Einführung in die Modelltheorie...Erfolgreiche Kommunikation erfordert die Festlegung von!...
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Institut für Informatik!
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Informatik II: Modellierung Prof. Dr. Martin Glinz
Kapitel 2
Einführung in die Modelltheorie!
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Informatik II: Modellierung !Kapitel 2 !© 2009 Martin Glinz! 2!
Inhalt!
2.1 !Grundannahmen!
2.2 !Hauptmerkmale eines Modells!
2.3 !Sprache und Modell!
2.4 !Operationen auf Modellen!
2.5 !Deskriptive und präskriptive Modellbildung!
2.6 !Philosophische und ethische Aspekte!
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Informatik II: Modellierung !Kapitel 2 !© 2009 Martin Glinz! 3!
2.1 !Grundannahmen!
Betrachtet werden nur Modelle als Abbilder oder Vorbilder (vgl. Kap. 1.1)!
❍ Jedes Modell und jedes modellierte Original wird als Menge von Individuen und Attributen beschrieben.!
● Ein Individuum ist ein individuell erkennbarer, von anderen Individuen eindeutig abgrenzbarer, für sich stehender Gegenstand.!
● Attribute sind !
• Eigenschaften von Individuen oder von anderen Attributen!
• Beziehungen zwischen Individuen oder Attributen!
• Operationen auf Individuen oder Attributen.!
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Beispiel für die Elemente eines Modells!
Teil Bestellung LieferantNameAdresse
StrassePostleitzahlOrt
BestelldatumIdent-NrBezeichnung
Bestellen
Individuen
MerkmalBeziehung AttributeOperation
Attributeeines Attributs
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2.2 !Hauptmerkmale eines Modells!
❍ AbbildungsmerkmalJedes Modell ist Abbild oder Vorbild!
❍ VerkürzungsmerkmalJedes Modell abstrahiert!
❍ Pragmatisches MerkmalJedes Modell wird im Hinblick auf einen Verwendungszweck geschaffen!
(Stachowiak 1973)!
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Das Abbildungsmerkmal – 1!
„Ein Kran“
a. Original
b. Ein Modell eines Krans
d. Ein Modell des Modells c.
4ddLast Zug
c. Ein anderes Modell eines Krans
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Das Abbildungsmerkmal – 2!
Individuumoder Attribut Abbildung
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Das Abbildungsmerkmal – 3!
❍ Modelle sind Abbilder oder Vorbilder eines vorhandenen oder zu schaffenden Originals!
❍ Zu jedem Modell gehört eine Abbildung, welche die Individuen und Attribute des Originals auf diejenigen des Modells abbildet!
❍ Das Original kann selbst wieder ein Modell sein!
❍ Es kann verschiedene Modelle des selben Originals geben!
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Das Verkürzungsmerkmal – 1!
❍ Modelle erfassen meistens nicht alle Individuen und Attribute des Originals!
❍ Es wird nur das modelliert, was den Modellschaffenden wichtig/ nützlich/notwendig erscheint!
❍ Das Modell kann Individuen und Attribute enthalten, die keine Entsprechung im Original haben!
Original Modell
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Das Verkürzungsmerkmal – 2!
“A message to mapmakers: highways are not painted red, rivers don’t have county lines running down the middle, and you can’t see contour lines on a mountain.”
William Kent (1978)
Aufgabe 2.1:!Warum hat es auf topographischen Karten Höhenlinien?
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Das pragmatische Merkmal!
❍ Original und Modell(e) sind einander nicht aus sich selbst heraus zugeordnet.!
❍ Jedes Modell ist für einen spezifischen Zeitraum und Verwendungszweck geschaffen!
❍ Es gibt keine a priori richtigen oder falschen Modelle!
❍ Es dürfen keine Modellattribute ausgewertet werden, die keine Entsprechung im Original haben. !
Kauf-vertrag
„Unsere Wohnung“
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Aufgabe 2.2!
Gegeben ist folgendesModell einer Diskette:!
Notieren Sie in Stichworten zu dieser Modellbildung:!(1)!Welche Attribute des Originals entsprechen welchen Modellattributen?!(2)!Welche Attribute des Originals sind nicht modelliert?!(3)!Welche Attribute des Modells gibt es im Original nicht?!(4)!Mit welcher Pragmatik wurde dieses Modell erstellt?!
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2.3 !Sprache und Modell!
❍ Modelle, welche nicht aus einem konkreten Material bestehen, benötigen eine Sprache, in der sie ausgedrückt werden können!
❍ Sprache: strukturierte Menge von Zeichen und die damit bezeichnete begriffliche Vorstellung!
❍ Zeichen: Laute, Schrift, Symbole, Gebärden,...!
❍ Modelle: in der Regel mit Schrift und Symbolen ausgedrückt: Notation!
Notation – System von Schrift- und Symbolzeichen zur Darstellung eines!Modells!
❍ Explizite Zuordnung von begrifflicher Vorstellung und Notation!
❍ Meist mehrere Notationen zur gleichen begrifflichen Vorstellung!
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Beispiel!
Begriffliche!Vorstellung!
Notation! Keller!Stack!
Datenstruktur, bei der!das zuletzt abgelegte!Element als erstes wieder!entnommen wird!
Bezeichnetes!
Bezeichner!
(de Saussure)!
Bedeutung, Referenz,Gedanke!
Ausdruck, Symbol,Name, Wort!
(Ogden und Richards)!
Sprachelement:! In der Sprach- und Zeichentheorie:!
Beispiel:!
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expression symbol name word!
Exkurs in die Sprach- und Zeichentheorie!
❍ In jeder Sprache sind!● Bezeichner (Schrift- bzw. Klangbild, Symbol) und !● Bezeichnetes (begriffliche Vorstellung)!
!einander explizit (im Prinzip willkürlich) zugeordnet (de Saussure 1916)!
❍ Sprache kann (aber muss nicht!) Dinge der Realität bezeichnen!
❍ Semiotisches Dreieck (Ogden und Richards 1923):!
objectreferent
thing!
symbolizes! refers to!
stands for!
meaning reference thought!
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Notation und Bedeutungen!
❍ Wenn zwei Partner (Menschen oder Maschinen) kommunizieren, so tauschen sie eine Menge von Zeichen aus!
❍ Erfolgreiche Kommunikation erfordert die Festlegung von!● Notation!
• gemeinsamer Zeichenvorrats!• Regeln für die Bildung von Zeichenstrukturen (Syntax)!
● Bedeutung der Zeichen, d.h. der ihnen zugeordneten begrifflichen Vorstellung (Semantik)!
❍ Erfordert v.a. in Fachsprachen explizite Bedeutungsdefinitionen ➪! !Ontologien!
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Ontologie – explizite Bedeutungsdefinitions-Systeme!
Ontologie –!
In der Informatik: die konzeptuelle Formalisierung von Wissensbereichen!
[Allgemein: die Lehre vom Sein]!
❍ Ontologien sind formale Modelle einer Anwendungsdomäne, die dazu dienen, den Austausch und das Teilen von Wissen zu erleichtern!
❍ Damit Menschen über ein Modell kommunizieren können, benötigen sie eine gemeinsame Ontologie des Anwendungs- und Wissens-bereichs, der dem Modell zu Grunde liegt!
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Beispiel!
Anwendungsbereich: Linienflüge!
Bezeichnetes, begriffliche Vorstellung:!Der für einen Flugschein zu ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! !zahlende Betrag!
Bezeichner: Preis!
➪ Nur mit einer Ontologie, welche die Begrifflichkeit von «Preis» exakt bestimmt, werden Angebote verschiedener Fluggesellschaften vergleichbar!
Aufgabe 2.3:!Nennen Sie Beispiele möglicher unterschiedlicher Auffassungen von «Preis»!
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Zusammenhang von Original, Modell und Sprache!
Original!
Modellierer!
Modellbildung!
Pragmatik!
Modell!
Form (Syntax)!
Bedeutung (Semantik)!
Notation(en)!
repräsentiert in!einer Sprache!
Interpretation!
Modellauswertung!
Begriffliche Vorstellung!
Ontologie!
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Beispiel!
Die Beschäftigten im Verkauf der Firma AGP sind Peter Muster, Anna Maier, Fritz Mann und Eva Schütz !
Original! Modell!
Begriffliche Vorstellung!«Mitarbeiter ist beschäftigt !in Abteilung»!
(repräsentiert in einer Sprache)!
Notationen!
Mitarbeiter! Abteilung!beschäftigt!
Mitarbeiter! Abteilung!beschäftigt in!beschäftigt!
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2.4 !Operationen auf Modellen!
❍ Problem: Operationen auf Originalen sind manchmal!● nicht durchführbar ! !oder!● zu teuer !!
➬ Operationen auf Modellen: Aus dem resultierenden Modellzustand Rückschlüsse ziehen, wie sich das Original unter den gleichen Operationen verändert hätte!
!Beispiel: Wirkung des Zusammenstoßes zweier Fahrzeuge auf menschenähnliche Puppen in diesen Fahrzeugen!
❍ Vorsicht: Nur solche Modelloperationen sind zulässig, !
● zu denen es eine entsprechende Operation auf dem Original gibt!● deren resultierende Attribute auf entsprechende Attribute des
Originals abbildbar sind!
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Operationen auf Modellen – 2!
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2.5 !Deskriptive und präskriptive Modellbildung!
❍ Modellierung eines existierenden Originals!!oder!
❍ Modellierung eines zukünftigen, aber nicht gestaltbaren Originals!
➪ Deskriptive Modellierung!
!Beispiele: Stadtplan, Wettervorhersage, Komponentenstruktur eines im Einsatz befindlichen Informatiksystems!
❍ Modellierung eines zu schaffenden, gestaltbaren Originals!
➪ Präskriptive Modellierung!
➪ Beispiele: Konstruktionszeichnung, Anforderungsspezifikation für zu entwickelnde Software!
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Informatik II: Modellierung !Kapitel 2 !© 2009 Martin Glinz! 24!
Deskriptive und präskriptive Modellbildung – 2!
❍ Deskriptive Modellbildung muss sich streng an der Realität orientieren!
❍ Präskriptive Modellbildung darf zukünftige Realität gestalten!
❍ Deskriptiv und präskriptiv sind Eigenschaften der Modellbildung, nicht der Modelle selbst: dasselbe Modell kann deskriptiv bezüglich eines Originals und präskriptiv bezüglich eines anderen Originals sein!
Aufgabe 2.4:!Begründen Sie diese Aussagen an Hand von Beispielen!
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Informatik II: Modellierung !Kapitel 2 !© 2009 Martin Glinz! 25!
Deskriptive und präskriptive Modellbildung – 3!
❍ Vorsicht: auch deskriptive Modellbildung ist nicht wertfrei:!● zu Grunde liegende Pragmatik!● gezielte Verkürzung!● gezielte Wahl der Notation!● In Werbung und Propaganda häufig anzutreffen!
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Beispiel: Politische Propaganda!
❍ Eine politische Partei erstellt folgendes deskriptive Modell der Erwerbsquote in der Schweiz: !
!1972: 58,9% der Ausländer sind erwerbstätig 2000: 59,2% der Ausländer sind erwerbstätig!
❍ Die Erwerbsquote der Schweizer ist dabei dem Verkürzungsmerkmal zum Opfer gefallen:1972: 46,2% der Schweizer sind erwerbstätig 2000: 54,7% der Schweizer sind erwerbstätig!
➪ Der erwünschte Propagandaeffekt entsteht durch geeignetes Auswählen bzw. Weglassen von Attributen des Originals bei der Modellbildung !
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Beispiel: Werbung!
Eine Telefongesellschaft erstellt folgendes deskriptive Modell der eigenen !Preise und derer der Konkurrenz:!
wir ! Anbieter A Anbieter B!
Fr. 1.–!
Fr. 1.25!
Aufgabe 2.5:!Was schließen Sie intuitiv aus diesem Modell?!
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Deskriptiv oder konstruktiv?!
Modell! «Original»!
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Informatik II: Modellierung !Kapitel 2 !© 2009 Martin Glinz! 29!
2.6 !Philosophische und ethische Aspekte!
Was sind Originale?!
❍ Existieren Dinge a priori und objektiv?!
❍ Existiert nur, was erkennbar ist?!
❍ Gibt es objektive Erkenntnis?!
➪ Erkenntnis ist intersubjektiv!
➪ Erkenntnis ist Modellbildung!
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Verantwortung, Modelle und Realität!
❍ Modelle in der Informatik beschreiben Gegenstände und/oder Prozesse eines in der Regel realen Problembereichs!
❍ Jedes Modell stellt das Original aus einer bestimmten Sicht heraus dar und verändert damit die Wahrnehmung des Originals!
❍ Das gemäß einem Modell konstruierte System wird durch seinen Einsatz selbst ein Teil der Realität und beeinflusst/verändert den modellierten Problembereich!
➪ Modellierung ist ein Stück weit Realitätskonstruktion!
➪ Die Erstellung von Modellen ist keine wertfreie Tätigkeit!
➪ Alle Beteiligten tragen die Verantwortung für die durch das Modell bewirkten Interpretationen und Veränderungen des Originals!
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Informatik II: Modellierung !Kapitel 2 !© 2011 Martin Glinz! 31!
Literatur!
De Saussure, F. (1916). Cours de linguistique générale (Herausgegeben von C. Bally und A. Sechehaye unter Mitarbeit von A. Riedlinger). Lausanne-Paris: Payot.!Glinz, M. (2008). Modellierung in der Lehre an Hochschulen: Thesen und Erfahrungen. Informatik Spektrum 31, 5. 425-434.!Ludewig, J. (2003). Models in Software Engineering – an Introduction. Software and Systems Modeling 2, 1. 5-14.!Kent, W. (1978). Data and Reality. Amsterdam etc.: North-Holland.!Mädche, A., Staab, S., Studer, R. (2001). Ontologien. Wirtschaftsinformatik 43, 4. 393-396.!Ogden, C. K. & Richards, I.A. (1923). The Meaning of Meaning. A Study of the Influence of Language upon Thought and of the Science of Symbolism. London: Routledge & Kegan Paul.!Stachowiak, H. (1973). Allgemeine Modelltheorie. Wien: Springer.!Wedekind, H., G. Görz, R. Kötter, R. Inhetveen (1998). Modellierung, Simulation, Visualisierung: Zu aktuellen Aufgaben der Informatik. Informatik-Spektrum 21, 5. 265-272.!