Ein Phasenkontrast-Mikroskop für Neutronen

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210 | Phys. Unserer Zeit | 5/2006 (37) www.phiuz.de © 2006 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim TREFFPUNKT FORSCHUNG | Datensätzen aus. Dazu wird dem Referenzstrahl ein Teil des gesuchten Datensatzes aufgeprägt. Trifft er das passende Hologramm, dann wird es schlagartig dunkel und das Laufwerk stoppt. Das ermöglicht ein sehr schnelles Durchsuchen großer Archive. Für die professionelle Datenarchi- vierung ist diese Technik auch interessant, weil die Discs die Daten über einige Jahrzehnte hinweg zuverlässig speichern können. Die heute noch üblichen Magnetbänder erreichen knapp ein Jahrzehnt. RW spricht diese Winkeländerung der Lichtstrahlen einer, durch die Linse hervorgerufenen, ortsabhängigen Phasenverschiebung der Wellenfront. Um eine phasensensitive Abbil- dung auch mit Neutronenstrahlung zu erreichen, misst man also die durch ein Objekt hervorgerufene lokale Winkeländerung α des Neutro- nenstrahls (Abbildung 1 oben). Ver- wendet werden dazu zwei Gitter (G 1 und G 2 ) und ein ortsauflösender Neutronendetektor [2]. Die lokale Winkeländerung lässt sich durch Analyse der jeweils in einem Detek- torpixel gemessenen Intensität er- mitteln. Letztere hängt nämlich davon ab, wo der Neutronenstrahl auf dem Analysatorgitter G 2 , das aus absorbierenden Linien besteht, auf- trifft. Da der Brechungsindex von Materie für Neutronen nur um einige 10 –6 von eins abweicht und die Wellenlänge der Neutronenstrahlung typischerweise etwa 0,1 nm beträgt, liegen die Beugungswinkel im Be- reich weniger Bogensekunden. Die experimentelle Schwierigkeit besteht daher darin, solch kleine Beugungs- winkel effizient für eine Vielzahl von Bildpunkten zu messen. Dies gelang durch eine Verringerung der Gitter- strukturbreiten bis auf wenige Mikro- meter, wodurch sich die Winkelsensi- tivität der Apparatur erhöhte. Abbildung 1 unten zeigt die für eine Testprobe erzielten Messergeb- nisse. Die herkömmliche Neutronen- Absorptionsradiografie (links) zeigt kaum messbar einen Unterschied des Absorptionsverhaltens der beiden Metalle Kupfer und Titan. Das Bild der gemessenen Phasenverschiebung (rechts) hingegen weist klar einen Unterschied auf. Besonders interes- sant ist das entgegengesetzte Vor- zeichen der Phasenschiebung von Kupfer (im Bild schwarz gegen den grauen Hintergrund) und Titan (weiß gegen grau). Dies ist eine Folge der unterschiedlichen Vorzeichen der Neutronen-Streulängendichten in den Materialen. In Zukunft sind weitere Experi- mente geplant. Hierzu zählt die QUANTENMECHANISCHE WECHSELWIRKUNGEN | Ein Phasenkontrast-Mikroskop für Neutronen Phasenkontrast mit sichtbarem Licht ist ein unentbehrliches Hilfsmittel der modernen Mikroskopie. Einem Forscherteam am schweizerischen Paul Scherrer Institut (PSI) ist es nun gelungen, ein entsprechendes Abbildungsverfahren auch für Neutronenstrahlen zu entwickeln. So können quantenmechanische Wechselwirkungen von Neutronen mit Materie in Form von zwei- und dreidimensionalen Bildern sichtbar gemacht werden. Teilchenphysiker sehen in Neutro- nen kleine Partikel mit einem Durch- messer von einem Femtometer und einer Ruhemasse von etwa 10 –27 kg. Aufgrund des Welle-Teilchen-Dualis- mus lassen sich Neutronen aber auch als Materiewellenpakete beschreiben, denen die De-Broglie-Beziehung eine bestimmte Wellenlänge zuordnet. Als Folge der formell identischen Be- schreibung der Ausbreitung von Lichtwellen (Helmholtz-Gleichung) und Neutronenstrahlung (zeitunab- hängige Schrödinger-Gleichung) lassen sich klassische optische Interferenzexperimente, wie der Doppelspaltversuch, auch mit Neu- tronenstrahlung durchführen. Messungen der Phasenverschie- bung von Neutronen in Interferenz- experimenten wurden bisher ver- wendet, um Vorhersagen der Quan- tenmechanik experimentell zu verifizieren [1]. Die Arbeit des Forscherteams vom PSI zielt darauf ab, die über die Phasenverschiebung zugängliche Information mit einer ortsaufgelösten Abbildung zu kombi- nieren, um so quantenmechanische Wechselwirkungen von Neutronen mit Materie abzubilden. Wie eine phasensensitive Abbil- dung erreicht werden kann, verdeut- licht ein Beispiel aus der klassischen geometrischen Optik. Betrachtet man den Strahlengang durch eine Sammel- linse, so folgt aus dem Brechungs- gesetz, dass ursprünglich parallele Lichtstrahlen zur optischen Achse hin gebrochen werden. In einer wellenoptischen Beschreibung ent- ABB. 1 | NEUTRONEN-GITTERINTERFEROMETER Oben: Aufbau eines Neutronen-Gitterinterferometers, unten: gemessene Bilder mit Neutronen von zwei metallischen Stäben mit 6 mm Durchmesser mit herkömmlicher Absorp- tion (links) und mit Phasenkontrast (rechts). G 1 α G 2 Detektor

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Datensätzen aus. Dazu wird demReferenzstrahl ein Teil des gesuchtenDatensatzes aufgeprägt. Trifft er daspassende Hologramm, dann wird esschlagartig dunkel und das Laufwerkstoppt. Das ermöglicht ein sehrschnelles Durchsuchen großerArchive.

Für die professionelle Datenarchi-vierung ist diese Technik auchinteressant, weil die Discs die Datenüber einige Jahrzehnte hinwegzuverlässig speichern können. Dieheute noch üblichen Magnetbändererreichen knapp ein Jahrzehnt.

RW

spricht diese Winkeländerung derLichtstrahlen einer, durch die Linsehervorgerufenen, ortsabhängigenPhasenverschiebung der Wellenfront.

Um eine phasensensitive Abbil-dung auch mit Neutronenstrahlungzu erreichen, misst man also diedurch ein Objekt hervorgerufenelokale Winkeländerung α des Neutro-nenstrahls (Abbildung 1 oben). Ver-wendet werden dazu zwei Gitter (G1

und G2) und ein ortsauflösenderNeutronendetektor [2]. Die lokaleWinkeländerung lässt sich durchAnalyse der jeweils in einem Detek-torpixel gemessenen Intensität er-mitteln. Letztere hängt nämlichdavon ab, wo der Neutronenstrahlauf dem Analysatorgitter G2, das ausabsorbierenden Linien besteht, auf-trifft.

Da der Brechungsindex vonMaterie für Neutronen nur um einige10–6 von eins abweicht und dieWellenlänge der Neutronenstrahlungtypischerweise etwa 0,1 nm beträgt,liegen die Beugungswinkel im Be-reich weniger Bogensekunden. Dieexperimentelle Schwierigkeit bestehtdaher darin, solch kleine Beugungs-winkel effizient für eine Vielzahl vonBildpunkten zu messen. Dies gelangdurch eine Verringerung der Gitter-strukturbreiten bis auf wenige Mikro-meter, wodurch sich die Winkelsensi-tivität der Apparatur erhöhte.

Abbildung 1 unten zeigt die füreine Testprobe erzielten Messergeb-nisse. Die herkömmliche Neutronen-Absorptionsradiografie (links) zeigtkaum messbar einen Unterschied desAbsorptionsverhaltens der beidenMetalle Kupfer und Titan. Das Bildder gemessenen Phasenverschiebung(rechts) hingegen weist klar einenUnterschied auf. Besonders interes-sant ist das entgegengesetzte Vor-zeichen der Phasenschiebung vonKupfer (im Bild schwarz gegen dengrauen Hintergrund) und Titan (weißgegen grau). Dies ist eine Folge derunterschiedlichen Vorzeichen derNeutronen-Streulängendichten in denMaterialen.

In Zukunft sind weitere Experi-mente geplant. Hierzu zählt die

Q UA N T E N M EC H A N I S C H E W EC H S E LW I R K U N G E N |Ein Phasenkontrast-Mikroskop für NeutronenPhasenkontrast mit sichtbarem Licht ist ein unentbehrliches Hilfsmittelder modernen Mikroskopie. Einem Forscherteam am schweizerischenPaul Scherrer Institut (PSI) ist es nun gelungen, ein entsprechendesAbbildungsverfahren auch für Neutronenstrahlen zu entwickeln. So können quantenmechanische Wechselwirkungen von Neutronen mitMaterie in Form von zwei- und dreidimensionalen Bildern sichtbargemacht werden.

Teilchenphysiker sehen in Neutro-nen kleine Partikel mit einem Durch-messer von einem Femtometer undeiner Ruhemasse von etwa 10–27 kg.Aufgrund des Welle-Teilchen-Dualis-mus lassen sich Neutronen aber auchals Materiewellenpakete beschreiben,denen die De-Broglie-Beziehung einebestimmte Wellenlänge zuordnet. Als

Folge der formell identischen Be-schreibung der Ausbreitung vonLichtwellen (Helmholtz-Gleichung)und Neutronenstrahlung (zeitunab-hängige Schrödinger-Gleichung)lassen sich klassische optischeInterferenzexperimente, wie derDoppelspaltversuch, auch mit Neu-tronenstrahlung durchführen.

Messungen der Phasenverschie-bung von Neutronen in Interferenz-experimenten wurden bisher ver-wendet, um Vorhersagen der Quan-tenmechanik experimentell zuverifizieren [1]. Die Arbeit desForscherteams vom PSI zielt daraufab, die über die Phasenverschiebungzugängliche Information mit einerortsaufgelösten Abbildung zu kombi-nieren, um so quantenmechanischeWechselwirkungen von Neutronenmit Materie abzubilden.

Wie eine phasensensitive Abbil-dung erreicht werden kann, verdeut-licht ein Beispiel aus der klassischengeometrischen Optik. Betrachtet manden Strahlengang durch eine Sammel-linse, so folgt aus dem Brechungs-gesetz, dass ursprünglich paralleleLichtstrahlen zur optischen Achsehin gebrochen werden. In einerwellenoptischen Beschreibung ent-

A B B . 1 | N E U T RO N E N - G I T T E R I N T E R F E RO M E T E R

Oben: Aufbau eines Neutronen-Gitterinterferometers, unten:gemessene Bilder mit Neutronen von zwei metallischenStäben mit 6 mm Durchmesser mit herkömmlicher Absorp-tion (links) und mit Phasenkontrast (rechts).

G1

α

G2

Detektor

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Abbildung magnetischer Domänen-strukturen unter Verwendung dermagnetisch induzierten Phasenver-schiebung. Diese wird durch dieWechselwirkung des Neutronenspinsmit lokalen Magnetfeldern hervorge-rufen.

Literatur[1] H. Rauch & S.A. Werner, Neutron Interfero-

metry, Oxford University Press Oxford2000.

[2] F. Pfeiffer et al., Phys. Rev. Lett. 22000066, 96,215505.

Franz Pfeiffer, PSI, Villigen

Einen neuen Emissionsprozess von Licht bei Leuchtdio-den haben Stephan Koch und Kollegen von der UniversitätMarburg vorgeschlagen. Demnach seien nicht, wie allgemeinangenommen, Exzitonen die hauptsächlichen Quellen desLichts in Halbleitern, sondern Elektron-Loch-Plasmen. Exzito-nen sind Elektron-Loch-Paare, die in enger Wechselwirkungmiteinander stehen. Elektronen und Löcher in einem Plasmakönnen sich hingegen frei und unabhängig voneinanderbewegen. Um dem wahren Emissionsprozess auf die Spur zukommen, schlagen die Physiker spektroskopische Unter-suchungen im Terahertzbereich vor (S. W. Koch et al., NatureMaterials 2006, 5, 523).

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Extrem genaue Werte für den g-Faktor des Elektronsund die Feinstrukturkonstante haben Gerald Gabrielse vonder Harvard University, USA, und Mitarbeiter erhalten. Siemaßen die magnetischen Eigenschaften eines einzelnenElektrons mit einem neuartigen Zyklotron und erhieltendaraus g/2=1,001 159 652 180 85 (76). Dieser Wert ist etwasechsmal genauer als der bisherige und weicht um 1,7 Stan-dardabweichungen von diesem ab. Mit Hilfe von QED-Rech-nungen ergab sich für die Feinstrukturkonstante: 1/α =137,035 999 710 (96). Beide Werte sind wichtige Prüfsteinefür die Quantenelektrodynamik, QED. Außerdem lässt sich ausdem Wert für g eine Obergrenze für den Elektrondurchmesservon 10–18 m ableiten, auch Aussagen über mögliche Bausteineder Elektronen sind möglich (B. Odom et al., Phys. Rev. Lett.2006, 97, 030801, hussle.harvard.edu/~gabrielse).

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Hundert Meter lange Kabel aus hochtemperatur-supra-leitendem Yttriumbariumkuprat (YBCO) hat nach eigenenAngaben das Unternehmen American Superconductor herge-stellt. Die mit flüssigem Stickstoff gekühlten Kabel der zweitenGeneration besitzen 4 mm Durchmesser und können bis zu140 A Strom leiten (physicsweb.org/articles/news/10/7/11).

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Kugelblitz-ähnliche Plasmawolken im Labor habenPhysiker des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik und derHumboldt-Universität erzeugt. Hierzu zünden sie in einemWasserbehälter eine kurze Hochspannungsentladung, nachderen Abklingen ein Plasmaball aus ionisierten Wassermolekü-len aus der Oberfläche emporsteigt. Die „Plasmoide“ habeneine Lebensdauer von etwa 0,3 Sekunden und Durchmesservon 10 bis 20 Zentimetern. Wodurch die Leuchterscheinungzustande kommt, ist noch unklar(www.ipp.mpg.de/ippcms/de/presse/pi/05_06_pi.html).

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Das Verhältnis von Kohlendioxid-Emissionen zumVerbrauch an Primärenergie, die Kohlendioxid-Inten-sität, steigt seit fünf Jahren an. Davor war es 150 Jahrelang stetig gesunken. Der Grund ist die starke Zunahme anKohlekraftwerken, die im Vergleich zu anderen Kraftwerks-typen mehr Kohlendioxid pro erzeugter Leistung ausstoßen(www.ipp.mpg.de/ippcms/ep/ausgaben/ep200602/0206_coointensitaet.html).

PH YS I C S N E WS |

K L I M A FO R S C H U N G |Alpengletscher tauen abSchon seit langem beobachten Forscher einen Rückgang der Alpenglet-scher. Forscher der Universität Zürich haben nun mit Hilfe von Klima-szenarien die weitere Entwicklung bis zum Ende dieses Jahrhundertsmodelliert. Demnach könnten die Gletscher in hundert Jahren vollstän-dig verschwunden sein.

Ein komplettes Inventar der Alpen-gletscher kann für die 1970er-Jahrezusammengestellt werden, als rund5150 Alpengletscher eine Fläche von2909 km2 bedeckten. Der gesamteFlächenverlust der alpinen Eisbede-ckung seit 1850 beläuft sich auf etwa35 % bis in die 1970er-Jahre und auffast 50 % bis im Jahre 2000.

Wie sich die Klimaveränderungenauf die alpine Vergletscherung in dennächsten hundert Jahren auswirkenkönnten, hat Michael Zemp von derUniversität Zürich untersucht [1].Seine Modellierungsexperimenteergeben, dass ein Anstieg der Som-mertemperatur (April bis September)um 3 ºC die alpine Gletscherbede-ckung der Referenzperiode (1971–1990) um ungefähr 80 % reduzierenwürde. Dies entspricht noch circa10 % der Gletscherausdehnung umdas Jahr 1850. Im Falle eines Anstie-ges der Sommertemperatur um 5 ºCwürden die Alpen praktisch eisfreiwerden. Ein Anstieg der Sommertem-peratur von +1 bis +5 ºC und eineNiederschlagsänderung von -20 bis+30 % für das Ende des 21. Jahrhun-derts ist gemäß dem Intergovernmen-tal Panel on Climate Change (IPCC)ein realistisches Szenario. Für eineKompensation des Anstieges dermittleren Sommertemperatur um +1 ºC bräuchte es eine Zunahme desjährlichen Niederschlages von etwa+25 %.

Literatur[1] M. Zemp et al., Geophys. Res. Lett. 22000066,

33, L13504.

Internetwww.geo.unizh.ch/~mzemp/press/pressrelea-se_zemp_de.htm

A B B . 1 | A L PE N G L E T S C H E R

Modellierte Alpenvergletscherungunter Annahme eines Anstieges derSommertemperatur um +1 bis +5 °Cund/oder einer Änderung des Jahres-niederschlages. 100 % entspricht derVergletscherung der Referenzperiode(1971–1990). Die punktierte Linieentspricht reinen Temperaturänderun-gen, während die anderen Linienkombinierte Temperatur- und Nieder-schlagsänderungen darstellen. Beispiel:Bei einem Anstieg der Sommertempera-tur von 3 °C und einer Zunahme desNiederschlages um 10 % reduziert sichdie alpine Vergletscherung auf 27 % derEisfläche der Referenzperiode.