. Deine Eltern sagen, sei stolz auf das, was deine Vorfahren erar-beitet haben, deine Freunde sagen, was kümmern dich die da unten, die sind selbst schuld. Und du willst zwar Nein sagen, traust dich aber nicht, weil du selbst nicht glaubst, dass sich irgendje-mand dafür interessiert, was sich hinter deiner Fassade versteckt.“
Es ist verrückt, wie gut Mai mich durchschaut. Sie weiß nur von mir, was ich ihr in den letzten Minuten erzählt habe, kennt mich erst seit einer Stunde, wovon ich das erste Viertel verschlafen habe, und weiß doch genau, was in mir vorgeht. „Wie kannst du das wissen?“, frage ich sie vorsichtig. Da lacht sie, und die bedrückte Atmosphäre ist ver-flogen. Ihre Augen sprühen Funken und ihr Lachen scheint noch nachzuhallen, als sie schon längst damit aufgehört hat. „Ich mache gerade eine Ausbildung zur Erzieherin. Da braucht man Psy-chologie. Normalerweise habe ich zwar eher mit kleineren Kindern zu tun, aber so groß ist der Unterschied nun auch nicht…“ Ich übergehe die Stichelei und frage völlig verblüfft: „Du bist schon in der Ausbildung?!“ „Eigentlich bin ich sogar schon bald fertig. Nächstes Jahr mache ich mein Anerkennungsjahr, und
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dann war’s das auch schon. Es können nicht alle bis 19 zur Schule gehen und dann noch dreimal das Studienfach wechseln, bis sie wissen, was sie wol-len.“ Meine Bemerkung tut mir leid. Das Benommenheitsgefühl von vorhin ist immer noch nicht weg. Es scheint eher stärker zu werden. „Es ist nur… das ist bei uns nicht so präsent. Ich kann mir gar nicht vorstellen, schon arbeiten zu gehen, eigenes Geld zu verdienen… Warum wolltest du ausgerechnet Erzie-herin werden?“
Ihr Gesicht wird noch lebendiger, so-fern das überhaupt möglich ist, als sie beginnt, von ihrer Arbeit zu erzählen. Wie sie mit Noah malt und er ihr mit treuherzigem Blick ein Portrait von ihr überreicht – eine Kugel mit Augen, Mund und vier Strichen dran. Wie sie immer versucht, nicht zu zeigen, dass sie genau gesehen hat, wie Meike fünf Schritte statt vier macht und Mais Spielfigur zurück nach Hause schickt. Wie sie Timo und Lena das Märchen von Rapunzel vorliest und die beiden mittendrin einschlafen, eng an sie ge-kuschelt, sodass sie sich ganz vorsichtig aus ihrer Umklammerung winden muss. Man sieht sofort, dass sie ihren Beruf liebt, und dass sie niemals in ihrem Leben etwas anderes machen will.
„Du hast das gefunden, was du sein willst, deine Berufung. Ich beneide dich.“ „Warum? Das kannst du auch. Das kann jeder. Du musst dir darüber klar wer-den, was du hast und was du willst im Leben. Wenn du soweit bist, ist der Rest ein Kinderspiel.“ „Aber das ist ja genau das Problem!“, rufe ich aus. „Ich weiß nicht, was ich will, und ich mag nicht, was ich habe. Ich gehe jetzt nach Hause und sage meinen Eltern Hallo, die nicht nachfragen, ob es schön war in Über-lingen, sondern warum ich mir in der Bahnhofsbäckerei ein Schnitzelweckle gekauft habe und nicht essen gegan-gen bin. Sie werden mich fragen, ob ich wieder im 2.-Klasse-Abteil war, und dann werden wir uns wieder darüber streiten, warum ich so undankbar bin. Ich gehe in mein Zimmer – ins Schlaf-zimmer – und höre sie darüber reden,
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Schreibwettbewerb FABRIK-Rundbrief | Winter 2011/2012
wie ich so jemals den Verlag erben soll und dass hoffentlich niemand gesehen hat, wo ich ausgestiegen bin. Ich will nicht nach Hause! Ich würde viel lieber mein ganzen Leben in diesem zugigen, hässlichen Abteil sitzen, als nach Hause zu gehen!“ Und mit dir reden, füge ich in Gedanken hinzu. Aber das sage ich nicht laut.
Ihre Antwort trifft mich völlig über-raschend. „Dann komm doch noch mit zu mir.“ Und bevor ich antworten kann, bevor ich überhaupt darüber nachden-ken kann, was ich antworten soll, steht sie auf und zieht mich ebenfalls auf die Beine. „Wir sind sowieso gleich da.“ Und wirklich, vor dem Fenster glühen überall Lichter, sie breiten sich rechts und links zu unseren Füßen aus. Sie erleuchten die Nacht mit ihrem warmen, beruhi-genden Schein. Wir rollen am Gebäude der Badischen Zeitung vorbei, das Logo auf dem Dach wird angestrahlt. In zwei Minuten sind wir am Hauptbahnhof. Ich werde nach links gehen, sie nach rechts. Die Vorstellung nimmt mir die Entscheidung ab. „Ja, gern. Ich würde gern mit dir gehen.“ Ich verfluche mich innerlich wegen der ungeschickten For-mulierung, aber Mai grinst mich nur belustigt an und schnappt sich meinen Rucksack. Verblüfft nehme ich die alte Reisetasche von meiner Oma, die ich immer benutze, wenn ich zu ihr fahre, und folge ihr zur Tür.
Die Bremsen singen auf den Gleisen und die Tür öffnet sich sanft. Bevor sie reagieren kann, springe ich auf den Bahnsteig und hebe mit einer leichten
Verbeugung meine Hand, um ihr beim Aussteigen zu helfen. Hand in Hand, nah beieinander, steigen wir die Trep-pen hinab und durchqueren in friedli-chem Schweigen die Unterführung. Die Schiebetüren am Eingang öffnen sich und wir stehen auf der Straße, die un-typisch leer ist.
Ich sehe Mai an, Mai sieht mich an. Un-sere Blicke verschränken sich, plötzlich sind unsere Gesichter ganz nah beiein-ander, für den Bruchteil einer Sekunde, flüchtig wie der Flügelschlag eines Vo-gels, der sich in die Luft erhebt, berüh-ren sich unsere Lippen. In einer einzigen Bewegung drehen wir uns nach rechts, folgen der stillen Straße, während die Stadt um uns herum leuchtet.
Prognosen für das kommende Jahr sind immer schwer. Daher erfreute uns unsere
Kanzlerin kurz vor Jahresende lieber mit einer Vorausschau für 2013. Endlich wird
es dann radikale Steuersenkungen geben. Geringverdienende sparen bis zu 3,- Euro
pro Monat , Besserverdienende sparen fast 4,- Euro pro Monat und Sich-dumm-und-
dusselig-Verdienende sparen sich den ganzen Aufwand, weil sie ihre Knete sowieso
im Ausland deponiert haben. Um das ganze sozialverträglich zu gestalten, wird eine
Ausgleichsabgabe auf Luxusgüter wie Brot, Mietwohnungen und Atemluft erhoben.
Wie man in Berlin versicherte, wurden die Pläne eng mit dem Chef der Opposition,
Philipp Rösler, abgestimmt.
Auch bei der SPD besinnt man sich auf alte Werte. Getreu dem alten Kampfruf: „Hoch
die internationale Solidarität!“ will man auf unbegrenzte Zeit am Solidaritätszuschlag
festhalten.
Außerdem wurde vereinbart, bis 2025 die lange angekündigte Vereinfachung des
Steuersystems in Angriff zu nehmen. Endlich wird die Steuererklärung für jedermann
verständlich. Hier die Eckdaten:
Die Umsatzsteuer wird an den Mehrwert gebunden. Die Kopfpauschale bei Pendlern
wird für zehn Jahre eingefroren. Die dadurch entstehende Kaufkraftabschöpfung bei
niedrigen Einkommen wird auf den Abschlag bei der Gewerbesteuer angerechnet,
wobei sich der Spareinlagenzuschuss der Kommunen zukünftig an der Verzinsung von
Freibeträgen orientiert. Durch die Abgeltung im Hotelgewerbe erhöht sich der Einnah-
menüberschuss bei Land- und Forstwirtschaft, so dass Unselbständige auch weiterhin
den Sockelbetrag für die Doppelbezuschussung bei abnormer Veranlagung geltend
machen können.
Für Schwerverdiener wird der Sockelbetrag bis zur Beitragsbemessungsgrenze von
zwei Drittel des Bruttoeinkommens gedeckelt. Alleinstehende Doppelverdiener mit
einfachem Einkommen, sowie doppelte Alleinverdiener, die ohne Doppeleinkommen
auskommen, kommen, sofern sie für ihre Nachkommen aufkommen, bevor sie um-
kommen, in den Genuss des EU-Aufkommenabkommens.
Für die Absenkung des Hebesatzes für Einzelkinder gilt die Splittingtabelle für Ehe-
gatten, beziehungsweise bei Minderjährigen der § 3a zur Sonderregelung des Kinder-
freibetrages zum Abschreiben bei Klassenarbeiten. So haben auf jeden Fall alle mehr
Brutto vom Netto, vorausgesetzt man hat noch eine Nutte in Petto. Für Härtefälle
gibt’s bei NETTO gedeckelte Dackelsocken und Sondereinnahmen aus Vermietung
und Verpachtung.
Die Gegenfinanzierung erfolgt kostenneutral über eine schrittweise Anpassung
der Gebührenerhöhung, oder anders ausgedrückt: Wir werden in Zukunft noch
mehr zur Kasse gebeten, ansonsten bleibt alles beim alten.
Damit das ganze auf einem Bierdeckel Platz hat, wurden bei der deutschen
Bierdeckelindustrie bereits Bierdeckel mit fünfzig Metern Durchmesser in
Auftrag gegeben.
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FABRIK-Rundbrief | Winter 2011/2012 Kolumne
Was bringt uns 2012 steuerlich?
Axel Pätz informiert
➔ Axel Pätz gastiert im Vorderhaus am Freitag, den 20. Januar 2012 und am Samstag, den 21. Januar 2012, jeweils um 20:30 Uhr
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Adressen FABRIK-Rundbrief | Winter 2011/2012
Hausbüro 50 365-30 www.fabrik-freiburg.deVorderhausKulturbüro 50 365-40 www.vorderhaus.de
Veranstaltungsinfo 50 365-44
AMICA e.V. / Bosnienhilfe 556 92 51 www.amica-ev.orgBAGAGE – Pädagogische Ideenwerkstatt 55 57 52 www.bagage.deBüro für Spielraumplanung 55 57 31Energie in Bürgerhand eG 590 41 88 Mo-Do 9-12 www.energie-in-buergerhand.deFahrradwerkstatt 5 27 29 Mo-Fr 10-13, 15-18.30 www.fahrradwerkstatt-freiburg.de
Reparatur in Selbsthilfe Mo-Fr 15-18.30, Sa 10-14Die Radgeber & Tandemladen (Spechtpassage) 292 76 70 www.radgeber-freiburg.de
Freiburger KinderhausInitiative 707 68 22 www.freiburger-kinderhausinitiative.deFreie Holzwerkstatt 5 45 31 Mo-Fr 8.30-12.30, 13.30-17 www.wir-machen-moebel.deFriedlicher Drache 47 14 85 www.friedlicherdrache.deFRIGA – Sozialberatung 090010-37442 Di-Do 10-15 www.friga-freiburg.deGraphik & Siebdruck Werkstatt 5 71 46KeramikWerkstatt der FABRIK 50 365-56 www.keramikwerkstatt.fabrik-freiburg.de
Offene Werkstatt Di 16-20, Fr 17-21Kindertagesstätte FABRIK 55 35 95 Mo-Fr 7.30-16Markt & Strategie Eckhard Tröger 557 46 01 www.marktundstrategie.deMedien Service Siegfried Wernet 514 57-16Motorradclub Kuhle Wampe Mi 20.30 www.freiburg.kuhle-wampe.deMotorradclub Weingarten Fr 20 www.mcw-freiburg.deNaturschule Freiburg 2 44 08 Mo-Fr 9-12 www.naturschule-freiburg.depasswort Übersetzungen Nicole Stange-Egert 29 25 32-0 www.pass-wort.euProbe — Projektberatung in der FABRIK 27 28 39schwarz auf weiss Druck & Litho 514 57-0 www.sawdruck.deThe Move — Neuer Tanz im Alten Saal 707 85 33 www.move-freiburg.deVorderhaus Gaststätte 557 70 70 Mo-Fr ab 11.30, Sa ab 12, So ab 9.30 www.vorderhaus-restaurant.deWochenmarkt in der FABRIK 590 09 83 Sa 9-13Zett [di’zain] Günther Zembsch 514 57-18
FABRIK für Handwerk, Kultur und Ökologie e.V. Habsburgerstraße � | 7�104 Freiburg | Tel. 0761.50 365-30 | Fax 0761.50 365-55 | www.fabrik-freiburg.de
freiburg-grenzenlos-festival23. Januar – 5. Februar 2012
23.01. 20.00 Uhr Eröffnungsgala Messe Freiburg
24.01. 20.30 Uhr FIL »Die große FIL & Sharkey Show« Vorderhaus
25.01. 20.30 Uhr Holger Paetz »Gott hatte Zeit genug« SWR-Studio
25.01. 20.30 Uhr Ohne Rolf »Schreibhals« Vorderhaus
26.01. 20.30 Uhr Kernölamazonen »Liederliebesreisen: reloaded« SWR-Studio
26.01. 20.30 Uhr Carmela de Feo »Die schwarze Witwe der Volksbelustigung« Vorderhaus
27.01. 20.30Uhr Pflaum,SesterhennundRheidt»Zabbeduuschter« SWR-Studio
27.01. 20.30 Uhr Manfred Maurenbrecher »wallbreaker« Vorderhaus
28.01. 20.30 Uhr Ferruccio Cainero »Caineriade« Vorderhaus
31.01. 19.30 Uhr Harald Hurst & Gunzi Heil »rum un num« Berghotel Schauinsland
31.01. 20.30 Uhr Die Schattenspringer »GeldMachtUn(d)Glück« SWR-Studio
01.02. 20.30 Uhr Bernd Kohlhepp »Schiller Low Budget – Die Räuber oder so ...« SWR-Studio
02.02. 20.30 Uhr Müller-Huber »Seltsames Video, Kabarett, Theater« Vorderhaus
02.02. 20.30 Uhr Mia Pittroff »Mein Laminat, die Sabine und ich« SWR-Studio
03.02. 20.30 Uhr High Five »Mundesjugendspiele« Vorderhaus
03.02. 20.30 Uhr Franz Hohler »Das große Buch« SWR-Studio
03.02. 19.00 Uhr Dietz-Werner Steck & Felix Huby »Krimi, Wein und warme Decken« SchwarzerAdler,Oberbergen
04.02. 20.30 Uhr Gabriel Vetter »Menschsein ist heilbar« Vorderhaus
04.02. 20.30 Uhr Jo van Nelsen »Was, dir geht‘s gut?« SWR-Studio
05.02. 19.00 Uhr 6. Freiburger Heimatabend »Diese wunderbare Band und Gäste« Jazzhaus
Kartenbeiwww.freiburg-grenzenlos-festival.de,beiderTickethotline01805700733(14Cent/Min.),an den bekannten Vorverkaufsstellen und an den Abendkassen der jeweiligen Veranstaltungsorte.
Ohne Rolf Carmela de Feo Ferruccio Cainero