Epigenetik und Resilienz was die Seele stark macht€¦ · Austausch mit anderen Eltern zur...
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Epigenetik und Resilienz –was die Seele stark macht
Dr. Christina Berndt, Autorin und Journalistin, München
Die Kraftder Seele
Viele Kinder wachsen in schwierigen Verhältnissen auf
Manche zeigen Entwicklungsprobleme – aber nicht alle
Resilienz ist die Kraft der Seele, herausfordernde Situationen zu überstehen:
wie ein Schwamm oder ein Flummi, die sich auf Druck verformen, dann aber in ihren Ursprungszustand zurückkehren
oder wie ein Stehaufmännchen
Dr. Christina Berndt, München
Die Kindervon Kauai
Kohortenstudie auf der kleinen hawaiianischen Insel Kauai von Emmy Werner
698 Kinder des Jahrgangs 1955
etwa ein Drittel von ihnen (n = 201) wuchs in besonders schwierigen Verhältnissen auf, galt als „hochgradig gefährdet“
von diesem Drittel entwickelten sich zwei Drittel (n = 129) nicht gut: Sie brachen die Schule ab, wurden kriminell, nahmen Drogen, tranken zu viel Alkohol, hatten Schwierigkeiten in ihren Beziehungen oder zeigten Verhaltensstörungen oder psychische Probleme
ein Drittel (n = 72) aber meisterte sein Leben trotz der widrigen Umstände in seiner Kindheit
Dr. Christina Berndt, München
Hilfreiche Eigenschaften
• Die Fähigkeit, verlässliche soziale Bindungen aufzubauen
• Das Bewusstsein, etwas im Leben erreichen zu können, auch Selbstwirksamkeitserwartung genannt („Wir schaffen das!“)
• Selbstkenntnis und Realismus („Ich habe, ich bin, ich kann!“)
• Durchsetzungsvermögen und Ausdauer
• Ausgeglichenes Temperament
• Frustresistenz statt Opferrolle („Böser Stuhl!“)
• Offenheit für Veränderungen – auch für wenig erfreuliche („Wer weiß, wofür es gut ist!“)
• Fröhlichkeit und Humor
• Intelligenz (Wege finden und wissen, wann es sich zu kämpfen lohnt)
Diese Schutzfaktoren sind in unzähligen Studien gefunden worden!
Dr. Christina Berndt, München
Gene als Risiko
Auch Gene bieten Schutz oder erhöhen das Risiko
das „Trübsinns-Gen“ 5-HTT (Serotonin)
das „Gewaltspiralen-Gen“ MAO-A (Serotonin)
das „Alkoholismus-Gen“ CHRM2 (Acetylcholin)
das „Zappelphilipp-Gen“ DRD4 (Dopamin)
das „Angst-Gen“ INN (Vasopressin)
ALS2 für Ängstlichkeit (Hirnentwicklung)
Das „Stress-Gen“ NR3C1 (Cortisol)
Aber: „Die Genetik zeigt keinen Effekt auf die psychische Gesundheit, wenn die Individuen keinerlei Risiken ausgesetzt sind“ (Terrie Moffitt, Dunedin-Studien)
Allein wegen der Gene wird man nicht gewalttätig oder abhängig, es kommen immer Umweltfaktoren hinzu
„Wir sind nicht die Opfer unserer Gene!“ (Julia Kim-Cohen, Zwillingsforscherin)
Dr. Christina Berndt, München
Ängstliche und mutige Mäuse
Dr. Christina Berndt, Süddeutsche Zeitung, München
Im „plusförmigen Hochlabyrinthtest“ zeigt sich, welche Maus neugierig und welche ängstlich ist
Klarer Zusammenhang mit Genen (Serotonin-Transporter, Vasopressin)
Auf Menschen übertragbar, wie zuerst die Dunedin-Studie gezeigt hat
Die Kinder von Dunedin
Dr. Christina Berndt, Süddeutsche Zeitung, München
Langzeitstudie mit 1037 Kindern, die 1972/73 im Queen Mary Hospital in Dunedin (Neuseeland) geboren wurden
Gerade wurde die Kohorte erneut rekrutiert – 94 % der noch lebenden Studienmitglieder machen weiterhin mit
Gene sind veränderlich
Das Erbgut ist nichts anderes als ein chemisches Molekül.
Dr. Christina Berndt, Süddeutsche Zeitung, München
Der Prozess der Epigenetik
Dr. Christina Berndt, Süddeutsche Zeitung, München
Mokeküle lassen sich chemisch verändern –
und dies geschieht im Laufe des Lebens.
Manche Gene schweigen, wie man an den
verschiedenen Körperzellen sieht, die alle die
gleichen Gene haben.
Meta-morphose
Die Verwandlung von der Raupe zum Schmetterling ist das eindrücklichste Beispiel für Epigenetik:
Beide Tiere haben immer noch dieselben Gene!
Dr. Christina Berndt, Süddeutsche Zeitung, München
Epigenetikals Reaktion auf die Umwelt
„Die epigenetischen Veränderungen sind die Sprache, in der das Erbgut mit der Umwelt kommuniziert“ (Rudolf Jaenisch)
• Eineiige Zwillinge unterscheiden sich
genetisch im Laufe des Lebens immer
stärker voneinander.
• Das beginnt bereits im Mutterleib.
• Schon 10-minütiges Fahrradtraining
verändert das Erbgut.
• Traumatisierung bedeutet Hunderte
Veränderungen an den Genen.
Erfahrungen sind vererbbar
Erfahrungen verändern die Biologie, zum Beispiel schnellere Ausschüttung von Stresshormonen; die Betroffenen sind insgesamt anfällig für Stress
Traumatisierungen aus der frühen Jugend oder Nikotinfolgen finden sich bei Mäusen bis in die Urenkelgeneration wieder
Ähnliche Ergebnisse auch bei Menschen (Holocaust-Überlebende, Überlebende des Hungerwinters)
Aber: Die epigenetischen Veränderungen lassen sich auch wieder löschen!
Und das womöglich am leichtesten bei jenen, bei denen sie auch am schnellsten entstehen.
Die Kraft der Pädagogik
Orchideen sind schwierig zu pflegen, der Löwenzahn wächst auch auf dem Schrottplatz des Lebens
Aber wer sich mit den Orchideen Mühe gibt, erhält am Ende die prächtigeren Blüten
Resilienz lässt sich modulieren
Resilienz ist keine Eigenschaft
Resilienz ist eine Strategie
Eine wesentliche Ressource dafür: die Fähigkeit,dieeigenen Gedanken und das eigene Verhalten zu modulieren
Die Konsequenz ist: Man kann Resilienz lernen –und dabei helfen Krisen sogar
Es bleibt also viel Raum für die Kraft der Pädagogik
Dr. Christina Berndt, Süddeutsche Zeitung, München
ResilientesVerhalten
Resiliente Kinder …
… sind eher in der Lage, aus negativen Stimmungen und Gedanken herauszufinden
… nehmen ihre Gefühle wahr und können darüber sprechen
… sind vertrauensvoller und weniger aggressiv
… sind einfühlsamer
… reagieren positiv auf Aufmerksamkeit, orientieren sich an Vorbildern
… sind interessiert an Menschen, Sachen und Ideen – lernen gerne
… können Impulse besser kontrollieren, sind zum Belohnungsaufschub in der Lage
… werden bei auftretenden Schwierigkeiten nicht von Verzweiflung gelähmt, sondern gehen die Probleme aktiv an
Dr. Christina Berndt, München
Ressourcen der epigenetischen Neupro-grammierung
Personale Ressourcen: Selbstwirksamkeit, Selbstkonzept, Optimismus
Familiäre Ressourcen: Familienklima, elterliche Unterstützung
Soziale Ressourcen: Soziale Unterstützung durch andere; Kontakt zu Gleichaltrigen; Präventionsprogramme
Dr. Christina Berndt, Süddeutsche Zeitung, München
Erfolge des Mauritius Child HealthProjects
Die Kaltblütigen werden am ehesten zu Kriminellen
Studie von Adrian Raine („Mauritius Child HealthProject“: Anhand von Herzfrequenz und Hautleitfähigkeit ließ sich bei 15-Jährigen vorhersagen, wer von ihnen mit 29 ein Verbrechen begangen haben würde
Lehrer schätzten jene 8-Jährigen als besonders aggressiv ein, die schon als 3-Jährige eine niedrige Herzfrequenz und Hautleitfähigkeit hatten
Aber: Intervention hilft! Wenn die 3-Jährigen und ihre Familien schon früh im Umgang mit Aggressionen geschult wurden, normalisierte sich ihr Umgang mit Gewalt – als 23-Jährige war ein Drittel weniger kriminell geworden
Kernaufgaben der sozialen Berufe
Bedürftige Kinder identifizieren
Eltern ermutigen, an Programmen teilzunehmen
Stärken stärken – die der Eltern und der Kinder
gesellschaftlich tragfähige Verhaltensoptionen aufzeigen: Es gibt immer auch eine andere Möglichkeit, wie man reagieren kann (ohne Gewalt, Drogen …)
Konkret heißt das: Konfliktlösung, Selbstkontrolle und Selbstregulation üben; Selbstwahrnehmung, Problemlösung und Gefühlsdifferenzierung trainieren, Verantwortung übernehmen und schließlich: eine positive Sicht auf sich selbst gewinnen
Dr. Christina Berndt, Süddeutsche Zeitung, München
Präventions-programme
Eltern-Kind-Interaktion verbessern
Bindungstheoretisch fundierte Angebote (STEEP)
Konzepte aus der systemischen Familientherapie (Marte Meo, Opstapje)
Erziehungskompetenz (STEEP, Triple P, Starke Eltern – starke Kinder)
Soziale Unterstützung durch Familienpaten, Familienhebammen
Austausch mit anderen Eltern zur Spiegelung des eigenen Verhaltens gegenüber dem Kind
Resilienzprogramme speziell für Kinder: „Perik“, „Faustlos“, „Effekt“, „Ich kann Probleme lösen“
Resilienz auch für die sozialen Berufe:
Wertschätzung auch kleinerer Erfolge.
Weg mit dem Defizitblick!
Erlernen von Optimismus, Offenheit und Neugier
Dr. Christina Berndt, Süddeutsche Zeitung, München
und ab Dezember 2019:
Dr. Christina Berndt, München