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Eberle Sophia, Eller Natalie, Gaisebner Annika, Hammer Laura (2019): „Wir erobern uns die Stadt zurück!“ Eine empirische Studie über Frauen* und deren Erfahrungen im Umgang mit Street Harassment. Wien: FHCW Prüfungsrelevant für den Wissenstest sind: Seiten 8 – 42 Liebscher Arthur (2019): Ehrenamtliche Bewährungshilfe in Österreich. Ein kritischer Diskurs umdie Vorteile ehrenamtlicher Bewährungshilfetätigkeiten. Wien: FHCW Prüfungsrelevant für den Wissenstest sind: Seiten 13 – 31 Moritz Maria (2020): Soziale Arbeit in Österreich, die Geburt eines Berufes. In: Bakic Josef, Brunner Alexander, Musil Verena(Hg.): Profession Soziale Arbeit in Österreich. Wien: Löcker, S.11-24 Prüfungsrelevant für den Wissenstest sind: Seiten 11 - 24 Schmitzberger Lisa Maxime (2019): Empowerment und Soziale Arbeit im österreichischen Assistenzhundewesen. Betroffene durch Kooperation stärken. Wien: FHCW Prüfungsrelevant für den Wissenstest sind: Seiten 16 - 35

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Eberle Sophia, Eller Natalie, Gaisebner Annika, Hammer Laura (2019): „Wir erobern uns die Stadt

zurück!“ Eine empirische Studie über Frauen* und deren Erfahrungen im Umgang mit Street

Harassment. Wien: FHCW

Prüfungsrelevant für den Wissenstest sind: Seiten 8 – 42

Liebscher Arthur (2019): Ehrenamtliche Bewährungshilfe in Österreich. Ein kritischer Diskurs umdie

Vorteile ehrenamtlicher Bewährungshilfetätigkeiten. Wien: FHCW

Prüfungsrelevant für den Wissenstest sind: Seiten 13 – 31

Moritz Maria (2020): Soziale Arbeit in Österreich, die Geburt eines Berufes. In: Bakic Josef, Brunner

Alexander, Musil Verena(Hg.): Profession Soziale Arbeit in Österreich. Wien: Löcker, S.11-24

Prüfungsrelevant für den Wissenstest sind: Seiten 11 - 24

Schmitzberger Lisa Maxime (2019): Empowerment und Soziale Arbeit im österreichischen

Assistenzhundewesen. Betroffene durch Kooperation stärken. Wien: FHCW

Prüfungsrelevant für den Wissenstest sind: Seiten 16 - 35

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„Wir erobern uns die Stadt zurück!“

Eine empirische Studie über Frauen* und deren Erfahrungen

im Umgang mit Street Harassment

Gruppenbachelorarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades

Bachelor of Arts in Social Science

der

Fachhochschule Campus Wien

Bachelorstudiengang Soziale Arbeit

Vorgelegt von:

Eberle Sophia (1710533029)

Eller Natalie (1710533114)

Gaisebner Annika (1710533010)

Hammer Laura (1710533097)

Begutachterin: Mag.a Manuela Hofer, BA

Abgabetermin: 12.02.2019

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Kurzfassung

Die vorliegende Arbeit mit dem Titel „‚Wir erobern uns die Stadt zurück!‘ Eine empirische Studie

über Frauen* und deren Erfahrungen im Umgang mit Street Harassment“ widmet sich dem Thema

der Belästigung von Frauen* im öffentlichen Raum. Unsere zentrale Fragestellung beschäftigt sich

mit den verschiedenen Formen von Street Harassment und den darauffolgenden Reaktionen der

Betroffenen. Andere bedeutsame Thematiken der Bachelorarbeit sind das Konzept der Intersek-

tionalität, gesellschaftliche Einflüsse sowie individuelle Definitionen und Erfahrungen der Befrag-

ten.

Aufbauend auf der theoretischen Auseinandersetzung mit Street Harassment wurden leitfaden-

gestützte Expertinnen- und Betroffeneninterviews wie auch eine Gruppendiskussion durchgeführt.

Aus deren Interpretationen resultieren unsere grundlegenden Erkenntnisse. Es wurde ersichtlich,

dass Frauen* vielfältigen Formen von nonverbaler, verbaler bis hin zu körperlicher Belästigung

ausgesetzt sind. Darüber hinaus zeigen die angewandten Gegenstrategien eine große Diversität

auf. Die Ergebnisse unserer Arbeit verdeutlichen die Präsenz sowie die Alltäglichkeit von Belästi-

gung im öffentlichen Raum und unterstreichen die Notwendigkeit eines dementsprechenden

Handlungsbedarfs. Unserer Meinung zufolge sollte die Soziale Arbeit an der Aufklärung und The-

matisierung von Street Harassment ansetzen, um eine Veränderung zu bewirken.

Abstract

The following paper entitled “’We take back the City!’ An empirical study of women* and their

experiences dealing with street harassment” focuses on the topic of harassment in public space.

Our central question deals with different forms of Street Harassment and the resulting reactions

of the affected women*. Other relevant aspects that are dealt with in our bachelor’s thesis are the

concept of intersectionality, influences against harassment by the society as well as individual

definitions and experiences of the interviewed women*.

Building on the theoretical examination of Street Harassment, we conducted guide-lined inter-

views with experts and affected women* and additionally did a group discussion. Our insights

follow from the interpretation of the interviews. The results show that women* are exposed to

various forms of non-verbal, verbal and physical harassment. Furthermore, the applied counter-

strategies show enormous diversity. The findings of this paper prove the presence and everyday

occurrence of Street Harassment, which is why a call for action is needed. Therefore Street Har-

assment should be thematized more frequently and profoundly by social workers in order to

achieve a long-term change.

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Inhaltsverzeichnis

I. Theorie ................................................................................................................................ 7

1. Einleitung ............................................................................................................................. 8

2. Street Harassment ............................................................................................................. 10

2.1 Definition ..................................................................................................................... 10

2.2 Ursachen und Entstehung von Street Harassment ...................................................... 11

3. Öffentlicher Raum .............................................................................................................. 14

3.1 Frauen im öffentlichen Raum ...................................................................................... 14

3.2 Angsträume ................................................................................................................. 15

4. Subjektive Wahrnehmungen von Frauen* .......................................................................... 17

4.1 Form ........................................................................................................................... 17

4.2 Öffentliche Medien ...................................................................................................... 17

4.3 Häufigkeit .................................................................................................................... 18

4.4 Sicherheitsgefühl ......................................................................................................... 19

4.5 Absichten der Belästigung ........................................................................................... 19

4.6 Ort ............................................................................................................................... 20

4.7 Persönlichkeiten und Wertehaltungen von Frauen* ..................................................... 20

5. Intersektionalität ................................................................................................................. 21

5.1 Race und Religion ....................................................................................................... 22

5.2 Sexuelle Orientierung und Transgender ...................................................................... 22

5.3 Frauen* mit Behinderung............................................................................................. 23

6. Formen von Street Harassment .......................................................................................... 24

6.1 Nonverbale Akte .......................................................................................................... 24

6.2 Verbale Akte................................................................................................................ 24

6.3 Körperliche Angriffe ..................................................................................................... 25

7. Gegenstrategien ................................................................................................................. 26

7.1 Gegenstrategien von Betroffenen ................................................................................ 26

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7.1.1 Persönliche Vorbereitung ..................................................................................... 26

7.1.2 Allgemeine Empfehlungen hinsichtlich Reaktionen auf Street Harassment .......... 27

7.1.3 Spezifische Empfehlungen in Bezug auf verbale Erwiderungen ........................... 28

7.1.4 Vermeidungsverhalten ......................................................................................... 29

7.1.5 Meldung an Autoritätspersonen ............................................................................ 30

7.2 Gesellschaftliche Gegenstrategien .............................................................................. 32

7.2.1 Bewusstsein von Männern* stärken ..................................................................... 32

7.2.2 Bewusstsein der Betroffenen und Dritter stärken .................................................. 33

7.2.3 Allgemeinheit informieren ..................................................................................... 33

7.2.4 Klare Regelungen und fachlicher Austausch ........................................................ 34

7.3 Rechtliche Rahmenbedingungen ................................................................................. 35

II. Empirie .............................................................................................................................. 38

8. Methodischer Zugang ......................................................................................................... 39

8.1 Auswahl der Erhebungsmethoden ............................................................................... 39

8.2 Umsetzung der Gruppendiskussion und Einzelinterviews mit Betroffenen ................... 39

8.3 Umsetzung der Expertinneninterviews ........................................................................ 41

8.4 Umsetzung der Datenauswertung ............................................................................... 42

9. Individuelle Definitionen von Street Harassment ................................................................ 44

10. Erfahrungen ....................................................................................................................... 47

10.1 Rahmenbedingungen .................................................................................................. 48

10.2 Emotionen ................................................................................................................... 50

10.3 Subjektive Wahrnehmung der Häufigkeit und Veränderung der Nutzung des

öffentlichen Raumes .............................................................................................................. 52

11. Erfahrungen in Bezug auf Intersektionalität ........................................................................ 54

11.1.1 Race .................................................................................................................... 54

11.1.2 Religion ................................................................................................................ 56

11.1.3 Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung .................................................... 57

11.1.4 Frauen* mit körperlichen Behinderungen ............................................................. 58

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12. Strategien der Betroffenen ................................................................................................. 60

12.1 Konfrontationsstrategien ............................................................................................. 60

12.2 Vermeidung von Street Harassment ............................................................................ 62

12.3 Einbezug Dritter in die Situation .................................................................................. 64

12.4 Wünsche der Betroffenen ............................................................................................ 65

13. Reaktionen des Umfelds vor und nach Street Harassment ................................................. 67

14. Gesellschaftliche Einflüsse in Bezug auf Street Harassment .............................................. 70

14.1 Rechtliche und politische Einflüsse ............................................................................. 70

14.2 Bildung und Erziehung ................................................................................................ 71

14.3 Medien und deren Auswirkungen ................................................................................ 72

14.4 Sensibilisierung durch Interventionen im öffentlichen Raum ........................................ 73

15. Resümee ............................................................................................................................ 75

III. Projektskizze .................................................................................................................... 78

16. #Takebackthecity ............................................................................................................... 79

16.1 Ausgangssituation, Problemstellung und Hintergrund ................................................. 79

16.2 Projektdefinition und Rahmenbedingungen ................................................................. 79

16.3 Zielsetzung .................................................................................................................. 81

16.4 Zielgruppe ................................................................................................................... 82

16.5 Methoden und Angebote ............................................................................................. 82

16.6 Raum und Infrastruktur ................................................................................................ 83

16.7 Personaleinsatz ........................................................................................................... 83

16.8 Maßnahmen im Sinn der Anti-Diskriminierung ............................................................. 83

16.9 Maßnahme der Qualitätssicherung .............................................................................. 84

Literaturverzeichnis ................................................................................................................... 86

IV. Anhang .............................................................................................................................. 87

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I. Theorie

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1. Einleitung

Die vorliegende Bachelorarbeit thematisiert die Problematik “Street Harassment”, da trotz dessen

Alltäglichkeit nicht viel darüber gesprochen, beziehungsweise dagegen unternommen wird. Da wir

selbst sowie auch Frauen* in unserem Umfeld regelmäßig Erfahrungen mit Belästigung im öffent-

lichen Raum machen, besteht ein persönliches Interesse an der vorliegenden Thematik. Es ist

uns ein Anliegen, neue Handlungsstrategien und Reaktionsmöglichkeiten aufzuzeigen, um dieses

Repertoire weiteren Betroffenen zur Verfügung zu stellen. Somit möchten wir einen Beitrag zu

einem sensiblen Umgang mit Street Harassment leisten, um Frauen* die Chance zu bieten, sich

in der Öffentlichkeit wohler zu fühlen.

Die ersten Überlegungen zu unserer Bachelorarbeit sind im Rahmen der Lehrveranstaltung „For-

schung- und Projektentwicklung: Diskriminierung und Soziale Arbeit – Umgang mit Diskriminie-

rungserfahrungen und Bedingungen einer anti-diskriminierenden Sozialen Arbeit“ gesammelt wor-

den. Nach längerer Betrachtung und Ausschluss einiger Ideen sind wir zu der Problematik „Street

Harassment“ gelangt, woraufhin das Themengebiet eingegrenzt und näher definiert wurde. Von

Beginn an waren wir uns einig, dass uns die Formen der Belästigungen und die damit einherge-

henden Erfahrungen von Betroffenen sehr interessieren. Des Weiteren wollten wir mehr darüber

wissen, wie Frauen* konkret mit Belästigung im öffentlichen Raum umgehen und welche Strate-

gien sie einsetzen, um diese zu bewältigen. Aus diesem Grund erschließt sich unsere For-

schungsfrage wie folgt: „Mit welchen Formen von Street Harassment sind Frauen* zwischen 18

und 30 Jahren konfrontiert und welche Gegenstrategien werden angewandt?“ Auf dieser Frage-

stellung beruht unsere theoretische wie auch empirische Forschung.

Zu der Thematik Street Harassment gibt es bislang nur wenige Forschungsergebnisse und Lite-

raturquellen, weshalb nur begrenzt Material zur Verfügung steht. Dennoch haben wir uns bemüht,

vielfältige Quellen und Perspektiven in unsere Arbeit einzubringen. Für die Beantwortung der For-

schungsfragen dienten uns literarische Quellen sowie unsere qualitative Forschung.

Zur Einführung in den Theorieteil definieren wir den Begriff “Street Harassment” und erläutern

dessen Ursachen sowie Entstehung. Die darauffolgenden Aspekte, welche in der Arbeit behandelt

werden, sind der öffentliche Raum, die subjektiven Wahrnehmungen von Frauen* und diverse

Formen der Belästigung. Auch das Konzept der Intersektionalität wird in dieser Arbeit thematisiert.

Darüber hinaus wurde in Bezug auf die möglichen Gegenstrategien nicht nur ein Schwerpunkt

daraufgesetzt, wie die Betroffenen handeln können, sondern auch welche gesellschaftlichen Mög-

lichkeiten und rechtlichen Rahmenbedingungen es gibt.

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In der Empirie werden die Ergebnisse durch unsere qualitative Forschung begründet. Es wurden

hierfür jeweils zwei Expertinnen- und Betroffeneninterviews sowie eine Gruppendiskussion ge-

führt. Unterdies werden die individuellen Definitionen der Befragten und deren Erfahrungen in

unserer Arbeit veranschaulicht. Hier lehnt sich die empirische Auseinandersetzung mit Intersekti-

onalität an. Diesbezüglich stellte sich uns die Frage, inwiefern Frauen* mit Diversitätsmerkmalen

andere Erfahrungen mit Belästigung im öffentlichen Raum machen als Cis-Frauen1. In Folge er-

läutern wir angewandte und empfohlene Strategien seitens der Betroffenen und der Expertinnen

in Bezug auf Street Harassment. Zusammenhängend damit gehen wir im selbigen Kapitel ebenso

auf die Wünsche der befragten Frauen* näher ein. Weiters werden die Reaktionen des Umfelds

vor und nach der Belästigung thematisiert und abschließend die gesellschaftlichen Einflüsse auf

Street Harassment behandelt.

Für den Titel unserer Arbeit „Wir erobern uns die Stadt zurück“ haben wir uns von der Frauenbe-

wegung in den 1970er Jahren in Deutschland inspirieren lassen. Diese führten in der Walpurgis-

nacht von 30. April auf 1. Mai mehrere Jahre lang Demonstrationen durch. Ihr Motto dabei lautete

„Wir erobern uns die Nacht zurück“, womit sie auf Gewalt an Frauen* aufmerksam machen wollten

(vgl. Strobl Ingrid 2018).

In der vorliegenden Bachelorarbeit wird bei “Frauen” und “Männer” ein Genderstern (*) hinzuge-

fügt, um alle Frauen* und Männer* zu inkludieren und eine geschlechtergerechte Sprache zu ver-

wenden. Darüber hinaus soll hervorgehoben werden, dass es sich bei den Geschlechterrollen um

soziale Konstruktionen handelt. Generell verstehen wir unter Frauen* und Männer* alle Personen,

welche sich als solche identifizieren und fühlen. Um bestehende Geschlechterkonstrukte zu ver-

deutlichen, wird bei Bezeichnungen, welche bewusst von Männern und Frauen sprechen, kein

Genderstern angeführt. Zudem wird dieser auch bei weiteren weiblichen sowie männlichen Be-

nennungen nicht verwendet.

Durch die intensive Auseinandersetzung mit Street Harassment sind wir uns der Aktualität und

der Alltäglichkeit der Thematik bewusstgeworden. Unsere Arbeit soll die oftmals einschneidenden

Erfahrungen von Betroffenen mit Theoriebezügen verknüpfen, und so einen Beitrag zur Aufklä-

rungsarbeit leisten. Es ist uns zudem ein Anliegen, über diese Bachelorarbeit hinaus für die

Rechte von Frauen* einzustehen und unser erworbenes Wissen in unser weiteres Studium sowie

in den späteren Arbeitsplatz einfließen zu lassen.

1 Unter Cis-Frauen versteht man weibliche Mehrheitsangehörige

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2. Street Harassment

Im folgenden Kapitel wird erläutert, worum es sich bei Street Harassment handelt. Da es keine

einheitliche Definition gibt, werden verschiedene Sichtweisen von unterschiedlichen Autor*innen

beleuchtet und ausgeführt.

2.1 Definition

Street Harassment ist ein Problem, wovon fast jede Frau* betroffen ist, ohne die Problematik

zwingend benennen zu können (vgl. Hofer 2018: 5). Zahlreiche Studien belegen, dass 80 bis 90

Prozent aller Frauen* schon mindestens einmal von Street Harassment betroffen waren (vgl. Kearl

2013: 5). Somit handelt es sich hierbei um ein Phänomen, mit welchem zahlreiche Frauen* tag-

täglich konfrontiert sind (vgl. Kearl 2010).

Der Begriff stammt aus dem Englischen, jedoch fehlt eine adäquate deutsche Übersetzung, wes-

halb auch im Deutschen der Originalbegriff verwendet wird (vgl. Auernhammer 2015: 55). Mit ein

Grund für das Ausbleiben einer deutschen Begrifflichkeit könnte das Fehlen eines umfassenden

wissenschaftlichen Diskurses im deutschsprachigen Raum zu dem Thema sein. Alternativ kann

von Belästigung im öffentlichen Raum gesprochen werden (vgl. Hofer 2018: 5).

Holly Kearl, eine Autorin, welche sich intensiv mit der Thematik auseinandersetzt, definiert Street

Harassment als „unwelcome words and actions by men in public places that invade the physical

and emotional space of unknown women in a disrespectful, creepy, startling, scary, or insulting

way” (Kearl 2010: 6f.). Dies bedeutet, die Handlung wird zwischen einander fremden Personen

gesetzt. Betroffene werden vor allem durch ein Gefühl der Unsicherheit in ihrem Handlungsraum

eingeschränkt. Darüber hinaus beinhaltet die Definition, dass die betroffenen Frauen* diese Inter-

aktionen nicht wünschen, dazu also gewissermaßen gezwungen werden (vgl. Hofer 2018: 6).

Eine weitere Definition ist jene von Deirdre Davis. Sie geht auf fünf Faktoren ein, die Street Ha-

rassment ausmachen. Erstens beschreibt sie, dass es sich hierbei immer um Handlungen im öf-

fentlichen Raum handelt. Derjenige, der diese ausführt, und dies ist ihr Faktor Nummer zwei, ist

ein der Frau* unbekannter Mann*. Als drittes Kriterium führt die Autorin an, dass ein „Danke“ von

der Betroffenen, die Situation ausufern lassen könnte. Davis begründet dies mit dem in der Situ-

ation vorhandenen Machtverhältnis. Sobald das Gespräch durch das Bedanken zu einem Dialog

wird, verliert der Mann* seine mächtigere Rolle in der Interaktion, was ihm zuwider werden kann.

Der vierte Faktor ist erfüllt, wenn sich die Bemerkungen auf den Körper der Frau* richten. Dies

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kann auch nicht sichtbare Körperteile betreffen. Als fünftes und letztes Kriterium macht Davis da-

rauf aufmerksam, dass die Handlungen meistens abfällig sind, wobei selbst positive Bemerkun-

gen unangenehm sein können (vgl. Davis 1994: 138f.).

Laut Brigitte Temel muss es sich bei Street Harassment nicht immer nur um sexuelle Belästigung

handeln. Ebenfalls fallen Rassismus, Ableismus, Homofeindlichkeit oder Ähnliches darunter (vgl.

Temel 2017: 35).

Die Definitionsversuche gehen hauptsächlich auf die Belästigungserfahrungen von Frauen* ein.

Nach Persson Perry Baumgartinger sind durchaus auch andere Personen von der Problematik

betroffen (vgl. Baumgartinger 2008: 104f.). Er macht auf die oftmals vorhandene Grundannahme

aufmerksam, dass „mächtige (Bio-)Männer (Bio-)Frauen2 belästigen und diese dadurch teilweise

oder ganz ohnmächtig machen. Damit wird auch davon ausgegangen, dass es einzig und allein

(Bio-)Frauen und (Bio-)Männer gibt“ (Baumgartinger 2008: 104f.). Er kritisiert somit die vorhan-

dene Heteronormativität des Diskurses und die damit verbundene Verfestigung der Geschlech-

terverhältnisse (vgl. ebd.).

Eine Studie des Österreichischen Institutes für Familienforschung (ÖIF) der Universität Wien be-

schreibt, weshalb sich Street Harassment hauptsächlich auf Erfahrungen von Frauen* bezieht.

Dabei kommt hervor, dass Belästigung im öffentlichen Raum ebenso Männer* treffen kann. Diese

wird jedoch von ihnen oftmals anders gedeutet und nicht als Bedrohung wahrgenommen. Männer*

stellen ihre Erfahrungen häufig so dar, als hätten sie trotz der Belästigung die Kontrolle über die

Situation behalten (vgl. Kapella et al. 2011: 103f.). Jedoch ist gerade der Faktor der Angst und die

damit einhergehende Einschränkung im öffentlichen Raum bei der Definition von Street Harass-

ment wesentlich (vgl. Auernhammer 2015: 57).

2.2 Ursachen und Entstehung von Street Harassment

Woher kommt dieses Phänomen, beziehungsweise was begünstigt das Entstehen von Street Ha-

rassment? In dem folgenden Kapitel wird näher darauf eingegangen.

Die Gesellschaft, in der wir leben, wird als „westlich“ bezeichnet. Werte, an denen wir vorgeben,

diese „Westlichkeit“ messen zu können, sind unter anderem wie weit beispielsweise Homosexu-

alität und die Rechte von Frauen* von der Bevölkerung akzeptiert werden. Dies sind jedoch

2 Unter BioMänner und BioFrauen werden Personen verstanden, welche sich jenem Geschlecht zugehörig fühlen, mit welchem sie geboren wurden.

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Scheineigenschaften der „Westlichkeit“. Immer noch wird die heteronorme Paarbeziehung zwi-

schen einem Mann und einer Frau – meistens aus der weißen Mittelschicht – in Mitteleuropa als

Norm angesehen und alles daran gemessen, so Vivar, Rostock, Schirmer und Wagels (vgl. et al.

2016: 8ff.). Der „Westen“ präsentiert sich somit als homofreundlich, in der Realität gibt es dennoch

zahlreiche Diskriminierungsfälle an Minderheiten wie homosexuellen Menschen und Transmen-

schen. Noch schwieriger wird es für Personen, die bereits aufgrund anderer rassifizierter Zuschrei-

bungen oder ihres sozio-ökonomischen Status gefährdet sind, diskriminiert zu werden (vgl. ebd.:

10f.).

Diese in der westlichen Gesellschaft herrschende Heteronormativität ist daran beteiligt, dass es

zu ungleich verteilten Macht- und Herrschaftsverhältnissen kommt, die im patriarchalischen Sinn

erhalten bleiben. Dies begünstigt das Entstehen von Belästigungen im öffentlichen Raum (vgl.

Baumgartinger 2008: 104).

Eine Erklärung dessen, woher diese Konstrukte kommen und weshalb sie erhalten bleiben, liefert

Pierre Bourdieu in seinem Werk „Die männliche Herrschaft“:

„Ihre besondere Kraft zieht die männliche Soziodizee daraus, daß [sic!] sie zwei Operati-

onen zugleich vollzieht und verdichtet: sie legitimiert ein Herrschaftsverhältnis, indem sie

es einer biologischen Natur einprägt, die selbst eine naturalisierte gesellschaftliche Kon-

struktion ist“ (Bourdieu 2005: 44f.).

Bourdieu beschreibt die Aufrechterhaltung der „männlichen Herrschaft“ damit, dass den Ge-

schlechtern ihre Rollen mit biologischen Begründungen zugeschrieben werden. Den Männern*

werden in der Arbeitsteilung die Aufgaben zugesprochen, welche die Familie erhalten. Sie müs-

sen also die „Starken“ und „Mächtigen“ sein. Diese Schemata sind historisch in unserer Gesell-

schaft verankert und werden von Generation zu Generation weitergegeben, wodurch sie sich

selbst festlegen und legitimieren (vgl. Bourdieu 2005: 63ff.).

Die patriarchale Geschlechterordnung wird uns demnach schon von klein auf mitgegeben. Zu-

sätzlich lernen wir schon früh, so Olena Prykhodko, dass Männer* einen starken sexuellen Drang

haben, welchen sie befriedigen und ausleben müssen. Dies führt gewissermaßen zu einer gesell-

schaftlich erschaffenen Entschuldigung für sexuelle Belästigung (vgl. Prykhodko 2008: 41).

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Bourdieu entwickelte den Begriff der „symbolischen Gewalt“. Diese ist aber keineswegs weniger

brutal als die physische Gewalt. Sie unterscheidet sich ausschließlich darin, nicht körperlich, son-

dern geistig ausgeführt zu werden. Im Zuge dieser Definition spricht er von Frauen* als Betroffene

der symbolischen Gewalt (vgl. Bourdieu 2005: 64f.).

Erziehung und auch Medien tragen ihren Teil zu der symbolischen Gewalt gegen Frauen* bei.

Dass Männer* stark und rau sein müssen, wird bereits in der frühen Kindheit gelernt. Hingegen

wird Weiblichem das Brav sein und das Feinfühlige zugesprochen (vgl. Prykhodko 2008: 45).

Frauen* wird nachgesagt, Entscheidungen aufgrund von Emotionen zu treffen. Hingegen werden

Männer* objektiver dargestellt. Diese Verfestigung der Geschlechter kann Frauen* dazu bringen,

sich weniger zu trauen, über ihre Erfahrungen von Street Harassment zu sprechen, da sie fürchten

müssen, keinen Glauben geschenkt zu bekommen (vgl. Prykhodko 2008: 42f.). Männern* wird

zusätzlich die Chance geboten, wieder in die Rolle des mächtigen Aufpassers zu schlüpfen (vgl.

Hofer 2018: 11) und „die ‚eigenen Frauen‘ vor dem ‚bösen Fremden‘ zu beschützen“ (ebd. 2018:

11).

In den Gender Studies wird diesbezüglich von der Genderkonstruktion gesprochen. Dabei wird

davon ausgegangen, dass „Geschlecht“ – anders als das biologische „Sex“ – in einem gesell-

schaftlich-kulturellem Rahmen durch Rollen(-bilder), Zuweisungen und Klassifikationen erzeugt

wird. Dazu gehört auch das „Doing Gender“. Dies bezeichnet jene Handlungen und Interaktionen

im täglichen Leben, die heteronormative Macht- und Strukturverhältnisse wiedergeben (vgl. Czol-

lek, Perko et al. 2009: 20f.). Hierzu zählen ebenso „die Herstellung normativer Geschlechterrollen

(männlich und weiblich) durch Sprache und Handlungen, durch Gestik und Mimik, durch Auftreten

und Art sich zu kleiden, auch durch die Art und Weise, andere Menschen wahrzunehmen, anzu-

sprechen und zu behandeln“ (Czollek, Perko et al. 2009: 21). Dem entgegenwirken kann die „Gen-

derdekonstruktion“, bei welcher Männer* und Frauen* die gleichen Funktionen und Rollen einneh-

men - entgegen aller stereotypen Auffassungen von Geschlechterrollen (vgl. ebd.: 22).

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3. Öffentlicher Raum

Da Street Harassment im öffentlichen Raum stattfindet, wird in diesem Kapitel näher darauf ein-

gegangen, wie dieser definiert wird, beziehungsweise welche Rolle Frauen* im öffentlichen Raum

haben. Dabei wird sowohl auf Historisches als auch auf Gegenwärtiges Bezug genommen.

Es gibt eine Trennung zwischen öffentlichem und privatem Raum. Die Entstehung von Raum be-

schreibt Maria Koch als Produktion von „gesellschaftliche[n] Konventionen, Macht- und Ge-

schlechterverhältnisse[n]“ (Koch 2013: 32). Wir selbst produzieren uns also unsere Räume.

Der öffentliche Raum ist durch gesellschaftliche und soziale Ordnungen gekennzeichnet. In ihm

findet das soziale Leben statt. Menschen halten sich an diese, selbst, wenn viele davon keine

niedergeschriebenen Gesetze sind, sondern allgemeine Vorstellungen darüber, was als sittlich

gilt und anerkannt ist (vgl. Hofer 2018: 9). Wie es zu den Vorstellungen über das weibliche Ver-

halten im öffentlichen Raum gekommen ist, wird im nächsten Abschnitt genauer erläutert.

3.1 Frauen3 im öffentlichen Raum

In ihrem Buch erklärt Koch, dass es vor allem zur Zeit der Industrialisierung sowie danach eine

klare Trennung des öffentlichen und privaten Raumes gegeben hat, wodurch es zu einer Auftei-

lung zwischen arbeitenden und bürgerlichen Frauen kam. Somit entstand ein Diskurs darüber,

wie sich Frauen angemessen verhalten sollen (vgl. Koch 2013: 27).

Den bürgerlichen Frauen im 18. und 19. Jahrhundert wurde der private Raum als Handlungsbe-

reich zugeschrieben. Aufgrund dessen kam es zu Diskussionen, wie sie sich im öffentlichen Raum

bewegen und verhalten dürfen (vgl. Koch 2013: 27). Frauen aus der bürgerlichen Schicht hatten

die klaren Aufgaben, sich um den Haushalt zu kümmern und (vgl. ebd.: 27) „die Familie vor dem

Schmutz und dem Dreck der immer schneller wachsenden Stadt zu schützen“ (ebd.: 27). Das

Zuhause in Obhut der Frau wurde als sicherer Ort für die ganze Familie angesehen. Im Gegenzug

hieß dies jedoch, dass alles, was draußen in der Stadt vorging, schmutzig war. In der Hinsicht

beinhaltet das auch diejenigen Frauen, die sich im öffentlichen Raum aufhielten. Die bürgerliche

Frau konnte sich also nicht ohne Begleitung ihres Mannes in die Stadt wagen, da dies als unsittlich

3 In diesem Kapitel sprechen wir oft von „der“ Frau und „dem“ Mann. Wir sind uns durchaus bewusst, dass mit diesen Formulierungen jene Geschlechterverhältnisse reproduziert werden, die wir im Laufe unserer Arbeit kritisieren. Dennoch empfinden wir es wichtig, in diesem Kapitel die Entwicklung dessen, wie sich Frauen und Männer im öffentlichen Raum bewegen, so wiederzugeben, wie sie auch stattgefunden haben. Dazu zählt demnach auch, die Geschlechter im historischen Sinne klar zu trennen, um somit die Problematik dahinter noch deutlicher sichtbar zu machen.

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angesehen worden wäre. Der öffentliche Raum, so wurde argumentiert, sei schlichtweg zu ge-

fährlich für sie. Zugleich waren Frauen abhängig vom zahlenden Mann, was es erschwert hätte,

sich in der Stadt frei zu bewegen und zu handeln (vgl. Koch 2013: 28f.).

Jedoch waren die Straßen im 18. und 19. Jahrhundert nicht leer von Frauen. Diejenigen aus der

Unterschicht, die arbeiteten, bewegten sich sehr wohl alleine in den Städten, um sich ihren Le-

bensunterhalt zu sichern und ihre Familien zu versorgen. Allerdings konnte jede Frau, welche sich

nachts alleine in der Stadt herumtrieb, verdächtigt werden, als Prostituierte zu arbeiten (vgl. Koch

2013: 28f.). Vor allem die offene, umtriebige Sexualität der Frauen aus der Unterschicht wurde

als gefährlich eingestuft, obwohl zahlreiche Männer aus den bürgerlichen Schichten regelmäßig

die Dienste von Prostituierten in Anspruch genommen hatten (vgl. Maderthaner 2003: 303f.).

Erst durch bessere Bildungsmöglichkeiten und die Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen

schafften es Frauen, sich langsam zu emanzipieren und ihren Platz in der Gesellschaft einzufor-

dern (Koch 2013: 30). Im Zuge der Frauenbewegung in den 1970er Jahren wurde die männliche

Beherrschung, auch auf den öffentlichen Raum bezogen, zur Sprache gebracht. Street Harass-

ment und damit einhergehende Themen wie Selbstbestimmung, die alltägliche Gewalt von Män-

nern gegen Frauen, Frauen als Objekte und Ähnliches wurden behandelt (Becker 2008: 57). Es

wurde auf die Rechte von Frauen aufmerksam gemacht, sich alleine im öffentlichen Raum bewe-

gen zu dürfen, wann und wie sie wollten. Die vorhandene sexualisierte Gewalt ist somit ebenfalls

thematisiert worden (Becker 2008: 59).

3.2 Angsträume

Durch die Frauenbewegung in den 1970er Jahren und der Thematisierung von Street Harassment

kam es auch zur Entwicklung von Begrifflichkeiten. Die Gewalt im öffentlichen Raum wurde zum

„Gewaltraum“. Durch Diskussionen und Sicherheitsdebatten kam die Angst der von Gewalt be-

troffenen Frauen* zur Sprache. Dadurch ging der Gewaltraum verloren und der „Angstraum“ ent-

stand. Dieser Wandel in der Begrifflichkeit wird von Becker kritisiert, da dabei der eigentliche

Grund der Angst, nämlich die Gewalt von Männern* gegen Frauen*, aus dem Blick gerät (vgl.

Becker 2008: 60f.). Dies spiegelt die vorhandenen Herrschafts- und Machtverhältnisse wider und

lässt sie weiterhin bestehen. Weiblichkeit wird demnach als ängstlich, schwach und feige darge-

stellt. Frauen* müssten dieser Logik nach beschützt werden, wodurch eine Emanzipation er-

schwert wird (vgl. Becker 2008: 62).

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Zusätzlich spricht Becker an, dass der eigentliche Angstraum nicht die Öffentlichkeit, sondern der

private Raum sein müsste, da es dort ersichtlich zu mehr Gewalt kommt. Der Begriff des Angst-

raumes entkräftet diese Thematik jedoch (vgl. Becker 2008: 62f.). Nicht unschuldig daran sind

Erziehung und Medien wie Zeitungen, Fernsehen und Internet. Die Angst vor dem Fremden im

öffentlichen Raum wird Frauen* regelrecht injiziert (vgl. Koch 2013: 34).

Laut Koch halten sich Mädchen mit ihren Freundinnen immer noch in näherem Umfeld zu ihren

Wohngegenden auf als Jungen und beschäftigen sich mit häuslicheren Tätigkeiten in ihrem tägli-

chen Leben. Zusätzlich stehen Mädchen unter einer stärkeren Kontrolle als Jungen. Ein Grund

dafür ist eine größere Furcht um die Mädchen, potenzielle Opfer von (sexualisierter) Gewalt im

öffentlichen Raum zu werden. Diese Angst wird den Kindern schon von klein auf mitgegeben und

trägt ebenfalls dazu bei, die Geschlechterverhältnisse aufrecht zu erhalten und den Gewaltraum

zum Angstraum zu machen (vgl. Koch 2013: 32).

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4. Subjektive Wahrnehmungen von Frauen*

Es ist Ziel des folgenden Kapitels, Einblick in die verschiedenen Sichtweisen und Erlebniswelten

von Frauen* zu gewähren und Faktoren ersichtlich zu machen, welche die subjektive Wahrneh-

mung beeinflussen. Dies ist vor allem für die Abgrenzung von Street Harassment sehr bedeutsam.

Ein und dieselbe Handlung kann für eine Frau* als Schmeichelei oder Kompliment gelten, jedoch

bereits für die Nächste unter Street Harassment fallen (vgl. Kearl 2010: 89).

4.1 Form

Je nach Form von Street Harassment wird die Situation unterschiedlich bewertet und anders auf-

gefasst. Prinzipiell ist beobachtbar, dass ‚leichtere‘ Formen von Aufmerksamkeiten positiver auf-

genommen werden als ‚schwerere‘ Formen von Belästigungen. Beispielsweise wird das Anlä-

cheln, Anschauen, Begrüßen oder Führen von belanglosen Konversationen von der Mehrheit der

Frauen* positiv beziehungsweise neutral bewertet. Dies gilt ebenso für Situationen, welche unter

dem Gesichtspunkt von Anstand und Höflichkeit eintreten, wie zum Beispiel Türen öffnen,

schwere Taschen tragen oder eine Sitzgelegenheit zur Verfügung stellen. Durch diese Tätigkeiten

werden vermehrt positive Emotionen, voran Fröhlichkeit und Dankbarkeit, ausgelöst. Hingegen

werden Handlungen, welche auf die Erscheinung des Individuums Bezug nehmen oder einen se-

xuellen Kontext aufweisen, vom Großteil als Belästigung empfunden. Dies hat oft negative Ge-

fühle wie Wut, Angst oder Gereiztheit zur Folge (vgl. Kearl 2010: 92f.).

Oft hängt die Interpretation des Geschehens auch davon ab, wie die Situation verlaufen ist. Wenn

ein positiver Ausgang stattgefundet und die betroffene Frau* keinen Schaden erlitten hat, so ist

die Tendenz größer, etwas als „harmlos“ bzw. „nur als Kompliment“ anzusehen. Bei negativem

Ausgang wird dies weniger beobachtet (vgl. Kearl 2010: 94).

4.2 Öffentliche Medien

Frauen*, welche sich intensiv mit öffentlichen Medien identifizieren, entsprechen oft stärker ver-

ankerten Stereotypen (vgl. Kearl 2010: 99). Dies trifft zu, da Medien, vor allem das Fernsehen,

jedoch auch Musikvideos, Magazine und das Internet, Frauen* auf verschiedene Arten sexuali-

sieren. Auffällig ist dabei, dass sexuelle Kommentare, welche sich häufig auf die körperliche Er-

scheinung beziehen, zu 85% von Männern* getätigt werden (APA 2007: 4f.). Männer* werden als

Autoritätspersonen dargestellt, die machtvoll sind und Wissen besitzen. Frauen* hingegen erhal-

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ten das Image der emotionalen Beobachterinnen, welche von Gefühlen konstant beeinflusst wer-

den und keine objektive Entscheidung treffen können (vgl. Prykhodko 2008: 43). Dadurch werden

Frauen* auf den Wert eines sexuellen Objektes reduziert, dessen Aufgabe es ist, als Lustobjekt

zu dienen (vgl. Kearl 2010: 99). Zudem wird in öffentlichen Medien die große sexuelle Lust des

Mannes* und die damit einhergehende Belästigung als Norm angesehen (vgl. Prykhodko 2008:

41). Dies kann zu einer Einschränkung des Selbstwertgefühls sowie zu einer Limitation der Selbst-

bestimmung führen (vgl. Hofer 2018: 10). In weiterer Folge kann Street Harassment als ange-

nehme Aufmerksamkeit eines Mannes* angesehen werden und somit für einzelne Frauen* wün-

schenswert sein (vgl. Kearl 2010: 99). Koch meint dazu: „Durch den reflexiven Umgang mit Me-

dien und die neutrale Berichterstattung könnte das Selbstbild von Frauen* verändert werden“

(Koch 2013: 51). Je mehr Reflexion und kritisches Hinterfragen stattfinden, desto wahrscheinli-

cher ist es, Rollenbilder aufzubrechen (vgl. ebd.: 51). Hierbei ist es wichtig zu erwähnen, dass

dies Zuschreibungen sind, welche westliche Gesellschaften Männern* beziehungsweise Frauen*

zuteilen. Wir möchten uns klar von diesen Kategorisierungen abgrenzen, da wir der Meinung sind,

es gibt weder den typischen „Mann“ noch die typische „Frau“.

4.3 Häufigkeit

Die Häufigkeit von Street Harassment wird von unterschiedlichen Faktoren beeinflusst. Frauen*

welche sich alleine in städtischer Umgebung aufhalten oder öffentliche Verkehrsmittel benützen,

haben ein höheres Risiko, Street Harassment im Alltag zu begegnen. Zudem ist das Alter ein

beeinflussender Faktor, aufgrund der häufigeren Betroffenheit von jüngeren Frauen*. Ebenfalls

relevant ist die Gleichstellung der Geschlechter innerhalb der jeweiligen Gesellschaft, da dies

Street Harassment verringern könnte (vgl. Kearl 2010: 95).

Laut Kearls Studien ist eine Korrelation zwischen der Häufigkeit und Wahrnehmung von Street

Harrassment gegeben. In der Studie wurde unter anderem erfragt, welche Emotionen ausgelöst

werden, wenn Frauen* Kommentare zu ihrem Aussehen erhalten. Frauen*, welche täglich oder

wöchentlich mit dieser Form von Street Harassment konfrontiert waren, gaben Wut (55%) und

Ärger (54%) als Hauptemotionen an. Die Gruppe, welche diese Situation maximal fünf Mal erlebt

hat, nannte Ärger (54%) und geschmeichelt sein (24%) als führende Empfindungen. Dies lässt

erkennen, dass Frauen* welche regelmäßig mit Street Harassment konfrontiert sind dazu neigen,

das Verhalten von Männern* weniger positiv zu beurteilen (vgl. Kearl 2010: 95f.).

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4.4 Sicherheitsgefühl

Das Sicherheitsgefühl in der jeweiligen Situation wirkt sich auf die erzeugten Emotionen aus. Prin-

zipiell hängen auch in der Kindheit gemachte Erfahrungen stark mit dem Sicherheitsgefühl im

öffentlichen Raum im Erwachsenenalter zusammen (vgl. Koch 2013: 52f.). Koch erklärt diesen

Zusammenhang wie folgt:

„jene Frauen, die gelernt haben, auf sich aufzupassen, und dass es unter Umständen für

sie gefährlich werden könnte, im Erwachsenenalter mehr Unsicherheiten aufweisen. Im

Gegensatz dazu haben die Frauen, die sich in ihrer Kindheit frei, auch ohne Aufsicht der

Eltern Raum aneignen konnten, heute weniger Unsicherheiten“ (Koch 2013: 53f.).

Ist das Empfinden der Sicherheit niedriger, wird eine Situation schneller als gefährlich und angst-

einflößend wahrgenommen. Faktoren, welche ein starkes Gefühl der Geborgenheit erzeugen,

sind: In Gesellschaft sein, sich in einem öffentlichen, belebten Ort aufhalten sowie das Tageslicht.

Umstände, welche das Individuum unsicher fühlen lassen, sind vor allem das Alleinsein sowie das

Aufhalten an verlassenen Orten. Andere Faktoren, welche sich negativ auf das Sicherheitsgefühl

auswirken, sind beispielsweise Dunkelheit, unbekannter Standort sowie die Überlegenheit des

Täters durch Körpergröße oder Alter (vgl. Kearl 2010: 96ff.). Entgegenwirkend gibt es innerhalb

Wiens Projekte, welche die „Sicherheit im öffentlichen Raum“ erhöhen sollen, indem beispiels-

weise Straßen heller beleuchtet werden (vgl. Koch 2013: 34).

4.5 Absichten der Belästigung

Je nach Äußerlichkeit und Absicht des Mannes* werden Situationen und Kommentare anders

aufgefasst. Erscheint er für die betroffene Frau* attraktiv oder wohlhabend, kann das Verhalten

positiver bewertet werden. Laut Kearl hat es auch einen Einfluss, ob das Gegenüber der gleichen

Herkunft, Hautfarbe, Altersklasse oder sozialen Gruppierung angehört. Umso ähnlicher die Be-

troffene dem Täter ist, desto milder fällt die Bewertung der Tat aus (vgl. Kearl 2010: 90).

Frauen* unterschieden bei der Absicht des Mannes* zwischen zwei Kategorien. Die erste Gruppe

hat zum Ziel, Frauen* ein Kompliment zu machen, die Zweite hingegen verhält sich ihnen gegen-

über respektlos. Je nach Zuordnung wird somit auch eine Aktion eines Mannes* im öffentlichen

Raum als Kompliment oder Belästigung empfunden. Die Kategorisierung selbst wird von multidi-

mensionalen Faktoren beeinflusst, beispielsweise von gesellschaftlichen Normen und dem

Selbstbewusstsein der Betroffenen (vgl. Kearl 2010: 98f.).

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4.6 Ort

Je nachdem in welchem öffentlichen Raum sich eine Person aufhält, wird eine Situation schneller

als bedrohlich oder harmlos eingestuft. Grundsätzlich kann gesagt werden, dass sich jede Person

im Laufe ihres Lebens bewusstwird, wie sie sich im öffentlichen Raum adäquat verhält. Diese

ungeschriebenen Gesetze und Regelungen werden stark von gesellschaftlichen und soziologi-

schen Faktoren beeinflusst. Durch diese festgelegten Strukturen wird ein Idealverhalten, bezie-

hungsweise natürliches Verhalten vorgegeben, an dem sich die Geschlechterrollen von Männern*

und Frauen* orientieren (vgl. Hofer 2018: 9).

Wie bereits erwähnt, ist im Zusammenhang mit dem öffentlichen Raum oft von „Angsträumen“ die

Rede (vgl. Becker 2008: 62). Es lässt sich sagen, dass Gewalt, welche Frauen* in der Öffentlich-

keit erleben, in den Hintergrund rückt, hingegen die Angst von Betroffenen in den Fokus gestellt

wird (vgl. Koch 2013: 36).

4.7 Persönlichkeiten und Wertehaltungen von Frauen*

Wie der aktuelle Forschungsstand zeigt, ist für die Wahrnehmung der jeweiligen Situation, in wel-

cher es zu Street Harassment kommt, die körperliche und psychische Verfassung der Frau* rele-

vant (vgl. Temel 2017: 35). Anhand von Studien wurde festgestellt, dass vor allem Frauen*, die

sehr traditionell oder unpolitisch sind, dazu neigen, Belästigung im öffentlichen Raum als Kompli-

ment zu bewerten (vgl. Kearl 2010: 90). Es sind verschiedene Persönlichkeiten, Lebensumstände

und Wertehaltungen von Frauen* hervorzuheben, weshalb dies nicht vereinheitlicht werden kann

und soll.

Abschließend lässt sich sagen, dass der Großteil von Frauen* Belästigungen im öffentlichen

Raum auch als solche empfindet. Einzelne nehmen dies jedoch durch die oben genannten Fak-

toren sowie gesellschaftlich konstruierte Normen als Kompliment wahr (vgl. Prykhodko 2008:41).

In diesem Zusammenhang ist die Wortmeldung von Prykhodko relevant: „Women are taught to

see it as a compliment“ (Prykhodko 2008: 41).

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5. Intersektionalität

Bei der Forschung zu Street Harassment kann aufgrund verschiedener Erfahrungen von unter-

schiedlichen Frauen* die Intersektionalität nicht außer Acht gelassen werden.

Verschiedene Kategorien wie Race4, sexuelle Orientierung, ökonomischer Status und physische

Beeinträchtigungen führen zu einer vielschichtigen Art der Diskriminierung und somit auch zu öf-

fentlicher Belästigung (vgl. Kearl 2010: 45). Sobald sich unterschiedliche Diskriminierungsformen

in einem Individuum überschneiden, wird von Intersektionalität gesprochen.

Kimberle Crenshaw (2004) beschreibt in ihrem Beispiel eine intersektionale Überschneidung an-

hand eines Unfalls an einer Kreuzung:

„Intersektionalität entstand einfach aus der Idee, dass wenn du direkt im Weg von mehre-

ren Exklusionsarten stehst, es sehr wahrscheinlich ist, dass du von beiden getroffen wirst.

Diese Frauen sind verletzt, aber wenn der Race- und der Gender-Krankenwagen am Ort

des Geschehens eintreffen, sehen sie die Frauen auf der Kreuzung liegen und sagen:

‚Okay, wir können nicht erkennen, ob dies gerade eine rassistische oder eine sexistische

Diskriminierung war. Und solange sie uns nicht sagen können, welche es war, können wir

ihnen auch nicht helfen’” (Crenshaw 2004; Übersetzung Schrader, zit.n. Schrader, Langs-

dorff 2014: 11).

In Bezug auf Street Harassment kann sich die Belästigung im öffentlichen Raum auf eine Kate-

gorie oder auf mehrere beziehen und folglich unterscheiden sich die Erfahrungen und Formen

hinsichtlich dieser (vgl. Temel 2017: 35). Treffen mehrere Kategorien zusammen, kann es zu

neuen, unterschiedlichen Formen der Diskriminierung kommen und muss es nicht zu einer Inten-

sivierung bereits bestehender Formen führen (vgl. Köbell 2010: 29).

Indem die Überschneidungen von Diversitätsmerkmalen bewusstgemacht werden, ist es möglich,

Street Harassment besser entgegenzuwirken (vgl. Kearl 2010: 45).

4 Aufgrund der negativen Behaftung des Ausdrucks “Rasse” haben wir uns dazu entschieden, den englischen Begriff “Race” zu verwenden.

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5.1 Race und Religion

Women* of Colour5 werden nicht nur wegen ihrem Geschlecht, sondern zusätzlich aufgrund der

Kategorie „Race“ diskriminiert. Sie haben einen „schlechteren“ Stand in der Gesellschaft und sind

dadurch verletzlicher und angreifbarer als Weiße Frauen*. Laut Holly Kearl (2010) erhöht die Zu-

gehörigkeit zu dieser Kategorie demnach nicht nur die Wahrscheinlichkeit, mit rassistischen Äu-

ßerungen konfrontiert, sondern zusätzlich Zielobjekt von Street Harassment zu werden (vgl. Kearl

2010: 46).

Holly Kearl (2010) zufolge ist dafür unter anderem das Vorurteil über die sexuelle Verfügbarkeit

von Women* of Colour verantwortlich. Dieses ist auf die Kolonialzeit zurückzuführen, in welcher

die ansässigen Frauen häufig als Sklavinnen gehalten und zum Gegenstand sexueller Vergnü-

gung gemacht wurden (vgl. Kearl 2010: 47). Zusätzlich nimmt sie Bezug zur gesellschaftlichen

Angst vor „ausländischen“ oder „andersgläubigen“ Personen. Besonders Musliminnen werden mit

terroristischen Handlungen in Verbindung gebracht und als Folge mit fremdenfeindlichen Aussa-

gen konfrontiert (vgl. Kearl 2010: 50).

5.2 Sexuelle Orientierung und Transgender

Durch die Heteronormativität in der westlichen Gesellschaft werden Cis-Frauen als die Norm an-

gesehen. Intersexuelle Personen sowie homosexuelle, bisexuelle und transsexuelle Frauen* ent-

sprechen demnach nicht der Erwartung und sind im öffentlichen Raum von zusätzlichen Formen

von Street Harassment betroffen oder erleben diese in einer anderen Art und Weise (vgl. Kearl

2010: 54f.).

Wenn homo- oder bisexuelle Frauen* sexuell belästigt werden, wird ihnen damit ihre sexuelle

Orientierung abgesprochen. Dies geschieht, indem Männer* die Erwartung haben, dass Frauen*

heterosexuell ausgerichtet sind (vgl. Kearl 2010: 55).

Manche Frauen* verheimlichen ihre sexuelle Orientierung in der Öffentlichkeit aus Angst davor,

mit bedrohlichen Reaktionen konfrontiert zu werden (vgl. Kearl 2010: 55). Dies wird gesellschaft-

lich gefördert, da ein Teil der Allgemeinheit die Meinung vertritt, Homosexualität sei etwas Privates

und nicht im öffentlichen Raum zu zeigen (vgl. Hauer, Springer 2008: 145f.).

5 Women* of Colour ist ein Begriff, um Frauen*, die nicht der weißen Mehrheitsbevölkerung angehören und demnach von Rassismus betroffen sind, zu bezeichnen.

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Homosexuelle Frauen* werden häufig wegen ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert und nicht

nur aufgrund ihres Geschlechts. Dies betrifft Frauen*, die ihre sexuelle Ausrichtung offen zeigen

oder bei welchen vermutet wird, sie könnten homosexuell sein (vgl. Hauer, Springer 2008: 135).

Frauen*, deren Homosexualität offen zu erkennen ist, sind oft von aggressiveren Formen von

Street Harassment betroffen. Weicht das äußere Erscheinungsbild von der weiblichen Norm ab

oder werden in der Öffentlichkeit Zärtlichkeiten ausgetauscht, werden die Betroffenen oft zum

Gegenstand homophober Aussagen oder Handlungen (vgl. Kearl 2010: 55f.). Diskriminierende

Gesetze begünstigen dies. Darüber hinaus wird Homosexualität häufig zu wenig thematisiert oder

gar ausgeblendet (vgl. Hauer, Springer 2008: 135). Ergänzend ist zu erwähnen, dass besonders

Transfrauen* häufig von Street Harassment und gewalttätigen Übergriffen im öffentlichen Raum

betroffen sind (vgl. Kearl 2010: 57).

5.3 Frauen* mit Behinderung

Laut Holly Kearl gibt es zu Street Harassment in Verbindung zu Frauen* mit einer Beeinträchti-

gung nicht viel Forschung und Literatur. Diese erfahren Street Harassment häufig in Form von

behindertenfeindlichen Kommentaren oder durch bewusstes Ignorieren ihrer Sexualität, da

Frauen* mit Behinderung von der Gesellschaft oft als asexuell dargestellt werden (vgl. Kearl 2010:

60f.).

Obwohl Personen mit einer Beeinträchtigung häufig Sexualität abgesprochen wird, unterscheiden

sich Erfahrungen von Frauen* und Männern* oftmals. Mädchen und Frauen* mit Behinderung wird

vermittelt, sie seien keine vollwertigen Frauen*, unattraktiv für Männer* und werden somit weder

eine Beziehung führen noch Kinder bekommen. Dementsprechend liegt oftmals ein größerer Fo-

kus auf Selbstständigkeit und somit auf der Ausbildung, da aufgrund der Annahme von fehlender

Heirat davon ausgegangen wird, sie müssten später für sich selbst sorgen (vgl. Köbsell 2010:

21f.). Zudem werden vermeintliche Hilfeleistungen wie das ungefragt Begleiten über die Straße,

bei welchem ein körperlicher Kontakt hergestellt wird, als überspielte Formen von Diskriminierung

erlebt (vgl. MA 57 2015: 22).

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6. Formen von Street Harassment

Street Harassment kann sich in unterschiedlichen Handlungen äußern. Wie schon erwähnt, gibt

es keine einheitliche Definition von Belästigung im öffentlichen Raum, weshalb die Einteilungen

der Formen dementsprechend variieren. Je nach Betrachtung der Verfasser*innen werden unter-

schiedliche Handlungen Street Harassment zugeordnet. Um die verschiedenen Arten der Über-

griffe ersichtlicher zu machen, haben wir uns für die folgende Gliederung entschieden. In dieser

wird vor allem auf Erfahrungen Bezug genommen, welche Holly Kearl (2010) in ihrem Buch „Stop

Street Harassment“ anführt.

6.1 Nonverbale Akte

Zu dieser Kategorie zählen Handlungen, welche beispielsweise anzügliches Grinsen oder exzes-

sives Anstarren miteinschließen. Dabei erzählen Frauen*, diese Erfahrungen vor allem in Verbin-

dung mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erleben. Vulgäre Gesten, wie die Zunge aus dem Mund

zu strecken, gehören ebenfalls zu den nonverbalen Akten. Zudem beinhaltet diese Kategorie die

Bedrängung von Fremden in der Öffentlichkeit. Dazu zählt nicht nur das Verfolgen zu Fuß, son-

dern auch das Nachfahren mit dem Auto (vgl. Kearl 2010: 12f.).

Des Weiteren ist das Entblößen von Geschlechtsteilen (vgl. Auernhammer 2015: 57) sowie Mas-

turbieren im öffentlichen Raum eine sexuelle Belästigung, von welcher viele Frauen* betroffen

sind. Es wird von Erfahrungen berichtet, wobei sich Männer* beispielsweise in Parks, Büchereien

oder U-Bahnen in Gegenwart von Frauen* selbst befriedigen und diese dabei anstarren oder da-

rauf aufmerksam machen (vgl. Kearl 2010: 14f.).

6.2 Verbale Akte

Diese Handlungsweisen beziehen sich auf Nachpfeifen, Küss-Geräusche sowie auf Hupen. Hier-

bei wird vor allem die Alltäglichkeit thematisiert, da diese Art von Übergriffen einem Großteil der

Frauen* widerfährt (vgl. Kearl 2010: 12ff.).

Ebenso fallen darunter jegliche Formen von sexistischen Äußerungen und homophoben wie auch

transphoben Beleidigungen (vgl. Hofer 2018: 6). Frauen* erzählen von Männern*, welche sie als

‚Nutte‘ bezeichnen, sexuelle Forderungen stellen oder deren Aussehen kommentieren. Dabei wird

ihnen vor allem aus dem Auto sowie auf der öffentlichen Straße hinterhergerufen oder sie werden

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direkt angesprochen (vgl. Kearl 2010: 12f.). Hierzu zählt auch hartnäckiges Ausfragen zu Name

oder Handynummer, wenn die Betroffene das Aushändigen dieser abweist (vgl. Hofer 2018: 6).

6.3 Körperliche Angriffe

Bei Street Harassment kann es auch zu physischen Übergriffen in der Öffentlichkeit kommen.

Dies beinhaltet Berühren oder Begrapschen mit sexueller Absicht sowie unerwünschte Kussver-

suche. Auch tätliche Angriffe wie Stoßen oder Schlagen zählen zu dieser Kategorie (vgl. Auern-

hammer 2015: 57). Eine Betroffene berichtet davon, in einer Menschenmenge von unterschiedli-

chen Männern* angefasst, eingeklemmt und gekratzt worden zu sein, auch ihre Kleidung wurde

zerrissen. Andere Frauen* sprechen von Berührungen auf Oberschenkel und Brüsten sowie von

Tätern, welche ihnen den Weg versperren (vgl. Kearl 2010: 14).

Die Kategorie körperliche Angriffe schließt ebenso sexuelle Überfälle wie auch Vergewaltigungen

mit ein. Betroffene erzählen hierbei von sexuellem Missbrauch am Heimweg, im Park oder in der

Nachbarschaft (vgl. Kearl 2010: 15).

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7. Gegenstrategien

Das folgende Kapitel handelt von unterschiedlichen Gegenstrategien, welche in Bezug auf Street

Harassment angewendet werden können. Diese beziehen sich nicht nur auf Empfehlungen an

Betroffene, sondern auch auf eventuelle gesellschaftliche Möglichkeiten und rechtliche Maßnah-

men.

7.1 Gegenstrategien von Betroffenen

Um Street Harassment entgegenzuwirken, ist es wesentlich, die Frauen* zu stärken, damit sie

sich in der Öffentlichkeit weder ängstlich noch eingeschränkt fühlen. Sie müssen sich bewusst

sein, dass es nicht ihre Schuld ist und sie sich nicht unangebracht verhalten oder kleiden. Um das

zu erreichen, ist es notwendig, Frauen* das Wissen über Gegenstrategien sowie in der akuten

Situation anwendbare Taktiken näher zu bringen. Viele ignorieren die Belästigung und meiden

eine Konfrontation, oft aus Sicherheitsgründen. Dieser Ansatz kann unter gewissen Umständen

hilfreich sein, lässt jedoch viele Frauen* entmachtet oder frustriert fühlen. Demnach ist es wichtig,

sich im Vorhinein über nützliche Gegenstrategien zu informieren, um diese sinnvoll anwenden zu

können (vgl. Kearl 2010: 149ff.).

7.1.1 Persönliche Vorbereitung

Um sich präventiv auf Street Harassment vorzubereiten, gibt es unterschiedliche Ratschläge, um

dies zu verwirklichen. Sofern das Angebot besteht, kann an frauenspezifischen Selbstverteidi-

gungs- und Selbstbehauptungskursen teilgenommen werden. Hierbei gibt es unterschiedliche

Methoden, weshalb es ratsam ist, verschiedene Kurse auszuprobieren, um eine individuell pas-

sende Anwendungsstrategie zu finden (vgl. MA 57 2015: 9ff.). Einige der Angebote sind speziell

auf sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum fokussiert. Die Teilnahme lässt oft positive Auswir-

kungen erkennen: „Sich wohler fühlen im Alltag, sich der eigenen Kraft und Stärke bewusst sein,

selbstbewusst auftreten, Ängste reduzieren, die Wehrhaftigkeit steigern und vieles mehr” (MA 57

2015: 9). Darüber hinaus gibt es auch zuhause die Option, unterschiedliche Variationen von Ant-

worten zu üben und Situationen im Gedanken durchzuspielen. Dadurch können Betroffene ein

Repertoire an Erwiderungen aufbauen, wodurch es einfacher wird, die für sich selbst beste Reak-

tion im richtigen Augenblick anzuwenden (vgl. MA 57 2015: 15).

Holly Kearl empfiehlt, Bücher oder online Geschichten über diese Thematik zu lesen und sich

aktiv damit auseinanderzusetzen. Dabei motiviert sie, drei für einen selber realistisch vorstellbare

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Erwiderungen auf Street Harassment aufzuschreiben, zu üben und bei einer Konfrontation anzu-

wenden. Daraufhin sollen die eigenen Erfahrungen vielfach mit dem sozialen Umfeld oder den

Medien geteilt werden (vgl. Kearl 2013: 13). „You can make a big difference by taking action,

speaking out, and sharing stories” (Kearl 2013: 13).

7.1.2 Allgemeine Empfehlungen hinsichtlich Reaktionen auf Street Harass-

ment

Entscheidet sich eine Frau* in einer von Street Harassment betroffenen Situation den Täter mit

seinem Handeln zu konfrontieren, so gibt es unterschiedliche Empfehlungen, um dies weitestge-

hend zu ermöglichen. Zum einen trägt eine starke Körpersprache dazu bei, ein selbstbewusstes

Vorgehen und Kraft zu zeigen. Hierbei soll darauf geachtet werden, dem Gegenüber in die Augen

zu schauen und mit einer festen und klaren Stimme zu sprechen. Auch wenn sich die Frau* nicht

selbstsicher fühlt, so kann sie dennoch ruhig und überzeugt auftreten (vgl. Kearl 2010: 151ff.).

Darüber hinaus sorgt ein lauter Tonfall möglicherweise für die Aufmerksamkeit Dritter, welche den

Vorfall hören und einschreiten können (vgl. MA 57 2015: 16). Während der Konfrontation ist es

empfehlenswert, dem Täter in die Augen zu schauen: „Damit zeigst du ihm, dass du dich nicht

einschüchtern lässt. Je eher du Grenzen setzt, desto größer ist die Chance, dass sie respektiert

werden” (MA 57 2015: 16).

Von Fluchen oder Wutausbrüchen wird stark abgeraten, da dies zu einer aggressiven oder auch

gewalttätigen Reaktion des Täters führen kann. Weiteres wird empfohlen, sich nicht zu entschul-

digen oder herauszureden sowie in keinen Dialog zu treten oder Fragen zu beantworten. Es be-

steht keine Notwendigkeit, auf Vorwürfe oder Drohungen einzugehen. Umso wichtiger ist es, seine

eigenen Standpunkte zu vertreten und diese zu wiederholen. Wenn die Betroffene das Gefühl hat,

gesagt zu haben, was sie dem Täter mitteilen wollte und damit zufrieden ist, so kann sie damit

abschließen und gehen (vgl. Kearl 2010: 151ff.).

Im Allgemeinen ist darauf zu achten, nach Möglichkeit jegliche Bedrohungssituationen zu meiden.

Es wird davon abgeraten, von der eigenen Seite einen körperlichen Angriff zu starten, sofern das

Gegenüber diesbezüglich keine Anstalten macht. Darüber hinaus sollten diverse Waffen wie Pis-

tolen und Messer wie auch Tränengas und Pfeffersprays in einer Konfrontation nicht angewendet

werden, da sie bei falschem Umgang die Betroffene wehrlos machen und gegen sie selbst ver-

wendet werden können. Daher ist vor allem die Nutzung von lauten akustischen Alarmgeräten

empfohlen. Die Verwendung von Trillerpfeifen oder anderen Geräten, welche auf Knopfdruck ein

Warnsignal von sich geben und gut in die Handtasche passen, sind eine effektive Option, um sich

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lautstark bemerkbar zu machen und den Täter abzuschrecken (vgl. MA 57 2015: 14f.). Bei einer

körperlichen Bedrängung können die Formen „sehr unterschiedlich sein: Schreien, Treten, Lau-

fen, oder Griffe der Selbstverteidigung anwenden” (MA 57 2015: 32). Falls die Möglichkeit besteht,

sollten bei roter Ampel Autofahrer*innen auf die Situation aufmerksam gemacht oder bei mehreren

Haus- oder Wohnungstüren geklingelt werden (vgl. MA 57 2015: 32).

7.1.3 Spezifische Empfehlungen in Bezug auf verbale Erwiderungen

Ist eine Frau* von Street Harassment betroffen und möchte den Täter darauf aufmerksam und

dafür verantwortlich machen, so muss sie sich in kürzester Zeit auf eine unerwartete Situation

eine Antwort überlegen. Demnach kann es von Nutzen sein, sich über wirksame Ideen zur Erwi-

derung zu informieren (vgl. Kearl 2010: 151). Dadurch haben Betroffene die Möglichkeit, ihre Zu-

rückweisung im direkten Kontakt zu verbalisieren (vgl. Hofer 2018: 14).

In erster Linie ist es wichtig dem Täter zu vermitteln, dass sein Handeln nicht toleriert wird (vgl.

MA 57 2015: 16). Folgende Beispiele ermöglichen eine Konfrontation durch einfache und klare

Sätze: „‚Greifen Sie mich nicht an!’ ‚Lassen Sie mich in Ruhe!’ ‚Gehen Sie weg, aber sofort!’ ‚Hören

Sie auf, mich zu bedrängen, mich anzugreifen, sich an mich zu drücken!’” (MA 57 2015: 16).

Effektiv wirkt vor allem, auf das Verhalten aufmerksam zu machen und dieses zu benennen sowie

darauf hinzuweisen, inwiefern diese Handlung unangemessen war (vgl. Kearl 2010: 156). „Beläs-

tiger werden in ihrem Verhalten entmutigt, wenn ihnen klar rückgemeldet wird, dass das Verhalten

inakzeptabel ist und nicht toleriert wird” (Hofer 2018: 14). Demzufolge soll die Betroffene dem

Täter selbstsicher sagen, womit er aufhören muss und was sie möchte. Dabei ist es wichtig, die

Äußerung nicht in einer Frage zu formulieren, beispielsweise, wenn sie ihn dazu auffordert, sich

zu entfernen. Als hilfreiche Orientierung dient eine A-B-C-Aussage. In A wird dem Täter das Prob-

lem geschildert, B erläutert die Auswirkungen und bei C erklärt die Betroffene klar, was sie

möchte. Dies erläutert Kearl in einem Beispiel: „When you make kissing noises at me it makes me

feel uncomfortable. I want you to say, ‚Hello, ma’am,‘ from now on if you want to talk to me” (Kearl

2010: 156). Darüber hinaus soll ein allgemeiner Appell an den Täter gerichtet werden, welcher

sich gegen Street Harassment äußert. Ebenso wird empfohlen, darauf zu achten, nicht die Person

sondern die Handlung anzugreifen. Es ereignet sich als sinnvoller, auf das Fehlverhalten zu ver-

weisen als den Täter abzuwerten und zu beschimpfen. Vor allem könnte dies auch zu einer Es-

kalation der Situation führen. In Menschenmengen ist es nützlich, den Täter lautstark zu identifi-

zieren. Dieser fühlt sich daraufhin möglicherweise ertappt und gedemütigt, was seine Belästigung

vermutlich beendet (vgl. Kearl 2010: 155f.).

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Weitere Gegenstrategien wären, den Täter in einer gewissen Art und Weise zum Nachdenken

anzuregen und ihm damit zu zeigen, dass seine Handlung ihr Ziel verfehlt hat. Dies kann bei-

spielsweise durch kritische Fragen oder schlagfertige Erwiderungen erfolgen (vgl. Kearl 2010:

155). Eine Betroffene erzählt von einem Erlebnis, als ein junger Mann* in einer Gruppe, von wel-

cher sie schon des Öfteren belästigt wurde, auf ihren Po gegriffen hatte. Daraufhin drehte sie sich

zu ihm um, gratulierte ihm und fragte, ob dies das erste Mal sei, dass er eine Frau* berührt hatte.

Hinterher lachten die Männer* über ihren Freund und ließen die Frau* folglich in Zukunft in Ruhe

(vgl. Kearl 2013: 18). Eine weitere Entgegnung hinsichtlich Street Harassment ist übertriebenes

oder geschocktes Verhalten verbunden mit einem harten Gesichtsausdruck. Dabei können Be-

stürzung und Empörung verbal sowie nonverbal wiedergegeben werden (vgl. Kearl 2010: 155).

Dementsprechend sind Gesten und Worte hilfreich, um dem Gegenüber die eigene Stärke zu

verdeutlichen und Grenzen zu signalisieren: „Bis hierher und nicht weiter” (MA 57 2015: 35).

Darüber hinaus ist es möglich, zur Verstärkung der Gegenstrategien auch weitere Hilfsmittel hin-

zuzuziehen. Hierzu erweist sich beispielsweise ein Notizbuch als äußerst hilfreich. Im Falle von

Street Harassment kann dieses eingesetzt werden, um die Handlung in Anwesenheit des Täters

aufzuschreiben. Die Betroffene soll dem Gegenüber daraufhin in einer übertriebenen Darbietung

nach Datum, Uhrzeit und Sonstigem fragen und behaupten, sie schreibe einen Bericht über Be-

lästigung im öffentlichen Raum. Eine andere Möglichkeit wäre, den Täter forschende Fragen zum

Thema Street Harassment zu stellen, beispielsweise wie oft er Frauen* belästigt oder wie er ent-

scheidet, welche Personen er sich dafür auswählt. Dabei macht es Sinn, ihm die Präsenzen seiner

Mutter, Schwester oder Freundin zu vergegenwärtigen oder ihn dazu zu ermuntern, sich in deren

Rolle einzufühlen (vgl. Kearl 2010: 156).

Weiters ist es möglich, online Karten auszudrucken, auf welchen über Street Harassment infor-

miert wird, um diese den Tätern aushändigen zu können (vgl. Kearl 2010: 156).

7.1.4 Vermeidungsverhalten

Um Street Harassment zu vermeiden, entwickeln Frauen* unterschiedliche Strategien, um der

Belästigung zu entgehen. Dieses Verhalten bildet sich vor allem aus eigenen Erlebnissen und

Erfahrungen anderer sowie aus Warnungen von Eltern oder Lehrer*innen (vgl. Kearl 2010: 109).

Viele Frauen* sind, sobald sie sich im öffentlichen Raum bewegen, stets in Alarmbereitschaft. Das

bedeutet eine erhöhte Aufmerksamkeit und eine Analysierung der Umgebung (vgl. Temel 2017:

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36). Dadurch werden Strategien angewandt, wie das Wechseln der Straßenseite oder die Benut-

zung einer anderen Route (vgl. Kearl 2010: 114). Währenddessen achten einige auf eine energi-

sche und strebsame Gangart sowie auf eine Steigerung des Tempos. Eine Vermeidung des Au-

genkontakts wie auch eine finstere oder abweisende Mimik lässt Frauen* sicherer fühlen (vgl.

Temel 2017: 35). Weiters werden das Tragen von Kopfhörern (vgl. Kearl 2010: 115) oder Son-

nenbrillen, unauffällige Kleidung (vgl. Temel 2017: 35) und Telefonieren ebenfalls als Handlungs-

strategien angewendet (vgl. Kearl 2010: 108). Um Street Harassment zu meiden, nutzen viele

Frauen* auch die Möglichkeit, die Handlung zu ignorieren oder ihr aus dem Weg zu gehen, bei-

spielsweise durch das Nichtbeachten von Zurufen oder das Wechseln von Wagons in Zügen (vgl.

Kearl 2013: 4). In öffentlichen Verkehrsmitteln ist es ratsam, sich in das Abteil unweit der Fahrerin

oder des Fahrers oder in die Nähe anderer Fahrgäste zu setzen. Auch an der Haltestelle ist es

empfohlen, den Rücken zur Wand zu wenden und sich in geringe Entfernung zu anderen Men-

schen zu begeben (vgl. MA 57 2015: 28f.).

Darüber hinaus fühlen sich einige Frauen* vor allem nachts nur sicher, wenn sie in einer Gruppe

oder zumindest mit einer weiteren Person unterwegs sind. Das beinhaltet eine sorgfältige Pla-

nung, um das Sicherheitsgefühl zu stärken. Dunkle und isolierte Plätze sowie diverse Gegenden

werden vermieden, trotz öffentlicher Verkehrsmittel oder kurzem Heimweg werden Taxis genutzt

und Hilfsmittel mitgeführt. Orte, an denen Betroffene schon sexuelle Belästigung erfahren haben,

werden des Öfteren so gut wie möglich umgangen. Dies kann zur Folge haben, dass Frauen*

Arbeitsplätze, Hobbies oder sogar ihr Zuhause wechseln, da diese nicht erreichbar waren, ohne

mit Street Harassment konfrontiert zu werden (vgl. Kearl 2010: 116ff.).

Diese Handlungsstrategien zur Vermeidung von Street Harassment werden zwar von Frauen*

freiwillig ausgeführt, jedoch sind es erzwungene Entscheidungen. Dies führt zu einer begrenzten

Beweglichkeit in öffentlichen Räumen sowie einer Einschränkung der Freiheit. Frauen* wird

dadurch nicht nur eine innere Ruhe verwehrt, sondern auch das Recht aberkannt, sich im öffent-

lichen Raum genauso zu verhalten wie es Männern* möglich ist (vgl. Kearl 2010: 105ff.).

7.1.5 Meldung an Autoritätspersonen

Eine weitere Möglichkeit um Männer* auf Street Harassment aufmerksam zu machen sowie die

persönliche Rolle zu stärken, ist den Täter bei Autoritätspersonen zu melden. Eine Beschreibung

des Aussehens des Täters, eventuell sogar ein Foto, und eine Schilderung des Ereignisortes sind

hierbei hilfreich. Darüber hinaus ist es von Vorteil, Menschen im Umfeld auf die Belästigung des

Mannes* aufmerksam zu machen und diese bei Zustimmung als Zeug*innen hinzuzuziehen. Hält

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sich der Täter während der Handlung im Auto auf, ist es eine weitere Möglichkeit das Kennzeichen

aufzuschreiben und folglich Anzeige zu erstatten. In Fällen von Drohungen, Begrapschen, Verfol-

gung, Masturbieren oder anderen bedrängenden Formen der Belästigung im öffentlichen Raum

kann dies an die Polizei oder an Sicherheitsbeauftragte weitergegeben werden (vgl. Kearl 2010:

158f.). Ebenso besteht die Möglichkeit, sich an Mitarbeiter*innen einer Mädchen- und Frauenbe-

ratungsstelle zu wenden (vgl. MA 57 2015: 17).

Da Street Harassment häufig in Zusammenhang mit öffentlichen Verkehrsmitteln auftritt, ist es

empfehlenswert, die Vorfälle den Zuständigen zu melden. Beispielsweise sind Bushaltestellen, U-

Bahn-Stationen oder Züge Schauplätze, an welchen Frauen* vielfach belästigt werden. Um dies

zu unterbinden, sollte hier die Ressource genutzt werden, das Fehlverhalten an Verkehrsange-

stellte oder über eine online Beschwerde zu melden (vgl. Kearl 2010: 160). Weiters besteht in den

U-Bahnen und Straßenbahnen die Möglichkeit, die Notsprecheinrichtung zu nutzen sowie in dring-

lichen Situationen die Notbremse zu ziehen. In Bussen wird empfohlen, den Fahrer oder die Fah-

rerin zu verständigen. Findet die Belästigung am U-Bahnsteig statt, so kann bei der Betätigung

der Notruftaste direkter Sprechkontakt zu der Leitstelle aufgenommen werden, welche bei Erfor-

dernis auch die Rettung oder Polizei benachrichtigt (vgl. MA 57 2015: 29).

Ist es Betroffenen möglich, den potenziellen Arbeitsplatz des Täters ausfindig zu machen, so kön-

nen sie die Arbeitgeber*innen über die Belästigung informieren. Dabei kann auf Firmenlogos an

Autos, Kleidung oder auch auf Uniformen geachtet werden. Für die nähere Identifikation des Tä-

ters müssen Ort und Zeitpunkt ebenfalls erwähnt werden. Dadurch fällt es Arbeitgeber*innen leich-

ter, den Angestellten für seine Handlung verantwortlich zu machen und Maßnahmen zu ergreifen

(vgl. Kearl 2010: 161).

Die Meldung an Autoritätspersonen erweist sich vor allem als besonders sinnvoll, wenn sich die

Betroffene im Moment der Belästigung nicht sicher oder fit genug fühlt, um unmittelbar darauf zu

reagieren. Somit hat sie die Möglichkeit, auch im Nachhinein Dritte über Street Harassment zu

informieren. Natürlich gibt es Polizist*innen, Arbeitgeber*innen und andere Autoritätspersonen,

welche ebenfalls Frauen* in der Öffentlichkeit belästigen oder die Beschwerde nicht ernstnehmen.

Nichtsdestotrotz wird es Menschen geben, die dem Problem Beachtung schenken und sich gegen

Street Harassment einsetzen (vgl. Kearl 2013: 12).

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7.2 Gesellschaftliche Gegenstrategien

Nicht nur Betroffene können gegen Street Harassment ankämpfen. Ebenso gibt es viele Möglich-

keiten der westlichen Gesellschaft, Belästigung im öffentlichen Raum entgegenzuwirken. Daher

soll der Fokus in folgendem Kapitel auf die gesellschaftlichen Gegenstrategien gelegt werden.

7.2.1 Bewusstsein von Männern* stärken

Holly Kearl (2010) beschreibt in ihrem Buch „Stop Street Harassment“ einige Vorgehensweisen,

um gegen Street Harassment vorzugehen.

Frauen* auf offener Straße zu beleidigen, sie anzureden oder ihnen auf eine andere unerwünschte

Art Beachtung zu schenken, wird meist als männlich angesehen. Männer* können sich auf diese

Weise vor sich selbst und auch vor anderen beweisen und ihre Heterosexualität hervorheben (vgl.

Kearl 2010: 133). Um Street Harassment entgegenwirken zu können ist es wichtig, Männern*

einen anderen Zugang zu ihrer Männlichkeit zu geben (vgl. Kearl 2010: 135).

Zugleich muss Frauen* gegenüber Respekt gelehrt werden. Da diese in Führungspositionen meist

unterrepräsentiert sind und in Medien oft auf ihr Äußeres reduziert werden, ist es notwendig, ein

realitätsgetreues Bild von Frauen* zu verbreiten, um diesem mehr Achtung entgegenzubringen

(vgl. Kearl 2010: 136 f.). Schon in Schulen sollte mit geschlechtersensibler Pädagogik angesetzt

werden. Es gibt Vorbereitungen für Lehrende, damit diese lernen, besser mit Auseinandersetzun-

gen zwischen Schüler*innen umzugehen und den Unterricht an den Bedürfnissen der Mädchen

zu orientieren. Zudem ist es wichtig, gezielt mit den Jungen einen gewaltfreien Umgang zu erar-

beiten. Dabei gibt es einige Organisationen, die Programme zu Gewaltprävention an Schulen bie-

ten (vgl. MA 57 2015: 18f.).

Es ist erforderlich, Männern* mehr Wissen über die Problematik von Street Harassment zu ver-

mitteln. Dies kann erfolgen, indem sie an die Thematik aus der Sichtweise der Betroffenen heran-

geführt und ihnen ergänzend die Fakten aufzeigt werden (vgl. Kearl 2010: 138). Laut Holly Kearl

(2010) ist das Einschreiten männlicher Personen bei öffentlicher Belästigung effektiver, weshalb

es wesentlich ist, unbeteiligte Männer* darin zu bestärken, Street Harassment entgegenzuwirken

(vgl. Kearl 2010: 140). Dritte sollen über Möglichkeiten informiert werden, wie sie auf Street Ha-

rassment reagieren und dagegen intervenieren können (vgl. Kearl 2010: 140 f.).

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7.2.2 Bewusstsein der Betroffenen und Dritter stärken

Es ist wichtig, Frauen* aufzuzeigen, dass sie keine Schuld an der Entstehung von Street Harass-

ment haben. Sie sollten dabei unterstützt werden herauszufinden, wie sie als Betroffene adäquat

mit zukünftigen Situationen umgehen können (vgl. Kearl 2010: 149).

Wie bereits beschrieben, gibt es verschiedene Gegenstrategien von Betroffenen. Einige von die-

sen Handlungsweisen sind Vermeidungsstrategien, jedoch erweisen sich laut Kearl offensive Me-

thoden gelegentlich als wirksamer. Deswegen ist es wichtig, Frauen* zu helfen, Verhaltensweisen

zu entwickeln, mit welchen sie auf Street Harassment reagieren können, wie es für sie selbst am

angemessensten und gleichzeitig am wirksamsten ist (vgl. Kearl 2010: 151 f.).

Darüber hinaus ist es nötig, die Rolle der Frauen* im öffentlichen Raum zu stärken. Becker (2008)

zufolge kann dies durch eigene Frauenräume erreicht werden. Unter Frauenräume versteht Be-

cker Orte in der Öffentlichkeit, zu welchen lediglich Frauen* Zutritt haben. Diese werden von der

westlichen Gesellschaft häufig nicht als öffentliche, sondern als private Rückzugsorte angesehen,

da sich dort ausschließlich Frauen* aufhalten. Hieran kann kritisiert werden, dass einige lediglich

von Männern* besuchte Orte sehr wohl als öffentlich zugängliche Räume wahrgenommen werden

(vgl. Becker 2008: 71f.).

Auch Personen, die Street Harassment miterleben, haben gewisse Möglichkeiten, die Betroffenen

zu unterstützen, ohne sich dabei selber in Gefahr zu bringen. In der akuten Situation kann die

Polizei gerufen werden, dadurch wird möglicherweise sogar der Täter von der Belästigung abge-

schreckt. Auch empfiehlt es sich, andere darauf aufmerksam zu machen und hinzuzuziehen. Nach

der akuten Situation sollten Dritte bei der Betroffenen bleiben und sie beruhigen (vgl. MA 57 2015:

63).

7.2.3 Allgemeinheit informieren

Um Street Harassment entgegenzuwirken ist es notwendig, auf das Thema aufmerksam zu ma-

chen. Besonders die ungefährlich wirkenden Formen von Street Harassment, welche jeden Tag

stattfinden, müssen mehr in den Fokus gestellt werden. Diese werden oft heruntergespielt und

dadurch die Erfahrungen und Reaktionen der Frauen* in Frage gestellt (vgl. Hofer 2018: 12f.).

Holly Kearl (2010) zeigt mehrere Möglichkeiten auf, durch welche dies erreicht werden kann. In-

dem Frauen* ihre Geschichte mit anderen teilen, kann das öffentliche Interesse geweckt werden.

Dies kann sowohl persönlich als auch online erfolgen. Verschiedene Webseiten im Internet geben

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die Möglichkeit, persönliche Erzählungen mit Street Harassment zu veröffentlichen und dadurch

zahlreiche Personen zu erreichen (vgl. Kearl 2010: 165 ff.).

Ebenso muss besonders auf die Belästigung von Frauen* mit Behinderungen aufmerksam ge-

macht werden. Ableismus ist in westlichen Gesellschaften wenig thematisiert bis hin zu tabuisiert,

weshalb es schwierig ist, Vorfälle von Übergriffen anzusprechen. Aus diesem Grund ist es wichtig,

auf diese Problematik aufmerksam zu machen. Auch der Umgang mit Menschen mit Behinderung

könnte durch mehr Aufklärung verbessert werden (vgl. MA 57 2015: 22).

Zudem gibt es Veranstaltungen, bei welchen über Street Harassment aufgeklärt wird und Infor-

mationen übermittelt werden (vgl. Kearl 2010: 171). Filme und Dokumentationen zu dieser The-

matik tragen ebenfalls dazu bei, das öffentliche Interesse auf Street Harassment zu lenken (vgl.

Kearl 2010: 174 ff.).

7.2.4 Klare Regelungen und fachlicher Austausch

Wie bereits zu Beginn aufgezeigt, gibt es viele verschiedene Definitionen von Street Harassment.

Mit einer eindeutigen Regelung wäre es leichter dagegen vorzugehen (vgl. Kearl 2010: 186). Zu-

sätzlich muss noch mehr zu der Thematik geforscht werden, um möglichst informiert zu sein und

besser entgegenwirken zu können (vgl. Kearl 2010: 187 f.). Um Wissen auszutauschen und die

Problematik zu thematisieren ist es effektiv, Konferenzen zu Street Harassment zu veranstalten.

Kampagnen gegen Belästigung im öffentlichen Raum sind ebenfalls zweckmäßig, da sie einer-

seits informieren und andererseits eine ernsthafte Verbesserung bewirken können (vgl. Kearl

2010: 188 f.).

Laut Baumgartinger (2008) müssten Gesetze, die zum Beispiel Rassismus oder Homophobie för-

dern, abgeändert oder außer Kraft gesetzt werden. Auf diese Weise ist es möglich, rechtlich ge-

schaffene gesellschaftliche Missverhältnisse zwischen verschiedenen Personengruppen aufzulö-

sen (vgl. Baumgartinger 2008: 118). Zudem könnten durch eine Mischung von Gesetzen, über-

legter Stadtplanung und der Auseinandersetzung mit dem Thema in den Medien Methoden ent-

wickelt werden, was bestenfalls zu einer Verbesserung und Förderung des Sicherheitsgefühls und

der Wahrnehmung der Frauen* in der Öffentlichkeit führt (vgl. Ernst 2008: 90).

Wie im folgendem Kapitel näher beschrieben, sind manche Formen von Street Harassment straf-

bar und Frauen* können sich rechtlich dagegen wehren. Eine einschneidende Gegenstrategie

wäre es, alle Handlungen, welche unter den Begriff Street Harassment fallen, gesetzlich zu sank-

tionieren (vgl. Kearl 2010: 190).

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7.3 Rechtliche Rahmenbedingungen

In dem folgenden Abschnitt wird die aktuelle rechtliche Situation in Österreich erfasst. Zudem

sollen Möglichkeiten aufgezeigt werden, ab wann bei Street Harassment aus rechtlicher Perspek-

tive eingegriffen werden kann. Da die Spannbreite von symbolischer Gewalt bis hin zu körperli-

chen Übergriffen reicht, sind die rechtlichen Handlungsmöglichkeiten sehr unterschiedlich. Den-

noch wird versucht, die Unterschiede der rechtlichen Aspekte je nach Art mit Hilfe des Strafge-

setzbuches (StGB BGBI Nr. 1974/60) deutlich zu machen.

In der Regel können alle Formen, demnach verbale, non-verbale und tätliche Angriffe strafrecht-

lich verfolgt werden. Aufgrund des Umfangs der Arbeit wird hauptsächlich auf §107a (Beharrliche

Verfolgung), §115 (Beleidigung) und §218 (Sexuelle Belästigung und öffentliche geschlechtliche

Handlungen) näher eingegangen. Bei schwerwiegenden Formen von Street Harassment finden

§201 (Vergewaltigung) sowie §202 (Geschlechtliche Nötigung) Anwendung. Zudem ist auch noch

§107 (Gefährliche Drohung) relevant.

§107a befasst sich mit einer spezifischen Form von Street Harassment, der beharrlichen Verfol-

gung. Dabei lautet Abs.1 und 2 des Gesetzestextes wie folgt:

„(1) Wer eine Person widerrechtlich beharrlich verfolgt (Abs. 2), ist mit Freiheitsstrafe bis

zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen zu bestrafen.

(2) Beharrlich verfolgt eine Person, wer in einer Weise, die geeignet ist, sie in ihrer Le-

bensführung unzumutbar zu beeinträchtigen, eine längere Zeit hindurch fortgesetzt,

1. ihre räumliche Nähe aufsucht.“

Durch §115 werden verbale Äußerungen, also Beschimpfungen und Verspottung (trifft zu, wenn

eine Person lächerlich gemacht wird) wie auch körperliche Misshandlungen (z.B. Ohrfeigen,

Schütteln, Haare reißen) grundlegend strafrechtlich verfolgbar. Wenn es sich um körperliche An-

griffe handelt, muss zudem eine Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit einer Körperverletzung (§§

83-88 StGB) durchgeführt werden (vgl. Auernhammer 2015: 67). „Damit §115 jedoch überhaupt

zur Anwendung gelangen kann, hat ein weiteres Tatbestandsmerkmal erfüllt zu sein: Die Hand-

lung muss ‚öffentlich’ oder ‚vor mehreren Leuten‘ vollzogen werden“ (Auernhammer 2015: 68).

Von „öffentlich“ wird definitionsgemäß gesprochen, wenn ungefähr 10 Personen bei der Tat an-

wesend sind (vgl. Auernhammer 2015: 68).

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§115 Abs. 1 StGB besagt:

„Wer öffentlich oder vor mehreren Leuten einen anderen beschimpft, verspottet, am Kör-

per mißhandelt [sic!] oder mit einer körperlichen Mißhandlung [sic!] bedroht, ist, wenn er

deswegen nicht nach einer anderen Bestimmung mit strengerer Strafe bedroht ist, mit

Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen zu bestra-

fen.“

In §218 sind sexuelle Belästigungen, wie das unerwünschte Berühren oder Grabschen sowie das

Durchführen von öffentlichen geschlechtlichen Handlungen wie folgt tatbestandsmäßig:

„(1) Wer eine Person durch eine geschlechtliche Handlung

1. an ihr oder

2. vor ihr unter Umständen, unter denen dies geeignet ist, berechtigtes Ärgernis zu

erregen,

belästigt, ist, wenn die Tat nicht nach einer anderen Bestimmung mit strengerer Strafe

bedroht ist, mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu

360 Tagessätzen zu bestrafen.

(1a) Nach Abs. 1 ist auch zu bestrafen, wer eine andere Person durch eine intensive

Berührung einer der Geschlechtssphäre zuzuordnenden Körperstelle in ihrer Würde

verletzt.

(2) Ebenso ist zu bestrafen, wer öffentlich und unter Umständen, unter denen sein

Verhalten geeignet ist, durch unmittelbare Wahrnehmung berechtigtes Ärgernis

zu erregen, eine geschlechtliche Handlung vornimmt.“

Unter „geschlechtliche Handlung“ fallen nicht nur das Anfassen von Geschlechtsteilen oder der

(weiblichen) Brust, sondern auch die Berührung der eigenen Geschlechtsorgane. Somit erfüllt

auch die öffentliche Masturbation den Tatbestand. Mündliche Äußerungen, wie die Aufforderung

zu sexuellen Handlungen, sind nicht in §218 inkludiert. Hierbei ist es für die Tatbestandserfüllung

wichtig, dass die Konfrontation mit der Situation für die Betroffenen nicht annehmbar ist und mit

Ekel, Ärger und Angst in Verbindung steht (vgl. Auernhammer 2015: 70f.).

Grundlegend kann an den Gesetzesregelungen bemängelt werden, dass nicht alle Formen, be-

ziehungsweise Handlungen, welche bei Street Harassment vorkommen, gerichtlich verfolgt wer-

den können. Beispielsweise ist das Nachpfeifen, was eine häufige Form von Street Harassment

ist, nicht klar im Gesetzestext erwähnt (vgl. Auernhammer 2015: 67ff.).

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In weiterer Folge ist Gleichberechtigung ein Menschenrecht, welchem auf globaler Perspektive

derzeit nicht nachgekommen wird. Frauen* wie Männer* haben das Recht, sich in öffentlichen

Räumen zu bewegen und sicher zu fühlen (vgl. Kearl 2010: 122f.).

Somit lässt sich konkludieren, dass das österreichische Rechtssystem noch weiterentwickelt wer-

den muss, um Street Harassment besser unterbinden und bestrafen zu können.

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II. Empirie

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8. Methodischer Zugang

Ziel des folgenden Kapitels ist es, den methodischen Zugang der empirischen Forschung zu er-

läutern. Es wird angegeben, aus welchen Gründen die unterschiedlichen Interviewformen ausge-

wählt sowie nach welchem Schema die Interviewpartnerinnen ausgesucht wurden.

8.1 Auswahl der Erhebungsmethoden

Im Allgemeinen handelt es sich bei Street Harassment um ein sensibles Thema, zu welchem nicht

viel Forschungsmaterial und Informationen vorhanden sind. Aus diesem Grund wurde eine quali-

tative Forschung durchgeführt, basierend auf einer Gruppendiskussion mit Betroffenen, Expertin-

neninterviews und Einzelinterviews mit Betroffenen.

Die Gespräche haben wir persönlich in dem Zeitraum von Juni bis Oktober 2018 durchgeführt.

Um die Ergebnisse auswerten zu können, wurden die Interviews mit einem Tonaufnahmegerät

aufgezeichnet. Hinsichtlich des Datenschutzes haben alle Interviewpartnerinnen eine Einver-

ständniserklärung unterzeichnet.

Insgesamt wurden elf Frauen* befragt. Die Expertinnen- und Einzelinterviews haben wir separat

durchgeführt, um eine möglichst angenehme Atmosphäre für die Befragten zu schaffen. Bei der

Gruppendiskussion waren aufgrund des größeren Arbeitsaufwandes alle vier Teammitglieder an-

wesend.

8.2 Umsetzung der Gruppendiskussion und Einzelinterviews mit Betroffenen

Um ein vielseitiges Bild von Erfahrungen zum Thema Street Harassment zu erlangen und die

Alltäglichkeit herauszuheben, wurde die Gruppendiskussion als Methode gewählt. Diese erwies

sich als äußerst effizient, da gruppendynamische Vorgänge zu authentischen Wortmeldungen

führten, zumal die Teilnehmerinnen unmittelbar aufeinander reagierten. Zudem ermöglichte die

Gruppendiskussion eine natürliche Atmosphäre, in welcher die Teilnehmerinnen selbst entschei-

den konnten, inwieweit sie sich am Gespräch beteiligen. Gleichzeitig wollten wir mit den Betroffe-

nen Gegenstrategien entwickeln und teilen, weshalb wir ein Brainstorming mit Hilfe eines Flip-

charts durchgeführt haben.

Bei allen Betroffenen handelte es sich um uns bekannte Personen, welche wir via soziale Medien

kontaktierten. Die offizielle Einladung wurde per E-Mail versandt. Vor der Durchführung erstellten

wir einen passenden Leitfaden. Die Gruppendiskussion bestand aus sieben Teilnehmerinnen,

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welche sich in einem Zeitraum von eineinhalb Stunden über ihre Erfahrungen mit Street Harass-

ment austauschten. Geleitet wurde die Diskussion von zwei Mitgliedern der Bachelorgruppe. Die

zwei weiteren Mitglieder führten währenddessen Protokoll. Als Räumlichkeit wählten wir einen

Raum der FH Campus Wien, den wir adäquat vorbereiteten. Um den Befragten einen Anreiz für

deren Beteiligung zu bieten, errichteten wir ein reichhaltiges Buffet für ein gemütliches Beieinan-

dersein nach der Diskussion. Dieses Angebot ist sehr gut bei den Teilnehmerinnen angekommen.

Bei der Auswahl der Teilnehmerinnen war es uns wichtig, auf die Intersektionalität Rücksicht zu

nehmen. Teilgenommen haben fünf Cis-Frauen, eine homosexuelle Frau* sowie eine Transfrau*.

Bei der Auswahl von Cis-Frauen war es wesentlich, unterschiedliche äußere Erscheinungsbilder

vertreten zu haben, darunter Frauen* mit kurzen Haaren, Dreadlocks, Tattoos, Piercings und un-

terschiedlicher Statur. Ursprünglich wurden zusätzlich eine Schwarze Frau*, eine Frau* mit kör-

perlicher Beeinträchtigung wie auch eine Muslimin mit Kopftuch eingeladen. Da diese aufgrund

von Schwierigkeiten bei der Terminfindung am Tag der Gruppendiskussion nicht teilnehmen konn-

ten, haben wir uns entschlossen, mit zwei der Betroffenen jeweils ein Einzelinterview zu führen,

um den Aspekt der Intersektionalität besser berücksichtigen zu können. Hierbei nutzten wir den-

selben Leitfaden wie bei der Gruppendiskussion.

Das erste Einzelinterview wurde mit einer Frau* mit körperlicher Beeinträchtigung durchgeführt.

Aufgrund ihrer vorübergehenden eingeschränkten Mobilität fand dies bei ihr zuhause statt. Das

Zweite wurde mit einer Schwarzen Frau* in einer Räumlichkeit der FH Campus Wien umgesetzt.

Beide Interviews dauerten ungefähr 25 Minuten.

Rückblickend lässt sich sagen, dass sich für Erfahrungen bezüglich Intersektionalität das Setting

eines Einzelinterviews als sehr vorteilhaft erwiesen hat, da ein geschützter Rahmen bestand, in

welchem die Betroffenen offener über ihre Erlebnisse sprechen konnten. Im Vergleich dazu, teil-

ten die Frauen* mit Diversitätsmerkmalen in der Gruppendiskussion vorwiegend ihre Erfahrungen

als Frauen*, wobei die Mehrfachdiskriminierungen in den Hintergrund rückten.

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8.3 Umsetzung der Expertinneninterviews

Das systematisierende Expert*inneninterview, welches der Informationsgewinnung des Erfah-

rungswissens der Expertinnen dient, wurde angewandt, da wir einen fachlichen Zugang zur The-

matik erhalten wollten. Eine Organisation, welche sich ausschließlich mit Street Harassment be-

fasst existiert bislang nicht, weshalb wir auf ZARA und den 24-Stunden Frauennotruf zurückge-

griffen haben. Diese kontaktierten wir durch eine E-Mail Anfrage. Es erklärte sich je eine Juristin

bereit, an einem Interview bezüglich Street Harassment teilzunehmen. Um die Expertinneninter-

views durchzuführen war es notwendig, einen weiteren Leitfaden zu erstellen. Die Interviews rich-

teten sich nach diesem, variierten jedoch in der Abfolge und wurden an die jeweiligen Interviewsi-

tuationen angepasst.

Folglich werden die zwei befragten Organisationen näher vorgestellt und ihre Relevanz für unsere

Forschungsarbeit begründet.

ZARA ist ein Verein für Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit, welcher verschiedene Schwer-

punkte hat. Hauptsächlich gibt es eine Beratungsstelle sowie eine Trainings GmbH, wobei auch

der Öffentlichkeitsarbeit ein wichtiger Stellenwert zukommt (vgl. I5, Z. 22-31). Thematiken der

Trainings sind beispielsweise der Umgang mit Vorurteilen, Argumentationstraining gegen Stamm-

parolen oder Zivilcourage (vgl. I5, Z. 25-30). Die Beratungsstelle berät kostenlos Betroffene und

Zeug*innen bei Fällen von Rassismus wie auch Hass im Internet, wobei es sich um eine eher

kurzfristige Beratung und Betreuung handelt (vgl. I5, Z. 17-42). Damit die Organisation zuständig

ist, bedarf es immer einer rassistischen Ursache (vgl. I5, Z. 104f.).

In dem Interview mit der Expertin kristallisieren sich folgende Hauptaufgaben von ZARA hervor:

das Führen von „psychosozialen Entlastungsgesprächen“ (I5, Z. 41), jährliches Erstellen des Ras-

sismus Reports (vgl. I5, Z. 55f.) sowie die rechtliche Beratung von Klient*innen (vgl. I5, Z. 117f.).

Diese inkludiert das Verfassen von Interventionsschreiben, in welchen um eine Entschuldigung

oder Wiedergutmachung vom Täter angesucht wird (vgl. I5, Z. 153-185) wie auch die Begleitun-

gen zur Polizei zur Erstattung einer Anzeige (vgl. I5, Z. 165-167). Ansonsten ist ZARA eine erste

Anlaufstelle, in welcher Opfer ernst genommen werden und Empowerment und Verständnis er-

fahren (vgl. I5, Z. 109-114). Falls nötig werden die Klienten*innen zu anderen Institutionen ver-

wiesen, vor allem wenn therapeutische Unterstützung notwendig ist (vgl. I5, Z. 118-121).

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Ausschlaggebend für die Wahl von ZARA war die Zuständigkeit für Frauen*, welche eine Mehr-

fachdiskriminierung erfahren. Da ein Fokus unserer Bachelorarbeit auf der Intersektionalität liegt,

war der Zugang der Expertin zu Rassismus besonders interessant für uns.

Bei der zweiten von uns ausgewählten Organisation handelt es sich um den 24-Stunden Frauen-

notruf. Dieser wird von der Expertin wie folgt beschrieben:

„Den Frauennotruf gibt es seit mittlerweile 22 Jahren. Wir arbeiten mit Frauen und Mäd-

chen ab 14, die von Gewalt betroffen sind. Schwerpunkte sind insbesondere sexualisierte

Gewalt, körperliche Gewalt und psychische Gewalt. [...] Dann verstehen wir uns auch als

Clearing Stelle, wo wir Frauen auch in andere Einrichtungen verweisen. Wir begleiten zu

Gerichtsverhandlungen, aber auch zur Polizei und wenn es nötig ist auch ins Kranken-

haus. Das machen wir in erster Linie bei sexualisierter Gewalt und bei körperlicher Gewalt.

Also wir machen auch persönliche Gespräche. Bei uns arbeiten Psychologinnen, teilweise

mit Psychotherapie Ausbildung, Sozialarbeiterinnen und Juristinnen” (I4, Z. 16-25).

Laut Expertin kommt zu ihnen nur „die Spitze des Eisbergs” (I4, Z. 55), wobei die häufigste Form

des Kontakts telefonisch verläuft. Auf die Frage, wann sich Betroffene an den Frauennotruf wen-

den, erklärt die Expertin, dass dies von verschiedenen Faktoren wie Vorgeschichte, Vorerfahrun-

gen und der eigenen Position zum Thema Gewalt abhängt. Häufig gehen die Anrufe mit extremer

Unsicherheit und großem Schamgefühl der Betroffenen einher (vgl. I4, Z. 110-115).

Wir haben den Frauennotruf kontaktiert, da sich alle Frauen*, welche Gewalt oder sexuelle Be-

lästigung erfahren haben, an die Organisation wenden können. Durch das Angebot des 24- Stun-

den Frauennotrufs haben die Klientinnen die Möglichkeit Bestärkung zu erfahren, ihre Gefühle zu

erläutern sowie bei konkreten rechtlichen Schritten Unterstützung zu erhalten (vgl. I4, Z. 55-58;

I4, Z. 142-144). Da der Frauennotruf eine große Bandbreite an betroffenen Frauen* anspricht,

konnten durch das Interview vielfältige Erfahrungen in Bezug auf die Thematik gesammelt wer-

den.

8.4 Umsetzung der Datenauswertung

Um die Daten aller geführten Interviews auszuwerten, wurden die Tonbandaufnahmen transkri-

biert und das Gesagte in Schriftsprache festgehalten. Folglich wurden die transkribierten Inter-

views in Bezug auf die Beantwortung der von uns gestellten Forschungsfrage verglichen, katego-

risiert und schließlich codiert. Unser Kategoriensystem bestand aus zwölf Hauptkategorien, mit

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mehreren Unterkategorien. Auf Basis einer darauffolgenden Interpretation erstellten wir den Fließ-

text des empirischen Teils.

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9. Individuelle Definitionen von Street Harassment

Im Theorieteil wurde bereits auf verschiedene Definitionen von „Street Harassment“ eingegangen.

Ziel dieses Kapitels ist es, die diversen Definitionen der Interviewpartnerinnen, welche aus Be-

troffenen sowie Expertinnen bestand, zu erläutern. Vor allem die Definitionen der Betroffenen sol-

len im Vordergrund stehen, da diese der wichtigste Ausgangspunkt für unsere Forschung sind. In

diesem Zusammenhang ist es wesentlich, das Konzept der Definitionsmacht zu ergänzen. Dieses

besagt, dass jede betroffene Frau* selbst festlegen darf und soll, was sie unter sexualisierter Ge-

walt versteht. Ziel dieses Konzeptes ist es, das individuelle Erleben der Frauen* in den Fokus zu

stellen und objektiven Kriterien weniger Bedeutung zuzuschreiben. Folglich würde dies bedeuten,

dass Frauen* sich nicht mehr rechtfertigen müssen und Formen von sexueller Gewalt, welche

keine gesetzlichen Konsequenzen nach sich ziehen, auch als solche wahrgenommen werden

(vgl. DEFMA 2008: 1ff.). Das Konzept ist auf Street Harassment zu übertragen, da auch hier se-

xuelle Belästigung inkludiert ist.

Generell sind die empirisch erarbeiteten Definitionen beinahe deckungsgleich mit der Fachlitera-

tur, wobei wir nicht viele Abweichungen erkennen konnten. Diese Zusammenhänge werden auf

folgenden Seiten erläutert.

Expertin 2 definiert „Street Harassment“ wie folgt: „Ich glaube ich würde Street Harassment als

alltägliche Belästigung und Gewalthandlung bezeichnen, im öffentlichen Raum durch fremde Per-

sonen“ (I4, Z. 29-30). In den weiteren Aussagen von E2 wird deutlich, dass für sie Belästigung im

öffentlichen Raum bereits bei Kommentaren über das Aussehen einer Frau* beginnt. Ansonsten

zählt sie vulgäre Gesten, sexuelle Kommentare, Entblößungen, Masturbation sowie das Angreifen

einer Frau* gegen ihren Willen dazu (vgl. I4, Z. 30-38). Für E2 fallen bereits belästigende Hand-

lungen, welche “unter dem Strafbarkeitslevel bleiben” (I4, Z. 40f.) unter Street Harassment. Die

Expertin stellt auch Überlegungen dazu an, inwiefern das Strafbarkeitslevel veränderbar ist und

es von der gesetzlichen Lage abhängt, was strafrechtlich verfolgt wird (vgl. I4, Z. 41-45). Expertin

1 geht bei der Frage nach der Definition von Street Harassment auf die Täter ein. Sie betont, dass

die diese oft unbekannt sind, vor allem in Situationen beim Vorbeigehen oder in öffentlichen Ver-

kehrsmitteln (vgl. I5, Z. 159-161). Dies entspricht auch den Definitionen von Kearl und Davis,

welche im Kapitel “1.1 Definition” beschrieben wurden.

Betroffene 2 hingegen, bei der es sich um eine Schwarze Frau* handelt, fokussiert sich bei der

Definition zum einen auf sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum, zum anderen auf Rassismus.

Als Beispiel nennt B2 das Beschimpfen sowie das Hinterherrufen auf der Straße (vgl. I3, Z. 27-

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33). Im Gegensatz dazu meint B3, eine Betroffene mit körperlicher Behinderung, folgendes zur

Definition: „Für mich wäre das, wenn man jemanden komisch anschaut, wenn er ein bisschen

anders ist oder wenn’s jetzt in die schlimmere Phase geht, dass man Leute wirklich belästigt, im

Sinne von Angreifen oder in ihren persönlichen Raum eingreift“ (I2, Z. 10-12). Diese Aussagen

lassen die Vermutung entstehen, dass die eigene Definition von Street Harassment von der Bio-

graphie und den individuellen Erfahrungen abhängt. Die Betroffenen inkludieren häufig Formen

von Street Harassment in ihre Definition, mit welchen sie selbst schon in Kontakt gekommen sind.

Darüber hinaus werden bei den befragten Frauen* individuelle Unterschiede ersichtlich, was be-

reits als Belästigung im öffentlichen Raum wahrgenommen wird. B3 empfindet es bereits als

grenzüberschreitend, wenn sie von Greenpeace-Verkäufer*innen angesprochen wird und diese

ihr auf der Mariahilferstraße nachlaufen (vgl. I1, Z. 65-72). Zusätzlich meinen B3 und B6, dass für

sie schamloses Anstarren und Anglotzen nicht mehr in Ordnung sind (vgl. I1, Z. 88-89; I1, Z. 75-

76). Von B9 werden Hinterherpfeifen, ungewolltes Ansprechen sowie sexuelle Geräusche, welche

an einen gerichtet werden, als grenzüberschreitend wahrgenommen (vgl. I1, Z. 86-87).

Anhand der diversen Zitate ist die Unterschiedlichkeit der oben genannten Grenzen erkennbar,

wodurch das Verhalten der Täter verschieden wahrgenommen werden kann. Dies wird auch in

der Aussage und Definition von einer Betroffenen deutlich: „Ich glaube, das ist einfach eine Grenz-

überschreitung, also was meine Grenzen betrifft. Also sei es jetzt eben verbal oder körperlich

irgendwie“ (I1, Z. 73-74).

Bei der Frage, wie die Interviewpartnerinnen die Einteilung von Holly Kearl empfinden, welche in

Kapitel 6 erläutert wurde, reagierte der Großteil der befragten Personen mit zustimmenden Äuße-

rungen. Dies wird bei folgendem Zitat einer Betroffenen erkennbar: „Ich finde es gut eingeteilt,

weil [...] alle drei stellen eine andere Art von Belästigung dar und man kann genauso nur verbal

belästigt werden, als auch dann im schlimmsten Fall [...] körperlich“ (I1, Z. 157-159). Lediglich bei

der Vergewaltigung waren sich die Frauen* bei der Gruppendiskussion uneinig: „Ich würde eine

Vergewaltigung nicht mehr als Belästigung bezeichnen, ich glaube das ist etwas anderes“ (I1, Z.

160-161). B9 argumentiert jedoch, die Einteilung seitens Kearl mit Vorsicht zu betrachten, da ver-

schiedene Formen nicht nach Schweregrad gewertet werden sollten. Dies spricht der Frau* even-

tuell ihre individuelle Wahrnehmung der Situation ab:

„Ich finde die Einteilung grundsätzlich interessant [...], aber ich glaube da muss auch ganz

vorsichtig damit umgegangen werden, dass man dann nicht so sagt: ‚Ah das eine ist

schlimmer als das andere‘ oder so, weil das auch immer ganz individuell ist wie die Person

das erlebt“ (I1, Z. 164-167).

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Diese Aussage untermauert die Bedeutsamkeit des Konzeptes der Definitionsmacht, welches be-

reits erläutert wurde.

Ein weiterer Aspekt, welcher in der Gruppendiskussion ersichtlich wurde, ist die Unterscheidung

zwischen absichtlichem/bewusstem oder unabsichtlichem/unbewusstem Street Harassment.

Während absichtliche Handlungen eindeutig als Street Harassment deklariert werden, können

unabsichtliche Belästigungen toleriert, beziehungsweise von Betroffenen normalisiert werden. Im

Interview wurde zudem deutlich, dass es einen Unterschied macht, ob die Frau* mit der Handlung

einverstanden ist oder nicht. B4 äußert sich dazu folgendermaßen: „Also ich persönlich empfinde

es dann als übergriffig, wenn ich dem Gegenüber signalisiere, dass ich das eigentlich gar nicht

möchte“ (I1, Z. 108-109). Interessant ist dabei die Aussage von B5: „Ich glaube es fängt manchmal

schon früher an, einfach wenn die Situation was mit mir anstellt. Da muss ich mich nicht wehren,

da muss ich nichts machen – sobald das irgendwie an mich rankommt“ (I1, Z. 118-120). Dies

deutet erneut auf die individuellen Grenzziehungen der Betroffenen hin.

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10. Erfahrungen

Jede Frau* hat eine andere Biografie und ist hinsichtlich ihrer Persönlichkeit und Wahrnehmung

individuell. Demnach sind die mit uns geteilten Erfahrungen einzigartig, vielschichtig und nicht

direkt miteinander vergleichbar. Es waren jedoch einzelne Muster erkennbar, wie etwa verschie-

dene Umstände oder Emotionen, die häufiger in den einzelnen Erzählungen genannt wurden.

Ziel dieses Kapitels ist es, die komplexen Erfahrungen zu analysieren, Bestandteile in Unterkapitel

zu interpretieren und in Bezug zu setzen. Es werden die generellen Umstände, welche von den

Betroffenen und Expertinnen mit Street Harassment in Verbindung gebracht oder in Erzählungen

erwähnt wurden, veranschaulicht. Weiters werden die unterschiedlich ausgelösten Emotionen an-

geführt und beeinflussende Faktoren herausgearbeitet. Zudem gehen wir darauf ein, wie häufig

Street Harassment von den befragten Frauen* erfahren wird und ob die Erlebnisse ihre Nutzung

des öffentlichen Raumes verändern.

Um zu verdeutlichen, wie komplex und unterschiedlich Erfahrungen mit Street Harassment sein

können, werden einige Beispiele genannt. B4 berichtet von folgendem Erlebnis:

„Da saß dieser ältere Herr da, ja eigentlich schräg vis-a-vis vor mir und hat sich einen

runtergeholt. Einfach so mitten in der S-Bahn, also in der Straßenbahn und es war hell-

lichter Tag […] Und es hat irgendwie jeder gesehen, jeder hat sich geekelt aber keiner hat

was gesagt. […] Und ich hab gesagt […], dass er das bitte zu Hause machen soll, wo sich

niemand belästigt fühlt […]. Ich weiß nicht, ob ihn das irgendwie angemacht hat, aber da-

raufhin hat er dann angefangen direkt mich die ganze Zeit dabei anzusprechen und ge-

wisse Geräusche zu machen und ‚Ja Baby und das gefällt dir doch’ und keine Ahnung was

und ich saß eigentlich nur da und so. Keiner hat was gesagt und der Typ saß einfach da

bis er gekommen ist. Dann ist er ausgestiegen“ (I1, Z. 214-230).

B5 hat folgendes erfahren: "Dass ich das öfter schon gehört habe, gerade beim Nachpfeifen, dass

mir dann Typen gesagt haben: ‚Weißt du, es ist immer nur die hässlichste Freundin die sich von

denen, denen Nachgepfiffen wird, die sich aufregt.’ Und das ist so schlimm" (I1, Z. 799-802).

Betroffene 7 schildert eine Situation, in der sie nachts an einem Bahnhof von einem betrunkenen

Mann* belästigt wurde, der trotz ihrer klaren Ablehnung immer wieder das Gespräch mit ihr suchte

(vgl. I1, Z. 174-184). Weiters erzählte sie:

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„Da hab ich mich zu einem anderen Typen quasi so bisschen hingestellt, dass zumindest ir-

gendjemand sieht, was da los ist. Und wie er dann gerade weggegangen ist, hat mich der

andere Typ dann angesprochen. Und ich dachte er will jetzt so fragen, ob vielleicht eh alles

okay ist und so. Und er hat mich dann auch gefragt, ob ich was mit ihm trinken gehen möchte"

(I1, Z. 313-319).

10.1 Rahmenbedingungen

Im Zuge unserer Interviews sollte unter anderem herausgefunden werden, welche verschiedenen

Umstände zum Entstehen oder zum Erleben von Street Harassment beitragen. Durch die Antwor-

ten von unseren Interviewpartnerinnen hat sich herausgestellt, wie viele verschiedene Aspekte zu

berücksichtigen sind. Als häufigste Einflussfaktoren wurden die Uhrzeit und der Ort erwähnt.

Viele Betroffene berichten, Street Harassment vermehrt in öffentlichen Verkehrsmitteln (vgl. I3, Z.

27-30) wie in Straßenbahnen (vgl. I1, Z. 216-218; I3, Z. 167-169), U-Bahnen (vgl. I1, Z. 277-280;

Z. 638-647; I3, Z. 33-52), Zügen (vgl. I1, Z. 174-206; Z. 290-291) sowie Autobussen (vgl. I1, Z.

185-194; Z. 275-277) erlebt zu haben. Zudem erzählt Expertin 1, häufig diverse öffentliche Ver-

kehrsmittel als Ort der Belästigung angegeben zu bekommen. E1 zählt auch das Taxi, in welchem

es ebenfalls vermehrt zu sexueller Belästigung kommt, zum öffentlichen Raum, da es sich bei

dem oder der Fahrer*in um eine fremde Person handelt (vgl. I4, Z. 88-94). Bahnhöfe werden so-

wohl von zwei Betroffenen als auch von E1 als Tatort angeführt (vgl. I1, Z. 314-322; I3, Z. 63-66;

I4, Z.88-89). Das Stadtzentrum wurde ebenfalls genannt (vgl. I3, Z. 180-181).

Des Weiteren macht es laut manchen Betroffenen einen Unterschied, ob sie sich in ländlichen

Gebieten oder in einer Stadt befinden. B1 hat das Gefühl, am Land aufgrund ihrer körperlichen

Beeinträchtigung deutlich häufiger angestarrt zu werden. In der Stadt hat sie damit weniger Prob-

leme. Sie führt das darauf zurück, da in einer Stadt mehr Personen mit einer Beeinträchtigung

leben und die Menschen deshalb aufgeschlossener und aufgeklärter sind (vgl. I2, Z. 171-175).

Ein zusätzlicher Aspekt, den B3 hervorhebt ist, dass am Land oft weniger Leute in der Umgebung

sind, die einem in einer akuten Situation helfen können (vgl. I1, Z. 333-336). Im Gegensatz dazu

meinen die Betroffenen B8, B4 und B6 öfter in der Stadt mit Street Harassment konfrontiert wor-

den zu sein oder dort für sie schlimmere, beziehungsweise unangenehmere Situationen erlebt zu

haben (vgl. I1, Z. 241-258; Z. 323-325). Von B3 wird auch ihr eigenes Äußeres als Umstand an-

gesehen. „Ich werde am Land mehr angestarrt. Ich meine, dass kann jetzt auch gut an meinem

Auftreten liegen, weil ich behaupte, dass ich ein bisschen alternativ ausschaue“ (I1, Z. 338-340).

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Von der Expertin 1 werden zusätzlich die Schnellbahn, Supermärkte, Stiegenhäuser, Universitä-

ten, Sanitäter in Rettungswagen, der Wiener Prater, Aufzüge, Krankenhäuser, Schwimmbäder

und die Sauna als bekannte Tatorte genannt (vgl. I4, Z. 88-100). Auch von B3 und B8 wird der

Supermarkt in jeweils einer Erfahrung erwähnt (vgl. I1, Z. 304-308; Z. 352-354).

Ebenfalls wurde Street Harassment häufig in Verbindung mit dem Ausgehen genannt (vgl. I1, Z.

365-367; I3, Z. 101). Einige Frauen* berichten, in Clubs oder Lokalen auf unterschiedliche Weisen

belästigt worden zu sein (vgl. I1, Z. 230-233; Z. 301-304; I3, Z. 84). Die Kombination mit Alkohol

fördert laut manchen Betroffenen Street Harassment oder wurde von ihnen in ihren Erfahrungen

erwähnt (vgl. I1, Z. 175-178; Z. 359-367). B2 bemerkt, dass auch der Anschein sie selbst wäre

betrunken, Street Harassment begünstigt. „Und die denken, dass man selber ziemlich betrunken

und dann hilflos ist und dann eher ja dazu sagt, zum Beispiel ob man mitgeht etwas Trinken” (I3,

Z. 177-180).

Die Uhrzeit hat ebenfalls einen Einfluss auf die Häufigkeit und die Formen von Street Harassment.

Der Großteil der befragten Frauen* und Expertinnen berichten vorwiegend von Belästigungen in

der Nacht und am Abend (vgl. I1, Z. 175-189; Z. 286-362; Z. 423-425; I2, Z. 190-192; I3, Z. 184-

192). B7 meint folgendes: „Ich habe auch eher die Erfahrung gemacht, dass es eher am Abend

oder in der Nacht war, was aber glaube ich damit zusammenhängt, dass da weniger Menschen

unterwegs und die Leute teilweisen betrunken waren“ (I1, Z. 359-362). B8 hat wenig Zusammen-

hang mit der Uhrzeit erkennen können. Sie wurde sowohl bereits vormittags als auch am Abend

mit Street Harassment konfrontiert. Jedoch hält sie die Wahrscheinlichkeit am Wochenende be-

lästigt zu werden für höher (vgl. I1, Z. 349-355). Insgesamt konnten wir bei der Interpretation er-

kennen, dass Street Harassment am häufigsten in der Nacht oder am Abend erlebt wird.

Wie oben erwähnt wird auch die Form von der Uhrzeit beeinflusst. B6 erzählt, Nachpfeifen ver-

mehrt untertags und Anstarren und Begrapschen abends zu erleben (vgl. I1, Z. 363-364). Die

Betroffene B2 schildert, zur Mittagszeit eher im Stadtzentrum oder in der U-Bahn belästigt zu

werden (vgl. I3, Z. 180-181). B4 meinte hierzu:

„Also das Körperliche kam eher so am Abend beim Fortgehen, am Wochenende vielleicht,

wenn dann vielleicht doch ein bisschen mehr Alkohol im Spiel war. Und Nachpfeifen und

dieses tägliche Belästigen wie auch in Verkehrsmitteln oder so, das ist untertags genauso

wie am Abend“ (I1, Z. 365-369).

Ebenso geben einige Betroffene an besonders belästigt zu werden, wenn wenige Menschen in

der Umgebung, aber auch wenn sie alleine sind (vgl. I1, Z. 333-336; Z. 359-362; I3, Z. 151-152).

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Das Alleinsein in öffentlichen Verkehrsmitteln wurde von B2 und B4 als Situation genannt, in der

Street Harassment wahrscheinlicher wird (vgl. I1, Z. 423-425; I3, Z. 190-192). Im Gegensatz dazu

hat B2 einige Vorfälle von Belästigungen in Menschenmengen erlebt. Sie begründet dies dadurch,

dass viele Leute dem Täter auch ein Gefühl der Sicherheit geben können oder dieser die Anony-

mität bewusst ausnutzt (vgl. I3, Z.42-45; Z. 124-129; Z. 151-156). Auch B3 berichtet von einer

ähnlichen Erfahrung: „Es ist total krass, dieses ‚Ich bin so sneaky, die bemerkt mich eh nicht und

dann ist es ja auch nicht schlimm’” (I1, Z. 303-304).

In unserer Theorierecherche konnte kaum Literatur zu begünstigenden Umständen gefunden wer-

den. Jedoch haben laut Kearl Frauen*, welche sich alleine in städtischer Umgebung aufhalten

oder öffentliche Verkehrsmittel benützen, ein höheres Risiko Street Harassment zu begegnen

(vgl. Kearl 2010: 95), was mit unseren Erkenntnissen übereinstimmt. In Kapitel 4.6 „Ort“ wurde

verdeutlicht, dass eine Situation je nach Örtlichkeit der Belästigung schneller als bedrohlich oder

harmlos eingestuft wird. Obwohl es verschiedene Umstände gibt, die Belästigung im öffentlichen

Raum begünstigen, kann es täglich an jeglichen öffentlichen Orten zu jeder beliebigen Uhrzeit zu

einer Konfrontation mit Street Harassment kommen.

10.2 Emotionen

Gegenstand des folgenden Kapitels sind die während Street Harassment ausgelösten Emotionen.

Viele Frauen* gaben an aufgrund unterschiedlicher Ursachen wütend zu sein (vgl. I1, Z. 622-653;

I3, Z. 230) B5 stört es, sich überhaupt Gedanken bezüglich Street Harassment machen zu müssen

(vgl. I1, Z. 542-544). Betroffene 3 erlebt das folglich: „Bei manchen Sachen bin ich so wütend,

dass ich zur Polizei gehe. Bei manchen Sachen denke ich mir ‚Nee, das ist jetzt nervlich scheiße.’

Klar. Aber mit drei Mal Augenrollen ist das weg und ich muss eben nichts mehr machen“ (I1, Z.

455-458).

Expertin 1 meint dazu: „Manchmal rufen Frauen auch im Ärger an […]. Aber sehr oft sind es

einfach unglaubliche Unsicherheit und Schamgefühle“ (I4, Z. 113-114). Die Betroffene 2 be-

schreibt ihre Emotionen wie folgt: Ich fühlte mich „sehr, sehr unfair behandelt. Vor allem ausge-

nutzt, weil man dann nur als Körper betrachtet wird und nicht als Mensch mit einer Persönlichkeit“

(I3, Z. 147-148). B5 berichtet von einem machtlosen, lähmenden Gefühl in akuten Situationen

gefolgt von einem Schuldgefühl und Wut auf sich selbst, nicht anders reagiert zu haben (vgl. I1,

Z. 426-437). Auch B6 fühlt sich ohne es zu wollen schlecht und schuldig sowie auch wütend (vgl.

I1, Z. 388-391). Befragte 9 schildert, sich nach Konfrontationen, vor allem in jüngerem Alter, sehr

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schlecht gefühlt zu haben. Durch das Anwenden von verbalen Gegenstrategien kann sie inzwi-

schen besser damit umgehen, auch wenn sie die Situationen trotz allem noch lange beschäftigen

(vgl. I1, Z. 373-381). Betroffene 8 gab ebenfalls an, viel über erlebte Konfrontationen nachzuden-

ken (vgl. I1, Z. 382-387).

Street Harassment wird von B7 als sehr unangenehm empfunden, wobei bei ihr besonders Angst

entsteht, wenn niemand in der Umgebung ist. Zudem denkt sie nach einer Konfrontation noch

lange über das Erlebte nach (vgl. I2, Z. 395-403). Die Befragten 6 und 7 würden bei Belästigung

gerne anders reagieren, jedoch werden sie durch ihre Angst davon abgehalten, da der Täter teil-

weise als aggressiv eingeschätzt wurde (vgl. I1, Z. 254-270; Z. 563-565).

B8 äußert sich folgendermaßen: „Es ist mir auch schon öfters passiert, dass mir Leute hinterher-

gelaufen sind. Und ich wusste dann einfach nicht was ich machen soll, weil ich ganz alleine auf

der Straße war und weil niemand anders sonst dort war. Da kommt man schon ins Verzweifeln“

(I1, Z. 329-332). Interviewpartnerin B2 berichtet ebenfalls, von Männern* verfolgt und angespro-

chen worden zu sein, als sie alleine am Heimweg war. In solchen Situationen war bei ihr Angst

die vorherrschende Emotion (vgl. I3, Z. 84-91). Später im Interview schildert sie noch eine Erfah-

rung, in welcher sie sich sichtlich unwohl fühlte, ihr jedoch keiner zur Hilfe gekommen ist (vgl. I3,

Z. 54-60).

„Das Problem ist, dass ich das in vielen Situationen einfach in mich hineinfresse, anstatt

diese Konfrontation zu suchen, weil das auch sehr anstrengend ist. [...] Also man das Ge-

fühl hat, dass es zu nichts führt, wenn man da nicht unterstützt wird. Wenn man immer

allein ist” (I3, Z. 198-202).

Es ist auffallend, dass besonders der Umstand alleine zu sein, Angst bei den Betroffenen auslöst

und das Gefühl der Wut in den Hintergrund rückt.

Street Harassment ruft bei B3 einigermaßen gleichgültige Gefühle hervor, was an ihren vielen

Erlebnissen mit Belästigungen liegen könnte (vgl. I1, Z. 673-677). B1 berichtet, Konfrontationen

gut ignorieren zu können, was dazu führt, dass erlebte Situationen möglicherweise wenige Emo-

tionen bei ihr auslösen (vgl. I2, Z. 85-89).

Dem Täter wird viel Macht zugeschrieben, wodurch Schuldgefühle und Gefühle von Machtlosig-

keit ausgelöst werden. Auch das Umfeld kann die Emotionen der Betroffenen beeinflussen. Wird

das Verhalten des Täters von anwesenden Personen toleriert, kommt es vermehrt zu Unverständ-

nis und dem Gefühl der Hilflosigkeit.

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Bezugnehmend auf Kapitel 4 „Subjektive Wahrnehmungen von Frauen*“ gibt es Faktoren, welche

das Erleben von Street Harassment beeinflussen, wodurch dieses als Kompliment wahrgenom-

men werden kann. In den Interviews werden ausschließlich Erfahrungen genannt, welche nega-

tive oder gleichgültige Emotionen auslösen. Es wurde außer Acht gelassen, dass Aufmerksam-

keiten unter gewissen Umständen auch positiv empfunden werden können. Demnach werden

Erfahrungen, welche aus verschiedenen Gründen wie etwa Attraktivität des Täters, nicht als be-

lästigend wahrgenommen und teilweise nicht als Street Harassment erkannt. Diesen Aspekt hät-

ten wir in den Interviews durch die Frage „Siehst du Street Harassment auch als Kompliment?“

thematisieren können.

In dem vorherigen Kapitel beschriebene Umstände wie Uhrzeit oder Ort haben oftmals einen Ein-

fluss auf die ausgelösten Emotionen und die angewandten Gegenstrategien der Frauen*. Letztere

stehen ebenfalls in einer Wechselwirkung zueinander.

10.3 Subjektive Wahrnehmung der Häufigkeit und Veränderung der Nutzung des

öffentlichen Raumes

Eine weitere Frage, die an die Betroffenen gestellt wurde, bezieht sich auf die Häufigkeit mit der

Street Harassment erlebt wird. Ziel der Fragestellung war es herauszufinden, mit welcher Fre-

quenz das Erleben von Belästigung im öffentlichen Raum wahrgenommen wird. In weiterer Folge

wollten wir wissen, ob und wie die Nutzung des öffentlichen Raumes beeinflusst wird.

Die Befragten 7 und 9 meinen, im Monat durchschnittlich zwei bis drei Mal mit Street Harassment

konfrontiert, jedoch oft unaufmerksam zu sein und Belästigungen nicht immer wahrzunehmen

(vgl. I1, Z. 478-482). Auch B5 wird zwei bis drei Mal pro Monat im öffentlichen Raum belästigt,

berichtet allerdings, nonverbale Formen in der Stadt aufgrund der vielen Menschen nicht direkt

auf sich zu beziehen (vgl. I1, Z. 469-472).

Laut B2 hängt die Häufigkeit mit der sie Street Harassment erlebt von der Uhrzeit und davon ab,

wie häufig sie ausgeht und öffentliche Verkehrsmittel benutzt. Besonders nonverbale Formen ver-

drängt die Befragte oftmals lieber, als diese diskriminierend zu deuten, weshalb ihr die Einschät-

zung wie oft sie belästigt wird schwer fällt (vgl. I3, Z. 158-162). Mehrere Betroffene hingegen be-

richten, Street Harassment unter Hinzuziehung der nonverbalen Formen mehrmals pro Woche zu

erleben (vgl. I1, Z. 462-477). Im Gegensatz dazu meint B1, nie mit Street Harassment konfrontiert

zu sein. Da sie hauptsächlich von behindertenfeindlichen Kommentaren und Blicken berichtet (vgl.

I2, Z. 71-92), nimmt sie diese möglicherweise nicht als Street Harassment wahr oder blendet sie

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aus. Die von ihr genannten Formen fallen jedoch unserer Definition zufolge unter Belästigung im

öffentlichen Raum.

Im Allgemeinen unterscheiden sich die Aussagen der befragten Frauen* voneinander, von mehr-

mals wöchentlich bis dahin nie Belästigungen zu erfahren. Besonders nonverbale Formen werden

scheinbar öfter erlebt, jedoch auch häufig nicht bemerkt oder bewusst ausgeblendet. Wie schon

im Unterkapitel „Rahmenbedingungen“ veranschaulicht, hängt die Frequenz mit der Street Ha-

rassment erlebt wird zudem mit dort genannten Faktoren wie der Uhrzeit und dem Ort zusammen.

Bei der Frage nach der Veränderung der Nutzung des öffentlichen Raums unterscheiden sich die

Einschätzungen der befragten Frauen*. B6 und B1 meinen, ihre Erfahrungen mit Street Harass-

ment haben nichts oder nur wenig an ihrer Nutzung des öffentlichen Raumes verändert (vgl. I1,

Z. 504-505; I2, Z. 121-122). Auch B4 und B8 geben an, sich nicht in ihrer Nutzung eingeschränkt

zu fühlen, allerdings hat sich ihre Wahrnehmung verändert, was zu vermehrter Aufmerksamkeit

im öffentlichen Raum führt (vgl. I1, Z. 485-498).

Die Befragten sehen die Wahrnehmung und die Einschränkung der Nutzung getrennt voneinan-

der, jedoch beeinflussen sich diese gegenseitig, da eine veränderte Wahrnehmung zu einer un-

bewussten Umstellung des Verhaltens führt. Durch die erhöhte Aufmerksamkeit achten die be-

fragten Frauen* vermehrt auf die Umgebung, sind konzentrierter und vorsichtiger (vgl. I1, Z. 485-

503).

B7 erzählt, trotz ihrer negativen Erfahrungen, Orte an denen Street Harassment wahrscheinlich

ist nicht zu meiden. Jedoch wird ihr Verhalten dahingehend beeinflusst, dass Vermeidungsstrate-

gien, wie das Beobachten der Umgebung eingesetzt werden (vgl. I1, Z. 518-527). Betroffene 9

möchte sich nicht einschränken lassen, empfindet jedoch vermehrt Angst im öffentlichen Raum

(vgl. I1, Z. 530-532). Eine weitere Betroffene hebt hervor, sich in der Stadt uneingeschränkter zu

fühlen als am Land, nichtsdestotrotz bemerkt sie auch dort eine leichte Veränderung ihres Ver-

haltens (vgl. I1, Z. 541-547). Hingegen spricht B2 von einer deutlichen Einschränkung der Nut-

zung. Die Betroffene erzählt, sich viele Gedanken über ihre Kleidung zu machen und auch be-

wusst weniger reizvoll anzuziehen (vgl. I3, Z. 183-190).

Auffallend war, dass ein Großteil der befragten Frauen* angab, wenig bis keine Einschränkungen

in der Nutzung des öffentlichen Raumes zu erleben. Die meisten Betroffenen sind der Meinung,

keine oder kaum Änderungen zu erfahren, allerdings beschreiben sie, sich mehr Gedanken zu

machen und aufmerksamer zu sein. Bei allen ist das Bewusstsein einer potentiellen Gefahr im

öffentlichen Raum belästigt zu werden vorhanden. Die betroffenen Frauen* geben Großteils an,

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sich nicht einschränken lassen zu wollen, jedoch ist anhand der Interviews bemerkbar, dass es

dennoch häufig zu einer unbewussten Änderung kommt. Das Nachdenken über eine mögliche

Belästigung wird von uns bereits als Einschränkung gesehen.

Zudem kann ein Zusammenhang mit den Kapiteln „Rahmenbedingungen“ und „Emotionen“ er-

kannt werden. Die Angst als Grundemotion ändert aus unserer Sicht das Verhalten in Bezug auf

die Nutzung des öffentlichen Raumes, auch wenn diese unbewusste Veränderung nicht er-

wünscht ist. All dies führt zu der Annahme, dass die stetige Alarmbereitschaft so gegenwärtig

geworden ist, wodurch sie als Normalität angesehen wird.

11. Erfahrungen in Bezug auf Intersektionalität

Bei der empirischen Forschung stellte die Intersektionalität einen wichtigen Aspekt dar, weshalb

versucht wurde, eine heterogene Gruppe an Frauen* zu interviewen. Das Ziel dabei war, ein mög-

lichst umfangreiches Bild von Street Harassment zu erhalten sowie die unterschiedlichen Erfah-

rungen von verschiedenen Frauen* zu inkludieren. Folgendes Kapitel stellt diese in den Mittel-

punkt.

Es ist uns zuvor ein Anliegen zu betonen, dass unsere Forschung aufgrund ihrer überschaubaren

Größe Limitationen ausgesetzt ist. Aus diesem Grund wird bei folgenden Unterkapiteln von den

subjektiven Empfindungen und Erfahrungen einzelner betroffenen Frauen* erzählt. Somit sollen

die folgenden Aussagen nicht als absolut oder als für die gesamte Kategorie sprechend angese-

hen werden, da sie von Einzelpersonen getätigt wurden. Intersektionalität und der oft damit ein-

hergehenden Diskriminierungen wie Rassismus, Ableismus oder Homofeindlichkeit fallen laut Te-

mel, wie bereits in der Theorie erläutert, auch unter Street Harassment (vgl. Temel 2017: 35).

11.1.1 Race

Wie bereits in Kapitel 4 thematisiert, werden Women* of Colour nicht nur aufgrund ihres Ge-

schlechts, sondern auch hinsichtlich weiterer Merkmale, wie beispielsweise der Hautfarbe diskri-

miniert. Dies wird auch von einer Expertin so erlebt: „Wirklich blöd ist es, wenn sich verschiedene

[Anm. Merkmale überschneiden], weil ich da gerade den Fall von einer Schwarzen Studentin lese.

Die wird diskriminiert, weil sie eine Frau* und weil sie Schwarz ist. Das wird dann oft sehr uner-

träglich“ (I4, Z. 325-327). Dabei kommt es zu Überschneidungen und Wechselwirkungen von Dis-

kriminierungsmerkmalen, wobei nicht immer differenziert werden kann, aufgrund welchem Faktor

Women* of Colour Street Harassment erleben. Anschaulich spiegeln die Aussagen von B2 die

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Schwierigkeit wider, bei non-verbalen Situationen zu unterscheiden, ob es sich um eine Diskrimi-

nierung handelt oder nicht:

„Du sitzt jetzt in einer U-Bahn, und neben dir ist ein Platz frei, aber keiner will sich dann

dazusetzen. Und dann fragt man sich: Okay gut, ist es jetzt aus rassistischen Gründen

oder weil sie keinen Bock haben zu sitzen? Dementsprechend sind nonverbale Zeichen

dann so weit interpretierbar, sodass du entweder diskriminiert wirst oder eben nicht. Und

das weiß man dann nie” (I3, Z. 76-80).

Generell ist auffallend, dass die befragten Expertinnen sowie die Betroffene von vielen unter-

schiedlichen Formen der Belästigung sprechen, mit denen Women* of Colour konfrontiert werden.

Expertin 2 berichtet von Klientinnen, welche aufgrund verschiedener Merkmale wie Hautfarbe,

Akzent oder Name von Belästigung betroffen sind. Sie stellt fest, dass Akzent oder Name im öf-

fentlichen Raum nicht relevant sind. Hingegen macht eine nicht Weiße Hautfarbe Personen um

ein Vielfaches vulnerabler, da es sich um ein sofort sichtbares Merkmal handelt (vgl. I5, Z. 81-86).

In der Fachliteratur wird zusätzlich argumentiert, dass Frauen* welche offensichtlich von der

„Norm“ abweichen, häufiger mit Belästigung im öffentlichen Raum konfrontiert werden (vgl. Kearl

2010: 46). Die befragte Schwarze Frau* erzählt von ihren Erfahrungen diesbezüglich: „Wenn es

um Rassismus geht, dass dich dann Leute auf der Straße beschimpfen oder dir schlechte Dinge

hinterherrufen. Also dementsprechend gibt es bei mir dann viele Facetten, wie man da jetzt öf-

fentlich geharassed werden kann“ (I3, Z. 30-33). Des Weiteren sind Women* of Colour Diskrimi-

nierungen ausgesetzt, mit welchen sonst keine Gruppierung von Frauen* konfrontiert wird. Als

Beispiel nennt B2 folgende eindrückliche Situation:

„Zum Beispiel habe ich einmal auf den Bus gewartet, das war in Leopoldau. Und ich bin

einfach nur gesessen und hab gelesen. Plötzlich fährt da ein Auto vorbei und da, keine

Ahnung, zwei Typen, also zwei Jugendliche schreien da einfach Neger raus. Ich denk mir

so wow, cool. Da weiß man, da kann man dann auch nicht mehr [...] darauf reagieren, weil

die einfach dann weitergefahren sind und ja. Das war es dann auch schon wieder. Aber

dann sitzt man alleine damit“ (I3, Z. 64-69).

Bei manchen als schwerwiegend erlebte Diskriminierungserfahrungen oder Formen von Street

Harassment nehmen die Opfer die Schuld auf sich und überlegen, was mit ihnen nicht stimmt.

Dazu erläutert Expertin 1 einen konkreten Fall, bei dem eine Schwarze Frau* zu ihr in die Orga-

nisation gekommen ist, da sie innerhalb einer kurzen Zeitspanne drei sexuellen Belästigungen

ausgesetzt war. Daraufhin suchte die Klientin nach Aspekten, die sie falsch gemacht haben

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könnte (vgl. I4, Z. 327-329). Die Expertin meint dazu: „Ich glaube, das Gefühl hat man schnell

einmal, dass man einen Fehler gemacht hat, dass man was falsch gemacht hat. Und da geht es

auch irgendwie darum ein Stück zu relativieren. Dass das in der Regel nichts mit der konkreten

Person zu tun hat“ (I4, Z. 329-332).

Ansonsten berichtet die Befragte 2 auch von häufiger Konfrontation mit Stereotypen, die mit der

Hautfarbe einhergehen. Beispielsweise wird von der Annahme berichtet, die Landessprache nicht

zu beherrschen sowie nur an Men of Colour sexuell interessiert zu sein (vgl. I3, Z. 95-100; Z. 121-

124). Dadurch ist erkennbar, dass Women* of Colour aufgrund ihrer Diversitätsmerkmale benach-

teiligt, beziehungsweise anders behandelt werden. Abschließend macht noch eine weitere Erfah-

rung von B3 darauf aufmerksam:

„Ja beim Fortgehen ist [...] mir aufgefallen, dass die Typen mich anders behandeln als die,

die nicht Schwarz sind. Wo es etwas länger gebraucht hat um herauszukristallisieren, was

da jetzt eigentlich anders ist. Und zwar ist es so, dass man öfter das Gefühl hat, dass die

Typen das als eine Mutprobe sehen einen anzusprechen. Oder wenn sie’s dann schaffen

mit dir ein gescheites Gespräch zu führen, dann bist du eher so ein Pokal, so ‚Oh mein

Gott, ich hab mit einer Schwarzen geredet‘ oder ‚Ich hab’s geschafft mit der zu flirten‘ [...]

oder eine Liste abhakt, welche exotischen Dinge man jetzt erlebt hat“ (I3, Z. 110-119).

11.1.2 Religion

Bei unserer empirischen Forschung berichtet eine Expertin von mehreren Vorfällen der Belästi-

gung aufgrund vom Christentum abweichenden Religionen, weshalb es uns ein Anliegen ist, dazu

ein eigenes Unterkapitel zu verfassen. In dem geführten Interview mit der Expertin von ZARA wird

in Bezug auf Religion und Street Harassment fast ausschließlich von Kopftuchträgerinnen und

deren Erfahrungen berichtet. Sie spricht dabei von einer „klassischen Mehrfachdiskriminierung“

(I5, Z. 79). Die Expertin erzählt, dass sich immer wieder Frauen* mit Kopftuch aufgrund von Be-

lästigungen, Beschimpfungen und körperlichen Übergriffen an ZARA wenden (vgl. I5, Z. 60-64).

Diese Fälle sind deshalb so häufig, „weil das sowas Offensichtliches ist, wo man ja gar nicht vorher

ins Gespräch kommen muss, sondern das ist was, was man sofort sieht“ (I5, Z. 68-69). Somit

fallen in einer christlich geprägten Gesellschaft Musliminnen durch ihr Kopftuch schneller auf. Da

diese Personen sichtlich oft Diskriminierungen erfahren, deutet dies auf eine Anti-Muslimische

Einstellung innerhalb der westlichen Bevölkerung hin. Als Beispielfälle erwähnt die Expertin fol-

gende Situationen: „Körperliche Übergriffe, Beleidigung wegen Kopftuch in der Straßenbahn,

Kopftuch in TV-Diskussion als Symbol des Bösen bezeichnen, etc.“ (I5, Z. 358-360). Während

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des Interviews erläutert E2 ebenso einen häufigen Zusammenhang zwischen Religion und Ras-

sismus (vgl. I5, Z. 100-106).

In einer kurzen Aussage der Expertin wird die Diskriminierung von jüdischen Frauen* durch „Heil-

Hitler Rufe“ oder Beschimpfungen erwähnt (vgl. I5, Z. 364-365). Es wird jedoch von den interview-

ten Betroffenen und Expertinnen nicht näher darüber berichtet. Allgemein wurden in den Inter-

views nur der Islam sowie das Judentum thematisiert, weshalb nicht auf weitere Religionen ein-

gegangen wird.

11.1.3 Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung

Um über das Konzept der Heteronormativität hinauszugehen, haben wir eine homosexuelle Frau*

und eine Transfrau* im Rahmen unserer Gruppendiskussion interviewt. Die befragte homosexu-

elle Frau* ist ohne Erwähnung ihrer sexuellen Orientierung auf ihre Erfahrungen als Frau* einge-

gangen. Wir schließen daraus, dass einerseits eventuell keine, beziehungsweise wenig intersek-

tionale Erfahrungen diesbezüglich bestehen. Dies ist dann der Fall, wenn die von der Heteronor-

mativität abweichende Sexualität nicht in der Öffentlichkeit gezeigt wird, da es sich um ein un-

sichtbares Merkmal handelt, das nicht gleich erkannt wird. Andererseits könnte das Setting der

Gruppendiskussion nicht passend gewesen sein, um über Erfahrungen in Bezug auf Intersektio-

nalität zu sprechen, da hauptsächlich Cis-Frauen anwesend waren. Auch B9 spricht hauptsächlich

von ihren Erfahrungen als Frau*, berichtet jedoch auch von transphoben Vorfällen:

„Und dann gab es noch transmisogene Vorfälle. Also speziell frauenfeindlich gegenüber

Transfrauen. Dass ich irgendwie angesprochen wurde [...], also so ganz intime Fragen, ob

ich operiert bin so Sachen. Oder ob ich noch einen Penis habe, oder so. Oder ob ich

eigentlich ein Mann oder eine Frau bin. So Sachen habe ich auch erlebt“ (I1, Z. 207-211).

Dieses Beispiel steht im Gegensatz zu Kearls Aussage, bei transphoben Formen von Belästigung

handle es sich häufig um aggressive Vorfälle (vgl. Kearl 2010: 57). Jedoch deckt sich die Erfah-

rung von B9 mit der Annahme, dass Frauen* mit einer LTBQ6 Identität zusätzliche Handlungen

von Street Harassment erleben (vgl. Kearl 2010: 54f.).

6 Lesbian-Trans-Bisexual-Queer

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11.1.4 Frauen* mit körperlichen Behinderungen

Da es sehr wenig Forschung über das Erleben von Belästigung im öffentlichen Raum von Frauen*

mit Behinderungen gibt, war es für uns von Relevanz diese Perspektive sichtbar zu machen.

Im Interview mit der Expertin 1 kam hervor, dass vor allem vulnerable Personengruppen, wie äl-

tere Frauen* oder Frauen* mit Behinderungen von Street Harassment betroffen sind (vgl. I4, Z.

65-69). Köbsell erläutert, vor allem Frauen* mit Behinderungen seien Blicken und Fragen bezüg-

lich ihrer Beeinträchtigung ausgesetzt (vgl. Köbsell 2010: 24). Laut Kearl erleben Frauen* mit Be-

einträchtigung Street Harassment durch behindertenfeindliche Kommentare sowie durch bewuss-

tes Ignorieren ihrer Sexualität (vgl. Kearl 2010: 60f.). Im Interview mit einer Betroffenen bestätigte

sich diese Annahme, da B1 von folgender Erfahrung berichtet: „Ich bin damals von der Schule

nach Hause gelaufen und sie haben mich blöd angeredet: Ich laufe komisch, ich bin nicht normal

und dann haben sie angefangen mich hin und her zu schubsen und mir die Schultasche vom Leib

zu reißen“ (I2, Z. 34-36). Die Konfrontation mit verbaler Belästigung wird von B1 auch in unter-

schiedlichen Settings erlebt: „Da hatte ich einmal eine Situation in der Diskothek, da ist eine Frau*

zu mir gekommen die hat zu mir gesagt, wenn sie so laufen würde wie ich, dann würde sie zu

Hause bleiben“ (I2, Z. 150-152).

Auf die Frage, ob sie sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum erfahren hat, antwortet sie: „We-

niger eigentlich. Also eigentlich gar nie irgendwas“ (I2, Z. 199). Dies deutet darauf hin, dass die

Sexualität von Frauen* mit Behinderungen im Hintergrund steht und diese häufig auf ihre körper-

liche Beeinträchtigung reduziert werden. Laut Köbsell wird Behinderung im Allgemeinen mit ne-

gativen Attributen wie Abnormität, Abhängigkeit und Unattraktivität verbunden (vgl. Köbsell 2010:

18). Dadurch werden Frauen* mit Beeinträchtigung eventuell nicht als sexuelle Wesen gesehen.

Hinzu kommt folgendes: „Liegt eine Beeinträchtigung vor, wird das Merkmal „behindert“ so domi-

nant, dass Geschlecht oftmals kaum oder keine Berücksichtigung findet“ (Köbsell 2010: 20). Es

lässt sich daraus schließen, dass Frauen* mit einer Behinderung nicht nur ihre Sexualität, sondern

auch das Geschlecht und ihre Weiblichkeit teilweise abgesprochen werden (vgl. Köbsell 2010:

20f.).

B1 erzählt, schon mit jungen Jahren ihre ersten Konfrontationen mit Street Harassment erlebt zu

haben, wobei sie sich daraufhin häufig versteckte, weinte und danach mit ihren Eltern darüber

redete (vgl. I2, Z. 128-130). Zum heutigen Zeitpunkt verwendet die befragte Betroffene bei Kon-

frontation mit Street Harassment häufig das Ignorieren der Blicke oder Kommentare sowie das

Aufklären des Gegenübers über ihre Behinderung als Gegenstrategien (vgl. I2, Z. 130; Z. 152-

155; Z. 274-278). B1 erklärt, auf die Frage wie sie diesen Umgang erlernt hat, folgendes:

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„Ich glaube, das kommt mit der Zeit, dass du einfach wenn etwas ständig da ist, dass du

es einfach wegschaltest. Dass dir das am Anfang auffällt, okay die schauen jetzt alle ko-

misch. Wenn sie aber immer alle komisch schauen, dann schaltet man das automatisch

aus, aber es hat jetzt keinen Wendepunkt irgendwo gegeben, dass ich gesagt habe, okay,

ab dem Zeitpunkt fange ich das jetzt an zu ignorieren. Das war einfach so automatisch

irgendwann." (I2, Z. 260-265)

Eine weitere Erkenntnis, welche aus dem geführten Interview gezogen werden kann, ist die Ab-

weichung des Täterbildes bei Frauen* mit körperlichen Beeinträchtigungen. Die Befragte räumt

ein, von jüngeren Personen und Jugendlichen häufig unangenehme Blicke zugeworfen zu bekom-

men (vgl. I2, Z. 58-60). Parallel dazu geht die Belästigung von Frauen* wie auch von Männern*

aus. B1 meint, keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern erkennen zu können, was auch

bei ihren berichteten Erfahrungen deutlich wird (vgl. I2, Z. 250f). Aufgrund dessen lässt sich dar-

aus schließen, dass auch das Alter der Täter stark variiert:

„Einmal gab es einen Vorfall mit einer älteren Dame. Die hat mich angeredet, warum ich nicht

in einem Rollstuhl bin, sondern laufe. Dann habe ich gesagt ‚Ja, weil ich laufen kann und dann

ist das für mich besser‘. Und dann hat sie gemeint ‚Ja es schaut aber komisch aus‘. Dann war

das für mich so: ‚Okay ich möchte Respekt von der Person haben‘, aber es ist mir schon

schwer gefallen, irgendwie Respekt vor ihr zu haben, wenn kein Respekt zurückkommt und

sie mich blöd anredet“ (I2, Z. 44-52).

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12. Strategien der Betroffenen

Eine der Hauptfragen, welche anhand unserer Forschung beantwortet werden soll, ist wie die

betroffenen Frauen* auf Street Harassment reagieren oder handeln (können). Aus diesem Grund

wird im folgenden Kapitel auf die unterschiedlichen Formen von Gegenstrategien eingegangen,

wobei zwischen drei Bereichen differenziert wird: konfrontative Methoden, Vermeidungsstrategien

und Möglichkeiten, weitere Personen miteinzubeziehen. Wie bereits im Theorieteil erläutert, sollen

die Frauen* durch die genannten Strategien gestärkt werden und Möglichkeiten finden, um im

Falle einer Belästigung auf unterschiedliche Arten handeln zu können.

12.1 Konfrontationsstrategien

Es gibt verschiedene Wege, wie Betroffene reagieren können, wenn sie auf Street Harassment

stoßen, unter anderem die Konfrontation mit dem Täter. Konfrontationsstrategien sind Handlun-

gen, welche aktiv in der Belästigungssituation eingesetzt werden können. Aus der empirischen

Forschung geht hervor, dass der Großteil dieser Methoden verbal ausgeführt wird. Das bedeutet,

die Frauen* sprechen den Täter direkt an, wobei die Reaktionen sehr unterschiedlich sein können.

Es gibt Betroffene, die bewusst ruhig bleiben und versuchen, den Mann* sachlich auf die Tat

anzusprechen (vgl. I1, Z. 577-579; Z. 603-608; Z. 628-681). Interviewpartnerin B1 gibt an, in Situ-

ationen in welchen sie aufgrund ihrer körperlichen Behinderung belästigt wird, den oder die Tä-

ter*in wenn möglich darauf anzusprechen und ihm*ihr ihre Situation zu erklären. Dadurch erhofft

sie sich, der oder die Täter*in unterlassen diesbezügliche zukünftige Handlungen (vgl. I2, Z. 271-

278).

Die Betroffenen sprechen hingegen davon, dass es nicht immer möglich ist, ruhig zu bleiben. Den

Interviewpartnerinnen zufolge ist es manchmal besser lauter zu werden (vgl. I1, Z. 654-672). B4

sagt dazu: „Wenn man sich immer noch sehr unwohl oder sogar bedrängt fühlt, dann sollte man

auch wirklich lauter werden und seinen Standpunkt klar machen“ (I1, Z. 666-668). Jedoch merkt

B6 an, wie schwierig es sein kann, in einer Situation in welcher sich die Frau* unwohl fühlt, die

Stimme zu erheben (vgl. I1, Z. 895-898). Obwohl Street Harassment bei den befragten Frauen*

hauptsächlich negative Gefühle hervorruft, versuchen die Frauen* dennoch höflich und nicht ag-

gressiv darauf zu reagieren (I1, Z. 577-579; Z. 603-607; Z. 628-630). Hierbei kann eine Verknüp-

fung zur Genderkonstruktion im Theorieteil hergestellt werden. Eine Hypothese diesbezüglich

wäre, dass es Frauen* schwer fällt lautstark auf Street Harassment zu reagieren, zumal sie bereits

in der Kindheit erlernt haben, sich in der Öffentlichkeit ruhig zu verhalten. Nur eine der Befragten

berichtet davon, sich körperlich gegen eine Belästigung gewehrt zu haben. In ihrem Fall hat sie

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dem Täter, der ihr auf den Po gegriffen hat, in die Seite geboxt (vgl. I3, Z. 212-216). E2 empfiehlt

körperliches Wehren zu vermeiden, um nicht mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten (vgl. I5, Z.

271-273). Im Theoriekapitel „Allgemeine Empfehlungen hinsichtlich Reaktionen auf Street Ha-

rassment“ wird ebenfalls von Gewalt in Form von physischen Angriffen und Wutausbrüchen als

Handlungen abgeraten.

Als wichtiger Teil der Reaktion wird empfunden, ein selbstbewusstes Auftreten zu zeigen und klar

zu machen: „Ich bin jetzt hier und lass mich nicht vertreiben“ (I1, Z. 630). Eine Aussage die B6

einsetzt, ist dem Täter zu sagen „Du überschreitest meine Grenzen, ich mag das nicht und bitte

geh!“ (I1, Z. 568). Diese Strategie deckt sich mit der von Holly Kearl bereits im Theorieteil näher

erläuterten A-B-C-Aussage, in welcher die Betroffene bei A klar macht, was das Problem ist, bei

B die Auswirkungen davon erläutert und bei C sagt, was sie gerne möchte (vgl. Kearl 2010: 156).

Beim Ansprechen des Täters ist es laut Expertin wichtig, den Mann* zu siezen. Durch das Duzen

könnte bei Außenstehenden der Eindruck erweckt werden, es handle sich um einen privaten

Streit, wodurch ein Nicht-Einschreiten Dritter die Folge sein könnte (vgl. I4, Z. 272-279).

Auch ein lautes „Nein!“ oder den Täter darauf aufmerksam zu machen, wie er es finden würde,

wenn selbige Situation seiner Freundin oder Schwester passiert, werden als überzeugende Aus-

sagen erachtet (vgl. I1, Z. 577-579; I3, Z. 246-250). Manche Frauen* antworten mit einem kurzen

Kommentar, andere suchen das Gespräch mit dem Mann*, um ihn über sein belästigendes Han-

deln aufzuklären (vgl. I1, Z. 407-411; I2, Z. 134-136). Laut B2 wäre es für ihr Gewissen oft besser

eine Diskussion anzufangen. Dies kostet jedoch viel Zeit und der Täter reagiert dennoch oft ver-

ständnislos (vgl. I3, 236-244). Die Aussichtslosigkeit in Kombination mit fehlendem Verständnis

sind Gründe, warum es schwer sein kann Mut gegen Street Harassment aufzubringen. Allerdings

stellt eine der Expertinnen fest, dass es nicht immer die Aufgabe der Betroffenen ist, dem Täter

das Falsche an seiner Handlung klar zu machen. Das Wichtigste sollte sein, sich nicht in Gefahr

zu begeben (vgl. I5, Z. 259-263). Denn lässt sich eine betroffene Frau* in eine Diskussion verwi-

ckeln, kann es durchaus sein, dass ein bereits aggressiver Täter noch gewaltbereiter wird (vgl. I5,

Z. 268-270). Diese Erkenntnisse decken sich mit der theoretischen Recherche.

Kommt es zu einer Belästigung, so sind es die Frauen* selbst, die trotz der ausgelösten Emotio-

nen abschätzen müssen, welche Reaktion angemessen ist (vgl. I1, Z. 407-411; Z. 448-451; Z.

670-681). Es ist möglich, dass der Mann* aggressiv wird, sobald sich die Betroffene zur Wehr

setzt. Somit erhält die Frau* die unfreiwillige Aufgabe „auf ruhige Art und Weise meinen Stand-

punkt klar zu machen, so dass ich die Person nicht reize“ (I1, Z. 621-622). Dadurch wird der

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Betroffenen, für eine Situation welche sie nicht selber ausgelöst hat, eine große Verantwortung

übertragen. Befragte B2 drückt die dabei ausgelöste Unsicherheit folgendermaßen aus:

„Und es ist ziemlich schwierig in dieser Situation gerecht zu reagieren. Also es ist schwie-

rig, da muss man immer vorsichtig sein, was echt bescheuert ist, weil man sich dann fra-

gen muss ‚Okay gut, werde ich jetzt nein sagen und der beginnt weiter mit mir zu reden?

Oder werde ich ihn komplett ignorieren und vielleicht könnte er aggressiver werden? Oder

er geht‘. Das ist schwierig. Es gibt viele verschiedene Arten wie der dann reagieren könnte“

(I3, Z. 207-212).

Zusätzlich hängt die Wahl der Strategie auch von der Form der Belästigung und der Tagesverfas-

sung der Betroffenen ab (vgl. I1, Z. 441-443).

Eine andere Möglichkeit der Konfrontation ist die nonverbale Reaktion. Von den Befragten werden

solche Handlungsschritte als sinnvoll bezeichnet, wenn es sich um Anstarren als Belästigungs-

form handelt. Die Gegenstrategie der Betroffenen ist in solchen Fällen vor allem das provokante

Zurück-Starren (I1, Z. 109-113; Z. 438-441). Es ist unklar ob es in jeder Situation zweckmäßig ist

nonverbal zu reagieren.

Abschließend ist zu erwähnen, dass es für die Frau* nicht immer möglich ist zu handeln, selbst

wenn sie gerne möchte. Beispielsweise gibt es keine Chance auf eine Konfrontation, sollte sie

von einem vorbeifahrenden Auto aus belästigt werden (vgl. I3, Z. 66-68, Z. 195-198).

12.2 Vermeidung von Street Harassment

Auch wenn klar gesagt werden muss, dass die Verantwortung für Street Harassment nicht bei den

Betroffenen liegt, überlegen sich die Frauen* dennoch oftmals schon im Vorhinein, wie sie solche

Situationen vermeiden können. Hierfür gibt es zahlreiche unterschiedliche Strategien.

Eine davon ist der Versuch Selbstsicherheit auszustrahlen (vgl. I1, Z. 493-508; Z. 527-529). „Ich

mache meine Schultern breit und versuche so selbstbewusst wie möglich auszusehen und setze

mein Bitch-Face auf“ (I1, Z. 495-496). Ebenso versuchen die Betroffenen die Umgebung aufmerk-

sam wahrzunehmen (I1, Z. 527-529) und alles im Blick zu haben, beziehungsweise Menschen in

der Nähe zu finden, zu welchen sie sich falls notwendig dazu stellen können (vgl. I1, Z. 521-524).

Eine weitere Möglichkeit ist es, nicht alleine, sondern in Gesellschaft nach Hause zu gehen, be-

ziehungsweise zu vermeiden, sehr spät in der Nacht alleine unterwegs zu sein (vgl. I1, Z. 327-

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329). Letztere Strategie bedeutet jedoch eine gewisse Einschränkung der persönlichen Freihei-

ten.

Um sich vor allem auf körperliche Übergriffe vorzubereiten, wurde das Absolvieren eines Selbst-

verteidigungskurses genannt. Dabei schildern die Befragten, dass es sinnvoll ist, Situationen aus-

probieren zu können und Handlungsschritte zu üben. Beispielsweise lernen Teilnehmerinnen laut

loszuschreien oder sich körperlich zur Wehr zu setzen (vgl. I1, Z. 889-918). Dies löst bei den

Frauen* ein Sicherheitsgefühl aus, noch bevor es zu einer Belästigung kommt. Auch die Expertin

rät zu einer solchen Art der Vorbereitung (vgl. I4, Z. 343-353).

Oftmals benötigen Betroffene einfach nur den Rückhalt, jemandem Bescheid geben zu können,

falls sie in eine unangenehme Situation geraten. Um jederzeit anrufen zu können hält B9 ihr Handy

bereit und hat eine App installiert, mit welcher sie andere Menschen in der Umgebung alarmieren

kann (vgl. I1, Z. 532-538). Im Vergleich dazu berichtet B7, dass sie immer einen Pfefferspray mit

sich trägt (vgl. I1, Z. 524-526). Von der Expertin E1 wird aber klar davon abgeraten, einen Pfef-

ferspray oder gar Waffen wie Messer zur Verteidigung mit sich zu führen, da sie gegen einen

selbst verwendet werden können. Sie empfiehlt hingegen akustische Warnsignale in Form von

Handtaschenalarmen oder Pfeifen. Beim Einsetzen des Signals kann die Schrecksekunde beim

Täter genutzt werden, um davon zu laufen und sich in Sicherheit zu bringen, oder um andere

Menschen auf die Situation aufmerksam zu machen (vgl. I4, Z. 148-166; Z. 270-298).

Aus diesen Aussagen geht klar heraus, wie viele Gedanken sich Frauen* über ihr Verhalten im

öffentlichen Raum machen müssen, um sich sicher zu fühlen und eine Belästigung zu vermeiden.

Dies zeigt die Präsenz von Street Harassment in den Köpfen der Frauen*. Wie in der Theorie

erwähnt, wird schon jungen Mädchen, im Gegenteil zu Jungen, eingeprägt, dass sie Gefahren im

öffentlichen Raum ausgesetzt sind.

Sollte es dennoch zu einer Belästigung kommen, gibt es neben den genannten Konfrontations-

strategien auch andere Reaktionen, mit welchen die Betroffenen versuchen dem Täter aus dem

Weg zu gehen. Wenn B2 aufgrund ihrer körperlichen Behinderung belästigt wird, blendet sie die

Handlungen oft aus (vgl. I2, Z. 130-142). Es kann sinnvoll sein eine Belästigung zu ignorieren,

wenn mit dem Täter keine Konversation begonnen werden möchte (vgl. I3, Z. 206). Denn manch-

mal wird Street Harassment dahingehend ausgenutzt, um ins Gespräch zu kommen, obwohl die

Betroffene dies nicht möchte (vgl. I3, 202-206).

Die Situation zu verlassen oder die Handlung zu unterbrechen sind weitere Strategien, um den

Kontakt zu einem (potenziellen) Täter zu vermeiden (vgl. I1, Z. 651-653; I5, Z. 263-287). Dies

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kann allerdings für die Betroffene sehr unbefriedigend sein, da sie nicht nur belästigt, sondern

auch von ihrem momentan selbst gewählten Aufenthaltsort vertrieben wird. Vor allem in Verkehrs-

mitteln wird es als mühsam empfunden auszusteigen, um einer Belästigung zu entgehen. Befragte

4 berichtet von einer Situation in der U-Bahn, in welcher sie verfolgt wurde:

„Ich habe mich weggesetzt und er ist mir nachgegangen […]. Und ja, im Prinzip hat es

nichts gebracht, dass ich mich da verscheuchen hab lassen oder immer weggegangen

bin, weil er ist sowieso nachgegangen. Aber irgendwie hat es mich persönlich nicht so

wütend gemacht, als wäre ich ausgestiegen“ (I1, Z. 643-653).

Anhand diesem Beispiel kann erkannt werden, dass die gewählte Gegenstrategie einen großen

Einfluss auf die ausgelösten Emotionen hat.

12.3 Einbezug Dritter in die Situation

Oftmals sind Frauen* nicht alleine, wenn es zu Street Harassment kommt. Aus diesem Grund ist

es eine Möglichkeit, das Umfeld miteinzubeziehen und sich Unterstützung zu holen. In dem die

Betroffenen andere Leute um Hilfe bitten oder sich zu ihnen dazustellen kann dies beispielsweise

erreicht werden. Dabei ist es wichtig, umstehende Personen direkt und gezielt anzusprechen,

damit sich diese wirklich verantwortlich fühlen einzuschreiten (vgl. I1, Z. 920-23; I3, Z. 252-261;

I4, Z. 174-177). Beide Expertinnen weisen darauf hin, wie wichtig es ist, andere Menschen mit-

einzubeziehen und sich Hilfe zu suchen sobald es die Situation erlaubt (vgl. I4, Z. 169-170; Z.

296-298; I5, Z. 266-274).

Eine andere Alternative wäre, sich in ein Gebäude in dem sich Menschen befinden zu begeben,

beispielsweise in ein Geschäft. So kann sichergestellt werden, dass Leute in der Umgebung sind.

B3 nennt die Möglichkeit, sich im Notfall vor einen Bankomaten zu stellen, um aus der darin ent-

haltenen Kamera Beweisvideos ziehen zu können (vgl. I1, Z. 934-940).

Sind Frauen* alleine unterwegs, so können andere Personen durch Telefonieren hinzugezogen

werden. „Dass ich zumindest weiß, eine andere Person bekommt es irgendwie mit, die ich gut

kenne und weiß, wo ich bin“ (I1, Z. 942-943). Es gibt auch Betroffene, welche ihren Freunden per

Nachricht Bescheid geben, wenn sie gut zuhause angekommen sind (vgl. I1, Z. 945-947).

Ebenso gibt es nach einer Belästigung die Möglichkeit, Dritte miteinzubeziehen, beispielsweise

indem eine Anzeige bei der Polizei erstattet wird. Laut Befragten hängt dies jedoch davon ab,

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welche Form von Street Harassment die Frau* erlebt hat. Vor allem bei körperlichen Belästigun-

gen wird Anzeige erstattet (vgl. I1, Z. 443-448; I2, Z. 143-145). In den öffentlichen Verkehrsmitteln

besteht darüber hinaus die Möglichkeit, sich an den*die Fahrer*in zu wenden oder beim jeweiligen

Verkehrsunternehmen eine Beschwerde einzureichen (vgl. I4, Z. 125-128). Ebenso gibt es in den

U-Bahnen und Stationen Sicherheitsinseln, durch welche mit Angestellten der Verkehrsmittel Kon-

takt aufgenommen werden kann (vgl. I4, Z. 272-279). Für eine Meldung an Autoritätspersonen ist

es oftmals hilfreich, Beweise wie beispielsweise Fotos von der Tat zu sammeln (vgl. I5, Z. 282-

283).

Zusätzlich kann ein Gespräch mit anderen Menschen für die Betroffene entlastend wirken (vgl. I2,

Z. 84-85; Z. 143-145). Auch die Expertin merkt die positiven Effekte dessen an, sich mit dem

Umfeld auszutauschen und über die Geschehnisse zu sprechen (vgl. I4, Z. 144-145). Demnach

gibt es seitens der Betroffenen unterschiedliche Motive für den Einbezug Dritter, wie zum Beispiel

die Sanktionierung des Täters oder das Führen eines Gespräches.

Unabhängig davon für welche Gegenstrategie sich die Frau* entscheidet, ist es das Wichtigste

sich nicht selbst in Gefahr zu bringen. Darauf macht die Expertin wiederholt aufmerksam (vgl. I5,

Z. 259-263; Z. 286-287).

12.4 Wünsche der Betroffenen

Einige der Befragten geben an, gerne anders handeln zu wollen, wenn sie das nächste Mal be-

lästigt werden. Beispielsweise wäre eine der Frauen* gerne etwas schlagfertiger, gleichzeitig hat

sie aber auch Angst, dadurch den Täter auf sich aufmerksam zu machen und ihn somit zu provo-

zieren (vgl. I1, Z. 592-600). Dieser Zwiespalt löst in den Betroffenen große Spannungen aus, da

sie im Nachhinein bereuen, nicht reagiert zu haben. Jedoch ist es wichtig darauf hinzuweisen,

dass es ein legitimer Grund ist, auf die eigene Sicherheit zu achten und keine Handlung oder eine

vermeidende Strategie zu setzen.

Weitere Wünsche der Frauen* sind ein selbstbewussteres Auftreten, es zu schaffen die Täter

tatsächlich auf ihr inkorrektes Handeln anzusprechen und eine Welt ohne Street Harassment (vgl.

I1, Z. 556-563; I3, Z. 236-244). B5 zeigt auf, wie belastend es für sie ist, wenn es ihr nicht gelingt

wie gewünscht zu handeln: „Ich würde es mich einfach generell gerne trauen etwas zu sagen und

nicht irgendwie in diesem Zustand sein, in dem ich das Gefühl habe ‚Ich bin gar nicht da‘“ (I1, Z.

580-581).

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Anhand der genannten Wünsche ist sichtbar, wie machtlos sich viele der Frauen* fühlen, wenn

sie belästigt werden. Zudem zeigen diese auf, wie die Betroffenen die Fehler an sich suchen. Oft

glauben sie, nicht selbstbewusst genug zu sein und möchten das nächste Mal anders reagieren.

Wichtig ist hierbei den Frauen* klar zu machen, dass sie keine Verantwortung tragen und jegliche

Reaktion oder Nicht-Reaktion in Ordnung ist.

Bereits in diesem Kapitel wird ersichtlich, wie vielfältig die möglichen Handlungsschritte sind. Ei-

nerseits kann die Bandbreite an Möglichkeiten, um zu reagieren erkannt werden, andererseits

unterstreicht es die hohe Anzahl an verschiedenen Formen von Belästigungen, worauf unter-

schiedliche Handlungsschritte folgen. Viele der in den Interviews genannten Methoden finden sich

im Theoriekapitel der Gegenstrategien wieder. Zusätzlich sind die Reaktionen von Frau* zu Frau*

unterschiedlich und unter anderem von der Persönlichkeit sowie den bereits gemachten Erfah-

rungen mit Street Harassment abhängig.

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13. Reaktionen des Umfelds vor und nach Street Harassment

Obwohl in den von uns gestalteten Leitfäden nicht nach dem Einbezug Dritter gefragt wurde, spielt

die Reaktion des Umfelds in den Interviews eine große Rolle. Die Ergebnisse zeigen, dass Per-

sonen, welche Street Harassment beobachten oder sich in der Umgebung befinden, einen erheb-

lichen Einfluss auf die Situation vor und nach der Handlung sowie auf die bei den Betroffenen

ausgelösten Emotionen haben.

Die befragten Frauen* schildern oft ihre Verzweiflung, sobald Zuschauer*innen sexuelle Belästi-

gung im öffentlichen Raum ignorieren anstatt einzuschreiten. E2 nennt das Nicht-Handeln des

Umfelds neben der eigentlichen Konfrontation mit Street Harassment die ‚zweite Verletzung‘ (vgl.

I4, Z. 170-174). Einige der Interviewpartnerinnen berichten davon, nur selten Unterstützung erlebt

zu haben. Für die Betroffenen wirkt es, als würde sich niemand dafür zuständig fühlen, zumal

ihnen im Großteil der dargelegten Fälle keine Hilfe durch Dritte widerfuhr (vgl. I1, Z. 220-221; Z.

291-292; I3, Z. 224-258). Betroffene 2 erzählt hierbei von einer Situation, in welcher sie in der U-

Bahn von einer Gruppe Männer* belästigt wurde, aber niemand einschritt um ihr zu helfen:

„Die haben einfach nichts gemacht. Sie haben zwar bemerkt, dass ich mich da unwohl

fühle. Dass ich da vielleicht verfolgt werden könnte. Dass diese Typen vielleicht was von

mir haben wollen. Aber die haben nichts gemacht. […] Und da hat man sich hald ziemlich

alleine gefühlt, obwohl man von vielen Menschen umgeben war” (I3, Z. 54-60).

Demgemäß wird in unserem Theorieteil darauf aufmerksam gemacht, dass Personen im Umfeld

darüber informiert werden sollen, wie sie auf sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum adäquat

reagieren können (vgl. Kearl 2010: 140f.). Bei unserer theoretischen Forschung sind wir jedoch

kaum auf konkrete Vorschläge gestoßen, inwieweit Beobachter*innen die Chance haben in die

Situation einzuschreiten. Dabei gibt es für Dritte verschiedene Möglichkeiten, Betroffene bei Street

Harassment zu unterstützen oder die Situation im besten Fall sogar zu beenden, wobei Expertin

2 diesbezüglich von vielfältigen Handlungsoptionen berichtet. Zum einen ist es möglich, die be-

lästigte Person direkt anzusprechen: „Ich kann zum Beispiel zu ihr hingehen und sie in ein Ge-

spräch verwickeln oder nach dem Weg fragen” (I5, Z. 221-222). Auf der anderen Seite sieht E2

auch paradoxe Interventionen als hilfreich, beispielsweise das Vortäuschen eines epileptischen

Anfalls oder lautes Singen mitten in der Straßenbahn. Dies soll dazu führen, den Täter abzulenken

und dadurch der belästigten Person die Chance zu geben, den Moment zu nutzen um aus der

Situation zu fliehen (vgl. I5, Z. 204-221). Dabei erläutert E2 das Einschreiten von Street Harass-

ment folgendermaßen:

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„Der erste Schritt ist einmal, zu schauen was passiert. […] Und dann ist der zweite Schritt,

eine Situation als eine Situation des Übergriffes überhaupt zu erkennen. […] Dazu muss

ich mir bewusst sein: ‚Was bedeutet Gewalt für mich?‘ […] Und dann ist der dritte Schritt

zu handeln und sich zu überlegen, welche Handlungsoptionen es gibt” (I5, Z.181-191).

Obgleich appelliert Expertin 2 sich bei Zivilcourage nicht selber in Gefahr zu bringen. Ihr zufolge

ist es als Beobachter*in ebenso eine Option Hilfe zu holen, indem konkret weitere Unbeteiligte für

eine gemeinsame Unterstützung angesprochen werden, wobei etwaige Zivilpersonen oder auch

Autoritäten wie der*die Straßenbahnfahrer*in in Frage kommen können. Zudem haben Dritte je-

derzeit die Möglichkeit, die Polizei zu kontaktieren (vgl. I5, Z. 195-229; Z. 339).

Um für eine mögliche Anzeige nach der sexuellen Belästigung Beweise zu sammeln, können Un-

beteiligte in der Umgebung auch Fotos von der Situation machen. Zwar dürfen diese nicht veröf-

fentlicht werden, jedoch obliegt es der Polizei sie zu verwenden, um den Vorfall aufzuklären (vgl.

I5, Z. 229-233). Darüber hinaus empfiehlt E2, nach dem beobachteten Geschehen zu der Be-

troffenen zu gehen, anzubieten die Kontaktdaten auszutauschen und sich im Falle einer Anzeige

als Zeug*in zur Verfügung zu stellen (vgl. I5, Z. 234-236). Dabei ist jedoch darauf zu achten,

keinen Druck auf das Gegenüber auszuüben. Betroffene werden oftmals dazu angehalten zur

Prävention und Entgegenwirkung für Street Harassment eine Anzeige aufzugeben. Jede von

Street Harassment betroffene Frau* darf dies selber entscheiden (vgl. I4, 304-318). Dabei sind

nicht die Frauen* für die Verhinderung von Street Harassment zuständig, denn „die Verantwortung

liegt ausschließlich beim Aggressor. Der ist dafür verantwortlich was er tut und der ist auch dafür

verantwortlich, dass er das nicht mehr tut” (I4, Z. 308-310).

Nichtsdestotrotz wird die Schuld häufig den von Street Harassment betroffenen Frauen* zuge-

schrieben. Dies bezieht sich nicht nur auf Personen, welche während des Vorfalls anwesend wa-

ren, sondern auch auf Dritte, die von der Situation erzählt bekommen. Die Erlebnisse werden vom

Umfeld verharmlost und teilweise als Normalität angesehen (vgl. I1, Z. 847-849). Betroffene 8

meint hierzu, dass Außenstehende den Grund für Street Harassment häufig in der Kleidung se-

hen:

„Ich finde das so schlimm, wenn man den Frauen die Schuld daran gibt, dass sie belästigt

werden, wenn sie zum Beispiel Kleider an haben oder kurze Röcke. Dass man behauptet,

sie würden das herausfordern, das finde ich auch total schlimm, weil das doch jeder Frau

selber überlassen ist. Und wenn man im Sommer ein Kleid an hat, dann sollte man nicht

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das Gefühl haben, dass man es provoziert angesprochen zu werden. Das macht man ein-

fach, weil es einem gefällt und man sich vielleicht gerne schön anzieht” (vgl. I1, Z. 774-

782).

Betroffene 2 berichtet von einem Vorfall, bei welchem ihr ein Mann* auf den Po gegriffen hat. Sie

erzählte ihren Eltern davon, wobei sich diese auf die getragene enge Jogginghose fokussierten.

Von der schuldzuweisenden und unerwarteten Reaktion war die Betroffene verletzt (vgl. I3, Z.

137-145). Zudem war die Befragte schon häufiger mit Street Harassment konfrontiert, wobei sie

in solchen Situationen nur selten Unterstützung erfuhr:

„Und dann versuchen dich die Leute rundherum zu beruhigen, anstatt zu verteidigen. Weil

‚du bist ja eh selber schuld, du hast ja einen Rock an.‘ Oder: ‚Dein Hintern ist schön und

groß und deswegen solltest du was anderes anziehen‘ - und das war’s. Und das ist sehr

anstrengend, weil es eher Victim-Blaming ist, anstatt zu sagen: ‚Das war falsch von dem‘”

(I3, Z. 130-134).

Den Forschungsergebnissen zufolge, hat jede*r Zuschauer*in die Wahl, die Betroffene zu unter-

stützen oder anzuklagen. Auch Holly Kearl betont die Wichtigkeit, Frauen* deren Schuldlosigkeit

vor Augen zu führen (vgl. Kearl 2010: 149). Zusammenfassend führt das Nicht-Reagieren vom

Umfeld zu Frust und Unverständnis der Betroffenen. Somit kann die Situation durch das Einmi-

schen Außenstehende*r auf der einen Seite beispielsweise durch Zeug*innenaussagen verbes-

sert, durch Victim Blaming allerdings auch verschlechtert werden. Wird die Schuld dem Opfer

zugeschrieben, so kommt es zu einer Verstärkung der Emotionen der belästigten Frauen*.

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14. Gesellschaftliche Einflüsse in Bezug auf Street Harassment

Bei unserer Forschung wurde ein beträchtlicher Einfluss von Recht und Politik, Erziehung und

Bildung sowie von den Medien bemerkbar. Betroffene wie auch Expertinnen teilen ihre Meinung,

inwiefern Street Harassment durch gesellschaftliche Aspekte ausgelöst oder gefördert wird. Dabei

bieten unsere Interviewpartnerinnen auch konkrete Vorschläge, um diesbezüglich Veränderungen

zu ermöglichen.

14.1 Rechtliche und politische Einflüsse

Rechtliche sowie politische Maßnahmen und Ansichten haben einen erheblichen Einfluss auf das

Denken und Handeln einer Gesellschaft. Dementsprechend haben diese Aspekte auch die Macht,

in Bezug auf sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum einiges zu bewirken und zu ändern.

Ebenso liegt es in den Händen der Politik, Ängste zu schüren oder aber diese zu nehmen (vgl. I5,

Z. 324-328). Hierbei machen einige unserer Interviewpartnerinnen auf die Überzahl männlicher

Mitglieder im Parlament aufmerksam sowie auf deren Einstellung zu Street Harassment, laut wel-

cher die Thematik verharmlost, toleriert oder sogar befürwortet wird. Die Befragten sind der Mei-

nung, dass solches Verhalten in der Politik nicht akzeptiert werden dürfe und dementsprechend

Konsequenzen gezogen werden müssten (vgl. I1, Z. 839-845).

Um sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum als Straftat zu deklarieren, wünscht sich eine der

Befragten Frauen* diese im Gesetz näher zu definieren: „Es müsste sich auch einfach gesetzlich

noch mehr ändern. Dass noch einmal klargestellt wird: ‚Ohne Zustimmung geht gar nix‘” (I1, Z.

756-758). Hinsichtlich dessen spricht Expertin 2 von Vorfällen, in welchen auf rechtlicher Ebene

kaum dagegen angekämpft werden kann (vgl. I5, Z. 126-129). Bezüglich ihrer Erfahrung, ist im

Falle eines nicht identifizierten Täters eine Anzeige auf Unbekannt oftmals aussichtslos. Demge-

mäß vertritt sie die Meinung, es sei nicht „immer der richtigere oder sinnvollere Weg, strengere

Gesetze zu machen, um mehr verurteilen zu können” (I5, Z. 313-314). Sofern es keine Zeug*innen

oder andere handfesten Anzeichen gibt, sind Delikte in Hinblick auf Street Harassment zudem oft

nicht nachweisbar (vgl. I1, Z. 819-823). Im Kapitel ‚Allgemeine Regelungen‘ machen wir darauf

aufmerksam, dass theoretisch verbale, non-verbale sowie tätliche Angriffe strafrechtlich verfolgt

werden können. In unserer Forschung wird jedoch erkenntlich, dass die Macht der Anzeigenauf-

nahme zu einem großen Teil bei den Beamt*innen und Polizist*innen liegt. Häufig fühlen sich

diese jedoch nicht dafür zuständig, oder aber sie weisen das dafür notwendige Wissen nicht vor

(vgl. I5, Z. 304-313).

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Demzufolge können die vom Gesetz vorgegebenen Richtlinien nur etwas bewirken, wenn Poli-

zist*innen eine adäquate Ausbildung erlangen, an die Thematik betreffenden Schulungen teilneh-

men, Street Harassment ernst nehmen und daraus resultierende Anzeigen richtig handhaben (vgl.

I1, Z. 823-838). Darüber hinaus decken sich die Forschungsergebnisse mit unserer Conclusio im

Kapitel ‚Mängel der rechtlichen Regelungen‘: Das Rechtssystem in Österreich benötigt eine Wei-

terentwicklung und detailliertere Definitionen, um sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum ver-

hindern und strafrechtlich verfolgen zu können. Holly Kearl unterbreitet diesbezüglich den Vor-

schlag, alle Handlungen die unter den Begriff Street Harassment fallen, gesetzlich zu verbieten

(vgl. Kearl 2010: 190).

14.2 Bildung und Erziehung

Um zur Prävention von Street Harassment beizutragen, ist es ein wesentlicher Punkt, bei der

Erziehung wie auch bei der Bildung anzusetzen. Einige der Interviewpartnerinnen wünschen sich

vor allem eine Veränderung in Hinblick auf Geschlechterzuschreibungen, welche schon früh in

der Kindheit beginnen. Laut B5 fangen diese zwar klein und harmlos zum Beispiel durch Spielzeug

an, haben jedoch einen großen Einfluss auf zukünftige Verhaltensweisen. Bekommt ein Junge

zwar zuerst nur einen Truck geschenkt, so wird ihm der Betroffenen 5 zufolge oft schon als nächs-

tes gesagt, keinen Schmerz spüren zu dürfen (vgl. I1, Z. 687-692). Ebenfalls heben die Ergeb-

nisse der Theorierecherche den Einfluss der Erziehung hervor, da Männer* schon in der Kindheit

lernen, stark und rau sein zu müssen (vgl. Prykhodko 2008: 45). „Wenn man aufhört das anzuer-

ziehen, dann hört auch ‚Boys will be boys‘ auf. Dann gibt es vielleicht mehr Verständnis dafür,

dass viele Verhaltensweisen die als klassisch maskulin angesehen werden, auch verletzend und

unfair sind” (I1, Z. 692-696).

In Zusammenhang dazu hat B7 das Gefühl, vor allem junge Männer* hätten ein Problem mit ihrer

männlichen Identität. Darum ist es ihr wichtig, sich auf deren Gefühle zu konzentrieren und zum

Beispiel durch Komplimente das respektvolle Miteinander zu stärken, anstatt klischeehafte mas-

kuline Eigenschaften zu fördern (vgl. I1, Z. 702-711). Um dies zu wandeln wird in der Theorie

empfohlen, Männern* einen anderen Zugang zu ihrer Männlichkeit zu bieten, um sich nicht vor

sich selbst wie auch vor anderen in ihrer Heterosexualität beweisen zu müssen (vgl. Kearl 2010:

133f.). Dabei ist die Änderung der Ansichten jedoch nicht nur an Männer*, sondern auch an

Frauen* gerichtet (vgl. I1, Z. 716-728).

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Darüber hinaus wird es bei Jungen eher toleriert, beweglicher und aktiver zu sein, wohingegen

Mädchen tendenziell dazu erzogen werden, sich ruhiger und unscheinbarer zu verhalten. Dem-

nach kann es Frauen* schwerer fallen, sich bei Street Harassment lautstark zu verteidigen (vgl.

I1, Z. 899-906). Die Antworten der Interviewpartnerinnen decken sich hierbei mit den Ansichten

von Prykhodko, welche erwähnt, dass dem Weiblichen das Brave und das Feinfühlige von früher

Kindheit an zugesprochen wird (vgl. Prykhodko 2008: 45).

Auch die Sexualisierung des weiblichen Körpers trägt zu einem ungleichen Rollenbild bei. B9

nennt hierbei beispielsweise das Zeigen des nackten Oberkörpers in der Öffentlichkeit, welches

bei Männern* toleriert, bei Frauen* hingegen tabuisiert ist. Dabei wird von einer weiteren Betroffe-

nen hervorgehoben, dass sexistische und stereotypische Darstellungen in nahezu allen Bereichen

des Lebens präsent sind, sogar in der Sprache (vgl. I1, Z. 804-818).

Das Aufheben von Geschlechterzuschreibungen wäre demnach ein Teil eines Schrittes, die pat-

riarchale Gesellschaftsordnung aufzulösen. Um eine Gleichberechtigung zu schaffen, muss mehr

Aufklärung stattfinden, denn je früher die Problematik behandelt wird, desto mehr erlangt sie an

Wichtigkeit. Da Street Harassment bisher wenig thematisiert wurde, herrscht in diesem Bereich

viel Unwissenheit. Aus diesem Grund ist es laut den befragten Frauen* ebenso eine Aufgabe von

Bildungseinrichtungen, über sexuelle Belästigung aufzuklären und eine gleichberechtigte Erzie-

hung zu fördern (vgl. I1, Z. 699-729).

Expertin 1 vertritt hierbei folgende Meinung:

„Ich glaube es ist wichtig, dass Frauen und Mädchen bereit sind, diesen öffentlichen Raum

auch einzunehmen und ein Stück zu verteidigen. Aber letztlich muss es bei den Männern

und Burschen passieren. Dass die Lernen, sich ordentlich zu benehmen und Frauen keine

Angst zu machen” (I4, Z. 353-357).

14.3 Medien und deren Auswirkungen

Medien sind eine Möglichkeit, zur Prävention und dem Entgegenwirken von Street Harassment

beizutragen, da diese einen erheblichen Einfluss auf die Persönlichkeits- und Bewusstseinsbil-

dung haben.

In unserem Theorieteil wird dargelegt, dass Frauen* von jeglichen Medien auf unterschiedliche

Arten sexualisiert werden (vgl. APA 2007: 4f.). Bei unserer empirischen Forschung meint Be-

troffene 4 hierzu: „Gerade bei sexueller Belästigung sind die Medien irrsinnig sexualisiert. Dass

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vor allem Frauen einfach bei vielen Sachen nur noch als Sexobjekt gelten. Und dass dort verherr-

licht wird, dass sie ein Sexsymbol oder Sexobjekt sind!” (I1, Z. 741-744). Dabei sprechen die

Befragten mehrfach von der Musikszene, wobei die Belästigung an Frauen* oftmals in beispiels-

weise Songtexten erscheint und in der westlichen Gesellschaft sogar im positiven Sinne themati-

siert wird. Auch in Musikvideos wird die Sexualisierung des weiblichen Körpers sowie Street Ha-

rassment, darunter genannt Nachpfeifen oder auf den Po greifen, oft verharmlost oder idealisiert

(vgl. I1, Z. 729-751). Die Pornographie wird ebenfalls zu einem Thema der Gruppendiskussion,

zumal diese den Betroffenen zufolge medial ein frauenverachtendes Bild vertritt. Betroffene 3 ver-

anschaulicht hierbei, dass Pornos ein unnatürliches Sexualleben präsentieren (vgl. I1, Z. 767-

772).

Zusammenfassend lässt sich daraus schließen, dass Medien sexualisierte Werte und Geschlech-

terrollen reproduzieren und damit eine frauenverachtende Haltung gefördert wird. Frauen* werden

nicht nur auf ihr Äußeres reduziert, sondern es wird auch ein realitätsfernes Bild von ihnen ge-

schaffen. Dies wird ebenfalls in dem Kapitel “Öffentliche Medien” thematisiert. Koch zufolge ist es

wichtig, die Rolle der Frau* in den Medien zu reformieren und folglich deren Bild zu stärken (vgl.

Koch 2013: 51). Betroffene 5 veranschaulicht diesbezüglich den Vorschlag, rechtliche Grenzen

zu setzen, wodurch sexistische Werbung verboten wird (vgl. I1, 791-799). Dementsprechend

reicht es nicht aus, allein bei den Medien anzusetzen, um Street Harassment entgegenwirken zu

können, sondern es müssten hierbei auch gesetzliche Änderungen umgesetzt werden.

14.4 Sensibilisierung durch Interventionen im öffentlichen Raum

Um auf die vorliegende Thematik aufmerksam zu machen und die Menschen in diesem Bereich

zu sensibilisieren, muss den betroffenen Frauen* eine Stimme gegeben werden. Expertin 1 ap-

pelliert daran, durch Flashmobs oder Slutwalks das Umfeld auf Street Harassment hinzuweisen,

zumal viele Leute mehr bewirken als Einzelne. Dadurch wird ein sensiblerer Umgang erhofft, ei-

nerseits von Behörden, andererseits auch von der Zivilgesellschaft, wobei die Menschen hin- und

nicht wegschauen sollen (vgl. I4, Z. 232-250; I5, Z. 347-351). Die heutige Präsenz der Frauen*

auf öffentlichen Plätzen ist unter anderem auf die Proteste der Frauenbewegungen in den 1970er

Jahren zurückzuführen. Hierzu wurde unter anderem auf deren Rechte aufmerksam gemacht,

sich nach ihren Interessen im öffentlichen Raum frei bewegen zu dürfen (vgl. Becker 2008: 59).

Slutwalks ergänzen dabei auch die Selbstbestimmung der Frau* in Bezug auf ihre Kleidung: „Es

ist eine Machtdemonstration. […] Durch die Städte ziehen und allen klarzumachen: ‚Es ist ganz

egal was man an hat oder nicht – ihr dürft nicht hin greifen!‘” (I4, Z. 265-268).

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Durch die öffentliche Thematisierung soll Street Harassment besprechbar werden, wodurch es für

betroffene Frauen* bestenfalls leichter wird damit umzugehen (vgl. I4, Z. 128-130). „Möglicher-

weise verändert sich sogar was bei den Tätern. […] Und ich glaube, das macht was mit dem

Thema. Vielleicht fühlen sich Betroffene wirklich sicherer. Vielleicht überlegen sich potentielle Tä-

ter: ‚Das lass ich lieber bleiben, wenn das so ein Thema ist’” (I4, Z. 131-140). Zudem weist Exper-

tin 1 darauf hin, dass es sich bei Street Harassment um ein Männerthema handelt:

„Die Männer müssen anfangen. Es ist nicht das Frauenproblem. […] Ich will nicht in einer

Welt leben, wo ein Polizist zu einer jungen Frau sagt: ‚Sie müssen schon darauf achten

was Sie ausstrahlen, insbesondere beim Fortgehen.‘ Und ich denk mir: ‚Nein nein nein!‘

Die Männer müssen darauf achten, ob sie eine Einwilligung bekommen zu der Berührung

die sie machen wollen!” (I4, Z. 249-255).

Zwar hat sich laut Expertin 1 schon viel gewandelt, jedoch benötigt es noch sehr viel Veränderung,

um eine Gleichberechtigung von Männern* und Frauen* zu gewährleisten. Auf die Frage, was sich

verändern sollte, richtet Betroffene 3 einen Appell:

„Die Sichtweise von Frauen, dass Frauen keine Objekte sind. Dass sie eine Meinung ha-

ben, die auch akzeptiert werden muss. Dass sie zwar einen Körper haben der schön sein

kann, aber dass man nicht das Recht hat den anzufassen, wenn man gerade Bock darauf

hat. Und dass man dem Opfer nicht vorschreibt, wie es sich verhalten soll, sondern dem

Täter sagt, dass es nicht okay ist. Also dass es nicht einmal dazu kommt, dass er ein Täter

wird” (I3, Z. 265-270).

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15. Resümee

Im Zuge unserer Forschung konnten wir zahlreiche Erkenntnisse gewinnen, welche im folgenden

Abschnitt beschrieben werden. Den Ergebnissen entsprechend haben alle von uns befragten

Frauen* bereits Belästigung im öffentlichen Raum erfahren. Der Großteil der Interviewpartnerin-

nen zählt ähnliche Formen zu Street Harassment, jedoch sind die jeweiligen Definitionen von ihren

individuellen Erfahrungen geprägt. Aufgrund von Intersektionalität, die durch das Zusammentref-

fen von Diversitätsmerkmalen entsteht, unterscheiden sich besonders die Definitionen der befrag-

ten Schwarzen Frau*, der Frau* mit Behinderung und der Transfrau* von denen der Cis-Frauen.

Darüber hinaus zeigte sich die Komplexität der Erfahrungen, welche durch verschiedene Um-

stände beeinflusst werden und unterschiedliche Emotionen hervorrufen. Je nach Situation hat

dies Auswirkungen auf die angewandten Gegenstrategien und die Reaktion des Umfelds. Beson-

ders auffallend war, dass die meisten Befragten trotz ihrer Erfahrungen berichten, keine oder

kaum eine Einschränkung ihrer Nutzung des öffentlichen Raumes wahrzunehmen, jedoch ist an-

hand der Erzählungen häufig eine unbewusste Veränderung bemerkbar.

Anhand der Forschung wurde ersichtlich, dass es eine Änderung in vielen Bereichen benötigt, um

Street Harassment in Zukunft erfolgreich verhindern zu können. Somit bedarf es nicht nur rechtli-

chem und politischem Wandel, sondern auch einer gendersensiblen Erziehung und Bildung sowie

verantwortungsbewussten Medien. Demnach wird erkenntlich, wie wichtig eine Sensibilisierung

der Thematik und daraus resultierend eine Änderung des Umgangs in Bezug auf Belästigung im

öffentlichen Raum ist. Darüber hinaus zeigt sich, dass die befragten Frauen* eine Stimme haben,

die gehört werden will. Um Street Harassment entgegenzuwirken ist es folglich notwendig, auf die

vorliegende Problematik öffentlich aufmerksam zu machen.

Zu Beginn der Bachelorarbeit haben wir unsere Forschungsfrage wie folgt formuliert „Mit welchen

Formen von Street Harassment sind Frauen* zwischen 18 und 30 Jahren konfrontiert und welche

Gegenstrategien werden angewandt?“, mit dem Ziel, diese anhand von Literatur und empirischer

Forschung zu beantworten.

Bei der Auseinandersetzung mit der Forschungsfrage gelangten wir zu den nachfolgenden Ergeb-

nissen. Es wurde ersichtlich, wie vielfältig sich Belästigung äußern kann. Nonverbale Formen,

welche sowohl in der Theorie als auch von den befragten Frauen* genannt wurden, sind Anstar-

ren, Verfolgt werden, Entblößen von Geschlechtsteilen und Masturbieren in der Öffentlichkeit.

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Verbale Belästigung kann beispielsweise in der Form von Nachpfeifen, sexistischen Bemerkun-

gen, Beschimpfungen wie auch aufdringlichen Fragen und Gesprächen auftreten. Weiters kann

es im öffentlichen Raum zu physischen Übergriffen wie Begrapschen, gewalttätigen Handlungen

sowie zu Vergewaltigungen kommen.

Beim Beantworten des zweiten Teils unserer Forschungsfrage kamen wir zu der Erkenntnis, dass

es verschiedene Handlungsmöglichkeiten gibt, um mit Street Harassment umzugehen. Zu den

konfrontativen Strategien zählen verbale Aussagen, non-verbale oder körperliche Handlungen.

Dadurch reagiert die Betroffene aktiv auf den Täter, indem sie ihn beispielsweise auf die Belästi-

gung anspricht. Weiters berichten Betroffene, vor der Konfrontation mit Street Harassment Stra-

tegien anzuwenden, um zukünftige Situationen zu vermeiden oder darauf vorbereitet zu sein.

Durch möglichst selbstbewusstes Auftreten oder die Beobachtung der Umgebung sollen Belästi-

gungen vermieden werden. Als Vorbereitung auf Übergriffe nutzen Frauen* einerseits Hilfsmittel,

andererseits nehmen sie an Selbstverteidigungskursen teil. Um einer Belästigung möglichst

schnell zu entgehen, wenden Betroffene Vermeidungsstrategien wie Weggehen oder Ignorieren

des Täters an. Manche Frauen* beziehen vor oder nach dem Erleben von Street Harassment

außenstehende Dritte in die Situation mit ein. Beispielsweise telefonieren sie um sich sicherer zu

fühlen oder holen sich Unterstützung und Hilfe bei Anwesenden. Nach der Belästigung suchen

die betroffenen Frauen* teilweise Gespräche mit der Familie und Freund*innen oder wenden sich

an die Polizei.

Im Laufe der Bachelorarbeit konnte, wie bereits erläutert, die Forschungsfrage beantwortet wer-

den. Zusätzlich wäre es interessant gewesen, eine größere Gruppe von Frauen* mit Diversitäts-

merkmalen zu befragen, um näher auf das Konzept der Intersektionalität eingehen zu können.

Außerdem besteht ein weiterer Forschungsbedarf hinsichtlich älterer Frauen*. Besonders Alters-

diskriminierung im öffentlichen Raum und sexuelle Kommentare bezüglich des alternden weibli-

chen Körpers wurden angesichts der eingegrenzten Zielgruppe in dieser Bachelorarbeit nicht be-

handelt. Weitere Fragestellungen mit welchen wir uns gerne auseinandergesetzt hätten sind: „Mit

welchen psychischen Folgen haben Frauen* welche mit Street Harrassment konfrontiert sind zu

kämpfen? Wie kann mit den Tätern gearbeitet werden um eine langfristige Veränderung zu erzie-

len?“ Aufgrund des begrenzten Umfangs wurde jedoch nicht auf diese Aspekte eingegangen.

Im Rahmen unserer Recherche wurde für uns der Mangel an Beratungsstellen für Street Harass-

ment ersichtlich. Zwar gibt es Anlaufstellen, welche sich unter anderem mit sexueller Belästigung

beschäftigen, jedoch keine spezialisierten Angebote, die dieses vielschichtige Problem ausrei-

chend behandeln. Für Frauen* mit Diversitätsmerkmalen sind beispielsweise Angebote wie ZARA

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und Ninlil vorhanden, allerdings beziehen sich diese vorrangig auf Rassismus oder Ableismus und

nicht direkt auf die Kombination mit Street Harassment.

Das Thema findet in der Sozialen Arbeit in zahlreichen Arbeitsfeldern Relevanz, unter anderem

in Notschlafstellen, Beratungsstellen, Tageszentren und Frauenhäusern. Auch im Rahmen der

Jugendarbeit ist es wichtig, die Jugendlichen diesbezüglich zu informieren, da diese die Belästi-

gung eventuell nicht richtig einschätzen. Eine Aufklärung sollte demnach in Jugendzentren, in der

Schule, in sozialpädagogischen Wohngemeinschaften, beispielsweise durch Workshops durch-

geführt werden. Da sich Street Harassment im öffentlichen Raum ereignet, ist es zudem in der

Gemeinwesenarbeit relevant. Auch weitere Bereiche der Sozialen Arbeit wie Streetwork und Park-

betreuung müssen sich mit dem Thema auseinandersetzen. Um präventiv handeln zu können und

auf die Betroffenen adäquat einzugehen, ist ein Wissen über Street Harassment notwendig und

hilfreich.

Wir appellieren an die Soziale Arbeit, dieser Thematik mehr Aufmerksamkeit zu schenken und ein

spezialisiertes Angebot für Street Harassment zu entwickeln, um betroffenen Frauen* Unterstüt-

zung bieten zu können.

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III. Projekt-

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16. #Takebackthecity

16.1 Ausgangssituation, Problemstellung und Hintergrund

In unserer Gruppenbachelorarbeit beschäftigen wir uns mit dem Thema Street Harassment. Dabei

handelt es sich um (sexuelle) Belästigung im öffentlichen Raum, von welcher laut Theorie und

Forschung so gut wie jede Frau* betroffen ist. Da über diese Thematik noch wenig Aufklärung

stattgefunden hat, möchten wir mit Hilfe unseres Projektes in der Öffentlichkeit darauf aufmerk-

sam machen. Dafür planen wir einen Slutwalk unter dem Motto „Wir erobern uns die Stadt zurück“

zu veranstalten. Dabei handelt es sich um eine Demonstration, welche „gegen Sexismus und die

Rechtfertigung und Verharmlosung von sexualisierter Gewalt“ (Slutwalk München 2015) auftritt.

Dadurch möchten wir ein Zeichen setzen, dass Frauen* unabhängig ihrer äußerlichen Erschei-

nung und Kleidung, keine Schuld an jeglichen Formen von Street Harassment tragen und in ihrer

Nutzung des öffentlichen Raumes nicht eingeschränkt werden dürfen.

Um den teilnehmenden Frauen* einen Mehrwert zu verschaffen und den Slutwalk partizipativ zu

gestalten, werden jeweils zwei Vorbereitungsseminare an unterschiedlichen Standorten veran-

staltet. Hierbei soll unter anderem auf mögliche Gegenstrategien eingegangen werden.

16.2 Projektdefinition und Rahmenbedingungen

Um den Slutwalk durchführen zu können, müssen wir diesen bis spätestens 48 Stunden vor Be-

ginn bei der Landespolizeidirektion bekannt geben. In der Anmeldung sind das Thema, der Ort,

die Zeit und das Datum der Demonstration, die verwendeten Mittel, die erwartete Anzahl der Teil-

nehmer*innen sowie der oder die Leiter*innen enthalten (vgl. Widholm 2019). In unserem Fall

handelt es sich dabei um einen Slutwalk zum Thema Street Harassment der am 1. Juni 2019 um

14:00 Uhr auf der Mariahilferstraße stattfindet. Verwendete Mittel sind womöglich Megaphone,

Transparente, Schilder und gegebenenfalls Straßenkreiden. Gerechnet wird mit 80 bis 100 Teil-

nehmerinnen, die Kundgebungsleiterinnen sind Sophia Eberle, Natalie Eller, Annika Gaisebner

und Laura Hammer.

Um detaillierte Informationen einzuholen werden wir uns spätestens mit Beginn der Vorberei-

tungsseminare bei der Landespolizeidirektion erkundigen, um zu verhindern, dass wichtige An-

meldungsschritte versäumt werden und uns bezüglich der Sicherheit zu informieren. Wir als Lei-

terinnen des Slutwalks sind für die Einhaltung des Gesetzes und der Ordnung zuständig und sind

uns dieser Verantwortung bewusst (vgl. Widholm 2019).

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Zur Abdeckung der Kosten für die benötigten Materialien (Erstellung der Transparente, etc.) sowie

das Ausleihen der Megaphone und eventuell anfallende Gebühren, benötigen wir finanzielle Un-

terstützung in einem geschätzten Ausmaß von 100 Euro. Um diesen Beitrag zu erhalten planen

wir ein Fundraising über sozialen Medien zu starten. Für Materialspenden wie Pfeifen, Stifte, etc.

wollen wir bei Organisationen, die sich für die Rechte der Frauen* einsetzen, ansuchen. Diese

sind beispielsweise der 24-Stunden Frauennotruf, ZARA, Ninlil, Fem Süd, Frauenhelpline gegen

Männergewalt, Frauenberatungsstelle Frauen beraten Frauen, Frauentelefon der Stadt Wien und

Tamar. Zusätzlich sollen diese Beratungsstellen zur Teilnahme an dem Slutwalk eingeladen wer-

den.

Um auf unser Projekt aufmerksam zu machen, sind wir auf diverse Netzwerke angewiesen. Dabei

erhoffen wir uns die Unterstützung der Österreichischen Hochschüler*innenschaft (ÖH) in Bezug

auf die Verbreitung unserer Veranstaltung durch ein Rundmail an alle Studierenden an den von

uns ausgewählten Einrichtungen. Diese sind die Hauptuniversität, der FH Campus, die Universität

für Bodenkultur und die Wirtschaftsuniversität der Stadt Wien. Zusätzlich möchten wir die Gewerk-

schaftsjugend bitten, unser Projekt zu verbreiten, damit ein breiteres Publikum angesprochen wer-

den kann. Um noch mehr Personen erreichen zu können, berufen wir uns auch auf persönliche

Kontakte, welche zur Mitwirkung unseres Projektes eingeladen werden. Diese sollen weitere

Frauen* über den Slutwalk informieren.

Als zusätzliche Ressource sehen wir die Nutzung verschiedener sozialer Medien. Beispielsweise

erstellen wir eine Veranstaltung auf Facebook, welche von möglichst vielen Menschen verbreitet

werden soll. Des Weiteren wird ein Instagram-Account angefertigt, welcher auf unsere Veranstal-

tungen und auf das Thema Street Harassment aufmerksam macht. Zudem planen wir Zeitschrif-

ten, wie beispielsweise den „Falter”, „Die Wienerin“ und den „Standard” über unser Vorhaben zu

informieren, damit darüber berichtet werden kann. Dabei schicken wir diesen gerne vorab Infor-

mationen zu der Thematik und dem Projekt. Weiters stehen wir sowohl vor als auch nach der

Durchführung des Projekts für Interviews zur Verfügung.

Da die Demonstration, der Kern des Projektes, draußen stattfindet und die Frauen* dabei eventu-

ell leicht bekleidet sind, muss diese in einem warmen Monat durchgeführt werden. Insgesamt

planen wir zwei Vorbereitungstermine, bei welchen wir die Teilnehmerinnen über die Inhalte infor-

mieren und partizipativ die Planung mitgestalten lassen. Konkret sollen die Vorbereitungstreffen

am Dienstag, 14. Mai 2019 und Dienstag, 28. Mai 2019 jeweils von 18 bis 20 Uhr stattfinden. Die

Demonstration wird kurz darauf folgen, damit die Motivation der Teilnehmerinnen möglichst hoch

ist. Als Datum haben wir den 1. Juni 2019 um 14 Uhr ausgewählt. Da es sich um einen Samstag

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handelt, erhoffen wir uns eine höhere Teilnehmerinnenanzahl als an einem Wochentag und zu-

sätzlich größere Menschenmengen auf der Mariahilferstraße. Treffpunkt ist der Christian-Broda-

Platz, die Route verläuft bis zum Platz der Menschenrechte.

16.3 Zielsetzung

Primäres Ziel unseres Projektes ist es, auf Street Harassment aufmerksam zu machen und eine

erfolgreiche kleine Demonstration durchzuführen. Als erfolgreich definieren wir eine Teilnahme

von mindestens 80 bis 100 Frauen* bei der Veranstaltung. Für die gelungene Durchführung des

Projektes sind grundsätzlich wir vier Studentinnen verantwortlich.

Charakterisiert wird der nachhaltige Effekt des Projektes dadurch, dass die Veranstaltung und die

vorhergehenden Vorbereitungstreffen für die Teilnehmerinnen eine Bereicherung darstellen und

ihnen Mut und eine Stimme gegen sexuelle Belästigung geben sollen. Die Teilnahme an der Vor-

bereitung sowie an dem Slutwalk bietet Frauen* die Möglichkeit, als Gruppe ein Zeichen gegen

Street Harassment zu setzen. Zudem wollen wir das Selbstbewusstsein der Frauen* steigern und

klarstellen, dass es ihnen möglich sein muss, sich im öffentlichen Raum frei bewegen zu können,

ohne dabei auf ihr Äußeres reduziert zu werden.

Weiters möchten wir ein größeres Umfeld miteinbeziehen und Außenstehende in die Thematik

involvieren. Dies soll durch die Demonstration sowie Social-Media-Aktivitäten erreicht werden.

Bestenfalls wird über unser Projekt auch medial in zumindest einer Zeitung berichtet.

Um unserem Slutwalk Grenzen zu setzen, haben wir mögliche Schwächen und Probleme disku-

tiert. Findet die Veranstaltung wenig Verbreitung und verzeichnet somit lediglich eine geringe Teil-

nehmerinnenanzahl, so wäre die Qualitätssicherung unzureichend. Andererseits wäre es eben-

falls herausfordernd, würde die Veranstaltung mehr Anklang als erwartet finden. In diesem Fall

müssten wir uns rechtlich bestmöglich absichern und eventuell externe Hilfe hinzuziehen. Proble-

matisch könnte es sein, wenn Passant*innen sowie Medien den eigentlichen Zweck der Demonst-

ration missinterpretieren oder ins Lächerliche ziehen. Folglich könnte es zur Kommunikation von

falschen Informationen kommen. Wichtig ist es, eine für die Frauen* angenehme Atmosphäre zu

schaffen in der sie sich wohlfühlen. Ansonsten könnte es passieren, dass sie nicht an dem Slut-

walk teilnehmen möchten oder diesen mit einer negativen Erfahrung früher verlassen.

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16.4 Zielgruppe

Als Zielgruppe definieren wir Frauen* ab 18 Jahren, da diese gut über unsere geplanten Kommu-

nikationswege angesprochen werden können. Zumal ist es womöglich einfacher, eine etwas äl-

tere Zielgruppe zu wählen um über Street Harassment zu diskutieren, da diese meist schon mehr

Erfahrungen gesammelt haben und oft über eine höhere Reflexionsbereitschaft verfügen.

Erreichen wollen wir unsere Zielgruppe primär über die Netzwerke der Österreichischen Hoch-

schüler*innenschaft und Gewerkschaftsjugend. Jedoch sollen zusätzlich Frauen* durch die von

uns kontaktierten Organisationen und sozialen Medien wie Instagram und Facebook über den

Slutwalk informiert und dafür motiviert werden. Ausgeschlossen von unserem Projekt sind Män-

ner* sowie Kinder. Ebenso ist es uns wichtig, nicht nur Cis-Frauen anzusprechen, sondern eine

möglichst heterogene Gruppe in unser Projekt miteinzubeziehen. Dadurch erhoffen wir uns eine

Vielfalt an Erfahrungen und eine noch größere Verbreitung der Thematik von Street Harassment.

16.5 Methoden und Angebote

Wir haben uns dazu entschieden, Vorbereitungsseminare zu organisieren, um den Frauen* die

Möglichkeit zu geben, den Slutwalk mitzugestalten. Es werden 10 bis 20 Teilnehmerinnen pro

Seminar und Standort erwartet. Abgesehen von den Rahmenbedingungen, wünschen wir uns das

Auftragen eines roten Lippenstifts bei der Demonstration als gemeinsames Erkennungsmerkmal,

sofern die Frauen* einverstanden sind.

Im ersten Seminar möchten wir näher auf den Begriff Street Harassment und die damit verbun-

dene Problematik eingehen. In weiterer Folge sollen in Form einen Gesprächskreises Erfahrun-

gen ausgetauscht und die Präsenz der Thematik verdeutlicht werden. Zudem wird eine Liste

durchgegeben, in welcher die Teilnehmerinnen ihre E-Mail-Adresse eintragen, um etwaige Ände-

rungen bekannt geben zu können. Anschließend planen wir erste Ideen für mögliche Mittel zu

sammeln, welche bei der Demonstration verwendet werden können. Beispiele dafür wären Trans-

parente, einheitliche Kleidungsstücke, Slogans, etc..

Zu Beginn des zweiten Seminars möchten wir die von uns gesammelten Strategien gegen Street

Harassment vorstellen, um das Handlungsrepertoire der Frauen* zu erweitern. Folglich soll auf

die genaue Ausarbeitung und den Einsatz der Utensilien eingegangen werden. Die Frauen* wer-

den dazu aufgefordert auch Bekannte und Freunde zu informieren. Als Hauptressourcen für eine

gelingende Veranstaltung sehen wir die Kreativität, Erfahrungen und Initiative der Beteiligten.

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Zwischen den beiden Seminaren ist ein Treffen von uns vier Organisatorinnen geplant. Dabei soll

ein Austausch über den derzeitigen Stand und die Beschaffung der erforderlichen Ressourcen

stattfinden.

Zusätzlich möchten wir unsere Präsenz auf sozialen Medien nutzen um einen 30-Tage-Count-

down bis zur Demonstration auf Instagram zu erstellen. Zwischen 1. Mai und 1. Juni 2019 wird

täglich ein Bild auf dem Instagram-Account gepostet, welches mit Street Harassment in Zusam-

menhang steht. Auf den jeweiligen Fotos sollen direkte Zitate aus den Erfahrungsberichten unse-

rer empirischen Forschungsarbeit auf farbigem Hintergrund zu sehen sein, worunter der Hashtag

#takebackthecity gepostet wird. Zum Beispiel: „Es ist mir auch schon öfters passiert, dass mir

Leute hinterhergelaufen sind und ich wusste dann einfach nicht was ich machen soll, weil ich ganz

alleine auf der Straße war und weil niemand anders sonst dort war. Da kommt man schon ins

Verzweifeln” (I1, Z. 329-332).

Zusätzlich ermutigen wir die Frauen*, entweder selber Bilder mit dem Hashtag hochzustellen, oder

uns welche zur Veröffentlichung auf unserer Seite zu schicken.

16.6 Raum und Infrastruktur

Die Vorbereitungsseminare finden jeweils an den vier von uns ausgewählten Orten statt. Dabei

wird jede von uns vier Teammitgliedern einen anderen Standort betreuen. Die Treffen werden in

Räumlichkeiten der Hauptuniversität, der FH Campus, der Universität für Bodenkultur und der

Wirtschaftsuniversität in Wien abgehalten. Pro Standort wird je ein Seminarraum reserviert.

Die Demonstration selbst findet nach erfolgter Genehmigung im öffentlichen Raum statt, geplanter

Weise auf der Mariahilferstraße.

16.7 Personaleinsatz

Das Projekt wird von uns vier Studierenden der Sozialen Arbeit, Sophia Eberle, Natalie Eller, An-

nika Gaisebner und Laura Hammer angeleitet. Für die Durchführung sind eine geschätzte Anzahl

von 80 bis 100 Teilnehmerinnen notwendig, die teilweise bei der Planung und Umsetzung mitwir-

ken. Es ist uns wichtig, dass unser Slutwalk von einigen Polizist*innen begleitet wird, weshalb wir

uns diesbezüglich näher informieren wollen.

16.8 Maßnahmen im Sinn der Anti-Diskriminierung

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Mit Hilfe des Slutwalks soll ein Zeichen gegen die Diskriminierung von Frauen* gesetzt werden.

Wir möchten gegen sexualisierte Gewalt und Belästigung im öffentlichen Raum aufgrund des Ge-

schlechts vorgehen. Bei der Demonstration möchten wir vor allem Vielfalt und Gleichberechtigung

hervorheben. In unserer Bachelorarbeit haben wir uns mit Intersektionalität auseinandergesetzt

und einen fließenden Übergang zwischen Street Harassment und Mehrfachdiskriminierung beo-

bachtet. Frauen* mit Diversitätsmerkmalen erfahren eine Belästigung, die sich häufig von den

Erfahrungen von Cis-Frauen unterscheidet, weshalb wir diese durch oben erläuterte Netzwerke

erreichen wollen. Wir sind uns darüber im Klaren, dass der Slutwalk von vier Cis-Frauen geleitet

wird. Folglich könnten sich die Teilnehmerinnen ebenfalls Großteils aus Cis-Frauen zusammen-

setzen. Dem wollen wir bestmöglich durch unterschiedliche Kontaktkanäle entgegenwirken.

16.9 Maßnahme der Qualitätssicherung

Innerhalb eines Monats nach der Durchführung des Projektes sollen einige Teilnehmerinnen be-

fragt werden. Als Ergebnis wünschen wir uns Rückmeldungen, die erschließen ob sich für die

Frauen* ein Mehrwert ergeben und inwiefern es ihre Sichtweisen in Bezug auf Street Harassment

geändert hat. Zudem wollen wir daran den Erfolg unseres Slutwalks messen.

Für die Evaluierung unseres durchgeführten Projektes erstellen wir einen kurzen Feedbackbogen.

Dieser wird per E-Mail an die Frauen*, welche an den Vorbereitungen mitgewirkt haben, ausge-

sendet. Darin befindet sich die Aufforderung, die Mail an weitere ihnen bekannte Teilnehmerinnen

weiterzuleiten. Zusätzlich werden wir die Umfrage auch über die von uns verwendeten sozialen

Medien verbreiten.

Der Bogen besteht aus den folgenden drei Fragen: Wie haben dir die Vorbereitungsseminare

sowie die Durchführung des Slutwalks gefallen? Hast du Verbesserungsvorschläge, wenn ja wel-

che? Hat das Projekt deine Wahrnehmung oder dein Handeln in Bezug auf Street Harassment

verändert, wenn ja wie?

Wie bereits erwähnt wird über unseren Instagram-Account der Hashtag #takebackthecity verbrei-

tet. Dabei ermessen wir unseren Erfolg, indem wir filtern, in welchem Ausmaß Passant*innen so-

wie Betroffene den Hashtag bei Bildern, welche mit dem Slutwalk oder allgemein Street Harass-

ment in Verbindung stehen, nutzen. Auch Kommentare und Likes für die von uns hochgestellten

Bilder sehen wir als Anzeichen dafür, Menschen erreicht zu haben.

Wird nachträglich über unser Projekt medial berichtet, so können wir uns sicher sein, dass eine

große Anzahl an Personen zumindest oberflächlich von unserer Veranstaltung erfahren hat und

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somit das Thema Street Harassment einem weiteren Publikum ein Begriff wurde. Besonders bei

den von uns kontaktierten Zeitschriften erhoffen wir uns eine positive Berichterstattung.

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IV. An-

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90

Leitfaden – Einzelinterview und Gruppendiskussion

Definition von Street Harassment

Was ist für dich Street Harassment, also Belästigung im öffentlichen Raum?

Ab wann erlebst du Verhalten bzw. Handlungen im öffentlichen Raum als übergriffig?

Kategorisierung von Kearl: Wie siehst du diese Einteilung? (Flipchart)

Persönliche Erfahrungen

Welche Erfahrungen hast du bis jetzt mit Street Harassment gemacht?

Gibt es spezifische Situationen die dir besonders in Erinnerung geblieben sind und kannst

du diese beschreiben? (Hinweis Ort und Zeit)

Wie hast du dich in diesen Situationen gefühlt?

Wie oft erlebst du Street Harassment in Wien?

Ändern deine Erfahrungen deine Nutzung des öffentlichen Raumes, wenn ja wie?

Persönliche Gegenstrategien

Wie hast du dich in diesen Situationen verhalten?

Wie würdest du dich bei einer erneuten Konfrontation mit Street Harassment gerne Ver-

halten?

Was sind deiner Meinung nach effektive Verhaltensweisen gegen Street Harassment?

Gesellschaftliche Gegenstrategien

Was müsste sich deiner Meinung nach ändern, um eine Gesellschaft ohne Street Harassment zu

ermöglichen?

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Leitfaden – Expertinneninterview

Relevanz für die Soziale Arbeit

Was ist der Auftrag Ihrer Organisation?

Wie präsent ist Street Harassment als Thema in Ihrer Institution?

Wer sind die am meisten Betroffenen?

Erfahrungen der Klientinnen

Von welchen Erfahrungen bezüglich Street Harassment berichten Ihre Klientinnen?

Von welchen Arten von Übergriffen berichten die Betroffenen sehr häufig?

Professioneller Umgang

Wie gehen Sie aus sozialarbeiterischer Sicht mit den Erfahrungen und Anliegen der

Klientinnen um?

Welche Interventionen werden von Ihnen gesetzt, wenn von Street Harassment berichtet

wird?

Zu welchen anderen Institutionen bzw. Angeboten verweisen Sie Ihre Klientinnen?

Gegenstrategien

Was müsste sich Ihrer Meinung nach ändern um Street Harassment entgegenwirken zu können?

Welche Möglichkeiten hat die Gesellschaft um Street Harassment zu verringern?

Welche Möglichkeiten hat das Individuum um sich vor Street Harassment zu schützen?

Was wären Ihrer Meinung nach effektive Gegenstrategien welche Betroffene in der akuten

Situation anwenden können?

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Ehrenamtliche Bewährungshilfe in Österreich Ein kritischer Diskurs um die Vorteile und Nachteile ehrenamtlicher

Bewährungshilfetätigkeiten

Bachelorarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades

Bachelor of Arts in Social Sciences

der

Fachhochschule Campus Wien

Bachelorstudiengang Soziale Arbeit

Vorgelegt von:

Arthur Liebscher

Personenkennzeichen: c1610533060

Begutachter:

Bernhard Lehr, DSA

Abgabetermin: 11.02.2019

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Erklärung:

Ich erkläre, dass die vorliegende Bachelorarbeit von mir selbst verfasst wurde und ich keine

anderen als die angeführten Behelfe verwendet bzw. mich auch sonst keiner unerlaubten Hilfe

bedient habe.

Ich versichere, dass ich dieses Bachelorarbeitsthema bisher weder im In- noch im Ausland

(einer Beurteilerin/einem Beurteiler zur Begutachtung) in irgendeiner Form als Prüfungsarbeit

vorgelegt habe.

Datum: 11.02.2019 Unterschrift:

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Danksagung

Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen Menschen bedanken, die mich tatkräftig bei der

Fertigung dieser Bachelorarbeit unterstützt, begleitet und/oder motiviert haben.

Ein herzliches Dankeschön dabei besonders an den Verein Neustart - meiner

ehrenamtlichen Wirkungsstätte - explizit an Theresa Fritz, MA, und Alexander Pölz, BA für

die großartige und wertvolle Unterstützung, ohne welche diese Arbeit nicht entstehen hätte

können.

Großer Dank gebührt auch Bernhard Lehr, DSA für seine fachliche und menschliche

Unterstützung und Begleitung über den gesamten Schreibprozess hinweg.

Ein unendlich großer Dank gilt dabei meiner Lebensgefährtin Rebecca und unserer Tochter

Yuna, welche mir mit ihrem positiven Zuspruch und Lachen über so manche Tiefpunkte

hinweggeholfen haben und immer an mich geglaubt haben!

VIELEN DANK!

Arthur Liebscher,

Wien, am 16.01.2019

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Kurzfassung

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Thema der ehrenamtlichen Bewährungshilfe

in Österreich und den potenziellen Vorteilen, die die Einbindung ehrenamtlichen Engagements

mit sich bringt. Hierfür wird die Entstehungsgeschichte der Bewährungshilfe auf struktureller

und methodischer Ebene aufgezeigt, um dem/der Leser*in einen Überblick über die auf dem

Ehrenamt fundierten Ursprünge der österreichischen Bewährungshilfe und etwaige

Verbindungslinien, welche sich bis in die heutige Bewährungshilfe ziehen, zu verschaffen. Des

Weiteren werden gesetzliche, methodische und arbeitsspezifische Regelungen,

Bestimmungen und Voraussetzungen der Bewährungshilfearbeit in Österreich aufgezeigt, um

die Rahmenbedingungen, in welcher ehrenamtliche und hauptamtliche Bewährungshilfe

stattfindet, darzulegen. Abschließend werden die Vorteile ehrenamtlicher Bewährungshilfe

herausgearbeitet, indem die positiven Effekte und dem Ehrenamt einzigartige Möglichkeiten

und Ressourcen dargestellt werden, welche den verschiedenen Akteur*innen der

Bewährungshilfearbeit einen positiven Nutzen bescheren.

Abstract

The work in hand addresses the topic of honorary probationary service in Austria and the

potential advantages of the inclusion of volunteer engagement. For this purpose, the

development history of probationary service is illustrated on a structural and methodological

level in order to give the reader a summary of the origins of Austrian probationary service,

which is based on volunteer engagement, and to outline linkings to today's probationary

service. Furthermore, legal, methodological and work-specific regulations and premises of

Austria's probationary service are demonstrated so as to explain the general conditions under

which volunteer and full-time probationary service is taking place. Conclusively, the

advantages of honorary probationary service are expounded by showing the positive effects

and unique possibilities and resources of volunteer engagement, which present benefits to the

different stakeholders.

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Abkürzungsverzeichnis

Anm. Anmerkung

ATA Außergerichtlicher Tatausgleich

BGBl Bundesgesetzblatt

BMJ Bundesministerium für Justiz

BewHG Bewährungshilfegesetz

bspw. Beispielsweise

BWH Bewährungshilfe

bzgl. bezüglich

bzw. beziehungsweise

diesbzgl. diesbezüglich

ebd. ebendiese/r

engl. englisch

et al. et aliens

EÜH elektronisch überwachter Hausarrest

HEH Haftentlassenenhilfe

idF in der Fassung

JGG Jugendgerichtsgesetz

JGH Jugendgerichtshilfe

Nr. Nummer

o.J. ohne Jahr

o.ä. oder ähnliches

RISK Risikoorientiertes Interventionsprogramm

RRI Ressourcen-Risiko-Inventar

StGB Strafgesetzbuch

StGBL Staatsgesetzblatt

StPO Strafprozessordnung

SWÖ Sozialwirtschaft Österreich

u.a. unter anderem

U.S.A. United States of America

usf. und so fort

usw. und so weiter

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uvm. und vieles mehr

VBSA Verein für Bewährungshilfe und Soziale Arbeit

VGL Vermittlung gemeinnütziger Leistung

vgl. vergleiche

zit. n. zitiert nach

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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung ......................................................................................................................... 1

2. Grundlagen der Struktur- und Methodengeschichte der Bewährungshilfe in Österreich von 1911 bis heute ............................................................................................ 2

2.1 Vorgeschichte der Bewährungshilfe und Anfänge der Schutzaufsicht .......................... 2

2.2 Fürsorgearbeit im Rahmen der Schutzaufsicht in Österreich im Zeitraum von 1911 bis 1936 .................................................................................................................................. 4

2.3 Der Zeitraum von 1936 bis 1947 .................................................................................. 7

2.4 Von der Schutzaufsicht zur heutigen Bewährungshilfe ................................................. 8

3. Grundlagen der Bewährungshilfe in Österreich ...........................................................13

3.1 Gesetzliche Grundlage der Bewährungshilfe ..............................................................13

3.2 Ziele & Rationalitäten der Bewährungshilfe .................................................................14

3.3 Durchführung der Bewährungshilfe – Der Verein NEUSTART ....................................15

3.4 Hauptamtliche Bewährungshilfe ..................................................................................17

3.4.1 Rechtliche Grundlagen und Voraussetzungen ......................................................17

3.4.2 Arbeitsweisen/Methoden/Kriterien ........................................................................18

3.4.3 Finanzieller Aspekt ...............................................................................................19

3.5 Ehrenamtliche Bewährungshilfe ..................................................................................19

3.5.1 Rechtliche Grundlagen und Voraussetzungen ......................................................20

3.5.2 Arbeitsweisen/Methoden/Kriterien ........................................................................20

3.5.3 Finanzieller Aspekt ...............................................................................................21

4. Vor- und Nachteile haupt- & ehrenamtlicher Bewährungshilfe ...................................21

4.1 Grundsätzliche Überlegungen .....................................................................................21

4.2 Vorteile ehrenamtlicher Bewährungshilfe aus Sicht der Klient*innen bzw. der professionellen Sozialarbeit ..............................................................................................23

4.3 Zivilgesellschaftliche und ökonomie- bzw. demokratie-politische Vorteile ehrenamtlichen Engagements ..........................................................................................25

4.4 Persönliche Vorteile eins Ehrenamtes .........................................................................26

4.5 Diskurs über die bestehende Einbindung und die Perspektiven ehrenamtlicher Bewährungshilfearbeit ......................................................................................................27

5. Resümee .........................................................................................................................30

6. Literaturliste ....................................................................................................................32

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1

1. Einleitung

Diese Arbeit widmet sich dem Thema ehrenamtlichen Engagements im Rahmen der

Bewährungshilfe in Österreich, um aufzuzeigen ob – und wenn ja: für wen und in welcher Form

– ehrenamtliche Bewährungshilfearbeit im Kontext der Straffälligenhilfe vorteilhaft bzw.

sinnvoll ist. Anhand einer Literaturrecherche soll dem/der Leser*in verdeutlicht werden, welche

Vorteile und Möglichkeiten sich den verschiedensten Akteur*innen durch das Ehrenamt bieten

und welche potenziellen Probleme und Gefahren in einer ehrenamtlichen Beteiligung verortet

werden können.

Die Motivation zu dieser Arbeit entstand im weitesten Sinne im Rahmen meines

Berufspraktikums beim Verein NEUSTART. Als größte Organisation der Straffälligenhilfe

Österreichs hatte ich dabei das Vergnügen, sämtliche vom Verein im staatlichen Auftrag

durchgeführte Arbeitsgebiete kennen lernen zu dürfen, u.a. auch den größten und ältesten

Leistungsbereich des Vereins NEUSTART, die Bewährungshilfe. Fasziniert von diesem

facettenreichen und vielschichtigen Handlungsfeld der Sozialen Arbeit entschloss ich mich

dazu, mich als ehrenamtlicher Bewährungshelfer zu bewerben.

Durch meine „Doppelfunktion“, einerseits als ehrenamtlicher Bewährungshelfer und

andererseits als Student der Sozialen Arbeit, kam schnell in mir die Frage auf, was die Vorteile

einer ehrenamtlichen Bewährungshilfearbeit gegenüber dem Hauptamt sind bzw. ob denn

überhaupt Vorteile bestehen oder hinter einer ehrenamtlichen Einbindung nur wirtschaftliche

Interessen stehen. Mich selbst im Spannungsfeld zwischen der Gegenwart (ehrenamtliche

Bewährungshilfe) und der Zukunft (hauptamtliche Bewährungshilfe) befindend, empfand ich

eine Vertiefung in dieses Themengebiet als sehr interessant, da ich in beiden Tätigkeiten

wertvolle und wichtige Aspekte für eine gelingende Resozialisierungsarbeit erkennen

konnte/kann.

Um sich dem Thema und der Frage nach den potenziellen Vorteilen des ehrenamtlichen

Wirkens in der Bewährungshilfe sinnhaft zu nähern, muss vorweg erklärt werden, was

Bewährungshilfe überhaupt ist bzw. auf welcher fachlichen Grundlage Bewährungshilfearbeit

aufgebaut ist, wie Bewährungshilfe in Österreich gesetzlich geregelt wird, wer für die

Durchführung der Bewährungshilfe verantwortlich ist und welche Voraussetzungen und

Qualifikationen notwendig sind, um haupt- bzw. ehrenamtliche/r Bewährungshelfer*in zu

werden.

Des Weiteren wird zum besseren Verständnis der gewachsenen Strukturen der

österreichischen Bewährungshilfelandschaft mittels eines historischen Überblicks die

Entstehungsgeschichte der österreichischen Bewährungshilfe zu beleuchtet, um zu erklären,

wie aus einer rein ehrenamtlichen Tätigkeit eine wissenschaftlich fundierte und abgegrenzte

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2

Profession entstanden ist und warum, damals wie heute, das Ehrenamt einen integralen

Bestandteil der Bewährungshilfe darstellt.

Schlussendlich werden die expliziten und einzigartigen Ressourcen und Möglichkeiten, welche

in Form des Ehrenamts entstehen, beleuchtet, um aufzuzeigen, welche multidimensionale

Wirkung die Einbeziehung eines freiwilligen Engagements im Rahmen der Sozialen Arbeit

bzw. der Bewährungshilfe als Teil des Handlungsfelds der Straffälligenhilfe hat.

2. Grundlagen der Struktur- und Methodengeschichte der

Bewährungshilfe in Österreich von 1911 bis heute

Im folgenden Kapitel wird unter zur Hilfenahme eines geschichtlichen Überblicks der

Bewährungshilfe in Österreich veranschaulicht, wie es aus der ursprünglich (fast)

ausschließlich ehrenamtlichen Tätigkeit der Schutzaufsicht über strukturelle und methodische

Veränderungen innerhalb der letzten 100 -150 Jahre zu der heutigen Struktur der

österreichischen Bewährungshilfe gekommen ist. Hierfür wird die Geschichte der

Bewährungshilfe in eine strukturelle, teilweise auch gesetzliche und eine methodische

Geschichte aufgeteilt, um besser zu veranschaulichen, dass sowohl über die strukturelle, als

auch über die methodische Geschichte der österreichischen Bewährungshilfearbeit eine

Professionalisierung und Institutionalisierung dieser erkennbar ist. Innerhalb dieser

geschichtlich gewachsenen und gereiften Strukturen bildet der Faktor „Ehrenamt“, damals wie

heute, einen elementaren Bestandteil der österreichischen Bewährungshilfe.

2.1 Vorgeschichte der Bewährungshilfe und Anfänge der Schutzaufsicht

Die Anfänge der Bewährungshilfe, wie sie heutzutage in den verschiedenen Ländern der Welt

auf unterschiedlichste Art und Weise praktiziert wird, gehen geschichtlich gesehen auf einen

Schuster aus Boston, Massachusetts, U.S.A. zurück. Im Jahr 1841 wurde John Augustus zum

ersten „probation officer“ (Anm.: engl. für „Bewährungshelfer“) der Welt, in dem er sich vor

Gericht für einen Trinker einsetzte, dem kleinere Vergehen vorgeworfen wurden, und diesem

durch Bürgschaft vor Gericht eine Haftstrafe ersparen konnte. Bis ins Jahr 1859 betreute er

dabei insgesamt an die 2000 Männer und Frauen und schaffte durch sein Handeln und seinen

philanthropischen Pioniergeist die Grundlage für das weltweit erste Bewährungshilfegesetz,

welches 1878, 19 Jahre nach seinem Tod, ebenfalls in Boston, dem Ort seines Wirkens,

verabschiedet wurde (vgl. Johannes Kufner-Eger 2018: 27f). John Augustus‘ Handeln kann

somit als die Geburtsstunde der Bewährungshilfe angesehen werden.

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3

Nach Österreich kam diese Idee im Rahmen des um die Jahrhundertwende in Europa

stattfindenden jugendfürsorglichen Diskurses. Dabei spielte u.a. der österreichische

Sozialpolitiker, Abgeordnete im Herrenhaus des Wiener Reichsraths und spätere Minister

Joseph Maria Baernreither eine tragende Rolle. Als bedeutender österreichischer

Jugendfürsorgetheoretiker dieser Zeit forcierte er, neben der Gründung der Jugendämter, die

gesetzliche Etablierung einer sogenannten Schutzaufsicht für Jugendliche nach dem Vorbild

des Modells von John Augustus (vgl. ebd. 2018: 27f). Anfänglich wurde die Schutzaufsicht als

Modellversuch ausschließlich für Jugendliche im Alter zwischen 10 und 18 Jahren konzipiert

und folglich etabliert. Mit der besonderen Schutzbedürftigkeit der Jugend argumentierend und

ebenfalls bedingt durch die reformistischen Bestrebungen welche vor, während, und

insbesondere nach dem 1. Weltkrieg durch Europa und somit auch durch Österreich

grassierten, konnte sich Baernreither in weiterer Folge erfolgreich für ein Umdenken innerhalb

der legislativen Landschaft Österreichs einsetzen, weg von „repressiven“, hin zu

„erzieherischen“ Mitteln“. 1920 fruchtete diese Arbeit in der rechtlichen Kodifizierung der Ideen

in Form des Jugendgerichtsgesetzes von 1919 und der Einführung des „Rechtsinstituts der

bedingten Verurteilung und bedingten Entlassung“ von 1920, in welchen die Schutzaufsicht

bei Jugendlichen geregelt wurde. Zu erkennen ist der im Vergleich zur seit 1912 bestehenden

Gesetzeslage unterschiedliche Zugang gut, wenn man sich ein paar Paragraphen näher

betrachtet. So besagte etwa Artikel § 1 Abs. 1 des Gesetzes der bedingten Verurteilung von

1920:

„Nicht der Schutz der Gesellschaft gegen den Verurteilten, sondern der Schutz des bedingt Verurteilten

gegen die Gefahr des Rückfalles ist der unmittelbare Zweck der Schutzaufsicht.“ (zit. n. StGBL Nr.

438, Gesetz vom 25.9.1920: 1715 In: Kufner 2013: 6)

Dabei wurden, auf Basis von Vorlagen aus England bzw. der Schweiz und der Gesetze von

1912, die Grundlagen der Schutzaufsicht, wie folgt, geregelt:

§ 1 (1) Das Gericht kann die Vollziehung einer Geld=, Arrest= oder Verschließungsstrafe vorläufig

aufschieben, wenn das aus besonderen Gründen die bloße Androhung der Vollziehung allein oder in

Verbindung mit anderen Maßnahmen zweckmäßiger scheint (…).

§ 2 (1) Das Gericht bestimmt eine Probezeit von ein bis drei Jahren und kann dem Verurteilen zugleich

oder später für sein Verhalten Weisungen erteilen, die geeignet sind, ihn vor dem Rückfall zu bewahren.

(…) (2) Das Gericht kann den Verurteilten ferner für die Probezeit unter Schutzaufsicht stellen“ (zit. n.

StGBL Nr. 373, Gesetz vom 23.7.1920: 1555 In: Kufner 2013: 5)

Ziel bzw. Rationalität dieser Schutzaufsicht war allerdings, aus heutiger Sicht, weniger die

Schaffung einer einzelfallorientierten Sozialarbeit mit dem Ziel der Stärkung bzw. dem

Empowerment des Delinquenten zur Bewältigung eines rückfallfreien Lebens als vielmehr eine

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auf sittliche Normierung ausgerichtete Schutzaufsicht in Anlehnung an die alten

armenpolizeilichen Maßnahmen (vgl. ebd. 2013: 11ff).

Nicht nur Joseph Maria Baernreither, sondern auch August Aichhorn und Grete Löhr waren

zeitgenössische Verfechter der Haltung, dass Strafe nicht zwangsweise zu Besserung führt.

Die von ihnen in Österreich mit aufgezeigte Alternative, sich der delinquenten Jugendlichen

anzunehmen, ihre lebensweltlichen Bedingungen zu verbessern und durch Arbeit am und vor

allem mit dem Menschen die staatlich-rechtlich geforderte Normierung zu erreichen, folgte

ähnlichen Überlegungen wie jene von Joseph Baernreither. So arbeitet etwa August Aichhorn

zu dieser Zeit schon nach den psychotherapeutischen Prinzipien, welche er in seinem 1925

erschienen Werk „Verwahrloste Jugend“ festhielt, und welche sich auch (teilweise) in der

heutigen Methodik der Bewährungshilfe wiederfinden. Die Verbindung zwischen August

Aichhorn und der Bewährungshilfe/Schutzaufsicht bestand in Form einer Freundschaft

zwischen ihm und Grete Löhr, der Mitbegründerin des „Wiener Settlements“, des „Komitee der

Jugendgerichtshilfe“ und, in späterer Folge, der „Wiener Jugendgerichtshilfe“ (JGH). Löhr teilte

Aichhorn’s Ansicht, wonach ein psychoanalytischer Ansatz im Umgang mit Kindern und

Jugendlichen dem repressivem Justizcharakter dieser Zeit vorzuziehen und primär

anzuwenden ist. Deutlich zu erkennen ist dieser Umstand etwa in einer Korrespondenz

zwischen Löhr und Aichhorn aus dem Jahr 1922, in welcher sie ihre Begeisterung und

Überzeugung für Aichhorn‘s Schaffen kundtut:

„Sie können sich gar nicht denken, hochgeehrter Herr Direktor, wie oft wir hier und in anderen Zirkeln

[…] von St. Andrä und Ihrer schönen Arbeit sprechen! Es ist jetzt eine bitterböse Zeit für vielfache Werke

der Erziehung und schwer abzusehen, wie durch sie hindurchzukommen. Jedenfalls wünsche ich Ihnen

von ganzem Herzen, dass ihre bahnbrechende Erziehungsmethode siegreich durchdringen wird, und

bin ich auch ganz überzeugt davon, dass es so sein wird! In größter Wertschätzung Grete Löhr. Leiterin

der Geschäftsstelle der Wiener Jugendgerichtshilfe.“ (zit. nach Grete Löhr 1922 In: Kufner-Eger

2018: 37)

2.2 Fürsorgearbeit im Rahmen der Schutzaufsicht in Österreich im Zeitraum von

1911 bis 1936

Der Aichhorn’schen Überlegungen und Theorien folgend, engagierte sich Grete Löhr schon

früh im Bereich der jugendlichen Schutzaufsicht. So war sie bspw. auch Mitbegründerin des

„Komitee der Jugendgerichtshilfe“, welches 1911 als Dachorganisation von 25 Wiener

Jugendschutz- und Wohlfahrtsvereinen gemeinsam gegründet wurde. Das Komitee hegte

enge berufliche Kontakte zu den Straf- und Pflegschaftsgerichten und den dort

praktizierenden, der Schutzaufsicht und deren Vorteilen wohlwollend gegenüberstehenden,

Richtern, wie z.B. Heinrich Kesseldorfer, und wurde von diesen mit der Schutzaufsicht

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5

beauftragt. Diese vom Staat verordnete und über Vereine organisierte Schutzaufsicht, auch

„Vereinshilfe“ genannte Ausgestaltung der Schutzaufsicht war, international gesehen, nicht

unüblich, wie z.B. in München oder Berlin. Durch die darauffolgenden Kriegsjahre und den Tod

Heinrich Kesseldorfer‘s im Jahre 1916 fand diese enge Kooperation zwischen Gerichten und

privaten Vereinen ein jähes Ende (vgl. Kufner-Eger 2018: 47). Durch die Jahre der Arbeit im

Komitee und die dort gesammelten Erfahrungen inspiriert, gründete Grete Löhr im Jahr 1917

die „Wiener Jugendgerichtshilfe“ als privaten Verein und parallel dazu wurde der „Verein der

Freunde der Wiener Jugendgerichtshilfe“ ins Leben gerufen. Ziel und Überlegung dieser zwei

Vereine war es, dass die Jugendgerichtshilfe eine Koordinations- und Leitungs- bzw.

Verteilungsfunktion übernehmen sollte, und folglich die praktische Durchführung der

Schutzaufsichtsagenden an zur Durchführung der Schutzaufsicht befähigte Jugend- und

Wohlfahrtsvereine Vereine, primär an den „Verein der Freunde der Wiener

Jugendgerichtshilfe“ oder an andere, überantwortete. Gesetzlich festgehalten ist dies im

Jugendgerichtsgesetz von 1919 bzw. im Rechtsinstitut der bedingten Verurteilung von 1920.

Im Jugendgerichtsgesetz wird die primäre Rolle der Jugendgerichtshilfe im Rahmen der

Schutzaufsicht markant, da sie als einziger privater Träger namentlich genannt wird (vgl.

Kufner 2013: 5). Darüber hinaus wurde über die Vollzugsanweisung des

Jugendgerichtsgesetzes von 1920 das Jugendgericht Wien gegründet und die Geschäftsstelle

der Wiener Jugendgerichtshilfe (JGH) im selben Gebäude und somit in unmittelbarer

räumlicher Nähe zum (Jugend-)Gericht angesiedelt (vgl. Kufner-Eger 2018: 47f). Zwei Jahr

später folgte ein weiterer Umzug in den dritten Wiener Gemeindebezirk, wo die im Jahre 1929

in „Wiener Jugendgerichtshof“ umbenannte Institution gemeinsam mit der Wiener

Jugendgerichtshilfe bis ins Jahr 2002 bleiben sollte (vgl. ebd. 2018: 48). Allerdings wurde

damals, aus rechtlicher Sicht gesehen, in keiner Weise geklärt, auf welcher finanziellen

Grundlage die Wiener Jugendgerichtshilfe wirken sollte (vgl. Kufner 2013: 8). Eine gesetzliche

Regelung gab es erst im Jahr 1922, in welchem der Wiener Jugendgerichtshilfe öffentliche

Mittel zugesprochen wurden, doch die Umsetzung des Gesetzes erwies sich auf Grund der

wirtschaftlich angespannten Situation in der ersten Republik als schwierig. Ein kleiner Teil der

Ausgaben der Wiener Jugendgerichtshilfe wurde durch private Spenden und Zuwendungen

gedeckt, der Großteil der verrichteten Arbeit wurde allerdings ehrenamtlich, und somit

unentgeltlich, betrieben (vgl. Kufner-Eger 2018: 49). Sehr gut zeigt sich dieses ehrenamtliche

Engagement, wenn man sich die Mitarbeiter*innenzahl der Wiener Jugendgerichtshilfe im

Zeitraum zwischen 1917 und 1936 ansieht. Zum Zeitpunkt der Gründung 1917 war neben

Grete Löhr nur eine weitere Mitarbeiterin bei der Wiener Jugendgerichtshilfe angestellt. Mit

dem Vollzug des Jugendgerichtsgesetzes von 1920 stieg die Anzahl der Mitarbeiterinnen auf

10. Im Jahr 1925 waren es bereits 18 Mitarbeiter*innen. Von da an schwankte die Zahl der

Mitarbeiter*innen häufig, wobei die größte Mitarbeiter*innenzahl mit 24 im Jahre 1936 erreicht

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6

wurde. Diese bei der Wiener Jugendgerichtshilfe angestellten Personen waren über den Bund

als Bundesbeamt*innen angestellt. Die von der Jugendgerichtshilfe mit der Durchführung der

Schutzaufsicht beauftragten Vereine waren ihrerseits für die Bezahlung der bei ihnen

angestellten Schutzaufsichtsbeamt*innen selbst verantwortlich (vgl. ebd.: 54f). Im Kontext der

Nachwehen des Ersten Weltkriegs, in welcher die Erste Republik entstanden ist – einer Zeit,

die von wirtschaftlicher Not geprägt war – erklärt sich somit sehr gut, warum ehrenamtliches

Engagement für die durch Spenden und sehr knappe öffentliche Mittel finanzierte

Schutzaufsichtslandschaft für die Umsetzung der Schutzaufsichtsagenden von großer

Bedeutung war. Nochmals herausgestrichen wird dieser Punkt, wenn man die statistischen

Zahlen der bearbeiteten Schutzaufsichtsfälle betrachtet. So wurden im Zeitraum zwischen

1919 und 1935 insgesamt 69.640 Personen im Rahmen der Schutzaufsicht oder ähnlicher

Tätigkeiten betreut (vgl. ebd.: 55f). Ohne ehrenamtliche Schutzaufsichtsbeamt*innen und

ehrenamtliche Helfer*innen in den verschiedenen Wiener Jugendschutz- und

Wohlfahrtsvereinen wäre eine Bearbeitung solcher Fallzahlen ausschließlich durch

festangestellte Schutzaufsichtsbeamt*innen, unmöglich gewesen. Im fachlichen Diskurs der

damaligen Zeit wurde der Weg einer zentral gesteuerten und voll verstaatlichten

Schutzaufsicht befürwortet und angestrebt. Ein Gedanke, der sich auch in der späteren

Entwicklungsgeschichte der Bewährungshilfe wiederfindet. Teil dieses Diskurses war Grete

Löhr, welche über die Jahre ihrer Jugendgerichtstätigkeiten hinweg für eine stete, strukturelle

und vor allem methodische Weiterentwicklung und Professionalisierung der Schutzaufsicht

gesorgt hat. U.a. in Form der von ihr verfassten Praxishandbücher, in welchen sie, begeistert

durch die psychoanalytisch geprägten Interventionsansätze August Aichhorns, die

methodischen Grundlagen der heutigen Bewährungshilfe mitformte. In ihrer Arbeit im Wiener

Settlement lernte sie über ihre Arbeitskollegin Else Federn deren Mann Paul Federn kennen,

der als geistiger Ziehvater August Aichhorns gilt. Über diese Arbeitsbeziehung kam sie mit

August Aichhorn in Kontakt, dessen für sie bahnbrechende Ansätze im Umgang mit

verwahrlosten bzw. delinquenten Jugendlichen und weitreichende Überlegungen hinsichtlich

der Ursache bzw. Begründung dieser sie überzeugten und ihr methodisches Schaffen fortan

beeinflussen sollte. So teilte sie bspw. Aichhorns Ansicht, wonach psychoanalytische

Methoden die Grundlage jeder erzieherischen Fürsorgetätigkeit darstellen und dem/der

Erzieher*in als Hilfsmittel dienen, „die Wege finden zu lassen, auf denen der Dissoziale dazu

gebracht werden kann, sich selbst wieder in die Gesellschaft einzureihen“, ähnlich dem

heutigen Konzept der „Hilfe zur Selbsthilfe“ (vgl. ebd.: 40f). Des Weiteren beschreibt Aichhorn,

dass die Beziehungsarbeit als das Kernelement eines (therapeutischen) Einwirkens auf den

Jugendlichen angesehen werden muss (vgl. Kufner-Eger 2018: 40f). Speziell in Hinblick auf

die Schutzaufsicht übernahm Grete Löhr diese Methoden und formulierte sie wie folgt in ihrem

1921 erschienen ersten Praxishandbuch der Jugendgerichtshilfe:

Page 108: Eberle Sophia, Eller Natalie, Gaisebner Annika, Hammer Laura … · 2020-02-26 · halb auch im Deutschen der Originalbegriff verwendet wird (vgl. Auernhammer 2015: 55). Mit ein Grund

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„Die Schutzaufsicht und die Erziehungshilfe sind die allerwichtigsten Aufgaben der Jugendgerichtshilfe.

Der Helfer hat in ein enges persönliches Verhältnis zu seinem Schützling zu treten, in steter Berührung

mit ihm und einen erzieherischen Einfluß auf ihn auszuüben, um ihn vor Rückfall und überhaupt weiteren

Störungen seiner Entwicklung zu bewahren. […] Der Helfer schaffe sich ein Vertrauensverhältnis zu

seinem Schützling und dessen Familie“ (zit. n. Grete Löhr 1921 In: Kufner-Eger 2018: 41)

Diese grundlegenden Überlegungen zur Arbeit mit delinquenten Jugendlichen im Rahmen

eines Zwangskontextes, wie ihn die Bewährungshilfe darstellt, gelten auch heute noch. So

beschreibt etwa Hermann Giesecke, dass in Erziehungsprozessen die Herstellung einer

partnerschaftlichen Beziehung anzustreben ist (vgl. Hermann Giesecke 2000: 112 ff), bzw.

erklärt Andreas Flitner in seinen „Grundformen pädagogischen Handelns“, dass es dem

Pädagogen obliegt, beim Jugendlichen sowohl für eine „Unterstützung einer eigentümlich-

individuellen, als auch einer sozialen Entwicklung“ zu sorgen (vgl. Gabriele Kawamura-Reindl,

Sabine Schneider 2015: 213). Auch die Stigmatisierungseffekte Sozialer Arbeit wurden bereits

durch Grete Löhr aufgezeigt und sie verwies, ebenfalls in einem der von ihr verfassten

Praxishandbücher, darauf, dass dieser Faktor in der Ausübung der Schutzaufsicht

mitzudenken sei (vgl. Kufner-Eger 2018: 42). Dies zeigt, dass Grete Löhr schon 1921 nach

ähnlichen methodischen Überlegungen und Kriterien agierte, wie es die heutige Soziale Arbeit

im Handlungsfeld der Straffälligenhilfe praktiziert. Allerdings kritisierte Löhr damals den oftmals

großen Mangel an fachlichen Standards im Rahmen der Durchführung der Schutzaufsicht,

speziell mit Blick auf die zur Anwendung kommende Methodik ehrenamtlicher

Schutzaufsichtsbeamt*innen, welche sie in Form von Negativberichten in ihre

Praxishandbücher übernahm (vgl. ebd.: 42f). Ebenfalls deutlich wird ihre

Professionalisierungs- bzw. Verberuflichungsarbeit im Kontext der österreichischen

Straffälligenhilfe an Hand der von ihr miteingeführten Qualifikationsstandards für

Bundesbeamt*innen der Wiener Jugendgerichtshilfe, in welchen die Absolvierung der „Arlt

Schule“ als Pflicht vorgegeben wurde, damit ein fundiertes methodisches Fachwissen

vorausgesetzt werden konnte. Ebenso führte sie regelmäßig stattfindende Fortbildungskurse

für Schutzaufsichtsbeamt*innen und Vernetzungstreffen zwischen ebendiesen ein, um einen

fachlichen Austausch zu gewährleisten (vgl. ebd.: 53). Somit ist eine methodische

Verbindungslinie zwischen Schutzaufsichtspraktiken der Ersten Republik und der heutigen,

modernen Bewährungshilfe erkennbar, womit man sagen kann, dass seit dem Jahr 1917, dem

Gründungsjahr der Wiener Jugendgerichtshilfe, sowohl eine durchgehende Struktur-, als auch

eine durchgehende Methodengeschichte der österreichischen Bewährungshilfe besteht (vgl.

ebd.: 60). Auch wenn die realpolitische Auslegung der Schutzaufsicht im Vergleich zur

heutigen Bewährungshilfe der Kontrolle näher stand als der Hilfe und nicht über ein so breites

Spektrum an Unterstützungsangeboten und sozialarbeiterischen Methoden verfügte, so wurde

Page 109: Eberle Sophia, Eller Natalie, Gaisebner Annika, Hammer Laura … · 2020-02-26 · halb auch im Deutschen der Originalbegriff verwendet wird (vgl. Auernhammer 2015: 55). Mit ein Grund

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retrospektiv, selbst an heutigen sozialarbeiterischen Maßstäben gemessen, doch eine

wichtige Arbeit geleistet und viel wertvolle Grundlagenarbeit betrieben.

2.3 Der Zeitraum von 1936 bis 1947

Die Jahre des Austro-Faschismus bzw. des Nationalsozialismus in Österreich und die fachlich-

methodische bzw. strukturelle Geschichte der Schutzaufsicht/Bewährungshilfe ist aus

wissenschaftlicher Sicht wenig bis gar nicht erforscht und kann deshalb im Rahmen dieser

Arbeit nicht berücksichtigt werden. Über die Zeitspanne der alliierten Besatzung von 1945 –

1955 kann nur gesagt werden, dass aus fachlich-methodischer Sicht fast keine

Weiterentwicklung erkennbar sind (vgl. Kufner-Eger 2018: 24f).

2.4 Von der Schutzaufsicht zur heutigen Bewährungshilfe

Im Jahr 1947 wurde offiziell verkündet, dass die Wiener Jugendgerichtshilfe, bis dahin ein

privater Verein, verstaatlicht werden sollte. Parallel dazu wurde der private „Verein der

Freunde der Wiener Jugendgerichtshilfe“ (wieder-)gegründet, welcher als direkte

Partnerorganisation der Wiener Jugendgerichtshilfe dieser zuarbeiten sollte, speziell im

Rahmen der Schutzaufsichten (vgl. ebd.: 57f). Auf Grund der sehr knappen finanziellen Mittel

nach dem 2.Weltkrieg musste, ähnlich den Umständen in der Ersten Republik, trotz der

geringen Ressourcen eine adäquate Versorgung der Jugendlichen im Rahmen der

Schutzaufsicht sichergestellt werden. Dabei wurde, wie bereits vor dem Krieg, stark auf

ehrenamtliche Unterstützung gesetzt. So schrieb etwa Marie Michalski, die stellvertretende

Präsidentin des „Vereins der Freunde der Wiener Jugendgerichtshilfe“, im Rahmen einer

Generalversammlung des Vereins:

„[…] Die Durchführung der Schutzaufsichten der bei der Jugendgerichthilfe anhängigen gefährdeten

Jugend, kann oft wegen Geldknappheit der Wiener Jugendgerichtshilfe nicht oder nur knapp erfüllt

werden. Es bedarf der Mithilfe aller warmfühlenden Menschen die Jugend vor weiterem

Niedergang zu bewahren!“ (vgl. ebd.: 58)

Auch die gesetzlichen Grundlagen, auf denen die Schutzaufsicht von 1947 an fundierte,

wurden größtenteils aus der Ersten Republik übernommen. Erst die gesetzliche

Implementierung der Bewährungshilfe als vorzugsweise Alternative zum Freiheitsentzug im

Jugendgerichtsgesetz (JGG) von 1961 wirkte als Geburtsstunde der Bewährungshilfe unter

diesem Namen und somit auch als Startschuss einer Aufbau-, Ausbau- &

Weiterentwicklungsphase der Bewährungshilfepraxis in Österreich. Zu dieser Zeit, genauer im

Jahr 1957, wurde auch die „Arbeitsgemeinschaft Bewährungshilfe“ gegründet und unter der

Leitung von Dr. Sepp Schindler mit der Betreuung von straffällig gewordenen Jugendlichen

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auf Basis der Gesetze von 1920 begonnen (vgl. Verein NEUSTART – Geschichte). Noch im

selben Jahr ging die „Arbeitsgemeinschaft Bewährungshilfe“ in den „Verein für soziale

Jugendarbeit“, vormals bekannt als „Verein der Freunde der Wiener Jugendgerichtshilfe“,

über. Mit der Beauftragung der (mit Ausnahme der Steiermark) bundesweiten Bewährungshilfe

des „Verein für soziale Jugendarbeit“ durch den Staat im Jahr 1964 erfolgte die Umbenennung

in „Verein für Bewährungshilfe und Soziale Jugendarbeit“ (vgl. Verein NEUSTART –

Geschichte). Ziel der Anfangsjahre der Bewährungshilfe war es, ein Übergangsmodell auf die

Beine zu stellen, welches interimistisch bis zur Schaffung eines bundesweiten

Bewährungshilfegesetz und der geplanten Gesamtverstaatlichung der Bewährungshilfe eine

operative Durchführung der Bewährungshilfearbeit gewährleisten sollte. In diesem Rahmen

wurde die Bewährungshilfearbeit in Österreich durch private Trägerorganisationen

übernommen, welche dabei fast ausschließlich auf ehrenamtliche Mitarbeiter*innen

zurückgriffen (vgl. Kufner-Eger 2018: 62). Mittelfristig war eine Verstaatlichung der

Bewährungshilfe und somit eine Übernahme der Bewährungshilfelandschaft in die

Justizverwaltung vorgesehen bzw. angedacht. So schreibt etwa Herbert Leirer 1991

retrospektiv über diese Phase:

„Von Anfang an bestand die Einigkeit darüber, daß die private, von Vereinen getragene Durchführung

der Bewährungshilfe nur für eine relativ kurzen Zeitraum des organisatorischen und fachlichen

Ausbaues der Bewährungshilfe stattfinden sollte; später sollte die Bewährungshilfe von der

Justizverwaltung übernommen und von dieser geführt werden. Dementsprechend wurden auch für die

Bewährungshilfe abgestellte Justizbeamte zu Sozialarbeitern ausgebildet und die

Finanzierungsverwaltung des Vereins weitgehend nach bundeshaushaltsrechtlichen Vorschriften

ausgestaltet. Die Vereinsadministration insgesamt wurde an den Verwaltungsvollzügen des Bundes

orientiert und auch die Geschäftsstelle für Bewährungshilfe des Vereins vom Bund übernommen und

angemietet“ (zit. n. Kufner-Eger 2018: 62ff)

Ein ähnliches Bild zeigt sich auch in den Formulierungen des im Jahre 1969 erlassenen

Bewährungshilfegesetzes (BewHG), welches als Organisations- und Durchführungsgesetz

eine staatliche, in der Justiz integrierte Bewährungshilfe vorsah. Dem Gesetz zufolge war eine

zehnjährige Institutionalisierungs- und Konstituierungsphase der Bewährungshilfe bis

31.12.1978 vorgesehen. Während dieser Zeit sollte die Durchführung der Bewährungshilfe auf

befristeter Basis an private Träger (Anm.: an den Verein „Rettet das Kind“ in der Steiermark &

den „Verein für Bewährungshilfe und Soziale Jugendarbeit“ im restlichen Bundesgebiet)

ausgelagert werden (vgl. ebd.: 63 bzw. Verein NEUSTART - Geschichte). Der „Verein für

Bewährungshilfe und soziale Jugendarbeit“ hatte seit 1964 damit begonnen, eine

flächendeckende und bundesweite Bewährungshilfearbeit in Form neuer Geschäftsstellen

sicher zu stellen. Das BewHG von 1969 forcierte dabei diesen strukturellen Ausbau, welcher

mit der Eröffnung der Geschäftsstelle des Vereins in Ried in der Mitte der 70er Jahre und somit

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der Erfüllung der gesetzlichen Vorgaben bzgl. der Struktur der Bewährungshilfe ihren

(vorläufigen) Abschluss fand (vgl. Verein NEUSTART – Geschichte). Ebenso musste der

Verein sich mit neuen Arbeitsgebieten auseinander setzen, da in den kriminalpolitischen und

sozialpolitischen Überlegungen, welche schon zum 1969 in Kraft getretenen BewHG geführt

hatten, eine Ausweitung der Bewährungshilfe auf Erwachsene im Allgemeinen angedacht

wurde. Den Resozialisierungs- und Präventionsrationalitäten der Bewährungshilfe folgend

wurde des Weiteren in den 1970ern den Notwendigkeiten Rechnung getragen, sich auch um

jene Personen zu kümmern, welche aus dem Gefängnis wieder zurück in die Gesellschaft

eingegliedert werden sollten, weshalb die Etablierung des Arbeitsbereichs

„Haftentlassenenhilfe“ erfolgte (vgl. Kufner-Eger 2018: 63). Schon seit Ende den 60er Jahren

betrieb der Verein zwei Bewährungshilfeheime, welche im Kontrast zur sonstigen, auf

tiefenpsychologische Einzelfallhilfe ausgerichtete (vgl. ebd.: 63) Methodik der

Bewährungshilfe auch soziale Gruppenarbeit einsetzte (vgl. Verein NEUSTART –

Geschichte), welche bis heute als Methode in der Sozialen Arbeit Anwendung findet (vgl.

Galuske 2013: 92ff). Dadurch kam es zu einer methodischen und fachlichen Diversifizierung

des sozialarbeiterischen Handlungsfelds der Straffälligenhilfe in Österreich, wobei die

Bewährungshilfetätigkeit nach wie vor den größten Arbeitsbereich des Vereins darstellte (vgl.

Kufner-Eger 2018: 63f). 1975 erfolgte eine große Strafrechtsreform, welche die Möglichkeit

der Anordnung von Bewährungshilfe für Erwachsene im österreichischen Strafrecht

verankerte (vgl. Verein NEUSTART – Geschichte). Sich dem Ende der zehnjährigen

Übergangsfrist zur Verstaatlichung der Bewährungshilfe nähernd, kam es aus den

unterschiedlichsten Gründen zu einer zwei jährigen Fristerstreckung bis 1980. Der bis dahin

geltende Konsens zwischen dem „Verein für Bewährungshilfe und Soziale Arbeit“ (VBSA) und

dem Bundesministerium für Justiz (BMJ), dass die Zukunft der Bewährungshilfe in einer

Verstaatlichung liegt, wurde seitens der Vereinsakteur*innen angezweifelt, da aus fachlich-

methodischer Sicht der Bewährungshilfe innerhalb des Vereinsrahmens ein größerer

Handlungsspielraum zugetraut wurde, als es eingebettet in den Justizapparat möglich

gewesen wäre (vgl. Kufner-Eger 2018: 64). 1980 setzte sich offiziell die „Vereinslösung“ durch,

indem es zu einer Novellierung des Bewährungshilfegesetzes kam, in welchem eine

unbefristete Übertragung der Bewährungshilfe an einen privaten Träger gesetzlich

implementiert wurde. Allerdings wurden dem BMJ dafür weitreichende Kontroll- und

Einflussmöglichkeiten innerhalb des Vereins zugestanden und die Vereinsstrukturen mussten

nach Bundesverwaltungsstandards abgeändert werden (vgl. ebd.: 64f). In den 80er Jahren

folgte nach einem Modellversuch des Außergerichtlichen Tatausgleichs (ATA) bei

Jugendlichen (vgl. ebd.: 72f) die Einführung dieser im Rahmen der Reform des

Jugendgerichtsgesetz 1988 bzw. des Diversionsgesetzes im Jahre 2000 (vgl. Verein

NEUSTART – Geschichte).

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Die 1980er Jahre waren durch wesentliche gesellschaftliche Veränderungen gekennzeichnet,

die Öl- und Wirtschaftskrise verschärften die finanzielle Gesamtlage. So führte der

Rechnungshofbericht 1983 zu einer Kritik an der Vereinslösung im Lichte der fortschreitenden

Privatisierung und Auslagerung staatlicher Institutionen (vgl. Kufner-Eger 2018: 72f).

Der Adaptionsprozess schlug sich schließlich in der Statutenreform per Beschluss der

Generalversammlung am 15.04.1988 nieder. Es war die Abkehr vom bisherigen

basisdemokratisch-organisierten Vereinsmodell hin zu einem Geschäftsführungskonzept; die

Geschäftsführung – als Vorgesetzte der Fachbereichsleiter, Sachbearbeiter und Referenten –

als allein dem Vorstand verantwortlich ersetzte das Kollegialorgan des Generalsekretärs und

der Referenten (vgl. ebd.: 73f). Der institutionellen Zentralisierung wurde in der Form des

Geschäftsführungskonzepts (GFK) 1989 eine Regionalisierung der Tätigkeit

gegenübergestellt. In Zusammenschau war dies der organisatorische Paradigmenwechsel

und in weiterer Folge die Grundlage für die folgenden Entwicklungsschritte, die schließlich im

Generalvertrag 1994 mündeten, welcher den „Verein für Bewährungshilfe und Soziale Arbeit“

(VBSA) als (monopolistische) Trägerorganisation der Straffälligenhilfe festlegte und die

vertraglichen Konditionen zwischen dem BMJ und dem Verein diesbzgl. regelte (vgl. ebd.:

75ff).

Eine der wichtigsten Zwischenstationen dieses begonnen Transformationsprozesses war die

Entwicklung des „Leitbildes“ 1989, um einerseits intern die Mitarbeiter*innen unter einem

gemeinsamen Ziel zu vereinigen und andererseits, nach außen hin, die rechts-, sozial- und

kriminalpolitische Position des Vereins öffentlich darstellen zu können (vgl. ebd.: 78ff). Folglich

sollte durch die hierarchische (Um-)Strukturierung eine Stärkung des politischen Auftretens

gegenüber dem BMJ erwirkt werden, insbesondere da eine der (stets) geforderten

Grundbedingungen seitens des Ministeriums zur endgültigen Privatisierung somit erfüllt

wurde: die Entflechtung von Angestellten und (entscheidungsbeteiligten) Vereinsmitgliedern

(vgl. ebd.: 81f). Weiters markiert diese Entwicklung eine fundamentale Wende in der

österreichischen Bewährungshilfe in Hinsicht auf das resultierende Projekt „Bwh-Neu“, dass

in Form mehrerer Arbeitsgruppen aus Beamten des BMJs und des VBSA am 12.03.1991

seinen Anfang nahm (vgl. ebd.: 89ff). Ziel des Projekts war dabei eine Generalsanierung des

Bewährungshilfegesetzes bzw. eine Überprüfung der Arbeitsabläufe auf methodischer und

organisatorischer Ebene auf Basis der mittlerweile erworbenen Erfahrungen im Rahmen der

Durchführung der Bewährungshilfe unter dem Leitmotiv „Helfen statt Strafen“. Im Kontext

eines sich in den 90er Jahren verschärfenden Sicherheitsdiskurses, sowohl auf

gesellschaftlicher als auch auf politischer Ebene, sahen sich die Straffälligenarbeit im

Allgemeinen und die Bewährungshilfe im Speziellen, und damit der VBSA, mit einer

gestiegenen Notwendigkeit der Legitimation konfrontiert (vgl. ebd.: 113). Auf diese

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vollkommen neuen Legitimationsanforderungen und die aufkommenden marktwirtschaftlichen

Rationalitäten im Sozialbereich, mit denen sich auch der VBSA als privater Anbieter einer

Dienstleistung auseinandersetzen musste, wurde zwischen Mitte und Ende der 1990er Jahre

vereinsintern mit dem Versuch reagiert, den Verein als wirkungsorientierte

Dienstleistungsorganisation zu etablieren (vgl. ebd.: 113ff). Mittels sogenannter „Neuer

Steuerung“ bzw. „Prozess- und Qualitätsmanagement“ und der damit verbundenen Suche

nach Einsparungs- bzw. Rationalisierungspotenzial sollte der Verein wirtschaftlich langfristig

abgesichert werden, auch wenn der Einzug marktwirtschaftlicher Logiken als praxis-

schädigend vorausgesagt wurde (vgl. ebd.: 115f). Herbert Leirer, der damalige

Geschäftsführer, konstatierte etwa:

„Das Tun als Leistung definieren. Für die Mittelaufbringung ist die Leistung entscheidend […]. Wir

bewegen uns auf einem Markt! Wir müssen attraktiv sein. Corporate Identity, Logo, Erscheinungsbild

usf. sind wichtiger geworden.“ (zit. n. Kufner-Eger 2018: 114).

2002 folgte, u.a. auch aus diesen Gründen, innerhalb einer Organisationsreform eine

Umbenennung in „Verein NEUSTART“, um einerseits den vom 1997 überarbeiteten Leitbild

(vgl. Verein NEUSTART – Leitbild) getragenen Werten und Anschauungen des Vereins nach

außen hin Rechnung zu tragen, und andererseits, da der alte Name dem mittlerweile stark

angewachsenen Spektrum an erbrachten Leistungen (BWH, HEH, VGL, ATA) nicht mehr

gerecht wurde (vgl. Verein NEUSTART – Geschichte).

Diesen Legitimationserfordernissen folgte auch der methodische Diskurs, welcher sich an

einer Fokussierung auf effizienz- und evidenzbasierte Methoden abzeichnete. In der

Bewährungshilfe wurde diesbzgl. verstärkt auf risikoorientierte Methoden, wie z.B. das

Riskassessment, gesetzt, welche in der Übernahme bzw. dem Erwerb des von Klaus Mayer

entwickelten „Risikoorientierten Interventionsprogramms“ (RISK) mündeten. Hierfür wurde

vom Verein NEUSTART ein eigenes soziales Diagnosetool, das sogenannte Ressourcen-

Risiko-Inventar (RRI), entwickelt und 2010 eingeführt, mit welchem an Hand einer

Risikobewertung der einzelnen individuellen Ressourcen und Lebensumstände der

Klient*innen ein zu erwartender Betreuungsbedarf bzw. ein potenzielles Rückfallrisiko sichtbar

gemacht werden soll (vgl. Kufner-Eger 2018: 207f). Dabei wird im Rahmen der spezifischen

Einzelfallhilfe in der Bewährungshilfe nach wie vor die Beziehungsarbeit als Eckpfeiler

jeglicher Methodik angesehen und angewendet (vgl. ebd.: 217).

Aktuell bzw. als Ausblick kann somit abschließend gesagt werden, dass für die professionelle

österreichische Bewährungshilfe dasselbe gilt wie für die gesamte Soziale Arbeit, was durch

Jonathan Kufner-Eger wie folgt zusammengefasst wurde:

„Im Zuge einer umfassenden Ökonomisierung und eines stückweisen Umbaus des Wohlfahrtstaates

(vgl. Kessel 2013; Scherr 2014) sieht sie sich wachsenden Legitimationserfordernissen ausgesetzt,

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denen mit Effizienz- und Wirkungsnachweisen begegnet wird. Innerhalb der Sozialen Arbeit wird dabei

problematisiert, dass eine Orientierung an der Prämisse „What Counts is What Works“ jedoch

tendenziell nur um den Preis von Standardisierung zu haben sei und somit professionelles

Deutungswissen sukzessive durch managerialistische Steuerung ersetzt wird (vgl. AGJ 2007, Polutta

2010, Ziegler 2012). Dass damit generell Deprofessionalsierungstendenzen innerhalb der Sozialen

Arbeit befürchtet werden, scheint nachvollziehbar.“ (zit. n. Kufner-Eger 2018: 218).

3. Grundlagen der Bewährungshilfe in Österreich

Im nun folgenden Abschnitt wird angestrebt, einen Überblick über die gesetzlichen

Regelungen und arbeitsrechtlichen Bestimmungen der österreichischen Bewährungshilfe zu

vermitteln. Ziel ist es, besser verständlich und anschaulich zu machen, welche Anforderungen

von Seiten des Staates bzw. von Seiten der ausführenden Organisation der österreichischen

Bewährungshilfe, des Vereins Neustart, an haupt- und ehrenamtliche Bewährungshelfer*innen

gestellt werden und welche ideologischen bzw. methodischen Haltungen vorausgesetzt

werden. Des Weiteren wird auch der wirtschaftliche Aspekt beleuchtet, in dem die von großem

finanziellem Unterschied geprägte Bezahlung der ehrenamtlichen und hauptamtlichen

Bewährungshilfe aufgezeigt wird.

3.1 Gesetzliche Grundlage der Bewährungshilfe

In Österreich wird die Bewährungshilfe durch das Bewährungshilfegesetz (BewHG) geregelt.

Die grundlegenden Voraussetzungen, unter welchen Umständen es zu einer Anordnung von

Bewährungshilfe kommen kann bzw. kommen muss, sind im Strafgesetzbuch (StGB) und der

Strafprozessordnung (StPO) kodifiziert, wobei hierfür explizit die § 50 StGB und § 52 StGB

genannt werden müssen. So besagt etwa § 50 StGB:

(1) Wird einem Rechtsbrecher die Strafe oder die mit Freiheitsentziehung verbundene vorbeugende

Maßnahme bedingt nachgesehen oder wird er aus einer Freiheitsstrafe oder einer mit

Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme bedingt entlassen, so hat das Gericht ihm

Weisungen zu erteilen oder Bewährungshilfe anzuordnen, soweit das notwendig oder zweckmäßig ist,

um den Rechtsbrecher von weiteren mit Strafe bedrohten Handlungen abzuhalten. Dasselbe gilt, wenn

der Ausspruch der Strafe für eine Probezeit vorbehalten wird (§ 13 des Jugendgerichtsgesetzes 1988)

oder die Einleitung des Vollzuges einer Freiheitsstrafe, die wegen einer vor Vollendung des

einundzwanzigsten Lebensjahres begangenen Tat verhängt worden ist, nach § 6 Abs. 1 Z 2 lit. a des

Strafvollzugsgesetzes oder nach § 52 des Jugendgerichtsgesetzes 1988 für die Dauer von mehr als

drei Monaten aufgeschoben wird.

(2) Bewährungshilfe ist stets anzuordnen, wenn ein Verurteilter

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1. vor Verbüßung von zwei Dritteln einer Freiheitsstrafe (§ 46 Abs. 1),

2. aus einer Freiheitsstrafe wegen einer vor Vollendung des einundzwanzigsten Lebensjahres begangenen Tat,

2a. aus einer Freiheitsstrafe wegen einer strafbaren Handlung gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung,

3. aus einer mehr als fünfjährigen Freiheitsstrafe oder

4. aus lebenslanger Freiheitsstrafe

bedingt entlassen wird. In den Fällen der Z 1 bis 2 ist von der Anordnung der Bewährungshilfe nur

abzusehen, wenn nach der Art der Tat, der Person des Rechtsbrechers und seiner Entwicklung

angenommen werden kann, dass er auch ohne eine solche Anordnung keine weiteren strafbaren

Handlungen begehen werde. (§ 50 StGB).

Somit ist ersichtlich, dass Bewährungshilfe aus rechtlicher Sicht fallspezifisch von Seiten des

Gerichts eingesetzt werden kann, und manchmal, wie in Abs. 2 beschrieben, angeordnet

werden muss. Dies zeigt den mittlerweile und über die Jahre hart erarbeiteten hohen

Stellenwert sozialarbeiterischer Interventionsmöglichkeiten in der österreichischen Politik und

Justiz. Sinn und Zweck der Anordnung von Bewährungshilfe ist die Unterstützung von

delinquenten Personen mit dem Ziel eines zukünftig strafrechtlich rückfallfreien

Lebenswandels. Die rechtlichen Bestimmungen diesbezüglich finden sich in § 52 Abs. 1 StGB:

„[…] Der Bewährungshelfer hat sich mit Rat und Tat darum zu bemühen, dem Rechtsbrecher zu einer

Lebensführung und Einstellung zu verhelfen, die diesen in Zukunft von der Begehung mit Strafe

bedrohter Handlungen abzuhalten vermag. Soweit es dazu nötig ist, hat er ihn auf geeignete Weise bei

seinen Bemühungen zu unterstützen, wesentliche Lebensbedürfnisse zu decken, insbesondere

Unterkunft und Arbeit zu finden.“ (§ 52 Abs. 1 StGB)

3.2 Ziele & Rationalitäten der Bewährungshilfe

Aus Sicht des öffentlichen Sektors, in Form des Staates bzw. seiner Gesetze, gilt das oberste

Interesse der Wahrung des öffentlichen Friedens. Das österreichische Strafrecht versucht mit

einer punitiven und zugleich abschreckenden Wirkung, Straftaten im Allgemeinen zu

verhindern. Dieses Prinzip nennt sich negative Generalprävention. Diese generalpräventiven

Überlegungen fließen, mit einigen Ausnahmen, in die Urteilsfindung mit ein (vgl. Stefan Seiler

2016: 29). Dem gegenüber steht der spezialpräventive Gedanke, welchem auch ein sozialer

Impetus innewohnt (vgl. ebd. 2016: 28). Anhand dieser Spezialprävention findet sich die

(rechtliche) Legitimation einer sozialarbeiterischen Intervention in Form der

Straffälligenhilfe/Bewährungshilfe, in welcher dem Prinzip Rechnung getragen wird, dass

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„Strafe allein […] bekanntlich nicht schlau“ macht, und es eines „Erziehens“ bzw. eines

„Resozialisierens“ der delinquenten Person bedarf (vgl. Walter Kiehl 1996: 9).

Primäres Ziel der Bewährungshilfe ist, wie schon in § 52 Abs. 1 StGB beschrieben, „…dem

Rechtsbrecher zu einer Lebensführung und Einstellung zu verhelfen, die diesen in Zukunft von der

Begehung mit Strafe bedrohter Handlungen abzuhalten vermag. […]“. In diesem Passus sind die

sicherheits-politischen Rationalitäten einer (Rück-)Normierung delinquent gewordener

Menschen klar zu erkennen. Aber auch Überlegungen und Grundsätze der Sozialen Arbeit

sind, parallel dazu, im Gesetz ebenfalls § 52 Abs. 1 StGB festgehalten:

„[…] Soweit es dazu nötig ist, hat er ihn auf geeignete Weise bei seinen Bemühungen zu unterstützen,

wesentliche Lebensbedürfnisse zu decken, insbesondere Unterkunft und Arbeit zu finden. (§ 52 Abs.

1 StGB)

Dabei sind schon grundlegende Methoden der Sozialen Arbeit erkennbar, wie etwa die

Einzelfallhilfe (vgl. Michael Galuske 2013: 81ff), in der Bewährungshilfe mit dem

Grundgedanken der Resozialisierung in Form von Beziehungsarbeit, lebensweltorientierter

Sozialarbeit und Empowerment, und das Verständnis um die Verschränkung von

lebensweltlichen Bedingungen und Delinquenz, also weiterführend eine Art der Prävention

(vgl. ebd. 2013: 318 ff).

Hier wird aus methodischer Sicht mit dem von Klaus Mayer entwickelten „Risikoorientierten

Interventionsprogramm“ (RISK) gearbeitet, welches versucht, individuelle und

umweltspezifische Faktoren auf ihr potenzielles Rückfallrisiko hin zu kategorisieren und, in

weiterer Folge, die rückfallrisiko-relevanten Aspekte, Bereiche und/oder Einstellungen zu

bearbeiten (vgl. Kufner 2016: 284). Die Kritik an dieser Methodik besteht darin, dass sich

anhand der Anwendung einer risikoorientierten Methodik, wie sie das RISK darstellt, innerhalb

der Bewährungshilfe ein Paradigmenwechsel abzeichnen lässt, welcher verstärkt auf Kontrolle

setzt und in welchem den ökonomischen Rationalitäten verstärkt Folge geleistet wird (vgl.

Kawamura-Reindl, Schneider 2015: 182f).

3.3 Durchführung der Bewährungshilfe – Der Verein NEUSTART

Wie in Kapitel 2.4 schon beschrieben, nimmt der Verein NEUSTART in Österreich eine

Monopolstellung in Hinsicht auf die Bewährungshilfe ein. Auf Grund des Generalvertrags aus

dem Jahr 1994 ist der Verein NEUSTART (damals „Verein für Bewährungshilfe und Soziale

Arbeit“ – VBSA) bundesweit u.a. mit der Umsetzung der staatlichen Bewährungshilfeagenden

beauftragt. Österreichweit sind ca. 1500 haupt- und ehrenamtliche Bewährungshelfer*innen

angestellt und betreuen im Rahmen der gesetzlichen Bewährungshilfe ca. 41.000 Klient*innen

(vgl. Verein NEUSTART – Unser Verein).

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Darüber hinaus wird der Verein NEUSTART auch mit der Durchführung anderer Agenden der

Straffälligenhilfe von der Justiz beauftragt. Diese werden vereinsintern in Leistungsbereiche

unterteilt und umfassen u.a.:

- die Bewährungshilfe (BwH)

- die Haftentalssenenhilfe (HeH)

- den außergerichtlichen Tatausgleich (ATA)

- den elektronisch überwachten Hausarrest (EüH)

- die Vermittlung gemeinnütziger Leistungen (VgL)

- die Prozessbegleitung

Hinzu kommen noch weitere Angebote die der Verein NEUSTART eigenständig oder in

Kooperation mit anderen Einrichtungen anbietet, wie z.B.:

- das Anti-Gewalt-Training (AGT)

- Schulsozialarbeit

- Suchtpräventionsprogramme

(vgl. Verein NEUSTART – Unsere Angebote)

Der Verein engagiert sich auch auf sozial- und kriminalpolitischer Ebene, in dem er einerseits

durch Öffentlichkeitsarbeit an einem resozialiserungsfreundlichem Klima innerhalb der

Gesellschaft arbeitet bzw. auf rechtliche Missstände verweist, und andererseits durch eine

wissenschaftliche Begleitforschung durch das IRKS der vom Verein geleisteten Arbeit, um

dadurch , auf Basis wissenschaftlicher Maßstäbe, auf die Wirkung und Wichtigkeit der Arbeit

mit straffällig gewordenen Menschen hinweisen zu können, sowohl auf gesellschaftlicher

Ebene, als auch auf politischer (vgl. Verein NEUSTART – Unser Verein).

Dabei sieht der Ablauf der Bewährungshilfearbeit, in groben Zügen, wie folgt aus:

Über die Staatsanwaltschaft oder das Gericht wird der Verein NEUSTART mit der

Durchführung der Bewährungshilfe in einem Fall beauftragt. Es erfolgt eine schriftliche

Einladung an den/die Klient*in zu einem Ersterhebungsgespräch, in welchem die vorhandenen

Personaldaten (Meldeadresse, Telefonnummer, usw.) auf ihre Richtigkeit überprüft werden

und eine kurze Bestandsaufnahme risikorelevanter und lebensweltlicher Ressourcen erfolgt.

Durch diese erste Begutachtung wird, an Hand des Ressourcen-Risiko-Inventars (RRI) und

des Betreuungsstufenmodells, eine Einstufung der voraussichtlich zu erwartenden

Betreuungsintensität vorgenommen und überprüft, ob eine ehrenamtliche Vergabe möglich ist.

Nach der Ersterhebung wird durch den Dienststellenleiter bzw. das Gericht dem/der

Proband*in, je nach entsprechenden Fallkriterien, ein/e ehren- oder hauptamtliche

Bewährungshelfer*in zugewiesen. Es folgt eine schriftliche Einladung an den/die Klient*in zu

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einem Erstgespräch mit dem/der bestellten Bewährungshelfer*in. Hier erfolgt die eigentliche

Resozialisierungs- bzw. Wiedereingliederungsarbeit, indem mit dem/der

Delinquenten/Delinquentin an einer Verbesserung der lebensweltlichen Bedingungen und an

einem deliktfreien Handlungsrepertoire bzw. Umfeld des/der Klient*in gearbeitet wird. Die

Bewährungshilfe kann dabei auf drei Arten enden:

• mit dem fristbedingten Ende der angesetzten Bewährungshilfe

• im Idealfall mit der frühzeitigen Aufhebung der Bewährungshilfe

• und im schlechtesten Fall mit dem richterlichen Widerruf der Bewährungshilfe

Es muss dabei darauf hingewiesen werden, dass es keinen standardisierten und

prognostizierten Ablauf der Bewährungshilfearbeit per se gibt bzw. geben kann, da jeder Fall

andere Voraussetzungen und Bedingungen mit sich bringt und sich somit jeder Fall sowie die

notwendigen Handlungs- und Interventionsmöglichkeiten voneinander unterscheiden.

3.4 Hauptamtliche Bewährungshilfe

Als ursprünglich hundertprozentig ehrenamtliche Tätigkeit hat die Soziale Arbeit als lebendige

Sozialwissenschaft ebenso wie die Bewährungshilfe im Speziellen über die Jahre hinweg eine

Professionalisierung durchlebt. Den, aus heutiger Sicht, Zenit dieser Professionalisierung

bildet innerhalb der Bewährungshilfe der/die hauptamtliche Bewährungshelfer*in. Mit

methodischem Fachwissen und theoretischem Rüstzeug ausgestattet, welches während der

sozialarbeiterischen Ausbildung in Form eines Bachelorstudiums vermittelt wird, stellen diese

Personen die Expert*innen auf dem Gebiet der Resozialisierungs- und Bewährungshilfearbeit

dar.

3.4.1 Rechtliche Grundlagen und Voraussetzungen

Die gesetzlichen Voraussetzungen der hauptamtlich tätigen Bewährungshelfer*innen werden

in § 2 Bewährungshilfegesetz (BewHG) beschrieben:

(1) Für jede Dienststelle für Bewährungshilfe (§ 3) sind als hauptamtlich tätige Bewährungshelfer

geeignete Beamte der Verwendungsgruppen A und B oder Vertragsbedienstete des Bundes der

Entlohnungsgruppen a und b zu bestellen, die das 24. Lebensjahr, wenn sie aber ausnahmsweise aus

besonderen Gründen schon vorher zur Ausübung der Tätigkeit eines Bewährungshelfers geeignet

erscheinen, doch mindestens das 21. Lebensjahr vollendet haben.

(2) Als Bewährungshelfer können auch provisorische Beamte und Vertragsbedienstete des Bundes

bestellt werden, die sich in Ausbildung befinden.

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Als Dienststellen gelten dabei die Einrichtungen des Verein NEUSTART, welche in allen

Bundesländern vertreten sind.

Von Seiten des Verein NEUSTART werden wiederum folgende Qualifikationskriterien

vorausgesetzt:

• abgeschlossene Akademie für Sozialarbeit, Fachhochschule für Sozialarbeit oder

vergleichbare Ausbildung

• einschlägige Berufserfahrung

• Fähigkeit sowohl zu selbstständiger als auch zu teamorientierter Arbeitsweise

• gute EDV-Kenntnisse (Word, Excel)

• interkulturelle Kompetenz

(vgl. Verein NEUSTART – Jobs)

3.4.2 Arbeitsweisen/Methoden/Kriterien

Da hauptamtliche Bewährungshelfer*innen ausgebildete Professionist*innen der Sozialen

Arbeit sind, unterliegen sie folglich den geforderten fachlichen Standards der Profession. Sehr

gut umfasst wurden diese in dem im Jahr 2004 erschienenen Werk „Standards der

Bewährungshilfe“, in dem es heißt:

„Sozialarbeit in der Bewährungshilfe basiert auf der sozialen Einzelfallhilfe. Sie kann durch die Methode

der Gruppen- und Projektarbeit ergänzt werden. Die Arbeit ist klientenzentriert, lösungs- und

ressourcenorientiert. Das Hilfsangebot wird vom Grundsatz „Hilfe zur Selbsthilfe“ geleitet. Die

Probandinnen und Probanden sind nach Einschätzung der Voraussetzungen und individuellen

Fähigkeiten, Lebenslage und Zielsetzung zu selbständigem Handeln zu ermutigen und zu unterstützen.

Soziale Handlungskompetenz soll gestärkt und damit die Integration in die Gesellschaft gefördert

werden.“ (zit. nach Ute Theis et al. 2004: 7)

Aus methodischer Sicht muss ebenfalls herausgestrichen werden, dass Bewährungshilfe

einerseits Soziale Arbeit in einem Zwangskontext darstellt, ein Umstand, der in der Arbeit mit

Klient*innen sowohl aus fachlich-methodischer, als auch aus menschlicher Perspektive

mitgedacht werden muss (vgl. Patrick Zobrist, Dietrich Kähler 2017: 33f), und andererseits,

dass gerade im Rahmen der organisatorischen Struktur der österreichischen Bewährungshilfe

das sozialarbeiterische Doppel- bzw. Tripelmandat als hauptamtliche/r Bewährungshelfer*in

stets bedacht werden muss, da man dem Balanceakt von „Hilfe und Kontrolle“ unterliegt.

Eine besondere Stellung beim Verein NEUSTART nimmt die Beziehungsarbeit ein. Über die

professionelle Beziehung zum/zur Klient*in kann weiterführend der wichtigste Teil der

Bewährungshilfe absolviert werden, die Deliktverarbeitung, bei welcher sich der/die Klient*in

mit seinem/ihrem Delikt und den daraus resultierenden Folgen auseinandersetzt. Der

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Deliktverarbeitung wir Seitens des Vereins NEUSTART deshalb so eine große Bedeutung

beigemessen, da man der Ansicht ist, dass „wirkungsvolle Arbeit mit Täterinnen und Tätern der

beste Opferschutz ist.“ (vgl. Verein NEUSTART – Unser Verein). Diese Täter*innenarbeit wird

beim Verein NEUSTART nach dem „Risikoorientierten Interventionsprogramm“ (RISK) von

Klaus Mayer durchgeführt. Dabei werden umweltspezifische und individuelle Faktoren, welche

Auswirkung auf das Rückfallrisiko des/der Klient*in haben können, einer Risikobewertung

unterzogen und bei Bedarf, je nach fallspezifischer Situation, sozialarbeiterische

Interventionen gesetzt, um diese Risiken zu minimieren (vgl. Jonathan Kufner, Veronika

Reidinger 2016: 284).

3.4.3 Finanzieller Aspekt

Der allgemeine, laut Sozialwirtschaft Österreich (SWÖ) angegebene kollektivvertragliche

Mindestlohn eines/einer Bewährunghelfers/-helferin ergibt sich aus den Anforderungen bzw.

den Qualifikationen. Da man für den Beruf eine abgeschlossene Ausbildung der Sozialen

Arbeit (Sozialakademie, Fachhochschule, o.ä.) benötigt, muss man in der Bewährungshilfe

zumindest nach § 28 SWÖ-KV Verwendungsgruppe 8 bezahlt werden, was einem monatlichen

Entgelt in Höhe von 2.459,80€ (in der niedrigsten Gehaltsstufe) entspricht (vgl. SWÖ – KV

2018).

Aus Stellenangeboten des Vereins NEUSTART geht hervor, dass das kollektivvertragliche

monatliche Mindestgehalt für diese Stelle bei Vollzeitanstellung inklusive Erschwerniszulage

2.814,60 Euro brutto beträgt (vgl. Verein NEUSTART – Jobs).

3.5 Ehrenamtliche Bewährungshilfe

In Österreich sind ca. 950 ehrenamtliche Bewährungshelfer*innen im gesamten Bundesgebiet

tätig. Sie setzen sich dabei aus den unterschiedlichsten Professionen, Kulturen und sozialen

Schichten zusammen, wodurch alternative und multidisziplinäre Denkansätze und

Überlegungen in die Bewährungshilfearbeit miteinfließen (vgl. Verein NEUSTART –

Ehrenamt). Die individuellen, von ehrenamtlich tätigen Bewährungshelfer*innen

angewendeten Methoden und Arbeitsweisen unterscheiden sich vielfach, die Kriterien der

Aufnahme, die gesetzlichen Bestimmungen und die vom Verein von den ehrenamtlich Tätigen

geforderten Werte und Vorgehensweisen sind allerdings für alle dieselben und werden im

folgenden beschrieben.

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3.5.1 Rechtliche Grundlagen und Voraussetzungen

Die gesetzlichen Voraussetzungen ehrenamtlich tätiger Bewährungshelfer*innen sind in den

§§ 1 bzw. 12 Bewährungshilfegesetz (BewHG) festgelegt. Darin wird bspw. geregelt, welche

alters- und eignungsbedingten Voraussetzungen für ehrenamtliche Bewährungshelfer*innen

gelten, welche verwaltungstechnischen Verantwortungen für ein Ehrenamt bestehen und

welche Bestimmungen bzgl. der Aufwandsentschädigung der im Rahmen der Bewährungshilfe

geleisteten Arbeit der/des Ehrenamtlichen gelten (vgl. § 12 BewHG).

Darüber hinaus muss ein/e Bewerber*in auch folgende Kriterien des Vereins NEUSTART

erfüllen, welche dieser an die freiwilligen Helfer*innen stellt:

• Psychische Stabilität und stabile Lebensumstände

• Toleranz gegenüber gesellschaftlichen Randgruppen und fremden Kulturen

• Werthaltungen, die mit dem Leitbild von NEUSTART im Einklang stehen

• Fähigkeit zur Reflexion der persönlichen Motive und Handlungen

• Gute verbale und schriftliche Ausdrucksfähigkeit

• Verlässlichkeit und Sorgfalt

• Lernbereitschaft

• Bereitschaft, für mehr als drei Jahre die Betreuung von zwei bis fünf Klientinnen und

Klienten zu übernehmen

(vgl. Verein NEUSTART – Ehrenamt).

3.5.2 Arbeitsweisen/Methoden/Kriterien

In der Funktion als Bindeglied zwischen straffällig gewordenen Menschen und der

Gesellschaft, welche Bewährungshelfer*innen tagtäglich versuchen zu erfüllen, nehmen die

ehrenamtlichen Bewährungshelfer*innen eine besondere Stellung ein. Als Teil der

Gesellschaft obliegt es auch der Verantwortung der ehrenamtlich tätigen

Bewährungshelfer*innen, ein realistisches Bild der Kriminalität in die Gesellschaft (zurück) zu

tragen (vgl. Verein NEUSTART – Ehrenamt).

Rechtlich gesehen sind ehrenamtliche Bewährungshelfer*innen in der Ausübung ihrer

Tätigkeit, wie in § 19 Abs. 5 BewHG beschrieben, hauptamtlichen Bewährungshelfer*innen

sowohl in Rechten als auch in Pflichten gleichgestellt (vgl. Verein NEUSTART – Ehrenamt).

Somit sind ehrenamtliche Bewährungshelfer*innen laut Gesetz dazu verpflichtet, sämtlichen

fachlichen Standards Folge zu leisten, welchen hauptamtliche Bewährungshelfer*innen

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ebenfalls unterworfen sind. Folglich werden damit von ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen

sozialarbeiterische, professions-spezifische Fachkenntnisse vorausgesetzt, welche in Form

von Schulungen und Modulen vom Verein NEUSTART angeboten werden. Damit stellen die

(in Kapitel 3.4.2 beschriebenen) Arbeitsweisen und methodischen Grundlagen auch für

ehrenamtliche Bewährungshelfer*innen die arbeitsspezifischen und methodischen Kriterien

der Bewährungshilfearbeit dar.

Allerdings werden von Seiten des Vereins NEUSTART nicht alle Fälle an ehrenamtliche

Bewährungshelfer*innen vergeben. Anhand einer hauptamtlich durchgeführten Überprüfung

der zu erwartenden Betreuungsintensität und der fachspezifisch notwendigen

sozialarbeiterischen Betreuung und Unterstützung eines Falles wird festgelegt, ob eine

ehrenamtliche Vergabe möglich ist. Dies hängt auch von der vorliegenden Straftat ab, da z.B.

Sexualstraftäter*innen nicht für eine ehrenamtliche Betreuung in Frage kommen. Die genauen

Vergabekriterien obliegen dabei dem Verein NEUSTART.

3.5.3 Finanzieller Aspekt

Die Aufwandsentschädigung für ehrenamtlich tätige Bewährungshelfer*innen, wie es in § 12

Abs. 4 BewHG festgeschrieben ist, beträgt pro zu betreuendem/r Klient*in 64€ und ist

steuerfrei. Bei maximaler Auslastung von fünf zu betreuenden Klient*innen beträgt die

Aufwandsentschädigung somit maximal 320€ pro Monat (vgl. Verein NEUSTART – Ehrenamt).

4. Vor- und Nachteile haupt- & ehrenamtlicher Bewährungshilfe

Mit dem in Kapitel 2 und 3 dieser Arbeit aufgezeigten Hintergrundwissen ausgestattet, werden

in diesem Abschnitt der Arbeit die positiven, aber auch die negativen Aspekte ehrenamtlicher

Bewährungshilfetätigkeiten kritisch betrachtet. Anhand verschiedener sozialarbeiterischer,

wirtschaftlicher sowie demokratie-politischer und zivilgesellschaftlicher Überlegungen wird

veranschaulichet, welchen Rationalitäten die Bewährungshilfearbeit in Österreich unterliegt

und welche (teilweise) weitreichende Auswirkung ehrenamtliche Tätigkeit in der

österreichischen Bewährungshilfe auf die zu betreuenden Klient*innen, aber auch auf die

österreichische Gesellschaft und sich selbst hat bzw. haben kann.

4.1 Grundsätzliche Überlegungen

Sich mit dem Thema von Vor- und Nachteilen ehrenamtlicher Tätigkeiten innerhalb des

sozialarbeiterischen Handlungsfeldes der Bewährungshilfe befassend, muss man sich die

Frage stellen, aus welcher Perspektive man sich diesen Überlegungen nähert. Was für Vorteile

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entstehen durch ehrenamtliche Bewährungshilfearbeit und auf wen wirken sie sich wie aus?

Das gleiche gilt für die Nachteile, welche durch ehrenamtliches Engagement entstehen bzw.

entstehen können. Wie schon in Kapitel 2.2 an Hand eines historischen Rückblicks teilweise

beschrieben, wirkt sich ehrenamtliche Beteiligung im Rahmen der Bewährungshilfe (damals

Schutzaufsicht) auf viele Ebenen dieser Resozialisierungsarbeit aus. Sei es die ökonomisch-

wirtschaftliche Ebene, auf welcher schon in der Ersten Republik erkennbar war, dass es wegen

begrenzter Mittel eines ehrenamtlichen Engagements zum Schutz der Jugend vor der

Verwahrlosung und folglich zur notwendigen Durchführung der Schutzaufsichten bedarf (vgl.

Kufner-Eger 2018: 55), oder auf der fachlichen Ebene, auf welcher Grete Löhr, mit Verweisen

auf Negativbeispiele in ihren “Praxishandbüchern der Jugendgerichtshilfe”, für eine

Professionalisierung der Schutzaufsicht/Bewährungshilfe eintrat, indem sie auf die

Notwendigkeit fachlicher Standards im Rahmen dieser Arbeit verwies (vgl. Kufner 2012: 100ff).

Heutzutage, knapp 100 Jahre nach dem Wirken von Grete Löhr, in einer Zeit mit anderen

Umweltanforderungen und mit einer mittlerweile langen und wissenschaftlich-fachlich

fundierten Methodengeschichte im Kontext der Straffälligenhilfe ausgestattet (vgl. Kufner,

Reidinger 2016: 280ff), muss sich die Profession der Sozialen Arbeit im Allgemeinen, und die

Straffälligenhilfe als Handlungsfeld im speziellen, anderen Anforderungen und neuen

Herausforderungen stellen. Diesen Bedingungen wird seitens des Vereins NEUSTART mit

innovativen und neuen sowie auch altbewährten Mitteln begegnet, welche auch eine

Wechselwirkung mit dem Ehrenamt und seiner Funktions- und Wirkungsweise haben. In

Betrachtung des fachlichen Diskurs des modernen Ehrenamts im Allgemeinen, aber auch der

ehrenamtlichen Bewährungshilfe im Speziellen (vgl. Christoph Badelt 2000, Günter Rieger

2005, Gerd Nutz 2011, Eduard Matt 2016), lassen sich folgende Themenbereiche eingrenzen,

welche fortführend in diesem Kapitel überblicksmäßig bearbeitet werden:

• Welche Vorteile hat ehrenamtliche Bewährungshilfearbeit für Klient*innen bzw. die

professionelle, hauptamtliche Bewährungshilfe?

• Welche Vorteile bzw. welchen Nutzen hat die (Zivil-)Gesellschaft bzw. die Politik aus

einem ehrenamtlichen Engagement im Allgemeinen, und der ehrenamtlichen

Bewährungshilfe im Speziellen?

• Welche Vorteile bringt ein ehrenamtliches Engagement für den/die Ehrenamtliche/n

selbst? Was bringt Menschen dazu, sich ehrenamtlich zu betätigen?

Als zentrale und gleichwohl wichtigste Frage stellt sich dabei, welche Vorteile eine

ehrenamtliche Bewährungshilfe für die eigentlichen Adressat*innen der Sozialen Arbeit im

Handlungsfeld der Straffälligenhilfe, genauer der Bewährungshilfe, hat, also für die

Klient*innen bzw. Proband*innen selbst. Dadurch ergeben sich weitere Fragen, wie z.B.

welchen Rationalitäten die organisatorische bzw. institutionelle Verwendung und Einbettung

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des Ehrenamts seitens der Politik bzw. seitens des Vereins NEUSTART folgt, und welche

Auswirkung ein ehrenamtliches Engagement als „Laienarbeit“ bzw. „Gratisarbeit“ (vgl. Badelt

2000: 4) auf die Soziale Arbeit als Profession und die Sozialarbeiter*innen als

Professionist*innen hat (vgl. Kawamura-Reindl 2015 bzw. Günter Rieger 2005).

4.2 Vorteile ehrenamtlicher Bewährungshilfe aus Sicht der Klient*innen bzw. der

professionellen Sozialarbeit

Wie in Kapitel 2 bis Kapitel 2.2 dargestellt, ging dem professionellen Handeln heutiger Sozialer

Arbeit im Rahmen der Bewährungshilfe ein bürgerliches Freiwilligenengagement bzw. eine

ehrenamtliche Tätigkeit voraus. Erst durch die Professionalisierungsbestrebungen der

Pionier*innen der Sozialen Arbeit und die daraus resultierenden Gründungen der ersten

Fürsorger*innenschulen wie etwa der „Alrt Schule“ in Österreich begann eine

„Verberuflichung“ von ursprünglich hundertprozentig durch Ehrenamtliche ausgeführten

Tätigkeiten, wie z.B. der Schutzaufsicht (vgl. Kufner-Eger 2018: 53). Heutzutage stellen

hauptamtliche Bewährungshelfer*innen hochprofessionelle Expert*innen der

Resozialisierungsarbeit dar, welche eine Vielzahl an Qualitäten mit sich bringen müssen, wie

z.B. ein breites kriminologisches und sozialrechtliches Wissen und ein fundiertes und großes

sozialarbeiterisches Methoden-Repertoire, um nur zwei zu nennen (vgl. Günter Rieger 2005:

98). Denn gerade die Bewährungshilfearbeit gehört, mit dem Hintergrund des

Zwangskontextes, zu den schwierigeren Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit, da man

ständig dem Spannungsfeld zwischen Hilfe und Kontrolle ausgesetzt ist (vgl. Kawamura-

Reindl, Schneider 2015: 172f). Diesen Umstand spüren hauptamtliche

Bewährungshelfer*innen bei ihrer Arbeit besonders stark, in Form von Widerständen und

deviantem Verhalten seitens der Klient*innen, was auf unterschiedliche Faktoren

zurückgeführt werden kann, u.a. auf die Tatsache, dass hauptamtliche

Bewährungshelfer*innen aus Sicht der Proband*innen als Teil des (Justiz-)Systems

wahrgenommen werden können (vgl. Eduard Matt 2016: 283).

Ehrenamtlichen Bewährungshelfer*innen bieten dabei die Möglichkeit, diesen Umstand zu

umgehen, da sie von Seiten der Klient*innen, welche oftmals negative Erfahrungen mit der

Justiz bzw. mit staatlichen Organen hinter sich haben, weniger dem System zugeordnet

werden und positiver wahrgenommen werden können (vgl. Kawamura-Reindl, Schneider

2015: 107). Somit bringen ehrenamtlich Tätige in der Bewährungshilfe Möglichkeiten und

Ressourcen mit sich, welche hauptamtlichen Bewährungshelfer*innen nicht, oder nicht in

ausreichendem Maße, zur Verfügung stehen, wie z.B. den Faktor Zeit. Während im

durchrationalisierten und ökonomisierten Arbeitsalltag eines/einer hauptberuflichen

Bewährungshelfer*in sehr wenig Zeit zur Verfügung steht, den hohen professions-ethischen,

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rechtlichen und institutionellen Ansprüchen, welche an die Durchführung der Bewährungshilfe

gestellt werden, Rechnung zu tragen (vgl. ebd.: 180f), können Ehrenamtliche auf eine größere

Flexibilität im Kontext der Zeitgestaltung und Terminfindung zurückgreifen, was wiederum

auch in einer „intensiveren“, aus fachlicher Sicht wenig/er abgegrenzten Betreuungsbeziehung

mündet. Eine aus professioneller sozialarbeiterischer Perspektive gesehen unmöglich

einzunehmende Position, da es zur Erbringung einer professionellen, standardisierten

Dienstleistung, welche die Bewährungshilfe darstellt und darstellen muss, einer

professionellen und klar abgegrenzten Betreuungsbeziehung bedarf (vgl. Rieger 2005: 99).

Des Weiteren kann ein – auf Grund der Vielschichtigkeit und Diversität an unterschiedlichen

Charakteren und Persönlichkeiten mit den unterschiedlichsten Ausbildungen und Erfahrungen

der Ehrenamtlichen gewährleisteter – multiprofessioneller Austausch und Diskurs zwischen

haupt- und ehrenamtlichen Bewährungshelfer*innen eine Möglichkeit darstellen, innovative

und aus der Gesellschaft kommende Ideen und Inputs in die Bewährungshilfearbeit zu tragen

bzw. einer professions-spezifischen Betriebsblindheit und fachlichen Verkrustung

vorzubeugen (vgl. ebd.:99). Einen der wichtigsten Beiträge, den ehrenamtliches Engagement

in der Bewährungshilfe bzw. der Sozialen Arbeit leistet, ist der, dass es zu einem Umdenken

und einer Auseinandersetzung, sowohl auf politischer Ebene hinsichtlich des Umgangs mit

Delinquenz, wie auch auf gesellschaftlicher Ebene im Bezug auf die Stigmatisierung und die

In-/Exklusion von straffällig gewordenen Menschen, in diesem Thema anregt und beiträgt,

indem ein reales Kriminalitätsbild transportiert wird (vgl. Kawamura-Reindl, Schneider 2015:

107f). Auch der Verein NEUSTART verweist regelmäßig auf die Wichtigkeit und Besonderheit

der geleisteten ehrenamtlichen Bewährungshilfearbeit:

„Ehrenamtliche Betreuung ist von jeher integraler Bestandteil unserer professionellen Straffälligenhilfe.

Sie trägt mit dazu bei, dass in der Gesellschaft ein realistisches Bild von Kriminalität entstehen kann,

Vorurteile abgebaut werden und die Wahrscheinlichkeit neuerlicher Straffälligkeit der zu betreuenden

Personen stark verringert wird. Ehrenamtliche Bewährungshelferinnen und -helfer erweitern unser

Potenzial an Betreuungs- und Bezugspersonen und erschließen darüber hinaus lokale Ressourcen, die

professionellen Helferinnen und Helfern oft nicht im gleichen Ausmaß zugänglich sind.“

(zit. n. Verein NEUSTART – Ehrenamt)

Erst die Überzeugungsarbeit vieler, der Bewährungshilfe freundlich gesonnener Menschen

und die Öffentlichkeitsarbeit im Allgemeinen schaffen etwas, das für eine professionelle, nach

fachlichen Standards arbeitende und reproduzierbare Care-Dienstleistungstätigkeit, wie es die

Bewährungshilfe als Teil der Sozialen Arbeit ist, eine Grundbedingung darstellt: ein

resozialisierungs- und sozialpolitisch freundlich-gesinntes Gesellschaftsklima, in welchem die

professionelle Arbeit der hauptamtlichen Bewährungshelfer*innen fruchten kann (vgl. Rieger

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2005: 99). Eine Arbeit, die von Bürger*in zu Bürger*in als Diskurs innerhalb der

Zivilgesellschaft stattfindet.

4.3 Zivilgesellschaftliche und ökonomie- bzw. demokratie-politische Vorteile

ehrenamtlichen Engagements

Somit kann man im weitesten Sinne davon sprechen, dass ehrenamtlich Tätige Personen

neben der „klassischen“, risikoorientierten Einzelfallarbeit mit den Klient*innen auch Aspekte

der Gemeinwesenarbeit erfüllen, indem sie aktiv an einer Verbesserung der lebensweltlichen

Bedingungen von straffällig gewordenen Menschen arbeiten, indem sie nicht mit dem

Individuum an sich als Medium arbeiten, sondern für die Adressat*innen günstige

Veränderungen innerhalb von sozialen Netzwerken und an Strukturen des sozialen Nahraums

bewirken (vgl. Galuske 2013: 103). In ihrer Doppelfunktion als Bürger*innen und Beteiligte der

Resozialisierungsarbeit tragen Ehrenamtliche somit auch aktiv zur Bildung eines

Gemeinwesens bei und schaffen dadurch eine Partizipations- bzw. Beteiligungskultur

innerhalb der Gesellschaft, welche für eine lebendige und aktive demokratie-politisch

orientierte Zivilgesellschaft notwendig ist. Dem Wunsch nach einer Gesellschaft, welche sich

sozialen Problemen, wie es z.B. die Delinquenz darstellt, selbst annimmt, diese Aufgabe nicht

an Professionist*innen abschiebt, sondern sich den Herausforderungen stellt, wird dadurch

Ausdruck verliehen (vgl. Rieger 2005: 99). Damit es überhaupt zu einer Beteiligungs- bzw.

Partizipationskultur, und weiterführend zu so einer Gesellschaft kommen kann, sind zwei

grundlegende Voraussetzungen notwendig: Einerseits eine staatlich/politische Ordnung,

welche Partizipation - egal welche politischen Interessen dahinter stehen - zulässt und

andererseits eine Bürger*innenschaft, die sich aktiv für die Mitgestaltung der Gesellschaft

interessiert und einsetzt (vgl. Gerd Mutz 2011: 41).

Aus Sicht der politischen Akteur*innen ist ein ehrenamtliches Engagement somit zu

befürworten. Das liegt aber nicht nur daran, dass das Ehrenamt, wie gerade beschrieben, eine

wichtige demokratie-politische und zivilgesellschaftliche Funktion erfüllt, sondern ist auch an

den Umstand gekoppelt, dass in Zeiten von Ökonomisierungsrationalitäten, welche auch, oder

gerade, für den sozialen Sektor gelten (vgl. Kufner-Eger 2018: 218f), ehrenamtlich

übernommene Tätigkeiten einen ökonomischen bzw. wirtschaftlichen Mehrwert bedeuten,

teilweise auch im Sinne einer Kompensation fehlender staatlicher Ressourcen (vgl. Christoph

Badelt 2000: 2). Wie viel unentgeltlich getätigte Arbeitsstunden durch Ehrenamtliche in

Österreich geleistet werden, geht aus einem Bericht des Bundesministeriums für Arbeit,

Soziales und Konsumentenschutz (BMASK) aus dem Jahr 2009 hervor, in welchem von acht

Millionen Wochenstunden ehrenamtlich geleisteter Arbeit berichtet wird, was einem

Arbeitsvolumen von ca. 220.000 Vollzeitbeschäftigungen (40Std./Woche) gleichkommt (vgl.

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BMASK 2009: 3). Dies stellt eine nicht unwesentliche wirtschaftliche Kostenersparnis seitens

des Staates, aber auch der Wirtschaft dar. Insofern sind die politischen Überlegungen und

Interessen einer Ausweitung freiwilliger und ehrenamtlicher Tätigkeiten im Sozialbereich – den

angeführten und dafürsprechenden Argumenten und Rationalitäten folgend – nachvollziehbar.

Doch gerade die Profession der Sozialen Arbeit, seit jeher Schnittstelle zwischen Profession

und Ehrenamt, befürchtet, dass es auf Grundlage dieser Argumentationen und

Gedankengänge auf der Ebene der politischen Entscheidungsträger*innen (vgl. Badelt 2000:

4) zu einem Abbau jahrzehntelang hart erarbeiteter, sozialarbeiterischer Standards in den

Handlungsfeldern und weiterführend zu einem Abbau von Stellen innerhalb der Sozialen

Arbeit, z.B. hauptamtlicher Bewährungshelfer*innen, führen kann und wird (vgl. Rieger 2005:

99). Darin findet sich auch, u.a., ein möglicher Erklärungsansatz für die zunehmende

Professionalisierung und Abgrenzung der Sozialen Arbeit und der Orientierung hin zu

wirkungs-, evidenz- und effizienzbasierten Methoden, um den ständig wachsenden

Legitimationsansprüchen adäquat begegnen zu können (vgl. Kufner, Reidinger 2016: 288).

4.4 Persönliche Vorteile eines Ehrenamtes

Somit wurde schon eine Vielzahl von Vorzügen und dem freiwilligen Engagement zur

Verfügung stehenden einzigartigen Ressourcen aufgezeigt, welche für die unterschiedlichsten

Akteur*innen vorteilhaft und nutzbringend sind:

• für die Klient*innen, in Form veränderter Betreuungsverhältnisse und einer

Inklusionsarbeit innerhalb der Gesellschaft

• für die sozialen Einrichtungen, in Form einer Ausweitung des Angebotsspektrums

• für die Gesellschaft, in Form einer geringeren steuerlichen Belastung und einer

Partizipation an einer aktiven Gesellschaftsbildung

und

• für die engagierten Menschen selbst, u.a. in Form einer Erweiterung von Kompetenzen

und einer Anerkennung

(vgl. Kawamura-Reindl, Schneider 2015: 107f)

Die letzte Gruppe dieser Aufzählung, die Ehrenamtlichen selbst, haben dabei auch einen

positiven Nutzen ihrer Arbeit in jeweiliger Abhängigkeit der Gründe bzw. der Motivation hinter

dem ehrenamtlichen Engagement. So können bspw. jene Freiwilligen, welche aus

altruistischen Motiven handeln, eine Steigerung des eigenen Befindens bzw. eine gesteigerte

Zufriedenheit als Nutzen/Gewinn eines ehrenamtlichen Wirkens aus der Betätigung ziehen

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(vgl. Badelt 2000: 4). Des Weiteren stellt ein Ehrenamt, z.B. in der Bewährungshilfe, die

Möglichkeit einer Kompetenz- und Wissenserweiterung dar, da man in Ausübung der Tätigkeit

zwangsweise mit neuen Themen und Herausforderungen konfrontiert wird, welchen man,

geschult durch fachliche Lehrgänge bzw. Module und unterstützt durch professionelle Kräfte

in Form hauptamtlicher Bewährungshelfer*innen, professionell begegnen muss (vgl. Verein

NEUSTART – Ehrenamt). In Hinsicht auf den Arbeitsmarkt bietet ein ehrenamtliches

Engagement den Vorteil einer zusätzlichen, für Arbeitgeber durchaus nicht uninteressanten,

Qualifikation, da ein Ehrenamt eine Arbeitsleitung darstellt, die über das Geforderte

hinausgeht, was von großer Einsatzbereitschaft und Eigeninitiative zeugt und zumeist eine

Tätigkeit in einem Team darstellt, also Teamfähigkeit voraussetzt (vgl. vomamt.at). Ein

weiterer individueller Nutzen ehrenamtlicher Tätigkeiten liegt im Zuwachs und in der Teilhabe

an sozialen Beziehungen und Netzwerken, welche sich über die Arbeit im Tätigkeitsfeld bzw.

durch die Anbindung an diverse Institutionen und Organisationen generieren lassen (vgl.

Rieger 2005: 99). Dadurch zeigt sich, dass eine ehrenamtliche Betätigung im Rahmen der

Bewährungshilfe nicht nur für das sich engagierende Individuum Vorteile bietet, sondern

darüber hinaus auch, wie bereits in den Kapiteln 4.2 und 4.3angeführt, sowohl einen Mehrwert

aus Sicht der straffällig gewordenen Menschen auch der staatlichen Akteur*innen bzw. der

Zivilgesellschaft darstellt.

4.5 Diskurs über die bestehende Einbindung und die Perspektiven

ehrenamtlicher Bewährungshilfearbeit

Im Rahmen der Durchführung der Bewährungshilfe in Österreich setzt der Verein NEUSTART

neben den hauptamtlich angestellten Sozialarbeiter*innen bewusst auf die Mitarbeit

ehrenamtlicher Bewährungshelfer*innen. Der Rationalität des sozialarbeiterischen Auftrags

der Straffälligenhilfe bzw. Bewährungshilfe folgend, versucht der Verein dabei, den

kriminalpolitischen und gesetzlichen Anforderungen gerecht zu werden, indem er dem

Resozialisierungs- und Präventionsauftrag Folge leistet, der der Bewährungshilfe innewohnt

(vgl. Verein NEUSTART – Unser Verein). Neben der Resozialisierung stellt die

Präventionsarbeit einen wichtigen Aspekt der Bewährungshilfearbeit dar. Nach dem

Verständnis des Vereins ist eine wirksame und zielführende Täter*innenarbeit zugleich auch

eine Präventionsarbeit, da zukünftige Straftaten durch einen geänderten Sinnes- und

Lebenswandel des/der Täters/Täterin verhindert werden können (vgl. ebd.). Allerdings gilt es

hierbei genauer zu definieren, welche Form der Prävention vom Verein NEUSTART im

Rahmen der Bewährungshilfetätigkeiten geleistet werden kann und wird. Mittels Unterteilung

der Dimensionen der Kriminalprävention in deren zeitliche Reihenfolge wird ersichtlich, dass

Bewährungshilfe als Teil der Straffälligenhilfe fast ausschließlich in der tertiären, zeitlich am

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spätesten stattfindenden Form der Kriminalprävention zu verorten ist, deren Ziel es ist, bei

schon geschehenen Straftaten zu intervenieren und durch (sozialpädagogisches) Einwirken

ein potenziell gegebenes Rückfallrisiko für zukünftige Straftaten zu vermeiden (vgl.

Kawamura-Reindl, Schneider 2015: 53f). Aus kriminalpolitischer Perspektive gesehen muss

allerdings gerade auf der Ebene der primären Kriminalprävention angesetzt werden, da

„[…] mit Normverdeutlichung und Stärkung des Rechtsbewusstseins, mit der Beseitigung von

Sozialisationsdefiziten und sozialen Mängellagen sowie mit der Schaffung von Anreizen bzw.

Belohnungsaspekten zu rechtstreuem Verhalten bereits das Entstehen von Straftaten vermieden bzw.

verringert werden kann“ (zit. n. Kawamura-Reindl 2005: 52).

Es gilt somit auf einer gesellschaftspolitischen Ebene einzugreifen und zu wirken, um eine

frühzeitige, präventive Wirkung auf die Gesellschaft und somit auch auf potenzielle

Straftäter*innen entfalten zu können. Um dieses Ziel erreichen zu können, bedarf es allerdings

eines resozialisierungsfreundlichen, sozialen Umfelds innerhalb der Zivilgesellschaft (vgl.

Rieger 2005: 99). Hier zeigt das Ehrenamt in der Bewährungshilfe seine einzigartige Qualität,

eine Brücke zwischen professioneller Straffälligenhilfe und zivilgesellschaftlichen

Einstellungen und Wertehaltungen zu schlagen (vgl. Kawamura-Reindl, Schneider 2015: 107).

Durch die Vermittlung eines realen Bildes der Kriminalität und straffällig gewordener Menschen

in der Gesellschaft in Form einer indirekten Öffentlichkeitsarbeit regen ehrenamtliche

Bewährungshelfer*innen ein Umdenken in Hinsicht auf den Umgang mit Delinquenz an (vgl.

Verein NEUSTART – EHRENAMT) und können so zu einem Aufweichen der „law-and-order“-

Haltung innerhalb der Gesellschaft führen (vgl. Rieger 2005: 99).

Gerade auf Grund der mannigfaltigen und multidimensionalen Vorteile, die durch eine

Einbindung ehrenamtlichen Engagements in der Bewährungshilfe entstehen und auch von

Seiten des Vereins NEUSTART und der Politik propagiert werden (vgl. Verein NEUSTART –

intern 2016: 3), entsteht schnell der Trugschluss, dass ehrenamtliche Bewährungshelfer*innen

als „Laienarbeiter*innen“ fast dasselbe leisten können wie ihre professionellen, hauptamtlichen

Pendants, nur eben als „Gratisarbeit“, und somit ferner haupt- und ehrenamtlich geleistete

Bewährungshilfearbeit vermehrt als wechselseitige Substitute angesehen werden (vgl. Badelt

2000: 4). Gründe für dieses wahrnehmbare Phänomen sieht Christoph Badelt,

Universitätsprofessor für Sozialpolitik an der Wirtschaftsuniversität Wien, einerseits in einem

fehlenden Wissen der Bevölkerung um die Spezifikationen und benötigten Qualifikationen

einer fachlich-fundierten Sozialen Arbeit und andererseits in einem spürbaren sozialpolitischen

Rückzug des öffentlichen Sektors, welchen er auf budgetäre, staatliche Engpässe zurückführt.

Dies führe zwangsweise zu einer Versuchung der Politik, das Ehrenamt als Substitut nicht

finanzierbarer Sozialleistungen zu instrumentalisieren (vgl. ebd.: 4). Die Professionalisierung

des Ehrenamts in der Bewährungshilfe und die Standardisierung der damit verbundenen

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Tätigkeiten führt – von Seiten der Professionist*innen der Sozialen Arbeit im Allgemeinen und

der hauptamtlichen Bewährungshelfer*innen im Speziellen – dahingehend zu einer

Verunsicherung, dass es durch eine verstärkte Zuhilfenahme ehrenamtlicher Mitarbeiter*innen

einerseits zu einem Abbau von sozialarbeiterischen Standards und Haltungs- bzw.

Handlungsweisen kommen kann, die mühselig über Jahre und Jahrzehnte hinweg aufgebaut

wurden, und andererseits, dass es im Zusammenhang mit budgetärer Kürzung im Sozialsektor

und einem „Überangebot“ ehrenamtlicher Helfer*innen folglich zu Stellenkürzungen in der

Sozialen Arbeit kommen kann (vgl. Rieger 2005: 99). Allerdings muss es als schlichtweg falsch

angesehen werden, ehrenamtliche und hauptamtliche Bewährungshilfe als wechselseitigen

Ersatz anzusehen. Im Laufe dieser Arbeit wurden an verschiedenen Stellen die dem Ehrenamt

inhärenten einzigartigen Ressourcen und Möglichkeiten aufgezeigt, die verdeutlichen, dass

das Ehrenamt nicht als Ersatz oder Hilfstätigkeit der hauptamtlichen Bewährungshilfe

anzusehen ist, sondern als eigenständige, qualifizierte und sinnvolle Erweiterung der

Bewährungshilfearbeit (vgl. Matt 2016: 283). Ebenso ist die erbrachte Leistung hauptamtlicher

Bewährungshelfer*innen nicht durch Ehrenamtliche zu ersetzten, denn ein

Kennzeichnungsmerkmal professioneller Sozialer Arbeit als soziale Dienstleistung ist, dass

die geforderten Kompetenzen und Leistungen regelmäßig abrufbar sind (vgl. Rieger 2005: 99).

„Regelmäßig abrufbar“ bedeutet in diesem Rahmen, dass genügend Personal jeder Zeit zur

Verfügung steht und dass dieses Personal entsprechend fachlich ausgebildet ist und über alle

für den Beruf notwendigen Kompetenzen verfügt (vgl. ebd.: 99). Nur unter diesen

Voraussetzungen kann Soziale Arbeit im Rahmen der Straffälligenhilfe als soziale

Dienstleistung gewährleisten, dass der rechtliche und sozialstaatliche Anspruch auf Betreuung

und Unterstützung von straffällig gewordenen Personen im Rahmen der Bewährungshilfe

gewahrt bleibt, weshalb aus sozialpolitischer Sicht gesehen eine Substitution hauptamtlicher

Bewährungshilfearbeit durch ehrenamtliche Kräfte nicht möglich erscheint, da das Ehrenamt

diese Bedingungen nicht erfüllen kann (vgl. Rieger 2005: 99f). Somit gilt es, einen Rahmen zu

schaffen, in welchem ein wechselseitiger Nutzen für die verschiedensten Akteur*innen der

Straffälligenhilfe durch ehrenamtliches Engagement entstehen kann und welcher, ohne Verlust

an Qualität sozialarbeiterischen Wirkens, dabei auf Basis wissenschaftlicher und fachlicher

Standards im Wechselspiel aus Haupt- und Ehrenamt funktioniert. Denn Professionelle Sozial

Arbeit im Handlungsfeld der Straffälligenhilfe braucht das Ehrenamt zur Erfüllung

verschiedenster Funktionen, und das Ehrenamt bedarf wiederum einer Professionalität, um

sein Handeln bzw. seine Beteiligung in der Straffälligenhilfe legitimieren zu können (vgl. ebd.:

100).

Genau diese schon geschichtlich gewachsene Dualität von bürgerschaftlichem Engagement

und professionellem Wirken stellt eine Grundlage der österreichischen Bewährungshilfe dar,

wie sie beim Verein NEUSTART gelebt und praktiziert wird. Die Vorteile beider für die

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Resozialisierungsarbeit im Rahmen der Bewährungshilfe wichtigen Funktionen (Haupt-

/Ehrenamt) kombinierend, versucht der Verein NEUSTART dabei, seinem Auftrag der

Wiedereingliederung straffällig gewordener Menschen gerecht zu werden, indem nicht nur in

Form von haupt- und ehrenamtlicher Einzelfallhilfe im Rahmen der Bewährungshilfearbeit am

Individuum selbst gearbeitet wird, sondern auch versucht wird, das durch diverse Umstände

verzerrte Bild innerhalb der Gesellschaft zu verändern und in eine aus Sicht der Sozialen Arbeit

positive, resozialisierungsfreundliche und inkludierende Richtung hin zu verändern.

5. Resümee

Abschließend wird an dieser Stelle noch einmal eine Zusammenfassung der wichtigsten

Aspekte und Themen geliefert, welche den Mehrwert und die einzigartigen Möglichkeiten

unterstreichen, die eine Einbindung ehrenamtlicher Tätigkeiten im Rahmen der

Bewährungshilfe mit sich bringt, womit einer Beantwortung der Frage „ob und, wenn ja, welche

Vorteile ehrenamtlicher Mitarbeit im Rahmen der Resozialisierung in Form der

Bewährungshilfe in Österreich wahrnehmbar sind“ Rechnung getragen wurde. Des Weiteren

erfolgt in diesem Abschnitt eine subjektive Beurteilung der zugrundeliegenden Ergebnisse

dieser Arbeit.

Unter Zuhilfenahme eines geschichtlichen Überblicks wurde aufgezeigt, dass die Entstehung

einer professionellen und wissenschaftlich fundierten Sozialen Arbeit im Handlungsfeld der

Straffälligenhilfe dem Ehrenamt entsprungen ist, das Methoden und Struktur der

österreichischen Bewährungshilfe auf Grund der Basisarbeit freiwilligen Bürgerengagements

entstanden sind und somit das Ehrenamt seit jeher einen fundamentalen Bestandteil der

Bewährungshilfe darstellt. Dies zeigt sich auch im Leitbild des heutigen mit der Durchführung

der Bewährungshilfe in Österreich beauftragten Verein NEUSTART, der darin die Vorzüge

einer Integration freiwilliger Tätigkeiten im Rahmen der Bewährungshilfe hervorstreicht, und

der seit seiner Gründung (Anm.: als Verein für soziale Jugendarbeit) trotz – oder gerade wegen

– sich stetig verändernder gesetzlicher Bestimmungen, Budgetierungen und Veränderungen

der Haltung der Gesellschaft gegenüber delinquenten Menschen und Straftaten an sich

durchgehend nicht auf diese verzichtet.

Darüber hinaus wurden die diversen Bedingungen, Arbeitsweisen bzw. Methoden und

Voraussetzungen aufgezeigt, welche es hinsichtlich der Ausübung haupt- bzw. ehrenamtlicher

Tätigkeit zu erfüllen gilt und die Unterschiede, aber auch die Gemeinsamkeiten in den

Anforderungen und Arbeitsweisen aufgezeigt.

Schlussendlich wurden die spezifischen, einzigartig dem Ehrenamt inhärenten Vorteile für die

verschiedensten Akteur*innen benannt, wie z.B. für die Klient*innen bzw. die

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Professionist*innen der Bewährungshilfe, für die Trägerorganisation (Verein NEUSTART), für

den Staat, für die Gesellschaft und für die engagierten Ehrenamtlichen selbst. Diese „Win-win-

win“-Situation unterstreicht die immense und weitreichende Bedeutung des Ehrenamtes im

Rahmen des Wiedereingliederungsprozesses, welchen die Bewährungshilfe als professionelle

soziale Dienstleistung ermöglicht und zeigt, dass ehrenamtliche Bewährungshilfe als

integrales Element der Resozialisierungsarbeit verstanden werden muss (vgl. Matt 2016: 284).

Es ist zu hoffen, dass die Zukunft des Ehrenamtes in der Straffälligenhilfe trotz – oder gerade

wegen – der zunehmend wahrnehmbaren Ökonomisierung und Professionalisierung als

eigenständige und ergänzende Tätigkeit gewahrt bleibt und nicht als Gegenspieler bzw. als

Ersatz hauptamtlicher Bewährungshilfearbeit verstanden wird oder in kleinen, engmaschig

abgesteckten Arbeitsbereichen (in Form der immer gleichen Fälle) gedacht wird. Die Zukunft

einer sozial-politisch liberal ausgerichteten und Randgruppen reintegrierenden Gesellschaft –

und das muss das Ziel einer sozialen Arbeit mit und für Straffällige sein – kann nur durch eine

aktive Beteiligung und somit nur über eine gelebte Partizipationskultur innerhalb der

Gesellschaft erreicht werden, welche durch das Ehrenamt in der Bewährungshilfe gefördert

wird.

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6. Literaturliste

-Bücher-

- Michael Galuske (2013): Methoden der Sozialen Arbeit. Eine Einführung. 10. Auflage.

Beltz Juventa. Weinheim und Basel.

- Hermann Giesecke (2000): Pädagogik als Beruf. Grundformen pädagogischen

Handelns. 7.Auflage. Beltz Juventa. Weinheim und München.

- Gabriele Kawamura-Reindl, Sabine Schneider (2015): Lehrbuch Soziale Arbeit mit

Straffälligen. Beltz Juventa. Weinheim und Basel.

- Walter Kiehl (1996): Kriminalprävention – Ein dreidimensionales Konzept? In: Wolfhart

Sommerlad (Hg.): Prävention – Ein Zauberwort in der Straffälligenhilfe? Frankfurt am

Main.

- Jonathan Kufner (2012): Schutzaufsicht im Spannungsfeld zwischen Hilfe und

Kontrolle. Zugang zur Geschichte der „Bewährungshilfe“ in der 1. Republik am Beispiel

Wiens. Diplomarbeit Universität Wien.

- Jonathan Kufner-Eger (Hg.) (2016): Verschüttete Fachlichkeit. Grete Löhr und die

Ursprünge der Bewährungshilfe in Österreich. Erhard Löcker Verlag. Wien.

- Jonathan Kufner-Eger (2018): Alte Stärken – Neue Wege. Zur Organisations- und

Methodengeschichte der Neustart-Straffälligenhilfe in Österreich. LIT Verlag. Wien.

- Stefan Seiler (2016): Strafrecht. Allgemeiner Teil I. Grundlagen und Lehre von der

Straftat. 3. Auflage. facultas. Wien.

- Sepp Schindler (1984): Bewährungshilfe. Konzept, Methode und Institution. Salzburger

Sozialisationsstudien 7. Salzburg.

- Patrick Zobrist, Dietrich Kähler (2017): Soziale Arbeit in Zwangskontexten. Wie

unerwünschte Hilfe erfolgreich sein kann. 3.Auflage. Ernst Reinhardt Verlag. München.

-Wissenschaftliche Fachzeitschriften und Broschüren-

- Christoph Badelt (2000): Die Bedeutung der Freiwilligenarbeit für unser

Gesellschaftssystem. In: Sozial Aktuell. SBS/ASPAS. November 2000. Heft Nr. 19.

Seiten 2 – 7.

- Eduard Matt (2016): Freiwilligenarbeit im Justizbereich. In: Forum Strafvollzug. FS.

Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe. 2016. Heft 4. Seiten 279 - 284.

- Gerd Mutz (2011): Bürgerschaftliches Engagement. Zivilgesellschaftlicher Aufbruch

oder Instrumentalisierung? In: Sozial Extra. Zeitschrift für Soziale Arbeit. Jänner 2011.

Volume 35. Issue 1/2. S. 41-44. Springer Verlag.

- Günter Rieger (2005): Bürger sind keine Laien. Soziale Arbeit in der Justiz braucht

freiwilliges Engagement. In: Blätter der Wohlfahrtpflege. BdW. Deutsche Zeitschrift für

Soziale Arbeit. 2005. Heft 3. Seiten 98 – 100. Nomos Verlag.

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- Verein NEUSTART (2016): Neue Wege mit alten Stärken – Fachtagung für

Ehrenamtliche. In: intern. 2016. Heft 5. Verein NEUSTART. Wien.

-Internetquellen-

- Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz (2009):

Freiwilligenbericht in Österreich. 1. Freiwilligenbericht. Zusammenfassung. BMASK.

Wien.

https://www.staedtebund.gv.at/fileadmin/USERDATA/aktuelles/dokumente/freiwilligen

jahr_freiwilligenbericht_zusammenfassung.pdf [24.01.2019]

- Die Fräuleins vom Amt – Die Jobbörse für Kunst, Kultur & Medienjobs (o.J.): Warum

ein Ehrenamt neben der Jobsuche sinnvoll ist! Wien.

https://www.vomamt.at/warum-ein-ehrenamt-neben-jobsuche-sinnvoll-ist/

[25.01.2019]

- Jonathan Kufner (2013): Schutzaufsicht – zwischen totem Recht und reiner

Kontrollfunktion? Zugang zur historischen Genese der modernen Bewährungshilfe in

der ersten Republik am Beispiel Wiens. In: soziales_ kapital. Wissenschaftliches

journal österreichischer fachhochschul-studiengägnge soziale arbeit. Nr. 9. Rubrik

„Geschichte der Sozialarbeit“. Standort Wien.

https://soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/280/460.pdf

[18.01.2019]

- Jonathan Kufner, Veronika Reidinger (2016): Methodik der österreichischen

Bewährungshilfe. Beziehungsarbeit, Risikoorientierte Bewährungshilfe &

Methodenentwicklung seit Beginn der Institutionalisierung – eine Literaturstudie von

1990 bis 2015. In: soziales_ kapital. Wissenschaftliches journal österreichischer

fachhochschul-studiengägnge soziale arbeit. Nr. 15. Rubrik „Geschichte der

Sozialarbeit“. Standort Wien.

https://soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/431/782

[18.01.2019]

- Sozialwirtschaft Österreich (2018): Kollektivvertrag der Sozialwirtschaft Österreich.

Stand 1.Februar 2018.

http://www.bags-kv.at/folder/785/SWOE_KV_2018_Endfassung.pdf [18.01.2019]

- Ute Theis, Hiltrud Strauß, Ansgar Schreiner, Norbert Potsdawa, Hans Albert Max, Hans

Gerd Ludemann, Wilfried Kunze, Alfred Julien (2004): Standards der Bewährungshilfe.

https://www.edoweb-rlp.de/resource/edoweb:3273792/data [18.01.2019]

- Verein NEUSTART (o.J.): Neustart. Ihre Mithilfe. Ehrenamt.

https://www.neustart.at/at/de/ihre_mithilfe/ehrenamt.php [18.01.2019]

- Verein NEUSTART (o.J.): Neustart. Ihre Mithilfe. Jobs.

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https://www.neustart.at/at/de/ihre_mithilfe/jobs/ [18.01.2019]

- Verein NEUSTART (o.J.): Neustart. Unsere Angebote.

https://www.neustart.at/at/de/unsere_angebote/index2.php [18.01.2019]

- Verein NEUSTART (o.J.): Neustart. Unsere Standpunkte. Leitbild.

https://www.neustart.at/at/de/unsere_standpunkte/leitbild.php [18.01.2019]

- Verein NEUSTART (o.J.): Neustart. Über uns. Geschichte.

https://www.neustart.at/at/de/ueber_uns/geschichte.php [18.01.2019]

- Verein NEUSTART (o.J.): Neustart. Über uns. Unser Verein.

https://www.neustart.at/at/de/ueber_uns/unser_verein.php [18.01.2019]

-Gesetzestexte-

- Bewährungshilfegesetz (BewHG) idF BGBl. I Nr. 146/1969

- Bewährungshilfegesetz (BewHG) idF BGBl. I Nr. 426/1974

- Bewährungshilfegesetz (BewHG) idF BGBl. I Nr. 578/1980

- Bewährungshilfegesetz (BewHG) idF BGBl. I Nr. 605/1987

- Bewährungshilfegesetz (BewHG) idF BGBl. I Nr. 32/2018

- Jugendgerichtgesetz (JGG) idF BGBl. I Nr. 599/1988

- Strafgesetzbuch (StGB) idF BGBl. I Nr. 40/2009

- Strafprozessordnung (StPO) idF BGBl. I Nr. 19/2004

- Strafprozessordnung (StPO) idF BGBl. I Nr. 93/2007

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Soziale Arbeit in Österreich, die Geburt eines Berufs.

Ein historischer Ausflug von 1919 bis 1960

Maria Moritz

1. Ein schwieriger Beginn

Das Ende des Ersten Weltkrieges 1918 war ein massiver Einschnitt.

Die Landkarte änderte sich, die adelige Feudalgesellschaft wurde

zerschlagen, das politische System auf neue demokratische Füße ge-

stellt, die Wirtschaft war ebenfalls ruiniert. Das Elend als Kriegs-

folge war enorm, Hunger und Krankheit, Invalidität, Armut und

Chancenlosigkeit prägten das gesellschaftliche Bild. 15 % der dama-

ligen Bevölkerung des jungen Staates „Deutschösterreich“ waren

an Tuberkulose erkrankt, etwa ebenso viele an Geschlechtskrank-

heiten und das Penicillin wurde erst 15 Jahre später erfunden.

Dazu kam eine enorme Wohnungsnot, die die Verbreitung der

Krankheiten zusätzlich förderte. Der Erste Weltkrieg wird oftmals

als „Geburtshelfer“ eines modernen Wohlfahrtsstaates bezeich-

net und in der Tat brachte die kriegswirtschaftliche Organisierung

des gesellschaftlichen und politischen Lebens in Österreich ein bis

dahin nicht gekanntes Maß an Staatsintervention auch im sozia-

len Bereich. Brunner schreibt dazu: „Es kam zur Institutionalisie-

rung von Hilfen, wie etwa den Jugendämtern – in Wien ab 1913.

Zahlreiche neue Gesetze wurden erlassen: 1916 erfolgte ein Gesetz

über Generalvormundschaft, 1918 das Verbot von Kinderarbeit

durch das Kinderarbeitsgesetz, 1919 das Ziehkindergesetz, das vor

allem Waisenkinder und uneheliche Kinder schützen sollte und

1928 wurde schließlich ein Jugendgerichtsgesetz beschlossen. Die

unterschiedlichsten Diskurse aus den Bereichen Justiz, Medizin,

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Pädagogik, Psychologie, Bevölkerungswissenschaften – um nur

die wichtigsten zu nennen – nahmen sich dem Thema Fürsorge

sowohl in Form von Praxen als auch in Forschung und Theoriebil-

dung an. Damit verbunden war eine gewisse Professionalisierung

der Fürsorge – und damit ein neues Berufsfeld für Frauen im Ent-

stehen.“ (Brunner 2013: 4)

Die Sichtweise, dass Eigenverantwortung als gesellschaftlicher

Motor nicht ausreiche, um gesunde und zukunftsfrohe Gene-

rationen heranwachsen zu lassen, bestimmte die Sozialpoli-

tik. Lückenlose Untersuchungen und medizinische Programme

für besonders gefährdete Gruppen der Bevölkerung, Kinder,

Frauen, Invalide wurden mit diesen Programmen erfasst und

unterstützt. Auf kommunaler Ebene, insbesondere in Wien,

wurden diese Maßnahmen mit Personal und Anlaufstellen vor

Ort zur Verbesserung der Lebenssituation der Bevölkerung ab

1919 in rascher Folge eingerichtet.

Die neue Berufsgruppe der Fürsorgerinnen wurde vor allem in

staatlichen Programmen eingesetzt, die vornehmlich den Ge-

sundheitszustand von Kindern und Erwachsenen überprüfen

sollten. Diese Programme standen fast ausschließlich unter ärzt-

licher Leitung und waren abhängig von deren Expertise und den

neu verabschiedeten Sozialgesetzen der Ersten Republik. Die

Fürsorgerinnen gerieten immer stärker in die Schere zwischen

Hilfe und Kontrolle, zumal die Etikettierung „Verwahrlosung“

im Laufe der Jahre nach 1920 sich zum Begriff „Volksschädling“

der Nationalsozialisten hin entwickelte. Obgleich sich die öster-

reichische Sozialarbeitspionierin Ilse Arlt gegen diese Entwick-

lung wendete, etwa Kindesabnahmen im Armutsfall, steigerte

sich die Zahl der untergebrachten Kinder aus „verwahrlosten Fa-

milien“ in kurzer Zeit enorm, 1925 waren es allein in Wien 6229

Kinder. (vgl. MA 11 2003: 20)

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Im „Roten Wien“ war die flächendeckende Ausstattung mit

Mutterberatungsstellen und anderen Einrichtungen von einer

medizinischen Sichtweise geprägt, die von Julius Tandler als Ge-

sundheitsstadtrat in Wien forciert wurde. Es machte sich mit

Tandler zudem eine eigentümliche Bewertung der institutiona-

lisierten HiIfe auf den neuen richtungsweisenden Weg: „Tandler

unterscheidet zwischen einer produktiven und einer unpro-

duktiven Bevölkerungspolitik. […] Produktiv ist vor allem die

Jugendfürsorge, bei ihr rentieren sich die ‚Aufzuchtspesen‘. Un-

produktive bevölkerungspolitische und damit ‚rein humanitäre

Ausgaben‘ sind demgegenüber jene für Alte, Gebrechliche, Sie-

che und ‚Irre’.“(Brunner 2013: 10) Diese inhumane ökonomi-

sche Einteilung zeigt Parallelen zu heute, die nicht zu übersehen

sind. Die Begriffe Volkspflege und Volksgesundheit bestimmen

die 1920er und 30er und bereiten den Boden für den Faschis-

mus, in dem Begriffe wie Verwahrlosung, Selektion, Volksschäd-

ling in der NS-Ideologie mit allen mörderischen Konsequenzen

schließlich die Oberhand gewannen.

2. Anfänge der institutionalisierten Fürsorge in Wien

Die Hauptaufgabe der Fürsorgerinnen war der Kampf gegen

Hunger und Unterernährung. Nahrungsmittel von ausländi-

schen Hilfsorganisationen wurden verteilt, Ausspeisungen an

Schulen eingerichtet. Kinder wurden ins Ausland, vor allem in

die Schweiz, nach Italien und Bayern, zu Familien auf Erholung

geschickt. (vgl. MA 11 2003) Die Absolventinnen der Arlt-Schule

stiegen mit ihrer neuen Tätigkeit in dieses System der Jugend-

und Familienfürsorge in Wien ein. Da der Bedarf an geschulten

Professionistinnen damit aber nach Ende des Ersten Weltkrieges

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bei weitem nicht gedeckt war, eröffnete die Stadt Wien eine ei-

gene Fürsorgerinnenschule. Im Jahre 1919 gab es bereits fünf

Jahrgänge von Fürsorgerinnen, die die Ausbildung bei Ilse Arlt

abgeschlossen hatten. Ein österreichisches Berufsspezifikum

zeigt sich hier, da das Wiener Wohlfahrtswesen dreigegliedert

aufgebaut wurde: „1. die allgemeine Fürsorge, später Sozialhilfe

genannt, welche die Nachfolgeeinrichtung des Armenwesens

war; 2. die Jugendfürsorge, und 3. das Gesundheitswesen. An-

ders als in anderen Ländern ist der Beruf der Fürsorgerin nicht

auf dem Boden des Armenwesens entstanden. Bis lange nach

dem Zweiten Weltkrieg war in der Allgemeinen Fürsorge kein

fürsorgerisch geschultes Personal beschäftigt, sondern die Sozi-

alhilfe wurde von Beamten des allgemeinen Verwaltungsappara-

tes versehen. Der Beruf der Fürsorgerin, wie auch ihr Rollenbild,

ist hingegen eng mit der Geschichte des Jugendamtes verknüpft.

Die Institution des Jugendamtes ist wohl ursprünglich aus der

Armenpflege hervorgegangen, hat aber bald eine eigene Ent-

wicklung genommen.“ (Simon 2004)

Die Absolventinnen wurden in den verschiedensten Bereichen

eingesetzt. Daraus entstand sehr bald der dringende Wunsch

sich zu vernetzen. Am 31.3.1919 gründeten die Volkspflegerin-

nen und Fürsorgerinnen in Wien den „Reichsverband der Für-

sorgerinnen Österreichs“. Nachfolgeorganisation ist heute der

Österreichische Berufsverband der Sozialen Arbeit (obds). Die

Gründung liegt also nunmehr 100 Jahre zurück und die Ge-

schichte des Verbandes ist eine sehr wechselvolle gewesen. Der

Reichsverband bestand von 1919 bis 1938 und wurde nach der

Annexion Österreichs durch Hitlerdeutschland aufgelöst, bzw.

in den „Reichsbund der Deutschen Beamten“ eingegliedert und

ist im Jahr 1950 neu gegründet worden. Zur gleichen Zeit dürfte

aber ein weiterer Berufsverband in Österreich existiert haben.

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1920 gründeten die am Jugendamt in Wien tätigen Fürsorgerin-

nen den „Fachverein der Hauptfürsorgerinnen des Städtischen

Jugendamtes Wien“. Dieser wurde später aufgelöst und in den

Reichsverband integriert.

Der „Reichsverband der Fürsorgerinnen Österreichs“ war laut

Satzungen als Dachverband konzipiert. „Der Verband bezweckt

den Zusammenschluss aller Fürsorgerinnenorganisationen zur

Wahrung und Förderung ihrer ideellen und materiellen Stan-

desinteressen unter Ausschluss jedweder konfessioneller und

politischen Tätigkeit. (§3) Mitglieder des Verbandes sind Fach-

organisationen; bestehen in einem Lande mehrere solche Verei-

nigungen so sind sie womöglich zu einer Arbeitsgemeinschaft

(Landesgruppe) zusammenzuschließen. (§4)“ (IFSW 2018)

Erste Vorsitzende des Reichsverbandes dürfte Kamilla Heiden-

reich gewesen sein, Hauptfürsorgerin in Wien am Bezirksju-

gendamt, Vorsitzende von 1919 bis 1931 und neuerlich von 1935

bis 1938. Hauptfürsorgerin Maria Roth war Vorsitzende des Ver-

bandes von 1931 bis 1935, sie hatte ihre Wirkungsstätte im So-

zialministerium, in der Zentralstelle für Kinderschutz in Wien.

Der Sitz des Reichsverbandes war im 9. Bezirk in Wien, Lazarett-

gasse 14. Die ersten Jahre dürften für den Reichsverband recht

schwierig gewesen sein; es gibt fast keine Dokumente dazu. Nicht

nur der Berufsverband war in strukturellen und finanziellen Nö-

ten, die große Inflation 1923 brachte ebenso die Jugendwohl-

fahrt und somit den Kinderschutz in Österreich praktisch zum

Erliegen bis auf wenige Zuweisungen durch den amerikanischen

Commonwealth Fund. Die Zahl der Bewerberinnen für die Aus-

bildung überstieg nach 1923 bei weitem die Anstellungsplätze

und so mussten ausgebildete Fürsorgerinnen oft jahrelang auf ei-

nen Posten warten. Es wurde daher üblich, ausgebildete Fürsor-

gerinnen mit prekärem Entgelt als Praktikantinnen einzustellen.

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Diese wurden nach drei Monaten ausgetauscht, um den Charak-

ter einer Praktikantenstellung beizubehalten. „In Wahrheit ist es

die Erwerbung einer billigen Arbeitskraft, in der Hoffnung eher

eine Stelle zu erhalten.“ (Köstler 1930: 281)

Die Anstellungsbedingungen und die Dienstverträge waren je

nach Bundesland unterschiedlich. Länder, Bezirke, Gemein-

den, Zweckverbände und private Vereine traten als Arbeitgeber

auf. So gab es erhebliche Unterschiede auch innerhalb Wiens,

die TBC-Fürsorgerinnen hatten eine 48-Stunden-Woche mit ei-

nem Anfangsgehalt von 199 Schilling (Einstufung Gruppe V)

und 14 Tage Urlaub. Das entspricht einem heutigen Geldwert

von ca. 550 Euro. Die Jugendamtsfürsorgerinnen arbeiteten nur

41 Stunden pro Woche, erhielten 219 Schilling Anfangsgehalt, da

sie Matura als Bildungsvoraussetzung nachweisen mussten und

hatten 18 Tage Urlaubsanspruch. Die Gruppe der Hilfsfürsorge-

rinnen wurde per Gemeinderatsbeschluss in Wien 1926 geschaf-

fen. Sie wurden den Jugendämtern zugeteilt und erhielten nach

einem Jahr Einschulung einen Sprengel zur Betreuung. Es gab

daher ab 1926 zwei Gruppen von Fürsorgerinnen, die in Kon-

kurrenz zueinanderstanden. Die Gruppe der Hilfsfürsorgerin-

nen kämpfte um eine Besserstellung, es wurde ihnen der Titel

Fürsorgerin zugestanden, die andere Gruppe wurde Hauptfür-

sorgerin benannt. 1930 gab es in Wien 14 Jugendämter, 212

Hauptfürsorgerinnen, 76 (Hilfs-)Fürsorgerinnen. In den Bun-

desländern, insbesondere in den Landeshauptstädten galt das

Wiener Bezahlungsschema, in Graz wurde versucht ab dem 15.

Dienstjahr fünf Wochen Urlaub durchzusetzen. In jedem Bun-

desland gab es eine Landesoberfürsorgerin und drei dieser Ju-

gendämter (in St. Pölten, Salzburg und Berndorf) wurden bereits

von Frauen geleitet (1930). Die Vertretungsarbeit gestaltete sich

zögerlich. „Um gründlich die Verhältnisse zu ändern, müsste ein

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engerer gewerkschaftlicher Zusammenschluss erfolgen. Aus-

ser in der Steiermark, wo die Fürsorgerinnen eine Sektion des

Bundes der öffentlichen Angestellten bilden, sind die Fürsorge-

rinnen nur im Reichsverband der Fürsorgerinnen zusammenge-

schlossen. Dieser Reichsverband geniesst die Unterstützung der

öffentlichen Faktoren. Der Bund subventioniert seine Tagungen

und eine sehr grosse Anzahl von Fürsorgerinnen der Stadt Wien

soll sehr stolz darauf sein, ausser der freigewerkschaftlichen Or-

ganisation der Gemeindeangestellten auch diesem unpolitischen

Verbande anzugehören.“ (Köstler 1930)

3. Ein Frauenberuf und seine Vertretungsarbeit bis 1938

Der Beruf der Volkspflegerin bzw. nach dem Ersten Weltkrieg der

Fürsorgerin war ein reiner Frauenberuf – es wurden nur Frauen

ausgebildet. Im Gemeinderatsbeschluss des Jahres 1917 über

die Anstellungserfordernisse von Fürsorgerinnen hieß es dann

auch: “Von der Aufnahme ausgeschlossen sind solche Bewerbe-

rinnen, denen eine gesetzliche Pflicht persönlicher Obsorge für

die eigene Familie (Gatte und Kinder) obliegt. Der Eintritt ei-

ner solchen Sorgepflicht während der Dienstzeit (durch Verehe-

lichung, Eintritt einer Schwangerschaft) hat die Auflösung des

Dienstverhältnisses mit Wirkung einer Dienstentsagung zur

Folge.” (MA 11 2003: 18) Eine Forderung, die mit zunehmen-

der Zahl an notwendigem Personal in Wien nicht mehr aufrecht

zu halten war und bereits 1919 in Wien wieder außer Kraft trat,

aber in anderen Bundesländern ein Problem blieb. Der nieder-

österreichische Landesverband sandte 1929 an den Deutschen

Reichsverband eine Anfrage: „Die gefertigte Sektion […] ersucht

um Mitteilung, wie die Fürsorgerin oder Sozialbeamtin draußen

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im Reiche behandelt wird, wenn sie sich verehelicht. Bei uns in

Niederösterreich bestehen nämlich Strömungen, die Verheira-

tung der Fürsorgerin als einen Kündigungsgrund sehen zu wol-

len. Andere Persönlichkeiten wollen sie in den Kanzleidienst mit

den Bezügen eines Kanzleibeamten versetzen.“ (Wotawa 1929)

Im Antwortschreiben vom 6. März 1929 aus Berlin heißt es: „Es

besteht keine besondere Regelung für das Verhalten der Behör-

den bei Verehelichung einer Fürsorgerin. Wohl aber haben wir

(in Deutschland, Anm.) seit einigen Jahren eine sogenannte Per-

sonal-Abbau-Verordnung. Diese Personal-Abbau-Verordnung

sieht – entgegen der Reichsverfassung, nach der alle Ausnahme-

bestimmungen gegen Frauen aufgehoben sind, die Möglichkeit

vor, Beamtinnen, die heiraten, zu kündigen. Sie sieht auch eine

Abfindungssumme oder Abfindungsrente vor. […] Eine Verset-

zung einer heiratenden Beamtin in ein anderes Arbeitsgebiet

kennt unsere Gesetzgebung nicht.“ (Beerensson 1929)

Bereits 1930 taucht die Frage an den Deutschen Verband auf, ob

es männliche Fürsorger in Deutschland gäbe. Die Antwort: „Es

gibt in Deutschland männliche Fürsorger; Seit 1927 haben wir

auch Prüfungsordnungen für Männer und Schulen, die Män-

ner ausbilden. In einigen Ländern, wie z.B. Sachsen werden die

Männer auf den Wohlfahrtsschulen, die für Frauen eingerich-

tet waren, mitausgebildet. Sie arbeiten grundsätzlich auf allen

Gebieten der Fürsorge mit Ausnahme der Gesundheitsfürsorge.

Besondere Tätigkeit finden sie auf dem Gebiet der männlichen

Jugendfürsorge, Jugendpflege und Trinkerfürsorge.“ (Beerens-

son 1930)

Neben Fragen der Absicherung gestaltete sich eine Vernetzungs-

kultur in beruflicher Hinsicht. Der Reichsverband dürfte ab

1928 eine eigene Zeitschrift herausgegeben haben. „Die Fürsor-

gerin“ wurde von Kamilla Heidenreich als Redakteurin geleitet

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und versuchte zahlreiche Artikel aus den Verbandszeitungen

der Nachbarstaaten Deutschland, Tschechien und der Schweiz

zu veröffentlichen. 1929 schreibt sie in einem Brief an die deut-

schen Kolleginnen: „Unser Blatt hält vorläufig an dem erhaltenen

Grundgedanken fest, außer Arbeitsberichten der Fürsorgerin-

nen zu enthalten, auch ein kleines Übungsfeld für kleine Artikel

unserer so brav arbeitenden, aber nicht gern schreibenden und

noch weniger sprechenden Fürsorgerinnen zu sein. Sobald wir

damit etwas über Wasser sind, werden wir es ihnen gerne zusen-

den.“ (Heidenreich 1929)

Eine Kernaufgabe des Reichsverbandes sollte die Weiterschu-

lung der Fürsorgerinnen sein. Hier gab es Kritik an zu theoreti-

schen Themen und die Forderung nach mehr Praxisanschauung

und Praxisbezug, jedoch hatte der Verband kaum Mittel und

Förderungen, um in persönlicher Anschauung und Austausch

die Arbeit der Kolleginnen anderswo kennen zu lernen. Die

Geldmittel reichten mitunter nicht einmal für die Briefmarken

einer Aussendung an die Mitglieder. Zusatzwissen wurde vor al-

lem aus dem medizinischen Bereich geholt, eigene Forschung

rund um den Fürsorgeberuf gab es nicht.

Auch die internationale Vernetzung gelang in Österreich kaum. Im

Juli 1928 organisierte ein internationales Vorbereitungskomitee

die „Social Welfare Fortnight“ in Paris. Mehrere Kongresse wur-

den gleichzeitig abgehalten, der Internationale Jugendwohlfahrts-

kongress, der International Congress on Statutory and Voluntary

Assistance, der International Housing and Town Planning Con-

gress gemeinsam mit der Conference of Social Work. Zur Kon-

ferenz kamen mehr als 5000 Teilnehmerinnen, Teilnehmerin aus

Österreich war Ilse Arlt. Sie hatte drei Beiträge für die Konferen-

zen vorbereitet: „Fürsorgeausbildung in Österreich“, „Vereinheitli-

chung der Fürsorgeausbildung in Österreich“ und „Soziale Arbeit

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und Industrie“. (vgl. Maiss/Ertl 2011) Im Anschluss an die Kon-

ferenz in Paris haben die Mitglieder des Organisationskomitees

Absichtserklärungen abgegeben, die Zusammenarbeit zu institu-

tionalisieren, Österreich musste aber aus Geldnöten absagen und

konnte an der 2. Konferenz für Soziale Arbeit in Frankfurt nicht

teilnehmen. Ende Juli 1933 musste das Internationale Sekretariat

nach Genf, in die Schweiz verlegt werden. 1936 organisierte das

Internationale Sekretariat die 3. Sozialarbeiterkonferenz in Lon-

don. Dies blieb allerdings die letzte europäische Konferenz, denn

die geplante 4. Konferenz 1940 in Brüssel entfiel wegen des Krie-

ges. 1950 trafen sich Vertreter*innen der Sozialarbeitsverbände in

Paris und gaben generell die Absicht kund, einen neuen interna-

tionalen Verband zu gründen. Die Diskussionen über Strukturen

und Finanzierung dauerten bis 1956, als in München die IFSW ge-

gründet wurde, die „International Federation of Social Workers“.

Das Ende des Reichsverbandes der Fürsorgerinnen Österreichs

fällt mit der Machtübernahme Hitlers im März 1938 und mit

der Angliederung Österreichs an Hitlerdeutschland zusammen.

Der Reichsverband wurde aufgelöst, einzelne Mitglieder im öf-

fentlichen Dienst in den Deutschen Beamtenbund übernom-

men. Zahlreiche Fürsorgerinnen mussten den Dienst quittieren

oder wurden entlassen, weil sie politisch oder „rassisch belas-

tet“ waren. Die Ziele der Volksfürsorge bekamen eine neue, fa-

tale Ausrichtung. Unterstützung bekamen jene, die Angehörige

der Volksgemeinschaft waren. Die jetzt umbenannten Fürsorge-

rinnen, also neu „Volkspflegerinnen“ wurden angehalten bei den

Familien jene heraus zu finden, die verwahrlost, erblich belas-

tet oder rassisch und/oder sonstwie „minderwertig“ waren, sie

mussten selektieren. Eine allgemeine widerständige Strategie der

Fürsorgerinnen ist nicht überliefert, die Mehrheit dürfte sich

den Vorgaben angepasst haben. (vgl. Gumpinger 2008)

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4. Der Neubeginn, die Jahre 1945–1960

Ende des Zweiten Weltkrieges war die Sozialarbeit enorm be-

lastet durch die Geschehnisse während der NS-Zeit, gleichzeitig

enorm gefordert durch die katastrophalen sozialen Verhältnisse.

Um diese Probleme zu bewältigen, versuchte man an bewährte

Methoden und Maßnahmen des „Roten Wien“ aus den Jahren

1918–1934 anzuknüpfen. Sofort nach Kriegsende wurden Fürsor-

gerinnen in Hilfsaktionen und in Mutterberatungsstellen einge-

setzt und nahmen wieder Verbindungsdienst zu Gebärkliniken

und Kinderspitälern auf. Ab Mai 1945 wurden auch wieder Erzie-

hungsberatungen angeboten. Die Personalnot war so groß, dass

auch NS-belastete Hauptfürsorgerinnen nach ihrer Kündigung

und Außerdienststellung bereits nach 8–9 Monaten neuerlich von

der Gemeinde Wien angestellt wurden. Der Berufsstand der Für-

sorgerinnen wurde zudem wieder nach unten nivelliert, da die

meisten Fürsorgerinnen nach 1945 keine Matura und eine kürzere

Ausbildung hatten; die Hauptfürsorgerinnen bekamen damit wie-

der gewerkschaftlich Gewicht. Im November 1945 begann wieder

die Ausbildung in der “Fürsorgeschule der Stadt Wien” nach dem

Lehrplan der Zwischenkriegszeit. 1947 erhielt diese das Öffent-

lichkeitsrecht. Auch Ilse Arlt eröffnete ihre Privatschule, musste

aber permanent mit finanziellen Problemen kämpfen und sah sich

gezwungen, 1950 die „Arlt-Schule“ endgültig zu schließen. Die in

anderen Ländern entwickelten Methoden hatten bedingt durch

die jahrelange Isolation in Österreich noch nicht Einzug gehal-

ten und erst nach und nach kamen zu den alten Lehrplänen neue

Inhalte, wie vertiefte Einzelfallhilfe und Tiefenpsychologie, dazu.

(vgl. Simon 2004)

1948 wurde der Wiener Berufsverband als Verein der Fürsor-

gerinnen Wiens neu gegründet, am 29.11.1949 der bundesweite

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Dachverband, am 26.01.1950 formierte sich in der 1. General-

versammlung des neuen Verbandes der Verband der diplomier-

ten Fürsorgerinnen Österreichs. Diese Versammlung fand in

Graz statt; gleichzeitig wurde die erste Bundestagung (BUTA)

des neu gegründeten Verbandes abgehalten. Eine Tradition, die

bis heute ohne Unterbrechung weitergeführt wird. Die BUTA

2018 fand in der Steiermark statt, die BUTA 2020 wird in Inns-

bruck organisiert.

Neben dem Berufsverband vernetzen sich auch die staatli-

chen und die freien Wohlfahrtseinrichtungen. Das Österrei-

chische Komitee für Soziale Arbeit (ÖKSA) wurde 1956 rund

um die Thematik der Ungarnflüchtlinge in Kooperation mit

dem Flüchtlingshochkommissar der Vereinten Nationen etab-

liert und letztlich zu einer Kommunikationsplattform der zen-

tralen Akteur*innen österreichischer Sozialpolitik. Zum einen

vereinigt diese Plattform Organisationen aus dem Bereich der

freien Träger der Wohlfahrt (Caritas, Diakonie, Volkshilfe, Hilfs-

werk, Rotes Kreuz, Jugend am Werk, Lebenshilfe, Arbeiter-Sa-

mariter-Bund) mit der ministeriellen Sozialbürokratie und den

einschlägigen Fachabteilungen der Ämter der einzelnen Lan-

desregierungen. Zum anderen fungiert das ÖKSA als Natio-

nalkomitee Österreichs zum Internationalen Council on Social

Welfare (ICSW).

Die Flüchtlingshilfe in der Ungarnkrise 1956 verwies auf neue

methodische Herausforderungen, die jenseits der tradierten

Bahnen behördlicher Fürsorge angesiedelt waren. Einzelfallhilfe

und Gemeinwesenorientierung sollten miteinander verbunden

werden. Eine wichtige berufspolitische Neuerung war, dass nach

Vorgabe der UNHCR nur geschulte Fachkräfte dazu heranzu-

ziehen seien. Im Sog der fachlichen Entwicklung entstand etwa

die professionelle Bewährungshilfe. Leider gab es nach 1945 kein

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systematisches Anknüpfen an die Zusammenarbeit der Fürsorge

bzw. der Sozialarbeit mit der Universität und der wissenschaftlichen

Psychologie, die in den 1920er Jahren in Wien noch selbstverständ-

lich erfolgte, wo etwa Pionier*innen der Kinderpsychologie eng mit

der Fürsorge zusammenarbeiteten. Der Bruch in der Zusammenar-

beit, der durch die Vertreibung der fortschrittlichen Kräfte und die

Emigration entstanden war, setzte sich großteils nach 1945 fort und

hat Nachwirkungen bis heute.

Literatur

Beerensson, Adele (1929): Antwortschreiben von Adele Beerensson vom

06.03.1929. Deutscher Verband der Sozialbeamtinnen. Archiv des IFSW

in Rheinfelden bei Basel, Schweiz.

Beerensson, Adele (1930): Brief von Adele Beerensson vom 11.02.1930. Ar-

chiv des IFSW in Rheinfelden bei Basel, Schweiz.

Brunner, Alexander (2013): Normalisierung als Diskurs der entstehenden

Fürsorge in Österreich 1900–1935. In: soziales_kapital, wissenschaftli-

ches journal österreichischer fachhochschul-studiengänge soziale arbeit,

10/2013. https://soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/vie-

wFile/286/477.pdf (05.05.2019).

Gumpinger, Marianne (2008): Volkspflege, Sozialarbeit im Nationalso-

zialismus. In: soziales_kapital, wissenschaftliches journal österreichi-

scher fachhochschul-studiengänge soziale arbeit, 1/2008. http://www.

soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/40/32.pdf

(05.05.2019).

Heidenreich, Kamilla (1929): Redaktionsbrief an die deutschen Kollegin-

nen, Statuten „Reichsverband der Fürsorgerinnen Österreichs“, Foto. Ar-

chiv des IFSW in Rheinfelden bei Basel, Schweiz.

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Köstler, Marie (1930):  Die Fürsorgerinnen.  Handbuch der Frauenar-

beit. Arbeiterkammer Wien.

MA 11 (2003): 90 Jahre Jugendamt Ottakring. Von der Berufsvormund-

schaft zur Jugendwohlfahrt. Wien.

Maiss, Maria / Ertl, Sylvia Ursula (Hg.) (2011): Arlt, Ilse – (Auto)biogra-

phische und werkbezogene Einblicke. Werkausgabe Ilse Arlt. Band

3. Wien: LIT Verlag.

Simon, Maria Dorothea (2004): Von der Fürsorge zur Sozialarbeit. Vor-

trag in der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung am 2. Oktober

2004.

Wotawa, Elisabeth (1929): Brief vom 1. März 1929 an den Deutschen

Verband der Sozialbeamtinnen in Berlin, gezeichnet Elisabeth Wo-

tawa, Schriftführerin der Fürsorgerinnen Niederösterreichs, Krems

an der Donau. Archiv des IFSW in Rheinfelden bei Basel, Schweiz.

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Empowerment und Soziale Arbeit im österreichischen Assistenzhundewesen

Betroffene durch Kooperation stärken

Bachelorarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades

Bachelor of Arts in Social Sciences

der

Fachhochschule Campus Wien

Bachelorstudiengang Soziale Arbeit

Vorgelegt von:

Lisa Maxime Schmitzberger

Personenkennzeichen: 1610533087

Begutachter/in:

FH-Prof.in Gabriele Kronberger, MA

Abgabetermin: 12.02.2019

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Erklärung:

Ich erkläre, dass die vorliegende Bachelorarbeit von mir selbst verfasst wurde und ich keine

anderen als die angeführten Behelfe verwendet beziehungsweise ich mich auch sonst keiner

unerlaubten Hilfe bedient habe.

Ich versichere, dass ich die vorliegende Bachelorarbeit bisher weder im In- noch im Ausland

(einer Beurteilerin/einem Beurteiler zur Begutachtung) in irgendeiner Form als Prüfungsarbeit

vorgelegt habe.

Datum: 12.02.2019 Unterschrift:

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Abstract

Deutsch

Die vorliegende Bachelorarbeit beschäftigt sich mit Empowerment durch Soziale Arbeit sowohl in den Strukturen des Assistenzhundewesens als auch in der direkten Zusammenarbeit mit Betroffenen. Sie beschreibt dazu die gesetzlichen Rahmenbedingungen sowie die positiven und negativen Aspekte der Assistenzhundehaltung und deren potentielle Auswirkungen auf Interventionen der Sozialen Arbeit. Es werden Möglichkeiten aufgezeigt, die Hunde der Klient*innen in die Soziale Arbeit miteinzubeziehen, wobei der Fokus auf dem Konzept des Empowerments zur Stärkung von Autonomie, Selbstständigkeit und Befähigung liegt. Daraus wird die These herausgearbeitet, dass die Soziale Arbeit durch die Ermöglichung der Assistenzhundehaltung für Menschen mit Behinderung auch deren Zugang zu den im Empowerment geforderten Möglichkeitsräumen für mehr Autonomie und Teilhabe im Alltag erleichtern kann und damit die Chancen ihrer Adressat*innen erhöht, ihr subjektives Wohlergehen selbstbestimmt zu verbessern und ein eigenverantwortliches Lebensmanagement umzusetzen.

English

Empowerment and Social Work in the Austrian Assistance Dog System. Strengthening Concerned Parties through Cooperation. The following bachelor thesis is focused on empowerment through social work in the structure of the Austrian assistance dog system and in interactions with concerned individuals. The thesis first describes legal frameworks, negative and positive aspects of assistance dog ownership and their potential impact on interventions, as well as possibilities to include client’s dogs into social work practice. In doing so, the emphasis of this work lies on the concept of empowerment to improve autonomy, self-determination and capability, concluding that social work, by enabling people with disabilities to have easier access to assistance dogs, will also increase their access to spaces of opportunity for autonomy and participation, as desired by the concept of empowerment and in turn will help to improve the chances of assistance dog handlers to enhance their subjective wellbeing and achieve more independent life management.

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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung ....................................................................................................................... 4

2. Das Assistenzhundewesen in Österreich ....................................................................... 6

2.1. Arten von Assistenzhunden.................................................................................... 7

2.1.1. Blindenführhunde ............................................................................................. 7

2.1.2. Servicehunde ................................................................................................... 7

2.1.3. Signalhunde ..................................................................................................... 8

2.1.4. Kombinationshunde.......................................................................................... 9

2.2. Ausbildung und Zertifizierung des Hundes ............................................................. 9

2.3. Anforderungen an die Assistenzhundehalter*innen .............................................. 10

2.4. Finanzierung und Sonderrechte von Assistenzhunden ......................................... 12

2.4.1. Finanzierung .................................................................................................. 12

2.4.2. Sonderrechte.................................................................................................. 13

3. Empowerment .............................................................................................................. 16

3.1. Definition und Aufgabe der Sozialen Arbeit .......................................................... 16

3.2. Empowerment: Autonomie, Selbstbestimmung, Befähigung ................................ 16

3.2.1. Empowerment als Professionsverständnis ..................................................... 17

3.2.2. Empowerment auf der Mikroebene: lebensweltlich ......................................... 18

3.2.3. Empowerment auf der Makroebene: politisch ................................................. 19

4. Hunde in der Sozialen Arbeit ................................................................................ 21

4.1. Tiergestützte Interventionen ........................................................................... 22

4.2. Hunde der Klient*innen gezielt nutzen ............................................................ 23

4.3. (Assistenz-)Hunde als Ressource .................................................................. 24

4.4. (Assistenz-)Hunde als Belastungsfaktor ......................................................... 25

5. Förderung von Empowerment im Assistenzhundewesen ............................................. 28

5.1. Empowerment auf der Professionsebene anwenden ........................................... 29

5.2. Empowerment auf der Mikroebene anwenden ..................................................... 30

5.3. Empowerment auf der Makroebene anwenden .................................................... 31

6. Fazit ............................................................................................................................. 33

7. Literaturverzeichnis ...................................................................................................... 36

7.1. Druckquellen ........................................................................................................ 36

7.2. Internetquellen ..................................................................................................... 36

7.3. Abbildungen ......................................................................................................... 39

8. Abbildungsverzeichnis .................................................................................................. 40

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1. Einleitung

Bereits vor Antritt meines Studiums der Sozialen Arbeit beschäftigte ich mich als

Hundetrainerin und Tiermedizinische Assistentin beruflich mit der Thematik des

Assistenzhundewesens und stieß schon damals auf grobe Mängel, insbesondere in der

Ausbildung der Hunde und im Umgang mit bzw. in der Beratung von zukünftigen Halter*innen.

Diese Eindrücke bestätigten sich durch Fortbildungen und zahlreiche persönliche Gespräche

mit Betroffenen ab dem Frühjahr 2018, was den Anstoß zu dieser Arbeit lieferte.

In Österreich wurde im Jahr 2015 eine neue gesetzliche Regelung für Assistenzhunde

erlassen, wodurch in Kombination mit der gleichzeitigen Etablierung der staatlichen Prüfstelle

eine Situation für Assistenzhundehalter*innen geschaffen wurde, die weltweit als

Vorreitermodell betrachtet werden kann (vgl. Bremhorst et al 2018: 3f.). Zum Zeitpunkt der

Gesetzesnovelle 2015 meldete das Sozialministerium, dass rund 350.000 Personen einen

Behindertenpass besaßen (vgl. Parlament 2015: 1). Dennoch waren in eben jenem Jahr nur

98 Assistenzhunde zertifiziert (vgl. Sozialministerium 2017: 153, 240). Die Gründe, weshalb

offenbar nur ein sehr geringer Anteil der berechtigten Personen einen Assistenzhund nutzt,

sind bisher in der Forschung und Datenerhebung nicht erfasst, und auch in der Sozialen Arbeit

wurde diese Thematik nicht aufgegriffen – und das, obwohl dadurch eine wertvolle Ressource

für potentielle Adressat*innen unerschlossen bleibt.

Die vorliegende Bachelorarbeit beschäftigt sich also mit folgender Forschungsfrage:

Wie kann durch Miteinbeziehung von Sozialer Arbeit in das österreichische

Assistenzhundewesen die Situation von potentiellen und tatsächlichen

Assistenzhundehalter*innen auf Basis des Empowerment-Konzeptes verbessert

werden?

Dabei werden unter dem Begriff Assistenzhundewesen sowohl die bestehenden Strukturen

und Institutionen als auch die Summe der einzelnen Akteur*innen verstanden, sodass die

Forschungsfrage sowohl auf der Makro- als auch auf der Mikroebene Sozialer Arbeit

betrachtet werden muss. Sie soll einen ersten Anstoß liefern, sich von Seiten der Sozialen

Arbeit mit dieser komplexen Thematik wissenschaftlich auseinanderzusetzen und ein

professionelles Bewusstsein für die bisher weitgehend unbeachteten Bedürfnisse und

Problemlagen von Assistenzhundehalter*innen zu schaffen.

Der erste Abschnitt der Arbeit beschreibt das Assistenzhundewesen in Österreich in Bezug

auf gesetzliche Definitionen, unterschiedliche Arten von Assistenzhunden, deren

Prüfungsmodalitäten, Anspruchsvoraussetzungen der Halter*innen, Finanzierung und

Sonderrechte von geprüften bzw. zertifizierten Teams. Im zweiten Abschnitt wird das Konzept

des Empowerments in seinen Grundzügen beschrieben und danach die Ressource Hund aus

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Sicht der Sozialen Arbeit betrachtet. Im letzten Abschnitt der Arbeit werden diese

Themenkreise – das Assistenzhundewesen, Empowerment und die Ressource Hund aus

Sicht der Sozialen Arbeit – in Bezug zueinander gesetzt, um konkrete Möglichkeiten der

Zusammenarbeit zwischen Sozialarbeiter*innen und Akteur*innen des

Assistenzhundewesens aufzuzeigen.

Da im Rahmen dieser Arbeit stets nur erste Ansätze und Möglichkeiten aufgezeigt werden

können, bleibt es den lesenden Professionist*innen überlassen, die erwähnten Inhalte für

spezifische Handlungsfelder, Methoden und Szenarien individuell anzuwenden.

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2. Das Assistenzhundewesen in Österreich

Das Assistenzhundewesen in Österreich besteht einerseits aus institutionellen Strukturen,

etwa der staatlichen Prüf- und Koordinierungsstelle, zuständigen Versicherungsträger*innen,

Interessensvertretungen und -gemeinschaften aber andererseits auch aus den betroffenen

Assistenzhundehalter*innen selbst, sowie im Rahmen dieser Arbeit auch aus jenen Personen,

die potentiell an der Anschaffung interessiert sind und daher zu Nutzer*innen der

entsprechenden Angebote werden.

Wie bereits in der Einleitung erwähnt, nimmt Österreich mit der im Jahr 2015 geschaffenen

Gesetzesnovelle eine bisher einzigartige Position in Bezug auf Assistenzhunde ein, in der

klare rechtliche Definitionen und staatlich akkreditierte Prüfungen für mehr Sicherheit und

Qualität in der Ausübung der Hilfstätigkeiten für betroffene Personen und bei Interaktionen im

öffentlichen Raum sorgen. Die Novelle regelt außerdem gesellschaftliche Sonderrechte wie

etwa die Befreiung von Leinen- und Maulkorbpflicht und besondere Zutrittsrechte (vgl.

Bremhorst et al 2018: 3f.).

In den durch das Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz

herausgegebenen Richtlinien auf Basis des seit 01.01.2015 geltenden

Bundesbehindertengesetzes (forthin mit BBG abgekürzt) werden Assistenzhunde als jene

Tiere definiert, welche sich nachweislich in Gesundheit und Wesen sowie aufgrund ihrer

speziellen Ausbildung besonders dafür eignen, Menschen mit Behinderung zu unterstützen.

Assistenzhunde leben außerdem, im Gegensatz zu Therapiebegleithunden, dauerhaft bei der

zu unterstützenden Person (vgl. Sozialministerium 2015b: 2). Dabei sollen Assistenzhunde

„zum Zwecke der Erweiterung der Selbstbestimmung und Teilhabe von Menschen mit

Behinderung in allen Lebensbereichen eingesetzt werden“, und leisten darüber hinaus einen

Beitrag „zur Kommunikation und zum Abbau von einstellungsmäßigen Barrieren“ (vgl. § 39a

(2) BBG).

Aufgrund dessen stehen sie gemäß ihrer gesetzlichen Definition in direktem Zusammenhang

mit dem auch durch die Soziale Arbeit erstrebten und im dritten Kapitel näher beschriebenen

Empowerment ihrer Halter*innen, also der Förderung von Selbstbestimmung und Autonomie.

Sie sollen durch ihre Rolle als sozialer Katalysator das Wohlbefinden betroffener Personen

und deren Teilhabe an der Gesellschaft steigern (vgl. Sozialministerium 2015b: 2). Detaillierte

Zusammenhänge von Sozialer Arbeit mit diesen Aspekten des Assistenzhundewesens

werden im vierten Kapitel näher beschrieben.

Mit der Abnahme der staatlichen Prüfungen beauftragte das Bundesministerium für Arbeit,

Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz das an der veterinärmedizinischen Universität

Wien angesiedelte Messerli-Institut, welches seit Inkrafttreten des §39a BBG als Prüf- und

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Koordinierungsstelle für Assistenz- und Therapiebegleithunde fungiert (vgl. Prüfstelle

Assistenzhunde 2019a). Die Abgrenzung von Assistenzhunden zu im Kontext Sozialer Arbeit

immer häufiger erwähnten Therapiebegleithunden für tiergestützte Interventionen erfolgt in

Kapitel 4.1.

2.1. Arten von Assistenzhunden

Aufgrund der unterschiedlichen Auswirkungen von diversen psychischen und physischen

Behinderungen auf das Leben betroffener Personen werden auch an die individuell

ausgebildeten Hunde spezifische Anforderungen gestellt. Dabei werden die Tiere

entsprechend ihrer Aufgabengebiete in drei übergeordnete Kategorien unterteilt, welche zum

besseren Verständnis der Materie nachfolgend grob beschrieben werden sollen.

2.1.1. Blindenführhunde

Der Blindenführhund hatte bis vor wenigen Jahren eine Sonderstellung unter den

Assistenzhunden inne und galt bis zum Inkrafttreten der Gesetzesänderung als einziger

gesetzlich anerkannter Assistenzhund für Menschen mit Behinderung.

In der bis zum 31.12.2014 geltenden Fassung des § 39a BBG betraf der Abschnitt Va also

ausschließlich Blindenführhunde, wobei der genaue Wortlaut beinahe deckungsgleich in die

heutige Version des „Assistenzhundeparagrafen“ integriert wurde. Demnach soll der

Blindenführhund „die Wahrnehmungsprobleme blinder oder hochgradig sehbehinderter

Menschen ausgleichen und ihnen eine gefahrlose Bewegung sowohl in vertrauter als auch in

fremder Umgebung ermöglichen“, und die zu führende Person somit vorrangig in der Mobilität

unterstützen (vgl. §39a (4) BBG). Dies geschieht im aktiven Einsatz etwa durch das Anzeigen

und Überqueren von Zebrastreifen, das Anhalten vor Gehsteigkanten, das Aufsuchen und

Anzeigen von Aufzügen, Treppen, Eingängen und Sitzgelegenheiten sowie die Anzeige oder

das Umgehen von Hindernissen sowohl auf dem Boden als auch bis in Kopfhöhe der geführten

Person (vgl. Prüfstelle Assistenzhunde 2015a).

2.1.2. Servicehunde

Als Servicehund gelten Hunde, die einem Menschen, dessen Mobilität aufgrund einer

Behinderung eingeschränkt ist, dabei helfen, solche Tätigkeiten des Alltags zu erledigen, die

andernfalls nicht oder nur erschwert möglich wären. Zusätzlich zu grundlegenden Fertigkeiten

werden Servicehunde so ausgebildet, dass ihre Fähigkeiten an die individuellen Bedürfnisse

der Halter*innen angepasst werden, um spezifische Unterstützungsleistungen ausführen zu

können (vgl. §39a (5) BBG). Beispiele für grundlegende Fertigkeiten sind dabei etwa das

Öffnen und Schließen von Türen, das Betätigen von Lichtschaltern, das Bringen diverser

Gegenstände (sowohl namentlich bekannte als auch anderweitig indizierte) sowie das Ziehen

des Rollstuhls in Richtung der*des Hundeführer*in, sodass diese*r den Rollstuhl greifen kann.

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Darüber hinaus müssen in der Prüfungssituation besonders jene individuellen Kommandos

gezeigt werden, die bei mangelhafter Ausführung die Sicherheit und Gesundheit der

Assistenzhundehalter*innen gefährden könnten (vgl. Prüfstelle Assistenzhunde 2015b).

2.1.3. Signalhunde

Die Sparte der Signalhunde beinhaltet mehrere unterschiedliche Ausbildungsbereiche, die

aufgrund ihrer Komplexität in den vorliegenden Gesetzestexten und Richtlinien bisher nicht

eindeutig abgegrenzt sind. Ursprünglich erfasste der Begriff des Signalhundes solche Tiere,

die „dazu beitragen, die Wahrnehmungsprobleme gehörloser Personen und von Menschen

mit schwerer Hörbehinderung auszugleichen“, und betraf somit nur Hunde, die speziell dazu

ausgebildet waren, ihren Halter*innen akustische Reize wie Türklingeln, Läuten des Telefons,

heranfahrende Autos oder weinende Säuglinge durch physische Berührung anzuzeigen.

Abgesehen von diesen Signalhunden für Menschen mit Hörbehinderung sind heute außerdem

Signalhunde für Menschen mit chronischen Erkrankungen (Diabetes) und für Menschen mit

Epilepsie und anderen neurologischen Erkrankungen in den Beurteilungsbögen der

Koordinierungsstelle explizit angeführt (vgl. §39a (6) BBG). In der Praxis werden darüber

hinaus auch Assistenzhunde für Menschen mit Posttraumatischer Belastungsstörung,

Autismus oder anderen psychischen Erkrankungen in die Kategorie der Signalhunde

eingeordnet, obwohl sie in den vorgefertigten Richtlinien, Gesetzestexten und

Beurteilungsbögen nicht namentlich genannt sind. Unter §39a (6) BBG heißt es dazu:

„Als Signalhunde werden auch Hunde bezeichnet, die Menschen mit chronischen Erkrankungen bei damit verbundenen gefährdenden Zuständen unterstützen und Veränderungen des Stoffwechsels sowie der Körperhaltung, die auf eine bevorstehende gesundheitsgefährdende Situation hindeuten, frühzeitig wahrnehmen und anzeigen. Es handelt sich dabei insbesondere um Hunde, die speziell für Menschen mit Diabetes, Epilepsie oder einer anderen neurologischen Beeinträchtigung eingesetzt werden.“ (vgl. §39a (6) BBG)

Für Personen mit psychischen Beeinträchtigungen ist also hervorzuheben, dass es sich

gesetzlich eben insbesondere, aber keinesfalls ausschließlich um Signalhunde für die explizit

erwähnten Krankheitsbilder handelt, und daher Assistenzhunde für sonstige Erkrankungen,

sofern die betroffene Person die Grundvoraussetzungen zur Eintragung eines

Assistenzhundes erfüllt (siehe dazu Kapitel 2.3), scheinbar im Einzelfall mit der Prüf- und

Koordinierungsstelle abzusprechen sind. „Scheinbar“ deshalb, da zwar die Anforderungen für

Signalhunde bei Diabetes, Epilepsie und Hörbehinderung in den Beurteilungsbögen erläutert

und auf den Internetseiten der Koordinierungsstelle für Assistenzhunde am Messerli-Institut

abrufbar sind, sich zum gegebenen Zeitpunkt aber keine klaren Informationen zu den

Prüfungsmodalitäten und geforderten Aufgaben für Assistenzhunde von Menschen mit PTBS,

Autismus, Depressionen oder anderen chronischen beziehungsweise psychischen

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Erkrankungen finden lassen. Auf persönliche Nachfrage weist Karl Weissenbacher, Leiter der

staatlichen Prüf- und Koordinierungsstelle für Assistenz- und Therapiebegleithunde, jedoch

darauf hin, dass sich diese Richtlinien derzeit in Überarbeitung befinden und in den genannten

Punkten mit Ergänzungen zu rechnen ist1.

2.1.4. Kombinationshunde

Für Menschen mit mehrfacher Behinderung können Assistenzhunde für Aufgaben aus

unterschiedlichen Bereichen ausgebildet werden, ihre Bezeichnung richtet sich nach jenem

Bereich, in dem ihre Hauptfunktion liegt (vgl. §39a (7) BBG). Auch in den Beurteilungsbögen

der Signalhunde sind Hunde für Menschen mit Mehrfachbehinderung genannt, deren

Hilfsleistungen vorab der Prüfstelle bekanntzugeben sind. Diese ist dazu berechtigt, weitere

als notwendig erachtete Kommandos zu definieren und in der Prüfungssituation einzufordern

(vgl. Prüfstelle Assistenzhunde 2015b). Details zu dieser Thematik sind aus den öffentlichen

Unterlagen nicht ersichtlich, weshalb für betroffene Personen wichtige Parameter wie etwa der

Zeitraum für das Erlernen nachträglich geforderter Kommandos oder mögliche Konsequenzen

bei Uneinigkeit bezüglich „notwendiger“ Handlungen des Assistenzhundes unklar bleiben.

2.2. Ausbildung und Zertifizierung des Hundes

Mit der Beurteilung von Assistenzhunden ist „eine Institution zu beauftragen, die eigene

wissenschaftliche Tätigkeit im Bereich Veterinärmedizin, Ethik in der Mensch-Tier-Beziehung

und Kognitionsforschung betreibt“ (vgl. §39a (10) BBG). Diesen Auftrag erfüllt seit Inkrafttreten

ebenjener Regelung die staatliche Prüf- und Koordinierungsstelle für Assistenzhunde am

Messerli-Institut der Veterinärmedizinischen Universität Wien.

Der Ablauf der Assistenzhundeprüfungen gliedert sich für den Hund in zwei

Beurteilungsverfahren. Zunächst absolviert der ausgebildete Assistenzhund mit dem*der

ausbildenden Trainer*in oder einer (behinderten) Vertrauensperson der Ausbildungsstätte

eine Qualitätsbeurteilung, in der allgemeine Anforderungen wie etwa das Sozial- und

Umweltverhalten, Grundgehorsam und die spezifisch geforderten Hilfeleistungen begutachtet

werden. Danach erfolgt die Übergabe an und Zusammenschulung mit dem*der zukünftigen

Halter*in.

Erst nach erfolgter Zusammenschulung und nach der positiv abgelegten theoretischen

Prüfung des*der Assistenzhundehalter*in, bzw. mit dem Nachweis des absolvierten

Mobilitätstrainings für Blindenführhundehalter*innen (vgl. BSVÖ 2018: 9ff.), treten die

Assistenzhundeführer*innen mit ihrem Assistenzhund zur Teambeurteilung an. Nach deren

1 Quelle: persönliches Gespräch mit Mag.med.vet. Karl Weissenbacher, Leiter der staatlichen Prüf- und Koordinierungsstelle Assistenzhunde, am 15.01.2019 in den Räumlichkeiten des Messerli-Instituts. www.vetmeduni.ac.at/de/assistenzhunde/

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erfolgreichem Bestehen erfolgt die Eintragung in den Behindertenpass und damit die

Anerkennung als staatlich geprüfter Assistenzhund, mit sämtlichen damit verbundenen

rechtlichen und finanziellen Vergünstigungen (vgl. Prüfstelle Assistenzhunde 2019b).

Die Ausbildung von Assistenzhunden kann je nach persönlichen Ressourcen und Wünschen

in Fremd- oder Selbstausbildung stattfinden. Letzteres kommt allerdings nur für jene

Menschen in Frage, die trotz ihrer Behinderung auch mit einem noch nicht ausgebildeten Hund

gefahrlos den Alltag sowie das nötige Training bewältigen können, oder denen eine zweite

Person als Unterstützung zur Seite steht. Für Signalhunde von Diabetiker*innen und

Epileptiker*innen sowie für Personen mit PTBS werden von diversen Ausbildungsstätten

begleitete Ausbildungen angeboten, während für Blindenführhunde heutzutage grundsätzlich

die Fremdausbildung vorgesehen ist (vgl. Assistenzhunde Reithner 2019a).

Offizielle Informationen über Unterschiede in den Prüfungsmodalitäten, Kosten und Risiken

für Betroffene zur Thematik der bzw. Entscheidung zwischen Selbst- oder Fremdausbildung

gibt es nicht, bzw. nicht in leicht zugänglicher Form. Interessierte Personen sind auf

selbstständige Recherche bei den Anbieter*innen von Assistenzhunden und

Assistenzhundeausbildungen angewiesen. Klare Informationen diesbezüglich sind für

Betroffene insbesondere deshalb wünschenswert, da unterschiedliche Prüfungsmodalitäten,

damit verbundene Kosten und Finanzierungsmöglichkeiten, der Zeitaufwand sowie weitere

Faktoren für die individuelle Entscheidung zwischen Selbst- und Fremdausbildung bereits vor

der Anschaffung des Hundes zu berücksichtigen sind. Zudem gelingt es nicht allen

Anbieter*innen, in für Laien verständlicher Weise auf die geltende Rechtslage und die

entsprechenden Prüfungsmodalitäten hinzuweisen, was in extremen Fällen dazu führen kann,

dass als „fertige Assistenzhunde“ gekaufte Tiere keine Qualitätsprüfung vorweisen und somit

auch nachträglich nicht mehr zertifiziert werden können.

2.3. Anforderungen an die Assistenzhundehalter*innen

Nicht nur der zu prüfende Hund, sondern auch zukünftige Assistenzhundehalter*innen müssen

für den Antritt zur Teamprüfung gewisse Voraussetzungen erfüllen. Dies ist vorrangig der

Besitz eines österreichischen Behindertenpasses, in welchen der zertifizierte Assistenzhund

eingetragen wird, damit die nachfolgend beschriebenen rechtlichen und finanziellen

Begünstigungen genutzt werden können. Für im Ausland wohnhafte Personen, die keinen

österreichischen Behindertenpass besitzen, jedoch den Grad der Behinderung vergleichbar

nachweisen können, besteht die Möglichkeit, die Prüfung in Eigenfinanzierung abzulegen.

Eine offizielle Information durch das Messerli-Institut über diese Zulassungsvoraussetzungen

erfolgt zwar ausführlich, jedoch bis dato nur auf persönliche Nachfrage1.

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Der österreichische Behindertenpass ist ein amtlicher Lichtbildausweis, der u.a. steuerliche

Begünstigungen mit sich bringt; Voraussetzungen zur Ausstellung sind der Wohnsitz bzw. der

gewöhnliche oder regelmäßige Aufenthalt in Österreich sowie eine Einstufung von mindestens

50% Grad der Behinderung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit. Außerdem wird der Bezug

von Pflegegeld, erhöhter Familienbeihilfe und einer Geldleistung aufgrund von Invalidität,

Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit gefordert. Der Antrag kann auch für Kinder mit

einer Behinderung gestellt werden und ist beim Sozialministeriumsservice einzubringen (vgl.

Gesundheit.gv.at 2019).

Zu beachten ist bei der Beantragung eines Assistenzhundes für Minderjährige, dass sich deren

Einstufung mit dem Erreichen der Volljährigkeit verändern kann. Wird dabei die 50% Grenze

unterschritten, so verliert die Person zwar das Recht auf den Behindertenpass, darf den

geprüften Assistenzhund jedoch bis an dessen Lebensende mit allen verbundenen Rechten

weiter führen. Dies betrifft insbesondere Jugendliche ab 16 Jahren, unterhalb dieser

Altersgrenze werden Kinder und Jugendliche aus rechtlichen Gründen ausschließlich als

Triade geprüft1.

Als Triade wird ein Assistenzhundeteam dann bezeichnet, wenn ein*e Prüfungskandidat*in

zwar den nötigen Prozentsatz für einen Behindertenpass erreicht, jedoch aufgrund des Alters

oder der Erkrankung nicht ausreichend geschäftsfähig oder nicht in der Lage ist, einen

Assistenzhund eigenständig zu führen und zu versorgen. In diesem Fall besteht die Option der

Ausbildung eines zusätzlichen menschlichen Teammitglieds (vgl. Rehadog 2019).

Abgesehen vom Besitz eines Behindertenpasses als Antrittsvoraussetzung für die

Assistenzhunde-Teamprüfung sollten interessierte Personen auch auf persönlicher Ebene für

die Haltung eines Hundes geeignet sein bzw. eine gewisse Affinität zu Hunden besitzen, um

mögliche Nachteile und Einschränkungen infolge des Zusammenlebens mit einem Haushund

(siehe dazu auch Kapitel 4.4) bewältigen zu können. Theoretisches Wissen zur Hundehaltung

wird vor der Teamprüfung in Rahmen einer theoretischen Prüfung am Messerli-Institut

beurteilt. Dazu erhalten Interessierte ein „Handbuch zur Vorbereitung auf die Prüfung für

Assistenzhundeführer [sic!]“, welches Informationen zu Pflege und Ausstattung, Sozial- und

Lernverhalten, Körpersprache, Stress und medizinischen Grundlagen enthält (vgl. Prüfstelle

Assistenzhunde 2019c). Diese persönliche Verantwortung gegenüber den tierischen

Assistent*innen wird auch in der Gesetzgebung explizit hervorgehoben (vgl. §39a (9) BBG).

Vor der Teamprüfung mit einem Blindenführhund ist zudem von blinden und sehbehinderten

Personen der Nachweis einer Mobilitätsschulung zu erbringen, welche beim

Sozialministeriumsservice rechtzeitig beantragt werden muss (vgl. BSVÖ 2018: 11).

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2.4. Finanzierung und Sonderrechte von Assistenzhunden

Im folgenden Kapitel werden die mit der Zertifizierung und Eintragung verbundenen

Finanzierungsmöglichkeiten und Vergünstigungen in Bezug auf die Hundehaltung und

Zutrittsrechte von Assistenzhunden näher beschrieben, wobei diese ausdrücklich nur für

staatlich zertifizierte Hunde gelten.

2.4.1. Finanzierung

Ein ausgebildeter Assistenzhund kostet bis zu 38.000 Euro, informiert der Verein „Freunde der

Assistenzhunde Europas“ und merkt an, dass die Finanzierung im Einzelfall zu

unterschiedlichen Teilen von öffentlichen Stellen, Sponsor*innen, privaten Spender*innen und

den betroffenen Personen mit Behinderung übernommen wird (vgl. Reha-Dogs 2019b). Auch

der Blinden- und Sehbehindertenverband Österreich nennt als Kosten für einen qualitäts- und

teambeurteilten Blindenführhund etwa 30.000 Euro und beschreibt die Finanzierung als

problematisch (vgl. BSVÖ 2019).

Während sich für berufstätige Blinde und Sehbehinderte bis 2018 etwa 60 Prozent der

Anschaffungskosten aus dem Ausgleichstaxfonds des Sozialministeriumservice und die

übrigen Kosten durch Pensions- und Sozialversicherungsträger*innen finanzierten, besteht für

diese Leistungen kein Rechtsanspruch und sie stehen für nicht Erwerbstätige gar nicht erst

zur Verfügung (vgl. ebenda).

Für die Anschaffung von Service- und Signalhunden hat trotz der gesetzlichen Gleichstellung

gegenüber den Blindenführhunden seit 2015 in Bezug auf die Finanzierungsmöglichkeiten

keine adäquate Anpassung der Regelungen stattgefunden, sie können jedoch ab 01.01.2018

mit Geldern aus dem Ausgleichstaxfonds zumindest in einer Höhe von bis zu 10.000 Euro

subventioniert werden, jedoch ebenfalls nur, sofern sie zu Zwecken der Berufsausübung

benötigt werden (vgl. OÖZIV 2017). Dabei ist je nach Sparte und Ausbildungsform mit einem

Anschaffungspreis von 16.000 bis 26.000 Euro zu rechnen (vgl. z.B. Assistenzhunde Reithner

2019c, Partner-Hunde 2018), sodass betroffenen Halter*innen von Service- und Signalhunden

ein höherer Betrag zur Eigenfinanzierung offen bleibt, als für Besitzer*innen eines

Blindenführhundes. In Hinblick auf die Ungleichbehandlung Erwerbstätiger gegenüber Nicht-

Erwerbstätigen bezüglich der Finanzierung von Assistenzhunden verweist Karl

Weissenbacher auf die Notwendigkeit einer Verfassungsklage, um einen Präzedenzfall für die

gesetzliche Anpassung der bestehenden Regelungen schaffen zu können1.

Für den Kauf eines Hundes aus allen Sparten der Assistenzhunde kann daher zum aktuellen

Zeitpunkt bei einem Einkommen unter der angegebenen Einkommensgrenze oder von nicht

Erwerbstätigen lediglich eine Förderung aus dem Unterstützungsfonds für Menschen mit

Behinderung beantragt werden, was in jedem Fall vor der Anschaffung des Hundes zu erfolgen

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hat und nicht rückwirkend geltend gemacht werden kann. Diese Zuwendung ist bundesweit

beim Sozialministeriumservice oder einem Träger der Rehabilitation zu beantragen und mit

6.000 Euro limitiert (vgl. Sozialministerium 2018c). Vom Sozialministeriumservice wird

außerdem auf unterschiedliche landesgesetzliche Förderungen sowie auf Zuschüsse von

Sozialversicherungsträgern verwiesen (vgl. Sozialministeriumservice 2015).

2.4.2. Sonderrechte

Das österreichische Bundesbehindertengleichstellungsgesetz §7 sieht vor, dass positive

Maßnahmen „zur Herbeiführung der gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit

Behinderungen am Leben in der Gesellschaft […] nicht als Diskriminierung im Sinne dieses

Bundesgesetzes [gelten].“ In diesem Passus ist auch die Freistellung von Menschen mit

Assistenzhunden von vielerorts geltenden Regelungen betreffend der Hundehaltung

begründet, wie sie etwa ein generelles Hundeverbot oder auch die Maulkorb- und Leinenpflicht

wären, die den Assistenzhund in der Ausübung seiner Hilfstätigkeiten behindern würden (vgl.

Reha-Dogs 2019c).

Die Informationsbroschüre des Sozialministeriums und der Wirtschaftskammer Österreich „Die

Einstellung macht’s“ unterscheidet in diesem Zusammenhang mittelbare und unmittelbare

Diskriminierung. So wird von mittelbarer Diskriminierung gesprochen, wenn eine scheinbar

neutrale Vorschrift in der Praxis eine Diskriminierung darstellt, etwa in Allgemeinen

Geschäftsbedingungen, Beförderungsbedingungen oder Hausordnungen (vgl.

Sozialministerium 2015a).

Diese Definition mittelbarer Diskriminierung findet sich auch im Code of Conduct der FH-

Campus Wien, wo als Beispiel dafür sogar die Verweigerung der Mitnahme eines

Blindenführhundes genannt wird (vgl. FHCW Code of Conduct 2014: 19). Dennoch findet sich

in der ebenfalls aus dem Jahr 2014 stammenden Hausordnung selbiger Fachhochschule der

Wortlaut: „Die Mitnahme von Tieren (ausgenommen Blindenführhunde) ist nicht gestattet“ (vgl.

FHCW Hausordnung 2014: 2, Hervorhebung durch die Autorin). Mit dieser alleinigen

Ausnahme von Blindenführhunden anstelle von allen Arten der Assistenzhunde entspricht die

noch im September 2018 an Studierende der FH-Campus Wien elektronisch übermittelte

Hausordnung weder den Grundprinzipien des hauseigenen Code of Conduct, noch der

aktuellen gesetzlichen Gleichstellung von all jenen Personen, die auf einen Service- oder

Signalhund angewiesen sind2.

2 Während der Erstellung vorliegender Arbeit entstand im Januar 2019 eine aktualisierte, jedoch noch nicht veröffentlichte, Fassung der Hausordnung, in der das bestehende Hundeverbot gesetzeskonform angepasst wurde.

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Klara Zösmayr, Sachverständige für Assistenzhunde und selbst Assistenzhundeführerin,

zitiert zu diesem Thema auf ihrer Internetpräsenz juristische Expert*innen des Klagsverbands:

„Assistenzhunde sind Hilfsmittel und sofern ein entsprechender Eintrag im Behindertenpass vorhanden ist, darf einer Person mit Assistenzhund der Einkauf inn [sic!] einem Lebensmittelgeschäft nicht wegen des Hundes untersagt werden. Wird der Zutritt dennoch mit dem Hinweis auf den Assistenzhund untersagt, so ist dies meines erachtens [sic!] eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund einer Behinderung.“ (vgl. Zösmayr 2019a).

So kann im Alltag aus der mittelbaren Diskriminierung einer Hausordnung schnell durch

Unwissenheit oder mangelnde Aktualisierung eine unmittelbare Diskriminierung von

Menschen mit Assistenzhunden entstehen, wenn sich beispielsweise Sicherheitspersonal

oder Portier*innen auf die in der Hausordnung genannten Regelungen berufen und Personen

mit Behinderung aufgrund des begleitenden Assistenzhundes den Zutritt verweigern (wollen).

Um Missverständnissen dieser Art entgegenzuwirken entwickelte die Wirtschaftskammer

Österreich den Aufkleber „Assistenzhund Willkommen“, welcher das offizielle Logo der

zertifizierten Assistenzhunde als visuelles Erkennungsmerkmal beinhaltet (siehe Abb. 1) und

kostenfrei per E-Mail bei der Wirtschaftskammer bestellt werden kann.

Abb. 1: „Assistenzhund Willkommen“

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Besonders kontrovers ist der Zutritt von Assistenzhunden im medizinischen Bereich, da dieser

aus Hygienegründen meist verweigert wird bzw. verweigert wurde. Dazu verfasste jedoch der

Fachbereich Humanmedizin des Universitätsklinikums Benjamin Franklin in Berlin (Direktor:

Prof. Dr. med. H. Rüden) eine Studie über die tatsächlichen hygienischen Bedenken bei der

Mitnahme von Blindenführhunden in Krankenanstalten und kam aus wissenschaftlicher Sicht

zu dem Schluss, dass für all jene Bereiche zu denen allgemeines Publikum (z.B.

Besucher*innen) Zugang haben „in der Regel keine Einwände gegen die Mitnahme von

Blindenhunden in Praxis- und Krankenhausräume“ bestünden, solange die speziell

ausgebildeten Tiere gesund und gepflegt sind und dafür gesorgt wird, dass Fütterung und

Defäkation außerhalb des Krankenhausgeländes stattfinden (vgl. Zösmayr 2019b). In der

aktuellen Fassung des österreichischen Bundesgesetzes für Krankenanstalten und

Kuranstalten sind daher gemäß §6 (1) i) seit 24.2.2016 explizit jene Bereiche zu definieren, in

denen Assistenzhunde keinen Zutritt haben, wohingegen der Rest des Anstaltsgeländes den

Personen mit Assistenzhunden frei zugänglich sein muss.

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3. Empowerment

Das nachfolgende Kapitel betrachtet zunächst die Definition und die darin implizierten

Aufgaben Sozialer Arbeit nach dem professionellen Verständnis in Österreich. Es wird daraus

die Verbindung zu Empowerment in der Sozialen Arbeit hergestellt und dieses in seinen

Grundzügen auf verschiedenen Ebenen der Anwendung und Interpretation theoretisch

erörtert. Praktische Anwendungsmöglichkeiten insbesondere in Verbindung mit dem

Assistenzhundewesen werden im fünften Kapitel behandelt.

3.1. Definition und Aufgabe der Sozialen Arbeit

Die International Federation of Social Workers (IFSW) bietet eine mögliche Definition Sozialer

Arbeit als Antwort auf die Frage nach dem grundlegenden Professionsverständnis (vgl. IFSW

2018). Trotz einer gewissen Uneinigkeit bezüglich der Übersetzungen und verwendeten

Fachbegriffe (vgl. OBDS 2017) stützt sich die vorliegende Arbeit daher auf folgenden, durch

den Deutschen Berufsverband der Sozialen Arbeit und den Deutschen Fachbereichstag

Soziale Arbeit (2016) erstellten und seitens des Österreichischen Berufsverbandes der

Sozialen Arbeit (OBDS) übernommenen Wortlaut:

„Soziale Arbeit fördert als praxisorientierte Profession und wissenschaftliche Disziplin gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen. Die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit, die Menschenrechte, die gemeinsame Verantwortung und die Achtung der Vielfalt bilden die Grundlage der Sozialen Arbeit. Dabei stützt sie sich auf Theorien der Sozialen Arbeit, der Human- und Sozialwissenschaften und auf indigenes Wissen. Soziale Arbeit befähigt und ermutigt Menschen so, dass sie die Herausforderungen des Lebens bewältigen und das Wohlergehen verbessern, dabei bindet sie Strukturen ein. Diese Definition kann auf nationaler und/oder regionaler Ebene weiter ausgeführt werden.“ (OBDS 2018, Hervorhebung durch die Autorin)

Hervorgehoben sind in dieser Definition die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung

sowie die Befähigung und Ermutigung von Menschen zur Bewältigung von Herausforderungen

und Verbesserung des Wohlergehens, da auf diese Aspekte in der Verbindung zum

Assistenzhundewesen als Ressource für Nutzer*innen Sozialer Arbeit im Verlauf des

folgenden Abschnittes näher eingegangen werden soll.

3.2. Empowerment: Autonomie, Selbstbestimmung, Befähigung

Die genannten Begriffe Autonomie, Selbstbestimmung und Befähigung lassen sich im Kontext

Sozialer Arbeit unter dem Schlagwort „Empowerment“ zusammenfassen, welches auch die

Steigerung des Wohlergehens impliziert. Als Empowerment wird also die „Stärkung von

Autonomie und Selbstbestimmung“ durch prozesshafte Entwicklungen verstanden, die

Menschen dazu befähigt, ein nach ihren eigenen Vorstellungen definiertes „besseres Leben“

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zu führen (vgl. Herringer 2014: 13), und kann darüber hinaus auch als „Selbstbefähigung“

übersetzt werden (vgl. Theunissen 2013: 27).

Norbert Herringer beschreibt Empowerment als einen bedeutungsoffenen Begriff mit

unterschiedlichen, teils kontroversen Interpretationsmöglichkeiten und definiert mehrere

Zugänge, die für die Betrachtung im Kontext des Assistenzhundewesens für die Soziale Arbeit

von Bedeutung sind (vgl. Herringer 2014: 13f). Besonders die große Bandbreite an möglichen

Interpretationen und deren Verwendung in den Zielen der Sozialen Arbeit entgegengesetzten

Philosophien ist einer der Kritikpunkte, die in der Nutzung des Empowerment-Konzeptes

beachtet werden müssen (vgl. Glaser 2015: 31). Für die vorliegende Arbeit sollen daher drei

mögliche Zugänge genauer beschrieben und im fünften Kapitel in direkten Bezug zum

Assistenzhundewesen gesetzt werden. Dies ist:

1. Empowerment als Bestandteil des sozialarbeiterischen Professionsverständnisses,

2. (darauf aufbauend) Empowerment in einem lebensweltlichen Kontext der Zusammenarbeit

mit einzelnen Personen und

3. die politische Interpretation und Umsetzung von Empowerment auf der Makroebene

Sozialer Arbeit durch die Unterstützung von Gruppenbildung und politischem Engagement.

3.2.1. Empowerment als Professionsverständnis

In seinem Vorwort zur 5. Auflage beschreibt Herringer Empowerment als ein Konzept

sozialarbeiterischer Professionalität, bei dem der Fokus der Zusammenarbeit weg von rein

wissenschaftlich geleitetem Expertokratismus hin zu einer psychosozialen Praxis verlagert

wird. Die von den Nutzer*innen Sozialer Arbeit im Laufe ihres Lebens erworbenen Fertigkeiten

und Ressourcen sollen respektiert und gefördert, ihre Möglichkeiten zur Selbstbestimmung,

Eigenverantwortung und Partizipation zur Gestaltung des Selbst und zur Mitgestaltung der

Umwelt verstärkt möglich gemacht werden (vgl. Herringer 2014: 11).

Empowerment kann Betroffenen nicht von Außenstehenden aufgezwungen werden, sondern

ist ein Konzept, das von Professionist*innen ermöglicht und sich dann von den Adressat*innen

Sozialer Arbeit selbst angeeignet wird. Es geht dabei um die Ermutigung zur Suche nach

eigenen Stärken und Ressourcen, auf die in unterschiedlichen Lebenssituationen nach Bedarf

zurückgegriffen werden kann (vgl. Herringer 2014: 17). Dieser fachliche Zugang setzt voraus,

dass den Menschen zugestanden und vermittelt wird, dass sie ihr eigenes Leben

selbstbestimmt gestalten können, normative Vorstellungen des Helfer*innensystems also in

den Hintergrund rücken müssen. Es bedeutet in weiterer Folge auch, dass der in Kapitel 3.1

angeführte Wortlaut „das Wohlergehen verbessern“ aus der Definition Sozialer Arbeit sich auf

eine individuelle Interpretation von Verbesserung bezieht. Was als „gut“ oder „schlecht“

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angesehen wird, entscheiden nicht Sozialarbeiter*innen für die Betroffenen, sondern die

Betroffenen selbst definieren ihre eigenen Lebensziele (bei deren Erreichen die Soziale Arbeit

dann unterstützend wirkt). Das Ziel der Zusammenarbeit soll also sein, an verborgene und

ungenutzte Kompetenzen und Stärken zu erinnern, eigene Ressourcen zu erschließen, um in

scheinbar ausgeschöpften und kraftlosen Situationen eine autonome Selbstorganisation

wieder anzuregen und zu ermöglichen (vgl. Herringer 2014: 18f).

„Auf eine kurze Formel gebracht: Handlungsziel einer sozialberuflichen Empowerment-Praxis ist es, Menschen das Rüstzeug für ein eigenverantwortliches Lebensmanagement zur Verfügung zu stellen und ihnen Möglichkeitsräume aufzuschließen, in denen sie sich die Erfahrung der eigenen Stärke aneignen und Muster einer solidarischen Vernetzung erproben können.“ (Herringer 2014: 19f)

Auf jene eigenen Stärken und solidarischen Vernetzungen wird nachfolgend in der

Beschreibung von lebensweltlichem und politischem Empowerment näher eingegangen.

3.2.2. Empowerment auf der Mikroebene: lebensweltlich

Als direkte Übersetzungsmöglichkeiten für den mit „Empowerment“ verbundenen Begriff

„power“ nennt Herringer Stärke, Kompetenz, Durchsetzungskraft, Alltagsvermögen und

bezieht sich damit auf die individuellen lebensweltlichen Ressourcen einzelner Menschen. In

diesem Kontext bezeichnet also Empowerment die Fähigkeit eines Menschen,

Schwierigkeiten und Belastungen im Alltag aus eigener Kraft zu bewältigen und dabei

individuelle Lebensvorstellungen und -ziele umzusetzen. Autonom und selbstorganisiert leben

zu können und den Alltag eigenverantwortlich zu gestalten, soll Mittelpunkt des

Empowerments auf lebensweltlicher, quasi mikropolitischer Ebene werden (vgl. Herringer

2014: 15).

Empowerment in Bezug auf einzelne Subjekte setzt also voraus, dass die Einzelperson die

feste Überzeugung erlangt, aus eigenem Antrieb heraus mehr Autonomie, Lebenssouveränität

und Selbstverwirklichung zu erkämpfen – auch und ganz besonders dann, wenn für

Klient*innen sozialarbeiterischer Angebote aufgrund unterschiedlichster Lebensumstände

(hier zum Beispiel durch körperliche oder psychische Behinderungen) eine gewisse

Abhängigkeit von professionellen und privaten Helfer*innenystemen unausweichlich ist, oder

unausweichlich scheint. (vgl. Herringer 2014: 72f).

Empowerment als „mutmachende Prozesse der Selbstbemächtigung“ zu verstehen schafft

darüber hinaus einmal mehr die Verbindung zur Definition Sozialer Arbeit, auf die sich diese

Bachelorarbeit bezieht und in der die Ermutigung von Menschen zur Bewältigung von

Herausforderungen als zentrale sozialarbeiterische Aufgabe gesehen wird (vgl. Herringer

2014: 20). Dadurch wird der Wandel der professionellen Perspektive von der „Defizitdiagnose“

hin zur gezielten Suche nach Stärken und Möglichkeiten zu einer wichtigen Grundlage

Page 171: Eberle Sophia, Eller Natalie, Gaisebner Annika, Hammer Laura … · 2020-02-26 · halb auch im Deutschen der Originalbegriff verwendet wird (vgl. Auernhammer 2015: 55). Mit ein Grund

19

professionellen Handelns und persönlicher Interaktionen zwischen Professionist*in und

Klient*in (vgl. Herringer 2014: 72). Soziale Arbeit muss sich demnach leiten lassen von dem

Vertrauen in die individuellen Ressourcen und Fähigkeiten zur Eigenverantwortlichkeit – ein

Konzept, das als „Modell der Menschenstärken“ die Adressat*innen Sozialer Arbeit nicht

länger als „Mängelwesen“ betrachtet und in fremdbestimmte Versorgungsstrukturen zwingt.

Dieses grundsätzliche Vertrauen darf jedoch nicht zu einer bedingungslosen Utopie führen, in

der jedem Menschen uneingeschränkte Fähigkeiten der Selbstbemächtigung zugesprochen

werden, sondern es muss eine professionelle und realistische Einschätzung der individuellen

Möglichkeiten, Wünsche und nötigen Unterstützungsleistungen getroffen werden um

Adressat*innen der Sozialen Arbeit nicht in Situationen der Überforderung zu drängen (Glaser

2015: 33).

Dennoch und gerade deshalb darf während oder nach umfassenden Erfahrungen der Macht-

und Hilflosigkeit, des Kontrollverlustes oder der Überforderung trotz aller nötigen und

sinnvollen Hilfen nicht aus den Augen verloren werden, dass als Ausgleich dazu neue Räume

erschlossen werden müssen, in denen die betroffenen Personen Erfahrungen der

Selbstbestimmung und auch der solidarischen Vernetzung erleben, die sie später auf andere

Lebensbereiche ausweiten können (vgl. Herringer 2014: 73). Diese solidarische Vernetzung

im Zuge des Empowerments wird im Rahmen des politischen Empowerments beschrieben.

3.2.3. Empowerment auf der Makroebene: politisch

Empowerment aus einer politischen Perspektive wird von Herringer als Umverteilung von

politischer Macht angesehen, wobei es durch Gruppenbildung zur „Bemächtigung der

Ohnmächtigen“ kommt, also dazu, dass Personen aus einer zuvor unterlegenen Position

ausbrechen können und sich in der Vereinigung mit Gleichgesinnten demokratische Macht

aneignen. Dieses Geschehen beschreibt Herringer als konflikthaft und ordnet es vor allem

sozialen Emanzipationsbewegungen und Bürgerrechtsbewegungen zu – vermeintlich starre

und unveränderliche Strukturen werden dabei aufgebrochen und neu geordnet, zum Beispiel

durch öffentlichkeitswirksame Kampagnen, die die Interessen ethnischer und sozialer

Minderheiten in den Vordergrund rücken wollen (vgl. Herringer 2014: 14f).

Derlei politisch und öffentlich aktive Gruppierungen könnten in Anbetracht der aktuellen

Veränderungen sozialstaatlicher Strukturen zunehmend an Bedeutung gewinnen, um

Interessen benachteiligter Personengruppen präsent zu halten. Erwähnenswert ist in diesem

Zusammenhang auch die mögliche Interpretation von Empowerment als Rechtfertigung

restriktiverer Sozialpolitik und neoliberaler Zugänge, denen es durchaus zugutekommt, die

Verantwortung für die Verwirklichung individueller Zielsetzungen dem autonomen Individuum

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zu überlassen, ohne dabei ungleiche Ausgangslagen wie Behinderung, Arbeitsfähigkeit und

Armut ausreichend zu bedenken (vgl. Herringer 2014: 12, Glaser 2015: 33f).

Dies spiegelt sich auch in der Thematik des Assistenzhundewesens wieder, in welcher die

mithilfe eines Assistenzhundes gewonnene Autonomie und Teilhabe durch nennenswerte

staatliche Förderungen insbesondere und fast ausschließlich jenen Menschen zur Verfügung

gestellt wird, die sich in aktiver Erwerbstätigkeit befinden (siehe Kapitel 2.4.1). Dadurch wird

impliziert, dass kein grundsätzlicher Anspruch auf Teilhabe und Empowerment besteht,

sondern dieser erst durch Erwerbsarbeit „verdient“ werden muss.

Page 173: Eberle Sophia, Eller Natalie, Gaisebner Annika, Hammer Laura … · 2020-02-26 · halb auch im Deutschen der Originalbegriff verwendet wird (vgl. Auernhammer 2015: 55). Mit ein Grund

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4. Hunde in der Sozialen Arbeit

Bereits im neunzehnten Jahrhundert erkannte die frühe Soziale Arbeit die Verbindung

zwischen dem Wohlergehen von Menschen und dem Wohlergehen von Tieren, sodass den

Bedürfnissen beider Gruppen sowie deren Beziehung zueinander besondere Aufmerksamkeit

zuteil wurde. Im zunehmenden Streben nach wissenschaftlicher Anerkennung und

möglicherweise auch durch die Einflüsse von Psychiatrie und Soziologie entfernte sich die

Soziale Arbeit ab Ende des Ersten Weltkrieges von diesem dualen Bewusstsein und

konzentrierte sich fortwährend einzig auf den Klienten Mensch (vgl. Ryan 2011: 18f.). So kam

es nicht nur dazu, dass der Mensch aus Sicht der Sozialen Arbeit bedingungslos als wert- und

würdevoll betrachtet wird, sondern dass er zudem als einziges Lebewesen dieses Sonderrecht

der Wertschätzung genießt – ein Umstand, der es praktizierenden Sozialarbeiter*innen

unabhängig von eigenen Erfahrungen und Gefühlen erschwert, den inhärenten Wert der Tiere

als Beziehungspartner zu erkennen, geschweige denn anzuerkennen. In weiterer Folge kann

es dazu kommen, dass durch die bewusste oder unbewusste Herabwürdigung des Tieres bzw.

der Beziehung zum Tier indirekt auch der dazugehörige Mensch und dessen soziale

Bedürfnisse missachtet wird (vgl. Ryan 2011: 4f.).

Auch Maureen MacNamara und Jeannine Moga beklagen, dass trotz der seit den 1990er

Jahren zunehmend stattfindenden Erforschung der Mensch-Tier-Beziehung und zahlreicher

Studien zu den gesundheitsfördernden Effekten von Tieren und Natur, diese in die

psychosozialen Modelle sozialer Arbeit kaum Einzug gehalten haben – und das, obwohl

gerade dieser lebensweltliche Ansatz eine ideale Ausgangsposition für die Miteinbeziehung

und gezielte Nutzung von Tieren im menschlichen Lebensumfeld darstellen würde (vgl.

MacNamara, Moga 2014: 151). Die Autorinnen gehen weiter darauf ein, dass Tiere zwar häufig

nur als Mittel zum Zweck für den menschlichen Gebrauch gesehen werden, diese jedoch von

Tierhalter*innen aufgrund ihrer grundeigenen Qualitäten und ihrem Wert als Gefährt*innen

geschätzt werden. So muss in jedem Fall zugestanden werden, dass zwischen Mensch und

Tier eine emotionale Verbindung besteht, auf die auch die aktuelle Wissenschaft hinweist und

die zu ignorieren für die Soziale Arbeit eine verschenkte Ressource bedeuten würde (vgl. ebd.:

152f.).

Die bisher am meisten akzeptierte und angewendete Form der aktiven Nutzung von Mensch-

Tier-Beziehungen ist die „Tiergestützte Therapie“, bzw. korrekt ausgedrückt die tiergestützte

Intervention (vgl. MacNamara, Moga 2014: 155). Auf diese soll zum besseren Verständnis der

Unterschiede in der Nutzung eigener oder fremder Tiere im Folgenden kurz eingegangen

werden.

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4.1. Tiergestützte Interventionen

Bereits in den 1970er Jahren wurden in deutschsprachigen Raum erstmals organisierte

tiergestützte Interventionen (TGI) im Bereich der Förderung von Menschen mit Behinderung

durch therapeutisches Reiten sowie auf Kinder- und Jugendfarmen angeboten (vgl. Otterstedt

2017:1). Heute bezieht sich die TGI auf vier Hauptbereiche, entsprechend der professionellen

Einbettung und der angestrebten Ziele. Die oft fälschlich als Überbegriff verwendete

Tiergestützte Therapie ist nur einer dieser Bereiche und wird ausschließlich durch

ausgebildete Therapeut*innen mit einem klaren therapeutischen Ziel angewendet (vgl. ebd.:7).

Die Tiergestützte Therapie ist also für die Soziale Arbeit nur indirekt von Bedeutung, als

Adressat*innen ggf. an Angebote Tiergestützter Therapie weitervermittelt werden können.

Im Gegensatz dazu können die restlichen Formen, die Tiergestützte Pädagogik (TGP),

Förderung (TGF) und Aktivität (TGA) von Sozialarbeiter*innen und Sozialpädagog*innen direkt

bzw. selbst angewendet werden. Während die von Pädagog*innen durchgeführte TGP ein

pädagogisches Ziel verfolgt, kann die TGF zwar durchaus bewusst, dabei aber ohne

spezifische Zielsetzung für die physische und psychische Aktivierung, Motivation und verstärkt

im sozio-emotionalen und kommunikativen Kontext eingesetzt werden (vgl. ebd.: 11). Die TGA

bezeichnet im Gegensatz dazu Aktivitäten mit oder im Beisein von Tieren, ohne dass dabei

konkrete therapeutische, pädagogische oder Förderziele erreicht werden sollen. Dies ist

jedoch immer noch abgegrenzt zum Begriff des von ehrenamtlichen Helfer*innen ohne

spezifische Qualifizierung angebotenen „Tierbesuchsdienstes“ zur Steigerung der

Lebensqualität durch Ermöglichung von sozialen Kontakten zu Mensch und Tier (vgl. ebd.:

13).

Auch in den Tiergestützten Interventionen sollte nicht defizitorientiert gearbeitet werden.

Vorhandene individuelle Ressourcen sollen genutzt werden, um „die Resilienz des Menschen

positiv zu fördern“ (vgl. Otterstedt: 22), wobei Mensch und Tier gleichermaßen Würde und

Respekt entgegengebracht werden sollen (vgl. ebd.: 31). Otterstedt nennt sowohl physische,

psychische und mentale sowie auch sozio-kommunikative Fähigkeiten, welche durch

Angebote der TGI gefördert werden können. Dazu gehören unter anderem ein positiver

Einfluss auf das Herz-Kreislauf-System, geförderte Motorik und Koordination sowie durch die

Anregung der Spiegelneurone beeinflusste körpereigene Hormone, welche sich positiv auf das

Wohlbefinden auswirken (Oxytocin, Dopamin), das Immunsystem stärken und schmerz- sowie

stresslindernde Effekte haben. Im Bereich der Psyche können die Gefühle Vertrauen,

Zuneigung und Geborgenheit erlebt und in Form von Fürsorge auch zurückgegeben werden.

Positiver Körperkontakt und Bindungsaufbau fördern die seelische Ausgeglichenheit und in

Bezug auf das Konzept des Empowerments verbessern Tiergestützte Interventionen darüber

hinaus auch die Entscheidungsfähigkeit, die Fähigkeit strukturiert, klar und deutlich zu

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handeln, sie erweitern den Erlebnisraum und fördern neben Empathie und Selbstwertgefühl

die Kontaktaufnahme mit dem sozialen Umfeld (ebd.: 26ff.).

4.2. Hunde der Klient*innen gezielt nutzen

Während die tiergestützte Intervention also darauf aufbaut, dass zwischen Adressat*in und

Tier eine neue Beziehung entstehen kann, haben Studien nachgewiesen, dass diese

temporäre Beziehung, und somit der erwartete Nutzen solcher Interventionen, noch stärker

und widerstandsfähiger ist, wenn es sich um ein Tier aus der bereits bestehenden Lebenswelt

des*der Klient*in handelt, zu dem eine dauerhafte, solide Bindung besteht (vgl. MacNamara,

Moga 2014: 156). Es bedarf keiner persönlichen Affinität zu Tieren oder gar der Haltung eines

eigenen Therapiebegleithundes, um sich als Professionist*in die vorhandenen Haustiere von

Klient*innen in der Gesprächsführung und anderen Interventionen zunutze zu machen und

deren inhärenten Wert als lebensweltliche Ressource zu erkennen (vgl. Thomas 2014: 211).

MacNamara und Moga weisen darauf hin, dass zur gezielten Miteinbeziehung und Nutzung

von Haustieren der Klient*innen zunächst ermittelt werden muss, wo deren Platz im

Familiensystem ist. Sobald das Tier im System lokalisiert wurde, kann die Frage gestellt

werden, welche Funktion es innehat und mit welchen Zielen dies in Verbindung steht. Erst

wenn diese Parameter geklärt sind, kann darüber nachgedacht werden, wie die Lokalisation

und Funktion des Tieres zu sozialarbeiterischen Zwecken eingesetzt werden kann (vgl.

MacNamara, Moga 2014: 153).

Um den ersten notwendigen Schritt umzusetzen, können Tiere zum Beispiel in

Lebensweltdiagramme miteinbezogen werden - eine Methode, bei der die Nähe bzw. Distanz

zwischen einzelnen Individuen dargestellt wird und in der ersichtlich wird, in welchem

emotionalen und strukturellen Verhältnis die Systemmitglieder zueinander stehen. Dabei

zeigte sich, dass diese Abbildung sozialer Beziehungen nicht nur für Menschen, sondern auch

für Tiere zutrifft und Letztere oft als emotional „näher“ empfunden werden als menschliche

Familienmitglieder. Darüber hinaus kann auch der tatsächliche physische Aufenthaltsort des

Tieres bzw. Gestaltung und Zustand von dessen Schlafplatz, Futternapf, Spielzeug usw. als

Indizien für die Stärke und Art der Beziehung herangezogen werden (vgl. MacNamara, Moga

2014: 153).

Individuelle Beziehungen zu Tieren können auch Aufschluss über das Selbstbild der

Besitzer*innen und deren soziale und emotionale Ressourcen geben sowie für die Menschen

eine wichtige Verbindung zu früheren Lebensabschnitten, Orten und Personen darstellen,

ihnen einen „sicheren Hafen“ und eine Quelle an Sicherheit, Wertschätzung und Zugehörigkeit

sein (vgl. MacNamara, Moga 2014: 155).

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24

Um in der Sozialen Arbeit beständig auf Herausforderungen in den Lebenssystemen jener

Adressat*innen eingehen zu können, bei denen Tiere nicht nur eine periphere sondern eine

zentrale Rolle spielen, muss sich der professionelle Diskurs über die Tiergestützten

Interventionen hinaus auch mit jenen Menschen befassen, für die ihr Heimtier ein

professioneller Partner und integraler Bestandteil von Lebensbewältigung, gesellschaftlicher

Teilhabe und materieller Sicherheit ist (vgl. ebd.: 160.). Diese Beschreibung trifft insbesondere

auch auf Menschen mit Behinderung und ihre Assistenzhunde zu.

4.3. (Assistenz-)Hunde als Ressource

Vorangehend wurden die positiven Auswirkungen von Tieren durch ihre grundsätzliche

Anwesenheit und in Verbindung mit Tiergestützten Interventionen genannt und ein kurzer

Einblick in die mögliche Nutzung von Hunden in der sozialarbeiterischen Praxis gewährt.

Nachfolgend soll in den Kapiteln 4.3 und 4.4 auf die positiven und negativen Aspekte von

Assistenzhunden sowohl als Ressource wie auch als Belastungs- und Risikofaktor

eingegangen werden.

Diverse Studien beschäftigten sich bereits mit den Vorteilen, die Assistenzhunde für ihre

Halter*innen mitbringen können (vgl. z.B.: Allen, Blascovich 1996; Sobo et al 2006, Rabschutz

2006), wobei die generellen Ergebnisse mit den in Kapitel 4.1 genannten physischen,

psychischen, mentalen und sozio-kommunikativen Vorzügen weitestgehend übereinstimmen.

Eine weitere Studie aus dem Feld der Ergotherapie beschreibt unter anderem bei

Assistenzhundehalter*innen nach Übernahme des Hundes eine erhöhte Teilnahme am

Schulunterricht und bessere Chancen auf (Teilzeit-)Arbeit, vermehrte Nutzung öffentlicher

Verkehrsmittel und von Angeboten der sozialen Gemeinschaft sowie 68% weniger bezahlte

oder unbezahlte persönliche Assistenz; Camp fasst zusammen, dass Assistenzhunde (Anm.:

in dieser Studie Servicehunde) ihren Halter*innen zu mehr Unabhängigkeit und verbesserter

psychosozialer Funktion verhelfen, was unter anderem auch zur Überwindung

gesellschaftlicher Barrieren beitragen kann (vgl. Camp 2001). Die Autorin verweist in ihrer

Arbeit außerdem auf zahlreiche weitere Studien, in denen die psychosozialen Auswirkungen

von Assistenzhunden auf Selbstwert, subjektive Kontrollüberzeugung und

Durchsetzungsvermögen dargestellt werden und darüber hinaus beschrieben wird, dass das

subjektive Sicherheitsgefühl steigt und die empfundene Einsamkeit sowie das Risiko, an einer

Depression zu erkranken, sinken (vgl. ebd.)

Weitere Hinweise auf das Sicherheitsgefühl von Menschen mit Behinderung durch die

Anwesenheit ihres Assistenzhundes finden sich nicht nur in Interviews betroffener Personen

in Boulevardmedien (vgl. Bild 2016; Volksstimme 2016), sondern auch im medizinischen

Fachjournal „Military Medicine“, in dem der Wert eines Assistenzhundes für seinen Besitzer

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beschrieben wird: “Major General Harlin states that Goldie is his key to safety, mobility, and

independence.” (Ostermeier 2010: 592)

Die klinische Studie von Hall et al. über den Einfluss von Service- und Signalhunden auf die

subjektive Lebensqualität ihrer Halter*innen belegt, dass Assistenzhunde nicht nur die

Unabhängigkeit steigern, sondern auch zur Erfüllung und Befriedigung von persönlichen

Lebensvorstellungen ihrer Besitzer*innen beitragen und damit einen noch größeren Nutzen

für deren Lebensqualität haben können, als bisher angenommen wurde (Hall et al. 2017: 8).

4.4. (Assistenz-)Hunde als Belastungsfaktor

Einen Assistenzhund zu besitzen bringt jedoch nicht nur eine Vielzahl an Vorteilen, sondern

auch eine große Verantwortung und oft hohe finanzielle Verpflichtungen mit sich, weshalb ein

Assistenzhund nicht immer die beste Lösung darstellen muss:

“Owning a guide dog involves taking on considerable responsibility and adapting one's life style and routine to incorporate the needs of the dog. In some cases, a guide dog may not be the most appropriate or convenient mobility aid for a visually impaired person.” (vgl. Whitmarsh 2009: 19).

Mit Assistenzhunden verbundene Belastungs- und Risikofaktoren können unter anderem die

Erkrankung des Tieres (bzw. damit einhergehende emotionale und finanzielle Belastungen

sowie benötigte Pflegetätigkeiten), Verhaltensprobleme des Tieres, zusätzliche

Trainingseinheiten, andere Heimtiere im Haushalt, zwischenmenschliche Konflikte, erhöhte

Sturzgefahr und das notwendige Erstellen eines verlässlichen Notfallversorgungsplans für den

Fall akuter Erkrankung oder Aufenthalten im Krankenhaus sowie Trauerbegleitung beim

Verlust des Assistenzhundes darstellen (vgl. Thomas 2014: 177). Die Mitnahme in

Krankenanstalten und andere medizinische Einrichtungen sollte in Österreich zwar generell

gestattet sein, ist jedoch oftmals in der Praxis nicht durchführbar (Verwahrung des Hundes in

Mehrbettzimmern, Versorgung/Pflege und Ausführen des Hundes bei eigener Bettlägerigkeit,

Widersprüche zwischen Recht auf Mitnahme und Hygienevorschriften), weshalb auch hier ein

Versorgungsplan anzuraten ist.

Auf die finanziellen Aspekte der Ausbildung, Anschaffung und Prüfung wurde in Kapitel 2.4.1

bereits eingegangen, zu den dort beschriebenen Kosten kommen jedoch laufende Ausgaben

für die Ernährung und medizinische Versorgung des Hundes hinzu, welche in jedem Fall

bedacht sein wollen. Die genannte Versorgung muss nicht nur finanziell, sondern auch

körperlich zu bewältigen sein. Zudem können die Ausbildung und nötigenfalls

Nachschulungen des Hundes und die in Österreich geforderten Fortbildungen der Halter*innen

(siehe Kapitel 2.3) zusätzlich Zeit und Geld fordern, wobei besonders im Rahmen der

mehrwöchigen Einschulung vor der Teamprüfung damit zu rechnen ist, gegebenenfalls

Urlaubsansprüche geltend machen zu müssen (vgl. Ostermeier 2010: 592).

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Für Personen, die sich für die Selbstausbildung ihres Assistenzhundes entscheiden, ist

insbesondere darauf zu achten, was bei einem eventuellen Nichtbestehen aufgrund von

gesundheitlicher oder wesensmäßiger Nichteignung mit dem Tier geschehen soll. Laut

Angaben der staatlichen Prüf- und Koordinierungsstelle verbleiben diese Tiere meist aufgrund

der persönlichen Beziehung zwischen Hund und Besitzer*in weiterhin als Haustier bei der

betroffenen Person und führen teilweise sogar bereits erlernte Hilfsleistungen aus, für die sie

jedoch schlimmstenfalls gesundheitlich nicht geeignet sind und die in jedem Fall nur im

privaten Kontext erfolgen können, da für diese Hunde keinerlei Zutritts- oder sonstige

Sonderrechte in Anspruch genommen werden können1.

Kommt es dennoch zur Trennung oder Abgabe von einem bereits intensiv eingeschulten oder

gar einem über Monate bzw. Jahre selbst aufgezogenen und ausgebildeten Assistenzhund,

so kann dies ebenso zur Belastung werden wie der Verlust des Hundes zu einem späteren

Zeitpunkt, etwa durch Arbeitsunfähigkeit und/oder Weitervermittlung infolge von Krankheit

oder Alter, sowie natürlich durch den Tod des Hundes. Adrienne Elizabeth Thomas schreibt

dazu, dass es nicht ungewöhnlich ist, um ein Tier ebenso stark (oder stärker) zu trauern, als

um einen verstorbenen Menschen. Diese Trauer kann noch zusätzlich verstärkt werden, wenn

das Tier für die Bezugsperson einen besonderen Stellenwert hatte, etwa durch die Begleitung

in schwierigen Lebenssituationen oder das tatsächliche oder empfundene „Retten“ des*der

Besitzer*in (vgl. Thomas 2014: 202f.). Besonders bei geplantem oder vorhersehbarem Verlust,

etwa während langer oder schwerer Erkrankung oder durch die bevorstehende Pensionierung

des Assistenzhundes, kann es zu sogenanntem „anticipatory grief“, also einem Vorab-

Trauern, kommen, welches ebenso belastend ist wie akute Trauer und zu Angststörungen,

Besorgnis, Schuldgefühlen, Verwirrung und Entscheidungsunfähigkeit führen kann (vgl. ebd.:

206, 208).

Ein weiterer negativer Aspekt der Assistenzhundehaltung kann die erhöhte Sichtbarkeit in der

Öffentlichkeit darstellen, wenn es dadurch zu Stigmatisierungen kommt, wie Nathalie Geese

beschreibt:

„Auch wenn ein Führhund die Mobilität seines blinden Menschen erweitern und ihn so zur Teilhabe befähigen soll, vertrete ich hier die These, dass es im Rahmen von Interaktionen in triadischen Konstellationen (blinder Mensch, Führhund und sehender Mensch) auch immer wieder Situationen geben wird, die für die Interaktionsteilnehmenden problematisch sind. Dies dürfte vor allem dann der Fall sein, wenn es zur Stigmatisierung der Beteiligten kommt.” (Geese in Burzan, Hitzler 2017: 140)

Auf die komplexe Thematik der Stigmatisierungen hier in all ihren Facetten einzugehen, würde

den Rahmen dieser Bachelorarbeit sprengen, es ist jedoch für Professionist*innen zu

beachten, dass es grundsätzlich zu solchen Stigmatisierungen kommen kann und die

betroffenen Personen diese Thematik gegebenenfalls zu bewältigen haben, möglicherweise

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verstärkt dann, wenn die Behinderung für Außenstehende nicht sichtbar ist und die

Anwesenheit des Hundes erklärt oder gar gerechtfertigt werden muss.

Um die Vor- und Nachteile der Assistenzhundehaltung individuell zu beurteilen, ist eine

umfassende Beratung der interessierten Personen notwendig, welche aktuell nicht oder nur

teilweise von einzelnen Stellen angeboten wird, in deren Tätigkeiten die Soziale Arbeit derzeit

nicht involviert ist. Insbesondere in der Beratung vor der Anschaffung zu Themen wie

Finanzierung, rechtliche Aspekte und Alltagsgestaltung wäre eine ergänzende

sozialarbeiterische Begleitung sinnvoll. Auf die Bedeutung und mögliche Umsetzung dieses

Vorschlags wird nun im nachfolgenden Abschnitt näher eingegangen.

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5. Förderung von Empowerment im Assistenzhundewesen

Um konkrete Förderungsmöglichkeiten des Empowerment-Konzeptes für Menschen mit

Assistenzhunden zu erarbeiten, sollen im folgenden Abschnitt der Bachelorarbeit die bisher

dargelegten Fakten zum Assistenzhundewesen in Österreich mit den Zielen des

Empowerments und der Nutzung von Hunden der Adressat*innen Sozialer Arbeit verbunden

werden. Dies geschieht zum besseren Verständnis auf Basis der in Kapitel 3.2.1 bis 3.2.3

bereits theoretisch beschriebenen Ebenen von Empowerment in professionellem,

lebensweltlichem und politischem Kontext. Obwohl zahlreiche der genannten Effekte und

Interventionsmöglichkeiten nicht ausschließlich mit Assistenzhunden, sondern zumindest in

ihren Grundzügen auch mit anderen Haustieren oder Hunden ohne spezifische Ausbildung

sowie in vielfältigen sozialarbeiterischen Kontexten erzielt werden könnten, konzentriert sich

die vorliegende Arbeit aus Gründen der Thematik und Zielsetzung einzig auf den Aspekt der

Assistenzhunde für Menschen mit Behinderung.

Eine Ende 2015 durch die Statistik Austria durchgeführte Mikrozensuserhebung ergab, dass

18,4% der österreichischen Bevölkerung, die in Privathaushalten lebt, nach eigenen Angaben

unter einer dauerhaften Beeinträchtigung leiden – dies sind hochgerechnet 1,3 Mio. Personen

(Menschen in stationären Einrichtungen wurden dabei nicht berücksichtigt, sodass die Quote

der Schwerbehinderten Personen in der Gesamtbevölkerung als noch höher anzusetzen ist,

als in der Befragung berechnet) (vgl. Sozialministerium 2017: 240). Im vergleichbaren

Zeitraum besaßen in Österreich rund 350.000 Personen einen Behindertenpass (vgl.

Parlament 2015: 1).

In der praktischen Umsetzung wird daher auch von einer Fokussierung auf spezifische

Handlungsfelder Sozialer Arbeit abgesehen, es ist in sämtlichen Arbeitsbereichen damit zu

rechnen, auf Assistenzhundehalter*innen zu treffen – sei es als Adressat*innen, als

Kolleg*innen oder in anderer Weise. Ebenso ist die Erläuterung spezifischer Methoden für die

Praxis in diesem Rahmen nicht möglich.

Zum besseren Verständnis sei dennoch ein kurzes Beispiel genannt, in dem die nachfolgend

beschriebenen Prinzipien Anwendung finden könnten: Die Volkshilfe Wien hat im Rahmen der

Wohnungslosenhilfe mit ihrem Projekt „A G’Spia für’s Tier“ ein Kooperationsmodell aus

Sozialer Arbeit und Hundetraining geschaffen, bei dem potentiell durch die Tierhaltung

verursachte Benachteiligungen beseitigt und die Hunde als Ressource zur Verbesserung von

Gesundheit und Wohlbefinden ihrer Besitzer*innen genutzt werden (vgl. Volkshilfe 2016).

Durch eine ähnliche Kooperation zwischen Professionist*innen Sozialer Arbeit und

Akteur*innen der zuständigen Stellen im Assistenzhundewesen könnten einerseits einzelne

Adressat*innen ganzheitlich betreut und optimal beraten werden, andererseits kann durch den

multiprofessionellen Austausch das System in sich gestärkt werden, wodurch Empowerment

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durch fachliche Zusammenarbeit auf struktureller und individueller Ebene ermöglicht werden

kann.

5.1. Empowerment auf der Professionsebene anwenden

Grundlage der Förderung von Empowerment im Assistenzhundewesen durch die Soziale

Arbeit soll zunächst die Entwicklung eines professionellen Bewusstseins der Zuständigkeit

bilden. Sind die Förderung von Autonomie und Selbstständigkeit sowie die Ermutigung zur

selbstständigen Bewältigung schwieriger Lebenssituationen Ziele der Sozialen Arbeit, so

decken sich diese Forderungen nicht nur mit den Grundprinzipien des Empowerments,

sondern auch mit den in Kapitel 4.3 beschriebenen positiven Aspekten der

Assistenzhundehaltung. Anders formuliert: setzt sich die Soziale Arbeit dafür ein, dass

Menschen mit Behinderung die Haltung eines solchen Assistenzhundes leichter zugänglich

gemacht wird, so ermöglicht sie damit zugleich auch den Zugang zu den im Empowerment

geforderten Möglichkeitsräumen für mehr Autonomie und Teilhabe im Alltag und erhöht die

Chancen ihrer Adressat*innen, das subjektive Wohlergehen selbstbestimmt zu verbessern

und eigenverantwortliches Lebensmanagement umzusetzen.

Die in der Einleitung zum fünften Kapitel genannte Mikrozensuserhebung ergab außerdem,

dass Ende 2015 rund 40.000 in Österreich lebende Personen auf die Benützung eines

Rollstuhls angewiesen waren – dem gegenüber stehen nur 4 im Jahr 2015 geprüfte und 23 in

der Übergangsfrist zertifizierte Servicehunde. 53.000 Personen mit schwerwiegenden

Problemen beim Sehen standen im selben Jahr 12 neu geprüfte und 21 in der Übergangsfrist

anerkannte, also insgesamt 33 gesetzlich zertifizierte Blindenführhunde zur Verfügung (vgl.

Sozialministerium 2017: 153, 240). Für Signalhunde ist aufgrund der telefonischen Befragung

und der fehlenden statistischen Differenzierung der Art von Signalhunden kein derartiger

Vergleich möglich, die Zahlen weisen jedoch insgesamt darauf hin, dass bei potentiellen

Adressat*innen Sozialer Arbeit mit Behinderung nur ein verschwindend geringer Anteil einen

staatlich zertifizierten Assistenzhund führt und somit den übrigen Personen diese besondere

Ressource bisher nicht zur Verfügung steht. Wenngleich ein Assistenzhund nicht für jeden

Menschen mit Behinderung in Frage kommt, so ist doch anzunehmen, dass durch eine

bessere sozialarbeiterische Unterstützung der Betroffenen deutlich mehr Menschen mit einem

Blindenführ-, Service- oder Signalhund eine Verbesserung ihrer Autonomie,

Selbstbestimmung und Befähigung erreichen und ihre subjektive Lebensqualität verbessern

könnten.

Konkrete Ansätze, das Assistenzhundewesen in das Professionsverständnis der Sozialen

Arbeit miteinzubeziehen, könnten etwa eine Verbesserung der allgemeinen Informationslage,

klar formulierte und leicht zugängliche Anspruchsvoraussetzungen für Erhalt und finanzielle

Förderung von Assistenzhunden sowie Aufklärung bezüglich des korrekten Umgangs mit den

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Tieren beinhalten. Auch Information bezüglich der Sonderrechte von staatlich geprüften

Assistenzhunden sowie die professionell geleitete Abwägung, ob und in welcher Form der

Einsatz eines Assistenzhundes angezeigt ist, können Aufgaben von (speziell geschulten oder

mutliprofessionell vernetzten) Sozialarbeiter*innen sein.

Ein weiterer wichtiger Ansatz diesbezüglich ist die Anerkennung des Assistenzhundes als

Ressource für die Halter*innen und die Wertschätzung desselben als wichtiger sozialer

Beziehungspartner. Dies beinhaltet auch, sich aktiv für die Wahrung der gesetzlichen

Zutrittsrechte einzusetzen und gegebenenfalls Arbeitsorte auch in Hinblick auf die Mitnahme

von Assistenzhunden barrierefrei zu gestalten, um mittelbare wie unmittelbare

Diskriminierungen im Alltag zu vermeiden. Dabei ist neben den in Kapitel 2.4.2 genannten

Beispielen auch die Mitnahme in Räumlichkeiten der Bundesverwaltung und

Selbstverwaltungskörper (z.B. Arbeitsmarktservice, Sozialversicherungsträger) und in

sämtliche Institutionen, welche Waren und Dienstleistungen für die Öffentlichkeit anbieten,

sowie in Kranken- und Kuranstalten, gemeint (vgl. Zösmayr 2019a, 2019b).

Teil des professionellen Handelns sollte auch sein, sich in Anwesenheit von

Assistenzhundeteams nicht nur dem Menschen gegenüber respektvoll zu verhalten, sondern

auch das Tier ungestört arbeiten zu lassen und wichtige Umgangsregeln zu beachten, um

nicht durch die Ablenkung des Tieres die Gesundheit der Halter*innen zu gefährden3.

5.2. Empowerment auf der Mikroebene anwenden

Ist das Assistenzhundewesen in das Professionsverständnis Sozialer Arbeit integriert, so

erschließen sich auch für die direkte Zusammenarbeit mit Assistenzhundehalter*innen neue

Zugänge und Handlungsansätze. In Kapitel 3.2.2 wurde Empowerment auf der Makroebene

beschrieben und kann nun mit den in Kapitel 4.2 genannten Möglichkeiten zur Nutzung

klient*inneneigener Heimtiere in direkte Verbindung gesetzt werden.

Ausschlaggebend ist hierbei, den Hund als Ressource und Sozialpartner in Anamnese und

Interventionen einzubeziehen. Professionist*innen Sozialer Arbeit müssen im Rahmen des

Empowerment-Konzeptes, ungeachtet ihrer persönlichen Einstellung zu Hunden, das Tier als

sozialen Katalysator anerkennen und sich darüber im Klaren sein, dass die Anwesenheit des

Assistenzhundes im Alltag zu verbesserter Mobilität und Teilhabe, zu mehr Selbstwert,

Kontrollempfinden, Sicherheitsgefühl und subjektiver Lebensqualität der Halter*innen beiträgt.

Zudem ist, wie in der bereits genannten Studie von Camp dargelegt, die Stundenanzahl der in

Anspruch genommenen persönlichen Assistenz nach Erhalt eines eigenen Assistenzhundes

stark rückläufig (siehe dazu Kapitel 4.3).

3 siehe dazu z.B.: „Bitten aller Assistenzhundeteams“: http://www.reha-dogs.eu/wp/?page_id=518

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Darüber hinaus sind die Halter*innen von Assistenzhunden in Krisensituationen empathisch

zu unterstützen und ihre spezifischen Bedürfnisse auch in Bezug auf den Hund

wahrzunehmen. Dies kann neben der bereits erwähnten professionellen Beratung auch

bedeuten, Klient*innen in der Selbstausbildung des Hundes zu unterstützen, da die dabei

entwickelten Fähigkeiten ein integraler Bestandteil der selbstständigen Lebensbewältigung mit

dem Assistenzhund sein können und die gesetzten Ziele erfolgreich umgesetzt werden sollen.

So können, wie in Kapitel 3.2.2 gefordert, Herausforderungen des Alltags gemeistert und aus

eigenem Antrieb heraus Souveränität und Selbstverwirklichung erkämpft werden.

Die Unterstützung und Begleitung in Krisensituationen ist darüber hinaus insbesondere bei

Verlust des Hundes durch Tod oder Abgabe notwendig, um die in Kapitel 4.4 genannten

Belastungsfaktoren gering zu halten. Diese Prävention von Stress- und Belastungssituationen

beinhaltet aber auch, Menschen mit Behinderung bei Amtswegen und ärztlichen

Einstufungsuntersuchungen zu unterstützen – gerade Personen mit psychischer

Beeinträchtigung berichten in persönlichen Gesprächen von benötigten Anfechtungen des

erstmaligen Einstufungsverfahrens, um eine Zuerkennung des Grades der Behinderung von

mindestens 50% zu erreichen. Unterstützung kann auch bei der Einleitung von

Schlichtungsverfahren infolge verweigerter Zutrittsrechte sowie bei der Information über- und

rechtzeitigen Beantragung von finanziellen Hilfen notwendig werden.

Für die Aufklärung über- und die Umsetzung von Rechten der Assistenzhundeteams sind auch

Interessensvertretungen und -gruppen entstanden, worauf im Kontext des politischen

Empowerments nachfolgend eingegangen wird.

5.3. Empowerment auf der Makroebene anwenden

Herringer betrachtet die Formierung von mehreren gleichgesinnten Personen zu

Bürger*innen-Initiativen oder Interessensvertretungen als integralen Bestandteil des

politischen Empowerments, welches bei zuvor benachteiligten Personengruppen zu einer

Aneignung von demokratischer Macht führen soll (siehe Kapitel 3.2.2). Neben professionellen

und lebensweltlichen Zugängen im Assistenzhundewesen sind also auch politische

Bestrebungen zu unterstützen und zu ermöglichen. Als Beispiel dafür existiert in Österreich

seit etwa 20 Jahren der gemeinnützige Verein „Freunde der Assistenzhunde Europas“,

welcher sich als Interessensvertretung für die Rechte von Assistenzhundeteams einsetzt und

seinen Mitgliedern Informationen, Beratung und Fortbildungsmöglichkeiten sowie juristische

Unterstützung anbietet. Konzepte wie dieses erfüllen also die Forderung von Empowerment

durch Ermöglichung von autonomer Problembewältigung und verstärkter Sichtbarmachung

der Bedürfnisse von marginalisierten Personengruppen. Letztere werden zudem auch durch

die Behindertenanwaltschaft und den Klagsverband durch Hilfe bei etwaigen

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Schlichtungsverfahren (z.B.: infolge der Zutritts- oder Beförderungsverweigerung) unterstützt

(vgl. Reha-Dogs 2019a).

Abgesehen von Beratungen zu einzelnen Aspekten des Assistenzhundewesens durch

zuständige Stellen – etwa Informationen über finanzielle Rahmenbedingungen durch das

Sozialministeriumsservice und die zuständigen Versicherungsträger oder umfassende

Beratung zu Prüfungsanforderungen für zukünftige Assistenzhundeteams seitens des

Messerli-Institutes – basieren jedoch die meisten verfügbaren Angebote auf persönlicher

Kontaktaufnahme und sind daher in ihrer Qualität im Rahmen dieser Bachelorarbeit nicht zu

beurteilen. Die Soziale Arbeit scheint – soweit ersichtlich – in diese Beratungskonzepte bisher

nicht integriert zu sein, dies bestätigt Karl Weissenbacher im persönlichen Gespräch1. Auch

eine ganzheitliche Beratung zu den wesentlichen Aspekten der Assistenzhundehaltung ist

derzeit in Österreich nicht etabliert. Einige dieser wesentlichen Aspekte sind etwa die

persönliche Eignung unter Berücksichtigung möglicher Belastungsfaktoren oder

psychosozialer Unterstützungssysteme, die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen auf

menschlicher Seite sowie Aufklärung über umfassende finanzielle Fördermöglichkeiten vor der

Anschaffung des Hundes.

Im Sinne des Empowerments von Assistenzhundehalter*innen durch Soziale Arbeit wäre die

Kooperation mit- und Ergänzung von bestehenden Beratungsstellen und

Interessensvertretungen wünschenswert, um den Adressat*innen bestmögliche

Voraussetzungen selbstständiger Handlungsmöglichkeiten und die Vernetzung mit

Gleichgesinnten zu erschließen, wodurch auch Forderungen auf der Makroebene verstärkt

eingebracht werden können.

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6. Fazit

Die vorgelegte Bachelorarbeit widmet sich der Forschungsfrage, wie durch Miteinbeziehung

von Sozialer Arbeit im österreichischen Assistenzhundewesen die Situation von potentiellen

und tatsächlichen Assistenzhundehalter*innen auf Basis des Empowerment-Konzeptes

verbessert werden kann.

Dazu werden zunächst die rechtlichen Grundzüge des Assistenzhundewesens und die damit

verbundenen Rahmenbedingungen für betroffene Personen dargelegt. Es werden die

unterschiedlichen Arten von Assistenzhunden beschrieben und Sonderrechte,

Finanzierungsmöglichkeiten und deren Limitierungen herausgearbeitet, sowie auf

Voraussetzungen und mögliche Schwierigkeiten bei der Anschaffung eines Assistenzhundes

hingewiesen. Im dritten Kapitel wird das Konzept des Empowerments beschrieben und auf

dessen Potential in der Arbeit mit Assistenzhundehalter*innen eingegangen, aber auch

dessen Kritik im professionellen Diskurs berücksichtigt. Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit

der Nutzung von Hunden im Rahmen der Sozialen Arbeit, wobei sowohl die positiven Aspekte

Tiergestützter Interventionen als auch die Möglichkeiten zur Nutzung klient*inneneigener

Haustiere herausgearbeitet werden. Darauf aufbauend werden Assistenzhunde als mögliche

Ressource beschrieben, aber auch deren Potential als Belastungsfaktor im Leben von

Menschen mit Behinderung aufgezeigt. Abschließend werden im fünften Kapitel die zuvor

geschilderten Themenbereiche dahingehend verbunden, dass konkrete

Anwendungsmöglichkeiten von Sozialer Arbeit und Empowerment im österreichischen

Assistenzhundewesen sichtbar werden.

Die Erkenntnisse der vorliegenden Bachelorarbeit lassen sich daher auf professioneller,

lebensweltlicher und politischer Ebene wie folgt zusammenfassen:

Adressat*innen Sozialer Arbeit könnten durch die aktive Miteinbeziehung von Tieren

profitieren. Dies trifft aufgrund der besonders ausgeprägten Mensch-Tier-Beziehung neben

der Nutzung von Tiergestützten Interventionen und eigenen Heimtieren verstärkt auf

Menschen mit Behinderung zu, die von einem Assistenzhund unterstützt werden. Teilweise

wird diesen Personen aber durch individuelle Hindernisse oder strukturelle Einschränkungen

das Recht verwehrt, diese Möglichkeiten in Anspruch zu nehmen. Dies erschwert ihre Teilhabe

am öffentlichen Leben und widerspricht damit dem Konzept des Empowerments. Es wäre in

diesem Kontext Aufgabe der Sozialen Arbeit, vermehrt Informationen bereit zu stellen und

Prozesse zur sinnvollen Integration eines Assistenzhundes in die Lebenssysteme der

Betroffenen zu begleiten.

Sozialarbeiter*innen können auf unterschiedliche Weise und in sämtlichen Handlungsfeldern

damit konfrontiert werden, dass durch das Zusammenleben der Adressat*innen mit

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Assistenzhunden besonderen Bedürfnisse entstehen. Eine professionelle Haltung setzt daher

auch voraus, dass auf Aspekte der Nutzen und Risiken, der gesellschaftlichen, gesetzlichen,

institutionellen und individuellen Möglichkeiten, der Chancen und möglichen Schwierigkeiten

in diesem Kontext eingegangen wird.

Sowohl zur Unterstützung von Adressat*innen als auch von Professionist*innen könnten zu

diesem Zweck spezialisierte Anlaufstellen geschaffen werden, die im Fall auftretender Fragen

oder Probleme (z.B. welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit ein*e Klient*in

Anspruch auf einen Assistenzhund hat) kontaktiert werden können.

Darüber hinaus gilt es, politische Prozesse zu unterstützen (etwa durch Förderung bzw.

Gründung von Interessensgruppen, Zusammenarbeit mit einschlägigen Stellen und

Evaluationsprozesse zur Verbesserung der Situation von (Assistenz-)Hundehalter*innen im

sozialarbeiterischen Kontext), die es Menschen mit besonderen Bedürfnissen ermöglichen,

die spezielle Ressource der Beziehung zwischen Mensch und Tier zu nutzen und die darüber

hinaus sicherstellt, dass Teilhabe und Empowerment auch in Begleitung eines

Assistenzhundes ermöglicht wird.

Viele mögliche Barrieren und Diskriminierungen von Assistenzhundeteams, wie etwa die

Anzahl von Zutrittsverweigerungen oder negative Folgen durch mangelhaft ausgebildete oder

unpassend vermittelte Assistenzhunde, konnten in dieser Arbeit nicht erfasst werden, da

hierzu keine Daten vorliegen. Ebenfalls nicht erfasst sind außerdem all jene Menschen, die

einen Grad der Behinderung von weniger als 50% aufweisen (z.B. bei psychischen

Beeinträchtigungen), aber dennoch von den positiven Folgen durch die Haltung eines

Assistenzhundes profitieren würden.

Offen bleibt auch die Frage nach der Dunkelziffer nicht staatlich geprüfter Hunde, die als

vermeintliche Assistenzhunde geführt werden, ohne die nötigen gesundheitlichen und

wesensmäßigen Anforderungen nachgewiesen zu haben. Es ist damit zu rechnen, dass

aufgrund von fehlender oder falscher Beratung durch Ausbildungsstätten und zuständige

Stellen oder aus finanziellen Gründen zahlreiche Menschen mit Behinderung einen

ungeprüften „Assistenzhund“ erwerben und führen, welchem keine der genannten

Sonderrechte zustehen und wodurch die „Ressource Assistenzhund“ nicht oder nur

eingeschränkt genutzt werden kann.

Auch in Bezug auf die Vor- und Nachteile von Fremd- und Selbstausbildung sind aus

sozialarbeiterischer Sicht nur unzureichende Informationen verfügbar.

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Dennoch konnte in der vorliegenden Arbeit eine klare Verbindung zwischen den Zielen

Sozialer Arbeit im Allgemeinen bzw. dem Konzept des Empowerments im Besonderen und

den Aufgaben und Möglichkeiten von Assistenzhunden geschaffen werden. Dies lässt darauf

schließen, dass die Miteinbeziehung des Assistenzhundewesens in das professionelle

Bewusstsein Sozialer Arbeit neue Möglichkeiten für die Halter*innen von Blindenführ-,

Service- und Signalhunden schaffen und sich deren Autonomie, Selbstbestimmung und

Befähigung dadurch verbessern kann.

„Animals serve as a vehicle for clients to create meaning and value out of difficult life experiences, especially if those animals provide a source of hope, possibility or purpose.” (MacNamara & Moga in Ryan 2014: 158)

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7.3. Abbildungen

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8. Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: „Assistenzhund Willkommen“ …………………………………………………… 15