Die zunehmende Verdrängung des freien Kinderspiels im … · 2019. 1. 9. · Die zunehmende...
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Die zunehmende Verdraumlngung des freien Kinderspiels
im Hessischen Bildungsplan
Bachelorarbeit
vorgelegt
fuumlr die Pruumlfung zum Bachelor of Arts
im Studiengang der Kultur- und Medienpaumldagogik
im Fachbereich Soziale ArbeitMedienKultur
der Hochschule Merseburg
von Marius Gau
Am Berg 4 56368 Herold
Matrikelnummer 19067
Eingereicht zum 16042015
Betreuer der Arbeit Prof Dr Paul Detlev Bartsch Prof Dr Maria Nuumlhlen
InhaltsverzeichnisEinleitung21 Freies Kinderspiel - Wesensmerkmale4
11 Das Moment der Freiheit712 Das Moment der inneren Unendlichkeit913 Das Moment der Scheinhaftigkeit1014 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)1115 Das Moment der Geschlossenheit1316 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit1317 Zusammenfassung14
2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan1521 Das Spielverstaumlndnis1522 Politische Ziele und Hintergruumlnde1623 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel1924 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel21
3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung254 Zusammenfassende Gedanken27Literaturverzeichnis30Internetquellen31
Einleitung
bdquoDas menschliche Leben ist nur solange wirklich als es seine Darstellung in einem be-grifflich unverfuumlgbaren Spiel finden kann Faumlllt dieses Spiel aus sei es durch Gering-schaumltzung sei es dadurch daszlig der Mensch die Spielregeln nicht mehr anerkennen willoder kann verkommt das Leben zur wahnhaften Unwirklichkeit und zum bloszligen Spielʻdas alle Beteiligten zwingt und nichts mehr zeigtldquo (Kamper 1976 S 134 Herv iOrig)
In Zeiten der maszliggeblichen kognitiven bdquoMobilmachungldquo in Kindertagesstaumltten und Grundschulen
durch oumlkonomisch-technokratische Bildungsreformen scheinen gerade Spielraumlume des unverfuumlgba-
ren spontanen Spiels der Kinder zunehmend abhanden zu kommen (vgl Rittelmeyer 2007 S 7-13
u 97 ff)
Auch mein Sohn musste dies bis zu seinem Wechsel in eine Einrichtung freier Traumlgerschaft taumlglich
in einer Kindertageseinrichtung erleben und erfahren Mit Sorge beobachtete ich wie er annaumlhernd
taumlglich an diversen Angeboten zum Kompetenzerwerb Fruumlhfoumlrderungen oder anderen Programmen
der kognitiven Mobilmachung teilnehmen musste Der Alltag der Kinder in vielen Einrichtungen
ist so eng durchorganisiert dass kaum Zeit fuumlr freies Spielen bleibt So wird am Vormittag neben
Fruumlhstuumlck Morgenkreis Zwischenmahlzeit und Mittagessen meist nur ein Lernangebot unterbreitet
welches zwar so manches Mal bdquospielerischldquo erfolgt in dem jedoch vorrangig das Ergebnis nicht das
Beduumlrfnis der Kinder nach freiem Spiel an sich im Vordergrund steht Daruumlber hinaus muumlssen auch
alle Kinder an diesem Angebot teilnehmen da ansonsten die Aufsicht der nicht-teilnehmenden
spielenden Kinder aufgrund des geringen Personals nicht gewaumlhrleistet ist Die Erfolge und Ergeb-
nisse der Kinder werden dann in einer Art bdquoGalerieldquo im Garderobenbereich praumlsentiert und die El-
tern duumlrfen diese bewundern und bestaunen und stolz auf ihren Nachwuchs sein Zusaumltzlich zur Er-
gebnispraumlsentation koumlnnen sie den Lernerfolg ihres Sproumlsslings in einem eigens zu diesen Zwecken
angelegten Portfolio entnehmen Zeit fuumlr wirkliches freies Spielen bleibt kaum obwohl die Zeit da-
fuumlr laut Bildungsplan und Aussage der Erzieher fest eingeplant ist Lediglich in den kurzen bdquoPau-
senldquo zwischen den Mahlzeiten bzw dem Vormittagsangebot und nach der Nachmittagsmahlzeit
also in der Zeit bis die Kinder abgeholt werden duumlrfen sie sich frei in der Einrichtung oder im Gar-
tenbereich bewegen und nach Lust und Laune spielen Kann man da nicht von Gluumlck fuumlr das Kind
sprechen wenn seine Eltern es erst spaumlt am Nachmittag abholen sodass es noch viel Zeit zum frei-
en Spielen hat Ich als Vater frage mich Wie soll ein Kind in dieser festgelegten und vor allem ge-
ringen Zeit wie auf Knopfdruck frei spielen Welches Kind wuumlrde sich freiwillig solch einen Tages-
ablauf selbst waumlhlen und gestalten Warum steht das Erreichen von Bildungs- und Erziehungszielen
uumlber den Beduumlrfnissen der Kinder
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Aufgrund dieser Beobachtungen und Erfahrungen nehme ich an dass es einen Gegensatz zwischen
den Interessen und Beduumlrfnissen des Kindes nach selbst initiierter Lebenstaumltigkeit und den Anliegen
und Zielen von Staat und Wirtschaft bezuumlglich Bildung und Erziehung gibt welche zu einer Ver-
draumlngung des freien Kinderspiels in staatlichen Institutionen fuumlhrt Ich vermute dass die paumldagogi-
schen Ziele und Zwecke des intentional geplanten staatlichen Bildungs- und Erziehungsvorhabens
welches sich in den jeweiligen Bildungs- und Erziehungsplaumlnen der Bundeslaumlnder widerspiegelt
das freie (Kinder)Spiel verdraumlngen muumlssten weil sie durch oumlkonomisch-technokratisch Bildungsre-
formen gepraumlgt sind Diese Praumlgung ist in sofern oumlkonomisch als dass sich die Ansichten des Wirt-
schaftssektors dirigierend auf die Bildungsreform auswirken Und somit wird die staatliche Lern-
und Bildungsplanung unter Wirtschaftsstandort sicherndem Blickwinkel betrachtet die bdquoHeran-
wachsende gezielt auf bestimmte (meist kognitive) Schluumlsselqualifikationenʻ oder Grund-
kompetenzenʻ (zB den Umgang mit Informationstechnologien) vorbereitenldquo (ders S 8) soll
Technokratisch wird diese Bildungsintention dann wenn sie von einer rationalen Planbarkeit indivi-
dueller Bildungsprozesse ausgeht oder diese durch paumldagogisches Wirken beabsichtigt weshalb
selbsttaumltige Bildungsprozesse die im freien Spiel initiiert werden dem entgegen stehen (vgl ebd)
Im Gesamten handelt es sich dabei um die Einschraumlnkung jener Freiraumlume in denen - mit Schiller
gesprochen - Kinder noch im Sinne des Wortes Mensch sein koumlnnen in denen sie nach ihren Moumlg-
lichkeiten fuumlr ihre Beduumlrfnisse eigeninitiativ Selbstverantwortung uumlbernehmen und spielen Nach
Dietmar Kamper scheint der Mensch in dieser verplanten Welt aber selbst auf dem Spiel zu stehen
weil er nicht mehr spielen kann Laufen wir Gefahr uns selbst in dieser wahnhaften Unwirklichkeit
in bloszligen Spielen allmaumlhlich selbst zu verspielen und houmlren vielleicht auf Mensch zu sein Diese
Wortspielchen sind doch nur bloszlige Spielerei koumlnnte man sagen und als das waumlren sie unernst also
bedeutungslos oder Spielerei eben Leere bloszlig aneinandergereihte Wortanalogien ohne wesentli-
chen Zusammenhang oder nicht Unernst ist doch eben bloszlig als-ob und eigentlich nur ein Spiel-
chen und deshalb ohne Gehalt (Vgl Kamper 1976 S 130-145) Aber eines machen diese Wort-
spiele schon deutlich dass das Spiel mit Worten zu fassen eine kaum spielerische (in beiden Sinnen
des Wortes) Angelegenheit sein wird Aber ist das Spiel ohne es zu spielen uumlberhaupt zu erfassen
Jedenfalls gespielt wird die Floumlte der Ball oder mit dem Wind aber auch in Gedanken oder eben
mit Worten aber auch das Spiel der Wellen ist Spiel auch das Liebesspiel scheint wie das Kinder-
spiel zumindest vom Wort ein aumlhnliches aber vielleicht sogar ein wesensgleiches Phaumlnomen zu um-
schreiben zu um-spielen
Dieser hinter dem Spiel liegende bdquoKosmosldquo ist grundlegend fuumlr die vorliegende Arbeit Ich bin da-
von uumlberzeugt dass (Kinder)Spiel weitaus mehr ist als unernstes oder unproduktives Tun es auch
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mehr ist als eine geschickte natuumlrliche Vorbereitung auf das Leben die dann von Bildungsinstitutio-
nen als guumlnstiges Mittel bdquokompetenzenfoumlrderndldquo eingesetzt wird wie es haumlufig den Bildungsdiskus-
sionen in oumlffentlichen Medien zu entnehmen ist Und ich bin uumlberzeugt davon dass das Spiel der
Wellen im Wesentlichen den gleichen Prinzipien folgt und im gleichen Modus verlaumluft wie das
Jonglieren von Baumlllen oder das Feuerwehrmannspiel spielender Kinder Deshalb wird es im ersten
Teil dieser Arbeit das Ziel sein Spiel von seinem Wesen aus phaumlnomenologisch zu beschreiben
moumlglichst ohne das Spiel auf moumlgliche Funktionen oder psychologische Effekte zu verengen Diese
Wesenszusammenhaumlnge ermoumlglichen es dann das Spiel als ein eigens initiiertes und durch Selbstor-
ganisation gesteuertes Geschehen anerkennen zu koumlnnen dass sich zwischen Zufall und Notwen-
digkeit ereignet und keiner Mittel-Zweck-Logik der buumlrgerlichen Gesellschaft folgt
Eine solche weitreichende uumlber den Funktionen und Nutzen liegende Begriffsbestimmung bzw
Phaumlnomenbeschreibung des Begriffes bdquoSpielldquo sehe ich als grundlegend an um ein Verstaumlndnis fuumlr
die Voraussetzungen des freien Spiels als selbstinitiiertes Geschehen zu entwickeln und um darzule-
gen weshalb es dem Menschen ein Beduumlrfnis ist freie Zeit mit Spiel zu gestalten Daraus lassen
sich dann generelle Aussagen ableiten wie freies (Kinder)Spiel moumlglich ist oder wodurch es verhin-
dert wird
Diese Begriffsbestimmung dient als Grundlage fuumlr den zweiten Teil dieser Arbeit Darin werde ich
anhand des Hessischen Bildungs- und Erziehungsplanes aufzeigen dass die Verdraumlngung von frei-
em Spiel bereits in den Bildungsplaumlnen der Laumlnder wurzelt und somit politisch und paumldagogisch
motiviert ist Welche Auswirkungen und Folgen eine solche Verdraumlngung haben kann wird eben-
falls dargestellt
Abschlieszligend stelle ich im dritten Teil dieser Arbeit eine bdquoandereldquo Idee von Bildung vor Eine Bil-
dung die eher als bdquoBegleitungldquo beschrieben werden kann und in der die Kinder ihrem Beduumlrfnis
und Drang nach freiem Spiel nachkommen koumlnnen Dazu wird ansatzweise das Konzept der Freien
Demokratischen Schulen vorgestellt in denen die Kinder in ihren Interessen und Beduumlrfnissen ge-
achtet entsprechend begleitet werden und in denen der Freiraum zum Spiel bewusst erhalten wird
1 Freies Kinderspiel - Wesensmerkmale
Die Frage danach was Spiel ist laumlsst sich meiner Meinung nach nicht mit einer eindeutigen im
Sinne einer allgemein guumlltigen alle Bereiche des Lebens1 einschlieszligenden Definition leisten die
1 Die bdquoBereiche des Lebensldquo umfassen die materielle biologische und geistige Welt mit all ihren wechselseitigenProzessen und unzaumlhligen Erscheinungsformen zu der zB auch die Evolution nur als ein einzelner Prozess inner-halb dieser Dreigliedrigkeit (Materie Natur Geist) zaumlhlt
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auch von den verschiedenen Wissenschaften wie beispielsweise der Biologie der Physik oder der
Paumldagogik akzeptiert wird2 Aber Spiel ist eben weit mehr als unernstes bzw unproduktives Zeit-
vertreiben junger Menschen bzw Tiere Auch ist es mehr als eine Voruumlbung (Einuumlbung von
Kompetenzen oder Sozialverhalten etc) auf das Leben und es stellt mehr als einen Entlastungspol
fuumlr den Koumlrper bzw das Lebens dar Auch ist es mehr als eine auf Trieben basierenden Befriedi-
gungshandlung und es ist auch mehr als ein Medium zum bdquospielerischen Lernenldquo etc Zwar sollen
diese das Spiel sicherlich betreffenden Begleiterscheinungen nicht negiert werden aber sie bdquospie-
lenldquo innerhalb des im Weiteren noch naumlher zu beschreibenden bdquonatuumlrlichen Spielsldquo eine eher beige-
ordnete Rolle als Nebenerscheinung die im Umfang dieser Arbeit nur am Rande beispielhaft Er-
waumlhnung finden koumlnnen3
Mein Bestimmungsversuch des Begriffes bdquoSpielldquo wird zwar von der Betrachtungsweise des Spiels
als bdquoUrphaumlnomenldquo (Hans Scheuerl) bzw als Prinzip des Lebendigen4 inspiriert sein sich aber im ei-
gentlichen auf den Bereich des Kinderspiels beschraumlnken Diesbezuumlglich soll der von Johan Huizin-
ga in seinem Buch bdquoHomo Ludens Vom Ursprung der Kultur im Spielldquo entwickelte Definitionsvor-
schlag als Ausgangspunkt fuumlr eine Begriffsbestimmung des freien Kinderspiels dienen wenngleich
er wie ein anschlieszligender aktueller Definitionsvorschlag von Ursula Stenger zeigen wird nicht alle
wesentlichen Aspekte des Spiels beinhaltet
bdquoDer Form nach betrachtet kann man das Spiel [hellip] eine freie Handlung nennen dieals nicht so gemeintʻ und auszligerhalb des gewoumlhnlichen Lebens stehend empfunden wirdund trotzdem den Spieler voumlllig in Beschlag nehmen kann an die kein materielles Be-duumlrfnis geknuumlpft ist und mit der kein Nutzen erworben wird die sich innerhalb einer ei-gens bestimmten Zeit und eines eigens bestimmten Raums vollzieht die nach bestimm-ten Regeln ordnungsgemaumlszlig verlaumluft und Gemeinschaftsverbaumlnde ins Leben ruft die ih-rerseits sich gern mit einem Geheimnis umgeben oder durch Verkleidung als anders vonder gewoumlhnlichen Welt abhebenldquo (Huizinga 2004 S 22 Herv i Orig)
bdquoDas Spiel zeichnet sich durch raumlumliche und zeitliche Begrenztheit durch Wiederhol-barkeit und Einmaligkeit aus es durchbricht das normale alltaumlgliche Leben baut sichunverfuumlgbar und ereignishaft auf setzt dabei auch Handlungs- und Denkformen des All-tags auszliger Kraft und entlaumlsst den Spielenden dann wieder in sein gewoumlhnliches Lebenldquo(Stenger 2014 S 267)
In Johan Huizingas Definitionsversuch wird im Vergleich zur zweiten Definition von Ursula Sten-
ger die Frage ob Spiel als bdquofreie Handlungldquo eher als Taumltigkeit oder als Geschehen aufzufassen ist
nicht deutlich Dieser spaumlter im Kapitel bdquo14 Das Moment der Ambivalenzldquo noch detaillierter be-
schriebene Aspekt des Spiels ist gerade fuumlr das freie Spiel von ganz entscheidender Bedeutung
2 Vgl Scheuerl 1988 S 32-52 ebenso Miller-Kipp 2005 S273 277-279 auch Flitner 2002 S 13-253 Vgl Huizinga 2004 S 9-12 ebenso Scheuerl 1990 S 109-111 auch Flitner 2002 S 195-1974 Vgl Miller-Kipp 2005 ebenso Bonet 1993 aumlhnlich auch Huizinga 2004
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denn die sich aus der naumlheren Analyse ergebenden Voraussetzungen und Grundlagen fuumlr gelingen-
des freies bzw bdquonatuumlrlichesldquo Spiel werden ersichtlich machen aus welchem bdquoStoffldquo die schon an-
genommene Freiheit ist und mit welchem Verlaufsmuster dh mit welcher Strategie sich diese Frei-
heit im Spiel organisiert weshalb letztlich auch zwischen Taumltigkeit und Geschehen zu unterschei-
den ist Dazu wird noch ein weiterer Aspekt dieser bdquofreien Handlungldquo ganz zu Anfang naumlher zu be-
schreiben sein denn es gibt mehrere Ebenen auf denen verschiedene Qualitaumlten von Freiheit beste-
hen naumlmlich die Freiheit von der Lebensfuumlrsorge als bdquoFreiraumldquo zum Spiel und die schon erwaumlhnte
Freiheit als Ambivalenz im Spiel Beide Definitionsversuche sind aber auch insofern nicht bdquoganz-
heitlichldquo umfassend da sie lediglich auf Spiel als Verhalten von Menschen abzielen also anthropo-
zentrisch sind und sich somit nicht auf andere Wissenschaften uumlbertragen lassen Da das Spiel aber
auch von elementarer Bedeutung fuumlr nicht-paumldagogische Wissenschaften ist waumlre eine ganzheitli-
che Definition dienlich um entscheidende Parallelen zwischen den verschiedenen Forschungsgebie-
ten ziehen zu koumlnnen und die im Spiel zweifelsohne enthaltenen Potenziale nicht bdquoaufs Spiel zu set-
zenldquo und letztlich bdquozu verspielenldquo So konnten beispielsweise aktuelle naturwissenschaftliche Er-
kenntnisse zum bdquonatuumlrlichenldquo Spiel besonders uumlber die unverfuumlgbaren eigentuumlmlichen Momente
des Spiels naumlmlich die Kreativitaumlt die Phantasie die Spontanitaumlt die Unordnung den Unsinn den
Zufall und die Freiheit zeigen welch grundlegende Bedeutung ihnen im Spiel zukommen sodass
auch weitreichende Konsequenzen fuumlr die Paumldagogik daraus abgeleitet werden koumlnnen So sollte
beispielsweise auf der Handlungsebene das Geschehen des Spiels vernuumlnftigerweise abgewartet
werden damit etwas zwischen Zufall und Notwendigkeit selbstgesteuert daraus erwachsen kann
Und nicht wie bisher versucht wird das Spiel quasi als bdquoListldquo geplant und kontrollierbar von auszligen
zu erzeugen um daraus zB einzelne Kompetenzen vermeintlich herzustellen die dem aktuellen
Zeitgeist nach als bedeutend angesehen werden (vgl Miller-Kipp 2005 S 273-285) Ich sehe es als
entscheidend an die Verwandtschaft der wesentlichen Momente des Spiels mit dem Evolutionsprin-
zip aufzuzeigen um daraus ableitbare Konsequenzen und Voraussetzungen fuumlr das bdquonatuumlrlicheldquo
Kinderspiel ersichtlich machen zu koumlnnen An gegebener Stelle werde ich diese skizzierten Aspekte
nochmals vertiefend aufgreifen Zunaumlchst jedoch werde ich mich ausgehend von Hans Scheuerls
Standardwerk der Paumldagogik uumlber das Spiel5 mit den von ihm untersuchten Spielphaumlnomenen und
ihrem gemeinsamen Wesenszusammenhang befassen Hierbei ist es mein Anliegen das
(Kinder)Spiel weitestgehend nach seinem Wesen mit seinen grundlegenden Eigenheiten zu be-
schreiben und nicht nach seiner moumlglichen Funktion oder seinem Zweck fuumlr den Menschen zu fra-
gen Mit der Vermeidung eines auf Funktionen und Zwecken orientierten Erklaumlrungsversuch zu der
5 Scheuerl Hans Das Spiel - Untersuchung uumlber sein Wesen seine paumldagogischen Moumlglichkeiten und Grenzen 11Aufl Weinheim und Basel 1990
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Frage was Spiel ist zielt mein Beschreibungsversuch darauf ab die Ebene der verschiedenen Spiel-
formen mit ihren Nutzen zu verlassen und in uumlbergeordneter Ebene das Spiel allgemeinguumlltiger er-
fassbar zu machen Dadurch sollen die bereits angedeuteten tieferen Zusammenhaumlnge des Spielphauml-
nomens ersichtlich werden woraus sich bdquoneueldquo Relevanzen fuumlr unsere Lebensfuumlhrung ableiten las-
sen Diese grundlegenderen Zusammenhaumlnge und die sich daraus ergebenden Konsequenzen oder
Relevanzen werden auch im Weiteren fuumlr die Argumentationslinie dieser Arbeit leitend sein
Auch Hans Scheuerls Ziel war es zunaumlchst zu einer grundlegenden Wesensbestimmung des Spiels
zu gelangen Dafuumlr unterteilte er das Spielgeschehen in sechs Wesensmomente naumlmlich in
Freiheit innere Unendlichkeit Scheinhaftigkeit Ambivalenz Geschlossenheit und Ge-
genwertigkeit (vgl Scheuerl 1990 S12-16 65-67) Aber auch durch diese Gliederung laumlsst sich
nicht bestimmt klaumlren was Spiel ist (vgl ders S 102) Daruumlber jedoch wie freies Kinderspiel
moumlglich wird gibt sein phaumlnomenologischer Deutungsversuch detailliert Aufschluss Daher wird
dieser im Folgenden kurz vorgestellt
11 Das Moment der Freiheit
Spielen geschieht nach Hans Scheuerl um seiner Selbst Willen bdquoSpiel verfolgt keinen auszligerhalb
seiner selbst liegenden Zweckldquo (Scheuerl 1990 S67)
Spiel ereignet sich somit nicht um etwas zu erschaffen zu erledigen zu verrichten zu erlernen
usw obwohl im Spiel zuhauf geschaffen errichtet gestaltet erledigt erlernt usw wird Ein Kind
das im Spiel bspw Baukloumltze aufeinander stapelt spielt dies nicht damit es einen geschickten Um-
gang damit erlernt sondern weil es Freude am lustbetonten Spielen hat Das Spielgeschehen ereig-
net sich also zweckfrei ist aber kein willkuumlrliches Ereignis oder sinnfreie Betaumltigung sondern es ist
bdquovon innerer Zweckmaumlszligigkeitldquo (ders S69) durchdrungen dh es folgt eigenen Regeln individuel-
len Absprachen Grenzen Zielen lustvollem Erleben usw und sei es beim spielenden Kind beim
Katzenjungen Fuszligballspieler oder Musiker Ihr Spiel wird stets mit Ernst und besonderem Eifer be-
trieben
bdquoSoll sein Spiel gelingen so muszlig er [der Spielende MG] sich ihm widmen koumlnnen alsgaumlbe es nichts auszliger diesem Spiel auf der Welt Eine aumlhnliche selbst- und weltvergesse-ne Hingabe verlangt das Spiel auch schon vom Kindeldquo(ders S67)
Diese voumlllige Hingabe beinhaltet Sorgenfreiheit ohne die das Spielen nicht moumlglich waumlre Die Spie-
lenden muumlssen fuumlr eine gewisse Zeit frei von ihrer unmittelbaren Lebensfuumlrsorge des bdquoDaseins-
kampfesldquo (Scheuerl) sein Dadurch entsteht ein Freiraum in Form von frei verfuumlgbarer Zeit und in
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diesem bdquoRaumldquo ereignet sich Spiel (vgl ders S 67- 69)
Somit ist es auch kaum verwunderlich dass besonders den Nachkommen einer Art dieser besondere
Freiraum in hohem Maszlige zuteil wird Der Biologe und Anthropologe Adolf Portmann weist dazu in
einem seiner Beitraumlge zum Spiel6 darauf hin dass diese freie Zeit durch Spiel zu sinnvoll erfuumlllen-
der gestalteter Zeit (Vgl Portmann 1976 S60 vgl dazu auch S 68 und 71) wird und somit fuumlr
ein erfuumllltes Leben grundlegend sei Im Gegensatz zu einigen Spieltheorieansaumltzen7 die dem Spiel
ausschlieszliglich Erhaltungswert beimessen dient das Spiel Portmann zufolge mehr als nur dem Er-
haltungswert Aktuelle biologische Forschung hat hierzu offengelegt dass nur bei houmlheren Lebewe-
sen mit Entfaltung der Innerlichkeit im Sinne einer bdquoPsycheldquo aumluszligerlich verborgenes Erleben8 ent-
steht und dass es erst durch dieses Erleben von subjektiver Wirklichkeit (vgl Portmann 1976 S
58-61) zu bdquolustbetontem Verhalten [kommt] das nicht unmittelbar der Lebenserhaltung dient - es
begegnet uns erlebtes erstrebtes Spielenldquo (ders S60) Portmann beschreibt Spiel demnach wie
folgt
bdquoSpiel ist freier Umgang mit der Zeit ist erfuumlllte Zeit es schenkt sinnvolles Erleben jen-seits aller Erhaltungswerte es ist ein Tun mit Spannung und Loumlsung ein Umgang miteinem Partner der mit einem spielt - auch wenn dieser Partner nur der Boden ist oderdie Wand welche dem Spielenden den elastischen Ball zuruumlckwerfen Dieses Spiel setztetwas besonderes voraus einen Zeitraum ohne Sorge []ldquo (ebd)
Adolf Portmanns These dass bei houmlheren Lebewesen sinnvoll erfuumlllende Gestaltung von sorgenfrei-
er Zeit durch Spiel geschieht hat somit allgemeine Bedeutung auch fuumlr unsere eigene Daseinsfuumlh-
rung Denn
bdquo Spielʻ ist die lustvolle von Erhaltungssorge freie also zweckfreie aber sinnerfuumlllteZeitldquo (ders S 68 Herv i Orig)
bdquoVolles Leben ist nicht allein Gestaltung von Stoff von Materie Leben ist Umgang mitZeit ist Gestaltung von Zeit ist Sinngebung fuumlr leere Uhrenzeitldquo(ders S 60)
Portmann hebt das freie Spiel als gestaltete Zeit auf die Ebene der Grundbeduumlrfnisse und macht es
fuumlr ein sinnvoll erfuumllltes wahrhaft gutes Leben zur Bedingung (vgl ders S 66-72)
6 Portmann Adolf Das Spiel als gestaltete Zeit In Der Mensch und das Spiel in der verplanten Welt Hg Bayeri -sche Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1976
7 Kraftuumlberschusstheorie (H Spencer) Erholungstheorie (M Lazarus) Katharsistheorie (K Gross) Entwicklungs-psychologie (J Piaget) (vgl Kluge 1981 S 15 und 31)
8 Gemeint ist dass mit steigender Gestaltungshoumlhe der Lebewesen subjektives Erleben moumlglich ist also dass durchdas Zentralnervensystem und die Sinnesorgane reiche Umweltbeziehungen entstehen Diese Entwicklung hat sichbeim Menschen bis zur geistigen Lebensform gesteigert (vgl Portmann 1976 S 59-61)
8
12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
Kinder zeigen in ihrer Alltaumlglichkeit kontinuierlich einen Drang zum Spielen Ein Kind - und si-
cherlich nicht nur es allein - hat offenbar ein Beduumlrfnis nach freiem Spiel Scheuerl benennt diese
Begebenheit als triebhafte Tendenz zum Spiel (Vgl Scheuerl 1990 S 71) bdquoEs gibt zweifellos
einen Zwang zum Spielldquo (ebd Herv i Orig) Nach ihm muumlssen Kinder wenn sie gesund aufwach-
sen sollen sogar spielen um nicht psychisch und physisch zu erkranken Insofern kann sogar von
einem gewissen bdquoSpieltriebldquo (Vgl ders S 73) als Tendenz zum Spiel gesprochen werden Dieses
Spielbestreben weist aber letztlich ein anderes Wesen als andere menschliche Tendenzen (Triebe)
zur Beduumlrfnisbefriedigung auf und muss davon unterschieden werden Denn die letztlichen Tenden-
zen im Spiel sind keine gewoumlhnlichen Beduumlrfnisbefriedigungen durch Triebverhalten also keine de-
terminierten triebhaften Handlungen die zweck- oder zielorientiert sind Statt dessen sind sie situa-
tiv sowie individuell variabel und vor allem in sich zirkulaumlr Denn die Befreiung von Beduumlrfniss-
pannungen also dem bdquo[s]ich allen Erregungen und Drang-Erlebnissen gegenuumlber den Frieden ge-
benldquo (ders S 70) zielt auf das Ende der Spannung ab die das nicht erfuumlllte Beduumlrfnis triebhaft
ausloumlste So etwa moumlchte man zB bei Hunger oder Durst Saumlttigung bzw Stillung herbei fuumlhren
Alle triebhaften Handlungen zielen demnach tendenziell auf die Befriedigung des sie hervorbrin-
genden Beduumlrfnisses ab und somit auf ihr eigenes Ende In dieser Tendenz die sich auf das Ende
der beduumlrfnisbefriedigenden Handlung hin ausrichtet liegt nun zum Spiel der wesentliche Unter-
schied Der bdquoSpieltriebldquo will keine Befriedigung bdquoer kann nicht gesaumlttigtʻ werdenldquo (ders S 73)
Sein Initialzweck ist vielmehr die Beseitigung aller Spielhindernisse - deshalb auch triebhafte Ten-
denz zum Spiel Aber sobald eine konkrete Spielidee im Kind aufkeimt und es beginnen kann sich
entschieden und mit groumlszligtem Eifer ihr zu widmen um darin voumlllig selbst aufzugehen als ob es nur
dies Eine auf Erden gaumlbe und das Spiel niemals enden duumlrfe wird das Wesensmerkmal der inneren
Unendlichkeit erkenntlich bdquoDa ist nichts was auf ein Ende draumlngt nichts was den Zustand des
Spielens aufheben moumlchteldquo (ders S 71 )
bdquoDas Spiel kann innerhalb seines Freiraums gekennzeichnet werden als Bewegung voninnerer Unendlichkeitʻldquo (ders S74)
Ist ein Spiel erst einmal im Gange will es ewig fortgesetzt werden Es strebt seiner eigenen inneren
Unendlichkeit entgegen einem nicht endenden zirkulaumlren bdquoZustandldquo Und von da an gleicht der
bdquoSpieltriebldquo als Spielerscheinung in seiner Tendenz auch keiner zielorientierten Zweck- oder Be-
duumlrfnishandlung mehr weshalb genau genommen nicht von gewoumlhnlicher Beduumlrfnisbefriedigung
durch Triebverhalten gesprochen werden kann Das Spiel ist also dem Wesen nach eine staumlndige
Spielbewegung (Scheuerl) quasi ein Perpetuum mobile Ein Kind spielt nicht bis es das Spielen
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satt hat oder vom Spielen uumlbersaumlttigt ist sondern es beendet erst sein Spielen wenn es durch aumluszliger-
liche Faktoren (zB Beduumlrfnisse Noumlte Verpflichtungen jeglicher Art etc) dazu gedraumlngt wird (vgl
ders S 70-77)
13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
Das frei von Zwecken und Triebdruck voumlllig in sich selbst versunkene unendliche Spiel spielende
Kind wird durch die Hingabe an die eigene Phantasie kreativ wird lebendig Die Einbildungskraft
erschafft und gestaltet eine eigene Phantasiewelt in der Form einer bdquoAls-obldquo-Realitaumlt (Scheuerl)
Die durch Spielerphantasie konstruierte bdquoScheinweltldquo (Scheuerl) nimmt dabei die Bedingungen ih-
rer Umwelt wie beispielsweise reale Gegenstaumlnde und Objekte und ihre Materialitaumlt auf und erwei-
tert diese bdquoGegenstaumlndeldquo ggf bis zum imaginaumlren rein symbolischen Spielmittel damit es der
Spielidee und ihrem Fortgang moumlglichst dienlich ist
Die gesamte Phantasiespielwelt wird somit nach eigenen Vorstellungen von nah am objekthaften
(abbildnah) bis fernab der im weitesten Sinne materiellen Realitaumlt (abstrakt) konstruiert und kann
mit eigenen Gesetzmaumlszligigkeiten und Zusammenhaumlngen gestaltet werden Die entstehenden spieleri-
schen Inszenierungen enthalten in ihrer Spielidee auch fortwaumlhrend aktuelles Geschehen und die
Eindruumlcke der Kinder dazu wodurch es auf diesem Weg zur spielerischen Auseinandersetzung da-
mit kommt So kann zB ein vom Kind miterlebtes Hochwasser in der eigenen Region zur aufge-
griffenen Spielidee fuumlhren Ein verwittertes Stuumlck Holz etwa koumlnnte dem spielenden Kind als Sym-
bol des Rettungsbootes dienen das sich mit seinen imaginaumlren Insassen in einer dramatischen Ret-
tungsaktion im Hochwassergebiet befindet In solchen Spielszenen ist haumlufig beobachtbar dass es
beim Spielen nicht um abbildhaftes realitaumltsgetreues Nachspielen des eventuell Erlebten geht Son-
dern vielmehr darum dass sich das spielende Kind aktiv im Spiel zwar mit Erlebtem auseinander-
setzt im Sinne der bdquoScheinhaftigkeitldquo und des Unendlichkeitscharakters des Spiels aber rein aus
Freude am lustbetonten gestalteten Spielen die Spielhandlung ritualhaft wiederholt In diesem Sin-
ne wuumlrden beispielsweise immer wieder Insassen aus dem Boot geschleudert die es dann aufs Neue
zu retten gaumllte wodurch das Spiel zirkulaumlr bestaumlndig zumindest solange fortdauern koumlnnte bis neue
Spielideen oder von auszligen kommende Faktoren es abloumlsen oder beenden Spielern aber auch Zu-
schauern (zB im szenischen Spiel) erscheint diese Phantasiewelt von der materiellen Realitaumlt los-
geloumlst und die uumlber den Dingen schwebende bdquoScheinhaftigkeitldquo des Spiels (Scheuerl) kann Betrach-
ter und Akteure gleichfalls in ihren faszinierenden Bann ziehen sofern ihnen der Zugang zur eige-
nen Phantasie nicht von auszligen bdquoversperrtldquo ist (vgl Scheuerl 1990 S 77- 85)
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14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
Jeder Spielende versucht sein Spiel bestaumlndig aufrecht zu erhalten9 Dafuumlr baut er im Spiel ein
Spannungsverhaumlltnis also einen inneren bdquoSpielraumldquo als Modus von selbstregulierter Freiheit auf
Die entstehende Autonomie (Freiheit) im Spiel besteht nun in der Ambivalenz zwischen sich zufaumll-
lig ergebendem Neuen Unbekanntem oder neu Gestaltetem (zB neue Passage am Kletterfels oder
die sich staumlndig neu ergebenden Flugbahnen der jonglierten Baumllle etc) und notwendig Festgeleg-
tem Bekanntem oder Begrenzendem (zB Regeln beherrschte Kletterpassage die bestaumlndige Form
und das Gewicht der Jonglierbaumllle die eingeuumlbte Jongliertechnik etc) Der Spielende versucht da-
bei permanent sein Spiel in Balance zwischen diesen beiden bdquoPolenldquo zu halten um es einerseits
stets durch bdquoNeuesldquo interessant zu gestalten und es andererseits durch bdquoBekanntesldquo zu stabilisieren
Die Dominanz einer Seite wuumlrde das Spiel abbrechen also beenden Denn ein zu viel an Neuem
noch zu Entdeckendem wuumlrde dem Spiel ein Uumlbergewicht an Wagnis Raumltselhaftigkeit Moumlglichkei-
ten oder Schwierigkeit verleihen und ein zu viel an bereits Entdecktem Begriffenem oder Begren-
zung wuumlrde das Spiel etwa vorhersehbar und eindeutig machen oder es einengen bdquokanalisierenldquo
(Scheuerl eindimensionale Zweckhandlung) sodass jede von ihm ausgehende Spannung und Spiel-
freude verloren ginge (vgl Scheuerl 1990 S 86-90)
bdquoSo bedarf das Spiel einer maszligvollen Spannung Spannungslosigkeit waumlre der Tod fuumlrdas Spiel Andererseits wuumlrde eine zu hohe Spannung sogleich einen auf Beendigungder Spannung gerichteten Befriedigungswunsch hervorrufen der die Ambivalenz uumlber-waumlltigen muumlszligteldquo (ders S 88 Herv i Orig)
Veranschaulicht darstellen laumlsst sich diese Ambivalenz zwischen Zufall und Notwendigkeit im Spiel
auch am Beispiel des Wuumlrfelns mit einem sechsseitigem Zahlenwuumlrfel Dabei besteht der Zufall in
der Wahrscheinlichkeit mit der eine der sechs Zahlen gewuumlrfelt wird und die Notwendigkeit be-
steht darin dass eine gewuumlrfelte Zahl immer im einschlieszligenden Bereich von eins bis sechs liegen
wird Somit begrenzen die festgelegten sechs Seiten des Wuumlrfels wie eine Regel das zufaumlllige Ein-
zelergebnis und steuern quasi bdquoselbstorganisiertldquo die Konsequenzen des Zufalls wodurch er statis-
tisch moumlglich dh wahrscheinlich wird (vgl Miller-Kipp 2005 S 281-282)
Nach Gisela Miller-Kipp10 ist dieses selbstgesteuerte Spannungsverhaumlltnis von ganz urspruumlnglicher
Relevanz Sie sieht einen Zusammenhang zwischen dem bdquoSpiel der Evolutionldquo dem Modus von
Freiheit zwischen Moumlglichem und Wahrscheinlichem und dem (menschlichen tierischen) Spiel als
9 vgl dazu bdquo12 Moment der inneren Unendlichkeitldquo in dieser Arbeit S 9 f10 Miller-Kipp Gisela Zufall Selbstorganisation und Kreativitaumlt Ein Versuch uumlber die Natur des Spiels wider seine
Paumldagogisierung In Bilstein J Winzen M Wulf C (Hg) Anthropologie und Paumldagogik des Spiels Weinheimund Basel Beltz Verlag 2005 S 273-291
11
einem lebendigen Teil dessen Naturwissenschaftliche Forschungen uumlber die Evolution haben seit
fast einem Jahrhundert die dazu grundlegenden Wesenskraumlfte im Evolutionsprozess definiert Diese
Wesensmerkmale sind Kreativitaumlt und Zufall (vgl dies S 281-285) Elfriede Maria Bonet fuumlhrt in
ihrem Aufsatz zum Spiel bdquoVon Autonomie und Spontanitaumlt Eine Naturgeschichte des Spielsldquo11 aus
dass Selbstorganisation eine relative Unabhaumlngigkeit von aumluszligeren Reizen bewirkt (Autonomie)
weshalb Spontanitaumlt als Strategie zur Selbststeuerung entsteht Diese Entwicklung von Selbstorga-
nisation mit Spontanitaumlt zur Selbststeuerung bildet ihr zufolge das kreative Moment im Evolutions-
prozess welches fuumlr das Auftreten neuer nicht voraussagbarer Qualitaumlten bzw neuer bdquoFormenldquo
oder Variationen aus dem Vorhandenen entstehen laumlsst (Emergenz12) Das daraus entstehende neue
Ganze waumlre bildlich gesprochen demnach mehr als die Summe seiner einzelnen Teile (frei nach Ari-
stoteles) Da es fuumlr menschliches aber auch tierisches Verhalten charakteristisch ist dass aufgrund
von Autonomie Spontanitaumlt entsteht erkennt Bonet darin die systemische Wesensverwandheit von
Spiel und Evolution (vgl Bonet S35ff) Diese Annahme deckt sich insofern auch mit dem Stand-
punkt derzeitiger Evolutionsforschung denn darin bdquowird die Evolution der materiellen und biologi-
schen Welt als einheitlicher Prozess angesehen der nicht determiniert ist und nicht deterministisch
ndash oder im alten Sinne mechanisch ndash ablaumluft Er spieltʻ wie es heiszligt [hellip]ldquo (Miller-Kipp 2005 S
280 Herv i Orig) Daraus folgt dass die bdquonatuumlrliche ndash physikalische und biologische ndash und kultu-
relle Evolution strukturell miteinander gekoppelt [sind] laufen also weder unabhaumlngig voneinander
noch in determinierender Kausalitaumlt zueinander abldquo (ebd Herv i Orig) Das schlieszligt somit das
Spiel des Menschen als bdquoKulturfaktorldquo13 und bdquoUrprinzipldquo (Huizinga) in diesen offenen Prozess ein
denn bdquoes [das Spiel MG] wurzelt in der Natur als der natuumlrlichen (der materiellen und der biologi-
schen) Evolution und traumlgt deren Momente in sich auch im Kulturprozessldquo (Miller-Kipp 2005 S
281) Auf dieser Grundlage wird derzeit die kreative Selbststeuerung auch als ursaumlchlich fuumlr den ge-
waltigen Formen- und Artenreichtum der Natur angesehen (vgl dies S 273-285 vgl dazu auch
Bonet 1993 S 35 ff) Auf das bdquonatuumlrlicheldquo (Kinder)Spiel bezogen bedeutet dies dass auch aus
dem Spiel in seinen Formen und Funktionen heraus Emergenzen entstehen Diese neuen unvorher-
11 Bonet Elfriede Maria Von Autonomie und Spontanitaumlt Eine Naturgeschichte des Spiels In Baatz U Muumlller-Funk W (Hg) Vom Ernst des Spiels uumlber Spiel und Spieltheorie Berlin Dietrich Reimer Verlag 1993 S35- 47
12 bdquoEmergent So bezeichnet man systemische Eigenschaften die nicht aus den Komponenten eines Systems abgelei-tet oder vorhergesagt werden koumlnnen Systeme sind in erster Linie relationale Tatsachen Dinge die auf den Bezie-hungen beruhen welche die Elemente des Systems zueinander einnehmen Als solche besitzen sie Eigenschaftendie gegenuumlber den Eigenschaften ihrer Komponenten oder Elemente emergent sind Nach Luhmann ist das Sozialeeine emergente Eigenschaft und als solches nicht aus den Eigenschaften seiner Elemente der psychischen Systemeableitbar Sozialitaumlt ist eine houmlherstufige Eigenschaft die auf den Beziehungen zwischen Menschen beruht In derBewusstseinsphilosophie behauptet der so genannte Emergentismus die Emergenz von Bewusstsein Hat die Kom-plexitaumlt bestimmter biologischer Systeme einen bestimmten Grad erreicht stehen insbesondere Nervenzellen aufvielfaumlltige Weise miteinander in Beziehung so tritt in der Geschichte der Evolution Bewusstsein als emergente Ei-genschaft dieser biologischen Systeme aufldquo (bdquoemergentldquo In UTB-Online-Woumlrterbuch Philosophie)
13 Huizinga geht davon aus dass Kultur (Sprache Gemeinschaftsleben Brauchtum Essen Sitten Kunst ReligionRechtsleben etc) in Form von Spiel entsteht (vgl Huizinga 2004 S7-13 56-58)
12
sagbaren Erscheinungen (Qualitaumlten) sind so vielfaumlltig dass sie dem von der Natur hervorgebrach-
ten Artenreichtum gleichen und in ihrer Qualitaumlt fuumlr das Individuum die vielfaumlltigsten und komple-
xesten Funktionen und Nutzen bereithalten
Nach meiner Auffassung werden die beschriebenen Wesenszusammenhaumlnge von Spiel und Evoluti-
on besonders in dem Modus von Freiheit als Ambivalenz im Spiel ersichtlich da die grundlegenden
evolutiven Momente naumlmlich Kreativitaumlt Selbstorganisation und Spontanitaumlt auch die wesentlichen
Schaffenskraumlfte menschlichen Handelns und des erlaumluterten Spannungsverhaumlltnisses im Spiel sind
In Anlehnung an Miller-Kippacutes und Bonetacutes Deutungsversuche zum Spiel ist das freie im obigen
Sinne natuumlrliche Kinderspiel als Modus von selbstregulierter Freiheit eine wesensgemaumlszlige kreatuumlrli-
che bdquoTaumltigkeitldquo des Menschen die sich ereignet bzw die geschieht und nicht verrichtet oder erzeugt
werden kann Die diesem bdquoSpielgeschehenldquo (Scheuerl) innewohnenden unverfuumlgbaren wesentli-
chen Momente sind demnach sowohl die Grundbedingung fuumlr das Spiel selbst als auch Vorausset-
zung fuumlr die Vielfaumlltigkeit im Spielprozess Fraglich ist an dieser Stelle ob ein intentional geplantes
Erziehungs- und Bildungsvorhaben diesen Entwicklungsspielraum mit vielfaumlltigsten Erfahrungs-
moumlglichkeiten fuumlr Kinder schuumltzend bereithaumllt Und ob dann das freie natuumlrliche Spiel abgewartet
wird oder ob das (Kinder)Spiel mit funktionalen Absichten durch Paumldagogisierung in das planende
Joch von Erziehungs- und Bildungsbestrebungen eingespannt wird und seine wesentlichen Poten-
ziale damit verspielt werden
15 Das Moment der Geschlossenheit
Die freie Spieltaumltigkeit eines Kindes ist insofern geschlossen als dass die oben genannten Momente
wie einzelne ineinander greifende Glieder eine bdquogeschlossene Ketteldquo bilden muumlssen damit sich
freies bdquonatuumlrlichesldquo Spiel einstellt Die sich daraus bildenden oder aufgenommenen Spiele werden
haumlufig von da an als auftretendes Phaumlnomen augenscheinlich Denn das Spiel beginnt sich als frei
gestaltete Zeit mit seinem entstehenden bdquoKosmosldquo von Regeln Zufaumlllen Absprachen Bedingun-
gen Offenheiten Bestrebungen Kontexten Unverfuumlgbarkeiten Themen etc klar zu definieren und
vom gewoumlhnlichen Leben bdquoabzusetzenldquo Es wird dabei ersichtlich dass freies Spiel seine eigene in-
nere Regelhaftigkeit (im weitesten Sinne) sein bdquoSpielfeldldquo hat und eher als das Gegenteil von Will-
kuumlr oder Anomie anzusehen ist (Vgl Scheuerl 1990 S 91-95)
16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
Das Spiel verfolgt keinen auszligerhalb seiner selbst liegenden Zweck (Zweckfreiheit) und das Spielge-
13
schehen ist eine bdquopendelnde Suchbewegungldquo (Scheuerl Ambivalenz) die bestrebt ist innerhalb ih-
rer konstruierten bdquoScheinweltldquo (Scheuerl Scheinhaftigkeit) endlos in sich selbst zuruumlckzulaufen
um kein Ende zu finden (innere Unendlichkeit) Spielende sind von ihrem lustvollen Erleben im
Spiel voumlllig durchdrungen und gestalten spielend spontan mit groszliger Ernsthaftigkeit und in voumllli-
ger Selbst- und Weltvergessenheit ihr bdquoewigesldquo Spiel Und wie entgegen aller Vergessenheit ist es
dennoch ein Zustand houmlchster Wachheit und Konzentration Spielende sind in jedem gegenwaumlrtigen
Moment voumlllig praumlsent dh im bdquoHier und Jetztldquo aumlhnlich einem meditierenden Menschen Spielende
befinden sich also im Zustand tiefer Kontemplation aber nur im Bezug auf ihr Spiel weshalb sie
auch das eigene Gefuumlhl fuumlr Zeit im Moment des Spielens nicht oder kaum wahrnehmen Spielende
Kinder koumlnnen uumlber Stunden bdquowie gefesseltldquo ihrem Spiel nachgehen ohne dass ihnen die Zeitspan-
ne wirklich bewusst waumlre oder dass es ihnen hinterher moumlglich waumlre den fuumlr das Spiel aufgebrach-
ten Zeitraum zu schaumltzen (Vgl Scheuerl 1990 S 95-96 100-102)
17 Zusammenfassung
Das dieser Arbeit zugrunde liegende Verstaumlndnis des Begriffes bdquofreies Kinderspielldquo kann wie folgt
zusammengefasst werden Freies (Kinder)Spiel wird als ein Geschehen von komplexer geistig-
kreativer Weltzuwendung verstanden das sich innerhalb eines Freiraumes ereignet Einerseits ist
die sich innerhalb dessen ereignende Spieltaumltigkeit frei von Zielen Zwecken oder Nutzen die au-
szligerhalb seiner selbst liegen und andererseits sind die Spielenden innerhalb des Spielzeitraums frei
von ihrer unmittelbaren Lebensfuumlrsorge Als solche freie Zeit gestaltende Taumltigkeit ist das Spielen
fuumlr geistig emotional erlebende Wesen wie den Menschen oder houmlher entwickelte Tiere fuumlr eine
hohe Lebensqualitaumlt innerhalb eines erfuumlllenden Lebens grundlegend Aus diesem Umstand ergibt
sich dass freies natuumlrliches Spiel als grundsaumltzliches Beduumlrfnis angesehen werden kann weshalb
Spielende auch einen Drang (bdquoTriebldquo) zum Spiel aufweisen Doch ist der Charakter dieser
(Spiel)Taumltigkeit an sich von anderer bdquoNaturldquo als gewoumlhnliche Beduumlrfnisse befriedigende
(Trieb)Handlungen Als diese triebhafte Tendenz zum Spiel zielt die Spieltaumltigkeit nicht auf das Be-
duumlrfnis stillende Ende ab sondern auf ihren dauerhaften Fortgang Dieser zirkulaumlre Charakter und
das geistig erfuumlllende Erleben werden dabei durch den Umstand ermoumlglicht dass sich das Spieler-
eignis aufgrund seiner zuvor beschriebenen Autonomie in einem Spannungsverhaumlltnis ereignet Die-
ses ergibt sich zwischen Zufall und Notwendigkeit und wird durch den Spielenden bestaumlndig in
Waage gehalten Dieses selbst initiierte Geschehen reguliert sich somit auf der Handlungsebene
selbst es ist selbstorganisiert Diese Selbststeuerung nutzt Phantasie und Spontanitaumlt als Strategie
weshalb das Spielgeschehen trotz seines zirkulaumlren Charakters als prozessoffen bezeichnet werden
14
kann Besonders das Kinderspiel taucht dazu im gegenwaumlrtigen Spielmoment mit seinen spielenden
Subjekten im besonderen Bewusstsein uumlber seine paradoxe Als-ob-Realitaumlt in ihre eigens gestaltete
geistige Scheinwelt ein Die Spielenden sind waumlhrenddessen voumlllig selbst- und weltvergessen mit
groszliger Ernsthaftigkeit und im groumlszligten Eifer voumlllig in ihr bdquogebanntldquo Fuumlr ein bdquosich Ereignenldquo dieses
beschriebenen spontanen natuumlrlichen Spiels hat es nun als letztes Merkmal noch zur Voraussetzung
dass einzelne Momente nicht fuumlr sich isoliert initiiert oder planmaumlszligig ersetzt weggelassen oauml wer-
den koumlnnen so dass jedes einzelne der sechs Wesensmomente im Spielgeschehen quasi jeweils ein
bdquoGliedldquo in einer ineinander greifenden bdquofunktionalenldquo Kette darstellt ohne dass die Kette nicht
funktionstuumlchtig waumlre und sich freies natuumlrliches Spiel nicht ereignen koumlnnte
Inwiefern sich freies Kinderspiel nach dieser Auffassung im Hessischen Bildungs- und Erziehungs-
plan widerspiegelt soll im folgenden Kapitel untersucht werden
2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
21 Das Spielverstaumlndnis
Im Kapitel bdquoGrundsaumltze und Prinzipienldquo des Hessischen Bildungsplanes kommt dessen bdquoeigenesldquo
Verstaumlndnis zum bdquoKinderspielldquo ebenso zum Ausdruck wie eine Anleitung dazu wie mit dem Spiel-
phaumlnomen planvoll umzugehen ist (vgl Hessisches Sozialministerium Hessisches Kultusministeri-
um (2007) S 30-31) Im Folgenden werden diese Positionen zusammenfassend darstellt und erlaumlu-
tert
Spiel wird darin als Mittel in der ureigenen Ausdrucksform des Kindes angesehen womit es in der
Zeit des Heranwachsens seine Entwicklungsaufgaben und Lebensrealitaumlt bewaumlltigt Nach dieser
Auffassung kennzeichnen das Spiel drei Merkmale Das ist erstens die Zweckfreiheit der Spielhand-
lung die ausschlieszliglich durch das von ihr ausgehende Anregungspotentials ausgefuumlhrt wird Zwei-
tens dass im Spiel eine eigene Realitaumlt konstruiert wird und drittens dass Spielhandlungen wie im
Ritual wiederholt werden Die weitere Betrachtung des Spiels ist dann maszliggeblich auf Zwecke Zie-
le und den Sinn des Spiels im Bezug auf seine Wirkungen beschraumlnkt Somit sollen sich Kinder
zwar bdquoin ihren Spielhandlungen lustvoll versenken und dabei in einen intensiven Austausch mit ih-
rer Umwelt tretenldquo (dies S 30) Dies diene dann aber lediglich der Verarbeitung und Bewaumlltigung
von noch nicht zuordenbaren Erfahrungen (Problemen) Diese vom Kind zu bewaumlltigenden Proble-
me betraumlfen einerseits Entwicklungsthematiken wie bdquodas Ausspielen von Macht und Kontrolle von
Allmachtsphantasien [hellip] oder Herrschaft uumlber Leben und Tod [] sowie der Wunsch nach Heraus-
bildung eines Selbst bzw einer Identitaumltldquo (ebd) und andererseits Beziehungsthematiken zwischen
15
Erwachsenen und Gleichaltrigen
An die Beschreibung der drei Merkmale von Spiel anschlieszligend wird der Lern- und Entwicklungs-
charakter des Spiel dargestellt bdquoFreie Spielprozesse sind immer auch Lernprozesse denn Kinder
lernen zumindest beilaumlufig durch Spielenldquo (ebd)
Weiter heiszligt es im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan dass die Qualitaumlt dieser Lernprozesse
die im freien Kinderspiel stattfinden durch bdquogezielte Unterstuumltzungsmaszlignahmenldquo zu erhoumlhen sei In
dieser Aussage wird deutlich dass das freie Kinderspiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungs-
plan lediglich als Mittel aufgefasst wird welches die Entwicklungs- und Lernprozesse waumlhrend des
Heranwachsens beschleunigend wie ein Motor vorantreiben soll Warum sonst soll die bdquoQualitaumltldquo
des freien Kinderspiels bdquoerhoumlhtldquo werden Kinder sollen in erster Linie nicht spielen um ihrem Be-
duumlrfnis nach Spiel nachzukommen sondern um etwas zu lernen Dies legt den Verdacht nahe dass
das Spielen als solches auch nur aus diesem Grunde naumlmlich weil Kinder im Spiel etwas lernen
dh Kompetenzen erwerben Bestandteil des Bildungsplanes ist
Zusammenfassend kann festgestellt werden dass das Spiel im Hessischen Bildungs- und Erzie-
hungsplan auf eine Art Voruumlbung fuumlr das bdquorichtigeldquo Leben bei gleichzeitiger Lebensbewaumlltigung
verkuumlrzt wird Gleichzeitig findet durch die bdquoAufwertungldquo des freien Spiels zum bdquospielerischen Ler-
nenldquo eine Funktionalisierung und Paumldagogisierung des freien Spiels statt Die dem Spiel von Lern-
und Entwicklungspsychologie attestierten Potenzen (vgl Oerter 2007) sollen fuumlr die Realisierung
der Bildungs- und Erziehungsziele nutzbar gemacht werden dh das Spiel an sich dient vorrangig
dem Erwerb gewisser Kompetenzen und nicht der Erfuumlllung kindlicher Spielbeduumlrfnisse
Im folgenden Abschnitt werden die Hintergruumlnde eines solchen Spielverstaumlndnisses untersucht
Politische Motivationen spielen dabei ebenso eine Rolle wie die sich daraus ergebenden Ziele des
aktuellen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplans
22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
Im Vorwort des Hessischen Bildungs- und Erziehungsplans benennen die ehemaligen Hessischen
Ministerinnen14 fuumlr Kultus Karin Wolf und fuumlr Soziales Silke Lautenschlaumlger das zentrale politi-
sche Ziel naumlmlich die bdquoOptimierung der Bildungschancenldquo und die Entwicklung von bdquoChancen-
gleichheitldquo (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S 18) fuumlr die heranwachsende
Generation Bereits diese Formulierung laumlsst erkennen dass es im Bereich Bildung und Erziehung
politisch gesehen um Effizienz und um einheitliche bdquoQualitaumlts-ldquo und bdquoBildungsstandardsldquo geht die
14 unver uumlbern v aktuellem Kultusminister Herr Lorz von Herr Gruumlttner fuumlr Soziales und Integration
16
auf maximale Leistungen in der nationalen und internationalen Wissenskonkurrenz zielen
Wie ist also bdquoOptimierung der Bildungschancenldquo zu verstehen Konzeptionell ist diese bdquoOptimie-
rung der Bildungschancenldquo darauf angelegt dass bis zum Uumlbergang in die Sekundarstufe die Kin-
dertageseinrichtungen und Grundschulen allen Kindern eines Jahrgangs als Grundlagen die gleichen
bdquoBasiskompetenzenldquo15 vermitteln sollen Das Erreichen dieser bdquoBildungsstandardsldquo bis zur vierten
Klasse sei wiederum die Herstellung von bdquoChancengleichheitldquo so die Schlussfolgerung (vgl dies
S 18)
Dabei besteht die Chance darin dass die Kinder des gesamten Jahrgangs in gleichen Leistungstests
an diesen einheitlichen bdquoBasiskompetenzenldquo in Abhaumlngigkeit gemessen und in Konkurrenz zueinan-
der nach ihren Lernleistungsdifferenzen (Leistungsabstaumlnden) eingeordnet werden koumlnnen (vgl
Nuumlberlin 2002 S 117-127) Die dabei entstehende Jahrgangssortierung dh die Platzierung im
Leistungsvergleich innerhalb eines Jahrganges entscheidet dann daruumlber welche Kinder eine
bdquoChanceldquo auf houmlhere Bildung erhalten und welche nicht welche also das Gymnasium besuchen
duumlrfen und fuumlr welche der Besuch der Realschule vorgesehen ist Somit werden mit dem politischen
Programm bdquoChancengleichheitldquo bzw bdquoOptimierung der Bildungschanceldquo die jungen Generationen
(Kinder und Jugendliche) gemaumlszlig der in der Gesellschaft durchgesetzten Wissenshierarchie bzw Fauml-
higkeitshierarchie kontinuierlich eingeordnet (vgl Nuumlberlin 2002 S 127-129)
Deshalb soll bdquoChancengleichheitldquo auch bdquoBildungschancenldquo eroumlffnen weshalb im Bildungsplan Paumld-
agogen dazu aufgerufen sind die Kinder von fruumlhester Kindheit an individuell zu staumlrken um ihre
unterschiedlichen Voraussetzungen zumindest in gleichen bdquoBasiskompetenzenldquo vermeintlich einan-
der anzugleichen und somit die Vergleichbarkeit in der Notenkonkurrenz chancengleich im Sinne
von voraussetzungsgleich zu gestalten (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S
5-6 und S 17-18) Gerda Nuumlberlin weiszligt darauf hin dass aber diese Voraussetzungsgleichheit die
Institution Schule gerade nicht leistet Und dass Schule statt dessen durch Lernen auf Zeit die Schuuml-
ler innerhalb eines Jahrgangs mit einheitlichen Tests kontinuierlich einem Sortierungsverfahren un-
terzieht das eher gemaumlszlig den Bildungsschichten die Wissensunterschiede der Kinder hervorhebt
und sogar mit produziert statt sie mit dem Ziel der bestmoumlglichen Wissengleichheit zu bdquobeseitigenldquo
(vgl Nuumlberlin 2002 S 104-142)
Die auf gleiche Basiskompetenzen vorbereitenden Lernangebote und Fruumlhfoumlrderungen sollen nach
Aumluszligerung der Ministerinnen im Vorwort intensiver und fruumlher initiiert werden als in den vorange-
gangenen Jahren (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S 5-6) Zur Sicherung
15 bzw auch als bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (vgl dies S 41) bezeichnet daraus resultieren sollen die besonders vonder Wirtschaft geforderten bdquoMetakompetenzenldquo (vgl dies S 17)
17
der bdquoBildungsqualitaumltldquo und Umsetzung einheitlicher Standards soll der Bildungs- und Erziehungs-
plan das institutionenuumlbergreifende Steuerungsinstrument sein (vgl dies S 19) Die Herausgeber
des Bildungsplanes heben in der Einfuumlhrung besonders hervor dass es sich erstmals um einen Bil-
dungs- und Erziehungsplan handelt der durch seine stufenlose Konzeption von 0 bis 10 Jahren ein
kontinuierliches Lernen vorsieht Alle paumldagogisch wirkenden Personen und Institutionen sollen
durch einheitliche Bildungs- und Erziehungsziele moumlglichst an bdquoeinem Strang ziehenldquo koumlnnen (vgl
dies S 5-19)
Leitziel ist es fuumlr das bdquolebenslange Lernenldquo mit dem Erwerb von bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo die
bereits erwaumlhnte gemeinsame Grundlage (bdquoBasiskompetenzenldquo 16) der Kinder zu erzeugen (vgl
dies S 41f)
Veranlasst sehen sich die Ministerien zur bdquoneuenldquo konzeptionellen Bildungssteuerung durch den
tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel der sich von der demografischen Entwicklung uumlber viel-
faumlltige kulturelle Kontexte die Wirtschafts- und Arbeitswelt bis hin zu familialen Wandlungsprozes-
sen vollzieht und generell durch Schnelllebigkeit gekennzeichnet ist und von den Menschen ein ho-
hes Maszlig an Flexibilitaumlt und Mobilitaumlt fordert Hierzu werden auch die Ergebnisse der Schuumllerleis-
tungsvergleiche wie PISA TIMSS oder IGLU und denen entsprechende wissenschaftliche For-
schungsbefunde genannt denen der bdquo(neue) Bildungs- und Erziehungsplanldquo Rechnung tragen
moumlchte (vgl dies S 16-19)
Denn die Platzierung bei national und international vergleichbaren Leistungserhebungen ist letztlich
die Bemessungsgrundlage fuumlr bdquoBildungserfolgldquo oder bdquoBildungsversaumlumnisldquo Die attestierte bdquoBil-
dungsqualitaumltldquo ist deshalb von politischem Interesse weil die Politik die durch ihr Bildungssystem
erreichte Platzierung im vorderen Bereich als Standortfaktor fuumlr ihren Wirtschaftsstandort in
Deutschland nutzen moumlchte um vor allem auf dem globalem Markt konkurrenzfaumlhig zu bleiben
Im Folgenden wird zu zeigen sein ob und inwiefern diese Zielsetzungen mit dem dafuumlr entwickel-
ten Bildungskonzept zur angenommenen Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels fuumlhren
16 Im Einzelnen werden folgende Kompetenzen genannt als Basiskompetenzen werden bdquoindividuumsbezogeneKompetenzenldquo bdquoKompetenzen zum Handeln im sozialen Kontextldquo bdquoLernen und lernmethodische Kompetenzldquo undbdquokompetenter Umgang mit Veraumlnderung und Belastung Widerstandsfaumlhigkeit (Resilienz)ldquo genannt (vgl dies S 25-26 und S 41-44) Zum anderen werden darauf aufbauende konkrete Bildungs- und Erziehungsziele genannt (ent-sprechend der geforderten bdquoMetakompetenzenldquo) bdquostarke Kinderldquo bdquokommunikationsfreudige Kinder und medien-kompetente Kinderldquo bdquoKreative fantasievolle und kuumlnstlerische Kinderldquo bdquoLernende forschende und entdeckungs-freudige Kinderldquo und bdquoverantwortungsvoll und werteorientiert handelnde Kinderldquo (vgl dies S 13)
18
23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Wie kann das politische Ziel naumlmlich alle Kinder mit den gleichen Grundkompetenzen auszustatten
und deren bdquoErfolgldquo mindestens ab der vierten Klasse an regelmaumlszligigen Leistungserhebungen zu be-
messen durch freies Spiel erreicht werden Die Vermittlung bzw der Erwerb standardisierter Inhal-
te (Wissen Faumlhigkeiten Fertigkeiten Kompetenzen) und die Verfuumlgung daruumlber (Pruumlfungstermin)
steht im Widerspruch zum freien Spiel als offenem Prozess den die Spielenden selbst initiieren und
gestalten und bei dem keine Voraussagen daruumlber getroffen werden koumlnnen wann sich welche
Kenntnisse und Fertigkeiten einstellen
Diese erlangt man einerseits durch die Freiheit als Freiraum zum Spiel die eine gewisse Qualitaumlt an
Sorgefreiheit bedingt Zur Sorgefreiheit zaumlhlt beispielsweise auch das Freisein von Lerndruck der
jedoch unter anderem durch festgelegte Leistungserhebungen und Entwicklungsdokumentationen
bei den Kindern erzeugt wird Und andererseits erwirbt man Kenntnisse und Faumlhigkeiten nur dann
wenn das Spiel frei ist wenn es sich also um seiner selbst Willen ereignet und eben nicht bdquokanali -
siertldquo wird es also keinen aumluszligeren Zielen Zwecken oder Absichten unterliegt wie es jedoch bei
festgelegten bdquoBasiskompetenzenldquo (bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo) eines bdquoBildungsstandardsldquo der Fall
waumlre17 Hinzu kommt der weitere Aspekt von Freiheit im Spiel wonach das Spiel ein selbstgesteuer-
ter Prozess mit offenem bdquoAusgangldquo ist dessen Wirkungen eben nicht planbar oder voraussagbar
also nicht standardisierbar und determinierbar sind Diese Qualitaumlt von Freiheit im Spiel ergibt sich
nun aus den unverfuumlgbaren Momenten des freien Spiels wie dem Augenblick der Instabilitaumlt der
Kreativitaumlt und Phantasie der Spontanitaumlt und Unordnung dem Unsinn und Zufall Diese zugleich
auch wesentlichen Antriebskraumlfte des Spiels koumlnnen sich wie bereits im Kapitel bdquo14 Moment der
Ambivalenzldquo (S 11-13) naumlher beschrieben nur in einem Entwicklungsspielraum mit reichhaltigen
Erfahrungsmoumlglichkeiten und mit dem erlaumluterten Spannungsverhaumlltnis ergeben Sie tragen dann
aber auch die unermesslichen Potentiale fuumlr Emergenz mit dem Prinzip des Lebendigen in sich
woraus sich seine Offenheit fuumlr Neues im Sinne der Weiterentwicklung von Leben ergibt
An dieser Stelle moumlchte ich ergaumlnzend zu meiner eher phaumlnomenologischen Wesensauffassung von
freiem Spiel einige Beispiele skizzieren wie sich die Einuumlbung von Kompetenzen durch freies Spiel
aus psychologischer Sicht vollzieht
Die im Hessischen Bildungsplan intentional geplanten Basiskompetenzen und Lernziele wie bei-
spielsweise Kreativitaumlt Abstraktionsvermoumlgen Empathie oder Flexibilitaumlt in Denk- und Vorstel-
17 Vgl dazu Kapitel bdquo11 Das Moment der Freiheitldquo in dieser Arbeit S 7f
19
lungsvermoumlgen ergeben sich im Spiel als bdquoNebeneffektldquo Das Kind vollzieht naumlmlich im Spiel fuumlr
seine Entwicklung entscheidende Bildungsprozesse selbsttaumltig intrinsisch motiviert und in der bdquoDo-
sisldquo die es bedarf Dabei von groszliger Bedeutung ist der vom Kind entwickelte eigene Lernmodus
der sich maszliggeblich an der individuellen Leistungsfaumlhigkeit und den persoumlnlichen Beduumlrfnissen ori-
entiert Hierfuumlr benoumltigt jedes Kind einen eigenen Entwicklungsspielraum
bdquo[Der] sollte Heranwachsenden die vielfaumlltigsten auch selbsttaumltig inszenierten Erfah-rungsraumlume bieten um sich - wie es Johann Heinrich Pestalozzi nannte - an Kopf Herzund Hand bilden zu koumlnnen moumlglichst frei von Furcht und Zwang Sinnesbildung Koumlr-perbildung und geistig-seelische Bildung sollten dabei gleichermaszligen zur Entfaltungkommenldquo (Rittelmeyer 2007 S 7)
So initiieren Kinder beispielsweise in ihren Rollenspielen eigentaumltige Bildungsprozesse indem sie
sich im spontanen Spiel in die Perspektive anderer Menschen versetzen und eigenes Handeln fuumlr
aumlhnliche Lebenssituationen uumlben Oder sie erproben sich im Spiel mit verschiedenen sozialen Rol-
len zB im Rahmen gesellschaftlicher Verhaltensstandards indem ein von Geschichten aufgenom-
menes oder durch elterliche Kommentare an die Kinder herangetragenes Ideal (bdquoTapferkeitldquo bdquoGe-
schwisterliebeldquo bdquoFreundschaftldquo bdquoHilfsbereitschaftldquo etc) mit der persoumlnlichen Wirklichkeit vertraut
gemacht wird Dieses Erproben entspricht zB einer Bewusstseinsbildung im Hinblick auf (solche)
gesellschaftlichen Rollenerwartungen
bdquo[Oder] im Symbolspiel das ein Houmllzchen zur Mutterʻ oder zum Autoʻ werden laumlsstuumlben Kinder die Faumlhigkeit im Hinblick auf gegebene Phaumlnomene verschiedene Per-spektiven entwickeln zu koumlnnen also mit Kreativitaumlt oder Phantasie auf Erscheinungender aumluszligeren Welt zu reagierenldquo (ders S 17)
Es ist schwierig zu sagen welche Kompetenzen genau aus eigentaumltigen Bildungsprozessen im Spiel
entstehen da Resultate aus diesen Erfahrungen wiederum von diversen Faktoren abhaumlngig sind
Maszliggebliche Faktoren sind dabei die uumlberaus verschiedenen biografischen Erfahrungen der Kinder
und dass die letztliche Erfahrungsgewichtung durch ihre Individualitaumlt verschieden zum Tragen
kommt
Da aber jedes Lernen immer individuumsbezogen dh vom Kind abhaumlngig ist hat dieser Umstand
auch fuumlr die geplant-initiierten Lernangebote Geltung sofern derartige von auszligen angestoszligene
Lernangebote uumlberhaupt in den lernenden Kindern auf Resonanz stoszligen
Es duumlrfte kaum anzuzweifeln sein dass wie im Beispiel des spontanen von den Kindern selbst initi-
ierten Rollenspiels Rollenhandeln und soziale Empathie eingeuumlbt und fuumlr eigenes Handeln erprobt
werden Ebenso werden durch Symbol- oder Rollenspiele die Phantasie und Kreativitaumlt vielfaumlltig
angeregt die Beobachtungsgabe und das Vorstellungsvermoumlgen ausgepraumlgt Daraus kann sich wie-
20
derum das Abstraktionsvermoumlgen entwickeln und die Kinder bilden mit zunehmenden Perspekti-
venwechseln eigene Vorstellungen und Uumlberzeugungen aus Indem naumlmlich Spielende in ihre selbst
konstruierte bdquoScheinweltldquo gaumlnzlich bdquoeintauchenldquo nehmen sie auf zuvor vielfaumlltig beobachtete und
erlebte Situationen Bezug Erst spielen sie das Erlebte nach und bdquodurchlebenldquo es dabei spielerisch
immer wieder bis sich ein tiefgruumlndiges Verstaumlndnis uumlber die erlebte Situation gebildet hat Allmaumlh-
lich wird dann durch die eigene Ausgestaltung des Rollen- oder Symbolspiels das wahrgenommene
Phaumlnomen zunehmend abstrahiert und Kinder beginnen vielfaumlltige eigene Vorstellungen dazu zu
entwickeln Freies Spiel entspricht also eigentaumltiger Lebenswelterfahrung und -aneignung und ihr
Bildungsgehalt scheint dabei fast unermesslich groszlig zu sein (vgl ders S 7-17 und S 135-137)
Es wuumlrden sich also durch freies Kinderspiel ganz unterschiedliche und auch bdquoneueldquo Kompetenzen
mit ganz individuellen Auspraumlgungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten bilden Diese Aspekte ma-
chen aber eine vergleichende Leistungserhebung quasi unaussagekraumlftig bzw koumlnnten einen deter-
minierten bdquoBildungsstandardldquo insofern bdquogefaumlhrdenldquo als dass das Spiel als kreative geistig-emotio-
nale Weltzuwendung immer einen offenen bdquoAusgangldquo hat dh nicht vorhersagbar ist Das Zulassen
von freiem Spiel steht somit im Interessenskonflikt mit den oben genannten politischen Absichten
weshalb dem freien Spiel ein generelles Misstrauen gegenuumlber gebracht wird Dies fuumlhrt letztlich
konzeptionell dh durch die Einfuumlhrung und Umsetzung von bdquoBildungsstandardsldquo zur zunehmen-
den Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
Inwiefern die angenommene Verdraumlngung von freiem Kinderspiel auch paumldagogisch motiviert sein
kann soll im folgenden Abschnitt untersucht werden
24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Die Autorinnen und Autoren sehen Kinder einerseits als kompetente selbstbestimmt taumltig werdende
Wesen an und deuten die Bildung und das Lernen zwar als soziale Prozesse die sich im Dialog zwi-
schen Kind und Erwachsenem vollziehen koumlnnen Andererseits verweisen sie aber darauf dass die
Qualitaumlt dieser Prozesse wiederum von auszligen dh von einem Erwachsenen gesteuert und mode-
riert werden sollen (vgl Hessisches Sozialministerium Hessisches Kultusministerium 2007 S 20-
21) Die Steuerung der Bildungs- und Lernprozesse wird versucht zu rechtfertigen indem auf aktu-
elle neurowissenschaftliche Befunde verwiesen wird die dem kindlichen Gehirn ein enormes Ent-
wicklungs- und Lernleistungsvermoumlgen zuschreiben welches wenn es nicht genuumltzt wuumlrde einem
bdquoBildungsversaumlumnisldquo gleichkaumlme und nur schwer wieder aufzuholen sei (vgl dies S 20- 24)
bdquoJe reichhaltiger aumluszligere Lernreize sind desto mehr effiziente neuronale Netzwerke
21
(Synapsen) bilden sich heraus die fuumlr die Verarbeitungskapazitaumlt des Gehirns und seineLernfaumlhigkeit im spaumlteren Leben bedeutsam sind Im Entwicklungsverlauf eines jedenKindes gibt es optimale Zeitraumlume fuumlr grundlegende Lernschritte (zB ZweitspracheRaumorientierung elementares mathematisches Denken Interesse an Naturwissen-schaften aumlsthetisches Verstaumlndnis Entwicklung der Musikalitaumlt) Solche Zeitfenstergibt es auch noch im Laufe der weiteren Bildungsbiografie Dennoch gilt es diese sen-siblen Phasen bereits durch fruumlhe Bildung offensiv zu nutzen [sic] Je solider und brei-ter die Basis aus jener Zeit desto houmlher ist die Wahrscheinlichkeit dass das Kind danachaktiver und leichter lernt Fruumlhe Bildungsversaumlumnisse sind nur schwer aufholbarldquo(dies S 24)
Die programmatische Paumldagogisierung von Spiel die die bdquoGrenzen zwischen der herkoumlmmlichen
Trennung von Freispielprozessen und geplanten Bildungsprozessen zunehmendldquo (dies S 30) ver-
wischen soll ist vor dem Hintergrund Bildung als Produkt einer offensiven Nutzung der sensiblen
Lernzeitfenster anzusehen (vgl dies S 23-24) und wiederum von seiner politischen Motivation
mit dem Wettlauf um Konkurrenzfaumlhigkeit sowie der Weiterfuumlhrung einer in der Gesellschaft durch-
gesetzten und der Wirtschaft dienlichen Wissenshierarchie in Verbindung zu bringen Folglich fuumlhrt
die im Bildungs- und Erziehungsplan programmatisch angewiesene Funktionalisierung des Spiels
zum bdquospielerischen Lernenldquo letztlich paumldagogisch motiviert zur zunehmenden Verdraumlngung des frei-
en (Kinder)Spiels denn dieses wird als zu zeitintensive Taumltigkeit angesehen Freispiel darf zwar
laut Plan auch enthalten sein es bdquomuss jedoch im angemessenen Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlten ste-
henldquo (dies S 31) weshalb es wegen des bdquoLernfensterdrucksldquo (vgl Dies S 23-24) zum bdquospielen-
den Lernenldquo umfunktionalisiert werden soll (vgl dies S 30-31) um wegen seiner bildenden Po-
tenzen dann als Lernbeschleunigung dem Lernziel (bdquoBildungserfolgldquo) dienbar gemacht zu werden
Das Freispiel soll konzeptionell auf zwei Wegen zu bdquospielendem Lernenldquo qualitativ aufgewertet
werden Zum einen indem aus Spielprozessen Projekte hervor gehen mit der Bedingung dass das
Spielgeschehen zunehmend von der Projekttaumltigkeit durchdrungen wird Und zum anderen koumlnnen
bdquo[]im Rahmen von Projekten [hellip] Freispielphasen enthalten sein in denen sich dieKinder weiterhin mit dem Projektthema allein oder mit anderen auseinandersetzen DieQualitaumlt der Freispielprozesse laumlsst sich durch gezielte Unterstuumltzungsmaszlignahmen erhouml-henldquo (dies S 30 Herv MG)
Wenn also Freispielphasen eingeplant werden dann unter der Bedingung dass im bdquoSpielldquo die Pro-
jektthemen wieder aufgegriffen werden In beiden Varianten wird aber die Qualitaumlt des Spiels zu-
mindest im Bezug auf das Erreichen des Lernzieles angezweifelt weshalb ein gezieltes Einwirken
der Paumldagogen kontinuierlich angedacht ist
bdquoDie Houmlhergewichtung des elementaren Bildungsauftrags hat zur Konsequenz dasssich das beilaumlufige Lernen der Kinder im Spiel zum spielerischen Lernen hin entwickeltDem Spiel wird mehr systematische Begleitung und didaktische Aufbereitung
22
zuteilldquo(dies S31 Herv MG)
Das demnach angedachte bdquoFreispielldquo soll folglich auch kein freies natuumlrliches Spielen sein selbst
wenn sich Kinder angetan von den Projektinhalten im freien Spiel beginnen selbsttaumltig im Rah-
men dessen auseinanderzusetzen Solches Geschehen wuumlrde durch paumldagogisches Einwirken auf
das Lernziel hin gelenkte Taumltigkeit werden es soll durch Erwachsene zum bdquospielerischen Lernenldquo
hin entwickelt werden Ebenso kann auch ein anfaumlngliches Spiel nie als solches bestehen bleiben
Die Houmlhergewichtung des institutionellen bdquoBildungsauftragsldquo bewirkt in beiden Faumlllen dass der
scheinbar gewaumlhrte bdquoSpielraumldquo zur zielorientierten Lerntaumltigkeit wird weshalb (freies) Spiel ver-
draumlngt wird und zunehmend in Projekttaumltigkeit muumlndet Erst dann hat Spiel einen qualitativen Nut-
zen im Sinne des Bildungs- und Erziehungsplans Deshalb haben Spielen und Lernen auch nach An-
sicht und Position des Bildungsplanvorhabens in einem besonderen Verhaumlltnis zueinander zu stehen
welches Paumldagogen zu sichern haben
bdquoFreispiel ist wichtig muss jedoch im angemessenem Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlt stehendie die Erwachsenen planen und initiieren[]ldquo (ebd Herv MG)
Denn Lernaktivitaumlt sollte nach Meinung der Autorinnen und Autoren wenn sie vom Kind ausgeht
letztlich durch Erwachsene zielfuumlhrend gelenkt werden
Diese Qualitaumlt steigernden Unterstuumltzungsmaszlignahmen und das angestrebte Verhaumlltnis von Spielen
und Lernen stehen im einzelnen mit den Wesensmomenten des freien Spiels in Widerspruch Im
freien Spiel sind die Spielinhalte die sich spielende Kinder selbst auswaumlhlen vorwiegend alltagsbe-
zogen und als diese individuell meist sehr unterschiedlich Kinder begegnen im Spiel also Themen
die ihr Interesse durch erlebte oder beobachtete Situationen geweckt haben Diese eigens initiierten
Spielideen koumlnnen wie oben skizziert diverse Funktionen (zB bildendes Erproben) als Nebenef-
fekt haben Aber im Sinne des Spiels als bdquofreie Zeitgestaltungldquo draumlngt das Kind eher nach sinnvoll
erfuumllltem Leben durch erstrebtes lustvolles Spielen mit ganzheitlichem Lebensweltbezug als nach
einer von auszligen das Spiel deformierenden oder domestizierenden Systematik und Didaktik Es ist
anzunehmen dass diese fehlende bdquoBe-friedigungldquo des Spielbeduumlrfnisses ihre praumlgenden Anpas-
sungsspuren in den Kindern hinterlaumlsst und sie wahrscheinlich unzufrieden macht Zusaumltzlich duumlrf-
ten diese Umstaumlnde dem Lernen allgemein auch eher abtraumlglich sein
Es besteht also ein ganzheitlicher Bezug zum eigenen Leben wenn durch die Freiheit zum Spiel
ganz individuelle Themen zur Spielidee werden und bdquoihren Laufldquo nehmen Das heiszligt die jeweilige
Initialidee wird im weiteren Spielverlauf staumlndig veraumlndert werden und folgt dabei gerade eben
nicht der bdquoLogikldquo der buumlrgerlichen Erwachsenenwelt Diese bdquoLogikldquo wird aber im Bildungsplan fo-
23
kussiert In ihm ist die Annahme enthalten dass Kinder wie Forscher ihre Umwelt erkunden und
nun im Zuge der Aufwertung des Spiels zum bdquospielerischen Lernenldquo durch paumldagogisches Hinwir-
ken sich das bdquospielendeldquo Kind in reflektierender Betrachtungsweise Kausalzusammenhaumlnge und
Gesetzmaumlszligigkeiten des zu untersuchenden bdquoGegenstandesldquo erschlieszligen bzw davon ableiten soll
(vgl dies S 20 27-28 30-31) Spiel ist aber nur dann Spiel wenn es ein eigenes fortwaumlhrendes
kreatives und spontanes Eingehen auf die Anregungen der aumluszligeren Spielszenerie ermoumlglicht (vgl
Kapitel bdquo14 Das Moment der Ambivalenzldquo S 11ff sowie Rittelmeyer 2007 S 136) Innerhalb
dessen orientiert sich die Spiel gestaltende Taumltigkeit des Kindes hauptsaumlchlich an den eigenen Be-
duumlrfnissen und nicht an Vorgaben von auszligen Deswegen kann auch nicht alles Spiel sein das waumlre
Willkuumlr und nicht Geschlossenheit (vgl Kapitel bdquo15 das Moment der inneren Geschlossenheitldquo S
13) Und um seiner inneren Zweckmaumlszligigkeit moumlglichst dienlich zu sein bleibt es auch stets unver-
fuumlgbar Darin gibt es keine absolute Eindeutigkeit (zB ein Lernziel) mit zielgerichtetem Streben
nach zukuumlnftiger Befriedigung Spiel ist jetzt ist gegenwaumlrtig angestrebtes erfuumlllendes Erleben von
frei gestalteter Zeit Nur so koumlnnen sich alle weiteren Wesensmomente und ihre ua auch hoch ef-
fektiv bildenden Potenziale ergeben und individuell entfalten Solches Spiel waumlre aber von Vielfalt
Spontanitaumlt Uumlberfluss Instabilitaumlt Kreativitaumlt oder auch vom ihm eigenen Unsinn gepraumlgt Sicher-
lich erschlieszligen sich dem Kind dabei diverse Kausalzusammenhaumlnge und aus Einzelphaumlnomenen
wird es ableitend Gesetzmaumlszligigkeiten erfahren die sich in diesem informellen Lernprozess dann als
Wissen Kenntnisse Fertigkeiten oder auch Kompetenzen verinnerlichen Aber diese (Neben)Effek-
te wuumlrden nie zielfuumlhrend oder leitend das Spielgeschehen formen bzw antreiben
Dem natuumlrlichen freien Spiel steht das bdquospielerische Lernenldquo auch im Bezug auf die im Spiel er-
schaffene Phantasiewelt (vgl Kapitel bdquo13 Das Moment der Scheinhaftigkeitldquo S 10) entgegen
Denn diese zeichnet sich gerade dadurch aus dass sie sich von den bdquoObjektenldquo der Umwelt loumlst
vom Faktischen enthoben ist und durch Phantasie zu bdquoNeuemldquo zu Symbolischem werden laumlsst Und
somit das symbolische bdquoAls-obldquo Spielgeschehen ermoumlglicht Das Spiel wuumlrde sich also notwendi-
gerweise von der Projekttaumltigkeit oder ihren faktischen Inhalten loumlsen muumlssen um sich in dieser
Phantasiewelt mit seiner Spielhandlung zwischen Zufaumllligem und Notwendigem bewegen zu koumln-
nen Mit der daraus entstehenden Gegenwaumlrtigkeit schloumlssen sich alle weiteren Momente zu ihrer
bdquofunktionalenldquo Kette zusammen Auch der zeitliche Rahmen in dem sich das freie Spiel nun bewe-
gen wuumlrde ist unvorhersehbar Es ist also wahrscheinlich dass das Spielgeschehen uumlber den von
Erziehern eingeplanten bdquoFreispielzeitraumldquo hinweg andauern koumlnnte und deshalb von auszligen durch
die Paumldagogen abgebrochen werden wuumlrde Der bdquoinneren Unendlichkeitldquo des Spiels wuumlrde dies so-
mit ein abruptes Ende bereiten Dem zirkulaumlrem Charakter des Spiels steht noch ein weiterer Aspekt
24
entgegen Naumlmlich dass die Wiederholungen der Spielhandlung nicht aus systematischer oder di-
daktischen bdquoAufbereitungldquo erzeugt werden koumlnnen sondern dass sie wie Rolf Oerter in bdquoZur Psy-
chlogie des Spielsldquo beschreibt mit lustvollem Erleben in Verbindung zu bringen sind und demnach
eher dem Lustprinzip folgen als dem rationellem Realitaumltsprinzip (vgl Oerter 2007 S 9 12 14f
18-21)
Einzelne Momente fuumlr bdquospielerisches Lernenldquo zu erzeugen bzw sie diesbezuumlglich abzuwandeln
kann also nicht mehr mit dem natuumlrlichen freiem Spiel in Verbindung gebracht geschweige denn
damit gleichgesetzt werden Das daraus resultierende bdquoSpielenldquo kann demnach auch nicht dem Be-
duumlrfnis oder Drang nach Spiel entsprechen welches Kinder ganz offenkundig haben Das Spiel im
Sinne des Bildungsplanes gleicht in seiner angedachten Form eher bdquodomestiziertenldquo Spiels das in
einzelne Wesensmomente zerrissen ist um als didaktische bdquoListldquo geplant initiiert zu werden Somit
wird durch die verkuumlrzte Auffassung von Spiel als Mittel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo bei
gleichzeitiger Verkuumlrzung echter Spielzeit die zunehmende Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels
im Bildungsplan programmatisch angegangen bzw angeordnet wodurch die dieser Arbeit zugrunde
liegende Annahme bestaumltigt wird
3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
Die Reformpaumldagogik hat zB durch Ellen Key Johann Heinrich Pestalozzi oder Maria Monterssori
Konzepte wie Jena-Plan das der Sudberry Valley School oder der Freien Demokratischen Schulen
inspiriert Innerhalb deren Konzeptionen findet auch die kindliche Lebenswelt ohne sie romantisch
zu verklaumlren ihren anerkennenden Platz und wird als vollwertiger Lebensabschnitt beachtet Ihre
aumlhnlichen Bildungsansaumltze enthalten vielfaumlltigste Anreize und Formen vernuumlnftiger Bildungsideen
mit ganzheitlichem Menschenbild und echtem Lebensweltbezug Das bedeutet auch fuumlr eine Institu-
tion um mit Ellen Key zu sprechen Bildung vom Kind aus zu denken
Exemplarisch moumlchte ich im Folgenden diese Bildungsvorhaben und ihre fuumlr die Kinder bereiteten
Entwicklungsspielraumlume an Hand der Freien Demokratischen Schulen skizzieren Der Ausgangs-
punkt dieser Schulen ist der Kerngedanke dass sich durch Eigeninitiative selbstverantwortete Bil-
dung und freies Spiel nicht abstoszligend gegenuumlber stehen sondern dass beide den Beduumlrfnissen des
Kindes entspringen und das Kind deshalb je nach seiner Beduumlrfnislage seine Aktivitaumlten diesbezuumlg-
lich selbstorganisiert Zwar sind auch Freie Demokratische Schulen als Institution leider kein wirk-
licher bdquoorganischerldquo Teil der Lebenswelt von Kindern sondern immer nur von auszligen angebotene in-
tentionale Konstrukte die aber in diesem Fall den individuellen Entwicklungsspielraum der Kinder
25
versuchen zu schuumltzen bzw bereitzuhalten Somit wird jedem Kind sein eigener Freiraum der ihm
spontanes freies Spiel ermoumlglicht bereitet ohne es in irgendeiner Form zu verzwecken oder zu ka-
nalisieren Einige Konzepte solcher Schulen greifen auch die Kindheit als gesellschaftlichen Status
hervorbringende Begebenheit auf naumlmlich dass durch die alltaumlgliche Erwerbstaumltigkeit der Erwach-
senen die Kindheit entsteht und zwar als davon getrennter Lebensbereich Verschiedene Versuche
zB durch (Land)Schulheime oder selbst initiierten Lernvereinbarungen zielen darauf ab die ge-
trennten Lebensrealitaumlten von Kindern und Erwachsenen wieder mehr zur Uumlberschneidung zu brin-
gen Die daraus entstehenden freiwilligen Erfahrungspartnerschaften werden eigenverantwortlich
von den Beteiligten (Schuumller und Lehrer) nach ihren Beduumlrfnissen Vorstellungen und Wuumlnschen
gemeinsam gestaltet Es kann also keinen einheitlichen Lehrplan geben und es kann auch keinen
bdquoMethodenkofferldquo als Handreichung des Ministeriums geben der Anwendung finden soll Aber
falls es von den Schuumllern gewuumlnscht wird bzw falls es von ihnen als vernuumlnftig fuumlr die Umsetzung
des Vorhabens angesehen wird kann sich der Lehrer sinnvollerweise durch methodische oder di-
daktische bzw besser mathetische Aufbereitung unterstuumltzend einbringen Die Schuumller entwickeln
also selbst wie sie lernen und was sie lernen Dabei treffen sie nicht maszliggeblich ihre Auswahl aus
bereits bestehenden Angeboten sondern sie koumlnnen ihre Beschaumlftigungs- bzw Lerngebiete voumlllig
frei waumlhlen und initiieren Jede Beschaumlftigung wird dabei als wertvoll und lehrreich erachtet sei es
das Lesen das Experimentieren das freie Spielen oder das Teilnehmen an einem Unterrichtskurs
Die Schuumller entscheiden auch wann sie lernen Sie legen damit den gesamten zeitlichen Rahmen
fest innerhalb dessen sie sich mit ihrem eigenem Lerngebiet beschaumlftigen wollen Dies betrifft die
Tageszeit und den Gesamtzeitraum der Taumltigkeit aber vor allem auch das Alter in dem sie sich ent-
schlieszligen sich mit einer Thematik zu befassen So entschlieszligt sich zB ein neunjaumlhriges Kind Lesen
zu lernen wo ein fuumlnfjaumlhriges bereits damit begonnen hat Dabei waumlre es nicht ungewoumlhnlich dass
diese beiden Leseinteressierten sich zusammenschlieszligen und eine Lerngruppe initiieren um sich
gemeinsam dem Lesen lernen zu widmen Auch liegt es in der Verantwortung der Kinder wie inten-
siv sie sich mit dem gewaumlhlten Thema auseinandersetzen wollen Um all dies zu planen und umset-
zen zu koumlnnen sind die Lehrer wie beratende Helfer kontinuierlich fuumlr die Kinder da und die Kin-
der sind sich nie selbst uumlberlassen Somit schafft das Vertrauen der Lehrer in die Schuumller Vertrauens-
wuumlrdigkeit und die Kinder koumlnnen sich sicher und geborgen fuumlhlen um sich moumlglichst ohne Angst
in dieser Freiheit ganz nach ihren Beduumlrfnissen der Welt zuzuwenden Diesen Freiraum zum Entde-
cken und Spielen bezeichnen die Sudberry- bzw die Demokratischen Schulen als Lernfreiheit und
er ist eine der beiden Grundsaumlulen des Bildungskonzepts Die zweite Saumlule ist von organisatorischer
Natur und konstatiert den Lernort als egalitaumlres System in dem Schuumller und Lehrer in verschiede-
nen Gremien Komitees und Aumlmtern gleiche Einflussmoumlglichkeiten Pflichten sowie Rechte besit-
26
zen (vgl Schiffner 2007 S 8-15)
Peter Gray emeritierter Professor fuumlr Psychologie des Boston College erklaumlrte in einem Vortrag in
Berlin 3122012 die Grundlagen dieses bdquoErziehungsldquo Ansatzes18 Er nennt ihn Vertrauensvolle Er-
ziehung (Trustful Parenting) bdquoVertrauensvolle Erziehung basiert auf der Annahme dass Kinder von
Natur aus widerstandsfaumlhig kompetent sozial und selbstgesteuert sindldquo (Gray 2012 S 1) Daraus
ergibt sich dass Kinder ihrem Beduumlrfnis nach selbst entscheidend entdecken und spielen Es obliegt
ihrer Entscheidung Risiken einzugehen und dabei auch evtl eigene Fehler zu machen Entwick-
lungsvergleiche (auch keine Lernleistungsvergleiche) liegen dieser Ansicht fern Erziehung versucht
demnach Entwicklung nicht zu lenken sondern zu unterstuumltzen sodass Kinder ihre eigenen Ziele
verwirklichen koumlnnen Sie entwickeln dabei Eigeninitiative und uumlbernehmen Selbstverantwortung
in der Gemeinschaft Die Erwachsenen stellen dazu lediglich den aumluszligeren bdquoRahmenldquo her der fuumlr ein
gesundes Heranwachsen erforderlich ist (vgl Grey 2012 S1 ff) Deshalb ist dieser Ansatz auch
nicht als eine vernachlaumlssigende Haltung zum Kind anzusehen sondern ganz im Gegenteil die
bdquoErziehendenldquo senden den Kindern folgende Botschaft
bdquoDu bist kompetent Du hast Augen und ein Gehirn und du bist in der Lage Dinge her-auszufinden Du kennst deine eigenen Faumlhigkeiten und Grenzen Durch Spielen und Er-forschen wirst du dir aneignen was du wissen musst Deine Beduumlrfnisse werden gewuumlr-digt Deine Meinung zaumlhlt Du bist fuumlr deine Fehler selbst verantwortlich und man kanndarauf vertrauen dass du aus ihnen lernst Das Sozialleben zeichnet sich nicht durchWillenskaumlmpfe aus sondern vielmehr dadurch einander so beizustehen dass alle dasbekommen was sie brauchen und sich am meisten wuumlnschen Wir sind auf deiner Seitenicht gegen dichldquo (ders S1)
Interessant finde ich Peter Grays historischen Bezug den er zur Vertrauensvollen Erziehung her-
stellt Er belegt naumlmlich mit verschiedenen wissenschaftlichen Studien zu Jaumlger- und Sammlerkultu-
ren dass dieser Erziehungsstil bis zum Einsetzen der Landwirtschaft (vor ca 10000 Jahren in Asi-
en) der vorherrschende war und dass die Menschheit zu 99 Prozent ihrer gesamten Geschichte (ca 1
Millionen Jahre) Jaumlger und Sammler waren (vgl ders S 1-3)
4 Zusammenfassende Gedanken
Die anfaumlngliche Spielbegriffseingrenzung im ersten Teil dieser Arbeit verdeutlichte dass das Spiel
nicht nur von elementarer Bedeutung fuumlr ein gesundes Aufwachsen fuumlr Koumlrper und Psyche der Kin-
der ist obwohl das freie (Kinder)Spiel die dafuumlr wohl geeignetste Lebenstaumltigkeit darstellt Dem
18 Vgl Gray Peter (2012) Trustful Parenting May Require an Alternative to Conventional Schooling (Vertrauensvol-le Erziehung macht unter Umstaumlnden eine Alternative zum konventionellen Schulsystem noumltig) httpwwwting-schuledeindex_htm_filesPeter20Gray20_20Trustful20parentingpdf (Zugriff 260315)
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natuumlrlichen (Kinder)Spiel als geistig-kreative Weltzuwendung liegen viel urspruumlnglichere Wurzeln
zu Grunde weshalb sich durch freies Spiel die Sinne der Koumlrper und auch der Geist als bdquoNebenef-
fektldquo beilaumlufig bilden und entwickeln Naumlmlich wie das bdquoMenschsein kein Zweck etwa des Lebens
sondern das Leben selbst istldquo (Kamper 1976 S 141) ist das (Kinder)Spiel auch kein findiger
Zweck des Lebendigen sondern gelebte Lebendigkeit und damit zwecklos (vgl ebd) bdquoDarauf und
nur darauf bezieht sich Schillers Wort dass der Mensch nur spielt wo er in voller Bedeutung des
Wortes Mensch ist und nur da ganz Mensch ist wo er spieltldquo (ebd) Somit stellt das Spiel das Prin-
zip des Lebendigen dar dies herauszuarbeiten und phaumlnomenologisch be-greifbar zu machen war
Ziel des ersten Teils dieser Arbeit Ich beabsichtigte darin ein Verstaumlndnis dafuumlr zu bilden dass das
(Kinder)Spiel als Modus von Freiheit im bdquoSpannungsfeld Lebenldquo die Wesenskraumlfte der Evolution
den Zufall die Spontanitaumlt und die Kreativitaumlt als eigene Triebkraumlfte in sich traumlgt und im freien
selbst initiierten Spielgeschehen zur Entfaltung bringt Als dieses Urprinzip ist das freie natuumlrliche
Spiel dem Menschen - homo ludens - und deshalb auch den Kindern ein Beduumlrfnis Deshalb fuumlhrt
durch Spiel gestaltete Zeit als erstrebte wesensgemaumlszlige Taumltigkeit zu Lebenszufriedenheit Und nur
dann traumlgt es seine Potenziale der Sinnesbildung Koumlrperbildung und geistig-seelischen Bildung so-
wie die Moumlglichkeit unvorhersehbarer Emergenzen in sich Und als solcher freier Ausdruck von Le-
bendigkeit ist deshalb Spiel fuumlr ein Kind innerhalb eines erfuumlllten Daseins grundlegend und zu ach-
ten bzw anzuerkennen
Im zweiten Teil wurde einsteigend die im derzeitigen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
vertretene Auffassung von Spiel erlaumlutert und der Plan wurde auf seine moumlgliche politisch- und paumld-
agogisch motivierte Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel untersucht Es konnte dargelegt werden
dass der Spiel(zeit)raum aufgrund des Interessengegensatzes von Kind und Staat kontinuierlich ein-
gekuumlrzt wird und zur zunehmenden Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel fuumlhrt um die politischen
Programme bdquoVerbesserung der Bildungschancenldquo und bdquoChancengleichheitldquo durchzusetzen Die da-
mit verwirklichten politischen Ziele und die Umsetzung einheitlicher Bildungsstandards haben da-
bei einerseits den Zweck die fuumlr die Wirtschaft dienliche und in der Gesellschaft mit Schule durch-
gesetzte Wissenshierachie fortzufuumlhren Und andererseits sollen diese Jahrgangssortierungen durch
internationale Tests wie PISA uauml als Standortfaktor im Wettkampf um Konkurrenzfaumlhigkeit auf ei-
nem globalisierten Markt Wirtschaftsstandort sichernd eingesetzt werden
Die Annahme dass es durch die Einuumlbung von vermeintlichen also dem Zeitgeist entsprechenden
bdquoGrundkompetenzenldquo bzw bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (als Bildungsstandards) zur zunehmenden
Verdraumlngung von freiem Spiel kommt konnte dadurch bestaumlrkt werden dass auf Grundlage eines
verkuumlrzten Spielbegriffes das freie (Kinder)Spiel durch paumldagogisches Einwirken in bdquospielerisches
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Lernenldquo umfunktionalisiert und dadurch echte Spielzeit zunehmend eingekuumlrzt wird Der Zweck ist
dabei das (Kinder)Spiel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo als bdquoLernmotorldquo der Kinder innerhalb
des bdquoLernfensterdrucksldquo dem Lehrapparat dienstbar zu machen
Im dritten Teil dieser Arbeit wurde anhand der Demokratischen Schulen kurz skizziert wie institu-
tionelle Bildung die freies Spielen wirklich gewaumlhrleistet gelingen kann Leider stehen die Schulen
in freier Traumlgerschaft zu denen die Freien Demokratischen Schulen zaumlhlen in Deutschland vor be-
sonderen behoumlrdlichen Genehmigungsbarrieren und unzureichender oumlffentlicher Finanzierung was
ihre Realisierung maszliggeblich erschwert oder ganz verhindert Auch darin kann eine Verdraumlngung
bzw Verhinderung des freien Spiels gesehen werden
Die Verdraumlngung des freien Kinderspiels ist aus zweierlei Gruumlnden nicht gut zu heiszligen ja sogar ab-
zulehnen ist Erstens ist die im Spiel als Nebenerscheinung enthaltene Einuumlbung von Grund-
kompetenzen von groumlszligter Komplexitaumlt und Vielfalt die selbst neue nicht vorhersagbare Qualitaumlten
hervorbringt die mit den Triebkraumlften der Evolution in Verbindung zu bringen sind (Emergenz)
Deshalb ist es fuumlr einen ganzheitlichen Entwicklungsspielraum der Kinder und im Sinne der Evolu-
tion unvernuumlnftig das Spiel wie im Bildungsplan beschrieben bdquoqualitativ aufzuwertenldquo um ver-
meintliche fuumlr das derzeitige Leben als unverzichtbar angenommene bdquoGrundkompetenzenldquo durch
bdquospielerisches Lernenldquo einzuuumlben Und zweitens ist das Spiel als kreative geistig-emotionale Welt-
zuwendung und damit als wesensgemaumlszlige kreatuumlrliche Taumltigkeit des Menschen den Kindern ein Be-
duumlrfnis und grundlegend fuumlr ihr gesundes Aufwachsen und Lebensgeborgenheit (Lebenszufrieden-
heit) in einem sie wahrhaft erfuumlllenden menschlichen Dasein
Bedenke ich nun die Lebenszeit die auch meine Kinder teilweise schon vor dem ersten Lebensjahr
mit haumlufig acht Stunden taumlglich in Kindertageseinrichtungen (leider nicht in einer Freien Demokra-
tischen Schule mit Primarbereich) verbrachten derzeit verbringen und spaumlter in der Schule bis min-
destens zur Erfuumlllung der Schulpflicht mit etwa 15 Jahren in der Schule verbringen muumlssen bin ich
erschrocken-besorgt und wuumltend wie dem Phaumlnomen des freien natuumlrlichen Kinderspiels und der
Bildung insgesamt im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan begegnet wird Bildung als vorran-
gig politisch-oumlkonomisches Arrangement zu sehen darin das Spiel als List zu benutzen um standar-
disiertes Lernen zu erzielen echte Spielzeit zunehmend zu verkuumlrzen ndash dieses planvolle Vorgehen
der Politik und der beteiligten Paumldagogen stellt eine Missachtung der ihnen anvertrauten Kinder mit
ihren individuellen Wuumlnschen Vorstellungen Beduumlrfnissen und ihrer ganz persoumlnlichen Lebenswelt
dar und ist ein lebensentfremdendes Vorhaben das junge Menschen von einem sie erfuumlllenden gu-
ten Leben trennt
29
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31
Eidesstattliche Erklaumlrung
Ich erklaumlre hiermit an Eides Statt durch eigenhaumlndige Unterschrift dass ich die vorliegende Arbeit
selbstaumlndig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe die aus
fremden Quellen (einschlieszliglich elektronischer Quellen und dem Internet) direkt oder indirekt uumlber-
nommenen Gedanken sind ausnahmslos als solche kenntlich gemacht
Ich weiszlig dass bei Abgabe einer falschen Versicherung die Arbeit als nicht bestanden zu gelten hat
Herold 10042015
32
- Die zunehmende Verdraumlngung des freien Kinderspiels
- im Hessischen Bildungsplan
- Einleitung
- 1 Freies Kinderspiel - Wesensmerkmale
-
- 11 Das Moment der Freiheit
- 12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
- 13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
- 14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
- 15 Das Moment der Geschlossenheit
- 16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
- 17 Zusammenfassung
-
- 2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
-
- 21 Das Spielverstaumlndnis
- 22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
- 23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
- 24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
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- 3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
- 4 Zusammenfassende Gedanken
- Literaturverzeichnis
- Internetquellen
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InhaltsverzeichnisEinleitung21 Freies Kinderspiel - Wesensmerkmale4
11 Das Moment der Freiheit712 Das Moment der inneren Unendlichkeit913 Das Moment der Scheinhaftigkeit1014 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)1115 Das Moment der Geschlossenheit1316 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit1317 Zusammenfassung14
2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan1521 Das Spielverstaumlndnis1522 Politische Ziele und Hintergruumlnde1623 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel1924 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel21
3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung254 Zusammenfassende Gedanken27Literaturverzeichnis30Internetquellen31
Einleitung
bdquoDas menschliche Leben ist nur solange wirklich als es seine Darstellung in einem be-grifflich unverfuumlgbaren Spiel finden kann Faumlllt dieses Spiel aus sei es durch Gering-schaumltzung sei es dadurch daszlig der Mensch die Spielregeln nicht mehr anerkennen willoder kann verkommt das Leben zur wahnhaften Unwirklichkeit und zum bloszligen Spielʻdas alle Beteiligten zwingt und nichts mehr zeigtldquo (Kamper 1976 S 134 Herv iOrig)
In Zeiten der maszliggeblichen kognitiven bdquoMobilmachungldquo in Kindertagesstaumltten und Grundschulen
durch oumlkonomisch-technokratische Bildungsreformen scheinen gerade Spielraumlume des unverfuumlgba-
ren spontanen Spiels der Kinder zunehmend abhanden zu kommen (vgl Rittelmeyer 2007 S 7-13
u 97 ff)
Auch mein Sohn musste dies bis zu seinem Wechsel in eine Einrichtung freier Traumlgerschaft taumlglich
in einer Kindertageseinrichtung erleben und erfahren Mit Sorge beobachtete ich wie er annaumlhernd
taumlglich an diversen Angeboten zum Kompetenzerwerb Fruumlhfoumlrderungen oder anderen Programmen
der kognitiven Mobilmachung teilnehmen musste Der Alltag der Kinder in vielen Einrichtungen
ist so eng durchorganisiert dass kaum Zeit fuumlr freies Spielen bleibt So wird am Vormittag neben
Fruumlhstuumlck Morgenkreis Zwischenmahlzeit und Mittagessen meist nur ein Lernangebot unterbreitet
welches zwar so manches Mal bdquospielerischldquo erfolgt in dem jedoch vorrangig das Ergebnis nicht das
Beduumlrfnis der Kinder nach freiem Spiel an sich im Vordergrund steht Daruumlber hinaus muumlssen auch
alle Kinder an diesem Angebot teilnehmen da ansonsten die Aufsicht der nicht-teilnehmenden
spielenden Kinder aufgrund des geringen Personals nicht gewaumlhrleistet ist Die Erfolge und Ergeb-
nisse der Kinder werden dann in einer Art bdquoGalerieldquo im Garderobenbereich praumlsentiert und die El-
tern duumlrfen diese bewundern und bestaunen und stolz auf ihren Nachwuchs sein Zusaumltzlich zur Er-
gebnispraumlsentation koumlnnen sie den Lernerfolg ihres Sproumlsslings in einem eigens zu diesen Zwecken
angelegten Portfolio entnehmen Zeit fuumlr wirkliches freies Spielen bleibt kaum obwohl die Zeit da-
fuumlr laut Bildungsplan und Aussage der Erzieher fest eingeplant ist Lediglich in den kurzen bdquoPau-
senldquo zwischen den Mahlzeiten bzw dem Vormittagsangebot und nach der Nachmittagsmahlzeit
also in der Zeit bis die Kinder abgeholt werden duumlrfen sie sich frei in der Einrichtung oder im Gar-
tenbereich bewegen und nach Lust und Laune spielen Kann man da nicht von Gluumlck fuumlr das Kind
sprechen wenn seine Eltern es erst spaumlt am Nachmittag abholen sodass es noch viel Zeit zum frei-
en Spielen hat Ich als Vater frage mich Wie soll ein Kind in dieser festgelegten und vor allem ge-
ringen Zeit wie auf Knopfdruck frei spielen Welches Kind wuumlrde sich freiwillig solch einen Tages-
ablauf selbst waumlhlen und gestalten Warum steht das Erreichen von Bildungs- und Erziehungszielen
uumlber den Beduumlrfnissen der Kinder
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Aufgrund dieser Beobachtungen und Erfahrungen nehme ich an dass es einen Gegensatz zwischen
den Interessen und Beduumlrfnissen des Kindes nach selbst initiierter Lebenstaumltigkeit und den Anliegen
und Zielen von Staat und Wirtschaft bezuumlglich Bildung und Erziehung gibt welche zu einer Ver-
draumlngung des freien Kinderspiels in staatlichen Institutionen fuumlhrt Ich vermute dass die paumldagogi-
schen Ziele und Zwecke des intentional geplanten staatlichen Bildungs- und Erziehungsvorhabens
welches sich in den jeweiligen Bildungs- und Erziehungsplaumlnen der Bundeslaumlnder widerspiegelt
das freie (Kinder)Spiel verdraumlngen muumlssten weil sie durch oumlkonomisch-technokratisch Bildungsre-
formen gepraumlgt sind Diese Praumlgung ist in sofern oumlkonomisch als dass sich die Ansichten des Wirt-
schaftssektors dirigierend auf die Bildungsreform auswirken Und somit wird die staatliche Lern-
und Bildungsplanung unter Wirtschaftsstandort sicherndem Blickwinkel betrachtet die bdquoHeran-
wachsende gezielt auf bestimmte (meist kognitive) Schluumlsselqualifikationenʻ oder Grund-
kompetenzenʻ (zB den Umgang mit Informationstechnologien) vorbereitenldquo (ders S 8) soll
Technokratisch wird diese Bildungsintention dann wenn sie von einer rationalen Planbarkeit indivi-
dueller Bildungsprozesse ausgeht oder diese durch paumldagogisches Wirken beabsichtigt weshalb
selbsttaumltige Bildungsprozesse die im freien Spiel initiiert werden dem entgegen stehen (vgl ebd)
Im Gesamten handelt es sich dabei um die Einschraumlnkung jener Freiraumlume in denen - mit Schiller
gesprochen - Kinder noch im Sinne des Wortes Mensch sein koumlnnen in denen sie nach ihren Moumlg-
lichkeiten fuumlr ihre Beduumlrfnisse eigeninitiativ Selbstverantwortung uumlbernehmen und spielen Nach
Dietmar Kamper scheint der Mensch in dieser verplanten Welt aber selbst auf dem Spiel zu stehen
weil er nicht mehr spielen kann Laufen wir Gefahr uns selbst in dieser wahnhaften Unwirklichkeit
in bloszligen Spielen allmaumlhlich selbst zu verspielen und houmlren vielleicht auf Mensch zu sein Diese
Wortspielchen sind doch nur bloszlige Spielerei koumlnnte man sagen und als das waumlren sie unernst also
bedeutungslos oder Spielerei eben Leere bloszlig aneinandergereihte Wortanalogien ohne wesentli-
chen Zusammenhang oder nicht Unernst ist doch eben bloszlig als-ob und eigentlich nur ein Spiel-
chen und deshalb ohne Gehalt (Vgl Kamper 1976 S 130-145) Aber eines machen diese Wort-
spiele schon deutlich dass das Spiel mit Worten zu fassen eine kaum spielerische (in beiden Sinnen
des Wortes) Angelegenheit sein wird Aber ist das Spiel ohne es zu spielen uumlberhaupt zu erfassen
Jedenfalls gespielt wird die Floumlte der Ball oder mit dem Wind aber auch in Gedanken oder eben
mit Worten aber auch das Spiel der Wellen ist Spiel auch das Liebesspiel scheint wie das Kinder-
spiel zumindest vom Wort ein aumlhnliches aber vielleicht sogar ein wesensgleiches Phaumlnomen zu um-
schreiben zu um-spielen
Dieser hinter dem Spiel liegende bdquoKosmosldquo ist grundlegend fuumlr die vorliegende Arbeit Ich bin da-
von uumlberzeugt dass (Kinder)Spiel weitaus mehr ist als unernstes oder unproduktives Tun es auch
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mehr ist als eine geschickte natuumlrliche Vorbereitung auf das Leben die dann von Bildungsinstitutio-
nen als guumlnstiges Mittel bdquokompetenzenfoumlrderndldquo eingesetzt wird wie es haumlufig den Bildungsdiskus-
sionen in oumlffentlichen Medien zu entnehmen ist Und ich bin uumlberzeugt davon dass das Spiel der
Wellen im Wesentlichen den gleichen Prinzipien folgt und im gleichen Modus verlaumluft wie das
Jonglieren von Baumlllen oder das Feuerwehrmannspiel spielender Kinder Deshalb wird es im ersten
Teil dieser Arbeit das Ziel sein Spiel von seinem Wesen aus phaumlnomenologisch zu beschreiben
moumlglichst ohne das Spiel auf moumlgliche Funktionen oder psychologische Effekte zu verengen Diese
Wesenszusammenhaumlnge ermoumlglichen es dann das Spiel als ein eigens initiiertes und durch Selbstor-
ganisation gesteuertes Geschehen anerkennen zu koumlnnen dass sich zwischen Zufall und Notwen-
digkeit ereignet und keiner Mittel-Zweck-Logik der buumlrgerlichen Gesellschaft folgt
Eine solche weitreichende uumlber den Funktionen und Nutzen liegende Begriffsbestimmung bzw
Phaumlnomenbeschreibung des Begriffes bdquoSpielldquo sehe ich als grundlegend an um ein Verstaumlndnis fuumlr
die Voraussetzungen des freien Spiels als selbstinitiiertes Geschehen zu entwickeln und um darzule-
gen weshalb es dem Menschen ein Beduumlrfnis ist freie Zeit mit Spiel zu gestalten Daraus lassen
sich dann generelle Aussagen ableiten wie freies (Kinder)Spiel moumlglich ist oder wodurch es verhin-
dert wird
Diese Begriffsbestimmung dient als Grundlage fuumlr den zweiten Teil dieser Arbeit Darin werde ich
anhand des Hessischen Bildungs- und Erziehungsplanes aufzeigen dass die Verdraumlngung von frei-
em Spiel bereits in den Bildungsplaumlnen der Laumlnder wurzelt und somit politisch und paumldagogisch
motiviert ist Welche Auswirkungen und Folgen eine solche Verdraumlngung haben kann wird eben-
falls dargestellt
Abschlieszligend stelle ich im dritten Teil dieser Arbeit eine bdquoandereldquo Idee von Bildung vor Eine Bil-
dung die eher als bdquoBegleitungldquo beschrieben werden kann und in der die Kinder ihrem Beduumlrfnis
und Drang nach freiem Spiel nachkommen koumlnnen Dazu wird ansatzweise das Konzept der Freien
Demokratischen Schulen vorgestellt in denen die Kinder in ihren Interessen und Beduumlrfnissen ge-
achtet entsprechend begleitet werden und in denen der Freiraum zum Spiel bewusst erhalten wird
1 Freies Kinderspiel - Wesensmerkmale
Die Frage danach was Spiel ist laumlsst sich meiner Meinung nach nicht mit einer eindeutigen im
Sinne einer allgemein guumlltigen alle Bereiche des Lebens1 einschlieszligenden Definition leisten die
1 Die bdquoBereiche des Lebensldquo umfassen die materielle biologische und geistige Welt mit all ihren wechselseitigenProzessen und unzaumlhligen Erscheinungsformen zu der zB auch die Evolution nur als ein einzelner Prozess inner-halb dieser Dreigliedrigkeit (Materie Natur Geist) zaumlhlt
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auch von den verschiedenen Wissenschaften wie beispielsweise der Biologie der Physik oder der
Paumldagogik akzeptiert wird2 Aber Spiel ist eben weit mehr als unernstes bzw unproduktives Zeit-
vertreiben junger Menschen bzw Tiere Auch ist es mehr als eine Voruumlbung (Einuumlbung von
Kompetenzen oder Sozialverhalten etc) auf das Leben und es stellt mehr als einen Entlastungspol
fuumlr den Koumlrper bzw das Lebens dar Auch ist es mehr als eine auf Trieben basierenden Befriedi-
gungshandlung und es ist auch mehr als ein Medium zum bdquospielerischen Lernenldquo etc Zwar sollen
diese das Spiel sicherlich betreffenden Begleiterscheinungen nicht negiert werden aber sie bdquospie-
lenldquo innerhalb des im Weiteren noch naumlher zu beschreibenden bdquonatuumlrlichen Spielsldquo eine eher beige-
ordnete Rolle als Nebenerscheinung die im Umfang dieser Arbeit nur am Rande beispielhaft Er-
waumlhnung finden koumlnnen3
Mein Bestimmungsversuch des Begriffes bdquoSpielldquo wird zwar von der Betrachtungsweise des Spiels
als bdquoUrphaumlnomenldquo (Hans Scheuerl) bzw als Prinzip des Lebendigen4 inspiriert sein sich aber im ei-
gentlichen auf den Bereich des Kinderspiels beschraumlnken Diesbezuumlglich soll der von Johan Huizin-
ga in seinem Buch bdquoHomo Ludens Vom Ursprung der Kultur im Spielldquo entwickelte Definitionsvor-
schlag als Ausgangspunkt fuumlr eine Begriffsbestimmung des freien Kinderspiels dienen wenngleich
er wie ein anschlieszligender aktueller Definitionsvorschlag von Ursula Stenger zeigen wird nicht alle
wesentlichen Aspekte des Spiels beinhaltet
bdquoDer Form nach betrachtet kann man das Spiel [hellip] eine freie Handlung nennen dieals nicht so gemeintʻ und auszligerhalb des gewoumlhnlichen Lebens stehend empfunden wirdund trotzdem den Spieler voumlllig in Beschlag nehmen kann an die kein materielles Be-duumlrfnis geknuumlpft ist und mit der kein Nutzen erworben wird die sich innerhalb einer ei-gens bestimmten Zeit und eines eigens bestimmten Raums vollzieht die nach bestimm-ten Regeln ordnungsgemaumlszlig verlaumluft und Gemeinschaftsverbaumlnde ins Leben ruft die ih-rerseits sich gern mit einem Geheimnis umgeben oder durch Verkleidung als anders vonder gewoumlhnlichen Welt abhebenldquo (Huizinga 2004 S 22 Herv i Orig)
bdquoDas Spiel zeichnet sich durch raumlumliche und zeitliche Begrenztheit durch Wiederhol-barkeit und Einmaligkeit aus es durchbricht das normale alltaumlgliche Leben baut sichunverfuumlgbar und ereignishaft auf setzt dabei auch Handlungs- und Denkformen des All-tags auszliger Kraft und entlaumlsst den Spielenden dann wieder in sein gewoumlhnliches Lebenldquo(Stenger 2014 S 267)
In Johan Huizingas Definitionsversuch wird im Vergleich zur zweiten Definition von Ursula Sten-
ger die Frage ob Spiel als bdquofreie Handlungldquo eher als Taumltigkeit oder als Geschehen aufzufassen ist
nicht deutlich Dieser spaumlter im Kapitel bdquo14 Das Moment der Ambivalenzldquo noch detaillierter be-
schriebene Aspekt des Spiels ist gerade fuumlr das freie Spiel von ganz entscheidender Bedeutung
2 Vgl Scheuerl 1988 S 32-52 ebenso Miller-Kipp 2005 S273 277-279 auch Flitner 2002 S 13-253 Vgl Huizinga 2004 S 9-12 ebenso Scheuerl 1990 S 109-111 auch Flitner 2002 S 195-1974 Vgl Miller-Kipp 2005 ebenso Bonet 1993 aumlhnlich auch Huizinga 2004
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denn die sich aus der naumlheren Analyse ergebenden Voraussetzungen und Grundlagen fuumlr gelingen-
des freies bzw bdquonatuumlrlichesldquo Spiel werden ersichtlich machen aus welchem bdquoStoffldquo die schon an-
genommene Freiheit ist und mit welchem Verlaufsmuster dh mit welcher Strategie sich diese Frei-
heit im Spiel organisiert weshalb letztlich auch zwischen Taumltigkeit und Geschehen zu unterschei-
den ist Dazu wird noch ein weiterer Aspekt dieser bdquofreien Handlungldquo ganz zu Anfang naumlher zu be-
schreiben sein denn es gibt mehrere Ebenen auf denen verschiedene Qualitaumlten von Freiheit beste-
hen naumlmlich die Freiheit von der Lebensfuumlrsorge als bdquoFreiraumldquo zum Spiel und die schon erwaumlhnte
Freiheit als Ambivalenz im Spiel Beide Definitionsversuche sind aber auch insofern nicht bdquoganz-
heitlichldquo umfassend da sie lediglich auf Spiel als Verhalten von Menschen abzielen also anthropo-
zentrisch sind und sich somit nicht auf andere Wissenschaften uumlbertragen lassen Da das Spiel aber
auch von elementarer Bedeutung fuumlr nicht-paumldagogische Wissenschaften ist waumlre eine ganzheitli-
che Definition dienlich um entscheidende Parallelen zwischen den verschiedenen Forschungsgebie-
ten ziehen zu koumlnnen und die im Spiel zweifelsohne enthaltenen Potenziale nicht bdquoaufs Spiel zu set-
zenldquo und letztlich bdquozu verspielenldquo So konnten beispielsweise aktuelle naturwissenschaftliche Er-
kenntnisse zum bdquonatuumlrlichenldquo Spiel besonders uumlber die unverfuumlgbaren eigentuumlmlichen Momente
des Spiels naumlmlich die Kreativitaumlt die Phantasie die Spontanitaumlt die Unordnung den Unsinn den
Zufall und die Freiheit zeigen welch grundlegende Bedeutung ihnen im Spiel zukommen sodass
auch weitreichende Konsequenzen fuumlr die Paumldagogik daraus abgeleitet werden koumlnnen So sollte
beispielsweise auf der Handlungsebene das Geschehen des Spiels vernuumlnftigerweise abgewartet
werden damit etwas zwischen Zufall und Notwendigkeit selbstgesteuert daraus erwachsen kann
Und nicht wie bisher versucht wird das Spiel quasi als bdquoListldquo geplant und kontrollierbar von auszligen
zu erzeugen um daraus zB einzelne Kompetenzen vermeintlich herzustellen die dem aktuellen
Zeitgeist nach als bedeutend angesehen werden (vgl Miller-Kipp 2005 S 273-285) Ich sehe es als
entscheidend an die Verwandtschaft der wesentlichen Momente des Spiels mit dem Evolutionsprin-
zip aufzuzeigen um daraus ableitbare Konsequenzen und Voraussetzungen fuumlr das bdquonatuumlrlicheldquo
Kinderspiel ersichtlich machen zu koumlnnen An gegebener Stelle werde ich diese skizzierten Aspekte
nochmals vertiefend aufgreifen Zunaumlchst jedoch werde ich mich ausgehend von Hans Scheuerls
Standardwerk der Paumldagogik uumlber das Spiel5 mit den von ihm untersuchten Spielphaumlnomenen und
ihrem gemeinsamen Wesenszusammenhang befassen Hierbei ist es mein Anliegen das
(Kinder)Spiel weitestgehend nach seinem Wesen mit seinen grundlegenden Eigenheiten zu be-
schreiben und nicht nach seiner moumlglichen Funktion oder seinem Zweck fuumlr den Menschen zu fra-
gen Mit der Vermeidung eines auf Funktionen und Zwecken orientierten Erklaumlrungsversuch zu der
5 Scheuerl Hans Das Spiel - Untersuchung uumlber sein Wesen seine paumldagogischen Moumlglichkeiten und Grenzen 11Aufl Weinheim und Basel 1990
6
Frage was Spiel ist zielt mein Beschreibungsversuch darauf ab die Ebene der verschiedenen Spiel-
formen mit ihren Nutzen zu verlassen und in uumlbergeordneter Ebene das Spiel allgemeinguumlltiger er-
fassbar zu machen Dadurch sollen die bereits angedeuteten tieferen Zusammenhaumlnge des Spielphauml-
nomens ersichtlich werden woraus sich bdquoneueldquo Relevanzen fuumlr unsere Lebensfuumlhrung ableiten las-
sen Diese grundlegenderen Zusammenhaumlnge und die sich daraus ergebenden Konsequenzen oder
Relevanzen werden auch im Weiteren fuumlr die Argumentationslinie dieser Arbeit leitend sein
Auch Hans Scheuerls Ziel war es zunaumlchst zu einer grundlegenden Wesensbestimmung des Spiels
zu gelangen Dafuumlr unterteilte er das Spielgeschehen in sechs Wesensmomente naumlmlich in
Freiheit innere Unendlichkeit Scheinhaftigkeit Ambivalenz Geschlossenheit und Ge-
genwertigkeit (vgl Scheuerl 1990 S12-16 65-67) Aber auch durch diese Gliederung laumlsst sich
nicht bestimmt klaumlren was Spiel ist (vgl ders S 102) Daruumlber jedoch wie freies Kinderspiel
moumlglich wird gibt sein phaumlnomenologischer Deutungsversuch detailliert Aufschluss Daher wird
dieser im Folgenden kurz vorgestellt
11 Das Moment der Freiheit
Spielen geschieht nach Hans Scheuerl um seiner Selbst Willen bdquoSpiel verfolgt keinen auszligerhalb
seiner selbst liegenden Zweckldquo (Scheuerl 1990 S67)
Spiel ereignet sich somit nicht um etwas zu erschaffen zu erledigen zu verrichten zu erlernen
usw obwohl im Spiel zuhauf geschaffen errichtet gestaltet erledigt erlernt usw wird Ein Kind
das im Spiel bspw Baukloumltze aufeinander stapelt spielt dies nicht damit es einen geschickten Um-
gang damit erlernt sondern weil es Freude am lustbetonten Spielen hat Das Spielgeschehen ereig-
net sich also zweckfrei ist aber kein willkuumlrliches Ereignis oder sinnfreie Betaumltigung sondern es ist
bdquovon innerer Zweckmaumlszligigkeitldquo (ders S69) durchdrungen dh es folgt eigenen Regeln individuel-
len Absprachen Grenzen Zielen lustvollem Erleben usw und sei es beim spielenden Kind beim
Katzenjungen Fuszligballspieler oder Musiker Ihr Spiel wird stets mit Ernst und besonderem Eifer be-
trieben
bdquoSoll sein Spiel gelingen so muszlig er [der Spielende MG] sich ihm widmen koumlnnen alsgaumlbe es nichts auszliger diesem Spiel auf der Welt Eine aumlhnliche selbst- und weltvergesse-ne Hingabe verlangt das Spiel auch schon vom Kindeldquo(ders S67)
Diese voumlllige Hingabe beinhaltet Sorgenfreiheit ohne die das Spielen nicht moumlglich waumlre Die Spie-
lenden muumlssen fuumlr eine gewisse Zeit frei von ihrer unmittelbaren Lebensfuumlrsorge des bdquoDaseins-
kampfesldquo (Scheuerl) sein Dadurch entsteht ein Freiraum in Form von frei verfuumlgbarer Zeit und in
7
diesem bdquoRaumldquo ereignet sich Spiel (vgl ders S 67- 69)
Somit ist es auch kaum verwunderlich dass besonders den Nachkommen einer Art dieser besondere
Freiraum in hohem Maszlige zuteil wird Der Biologe und Anthropologe Adolf Portmann weist dazu in
einem seiner Beitraumlge zum Spiel6 darauf hin dass diese freie Zeit durch Spiel zu sinnvoll erfuumlllen-
der gestalteter Zeit (Vgl Portmann 1976 S60 vgl dazu auch S 68 und 71) wird und somit fuumlr
ein erfuumllltes Leben grundlegend sei Im Gegensatz zu einigen Spieltheorieansaumltzen7 die dem Spiel
ausschlieszliglich Erhaltungswert beimessen dient das Spiel Portmann zufolge mehr als nur dem Er-
haltungswert Aktuelle biologische Forschung hat hierzu offengelegt dass nur bei houmlheren Lebewe-
sen mit Entfaltung der Innerlichkeit im Sinne einer bdquoPsycheldquo aumluszligerlich verborgenes Erleben8 ent-
steht und dass es erst durch dieses Erleben von subjektiver Wirklichkeit (vgl Portmann 1976 S
58-61) zu bdquolustbetontem Verhalten [kommt] das nicht unmittelbar der Lebenserhaltung dient - es
begegnet uns erlebtes erstrebtes Spielenldquo (ders S60) Portmann beschreibt Spiel demnach wie
folgt
bdquoSpiel ist freier Umgang mit der Zeit ist erfuumlllte Zeit es schenkt sinnvolles Erleben jen-seits aller Erhaltungswerte es ist ein Tun mit Spannung und Loumlsung ein Umgang miteinem Partner der mit einem spielt - auch wenn dieser Partner nur der Boden ist oderdie Wand welche dem Spielenden den elastischen Ball zuruumlckwerfen Dieses Spiel setztetwas besonderes voraus einen Zeitraum ohne Sorge []ldquo (ebd)
Adolf Portmanns These dass bei houmlheren Lebewesen sinnvoll erfuumlllende Gestaltung von sorgenfrei-
er Zeit durch Spiel geschieht hat somit allgemeine Bedeutung auch fuumlr unsere eigene Daseinsfuumlh-
rung Denn
bdquo Spielʻ ist die lustvolle von Erhaltungssorge freie also zweckfreie aber sinnerfuumlllteZeitldquo (ders S 68 Herv i Orig)
bdquoVolles Leben ist nicht allein Gestaltung von Stoff von Materie Leben ist Umgang mitZeit ist Gestaltung von Zeit ist Sinngebung fuumlr leere Uhrenzeitldquo(ders S 60)
Portmann hebt das freie Spiel als gestaltete Zeit auf die Ebene der Grundbeduumlrfnisse und macht es
fuumlr ein sinnvoll erfuumllltes wahrhaft gutes Leben zur Bedingung (vgl ders S 66-72)
6 Portmann Adolf Das Spiel als gestaltete Zeit In Der Mensch und das Spiel in der verplanten Welt Hg Bayeri -sche Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1976
7 Kraftuumlberschusstheorie (H Spencer) Erholungstheorie (M Lazarus) Katharsistheorie (K Gross) Entwicklungs-psychologie (J Piaget) (vgl Kluge 1981 S 15 und 31)
8 Gemeint ist dass mit steigender Gestaltungshoumlhe der Lebewesen subjektives Erleben moumlglich ist also dass durchdas Zentralnervensystem und die Sinnesorgane reiche Umweltbeziehungen entstehen Diese Entwicklung hat sichbeim Menschen bis zur geistigen Lebensform gesteigert (vgl Portmann 1976 S 59-61)
8
12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
Kinder zeigen in ihrer Alltaumlglichkeit kontinuierlich einen Drang zum Spielen Ein Kind - und si-
cherlich nicht nur es allein - hat offenbar ein Beduumlrfnis nach freiem Spiel Scheuerl benennt diese
Begebenheit als triebhafte Tendenz zum Spiel (Vgl Scheuerl 1990 S 71) bdquoEs gibt zweifellos
einen Zwang zum Spielldquo (ebd Herv i Orig) Nach ihm muumlssen Kinder wenn sie gesund aufwach-
sen sollen sogar spielen um nicht psychisch und physisch zu erkranken Insofern kann sogar von
einem gewissen bdquoSpieltriebldquo (Vgl ders S 73) als Tendenz zum Spiel gesprochen werden Dieses
Spielbestreben weist aber letztlich ein anderes Wesen als andere menschliche Tendenzen (Triebe)
zur Beduumlrfnisbefriedigung auf und muss davon unterschieden werden Denn die letztlichen Tenden-
zen im Spiel sind keine gewoumlhnlichen Beduumlrfnisbefriedigungen durch Triebverhalten also keine de-
terminierten triebhaften Handlungen die zweck- oder zielorientiert sind Statt dessen sind sie situa-
tiv sowie individuell variabel und vor allem in sich zirkulaumlr Denn die Befreiung von Beduumlrfniss-
pannungen also dem bdquo[s]ich allen Erregungen und Drang-Erlebnissen gegenuumlber den Frieden ge-
benldquo (ders S 70) zielt auf das Ende der Spannung ab die das nicht erfuumlllte Beduumlrfnis triebhaft
ausloumlste So etwa moumlchte man zB bei Hunger oder Durst Saumlttigung bzw Stillung herbei fuumlhren
Alle triebhaften Handlungen zielen demnach tendenziell auf die Befriedigung des sie hervorbrin-
genden Beduumlrfnisses ab und somit auf ihr eigenes Ende In dieser Tendenz die sich auf das Ende
der beduumlrfnisbefriedigenden Handlung hin ausrichtet liegt nun zum Spiel der wesentliche Unter-
schied Der bdquoSpieltriebldquo will keine Befriedigung bdquoer kann nicht gesaumlttigtʻ werdenldquo (ders S 73)
Sein Initialzweck ist vielmehr die Beseitigung aller Spielhindernisse - deshalb auch triebhafte Ten-
denz zum Spiel Aber sobald eine konkrete Spielidee im Kind aufkeimt und es beginnen kann sich
entschieden und mit groumlszligtem Eifer ihr zu widmen um darin voumlllig selbst aufzugehen als ob es nur
dies Eine auf Erden gaumlbe und das Spiel niemals enden duumlrfe wird das Wesensmerkmal der inneren
Unendlichkeit erkenntlich bdquoDa ist nichts was auf ein Ende draumlngt nichts was den Zustand des
Spielens aufheben moumlchteldquo (ders S 71 )
bdquoDas Spiel kann innerhalb seines Freiraums gekennzeichnet werden als Bewegung voninnerer Unendlichkeitʻldquo (ders S74)
Ist ein Spiel erst einmal im Gange will es ewig fortgesetzt werden Es strebt seiner eigenen inneren
Unendlichkeit entgegen einem nicht endenden zirkulaumlren bdquoZustandldquo Und von da an gleicht der
bdquoSpieltriebldquo als Spielerscheinung in seiner Tendenz auch keiner zielorientierten Zweck- oder Be-
duumlrfnishandlung mehr weshalb genau genommen nicht von gewoumlhnlicher Beduumlrfnisbefriedigung
durch Triebverhalten gesprochen werden kann Das Spiel ist also dem Wesen nach eine staumlndige
Spielbewegung (Scheuerl) quasi ein Perpetuum mobile Ein Kind spielt nicht bis es das Spielen
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satt hat oder vom Spielen uumlbersaumlttigt ist sondern es beendet erst sein Spielen wenn es durch aumluszliger-
liche Faktoren (zB Beduumlrfnisse Noumlte Verpflichtungen jeglicher Art etc) dazu gedraumlngt wird (vgl
ders S 70-77)
13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
Das frei von Zwecken und Triebdruck voumlllig in sich selbst versunkene unendliche Spiel spielende
Kind wird durch die Hingabe an die eigene Phantasie kreativ wird lebendig Die Einbildungskraft
erschafft und gestaltet eine eigene Phantasiewelt in der Form einer bdquoAls-obldquo-Realitaumlt (Scheuerl)
Die durch Spielerphantasie konstruierte bdquoScheinweltldquo (Scheuerl) nimmt dabei die Bedingungen ih-
rer Umwelt wie beispielsweise reale Gegenstaumlnde und Objekte und ihre Materialitaumlt auf und erwei-
tert diese bdquoGegenstaumlndeldquo ggf bis zum imaginaumlren rein symbolischen Spielmittel damit es der
Spielidee und ihrem Fortgang moumlglichst dienlich ist
Die gesamte Phantasiespielwelt wird somit nach eigenen Vorstellungen von nah am objekthaften
(abbildnah) bis fernab der im weitesten Sinne materiellen Realitaumlt (abstrakt) konstruiert und kann
mit eigenen Gesetzmaumlszligigkeiten und Zusammenhaumlngen gestaltet werden Die entstehenden spieleri-
schen Inszenierungen enthalten in ihrer Spielidee auch fortwaumlhrend aktuelles Geschehen und die
Eindruumlcke der Kinder dazu wodurch es auf diesem Weg zur spielerischen Auseinandersetzung da-
mit kommt So kann zB ein vom Kind miterlebtes Hochwasser in der eigenen Region zur aufge-
griffenen Spielidee fuumlhren Ein verwittertes Stuumlck Holz etwa koumlnnte dem spielenden Kind als Sym-
bol des Rettungsbootes dienen das sich mit seinen imaginaumlren Insassen in einer dramatischen Ret-
tungsaktion im Hochwassergebiet befindet In solchen Spielszenen ist haumlufig beobachtbar dass es
beim Spielen nicht um abbildhaftes realitaumltsgetreues Nachspielen des eventuell Erlebten geht Son-
dern vielmehr darum dass sich das spielende Kind aktiv im Spiel zwar mit Erlebtem auseinander-
setzt im Sinne der bdquoScheinhaftigkeitldquo und des Unendlichkeitscharakters des Spiels aber rein aus
Freude am lustbetonten gestalteten Spielen die Spielhandlung ritualhaft wiederholt In diesem Sin-
ne wuumlrden beispielsweise immer wieder Insassen aus dem Boot geschleudert die es dann aufs Neue
zu retten gaumllte wodurch das Spiel zirkulaumlr bestaumlndig zumindest solange fortdauern koumlnnte bis neue
Spielideen oder von auszligen kommende Faktoren es abloumlsen oder beenden Spielern aber auch Zu-
schauern (zB im szenischen Spiel) erscheint diese Phantasiewelt von der materiellen Realitaumlt los-
geloumlst und die uumlber den Dingen schwebende bdquoScheinhaftigkeitldquo des Spiels (Scheuerl) kann Betrach-
ter und Akteure gleichfalls in ihren faszinierenden Bann ziehen sofern ihnen der Zugang zur eige-
nen Phantasie nicht von auszligen bdquoversperrtldquo ist (vgl Scheuerl 1990 S 77- 85)
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14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
Jeder Spielende versucht sein Spiel bestaumlndig aufrecht zu erhalten9 Dafuumlr baut er im Spiel ein
Spannungsverhaumlltnis also einen inneren bdquoSpielraumldquo als Modus von selbstregulierter Freiheit auf
Die entstehende Autonomie (Freiheit) im Spiel besteht nun in der Ambivalenz zwischen sich zufaumll-
lig ergebendem Neuen Unbekanntem oder neu Gestaltetem (zB neue Passage am Kletterfels oder
die sich staumlndig neu ergebenden Flugbahnen der jonglierten Baumllle etc) und notwendig Festgeleg-
tem Bekanntem oder Begrenzendem (zB Regeln beherrschte Kletterpassage die bestaumlndige Form
und das Gewicht der Jonglierbaumllle die eingeuumlbte Jongliertechnik etc) Der Spielende versucht da-
bei permanent sein Spiel in Balance zwischen diesen beiden bdquoPolenldquo zu halten um es einerseits
stets durch bdquoNeuesldquo interessant zu gestalten und es andererseits durch bdquoBekanntesldquo zu stabilisieren
Die Dominanz einer Seite wuumlrde das Spiel abbrechen also beenden Denn ein zu viel an Neuem
noch zu Entdeckendem wuumlrde dem Spiel ein Uumlbergewicht an Wagnis Raumltselhaftigkeit Moumlglichkei-
ten oder Schwierigkeit verleihen und ein zu viel an bereits Entdecktem Begriffenem oder Begren-
zung wuumlrde das Spiel etwa vorhersehbar und eindeutig machen oder es einengen bdquokanalisierenldquo
(Scheuerl eindimensionale Zweckhandlung) sodass jede von ihm ausgehende Spannung und Spiel-
freude verloren ginge (vgl Scheuerl 1990 S 86-90)
bdquoSo bedarf das Spiel einer maszligvollen Spannung Spannungslosigkeit waumlre der Tod fuumlrdas Spiel Andererseits wuumlrde eine zu hohe Spannung sogleich einen auf Beendigungder Spannung gerichteten Befriedigungswunsch hervorrufen der die Ambivalenz uumlber-waumlltigen muumlszligteldquo (ders S 88 Herv i Orig)
Veranschaulicht darstellen laumlsst sich diese Ambivalenz zwischen Zufall und Notwendigkeit im Spiel
auch am Beispiel des Wuumlrfelns mit einem sechsseitigem Zahlenwuumlrfel Dabei besteht der Zufall in
der Wahrscheinlichkeit mit der eine der sechs Zahlen gewuumlrfelt wird und die Notwendigkeit be-
steht darin dass eine gewuumlrfelte Zahl immer im einschlieszligenden Bereich von eins bis sechs liegen
wird Somit begrenzen die festgelegten sechs Seiten des Wuumlrfels wie eine Regel das zufaumlllige Ein-
zelergebnis und steuern quasi bdquoselbstorganisiertldquo die Konsequenzen des Zufalls wodurch er statis-
tisch moumlglich dh wahrscheinlich wird (vgl Miller-Kipp 2005 S 281-282)
Nach Gisela Miller-Kipp10 ist dieses selbstgesteuerte Spannungsverhaumlltnis von ganz urspruumlnglicher
Relevanz Sie sieht einen Zusammenhang zwischen dem bdquoSpiel der Evolutionldquo dem Modus von
Freiheit zwischen Moumlglichem und Wahrscheinlichem und dem (menschlichen tierischen) Spiel als
9 vgl dazu bdquo12 Moment der inneren Unendlichkeitldquo in dieser Arbeit S 9 f10 Miller-Kipp Gisela Zufall Selbstorganisation und Kreativitaumlt Ein Versuch uumlber die Natur des Spiels wider seine
Paumldagogisierung In Bilstein J Winzen M Wulf C (Hg) Anthropologie und Paumldagogik des Spiels Weinheimund Basel Beltz Verlag 2005 S 273-291
11
einem lebendigen Teil dessen Naturwissenschaftliche Forschungen uumlber die Evolution haben seit
fast einem Jahrhundert die dazu grundlegenden Wesenskraumlfte im Evolutionsprozess definiert Diese
Wesensmerkmale sind Kreativitaumlt und Zufall (vgl dies S 281-285) Elfriede Maria Bonet fuumlhrt in
ihrem Aufsatz zum Spiel bdquoVon Autonomie und Spontanitaumlt Eine Naturgeschichte des Spielsldquo11 aus
dass Selbstorganisation eine relative Unabhaumlngigkeit von aumluszligeren Reizen bewirkt (Autonomie)
weshalb Spontanitaumlt als Strategie zur Selbststeuerung entsteht Diese Entwicklung von Selbstorga-
nisation mit Spontanitaumlt zur Selbststeuerung bildet ihr zufolge das kreative Moment im Evolutions-
prozess welches fuumlr das Auftreten neuer nicht voraussagbarer Qualitaumlten bzw neuer bdquoFormenldquo
oder Variationen aus dem Vorhandenen entstehen laumlsst (Emergenz12) Das daraus entstehende neue
Ganze waumlre bildlich gesprochen demnach mehr als die Summe seiner einzelnen Teile (frei nach Ari-
stoteles) Da es fuumlr menschliches aber auch tierisches Verhalten charakteristisch ist dass aufgrund
von Autonomie Spontanitaumlt entsteht erkennt Bonet darin die systemische Wesensverwandheit von
Spiel und Evolution (vgl Bonet S35ff) Diese Annahme deckt sich insofern auch mit dem Stand-
punkt derzeitiger Evolutionsforschung denn darin bdquowird die Evolution der materiellen und biologi-
schen Welt als einheitlicher Prozess angesehen der nicht determiniert ist und nicht deterministisch
ndash oder im alten Sinne mechanisch ndash ablaumluft Er spieltʻ wie es heiszligt [hellip]ldquo (Miller-Kipp 2005 S
280 Herv i Orig) Daraus folgt dass die bdquonatuumlrliche ndash physikalische und biologische ndash und kultu-
relle Evolution strukturell miteinander gekoppelt [sind] laufen also weder unabhaumlngig voneinander
noch in determinierender Kausalitaumlt zueinander abldquo (ebd Herv i Orig) Das schlieszligt somit das
Spiel des Menschen als bdquoKulturfaktorldquo13 und bdquoUrprinzipldquo (Huizinga) in diesen offenen Prozess ein
denn bdquoes [das Spiel MG] wurzelt in der Natur als der natuumlrlichen (der materiellen und der biologi-
schen) Evolution und traumlgt deren Momente in sich auch im Kulturprozessldquo (Miller-Kipp 2005 S
281) Auf dieser Grundlage wird derzeit die kreative Selbststeuerung auch als ursaumlchlich fuumlr den ge-
waltigen Formen- und Artenreichtum der Natur angesehen (vgl dies S 273-285 vgl dazu auch
Bonet 1993 S 35 ff) Auf das bdquonatuumlrlicheldquo (Kinder)Spiel bezogen bedeutet dies dass auch aus
dem Spiel in seinen Formen und Funktionen heraus Emergenzen entstehen Diese neuen unvorher-
11 Bonet Elfriede Maria Von Autonomie und Spontanitaumlt Eine Naturgeschichte des Spiels In Baatz U Muumlller-Funk W (Hg) Vom Ernst des Spiels uumlber Spiel und Spieltheorie Berlin Dietrich Reimer Verlag 1993 S35- 47
12 bdquoEmergent So bezeichnet man systemische Eigenschaften die nicht aus den Komponenten eines Systems abgelei-tet oder vorhergesagt werden koumlnnen Systeme sind in erster Linie relationale Tatsachen Dinge die auf den Bezie-hungen beruhen welche die Elemente des Systems zueinander einnehmen Als solche besitzen sie Eigenschaftendie gegenuumlber den Eigenschaften ihrer Komponenten oder Elemente emergent sind Nach Luhmann ist das Sozialeeine emergente Eigenschaft und als solches nicht aus den Eigenschaften seiner Elemente der psychischen Systemeableitbar Sozialitaumlt ist eine houmlherstufige Eigenschaft die auf den Beziehungen zwischen Menschen beruht In derBewusstseinsphilosophie behauptet der so genannte Emergentismus die Emergenz von Bewusstsein Hat die Kom-plexitaumlt bestimmter biologischer Systeme einen bestimmten Grad erreicht stehen insbesondere Nervenzellen aufvielfaumlltige Weise miteinander in Beziehung so tritt in der Geschichte der Evolution Bewusstsein als emergente Ei-genschaft dieser biologischen Systeme aufldquo (bdquoemergentldquo In UTB-Online-Woumlrterbuch Philosophie)
13 Huizinga geht davon aus dass Kultur (Sprache Gemeinschaftsleben Brauchtum Essen Sitten Kunst ReligionRechtsleben etc) in Form von Spiel entsteht (vgl Huizinga 2004 S7-13 56-58)
12
sagbaren Erscheinungen (Qualitaumlten) sind so vielfaumlltig dass sie dem von der Natur hervorgebrach-
ten Artenreichtum gleichen und in ihrer Qualitaumlt fuumlr das Individuum die vielfaumlltigsten und komple-
xesten Funktionen und Nutzen bereithalten
Nach meiner Auffassung werden die beschriebenen Wesenszusammenhaumlnge von Spiel und Evoluti-
on besonders in dem Modus von Freiheit als Ambivalenz im Spiel ersichtlich da die grundlegenden
evolutiven Momente naumlmlich Kreativitaumlt Selbstorganisation und Spontanitaumlt auch die wesentlichen
Schaffenskraumlfte menschlichen Handelns und des erlaumluterten Spannungsverhaumlltnisses im Spiel sind
In Anlehnung an Miller-Kippacutes und Bonetacutes Deutungsversuche zum Spiel ist das freie im obigen
Sinne natuumlrliche Kinderspiel als Modus von selbstregulierter Freiheit eine wesensgemaumlszlige kreatuumlrli-
che bdquoTaumltigkeitldquo des Menschen die sich ereignet bzw die geschieht und nicht verrichtet oder erzeugt
werden kann Die diesem bdquoSpielgeschehenldquo (Scheuerl) innewohnenden unverfuumlgbaren wesentli-
chen Momente sind demnach sowohl die Grundbedingung fuumlr das Spiel selbst als auch Vorausset-
zung fuumlr die Vielfaumlltigkeit im Spielprozess Fraglich ist an dieser Stelle ob ein intentional geplantes
Erziehungs- und Bildungsvorhaben diesen Entwicklungsspielraum mit vielfaumlltigsten Erfahrungs-
moumlglichkeiten fuumlr Kinder schuumltzend bereithaumllt Und ob dann das freie natuumlrliche Spiel abgewartet
wird oder ob das (Kinder)Spiel mit funktionalen Absichten durch Paumldagogisierung in das planende
Joch von Erziehungs- und Bildungsbestrebungen eingespannt wird und seine wesentlichen Poten-
ziale damit verspielt werden
15 Das Moment der Geschlossenheit
Die freie Spieltaumltigkeit eines Kindes ist insofern geschlossen als dass die oben genannten Momente
wie einzelne ineinander greifende Glieder eine bdquogeschlossene Ketteldquo bilden muumlssen damit sich
freies bdquonatuumlrlichesldquo Spiel einstellt Die sich daraus bildenden oder aufgenommenen Spiele werden
haumlufig von da an als auftretendes Phaumlnomen augenscheinlich Denn das Spiel beginnt sich als frei
gestaltete Zeit mit seinem entstehenden bdquoKosmosldquo von Regeln Zufaumlllen Absprachen Bedingun-
gen Offenheiten Bestrebungen Kontexten Unverfuumlgbarkeiten Themen etc klar zu definieren und
vom gewoumlhnlichen Leben bdquoabzusetzenldquo Es wird dabei ersichtlich dass freies Spiel seine eigene in-
nere Regelhaftigkeit (im weitesten Sinne) sein bdquoSpielfeldldquo hat und eher als das Gegenteil von Will-
kuumlr oder Anomie anzusehen ist (Vgl Scheuerl 1990 S 91-95)
16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
Das Spiel verfolgt keinen auszligerhalb seiner selbst liegenden Zweck (Zweckfreiheit) und das Spielge-
13
schehen ist eine bdquopendelnde Suchbewegungldquo (Scheuerl Ambivalenz) die bestrebt ist innerhalb ih-
rer konstruierten bdquoScheinweltldquo (Scheuerl Scheinhaftigkeit) endlos in sich selbst zuruumlckzulaufen
um kein Ende zu finden (innere Unendlichkeit) Spielende sind von ihrem lustvollen Erleben im
Spiel voumlllig durchdrungen und gestalten spielend spontan mit groszliger Ernsthaftigkeit und in voumllli-
ger Selbst- und Weltvergessenheit ihr bdquoewigesldquo Spiel Und wie entgegen aller Vergessenheit ist es
dennoch ein Zustand houmlchster Wachheit und Konzentration Spielende sind in jedem gegenwaumlrtigen
Moment voumlllig praumlsent dh im bdquoHier und Jetztldquo aumlhnlich einem meditierenden Menschen Spielende
befinden sich also im Zustand tiefer Kontemplation aber nur im Bezug auf ihr Spiel weshalb sie
auch das eigene Gefuumlhl fuumlr Zeit im Moment des Spielens nicht oder kaum wahrnehmen Spielende
Kinder koumlnnen uumlber Stunden bdquowie gefesseltldquo ihrem Spiel nachgehen ohne dass ihnen die Zeitspan-
ne wirklich bewusst waumlre oder dass es ihnen hinterher moumlglich waumlre den fuumlr das Spiel aufgebrach-
ten Zeitraum zu schaumltzen (Vgl Scheuerl 1990 S 95-96 100-102)
17 Zusammenfassung
Das dieser Arbeit zugrunde liegende Verstaumlndnis des Begriffes bdquofreies Kinderspielldquo kann wie folgt
zusammengefasst werden Freies (Kinder)Spiel wird als ein Geschehen von komplexer geistig-
kreativer Weltzuwendung verstanden das sich innerhalb eines Freiraumes ereignet Einerseits ist
die sich innerhalb dessen ereignende Spieltaumltigkeit frei von Zielen Zwecken oder Nutzen die au-
szligerhalb seiner selbst liegen und andererseits sind die Spielenden innerhalb des Spielzeitraums frei
von ihrer unmittelbaren Lebensfuumlrsorge Als solche freie Zeit gestaltende Taumltigkeit ist das Spielen
fuumlr geistig emotional erlebende Wesen wie den Menschen oder houmlher entwickelte Tiere fuumlr eine
hohe Lebensqualitaumlt innerhalb eines erfuumlllenden Lebens grundlegend Aus diesem Umstand ergibt
sich dass freies natuumlrliches Spiel als grundsaumltzliches Beduumlrfnis angesehen werden kann weshalb
Spielende auch einen Drang (bdquoTriebldquo) zum Spiel aufweisen Doch ist der Charakter dieser
(Spiel)Taumltigkeit an sich von anderer bdquoNaturldquo als gewoumlhnliche Beduumlrfnisse befriedigende
(Trieb)Handlungen Als diese triebhafte Tendenz zum Spiel zielt die Spieltaumltigkeit nicht auf das Be-
duumlrfnis stillende Ende ab sondern auf ihren dauerhaften Fortgang Dieser zirkulaumlre Charakter und
das geistig erfuumlllende Erleben werden dabei durch den Umstand ermoumlglicht dass sich das Spieler-
eignis aufgrund seiner zuvor beschriebenen Autonomie in einem Spannungsverhaumlltnis ereignet Die-
ses ergibt sich zwischen Zufall und Notwendigkeit und wird durch den Spielenden bestaumlndig in
Waage gehalten Dieses selbst initiierte Geschehen reguliert sich somit auf der Handlungsebene
selbst es ist selbstorganisiert Diese Selbststeuerung nutzt Phantasie und Spontanitaumlt als Strategie
weshalb das Spielgeschehen trotz seines zirkulaumlren Charakters als prozessoffen bezeichnet werden
14
kann Besonders das Kinderspiel taucht dazu im gegenwaumlrtigen Spielmoment mit seinen spielenden
Subjekten im besonderen Bewusstsein uumlber seine paradoxe Als-ob-Realitaumlt in ihre eigens gestaltete
geistige Scheinwelt ein Die Spielenden sind waumlhrenddessen voumlllig selbst- und weltvergessen mit
groszliger Ernsthaftigkeit und im groumlszligten Eifer voumlllig in ihr bdquogebanntldquo Fuumlr ein bdquosich Ereignenldquo dieses
beschriebenen spontanen natuumlrlichen Spiels hat es nun als letztes Merkmal noch zur Voraussetzung
dass einzelne Momente nicht fuumlr sich isoliert initiiert oder planmaumlszligig ersetzt weggelassen oauml wer-
den koumlnnen so dass jedes einzelne der sechs Wesensmomente im Spielgeschehen quasi jeweils ein
bdquoGliedldquo in einer ineinander greifenden bdquofunktionalenldquo Kette darstellt ohne dass die Kette nicht
funktionstuumlchtig waumlre und sich freies natuumlrliches Spiel nicht ereignen koumlnnte
Inwiefern sich freies Kinderspiel nach dieser Auffassung im Hessischen Bildungs- und Erziehungs-
plan widerspiegelt soll im folgenden Kapitel untersucht werden
2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
21 Das Spielverstaumlndnis
Im Kapitel bdquoGrundsaumltze und Prinzipienldquo des Hessischen Bildungsplanes kommt dessen bdquoeigenesldquo
Verstaumlndnis zum bdquoKinderspielldquo ebenso zum Ausdruck wie eine Anleitung dazu wie mit dem Spiel-
phaumlnomen planvoll umzugehen ist (vgl Hessisches Sozialministerium Hessisches Kultusministeri-
um (2007) S 30-31) Im Folgenden werden diese Positionen zusammenfassend darstellt und erlaumlu-
tert
Spiel wird darin als Mittel in der ureigenen Ausdrucksform des Kindes angesehen womit es in der
Zeit des Heranwachsens seine Entwicklungsaufgaben und Lebensrealitaumlt bewaumlltigt Nach dieser
Auffassung kennzeichnen das Spiel drei Merkmale Das ist erstens die Zweckfreiheit der Spielhand-
lung die ausschlieszliglich durch das von ihr ausgehende Anregungspotentials ausgefuumlhrt wird Zwei-
tens dass im Spiel eine eigene Realitaumlt konstruiert wird und drittens dass Spielhandlungen wie im
Ritual wiederholt werden Die weitere Betrachtung des Spiels ist dann maszliggeblich auf Zwecke Zie-
le und den Sinn des Spiels im Bezug auf seine Wirkungen beschraumlnkt Somit sollen sich Kinder
zwar bdquoin ihren Spielhandlungen lustvoll versenken und dabei in einen intensiven Austausch mit ih-
rer Umwelt tretenldquo (dies S 30) Dies diene dann aber lediglich der Verarbeitung und Bewaumlltigung
von noch nicht zuordenbaren Erfahrungen (Problemen) Diese vom Kind zu bewaumlltigenden Proble-
me betraumlfen einerseits Entwicklungsthematiken wie bdquodas Ausspielen von Macht und Kontrolle von
Allmachtsphantasien [hellip] oder Herrschaft uumlber Leben und Tod [] sowie der Wunsch nach Heraus-
bildung eines Selbst bzw einer Identitaumltldquo (ebd) und andererseits Beziehungsthematiken zwischen
15
Erwachsenen und Gleichaltrigen
An die Beschreibung der drei Merkmale von Spiel anschlieszligend wird der Lern- und Entwicklungs-
charakter des Spiel dargestellt bdquoFreie Spielprozesse sind immer auch Lernprozesse denn Kinder
lernen zumindest beilaumlufig durch Spielenldquo (ebd)
Weiter heiszligt es im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan dass die Qualitaumlt dieser Lernprozesse
die im freien Kinderspiel stattfinden durch bdquogezielte Unterstuumltzungsmaszlignahmenldquo zu erhoumlhen sei In
dieser Aussage wird deutlich dass das freie Kinderspiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungs-
plan lediglich als Mittel aufgefasst wird welches die Entwicklungs- und Lernprozesse waumlhrend des
Heranwachsens beschleunigend wie ein Motor vorantreiben soll Warum sonst soll die bdquoQualitaumltldquo
des freien Kinderspiels bdquoerhoumlhtldquo werden Kinder sollen in erster Linie nicht spielen um ihrem Be-
duumlrfnis nach Spiel nachzukommen sondern um etwas zu lernen Dies legt den Verdacht nahe dass
das Spielen als solches auch nur aus diesem Grunde naumlmlich weil Kinder im Spiel etwas lernen
dh Kompetenzen erwerben Bestandteil des Bildungsplanes ist
Zusammenfassend kann festgestellt werden dass das Spiel im Hessischen Bildungs- und Erzie-
hungsplan auf eine Art Voruumlbung fuumlr das bdquorichtigeldquo Leben bei gleichzeitiger Lebensbewaumlltigung
verkuumlrzt wird Gleichzeitig findet durch die bdquoAufwertungldquo des freien Spiels zum bdquospielerischen Ler-
nenldquo eine Funktionalisierung und Paumldagogisierung des freien Spiels statt Die dem Spiel von Lern-
und Entwicklungspsychologie attestierten Potenzen (vgl Oerter 2007) sollen fuumlr die Realisierung
der Bildungs- und Erziehungsziele nutzbar gemacht werden dh das Spiel an sich dient vorrangig
dem Erwerb gewisser Kompetenzen und nicht der Erfuumlllung kindlicher Spielbeduumlrfnisse
Im folgenden Abschnitt werden die Hintergruumlnde eines solchen Spielverstaumlndnisses untersucht
Politische Motivationen spielen dabei ebenso eine Rolle wie die sich daraus ergebenden Ziele des
aktuellen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplans
22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
Im Vorwort des Hessischen Bildungs- und Erziehungsplans benennen die ehemaligen Hessischen
Ministerinnen14 fuumlr Kultus Karin Wolf und fuumlr Soziales Silke Lautenschlaumlger das zentrale politi-
sche Ziel naumlmlich die bdquoOptimierung der Bildungschancenldquo und die Entwicklung von bdquoChancen-
gleichheitldquo (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S 18) fuumlr die heranwachsende
Generation Bereits diese Formulierung laumlsst erkennen dass es im Bereich Bildung und Erziehung
politisch gesehen um Effizienz und um einheitliche bdquoQualitaumlts-ldquo und bdquoBildungsstandardsldquo geht die
14 unver uumlbern v aktuellem Kultusminister Herr Lorz von Herr Gruumlttner fuumlr Soziales und Integration
16
auf maximale Leistungen in der nationalen und internationalen Wissenskonkurrenz zielen
Wie ist also bdquoOptimierung der Bildungschancenldquo zu verstehen Konzeptionell ist diese bdquoOptimie-
rung der Bildungschancenldquo darauf angelegt dass bis zum Uumlbergang in die Sekundarstufe die Kin-
dertageseinrichtungen und Grundschulen allen Kindern eines Jahrgangs als Grundlagen die gleichen
bdquoBasiskompetenzenldquo15 vermitteln sollen Das Erreichen dieser bdquoBildungsstandardsldquo bis zur vierten
Klasse sei wiederum die Herstellung von bdquoChancengleichheitldquo so die Schlussfolgerung (vgl dies
S 18)
Dabei besteht die Chance darin dass die Kinder des gesamten Jahrgangs in gleichen Leistungstests
an diesen einheitlichen bdquoBasiskompetenzenldquo in Abhaumlngigkeit gemessen und in Konkurrenz zueinan-
der nach ihren Lernleistungsdifferenzen (Leistungsabstaumlnden) eingeordnet werden koumlnnen (vgl
Nuumlberlin 2002 S 117-127) Die dabei entstehende Jahrgangssortierung dh die Platzierung im
Leistungsvergleich innerhalb eines Jahrganges entscheidet dann daruumlber welche Kinder eine
bdquoChanceldquo auf houmlhere Bildung erhalten und welche nicht welche also das Gymnasium besuchen
duumlrfen und fuumlr welche der Besuch der Realschule vorgesehen ist Somit werden mit dem politischen
Programm bdquoChancengleichheitldquo bzw bdquoOptimierung der Bildungschanceldquo die jungen Generationen
(Kinder und Jugendliche) gemaumlszlig der in der Gesellschaft durchgesetzten Wissenshierarchie bzw Fauml-
higkeitshierarchie kontinuierlich eingeordnet (vgl Nuumlberlin 2002 S 127-129)
Deshalb soll bdquoChancengleichheitldquo auch bdquoBildungschancenldquo eroumlffnen weshalb im Bildungsplan Paumld-
agogen dazu aufgerufen sind die Kinder von fruumlhester Kindheit an individuell zu staumlrken um ihre
unterschiedlichen Voraussetzungen zumindest in gleichen bdquoBasiskompetenzenldquo vermeintlich einan-
der anzugleichen und somit die Vergleichbarkeit in der Notenkonkurrenz chancengleich im Sinne
von voraussetzungsgleich zu gestalten (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S
5-6 und S 17-18) Gerda Nuumlberlin weiszligt darauf hin dass aber diese Voraussetzungsgleichheit die
Institution Schule gerade nicht leistet Und dass Schule statt dessen durch Lernen auf Zeit die Schuuml-
ler innerhalb eines Jahrgangs mit einheitlichen Tests kontinuierlich einem Sortierungsverfahren un-
terzieht das eher gemaumlszlig den Bildungsschichten die Wissensunterschiede der Kinder hervorhebt
und sogar mit produziert statt sie mit dem Ziel der bestmoumlglichen Wissengleichheit zu bdquobeseitigenldquo
(vgl Nuumlberlin 2002 S 104-142)
Die auf gleiche Basiskompetenzen vorbereitenden Lernangebote und Fruumlhfoumlrderungen sollen nach
Aumluszligerung der Ministerinnen im Vorwort intensiver und fruumlher initiiert werden als in den vorange-
gangenen Jahren (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S 5-6) Zur Sicherung
15 bzw auch als bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (vgl dies S 41) bezeichnet daraus resultieren sollen die besonders vonder Wirtschaft geforderten bdquoMetakompetenzenldquo (vgl dies S 17)
17
der bdquoBildungsqualitaumltldquo und Umsetzung einheitlicher Standards soll der Bildungs- und Erziehungs-
plan das institutionenuumlbergreifende Steuerungsinstrument sein (vgl dies S 19) Die Herausgeber
des Bildungsplanes heben in der Einfuumlhrung besonders hervor dass es sich erstmals um einen Bil-
dungs- und Erziehungsplan handelt der durch seine stufenlose Konzeption von 0 bis 10 Jahren ein
kontinuierliches Lernen vorsieht Alle paumldagogisch wirkenden Personen und Institutionen sollen
durch einheitliche Bildungs- und Erziehungsziele moumlglichst an bdquoeinem Strang ziehenldquo koumlnnen (vgl
dies S 5-19)
Leitziel ist es fuumlr das bdquolebenslange Lernenldquo mit dem Erwerb von bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo die
bereits erwaumlhnte gemeinsame Grundlage (bdquoBasiskompetenzenldquo 16) der Kinder zu erzeugen (vgl
dies S 41f)
Veranlasst sehen sich die Ministerien zur bdquoneuenldquo konzeptionellen Bildungssteuerung durch den
tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel der sich von der demografischen Entwicklung uumlber viel-
faumlltige kulturelle Kontexte die Wirtschafts- und Arbeitswelt bis hin zu familialen Wandlungsprozes-
sen vollzieht und generell durch Schnelllebigkeit gekennzeichnet ist und von den Menschen ein ho-
hes Maszlig an Flexibilitaumlt und Mobilitaumlt fordert Hierzu werden auch die Ergebnisse der Schuumllerleis-
tungsvergleiche wie PISA TIMSS oder IGLU und denen entsprechende wissenschaftliche For-
schungsbefunde genannt denen der bdquo(neue) Bildungs- und Erziehungsplanldquo Rechnung tragen
moumlchte (vgl dies S 16-19)
Denn die Platzierung bei national und international vergleichbaren Leistungserhebungen ist letztlich
die Bemessungsgrundlage fuumlr bdquoBildungserfolgldquo oder bdquoBildungsversaumlumnisldquo Die attestierte bdquoBil-
dungsqualitaumltldquo ist deshalb von politischem Interesse weil die Politik die durch ihr Bildungssystem
erreichte Platzierung im vorderen Bereich als Standortfaktor fuumlr ihren Wirtschaftsstandort in
Deutschland nutzen moumlchte um vor allem auf dem globalem Markt konkurrenzfaumlhig zu bleiben
Im Folgenden wird zu zeigen sein ob und inwiefern diese Zielsetzungen mit dem dafuumlr entwickel-
ten Bildungskonzept zur angenommenen Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels fuumlhren
16 Im Einzelnen werden folgende Kompetenzen genannt als Basiskompetenzen werden bdquoindividuumsbezogeneKompetenzenldquo bdquoKompetenzen zum Handeln im sozialen Kontextldquo bdquoLernen und lernmethodische Kompetenzldquo undbdquokompetenter Umgang mit Veraumlnderung und Belastung Widerstandsfaumlhigkeit (Resilienz)ldquo genannt (vgl dies S 25-26 und S 41-44) Zum anderen werden darauf aufbauende konkrete Bildungs- und Erziehungsziele genannt (ent-sprechend der geforderten bdquoMetakompetenzenldquo) bdquostarke Kinderldquo bdquokommunikationsfreudige Kinder und medien-kompetente Kinderldquo bdquoKreative fantasievolle und kuumlnstlerische Kinderldquo bdquoLernende forschende und entdeckungs-freudige Kinderldquo und bdquoverantwortungsvoll und werteorientiert handelnde Kinderldquo (vgl dies S 13)
18
23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Wie kann das politische Ziel naumlmlich alle Kinder mit den gleichen Grundkompetenzen auszustatten
und deren bdquoErfolgldquo mindestens ab der vierten Klasse an regelmaumlszligigen Leistungserhebungen zu be-
messen durch freies Spiel erreicht werden Die Vermittlung bzw der Erwerb standardisierter Inhal-
te (Wissen Faumlhigkeiten Fertigkeiten Kompetenzen) und die Verfuumlgung daruumlber (Pruumlfungstermin)
steht im Widerspruch zum freien Spiel als offenem Prozess den die Spielenden selbst initiieren und
gestalten und bei dem keine Voraussagen daruumlber getroffen werden koumlnnen wann sich welche
Kenntnisse und Fertigkeiten einstellen
Diese erlangt man einerseits durch die Freiheit als Freiraum zum Spiel die eine gewisse Qualitaumlt an
Sorgefreiheit bedingt Zur Sorgefreiheit zaumlhlt beispielsweise auch das Freisein von Lerndruck der
jedoch unter anderem durch festgelegte Leistungserhebungen und Entwicklungsdokumentationen
bei den Kindern erzeugt wird Und andererseits erwirbt man Kenntnisse und Faumlhigkeiten nur dann
wenn das Spiel frei ist wenn es sich also um seiner selbst Willen ereignet und eben nicht bdquokanali -
siertldquo wird es also keinen aumluszligeren Zielen Zwecken oder Absichten unterliegt wie es jedoch bei
festgelegten bdquoBasiskompetenzenldquo (bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo) eines bdquoBildungsstandardsldquo der Fall
waumlre17 Hinzu kommt der weitere Aspekt von Freiheit im Spiel wonach das Spiel ein selbstgesteuer-
ter Prozess mit offenem bdquoAusgangldquo ist dessen Wirkungen eben nicht planbar oder voraussagbar
also nicht standardisierbar und determinierbar sind Diese Qualitaumlt von Freiheit im Spiel ergibt sich
nun aus den unverfuumlgbaren Momenten des freien Spiels wie dem Augenblick der Instabilitaumlt der
Kreativitaumlt und Phantasie der Spontanitaumlt und Unordnung dem Unsinn und Zufall Diese zugleich
auch wesentlichen Antriebskraumlfte des Spiels koumlnnen sich wie bereits im Kapitel bdquo14 Moment der
Ambivalenzldquo (S 11-13) naumlher beschrieben nur in einem Entwicklungsspielraum mit reichhaltigen
Erfahrungsmoumlglichkeiten und mit dem erlaumluterten Spannungsverhaumlltnis ergeben Sie tragen dann
aber auch die unermesslichen Potentiale fuumlr Emergenz mit dem Prinzip des Lebendigen in sich
woraus sich seine Offenheit fuumlr Neues im Sinne der Weiterentwicklung von Leben ergibt
An dieser Stelle moumlchte ich ergaumlnzend zu meiner eher phaumlnomenologischen Wesensauffassung von
freiem Spiel einige Beispiele skizzieren wie sich die Einuumlbung von Kompetenzen durch freies Spiel
aus psychologischer Sicht vollzieht
Die im Hessischen Bildungsplan intentional geplanten Basiskompetenzen und Lernziele wie bei-
spielsweise Kreativitaumlt Abstraktionsvermoumlgen Empathie oder Flexibilitaumlt in Denk- und Vorstel-
17 Vgl dazu Kapitel bdquo11 Das Moment der Freiheitldquo in dieser Arbeit S 7f
19
lungsvermoumlgen ergeben sich im Spiel als bdquoNebeneffektldquo Das Kind vollzieht naumlmlich im Spiel fuumlr
seine Entwicklung entscheidende Bildungsprozesse selbsttaumltig intrinsisch motiviert und in der bdquoDo-
sisldquo die es bedarf Dabei von groszliger Bedeutung ist der vom Kind entwickelte eigene Lernmodus
der sich maszliggeblich an der individuellen Leistungsfaumlhigkeit und den persoumlnlichen Beduumlrfnissen ori-
entiert Hierfuumlr benoumltigt jedes Kind einen eigenen Entwicklungsspielraum
bdquo[Der] sollte Heranwachsenden die vielfaumlltigsten auch selbsttaumltig inszenierten Erfah-rungsraumlume bieten um sich - wie es Johann Heinrich Pestalozzi nannte - an Kopf Herzund Hand bilden zu koumlnnen moumlglichst frei von Furcht und Zwang Sinnesbildung Koumlr-perbildung und geistig-seelische Bildung sollten dabei gleichermaszligen zur Entfaltungkommenldquo (Rittelmeyer 2007 S 7)
So initiieren Kinder beispielsweise in ihren Rollenspielen eigentaumltige Bildungsprozesse indem sie
sich im spontanen Spiel in die Perspektive anderer Menschen versetzen und eigenes Handeln fuumlr
aumlhnliche Lebenssituationen uumlben Oder sie erproben sich im Spiel mit verschiedenen sozialen Rol-
len zB im Rahmen gesellschaftlicher Verhaltensstandards indem ein von Geschichten aufgenom-
menes oder durch elterliche Kommentare an die Kinder herangetragenes Ideal (bdquoTapferkeitldquo bdquoGe-
schwisterliebeldquo bdquoFreundschaftldquo bdquoHilfsbereitschaftldquo etc) mit der persoumlnlichen Wirklichkeit vertraut
gemacht wird Dieses Erproben entspricht zB einer Bewusstseinsbildung im Hinblick auf (solche)
gesellschaftlichen Rollenerwartungen
bdquo[Oder] im Symbolspiel das ein Houmllzchen zur Mutterʻ oder zum Autoʻ werden laumlsstuumlben Kinder die Faumlhigkeit im Hinblick auf gegebene Phaumlnomene verschiedene Per-spektiven entwickeln zu koumlnnen also mit Kreativitaumlt oder Phantasie auf Erscheinungender aumluszligeren Welt zu reagierenldquo (ders S 17)
Es ist schwierig zu sagen welche Kompetenzen genau aus eigentaumltigen Bildungsprozessen im Spiel
entstehen da Resultate aus diesen Erfahrungen wiederum von diversen Faktoren abhaumlngig sind
Maszliggebliche Faktoren sind dabei die uumlberaus verschiedenen biografischen Erfahrungen der Kinder
und dass die letztliche Erfahrungsgewichtung durch ihre Individualitaumlt verschieden zum Tragen
kommt
Da aber jedes Lernen immer individuumsbezogen dh vom Kind abhaumlngig ist hat dieser Umstand
auch fuumlr die geplant-initiierten Lernangebote Geltung sofern derartige von auszligen angestoszligene
Lernangebote uumlberhaupt in den lernenden Kindern auf Resonanz stoszligen
Es duumlrfte kaum anzuzweifeln sein dass wie im Beispiel des spontanen von den Kindern selbst initi-
ierten Rollenspiels Rollenhandeln und soziale Empathie eingeuumlbt und fuumlr eigenes Handeln erprobt
werden Ebenso werden durch Symbol- oder Rollenspiele die Phantasie und Kreativitaumlt vielfaumlltig
angeregt die Beobachtungsgabe und das Vorstellungsvermoumlgen ausgepraumlgt Daraus kann sich wie-
20
derum das Abstraktionsvermoumlgen entwickeln und die Kinder bilden mit zunehmenden Perspekti-
venwechseln eigene Vorstellungen und Uumlberzeugungen aus Indem naumlmlich Spielende in ihre selbst
konstruierte bdquoScheinweltldquo gaumlnzlich bdquoeintauchenldquo nehmen sie auf zuvor vielfaumlltig beobachtete und
erlebte Situationen Bezug Erst spielen sie das Erlebte nach und bdquodurchlebenldquo es dabei spielerisch
immer wieder bis sich ein tiefgruumlndiges Verstaumlndnis uumlber die erlebte Situation gebildet hat Allmaumlh-
lich wird dann durch die eigene Ausgestaltung des Rollen- oder Symbolspiels das wahrgenommene
Phaumlnomen zunehmend abstrahiert und Kinder beginnen vielfaumlltige eigene Vorstellungen dazu zu
entwickeln Freies Spiel entspricht also eigentaumltiger Lebenswelterfahrung und -aneignung und ihr
Bildungsgehalt scheint dabei fast unermesslich groszlig zu sein (vgl ders S 7-17 und S 135-137)
Es wuumlrden sich also durch freies Kinderspiel ganz unterschiedliche und auch bdquoneueldquo Kompetenzen
mit ganz individuellen Auspraumlgungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten bilden Diese Aspekte ma-
chen aber eine vergleichende Leistungserhebung quasi unaussagekraumlftig bzw koumlnnten einen deter-
minierten bdquoBildungsstandardldquo insofern bdquogefaumlhrdenldquo als dass das Spiel als kreative geistig-emotio-
nale Weltzuwendung immer einen offenen bdquoAusgangldquo hat dh nicht vorhersagbar ist Das Zulassen
von freiem Spiel steht somit im Interessenskonflikt mit den oben genannten politischen Absichten
weshalb dem freien Spiel ein generelles Misstrauen gegenuumlber gebracht wird Dies fuumlhrt letztlich
konzeptionell dh durch die Einfuumlhrung und Umsetzung von bdquoBildungsstandardsldquo zur zunehmen-
den Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
Inwiefern die angenommene Verdraumlngung von freiem Kinderspiel auch paumldagogisch motiviert sein
kann soll im folgenden Abschnitt untersucht werden
24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Die Autorinnen und Autoren sehen Kinder einerseits als kompetente selbstbestimmt taumltig werdende
Wesen an und deuten die Bildung und das Lernen zwar als soziale Prozesse die sich im Dialog zwi-
schen Kind und Erwachsenem vollziehen koumlnnen Andererseits verweisen sie aber darauf dass die
Qualitaumlt dieser Prozesse wiederum von auszligen dh von einem Erwachsenen gesteuert und mode-
riert werden sollen (vgl Hessisches Sozialministerium Hessisches Kultusministerium 2007 S 20-
21) Die Steuerung der Bildungs- und Lernprozesse wird versucht zu rechtfertigen indem auf aktu-
elle neurowissenschaftliche Befunde verwiesen wird die dem kindlichen Gehirn ein enormes Ent-
wicklungs- und Lernleistungsvermoumlgen zuschreiben welches wenn es nicht genuumltzt wuumlrde einem
bdquoBildungsversaumlumnisldquo gleichkaumlme und nur schwer wieder aufzuholen sei (vgl dies S 20- 24)
bdquoJe reichhaltiger aumluszligere Lernreize sind desto mehr effiziente neuronale Netzwerke
21
(Synapsen) bilden sich heraus die fuumlr die Verarbeitungskapazitaumlt des Gehirns und seineLernfaumlhigkeit im spaumlteren Leben bedeutsam sind Im Entwicklungsverlauf eines jedenKindes gibt es optimale Zeitraumlume fuumlr grundlegende Lernschritte (zB ZweitspracheRaumorientierung elementares mathematisches Denken Interesse an Naturwissen-schaften aumlsthetisches Verstaumlndnis Entwicklung der Musikalitaumlt) Solche Zeitfenstergibt es auch noch im Laufe der weiteren Bildungsbiografie Dennoch gilt es diese sen-siblen Phasen bereits durch fruumlhe Bildung offensiv zu nutzen [sic] Je solider und brei-ter die Basis aus jener Zeit desto houmlher ist die Wahrscheinlichkeit dass das Kind danachaktiver und leichter lernt Fruumlhe Bildungsversaumlumnisse sind nur schwer aufholbarldquo(dies S 24)
Die programmatische Paumldagogisierung von Spiel die die bdquoGrenzen zwischen der herkoumlmmlichen
Trennung von Freispielprozessen und geplanten Bildungsprozessen zunehmendldquo (dies S 30) ver-
wischen soll ist vor dem Hintergrund Bildung als Produkt einer offensiven Nutzung der sensiblen
Lernzeitfenster anzusehen (vgl dies S 23-24) und wiederum von seiner politischen Motivation
mit dem Wettlauf um Konkurrenzfaumlhigkeit sowie der Weiterfuumlhrung einer in der Gesellschaft durch-
gesetzten und der Wirtschaft dienlichen Wissenshierarchie in Verbindung zu bringen Folglich fuumlhrt
die im Bildungs- und Erziehungsplan programmatisch angewiesene Funktionalisierung des Spiels
zum bdquospielerischen Lernenldquo letztlich paumldagogisch motiviert zur zunehmenden Verdraumlngung des frei-
en (Kinder)Spiels denn dieses wird als zu zeitintensive Taumltigkeit angesehen Freispiel darf zwar
laut Plan auch enthalten sein es bdquomuss jedoch im angemessenen Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlten ste-
henldquo (dies S 31) weshalb es wegen des bdquoLernfensterdrucksldquo (vgl Dies S 23-24) zum bdquospielen-
den Lernenldquo umfunktionalisiert werden soll (vgl dies S 30-31) um wegen seiner bildenden Po-
tenzen dann als Lernbeschleunigung dem Lernziel (bdquoBildungserfolgldquo) dienbar gemacht zu werden
Das Freispiel soll konzeptionell auf zwei Wegen zu bdquospielendem Lernenldquo qualitativ aufgewertet
werden Zum einen indem aus Spielprozessen Projekte hervor gehen mit der Bedingung dass das
Spielgeschehen zunehmend von der Projekttaumltigkeit durchdrungen wird Und zum anderen koumlnnen
bdquo[]im Rahmen von Projekten [hellip] Freispielphasen enthalten sein in denen sich dieKinder weiterhin mit dem Projektthema allein oder mit anderen auseinandersetzen DieQualitaumlt der Freispielprozesse laumlsst sich durch gezielte Unterstuumltzungsmaszlignahmen erhouml-henldquo (dies S 30 Herv MG)
Wenn also Freispielphasen eingeplant werden dann unter der Bedingung dass im bdquoSpielldquo die Pro-
jektthemen wieder aufgegriffen werden In beiden Varianten wird aber die Qualitaumlt des Spiels zu-
mindest im Bezug auf das Erreichen des Lernzieles angezweifelt weshalb ein gezieltes Einwirken
der Paumldagogen kontinuierlich angedacht ist
bdquoDie Houmlhergewichtung des elementaren Bildungsauftrags hat zur Konsequenz dasssich das beilaumlufige Lernen der Kinder im Spiel zum spielerischen Lernen hin entwickeltDem Spiel wird mehr systematische Begleitung und didaktische Aufbereitung
22
zuteilldquo(dies S31 Herv MG)
Das demnach angedachte bdquoFreispielldquo soll folglich auch kein freies natuumlrliches Spielen sein selbst
wenn sich Kinder angetan von den Projektinhalten im freien Spiel beginnen selbsttaumltig im Rah-
men dessen auseinanderzusetzen Solches Geschehen wuumlrde durch paumldagogisches Einwirken auf
das Lernziel hin gelenkte Taumltigkeit werden es soll durch Erwachsene zum bdquospielerischen Lernenldquo
hin entwickelt werden Ebenso kann auch ein anfaumlngliches Spiel nie als solches bestehen bleiben
Die Houmlhergewichtung des institutionellen bdquoBildungsauftragsldquo bewirkt in beiden Faumlllen dass der
scheinbar gewaumlhrte bdquoSpielraumldquo zur zielorientierten Lerntaumltigkeit wird weshalb (freies) Spiel ver-
draumlngt wird und zunehmend in Projekttaumltigkeit muumlndet Erst dann hat Spiel einen qualitativen Nut-
zen im Sinne des Bildungs- und Erziehungsplans Deshalb haben Spielen und Lernen auch nach An-
sicht und Position des Bildungsplanvorhabens in einem besonderen Verhaumlltnis zueinander zu stehen
welches Paumldagogen zu sichern haben
bdquoFreispiel ist wichtig muss jedoch im angemessenem Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlt stehendie die Erwachsenen planen und initiieren[]ldquo (ebd Herv MG)
Denn Lernaktivitaumlt sollte nach Meinung der Autorinnen und Autoren wenn sie vom Kind ausgeht
letztlich durch Erwachsene zielfuumlhrend gelenkt werden
Diese Qualitaumlt steigernden Unterstuumltzungsmaszlignahmen und das angestrebte Verhaumlltnis von Spielen
und Lernen stehen im einzelnen mit den Wesensmomenten des freien Spiels in Widerspruch Im
freien Spiel sind die Spielinhalte die sich spielende Kinder selbst auswaumlhlen vorwiegend alltagsbe-
zogen und als diese individuell meist sehr unterschiedlich Kinder begegnen im Spiel also Themen
die ihr Interesse durch erlebte oder beobachtete Situationen geweckt haben Diese eigens initiierten
Spielideen koumlnnen wie oben skizziert diverse Funktionen (zB bildendes Erproben) als Nebenef-
fekt haben Aber im Sinne des Spiels als bdquofreie Zeitgestaltungldquo draumlngt das Kind eher nach sinnvoll
erfuumllltem Leben durch erstrebtes lustvolles Spielen mit ganzheitlichem Lebensweltbezug als nach
einer von auszligen das Spiel deformierenden oder domestizierenden Systematik und Didaktik Es ist
anzunehmen dass diese fehlende bdquoBe-friedigungldquo des Spielbeduumlrfnisses ihre praumlgenden Anpas-
sungsspuren in den Kindern hinterlaumlsst und sie wahrscheinlich unzufrieden macht Zusaumltzlich duumlrf-
ten diese Umstaumlnde dem Lernen allgemein auch eher abtraumlglich sein
Es besteht also ein ganzheitlicher Bezug zum eigenen Leben wenn durch die Freiheit zum Spiel
ganz individuelle Themen zur Spielidee werden und bdquoihren Laufldquo nehmen Das heiszligt die jeweilige
Initialidee wird im weiteren Spielverlauf staumlndig veraumlndert werden und folgt dabei gerade eben
nicht der bdquoLogikldquo der buumlrgerlichen Erwachsenenwelt Diese bdquoLogikldquo wird aber im Bildungsplan fo-
23
kussiert In ihm ist die Annahme enthalten dass Kinder wie Forscher ihre Umwelt erkunden und
nun im Zuge der Aufwertung des Spiels zum bdquospielerischen Lernenldquo durch paumldagogisches Hinwir-
ken sich das bdquospielendeldquo Kind in reflektierender Betrachtungsweise Kausalzusammenhaumlnge und
Gesetzmaumlszligigkeiten des zu untersuchenden bdquoGegenstandesldquo erschlieszligen bzw davon ableiten soll
(vgl dies S 20 27-28 30-31) Spiel ist aber nur dann Spiel wenn es ein eigenes fortwaumlhrendes
kreatives und spontanes Eingehen auf die Anregungen der aumluszligeren Spielszenerie ermoumlglicht (vgl
Kapitel bdquo14 Das Moment der Ambivalenzldquo S 11ff sowie Rittelmeyer 2007 S 136) Innerhalb
dessen orientiert sich die Spiel gestaltende Taumltigkeit des Kindes hauptsaumlchlich an den eigenen Be-
duumlrfnissen und nicht an Vorgaben von auszligen Deswegen kann auch nicht alles Spiel sein das waumlre
Willkuumlr und nicht Geschlossenheit (vgl Kapitel bdquo15 das Moment der inneren Geschlossenheitldquo S
13) Und um seiner inneren Zweckmaumlszligigkeit moumlglichst dienlich zu sein bleibt es auch stets unver-
fuumlgbar Darin gibt es keine absolute Eindeutigkeit (zB ein Lernziel) mit zielgerichtetem Streben
nach zukuumlnftiger Befriedigung Spiel ist jetzt ist gegenwaumlrtig angestrebtes erfuumlllendes Erleben von
frei gestalteter Zeit Nur so koumlnnen sich alle weiteren Wesensmomente und ihre ua auch hoch ef-
fektiv bildenden Potenziale ergeben und individuell entfalten Solches Spiel waumlre aber von Vielfalt
Spontanitaumlt Uumlberfluss Instabilitaumlt Kreativitaumlt oder auch vom ihm eigenen Unsinn gepraumlgt Sicher-
lich erschlieszligen sich dem Kind dabei diverse Kausalzusammenhaumlnge und aus Einzelphaumlnomenen
wird es ableitend Gesetzmaumlszligigkeiten erfahren die sich in diesem informellen Lernprozess dann als
Wissen Kenntnisse Fertigkeiten oder auch Kompetenzen verinnerlichen Aber diese (Neben)Effek-
te wuumlrden nie zielfuumlhrend oder leitend das Spielgeschehen formen bzw antreiben
Dem natuumlrlichen freien Spiel steht das bdquospielerische Lernenldquo auch im Bezug auf die im Spiel er-
schaffene Phantasiewelt (vgl Kapitel bdquo13 Das Moment der Scheinhaftigkeitldquo S 10) entgegen
Denn diese zeichnet sich gerade dadurch aus dass sie sich von den bdquoObjektenldquo der Umwelt loumlst
vom Faktischen enthoben ist und durch Phantasie zu bdquoNeuemldquo zu Symbolischem werden laumlsst Und
somit das symbolische bdquoAls-obldquo Spielgeschehen ermoumlglicht Das Spiel wuumlrde sich also notwendi-
gerweise von der Projekttaumltigkeit oder ihren faktischen Inhalten loumlsen muumlssen um sich in dieser
Phantasiewelt mit seiner Spielhandlung zwischen Zufaumllligem und Notwendigem bewegen zu koumln-
nen Mit der daraus entstehenden Gegenwaumlrtigkeit schloumlssen sich alle weiteren Momente zu ihrer
bdquofunktionalenldquo Kette zusammen Auch der zeitliche Rahmen in dem sich das freie Spiel nun bewe-
gen wuumlrde ist unvorhersehbar Es ist also wahrscheinlich dass das Spielgeschehen uumlber den von
Erziehern eingeplanten bdquoFreispielzeitraumldquo hinweg andauern koumlnnte und deshalb von auszligen durch
die Paumldagogen abgebrochen werden wuumlrde Der bdquoinneren Unendlichkeitldquo des Spiels wuumlrde dies so-
mit ein abruptes Ende bereiten Dem zirkulaumlrem Charakter des Spiels steht noch ein weiterer Aspekt
24
entgegen Naumlmlich dass die Wiederholungen der Spielhandlung nicht aus systematischer oder di-
daktischen bdquoAufbereitungldquo erzeugt werden koumlnnen sondern dass sie wie Rolf Oerter in bdquoZur Psy-
chlogie des Spielsldquo beschreibt mit lustvollem Erleben in Verbindung zu bringen sind und demnach
eher dem Lustprinzip folgen als dem rationellem Realitaumltsprinzip (vgl Oerter 2007 S 9 12 14f
18-21)
Einzelne Momente fuumlr bdquospielerisches Lernenldquo zu erzeugen bzw sie diesbezuumlglich abzuwandeln
kann also nicht mehr mit dem natuumlrlichen freiem Spiel in Verbindung gebracht geschweige denn
damit gleichgesetzt werden Das daraus resultierende bdquoSpielenldquo kann demnach auch nicht dem Be-
duumlrfnis oder Drang nach Spiel entsprechen welches Kinder ganz offenkundig haben Das Spiel im
Sinne des Bildungsplanes gleicht in seiner angedachten Form eher bdquodomestiziertenldquo Spiels das in
einzelne Wesensmomente zerrissen ist um als didaktische bdquoListldquo geplant initiiert zu werden Somit
wird durch die verkuumlrzte Auffassung von Spiel als Mittel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo bei
gleichzeitiger Verkuumlrzung echter Spielzeit die zunehmende Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels
im Bildungsplan programmatisch angegangen bzw angeordnet wodurch die dieser Arbeit zugrunde
liegende Annahme bestaumltigt wird
3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
Die Reformpaumldagogik hat zB durch Ellen Key Johann Heinrich Pestalozzi oder Maria Monterssori
Konzepte wie Jena-Plan das der Sudberry Valley School oder der Freien Demokratischen Schulen
inspiriert Innerhalb deren Konzeptionen findet auch die kindliche Lebenswelt ohne sie romantisch
zu verklaumlren ihren anerkennenden Platz und wird als vollwertiger Lebensabschnitt beachtet Ihre
aumlhnlichen Bildungsansaumltze enthalten vielfaumlltigste Anreize und Formen vernuumlnftiger Bildungsideen
mit ganzheitlichem Menschenbild und echtem Lebensweltbezug Das bedeutet auch fuumlr eine Institu-
tion um mit Ellen Key zu sprechen Bildung vom Kind aus zu denken
Exemplarisch moumlchte ich im Folgenden diese Bildungsvorhaben und ihre fuumlr die Kinder bereiteten
Entwicklungsspielraumlume an Hand der Freien Demokratischen Schulen skizzieren Der Ausgangs-
punkt dieser Schulen ist der Kerngedanke dass sich durch Eigeninitiative selbstverantwortete Bil-
dung und freies Spiel nicht abstoszligend gegenuumlber stehen sondern dass beide den Beduumlrfnissen des
Kindes entspringen und das Kind deshalb je nach seiner Beduumlrfnislage seine Aktivitaumlten diesbezuumlg-
lich selbstorganisiert Zwar sind auch Freie Demokratische Schulen als Institution leider kein wirk-
licher bdquoorganischerldquo Teil der Lebenswelt von Kindern sondern immer nur von auszligen angebotene in-
tentionale Konstrukte die aber in diesem Fall den individuellen Entwicklungsspielraum der Kinder
25
versuchen zu schuumltzen bzw bereitzuhalten Somit wird jedem Kind sein eigener Freiraum der ihm
spontanes freies Spiel ermoumlglicht bereitet ohne es in irgendeiner Form zu verzwecken oder zu ka-
nalisieren Einige Konzepte solcher Schulen greifen auch die Kindheit als gesellschaftlichen Status
hervorbringende Begebenheit auf naumlmlich dass durch die alltaumlgliche Erwerbstaumltigkeit der Erwach-
senen die Kindheit entsteht und zwar als davon getrennter Lebensbereich Verschiedene Versuche
zB durch (Land)Schulheime oder selbst initiierten Lernvereinbarungen zielen darauf ab die ge-
trennten Lebensrealitaumlten von Kindern und Erwachsenen wieder mehr zur Uumlberschneidung zu brin-
gen Die daraus entstehenden freiwilligen Erfahrungspartnerschaften werden eigenverantwortlich
von den Beteiligten (Schuumller und Lehrer) nach ihren Beduumlrfnissen Vorstellungen und Wuumlnschen
gemeinsam gestaltet Es kann also keinen einheitlichen Lehrplan geben und es kann auch keinen
bdquoMethodenkofferldquo als Handreichung des Ministeriums geben der Anwendung finden soll Aber
falls es von den Schuumllern gewuumlnscht wird bzw falls es von ihnen als vernuumlnftig fuumlr die Umsetzung
des Vorhabens angesehen wird kann sich der Lehrer sinnvollerweise durch methodische oder di-
daktische bzw besser mathetische Aufbereitung unterstuumltzend einbringen Die Schuumller entwickeln
also selbst wie sie lernen und was sie lernen Dabei treffen sie nicht maszliggeblich ihre Auswahl aus
bereits bestehenden Angeboten sondern sie koumlnnen ihre Beschaumlftigungs- bzw Lerngebiete voumlllig
frei waumlhlen und initiieren Jede Beschaumlftigung wird dabei als wertvoll und lehrreich erachtet sei es
das Lesen das Experimentieren das freie Spielen oder das Teilnehmen an einem Unterrichtskurs
Die Schuumller entscheiden auch wann sie lernen Sie legen damit den gesamten zeitlichen Rahmen
fest innerhalb dessen sie sich mit ihrem eigenem Lerngebiet beschaumlftigen wollen Dies betrifft die
Tageszeit und den Gesamtzeitraum der Taumltigkeit aber vor allem auch das Alter in dem sie sich ent-
schlieszligen sich mit einer Thematik zu befassen So entschlieszligt sich zB ein neunjaumlhriges Kind Lesen
zu lernen wo ein fuumlnfjaumlhriges bereits damit begonnen hat Dabei waumlre es nicht ungewoumlhnlich dass
diese beiden Leseinteressierten sich zusammenschlieszligen und eine Lerngruppe initiieren um sich
gemeinsam dem Lesen lernen zu widmen Auch liegt es in der Verantwortung der Kinder wie inten-
siv sie sich mit dem gewaumlhlten Thema auseinandersetzen wollen Um all dies zu planen und umset-
zen zu koumlnnen sind die Lehrer wie beratende Helfer kontinuierlich fuumlr die Kinder da und die Kin-
der sind sich nie selbst uumlberlassen Somit schafft das Vertrauen der Lehrer in die Schuumller Vertrauens-
wuumlrdigkeit und die Kinder koumlnnen sich sicher und geborgen fuumlhlen um sich moumlglichst ohne Angst
in dieser Freiheit ganz nach ihren Beduumlrfnissen der Welt zuzuwenden Diesen Freiraum zum Entde-
cken und Spielen bezeichnen die Sudberry- bzw die Demokratischen Schulen als Lernfreiheit und
er ist eine der beiden Grundsaumlulen des Bildungskonzepts Die zweite Saumlule ist von organisatorischer
Natur und konstatiert den Lernort als egalitaumlres System in dem Schuumller und Lehrer in verschiede-
nen Gremien Komitees und Aumlmtern gleiche Einflussmoumlglichkeiten Pflichten sowie Rechte besit-
26
zen (vgl Schiffner 2007 S 8-15)
Peter Gray emeritierter Professor fuumlr Psychologie des Boston College erklaumlrte in einem Vortrag in
Berlin 3122012 die Grundlagen dieses bdquoErziehungsldquo Ansatzes18 Er nennt ihn Vertrauensvolle Er-
ziehung (Trustful Parenting) bdquoVertrauensvolle Erziehung basiert auf der Annahme dass Kinder von
Natur aus widerstandsfaumlhig kompetent sozial und selbstgesteuert sindldquo (Gray 2012 S 1) Daraus
ergibt sich dass Kinder ihrem Beduumlrfnis nach selbst entscheidend entdecken und spielen Es obliegt
ihrer Entscheidung Risiken einzugehen und dabei auch evtl eigene Fehler zu machen Entwick-
lungsvergleiche (auch keine Lernleistungsvergleiche) liegen dieser Ansicht fern Erziehung versucht
demnach Entwicklung nicht zu lenken sondern zu unterstuumltzen sodass Kinder ihre eigenen Ziele
verwirklichen koumlnnen Sie entwickeln dabei Eigeninitiative und uumlbernehmen Selbstverantwortung
in der Gemeinschaft Die Erwachsenen stellen dazu lediglich den aumluszligeren bdquoRahmenldquo her der fuumlr ein
gesundes Heranwachsen erforderlich ist (vgl Grey 2012 S1 ff) Deshalb ist dieser Ansatz auch
nicht als eine vernachlaumlssigende Haltung zum Kind anzusehen sondern ganz im Gegenteil die
bdquoErziehendenldquo senden den Kindern folgende Botschaft
bdquoDu bist kompetent Du hast Augen und ein Gehirn und du bist in der Lage Dinge her-auszufinden Du kennst deine eigenen Faumlhigkeiten und Grenzen Durch Spielen und Er-forschen wirst du dir aneignen was du wissen musst Deine Beduumlrfnisse werden gewuumlr-digt Deine Meinung zaumlhlt Du bist fuumlr deine Fehler selbst verantwortlich und man kanndarauf vertrauen dass du aus ihnen lernst Das Sozialleben zeichnet sich nicht durchWillenskaumlmpfe aus sondern vielmehr dadurch einander so beizustehen dass alle dasbekommen was sie brauchen und sich am meisten wuumlnschen Wir sind auf deiner Seitenicht gegen dichldquo (ders S1)
Interessant finde ich Peter Grays historischen Bezug den er zur Vertrauensvollen Erziehung her-
stellt Er belegt naumlmlich mit verschiedenen wissenschaftlichen Studien zu Jaumlger- und Sammlerkultu-
ren dass dieser Erziehungsstil bis zum Einsetzen der Landwirtschaft (vor ca 10000 Jahren in Asi-
en) der vorherrschende war und dass die Menschheit zu 99 Prozent ihrer gesamten Geschichte (ca 1
Millionen Jahre) Jaumlger und Sammler waren (vgl ders S 1-3)
4 Zusammenfassende Gedanken
Die anfaumlngliche Spielbegriffseingrenzung im ersten Teil dieser Arbeit verdeutlichte dass das Spiel
nicht nur von elementarer Bedeutung fuumlr ein gesundes Aufwachsen fuumlr Koumlrper und Psyche der Kin-
der ist obwohl das freie (Kinder)Spiel die dafuumlr wohl geeignetste Lebenstaumltigkeit darstellt Dem
18 Vgl Gray Peter (2012) Trustful Parenting May Require an Alternative to Conventional Schooling (Vertrauensvol-le Erziehung macht unter Umstaumlnden eine Alternative zum konventionellen Schulsystem noumltig) httpwwwting-schuledeindex_htm_filesPeter20Gray20_20Trustful20parentingpdf (Zugriff 260315)
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natuumlrlichen (Kinder)Spiel als geistig-kreative Weltzuwendung liegen viel urspruumlnglichere Wurzeln
zu Grunde weshalb sich durch freies Spiel die Sinne der Koumlrper und auch der Geist als bdquoNebenef-
fektldquo beilaumlufig bilden und entwickeln Naumlmlich wie das bdquoMenschsein kein Zweck etwa des Lebens
sondern das Leben selbst istldquo (Kamper 1976 S 141) ist das (Kinder)Spiel auch kein findiger
Zweck des Lebendigen sondern gelebte Lebendigkeit und damit zwecklos (vgl ebd) bdquoDarauf und
nur darauf bezieht sich Schillers Wort dass der Mensch nur spielt wo er in voller Bedeutung des
Wortes Mensch ist und nur da ganz Mensch ist wo er spieltldquo (ebd) Somit stellt das Spiel das Prin-
zip des Lebendigen dar dies herauszuarbeiten und phaumlnomenologisch be-greifbar zu machen war
Ziel des ersten Teils dieser Arbeit Ich beabsichtigte darin ein Verstaumlndnis dafuumlr zu bilden dass das
(Kinder)Spiel als Modus von Freiheit im bdquoSpannungsfeld Lebenldquo die Wesenskraumlfte der Evolution
den Zufall die Spontanitaumlt und die Kreativitaumlt als eigene Triebkraumlfte in sich traumlgt und im freien
selbst initiierten Spielgeschehen zur Entfaltung bringt Als dieses Urprinzip ist das freie natuumlrliche
Spiel dem Menschen - homo ludens - und deshalb auch den Kindern ein Beduumlrfnis Deshalb fuumlhrt
durch Spiel gestaltete Zeit als erstrebte wesensgemaumlszlige Taumltigkeit zu Lebenszufriedenheit Und nur
dann traumlgt es seine Potenziale der Sinnesbildung Koumlrperbildung und geistig-seelischen Bildung so-
wie die Moumlglichkeit unvorhersehbarer Emergenzen in sich Und als solcher freier Ausdruck von Le-
bendigkeit ist deshalb Spiel fuumlr ein Kind innerhalb eines erfuumlllten Daseins grundlegend und zu ach-
ten bzw anzuerkennen
Im zweiten Teil wurde einsteigend die im derzeitigen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
vertretene Auffassung von Spiel erlaumlutert und der Plan wurde auf seine moumlgliche politisch- und paumld-
agogisch motivierte Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel untersucht Es konnte dargelegt werden
dass der Spiel(zeit)raum aufgrund des Interessengegensatzes von Kind und Staat kontinuierlich ein-
gekuumlrzt wird und zur zunehmenden Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel fuumlhrt um die politischen
Programme bdquoVerbesserung der Bildungschancenldquo und bdquoChancengleichheitldquo durchzusetzen Die da-
mit verwirklichten politischen Ziele und die Umsetzung einheitlicher Bildungsstandards haben da-
bei einerseits den Zweck die fuumlr die Wirtschaft dienliche und in der Gesellschaft mit Schule durch-
gesetzte Wissenshierachie fortzufuumlhren Und andererseits sollen diese Jahrgangssortierungen durch
internationale Tests wie PISA uauml als Standortfaktor im Wettkampf um Konkurrenzfaumlhigkeit auf ei-
nem globalisierten Markt Wirtschaftsstandort sichernd eingesetzt werden
Die Annahme dass es durch die Einuumlbung von vermeintlichen also dem Zeitgeist entsprechenden
bdquoGrundkompetenzenldquo bzw bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (als Bildungsstandards) zur zunehmenden
Verdraumlngung von freiem Spiel kommt konnte dadurch bestaumlrkt werden dass auf Grundlage eines
verkuumlrzten Spielbegriffes das freie (Kinder)Spiel durch paumldagogisches Einwirken in bdquospielerisches
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Lernenldquo umfunktionalisiert und dadurch echte Spielzeit zunehmend eingekuumlrzt wird Der Zweck ist
dabei das (Kinder)Spiel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo als bdquoLernmotorldquo der Kinder innerhalb
des bdquoLernfensterdrucksldquo dem Lehrapparat dienstbar zu machen
Im dritten Teil dieser Arbeit wurde anhand der Demokratischen Schulen kurz skizziert wie institu-
tionelle Bildung die freies Spielen wirklich gewaumlhrleistet gelingen kann Leider stehen die Schulen
in freier Traumlgerschaft zu denen die Freien Demokratischen Schulen zaumlhlen in Deutschland vor be-
sonderen behoumlrdlichen Genehmigungsbarrieren und unzureichender oumlffentlicher Finanzierung was
ihre Realisierung maszliggeblich erschwert oder ganz verhindert Auch darin kann eine Verdraumlngung
bzw Verhinderung des freien Spiels gesehen werden
Die Verdraumlngung des freien Kinderspiels ist aus zweierlei Gruumlnden nicht gut zu heiszligen ja sogar ab-
zulehnen ist Erstens ist die im Spiel als Nebenerscheinung enthaltene Einuumlbung von Grund-
kompetenzen von groumlszligter Komplexitaumlt und Vielfalt die selbst neue nicht vorhersagbare Qualitaumlten
hervorbringt die mit den Triebkraumlften der Evolution in Verbindung zu bringen sind (Emergenz)
Deshalb ist es fuumlr einen ganzheitlichen Entwicklungsspielraum der Kinder und im Sinne der Evolu-
tion unvernuumlnftig das Spiel wie im Bildungsplan beschrieben bdquoqualitativ aufzuwertenldquo um ver-
meintliche fuumlr das derzeitige Leben als unverzichtbar angenommene bdquoGrundkompetenzenldquo durch
bdquospielerisches Lernenldquo einzuuumlben Und zweitens ist das Spiel als kreative geistig-emotionale Welt-
zuwendung und damit als wesensgemaumlszlige kreatuumlrliche Taumltigkeit des Menschen den Kindern ein Be-
duumlrfnis und grundlegend fuumlr ihr gesundes Aufwachsen und Lebensgeborgenheit (Lebenszufrieden-
heit) in einem sie wahrhaft erfuumlllenden menschlichen Dasein
Bedenke ich nun die Lebenszeit die auch meine Kinder teilweise schon vor dem ersten Lebensjahr
mit haumlufig acht Stunden taumlglich in Kindertageseinrichtungen (leider nicht in einer Freien Demokra-
tischen Schule mit Primarbereich) verbrachten derzeit verbringen und spaumlter in der Schule bis min-
destens zur Erfuumlllung der Schulpflicht mit etwa 15 Jahren in der Schule verbringen muumlssen bin ich
erschrocken-besorgt und wuumltend wie dem Phaumlnomen des freien natuumlrlichen Kinderspiels und der
Bildung insgesamt im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan begegnet wird Bildung als vorran-
gig politisch-oumlkonomisches Arrangement zu sehen darin das Spiel als List zu benutzen um standar-
disiertes Lernen zu erzielen echte Spielzeit zunehmend zu verkuumlrzen ndash dieses planvolle Vorgehen
der Politik und der beteiligten Paumldagogen stellt eine Missachtung der ihnen anvertrauten Kinder mit
ihren individuellen Wuumlnschen Vorstellungen Beduumlrfnissen und ihrer ganz persoumlnlichen Lebenswelt
dar und ist ein lebensentfremdendes Vorhaben das junge Menschen von einem sie erfuumlllenden gu-
ten Leben trennt
29
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31
Eidesstattliche Erklaumlrung
Ich erklaumlre hiermit an Eides Statt durch eigenhaumlndige Unterschrift dass ich die vorliegende Arbeit
selbstaumlndig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe die aus
fremden Quellen (einschlieszliglich elektronischer Quellen und dem Internet) direkt oder indirekt uumlber-
nommenen Gedanken sind ausnahmslos als solche kenntlich gemacht
Ich weiszlig dass bei Abgabe einer falschen Versicherung die Arbeit als nicht bestanden zu gelten hat
Herold 10042015
32
- Die zunehmende Verdraumlngung des freien Kinderspiels
- im Hessischen Bildungsplan
- Einleitung
- 1 Freies Kinderspiel - Wesensmerkmale
-
- 11 Das Moment der Freiheit
- 12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
- 13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
- 14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
- 15 Das Moment der Geschlossenheit
- 16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
- 17 Zusammenfassung
-
- 2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
-
- 21 Das Spielverstaumlndnis
- 22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
- 23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
- 24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
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- 3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
- 4 Zusammenfassende Gedanken
- Literaturverzeichnis
- Internetquellen
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Einleitung
bdquoDas menschliche Leben ist nur solange wirklich als es seine Darstellung in einem be-grifflich unverfuumlgbaren Spiel finden kann Faumlllt dieses Spiel aus sei es durch Gering-schaumltzung sei es dadurch daszlig der Mensch die Spielregeln nicht mehr anerkennen willoder kann verkommt das Leben zur wahnhaften Unwirklichkeit und zum bloszligen Spielʻdas alle Beteiligten zwingt und nichts mehr zeigtldquo (Kamper 1976 S 134 Herv iOrig)
In Zeiten der maszliggeblichen kognitiven bdquoMobilmachungldquo in Kindertagesstaumltten und Grundschulen
durch oumlkonomisch-technokratische Bildungsreformen scheinen gerade Spielraumlume des unverfuumlgba-
ren spontanen Spiels der Kinder zunehmend abhanden zu kommen (vgl Rittelmeyer 2007 S 7-13
u 97 ff)
Auch mein Sohn musste dies bis zu seinem Wechsel in eine Einrichtung freier Traumlgerschaft taumlglich
in einer Kindertageseinrichtung erleben und erfahren Mit Sorge beobachtete ich wie er annaumlhernd
taumlglich an diversen Angeboten zum Kompetenzerwerb Fruumlhfoumlrderungen oder anderen Programmen
der kognitiven Mobilmachung teilnehmen musste Der Alltag der Kinder in vielen Einrichtungen
ist so eng durchorganisiert dass kaum Zeit fuumlr freies Spielen bleibt So wird am Vormittag neben
Fruumlhstuumlck Morgenkreis Zwischenmahlzeit und Mittagessen meist nur ein Lernangebot unterbreitet
welches zwar so manches Mal bdquospielerischldquo erfolgt in dem jedoch vorrangig das Ergebnis nicht das
Beduumlrfnis der Kinder nach freiem Spiel an sich im Vordergrund steht Daruumlber hinaus muumlssen auch
alle Kinder an diesem Angebot teilnehmen da ansonsten die Aufsicht der nicht-teilnehmenden
spielenden Kinder aufgrund des geringen Personals nicht gewaumlhrleistet ist Die Erfolge und Ergeb-
nisse der Kinder werden dann in einer Art bdquoGalerieldquo im Garderobenbereich praumlsentiert und die El-
tern duumlrfen diese bewundern und bestaunen und stolz auf ihren Nachwuchs sein Zusaumltzlich zur Er-
gebnispraumlsentation koumlnnen sie den Lernerfolg ihres Sproumlsslings in einem eigens zu diesen Zwecken
angelegten Portfolio entnehmen Zeit fuumlr wirkliches freies Spielen bleibt kaum obwohl die Zeit da-
fuumlr laut Bildungsplan und Aussage der Erzieher fest eingeplant ist Lediglich in den kurzen bdquoPau-
senldquo zwischen den Mahlzeiten bzw dem Vormittagsangebot und nach der Nachmittagsmahlzeit
also in der Zeit bis die Kinder abgeholt werden duumlrfen sie sich frei in der Einrichtung oder im Gar-
tenbereich bewegen und nach Lust und Laune spielen Kann man da nicht von Gluumlck fuumlr das Kind
sprechen wenn seine Eltern es erst spaumlt am Nachmittag abholen sodass es noch viel Zeit zum frei-
en Spielen hat Ich als Vater frage mich Wie soll ein Kind in dieser festgelegten und vor allem ge-
ringen Zeit wie auf Knopfdruck frei spielen Welches Kind wuumlrde sich freiwillig solch einen Tages-
ablauf selbst waumlhlen und gestalten Warum steht das Erreichen von Bildungs- und Erziehungszielen
uumlber den Beduumlrfnissen der Kinder
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Aufgrund dieser Beobachtungen und Erfahrungen nehme ich an dass es einen Gegensatz zwischen
den Interessen und Beduumlrfnissen des Kindes nach selbst initiierter Lebenstaumltigkeit und den Anliegen
und Zielen von Staat und Wirtschaft bezuumlglich Bildung und Erziehung gibt welche zu einer Ver-
draumlngung des freien Kinderspiels in staatlichen Institutionen fuumlhrt Ich vermute dass die paumldagogi-
schen Ziele und Zwecke des intentional geplanten staatlichen Bildungs- und Erziehungsvorhabens
welches sich in den jeweiligen Bildungs- und Erziehungsplaumlnen der Bundeslaumlnder widerspiegelt
das freie (Kinder)Spiel verdraumlngen muumlssten weil sie durch oumlkonomisch-technokratisch Bildungsre-
formen gepraumlgt sind Diese Praumlgung ist in sofern oumlkonomisch als dass sich die Ansichten des Wirt-
schaftssektors dirigierend auf die Bildungsreform auswirken Und somit wird die staatliche Lern-
und Bildungsplanung unter Wirtschaftsstandort sicherndem Blickwinkel betrachtet die bdquoHeran-
wachsende gezielt auf bestimmte (meist kognitive) Schluumlsselqualifikationenʻ oder Grund-
kompetenzenʻ (zB den Umgang mit Informationstechnologien) vorbereitenldquo (ders S 8) soll
Technokratisch wird diese Bildungsintention dann wenn sie von einer rationalen Planbarkeit indivi-
dueller Bildungsprozesse ausgeht oder diese durch paumldagogisches Wirken beabsichtigt weshalb
selbsttaumltige Bildungsprozesse die im freien Spiel initiiert werden dem entgegen stehen (vgl ebd)
Im Gesamten handelt es sich dabei um die Einschraumlnkung jener Freiraumlume in denen - mit Schiller
gesprochen - Kinder noch im Sinne des Wortes Mensch sein koumlnnen in denen sie nach ihren Moumlg-
lichkeiten fuumlr ihre Beduumlrfnisse eigeninitiativ Selbstverantwortung uumlbernehmen und spielen Nach
Dietmar Kamper scheint der Mensch in dieser verplanten Welt aber selbst auf dem Spiel zu stehen
weil er nicht mehr spielen kann Laufen wir Gefahr uns selbst in dieser wahnhaften Unwirklichkeit
in bloszligen Spielen allmaumlhlich selbst zu verspielen und houmlren vielleicht auf Mensch zu sein Diese
Wortspielchen sind doch nur bloszlige Spielerei koumlnnte man sagen und als das waumlren sie unernst also
bedeutungslos oder Spielerei eben Leere bloszlig aneinandergereihte Wortanalogien ohne wesentli-
chen Zusammenhang oder nicht Unernst ist doch eben bloszlig als-ob und eigentlich nur ein Spiel-
chen und deshalb ohne Gehalt (Vgl Kamper 1976 S 130-145) Aber eines machen diese Wort-
spiele schon deutlich dass das Spiel mit Worten zu fassen eine kaum spielerische (in beiden Sinnen
des Wortes) Angelegenheit sein wird Aber ist das Spiel ohne es zu spielen uumlberhaupt zu erfassen
Jedenfalls gespielt wird die Floumlte der Ball oder mit dem Wind aber auch in Gedanken oder eben
mit Worten aber auch das Spiel der Wellen ist Spiel auch das Liebesspiel scheint wie das Kinder-
spiel zumindest vom Wort ein aumlhnliches aber vielleicht sogar ein wesensgleiches Phaumlnomen zu um-
schreiben zu um-spielen
Dieser hinter dem Spiel liegende bdquoKosmosldquo ist grundlegend fuumlr die vorliegende Arbeit Ich bin da-
von uumlberzeugt dass (Kinder)Spiel weitaus mehr ist als unernstes oder unproduktives Tun es auch
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mehr ist als eine geschickte natuumlrliche Vorbereitung auf das Leben die dann von Bildungsinstitutio-
nen als guumlnstiges Mittel bdquokompetenzenfoumlrderndldquo eingesetzt wird wie es haumlufig den Bildungsdiskus-
sionen in oumlffentlichen Medien zu entnehmen ist Und ich bin uumlberzeugt davon dass das Spiel der
Wellen im Wesentlichen den gleichen Prinzipien folgt und im gleichen Modus verlaumluft wie das
Jonglieren von Baumlllen oder das Feuerwehrmannspiel spielender Kinder Deshalb wird es im ersten
Teil dieser Arbeit das Ziel sein Spiel von seinem Wesen aus phaumlnomenologisch zu beschreiben
moumlglichst ohne das Spiel auf moumlgliche Funktionen oder psychologische Effekte zu verengen Diese
Wesenszusammenhaumlnge ermoumlglichen es dann das Spiel als ein eigens initiiertes und durch Selbstor-
ganisation gesteuertes Geschehen anerkennen zu koumlnnen dass sich zwischen Zufall und Notwen-
digkeit ereignet und keiner Mittel-Zweck-Logik der buumlrgerlichen Gesellschaft folgt
Eine solche weitreichende uumlber den Funktionen und Nutzen liegende Begriffsbestimmung bzw
Phaumlnomenbeschreibung des Begriffes bdquoSpielldquo sehe ich als grundlegend an um ein Verstaumlndnis fuumlr
die Voraussetzungen des freien Spiels als selbstinitiiertes Geschehen zu entwickeln und um darzule-
gen weshalb es dem Menschen ein Beduumlrfnis ist freie Zeit mit Spiel zu gestalten Daraus lassen
sich dann generelle Aussagen ableiten wie freies (Kinder)Spiel moumlglich ist oder wodurch es verhin-
dert wird
Diese Begriffsbestimmung dient als Grundlage fuumlr den zweiten Teil dieser Arbeit Darin werde ich
anhand des Hessischen Bildungs- und Erziehungsplanes aufzeigen dass die Verdraumlngung von frei-
em Spiel bereits in den Bildungsplaumlnen der Laumlnder wurzelt und somit politisch und paumldagogisch
motiviert ist Welche Auswirkungen und Folgen eine solche Verdraumlngung haben kann wird eben-
falls dargestellt
Abschlieszligend stelle ich im dritten Teil dieser Arbeit eine bdquoandereldquo Idee von Bildung vor Eine Bil-
dung die eher als bdquoBegleitungldquo beschrieben werden kann und in der die Kinder ihrem Beduumlrfnis
und Drang nach freiem Spiel nachkommen koumlnnen Dazu wird ansatzweise das Konzept der Freien
Demokratischen Schulen vorgestellt in denen die Kinder in ihren Interessen und Beduumlrfnissen ge-
achtet entsprechend begleitet werden und in denen der Freiraum zum Spiel bewusst erhalten wird
1 Freies Kinderspiel - Wesensmerkmale
Die Frage danach was Spiel ist laumlsst sich meiner Meinung nach nicht mit einer eindeutigen im
Sinne einer allgemein guumlltigen alle Bereiche des Lebens1 einschlieszligenden Definition leisten die
1 Die bdquoBereiche des Lebensldquo umfassen die materielle biologische und geistige Welt mit all ihren wechselseitigenProzessen und unzaumlhligen Erscheinungsformen zu der zB auch die Evolution nur als ein einzelner Prozess inner-halb dieser Dreigliedrigkeit (Materie Natur Geist) zaumlhlt
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auch von den verschiedenen Wissenschaften wie beispielsweise der Biologie der Physik oder der
Paumldagogik akzeptiert wird2 Aber Spiel ist eben weit mehr als unernstes bzw unproduktives Zeit-
vertreiben junger Menschen bzw Tiere Auch ist es mehr als eine Voruumlbung (Einuumlbung von
Kompetenzen oder Sozialverhalten etc) auf das Leben und es stellt mehr als einen Entlastungspol
fuumlr den Koumlrper bzw das Lebens dar Auch ist es mehr als eine auf Trieben basierenden Befriedi-
gungshandlung und es ist auch mehr als ein Medium zum bdquospielerischen Lernenldquo etc Zwar sollen
diese das Spiel sicherlich betreffenden Begleiterscheinungen nicht negiert werden aber sie bdquospie-
lenldquo innerhalb des im Weiteren noch naumlher zu beschreibenden bdquonatuumlrlichen Spielsldquo eine eher beige-
ordnete Rolle als Nebenerscheinung die im Umfang dieser Arbeit nur am Rande beispielhaft Er-
waumlhnung finden koumlnnen3
Mein Bestimmungsversuch des Begriffes bdquoSpielldquo wird zwar von der Betrachtungsweise des Spiels
als bdquoUrphaumlnomenldquo (Hans Scheuerl) bzw als Prinzip des Lebendigen4 inspiriert sein sich aber im ei-
gentlichen auf den Bereich des Kinderspiels beschraumlnken Diesbezuumlglich soll der von Johan Huizin-
ga in seinem Buch bdquoHomo Ludens Vom Ursprung der Kultur im Spielldquo entwickelte Definitionsvor-
schlag als Ausgangspunkt fuumlr eine Begriffsbestimmung des freien Kinderspiels dienen wenngleich
er wie ein anschlieszligender aktueller Definitionsvorschlag von Ursula Stenger zeigen wird nicht alle
wesentlichen Aspekte des Spiels beinhaltet
bdquoDer Form nach betrachtet kann man das Spiel [hellip] eine freie Handlung nennen dieals nicht so gemeintʻ und auszligerhalb des gewoumlhnlichen Lebens stehend empfunden wirdund trotzdem den Spieler voumlllig in Beschlag nehmen kann an die kein materielles Be-duumlrfnis geknuumlpft ist und mit der kein Nutzen erworben wird die sich innerhalb einer ei-gens bestimmten Zeit und eines eigens bestimmten Raums vollzieht die nach bestimm-ten Regeln ordnungsgemaumlszlig verlaumluft und Gemeinschaftsverbaumlnde ins Leben ruft die ih-rerseits sich gern mit einem Geheimnis umgeben oder durch Verkleidung als anders vonder gewoumlhnlichen Welt abhebenldquo (Huizinga 2004 S 22 Herv i Orig)
bdquoDas Spiel zeichnet sich durch raumlumliche und zeitliche Begrenztheit durch Wiederhol-barkeit und Einmaligkeit aus es durchbricht das normale alltaumlgliche Leben baut sichunverfuumlgbar und ereignishaft auf setzt dabei auch Handlungs- und Denkformen des All-tags auszliger Kraft und entlaumlsst den Spielenden dann wieder in sein gewoumlhnliches Lebenldquo(Stenger 2014 S 267)
In Johan Huizingas Definitionsversuch wird im Vergleich zur zweiten Definition von Ursula Sten-
ger die Frage ob Spiel als bdquofreie Handlungldquo eher als Taumltigkeit oder als Geschehen aufzufassen ist
nicht deutlich Dieser spaumlter im Kapitel bdquo14 Das Moment der Ambivalenzldquo noch detaillierter be-
schriebene Aspekt des Spiels ist gerade fuumlr das freie Spiel von ganz entscheidender Bedeutung
2 Vgl Scheuerl 1988 S 32-52 ebenso Miller-Kipp 2005 S273 277-279 auch Flitner 2002 S 13-253 Vgl Huizinga 2004 S 9-12 ebenso Scheuerl 1990 S 109-111 auch Flitner 2002 S 195-1974 Vgl Miller-Kipp 2005 ebenso Bonet 1993 aumlhnlich auch Huizinga 2004
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denn die sich aus der naumlheren Analyse ergebenden Voraussetzungen und Grundlagen fuumlr gelingen-
des freies bzw bdquonatuumlrlichesldquo Spiel werden ersichtlich machen aus welchem bdquoStoffldquo die schon an-
genommene Freiheit ist und mit welchem Verlaufsmuster dh mit welcher Strategie sich diese Frei-
heit im Spiel organisiert weshalb letztlich auch zwischen Taumltigkeit und Geschehen zu unterschei-
den ist Dazu wird noch ein weiterer Aspekt dieser bdquofreien Handlungldquo ganz zu Anfang naumlher zu be-
schreiben sein denn es gibt mehrere Ebenen auf denen verschiedene Qualitaumlten von Freiheit beste-
hen naumlmlich die Freiheit von der Lebensfuumlrsorge als bdquoFreiraumldquo zum Spiel und die schon erwaumlhnte
Freiheit als Ambivalenz im Spiel Beide Definitionsversuche sind aber auch insofern nicht bdquoganz-
heitlichldquo umfassend da sie lediglich auf Spiel als Verhalten von Menschen abzielen also anthropo-
zentrisch sind und sich somit nicht auf andere Wissenschaften uumlbertragen lassen Da das Spiel aber
auch von elementarer Bedeutung fuumlr nicht-paumldagogische Wissenschaften ist waumlre eine ganzheitli-
che Definition dienlich um entscheidende Parallelen zwischen den verschiedenen Forschungsgebie-
ten ziehen zu koumlnnen und die im Spiel zweifelsohne enthaltenen Potenziale nicht bdquoaufs Spiel zu set-
zenldquo und letztlich bdquozu verspielenldquo So konnten beispielsweise aktuelle naturwissenschaftliche Er-
kenntnisse zum bdquonatuumlrlichenldquo Spiel besonders uumlber die unverfuumlgbaren eigentuumlmlichen Momente
des Spiels naumlmlich die Kreativitaumlt die Phantasie die Spontanitaumlt die Unordnung den Unsinn den
Zufall und die Freiheit zeigen welch grundlegende Bedeutung ihnen im Spiel zukommen sodass
auch weitreichende Konsequenzen fuumlr die Paumldagogik daraus abgeleitet werden koumlnnen So sollte
beispielsweise auf der Handlungsebene das Geschehen des Spiels vernuumlnftigerweise abgewartet
werden damit etwas zwischen Zufall und Notwendigkeit selbstgesteuert daraus erwachsen kann
Und nicht wie bisher versucht wird das Spiel quasi als bdquoListldquo geplant und kontrollierbar von auszligen
zu erzeugen um daraus zB einzelne Kompetenzen vermeintlich herzustellen die dem aktuellen
Zeitgeist nach als bedeutend angesehen werden (vgl Miller-Kipp 2005 S 273-285) Ich sehe es als
entscheidend an die Verwandtschaft der wesentlichen Momente des Spiels mit dem Evolutionsprin-
zip aufzuzeigen um daraus ableitbare Konsequenzen und Voraussetzungen fuumlr das bdquonatuumlrlicheldquo
Kinderspiel ersichtlich machen zu koumlnnen An gegebener Stelle werde ich diese skizzierten Aspekte
nochmals vertiefend aufgreifen Zunaumlchst jedoch werde ich mich ausgehend von Hans Scheuerls
Standardwerk der Paumldagogik uumlber das Spiel5 mit den von ihm untersuchten Spielphaumlnomenen und
ihrem gemeinsamen Wesenszusammenhang befassen Hierbei ist es mein Anliegen das
(Kinder)Spiel weitestgehend nach seinem Wesen mit seinen grundlegenden Eigenheiten zu be-
schreiben und nicht nach seiner moumlglichen Funktion oder seinem Zweck fuumlr den Menschen zu fra-
gen Mit der Vermeidung eines auf Funktionen und Zwecken orientierten Erklaumlrungsversuch zu der
5 Scheuerl Hans Das Spiel - Untersuchung uumlber sein Wesen seine paumldagogischen Moumlglichkeiten und Grenzen 11Aufl Weinheim und Basel 1990
6
Frage was Spiel ist zielt mein Beschreibungsversuch darauf ab die Ebene der verschiedenen Spiel-
formen mit ihren Nutzen zu verlassen und in uumlbergeordneter Ebene das Spiel allgemeinguumlltiger er-
fassbar zu machen Dadurch sollen die bereits angedeuteten tieferen Zusammenhaumlnge des Spielphauml-
nomens ersichtlich werden woraus sich bdquoneueldquo Relevanzen fuumlr unsere Lebensfuumlhrung ableiten las-
sen Diese grundlegenderen Zusammenhaumlnge und die sich daraus ergebenden Konsequenzen oder
Relevanzen werden auch im Weiteren fuumlr die Argumentationslinie dieser Arbeit leitend sein
Auch Hans Scheuerls Ziel war es zunaumlchst zu einer grundlegenden Wesensbestimmung des Spiels
zu gelangen Dafuumlr unterteilte er das Spielgeschehen in sechs Wesensmomente naumlmlich in
Freiheit innere Unendlichkeit Scheinhaftigkeit Ambivalenz Geschlossenheit und Ge-
genwertigkeit (vgl Scheuerl 1990 S12-16 65-67) Aber auch durch diese Gliederung laumlsst sich
nicht bestimmt klaumlren was Spiel ist (vgl ders S 102) Daruumlber jedoch wie freies Kinderspiel
moumlglich wird gibt sein phaumlnomenologischer Deutungsversuch detailliert Aufschluss Daher wird
dieser im Folgenden kurz vorgestellt
11 Das Moment der Freiheit
Spielen geschieht nach Hans Scheuerl um seiner Selbst Willen bdquoSpiel verfolgt keinen auszligerhalb
seiner selbst liegenden Zweckldquo (Scheuerl 1990 S67)
Spiel ereignet sich somit nicht um etwas zu erschaffen zu erledigen zu verrichten zu erlernen
usw obwohl im Spiel zuhauf geschaffen errichtet gestaltet erledigt erlernt usw wird Ein Kind
das im Spiel bspw Baukloumltze aufeinander stapelt spielt dies nicht damit es einen geschickten Um-
gang damit erlernt sondern weil es Freude am lustbetonten Spielen hat Das Spielgeschehen ereig-
net sich also zweckfrei ist aber kein willkuumlrliches Ereignis oder sinnfreie Betaumltigung sondern es ist
bdquovon innerer Zweckmaumlszligigkeitldquo (ders S69) durchdrungen dh es folgt eigenen Regeln individuel-
len Absprachen Grenzen Zielen lustvollem Erleben usw und sei es beim spielenden Kind beim
Katzenjungen Fuszligballspieler oder Musiker Ihr Spiel wird stets mit Ernst und besonderem Eifer be-
trieben
bdquoSoll sein Spiel gelingen so muszlig er [der Spielende MG] sich ihm widmen koumlnnen alsgaumlbe es nichts auszliger diesem Spiel auf der Welt Eine aumlhnliche selbst- und weltvergesse-ne Hingabe verlangt das Spiel auch schon vom Kindeldquo(ders S67)
Diese voumlllige Hingabe beinhaltet Sorgenfreiheit ohne die das Spielen nicht moumlglich waumlre Die Spie-
lenden muumlssen fuumlr eine gewisse Zeit frei von ihrer unmittelbaren Lebensfuumlrsorge des bdquoDaseins-
kampfesldquo (Scheuerl) sein Dadurch entsteht ein Freiraum in Form von frei verfuumlgbarer Zeit und in
7
diesem bdquoRaumldquo ereignet sich Spiel (vgl ders S 67- 69)
Somit ist es auch kaum verwunderlich dass besonders den Nachkommen einer Art dieser besondere
Freiraum in hohem Maszlige zuteil wird Der Biologe und Anthropologe Adolf Portmann weist dazu in
einem seiner Beitraumlge zum Spiel6 darauf hin dass diese freie Zeit durch Spiel zu sinnvoll erfuumlllen-
der gestalteter Zeit (Vgl Portmann 1976 S60 vgl dazu auch S 68 und 71) wird und somit fuumlr
ein erfuumllltes Leben grundlegend sei Im Gegensatz zu einigen Spieltheorieansaumltzen7 die dem Spiel
ausschlieszliglich Erhaltungswert beimessen dient das Spiel Portmann zufolge mehr als nur dem Er-
haltungswert Aktuelle biologische Forschung hat hierzu offengelegt dass nur bei houmlheren Lebewe-
sen mit Entfaltung der Innerlichkeit im Sinne einer bdquoPsycheldquo aumluszligerlich verborgenes Erleben8 ent-
steht und dass es erst durch dieses Erleben von subjektiver Wirklichkeit (vgl Portmann 1976 S
58-61) zu bdquolustbetontem Verhalten [kommt] das nicht unmittelbar der Lebenserhaltung dient - es
begegnet uns erlebtes erstrebtes Spielenldquo (ders S60) Portmann beschreibt Spiel demnach wie
folgt
bdquoSpiel ist freier Umgang mit der Zeit ist erfuumlllte Zeit es schenkt sinnvolles Erleben jen-seits aller Erhaltungswerte es ist ein Tun mit Spannung und Loumlsung ein Umgang miteinem Partner der mit einem spielt - auch wenn dieser Partner nur der Boden ist oderdie Wand welche dem Spielenden den elastischen Ball zuruumlckwerfen Dieses Spiel setztetwas besonderes voraus einen Zeitraum ohne Sorge []ldquo (ebd)
Adolf Portmanns These dass bei houmlheren Lebewesen sinnvoll erfuumlllende Gestaltung von sorgenfrei-
er Zeit durch Spiel geschieht hat somit allgemeine Bedeutung auch fuumlr unsere eigene Daseinsfuumlh-
rung Denn
bdquo Spielʻ ist die lustvolle von Erhaltungssorge freie also zweckfreie aber sinnerfuumlllteZeitldquo (ders S 68 Herv i Orig)
bdquoVolles Leben ist nicht allein Gestaltung von Stoff von Materie Leben ist Umgang mitZeit ist Gestaltung von Zeit ist Sinngebung fuumlr leere Uhrenzeitldquo(ders S 60)
Portmann hebt das freie Spiel als gestaltete Zeit auf die Ebene der Grundbeduumlrfnisse und macht es
fuumlr ein sinnvoll erfuumllltes wahrhaft gutes Leben zur Bedingung (vgl ders S 66-72)
6 Portmann Adolf Das Spiel als gestaltete Zeit In Der Mensch und das Spiel in der verplanten Welt Hg Bayeri -sche Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1976
7 Kraftuumlberschusstheorie (H Spencer) Erholungstheorie (M Lazarus) Katharsistheorie (K Gross) Entwicklungs-psychologie (J Piaget) (vgl Kluge 1981 S 15 und 31)
8 Gemeint ist dass mit steigender Gestaltungshoumlhe der Lebewesen subjektives Erleben moumlglich ist also dass durchdas Zentralnervensystem und die Sinnesorgane reiche Umweltbeziehungen entstehen Diese Entwicklung hat sichbeim Menschen bis zur geistigen Lebensform gesteigert (vgl Portmann 1976 S 59-61)
8
12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
Kinder zeigen in ihrer Alltaumlglichkeit kontinuierlich einen Drang zum Spielen Ein Kind - und si-
cherlich nicht nur es allein - hat offenbar ein Beduumlrfnis nach freiem Spiel Scheuerl benennt diese
Begebenheit als triebhafte Tendenz zum Spiel (Vgl Scheuerl 1990 S 71) bdquoEs gibt zweifellos
einen Zwang zum Spielldquo (ebd Herv i Orig) Nach ihm muumlssen Kinder wenn sie gesund aufwach-
sen sollen sogar spielen um nicht psychisch und physisch zu erkranken Insofern kann sogar von
einem gewissen bdquoSpieltriebldquo (Vgl ders S 73) als Tendenz zum Spiel gesprochen werden Dieses
Spielbestreben weist aber letztlich ein anderes Wesen als andere menschliche Tendenzen (Triebe)
zur Beduumlrfnisbefriedigung auf und muss davon unterschieden werden Denn die letztlichen Tenden-
zen im Spiel sind keine gewoumlhnlichen Beduumlrfnisbefriedigungen durch Triebverhalten also keine de-
terminierten triebhaften Handlungen die zweck- oder zielorientiert sind Statt dessen sind sie situa-
tiv sowie individuell variabel und vor allem in sich zirkulaumlr Denn die Befreiung von Beduumlrfniss-
pannungen also dem bdquo[s]ich allen Erregungen und Drang-Erlebnissen gegenuumlber den Frieden ge-
benldquo (ders S 70) zielt auf das Ende der Spannung ab die das nicht erfuumlllte Beduumlrfnis triebhaft
ausloumlste So etwa moumlchte man zB bei Hunger oder Durst Saumlttigung bzw Stillung herbei fuumlhren
Alle triebhaften Handlungen zielen demnach tendenziell auf die Befriedigung des sie hervorbrin-
genden Beduumlrfnisses ab und somit auf ihr eigenes Ende In dieser Tendenz die sich auf das Ende
der beduumlrfnisbefriedigenden Handlung hin ausrichtet liegt nun zum Spiel der wesentliche Unter-
schied Der bdquoSpieltriebldquo will keine Befriedigung bdquoer kann nicht gesaumlttigtʻ werdenldquo (ders S 73)
Sein Initialzweck ist vielmehr die Beseitigung aller Spielhindernisse - deshalb auch triebhafte Ten-
denz zum Spiel Aber sobald eine konkrete Spielidee im Kind aufkeimt und es beginnen kann sich
entschieden und mit groumlszligtem Eifer ihr zu widmen um darin voumlllig selbst aufzugehen als ob es nur
dies Eine auf Erden gaumlbe und das Spiel niemals enden duumlrfe wird das Wesensmerkmal der inneren
Unendlichkeit erkenntlich bdquoDa ist nichts was auf ein Ende draumlngt nichts was den Zustand des
Spielens aufheben moumlchteldquo (ders S 71 )
bdquoDas Spiel kann innerhalb seines Freiraums gekennzeichnet werden als Bewegung voninnerer Unendlichkeitʻldquo (ders S74)
Ist ein Spiel erst einmal im Gange will es ewig fortgesetzt werden Es strebt seiner eigenen inneren
Unendlichkeit entgegen einem nicht endenden zirkulaumlren bdquoZustandldquo Und von da an gleicht der
bdquoSpieltriebldquo als Spielerscheinung in seiner Tendenz auch keiner zielorientierten Zweck- oder Be-
duumlrfnishandlung mehr weshalb genau genommen nicht von gewoumlhnlicher Beduumlrfnisbefriedigung
durch Triebverhalten gesprochen werden kann Das Spiel ist also dem Wesen nach eine staumlndige
Spielbewegung (Scheuerl) quasi ein Perpetuum mobile Ein Kind spielt nicht bis es das Spielen
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satt hat oder vom Spielen uumlbersaumlttigt ist sondern es beendet erst sein Spielen wenn es durch aumluszliger-
liche Faktoren (zB Beduumlrfnisse Noumlte Verpflichtungen jeglicher Art etc) dazu gedraumlngt wird (vgl
ders S 70-77)
13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
Das frei von Zwecken und Triebdruck voumlllig in sich selbst versunkene unendliche Spiel spielende
Kind wird durch die Hingabe an die eigene Phantasie kreativ wird lebendig Die Einbildungskraft
erschafft und gestaltet eine eigene Phantasiewelt in der Form einer bdquoAls-obldquo-Realitaumlt (Scheuerl)
Die durch Spielerphantasie konstruierte bdquoScheinweltldquo (Scheuerl) nimmt dabei die Bedingungen ih-
rer Umwelt wie beispielsweise reale Gegenstaumlnde und Objekte und ihre Materialitaumlt auf und erwei-
tert diese bdquoGegenstaumlndeldquo ggf bis zum imaginaumlren rein symbolischen Spielmittel damit es der
Spielidee und ihrem Fortgang moumlglichst dienlich ist
Die gesamte Phantasiespielwelt wird somit nach eigenen Vorstellungen von nah am objekthaften
(abbildnah) bis fernab der im weitesten Sinne materiellen Realitaumlt (abstrakt) konstruiert und kann
mit eigenen Gesetzmaumlszligigkeiten und Zusammenhaumlngen gestaltet werden Die entstehenden spieleri-
schen Inszenierungen enthalten in ihrer Spielidee auch fortwaumlhrend aktuelles Geschehen und die
Eindruumlcke der Kinder dazu wodurch es auf diesem Weg zur spielerischen Auseinandersetzung da-
mit kommt So kann zB ein vom Kind miterlebtes Hochwasser in der eigenen Region zur aufge-
griffenen Spielidee fuumlhren Ein verwittertes Stuumlck Holz etwa koumlnnte dem spielenden Kind als Sym-
bol des Rettungsbootes dienen das sich mit seinen imaginaumlren Insassen in einer dramatischen Ret-
tungsaktion im Hochwassergebiet befindet In solchen Spielszenen ist haumlufig beobachtbar dass es
beim Spielen nicht um abbildhaftes realitaumltsgetreues Nachspielen des eventuell Erlebten geht Son-
dern vielmehr darum dass sich das spielende Kind aktiv im Spiel zwar mit Erlebtem auseinander-
setzt im Sinne der bdquoScheinhaftigkeitldquo und des Unendlichkeitscharakters des Spiels aber rein aus
Freude am lustbetonten gestalteten Spielen die Spielhandlung ritualhaft wiederholt In diesem Sin-
ne wuumlrden beispielsweise immer wieder Insassen aus dem Boot geschleudert die es dann aufs Neue
zu retten gaumllte wodurch das Spiel zirkulaumlr bestaumlndig zumindest solange fortdauern koumlnnte bis neue
Spielideen oder von auszligen kommende Faktoren es abloumlsen oder beenden Spielern aber auch Zu-
schauern (zB im szenischen Spiel) erscheint diese Phantasiewelt von der materiellen Realitaumlt los-
geloumlst und die uumlber den Dingen schwebende bdquoScheinhaftigkeitldquo des Spiels (Scheuerl) kann Betrach-
ter und Akteure gleichfalls in ihren faszinierenden Bann ziehen sofern ihnen der Zugang zur eige-
nen Phantasie nicht von auszligen bdquoversperrtldquo ist (vgl Scheuerl 1990 S 77- 85)
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14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
Jeder Spielende versucht sein Spiel bestaumlndig aufrecht zu erhalten9 Dafuumlr baut er im Spiel ein
Spannungsverhaumlltnis also einen inneren bdquoSpielraumldquo als Modus von selbstregulierter Freiheit auf
Die entstehende Autonomie (Freiheit) im Spiel besteht nun in der Ambivalenz zwischen sich zufaumll-
lig ergebendem Neuen Unbekanntem oder neu Gestaltetem (zB neue Passage am Kletterfels oder
die sich staumlndig neu ergebenden Flugbahnen der jonglierten Baumllle etc) und notwendig Festgeleg-
tem Bekanntem oder Begrenzendem (zB Regeln beherrschte Kletterpassage die bestaumlndige Form
und das Gewicht der Jonglierbaumllle die eingeuumlbte Jongliertechnik etc) Der Spielende versucht da-
bei permanent sein Spiel in Balance zwischen diesen beiden bdquoPolenldquo zu halten um es einerseits
stets durch bdquoNeuesldquo interessant zu gestalten und es andererseits durch bdquoBekanntesldquo zu stabilisieren
Die Dominanz einer Seite wuumlrde das Spiel abbrechen also beenden Denn ein zu viel an Neuem
noch zu Entdeckendem wuumlrde dem Spiel ein Uumlbergewicht an Wagnis Raumltselhaftigkeit Moumlglichkei-
ten oder Schwierigkeit verleihen und ein zu viel an bereits Entdecktem Begriffenem oder Begren-
zung wuumlrde das Spiel etwa vorhersehbar und eindeutig machen oder es einengen bdquokanalisierenldquo
(Scheuerl eindimensionale Zweckhandlung) sodass jede von ihm ausgehende Spannung und Spiel-
freude verloren ginge (vgl Scheuerl 1990 S 86-90)
bdquoSo bedarf das Spiel einer maszligvollen Spannung Spannungslosigkeit waumlre der Tod fuumlrdas Spiel Andererseits wuumlrde eine zu hohe Spannung sogleich einen auf Beendigungder Spannung gerichteten Befriedigungswunsch hervorrufen der die Ambivalenz uumlber-waumlltigen muumlszligteldquo (ders S 88 Herv i Orig)
Veranschaulicht darstellen laumlsst sich diese Ambivalenz zwischen Zufall und Notwendigkeit im Spiel
auch am Beispiel des Wuumlrfelns mit einem sechsseitigem Zahlenwuumlrfel Dabei besteht der Zufall in
der Wahrscheinlichkeit mit der eine der sechs Zahlen gewuumlrfelt wird und die Notwendigkeit be-
steht darin dass eine gewuumlrfelte Zahl immer im einschlieszligenden Bereich von eins bis sechs liegen
wird Somit begrenzen die festgelegten sechs Seiten des Wuumlrfels wie eine Regel das zufaumlllige Ein-
zelergebnis und steuern quasi bdquoselbstorganisiertldquo die Konsequenzen des Zufalls wodurch er statis-
tisch moumlglich dh wahrscheinlich wird (vgl Miller-Kipp 2005 S 281-282)
Nach Gisela Miller-Kipp10 ist dieses selbstgesteuerte Spannungsverhaumlltnis von ganz urspruumlnglicher
Relevanz Sie sieht einen Zusammenhang zwischen dem bdquoSpiel der Evolutionldquo dem Modus von
Freiheit zwischen Moumlglichem und Wahrscheinlichem und dem (menschlichen tierischen) Spiel als
9 vgl dazu bdquo12 Moment der inneren Unendlichkeitldquo in dieser Arbeit S 9 f10 Miller-Kipp Gisela Zufall Selbstorganisation und Kreativitaumlt Ein Versuch uumlber die Natur des Spiels wider seine
Paumldagogisierung In Bilstein J Winzen M Wulf C (Hg) Anthropologie und Paumldagogik des Spiels Weinheimund Basel Beltz Verlag 2005 S 273-291
11
einem lebendigen Teil dessen Naturwissenschaftliche Forschungen uumlber die Evolution haben seit
fast einem Jahrhundert die dazu grundlegenden Wesenskraumlfte im Evolutionsprozess definiert Diese
Wesensmerkmale sind Kreativitaumlt und Zufall (vgl dies S 281-285) Elfriede Maria Bonet fuumlhrt in
ihrem Aufsatz zum Spiel bdquoVon Autonomie und Spontanitaumlt Eine Naturgeschichte des Spielsldquo11 aus
dass Selbstorganisation eine relative Unabhaumlngigkeit von aumluszligeren Reizen bewirkt (Autonomie)
weshalb Spontanitaumlt als Strategie zur Selbststeuerung entsteht Diese Entwicklung von Selbstorga-
nisation mit Spontanitaumlt zur Selbststeuerung bildet ihr zufolge das kreative Moment im Evolutions-
prozess welches fuumlr das Auftreten neuer nicht voraussagbarer Qualitaumlten bzw neuer bdquoFormenldquo
oder Variationen aus dem Vorhandenen entstehen laumlsst (Emergenz12) Das daraus entstehende neue
Ganze waumlre bildlich gesprochen demnach mehr als die Summe seiner einzelnen Teile (frei nach Ari-
stoteles) Da es fuumlr menschliches aber auch tierisches Verhalten charakteristisch ist dass aufgrund
von Autonomie Spontanitaumlt entsteht erkennt Bonet darin die systemische Wesensverwandheit von
Spiel und Evolution (vgl Bonet S35ff) Diese Annahme deckt sich insofern auch mit dem Stand-
punkt derzeitiger Evolutionsforschung denn darin bdquowird die Evolution der materiellen und biologi-
schen Welt als einheitlicher Prozess angesehen der nicht determiniert ist und nicht deterministisch
ndash oder im alten Sinne mechanisch ndash ablaumluft Er spieltʻ wie es heiszligt [hellip]ldquo (Miller-Kipp 2005 S
280 Herv i Orig) Daraus folgt dass die bdquonatuumlrliche ndash physikalische und biologische ndash und kultu-
relle Evolution strukturell miteinander gekoppelt [sind] laufen also weder unabhaumlngig voneinander
noch in determinierender Kausalitaumlt zueinander abldquo (ebd Herv i Orig) Das schlieszligt somit das
Spiel des Menschen als bdquoKulturfaktorldquo13 und bdquoUrprinzipldquo (Huizinga) in diesen offenen Prozess ein
denn bdquoes [das Spiel MG] wurzelt in der Natur als der natuumlrlichen (der materiellen und der biologi-
schen) Evolution und traumlgt deren Momente in sich auch im Kulturprozessldquo (Miller-Kipp 2005 S
281) Auf dieser Grundlage wird derzeit die kreative Selbststeuerung auch als ursaumlchlich fuumlr den ge-
waltigen Formen- und Artenreichtum der Natur angesehen (vgl dies S 273-285 vgl dazu auch
Bonet 1993 S 35 ff) Auf das bdquonatuumlrlicheldquo (Kinder)Spiel bezogen bedeutet dies dass auch aus
dem Spiel in seinen Formen und Funktionen heraus Emergenzen entstehen Diese neuen unvorher-
11 Bonet Elfriede Maria Von Autonomie und Spontanitaumlt Eine Naturgeschichte des Spiels In Baatz U Muumlller-Funk W (Hg) Vom Ernst des Spiels uumlber Spiel und Spieltheorie Berlin Dietrich Reimer Verlag 1993 S35- 47
12 bdquoEmergent So bezeichnet man systemische Eigenschaften die nicht aus den Komponenten eines Systems abgelei-tet oder vorhergesagt werden koumlnnen Systeme sind in erster Linie relationale Tatsachen Dinge die auf den Bezie-hungen beruhen welche die Elemente des Systems zueinander einnehmen Als solche besitzen sie Eigenschaftendie gegenuumlber den Eigenschaften ihrer Komponenten oder Elemente emergent sind Nach Luhmann ist das Sozialeeine emergente Eigenschaft und als solches nicht aus den Eigenschaften seiner Elemente der psychischen Systemeableitbar Sozialitaumlt ist eine houmlherstufige Eigenschaft die auf den Beziehungen zwischen Menschen beruht In derBewusstseinsphilosophie behauptet der so genannte Emergentismus die Emergenz von Bewusstsein Hat die Kom-plexitaumlt bestimmter biologischer Systeme einen bestimmten Grad erreicht stehen insbesondere Nervenzellen aufvielfaumlltige Weise miteinander in Beziehung so tritt in der Geschichte der Evolution Bewusstsein als emergente Ei-genschaft dieser biologischen Systeme aufldquo (bdquoemergentldquo In UTB-Online-Woumlrterbuch Philosophie)
13 Huizinga geht davon aus dass Kultur (Sprache Gemeinschaftsleben Brauchtum Essen Sitten Kunst ReligionRechtsleben etc) in Form von Spiel entsteht (vgl Huizinga 2004 S7-13 56-58)
12
sagbaren Erscheinungen (Qualitaumlten) sind so vielfaumlltig dass sie dem von der Natur hervorgebrach-
ten Artenreichtum gleichen und in ihrer Qualitaumlt fuumlr das Individuum die vielfaumlltigsten und komple-
xesten Funktionen und Nutzen bereithalten
Nach meiner Auffassung werden die beschriebenen Wesenszusammenhaumlnge von Spiel und Evoluti-
on besonders in dem Modus von Freiheit als Ambivalenz im Spiel ersichtlich da die grundlegenden
evolutiven Momente naumlmlich Kreativitaumlt Selbstorganisation und Spontanitaumlt auch die wesentlichen
Schaffenskraumlfte menschlichen Handelns und des erlaumluterten Spannungsverhaumlltnisses im Spiel sind
In Anlehnung an Miller-Kippacutes und Bonetacutes Deutungsversuche zum Spiel ist das freie im obigen
Sinne natuumlrliche Kinderspiel als Modus von selbstregulierter Freiheit eine wesensgemaumlszlige kreatuumlrli-
che bdquoTaumltigkeitldquo des Menschen die sich ereignet bzw die geschieht und nicht verrichtet oder erzeugt
werden kann Die diesem bdquoSpielgeschehenldquo (Scheuerl) innewohnenden unverfuumlgbaren wesentli-
chen Momente sind demnach sowohl die Grundbedingung fuumlr das Spiel selbst als auch Vorausset-
zung fuumlr die Vielfaumlltigkeit im Spielprozess Fraglich ist an dieser Stelle ob ein intentional geplantes
Erziehungs- und Bildungsvorhaben diesen Entwicklungsspielraum mit vielfaumlltigsten Erfahrungs-
moumlglichkeiten fuumlr Kinder schuumltzend bereithaumllt Und ob dann das freie natuumlrliche Spiel abgewartet
wird oder ob das (Kinder)Spiel mit funktionalen Absichten durch Paumldagogisierung in das planende
Joch von Erziehungs- und Bildungsbestrebungen eingespannt wird und seine wesentlichen Poten-
ziale damit verspielt werden
15 Das Moment der Geschlossenheit
Die freie Spieltaumltigkeit eines Kindes ist insofern geschlossen als dass die oben genannten Momente
wie einzelne ineinander greifende Glieder eine bdquogeschlossene Ketteldquo bilden muumlssen damit sich
freies bdquonatuumlrlichesldquo Spiel einstellt Die sich daraus bildenden oder aufgenommenen Spiele werden
haumlufig von da an als auftretendes Phaumlnomen augenscheinlich Denn das Spiel beginnt sich als frei
gestaltete Zeit mit seinem entstehenden bdquoKosmosldquo von Regeln Zufaumlllen Absprachen Bedingun-
gen Offenheiten Bestrebungen Kontexten Unverfuumlgbarkeiten Themen etc klar zu definieren und
vom gewoumlhnlichen Leben bdquoabzusetzenldquo Es wird dabei ersichtlich dass freies Spiel seine eigene in-
nere Regelhaftigkeit (im weitesten Sinne) sein bdquoSpielfeldldquo hat und eher als das Gegenteil von Will-
kuumlr oder Anomie anzusehen ist (Vgl Scheuerl 1990 S 91-95)
16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
Das Spiel verfolgt keinen auszligerhalb seiner selbst liegenden Zweck (Zweckfreiheit) und das Spielge-
13
schehen ist eine bdquopendelnde Suchbewegungldquo (Scheuerl Ambivalenz) die bestrebt ist innerhalb ih-
rer konstruierten bdquoScheinweltldquo (Scheuerl Scheinhaftigkeit) endlos in sich selbst zuruumlckzulaufen
um kein Ende zu finden (innere Unendlichkeit) Spielende sind von ihrem lustvollen Erleben im
Spiel voumlllig durchdrungen und gestalten spielend spontan mit groszliger Ernsthaftigkeit und in voumllli-
ger Selbst- und Weltvergessenheit ihr bdquoewigesldquo Spiel Und wie entgegen aller Vergessenheit ist es
dennoch ein Zustand houmlchster Wachheit und Konzentration Spielende sind in jedem gegenwaumlrtigen
Moment voumlllig praumlsent dh im bdquoHier und Jetztldquo aumlhnlich einem meditierenden Menschen Spielende
befinden sich also im Zustand tiefer Kontemplation aber nur im Bezug auf ihr Spiel weshalb sie
auch das eigene Gefuumlhl fuumlr Zeit im Moment des Spielens nicht oder kaum wahrnehmen Spielende
Kinder koumlnnen uumlber Stunden bdquowie gefesseltldquo ihrem Spiel nachgehen ohne dass ihnen die Zeitspan-
ne wirklich bewusst waumlre oder dass es ihnen hinterher moumlglich waumlre den fuumlr das Spiel aufgebrach-
ten Zeitraum zu schaumltzen (Vgl Scheuerl 1990 S 95-96 100-102)
17 Zusammenfassung
Das dieser Arbeit zugrunde liegende Verstaumlndnis des Begriffes bdquofreies Kinderspielldquo kann wie folgt
zusammengefasst werden Freies (Kinder)Spiel wird als ein Geschehen von komplexer geistig-
kreativer Weltzuwendung verstanden das sich innerhalb eines Freiraumes ereignet Einerseits ist
die sich innerhalb dessen ereignende Spieltaumltigkeit frei von Zielen Zwecken oder Nutzen die au-
szligerhalb seiner selbst liegen und andererseits sind die Spielenden innerhalb des Spielzeitraums frei
von ihrer unmittelbaren Lebensfuumlrsorge Als solche freie Zeit gestaltende Taumltigkeit ist das Spielen
fuumlr geistig emotional erlebende Wesen wie den Menschen oder houmlher entwickelte Tiere fuumlr eine
hohe Lebensqualitaumlt innerhalb eines erfuumlllenden Lebens grundlegend Aus diesem Umstand ergibt
sich dass freies natuumlrliches Spiel als grundsaumltzliches Beduumlrfnis angesehen werden kann weshalb
Spielende auch einen Drang (bdquoTriebldquo) zum Spiel aufweisen Doch ist der Charakter dieser
(Spiel)Taumltigkeit an sich von anderer bdquoNaturldquo als gewoumlhnliche Beduumlrfnisse befriedigende
(Trieb)Handlungen Als diese triebhafte Tendenz zum Spiel zielt die Spieltaumltigkeit nicht auf das Be-
duumlrfnis stillende Ende ab sondern auf ihren dauerhaften Fortgang Dieser zirkulaumlre Charakter und
das geistig erfuumlllende Erleben werden dabei durch den Umstand ermoumlglicht dass sich das Spieler-
eignis aufgrund seiner zuvor beschriebenen Autonomie in einem Spannungsverhaumlltnis ereignet Die-
ses ergibt sich zwischen Zufall und Notwendigkeit und wird durch den Spielenden bestaumlndig in
Waage gehalten Dieses selbst initiierte Geschehen reguliert sich somit auf der Handlungsebene
selbst es ist selbstorganisiert Diese Selbststeuerung nutzt Phantasie und Spontanitaumlt als Strategie
weshalb das Spielgeschehen trotz seines zirkulaumlren Charakters als prozessoffen bezeichnet werden
14
kann Besonders das Kinderspiel taucht dazu im gegenwaumlrtigen Spielmoment mit seinen spielenden
Subjekten im besonderen Bewusstsein uumlber seine paradoxe Als-ob-Realitaumlt in ihre eigens gestaltete
geistige Scheinwelt ein Die Spielenden sind waumlhrenddessen voumlllig selbst- und weltvergessen mit
groszliger Ernsthaftigkeit und im groumlszligten Eifer voumlllig in ihr bdquogebanntldquo Fuumlr ein bdquosich Ereignenldquo dieses
beschriebenen spontanen natuumlrlichen Spiels hat es nun als letztes Merkmal noch zur Voraussetzung
dass einzelne Momente nicht fuumlr sich isoliert initiiert oder planmaumlszligig ersetzt weggelassen oauml wer-
den koumlnnen so dass jedes einzelne der sechs Wesensmomente im Spielgeschehen quasi jeweils ein
bdquoGliedldquo in einer ineinander greifenden bdquofunktionalenldquo Kette darstellt ohne dass die Kette nicht
funktionstuumlchtig waumlre und sich freies natuumlrliches Spiel nicht ereignen koumlnnte
Inwiefern sich freies Kinderspiel nach dieser Auffassung im Hessischen Bildungs- und Erziehungs-
plan widerspiegelt soll im folgenden Kapitel untersucht werden
2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
21 Das Spielverstaumlndnis
Im Kapitel bdquoGrundsaumltze und Prinzipienldquo des Hessischen Bildungsplanes kommt dessen bdquoeigenesldquo
Verstaumlndnis zum bdquoKinderspielldquo ebenso zum Ausdruck wie eine Anleitung dazu wie mit dem Spiel-
phaumlnomen planvoll umzugehen ist (vgl Hessisches Sozialministerium Hessisches Kultusministeri-
um (2007) S 30-31) Im Folgenden werden diese Positionen zusammenfassend darstellt und erlaumlu-
tert
Spiel wird darin als Mittel in der ureigenen Ausdrucksform des Kindes angesehen womit es in der
Zeit des Heranwachsens seine Entwicklungsaufgaben und Lebensrealitaumlt bewaumlltigt Nach dieser
Auffassung kennzeichnen das Spiel drei Merkmale Das ist erstens die Zweckfreiheit der Spielhand-
lung die ausschlieszliglich durch das von ihr ausgehende Anregungspotentials ausgefuumlhrt wird Zwei-
tens dass im Spiel eine eigene Realitaumlt konstruiert wird und drittens dass Spielhandlungen wie im
Ritual wiederholt werden Die weitere Betrachtung des Spiels ist dann maszliggeblich auf Zwecke Zie-
le und den Sinn des Spiels im Bezug auf seine Wirkungen beschraumlnkt Somit sollen sich Kinder
zwar bdquoin ihren Spielhandlungen lustvoll versenken und dabei in einen intensiven Austausch mit ih-
rer Umwelt tretenldquo (dies S 30) Dies diene dann aber lediglich der Verarbeitung und Bewaumlltigung
von noch nicht zuordenbaren Erfahrungen (Problemen) Diese vom Kind zu bewaumlltigenden Proble-
me betraumlfen einerseits Entwicklungsthematiken wie bdquodas Ausspielen von Macht und Kontrolle von
Allmachtsphantasien [hellip] oder Herrschaft uumlber Leben und Tod [] sowie der Wunsch nach Heraus-
bildung eines Selbst bzw einer Identitaumltldquo (ebd) und andererseits Beziehungsthematiken zwischen
15
Erwachsenen und Gleichaltrigen
An die Beschreibung der drei Merkmale von Spiel anschlieszligend wird der Lern- und Entwicklungs-
charakter des Spiel dargestellt bdquoFreie Spielprozesse sind immer auch Lernprozesse denn Kinder
lernen zumindest beilaumlufig durch Spielenldquo (ebd)
Weiter heiszligt es im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan dass die Qualitaumlt dieser Lernprozesse
die im freien Kinderspiel stattfinden durch bdquogezielte Unterstuumltzungsmaszlignahmenldquo zu erhoumlhen sei In
dieser Aussage wird deutlich dass das freie Kinderspiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungs-
plan lediglich als Mittel aufgefasst wird welches die Entwicklungs- und Lernprozesse waumlhrend des
Heranwachsens beschleunigend wie ein Motor vorantreiben soll Warum sonst soll die bdquoQualitaumltldquo
des freien Kinderspiels bdquoerhoumlhtldquo werden Kinder sollen in erster Linie nicht spielen um ihrem Be-
duumlrfnis nach Spiel nachzukommen sondern um etwas zu lernen Dies legt den Verdacht nahe dass
das Spielen als solches auch nur aus diesem Grunde naumlmlich weil Kinder im Spiel etwas lernen
dh Kompetenzen erwerben Bestandteil des Bildungsplanes ist
Zusammenfassend kann festgestellt werden dass das Spiel im Hessischen Bildungs- und Erzie-
hungsplan auf eine Art Voruumlbung fuumlr das bdquorichtigeldquo Leben bei gleichzeitiger Lebensbewaumlltigung
verkuumlrzt wird Gleichzeitig findet durch die bdquoAufwertungldquo des freien Spiels zum bdquospielerischen Ler-
nenldquo eine Funktionalisierung und Paumldagogisierung des freien Spiels statt Die dem Spiel von Lern-
und Entwicklungspsychologie attestierten Potenzen (vgl Oerter 2007) sollen fuumlr die Realisierung
der Bildungs- und Erziehungsziele nutzbar gemacht werden dh das Spiel an sich dient vorrangig
dem Erwerb gewisser Kompetenzen und nicht der Erfuumlllung kindlicher Spielbeduumlrfnisse
Im folgenden Abschnitt werden die Hintergruumlnde eines solchen Spielverstaumlndnisses untersucht
Politische Motivationen spielen dabei ebenso eine Rolle wie die sich daraus ergebenden Ziele des
aktuellen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplans
22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
Im Vorwort des Hessischen Bildungs- und Erziehungsplans benennen die ehemaligen Hessischen
Ministerinnen14 fuumlr Kultus Karin Wolf und fuumlr Soziales Silke Lautenschlaumlger das zentrale politi-
sche Ziel naumlmlich die bdquoOptimierung der Bildungschancenldquo und die Entwicklung von bdquoChancen-
gleichheitldquo (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S 18) fuumlr die heranwachsende
Generation Bereits diese Formulierung laumlsst erkennen dass es im Bereich Bildung und Erziehung
politisch gesehen um Effizienz und um einheitliche bdquoQualitaumlts-ldquo und bdquoBildungsstandardsldquo geht die
14 unver uumlbern v aktuellem Kultusminister Herr Lorz von Herr Gruumlttner fuumlr Soziales und Integration
16
auf maximale Leistungen in der nationalen und internationalen Wissenskonkurrenz zielen
Wie ist also bdquoOptimierung der Bildungschancenldquo zu verstehen Konzeptionell ist diese bdquoOptimie-
rung der Bildungschancenldquo darauf angelegt dass bis zum Uumlbergang in die Sekundarstufe die Kin-
dertageseinrichtungen und Grundschulen allen Kindern eines Jahrgangs als Grundlagen die gleichen
bdquoBasiskompetenzenldquo15 vermitteln sollen Das Erreichen dieser bdquoBildungsstandardsldquo bis zur vierten
Klasse sei wiederum die Herstellung von bdquoChancengleichheitldquo so die Schlussfolgerung (vgl dies
S 18)
Dabei besteht die Chance darin dass die Kinder des gesamten Jahrgangs in gleichen Leistungstests
an diesen einheitlichen bdquoBasiskompetenzenldquo in Abhaumlngigkeit gemessen und in Konkurrenz zueinan-
der nach ihren Lernleistungsdifferenzen (Leistungsabstaumlnden) eingeordnet werden koumlnnen (vgl
Nuumlberlin 2002 S 117-127) Die dabei entstehende Jahrgangssortierung dh die Platzierung im
Leistungsvergleich innerhalb eines Jahrganges entscheidet dann daruumlber welche Kinder eine
bdquoChanceldquo auf houmlhere Bildung erhalten und welche nicht welche also das Gymnasium besuchen
duumlrfen und fuumlr welche der Besuch der Realschule vorgesehen ist Somit werden mit dem politischen
Programm bdquoChancengleichheitldquo bzw bdquoOptimierung der Bildungschanceldquo die jungen Generationen
(Kinder und Jugendliche) gemaumlszlig der in der Gesellschaft durchgesetzten Wissenshierarchie bzw Fauml-
higkeitshierarchie kontinuierlich eingeordnet (vgl Nuumlberlin 2002 S 127-129)
Deshalb soll bdquoChancengleichheitldquo auch bdquoBildungschancenldquo eroumlffnen weshalb im Bildungsplan Paumld-
agogen dazu aufgerufen sind die Kinder von fruumlhester Kindheit an individuell zu staumlrken um ihre
unterschiedlichen Voraussetzungen zumindest in gleichen bdquoBasiskompetenzenldquo vermeintlich einan-
der anzugleichen und somit die Vergleichbarkeit in der Notenkonkurrenz chancengleich im Sinne
von voraussetzungsgleich zu gestalten (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S
5-6 und S 17-18) Gerda Nuumlberlin weiszligt darauf hin dass aber diese Voraussetzungsgleichheit die
Institution Schule gerade nicht leistet Und dass Schule statt dessen durch Lernen auf Zeit die Schuuml-
ler innerhalb eines Jahrgangs mit einheitlichen Tests kontinuierlich einem Sortierungsverfahren un-
terzieht das eher gemaumlszlig den Bildungsschichten die Wissensunterschiede der Kinder hervorhebt
und sogar mit produziert statt sie mit dem Ziel der bestmoumlglichen Wissengleichheit zu bdquobeseitigenldquo
(vgl Nuumlberlin 2002 S 104-142)
Die auf gleiche Basiskompetenzen vorbereitenden Lernangebote und Fruumlhfoumlrderungen sollen nach
Aumluszligerung der Ministerinnen im Vorwort intensiver und fruumlher initiiert werden als in den vorange-
gangenen Jahren (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S 5-6) Zur Sicherung
15 bzw auch als bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (vgl dies S 41) bezeichnet daraus resultieren sollen die besonders vonder Wirtschaft geforderten bdquoMetakompetenzenldquo (vgl dies S 17)
17
der bdquoBildungsqualitaumltldquo und Umsetzung einheitlicher Standards soll der Bildungs- und Erziehungs-
plan das institutionenuumlbergreifende Steuerungsinstrument sein (vgl dies S 19) Die Herausgeber
des Bildungsplanes heben in der Einfuumlhrung besonders hervor dass es sich erstmals um einen Bil-
dungs- und Erziehungsplan handelt der durch seine stufenlose Konzeption von 0 bis 10 Jahren ein
kontinuierliches Lernen vorsieht Alle paumldagogisch wirkenden Personen und Institutionen sollen
durch einheitliche Bildungs- und Erziehungsziele moumlglichst an bdquoeinem Strang ziehenldquo koumlnnen (vgl
dies S 5-19)
Leitziel ist es fuumlr das bdquolebenslange Lernenldquo mit dem Erwerb von bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo die
bereits erwaumlhnte gemeinsame Grundlage (bdquoBasiskompetenzenldquo 16) der Kinder zu erzeugen (vgl
dies S 41f)
Veranlasst sehen sich die Ministerien zur bdquoneuenldquo konzeptionellen Bildungssteuerung durch den
tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel der sich von der demografischen Entwicklung uumlber viel-
faumlltige kulturelle Kontexte die Wirtschafts- und Arbeitswelt bis hin zu familialen Wandlungsprozes-
sen vollzieht und generell durch Schnelllebigkeit gekennzeichnet ist und von den Menschen ein ho-
hes Maszlig an Flexibilitaumlt und Mobilitaumlt fordert Hierzu werden auch die Ergebnisse der Schuumllerleis-
tungsvergleiche wie PISA TIMSS oder IGLU und denen entsprechende wissenschaftliche For-
schungsbefunde genannt denen der bdquo(neue) Bildungs- und Erziehungsplanldquo Rechnung tragen
moumlchte (vgl dies S 16-19)
Denn die Platzierung bei national und international vergleichbaren Leistungserhebungen ist letztlich
die Bemessungsgrundlage fuumlr bdquoBildungserfolgldquo oder bdquoBildungsversaumlumnisldquo Die attestierte bdquoBil-
dungsqualitaumltldquo ist deshalb von politischem Interesse weil die Politik die durch ihr Bildungssystem
erreichte Platzierung im vorderen Bereich als Standortfaktor fuumlr ihren Wirtschaftsstandort in
Deutschland nutzen moumlchte um vor allem auf dem globalem Markt konkurrenzfaumlhig zu bleiben
Im Folgenden wird zu zeigen sein ob und inwiefern diese Zielsetzungen mit dem dafuumlr entwickel-
ten Bildungskonzept zur angenommenen Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels fuumlhren
16 Im Einzelnen werden folgende Kompetenzen genannt als Basiskompetenzen werden bdquoindividuumsbezogeneKompetenzenldquo bdquoKompetenzen zum Handeln im sozialen Kontextldquo bdquoLernen und lernmethodische Kompetenzldquo undbdquokompetenter Umgang mit Veraumlnderung und Belastung Widerstandsfaumlhigkeit (Resilienz)ldquo genannt (vgl dies S 25-26 und S 41-44) Zum anderen werden darauf aufbauende konkrete Bildungs- und Erziehungsziele genannt (ent-sprechend der geforderten bdquoMetakompetenzenldquo) bdquostarke Kinderldquo bdquokommunikationsfreudige Kinder und medien-kompetente Kinderldquo bdquoKreative fantasievolle und kuumlnstlerische Kinderldquo bdquoLernende forschende und entdeckungs-freudige Kinderldquo und bdquoverantwortungsvoll und werteorientiert handelnde Kinderldquo (vgl dies S 13)
18
23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Wie kann das politische Ziel naumlmlich alle Kinder mit den gleichen Grundkompetenzen auszustatten
und deren bdquoErfolgldquo mindestens ab der vierten Klasse an regelmaumlszligigen Leistungserhebungen zu be-
messen durch freies Spiel erreicht werden Die Vermittlung bzw der Erwerb standardisierter Inhal-
te (Wissen Faumlhigkeiten Fertigkeiten Kompetenzen) und die Verfuumlgung daruumlber (Pruumlfungstermin)
steht im Widerspruch zum freien Spiel als offenem Prozess den die Spielenden selbst initiieren und
gestalten und bei dem keine Voraussagen daruumlber getroffen werden koumlnnen wann sich welche
Kenntnisse und Fertigkeiten einstellen
Diese erlangt man einerseits durch die Freiheit als Freiraum zum Spiel die eine gewisse Qualitaumlt an
Sorgefreiheit bedingt Zur Sorgefreiheit zaumlhlt beispielsweise auch das Freisein von Lerndruck der
jedoch unter anderem durch festgelegte Leistungserhebungen und Entwicklungsdokumentationen
bei den Kindern erzeugt wird Und andererseits erwirbt man Kenntnisse und Faumlhigkeiten nur dann
wenn das Spiel frei ist wenn es sich also um seiner selbst Willen ereignet und eben nicht bdquokanali -
siertldquo wird es also keinen aumluszligeren Zielen Zwecken oder Absichten unterliegt wie es jedoch bei
festgelegten bdquoBasiskompetenzenldquo (bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo) eines bdquoBildungsstandardsldquo der Fall
waumlre17 Hinzu kommt der weitere Aspekt von Freiheit im Spiel wonach das Spiel ein selbstgesteuer-
ter Prozess mit offenem bdquoAusgangldquo ist dessen Wirkungen eben nicht planbar oder voraussagbar
also nicht standardisierbar und determinierbar sind Diese Qualitaumlt von Freiheit im Spiel ergibt sich
nun aus den unverfuumlgbaren Momenten des freien Spiels wie dem Augenblick der Instabilitaumlt der
Kreativitaumlt und Phantasie der Spontanitaumlt und Unordnung dem Unsinn und Zufall Diese zugleich
auch wesentlichen Antriebskraumlfte des Spiels koumlnnen sich wie bereits im Kapitel bdquo14 Moment der
Ambivalenzldquo (S 11-13) naumlher beschrieben nur in einem Entwicklungsspielraum mit reichhaltigen
Erfahrungsmoumlglichkeiten und mit dem erlaumluterten Spannungsverhaumlltnis ergeben Sie tragen dann
aber auch die unermesslichen Potentiale fuumlr Emergenz mit dem Prinzip des Lebendigen in sich
woraus sich seine Offenheit fuumlr Neues im Sinne der Weiterentwicklung von Leben ergibt
An dieser Stelle moumlchte ich ergaumlnzend zu meiner eher phaumlnomenologischen Wesensauffassung von
freiem Spiel einige Beispiele skizzieren wie sich die Einuumlbung von Kompetenzen durch freies Spiel
aus psychologischer Sicht vollzieht
Die im Hessischen Bildungsplan intentional geplanten Basiskompetenzen und Lernziele wie bei-
spielsweise Kreativitaumlt Abstraktionsvermoumlgen Empathie oder Flexibilitaumlt in Denk- und Vorstel-
17 Vgl dazu Kapitel bdquo11 Das Moment der Freiheitldquo in dieser Arbeit S 7f
19
lungsvermoumlgen ergeben sich im Spiel als bdquoNebeneffektldquo Das Kind vollzieht naumlmlich im Spiel fuumlr
seine Entwicklung entscheidende Bildungsprozesse selbsttaumltig intrinsisch motiviert und in der bdquoDo-
sisldquo die es bedarf Dabei von groszliger Bedeutung ist der vom Kind entwickelte eigene Lernmodus
der sich maszliggeblich an der individuellen Leistungsfaumlhigkeit und den persoumlnlichen Beduumlrfnissen ori-
entiert Hierfuumlr benoumltigt jedes Kind einen eigenen Entwicklungsspielraum
bdquo[Der] sollte Heranwachsenden die vielfaumlltigsten auch selbsttaumltig inszenierten Erfah-rungsraumlume bieten um sich - wie es Johann Heinrich Pestalozzi nannte - an Kopf Herzund Hand bilden zu koumlnnen moumlglichst frei von Furcht und Zwang Sinnesbildung Koumlr-perbildung und geistig-seelische Bildung sollten dabei gleichermaszligen zur Entfaltungkommenldquo (Rittelmeyer 2007 S 7)
So initiieren Kinder beispielsweise in ihren Rollenspielen eigentaumltige Bildungsprozesse indem sie
sich im spontanen Spiel in die Perspektive anderer Menschen versetzen und eigenes Handeln fuumlr
aumlhnliche Lebenssituationen uumlben Oder sie erproben sich im Spiel mit verschiedenen sozialen Rol-
len zB im Rahmen gesellschaftlicher Verhaltensstandards indem ein von Geschichten aufgenom-
menes oder durch elterliche Kommentare an die Kinder herangetragenes Ideal (bdquoTapferkeitldquo bdquoGe-
schwisterliebeldquo bdquoFreundschaftldquo bdquoHilfsbereitschaftldquo etc) mit der persoumlnlichen Wirklichkeit vertraut
gemacht wird Dieses Erproben entspricht zB einer Bewusstseinsbildung im Hinblick auf (solche)
gesellschaftlichen Rollenerwartungen
bdquo[Oder] im Symbolspiel das ein Houmllzchen zur Mutterʻ oder zum Autoʻ werden laumlsstuumlben Kinder die Faumlhigkeit im Hinblick auf gegebene Phaumlnomene verschiedene Per-spektiven entwickeln zu koumlnnen also mit Kreativitaumlt oder Phantasie auf Erscheinungender aumluszligeren Welt zu reagierenldquo (ders S 17)
Es ist schwierig zu sagen welche Kompetenzen genau aus eigentaumltigen Bildungsprozessen im Spiel
entstehen da Resultate aus diesen Erfahrungen wiederum von diversen Faktoren abhaumlngig sind
Maszliggebliche Faktoren sind dabei die uumlberaus verschiedenen biografischen Erfahrungen der Kinder
und dass die letztliche Erfahrungsgewichtung durch ihre Individualitaumlt verschieden zum Tragen
kommt
Da aber jedes Lernen immer individuumsbezogen dh vom Kind abhaumlngig ist hat dieser Umstand
auch fuumlr die geplant-initiierten Lernangebote Geltung sofern derartige von auszligen angestoszligene
Lernangebote uumlberhaupt in den lernenden Kindern auf Resonanz stoszligen
Es duumlrfte kaum anzuzweifeln sein dass wie im Beispiel des spontanen von den Kindern selbst initi-
ierten Rollenspiels Rollenhandeln und soziale Empathie eingeuumlbt und fuumlr eigenes Handeln erprobt
werden Ebenso werden durch Symbol- oder Rollenspiele die Phantasie und Kreativitaumlt vielfaumlltig
angeregt die Beobachtungsgabe und das Vorstellungsvermoumlgen ausgepraumlgt Daraus kann sich wie-
20
derum das Abstraktionsvermoumlgen entwickeln und die Kinder bilden mit zunehmenden Perspekti-
venwechseln eigene Vorstellungen und Uumlberzeugungen aus Indem naumlmlich Spielende in ihre selbst
konstruierte bdquoScheinweltldquo gaumlnzlich bdquoeintauchenldquo nehmen sie auf zuvor vielfaumlltig beobachtete und
erlebte Situationen Bezug Erst spielen sie das Erlebte nach und bdquodurchlebenldquo es dabei spielerisch
immer wieder bis sich ein tiefgruumlndiges Verstaumlndnis uumlber die erlebte Situation gebildet hat Allmaumlh-
lich wird dann durch die eigene Ausgestaltung des Rollen- oder Symbolspiels das wahrgenommene
Phaumlnomen zunehmend abstrahiert und Kinder beginnen vielfaumlltige eigene Vorstellungen dazu zu
entwickeln Freies Spiel entspricht also eigentaumltiger Lebenswelterfahrung und -aneignung und ihr
Bildungsgehalt scheint dabei fast unermesslich groszlig zu sein (vgl ders S 7-17 und S 135-137)
Es wuumlrden sich also durch freies Kinderspiel ganz unterschiedliche und auch bdquoneueldquo Kompetenzen
mit ganz individuellen Auspraumlgungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten bilden Diese Aspekte ma-
chen aber eine vergleichende Leistungserhebung quasi unaussagekraumlftig bzw koumlnnten einen deter-
minierten bdquoBildungsstandardldquo insofern bdquogefaumlhrdenldquo als dass das Spiel als kreative geistig-emotio-
nale Weltzuwendung immer einen offenen bdquoAusgangldquo hat dh nicht vorhersagbar ist Das Zulassen
von freiem Spiel steht somit im Interessenskonflikt mit den oben genannten politischen Absichten
weshalb dem freien Spiel ein generelles Misstrauen gegenuumlber gebracht wird Dies fuumlhrt letztlich
konzeptionell dh durch die Einfuumlhrung und Umsetzung von bdquoBildungsstandardsldquo zur zunehmen-
den Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
Inwiefern die angenommene Verdraumlngung von freiem Kinderspiel auch paumldagogisch motiviert sein
kann soll im folgenden Abschnitt untersucht werden
24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Die Autorinnen und Autoren sehen Kinder einerseits als kompetente selbstbestimmt taumltig werdende
Wesen an und deuten die Bildung und das Lernen zwar als soziale Prozesse die sich im Dialog zwi-
schen Kind und Erwachsenem vollziehen koumlnnen Andererseits verweisen sie aber darauf dass die
Qualitaumlt dieser Prozesse wiederum von auszligen dh von einem Erwachsenen gesteuert und mode-
riert werden sollen (vgl Hessisches Sozialministerium Hessisches Kultusministerium 2007 S 20-
21) Die Steuerung der Bildungs- und Lernprozesse wird versucht zu rechtfertigen indem auf aktu-
elle neurowissenschaftliche Befunde verwiesen wird die dem kindlichen Gehirn ein enormes Ent-
wicklungs- und Lernleistungsvermoumlgen zuschreiben welches wenn es nicht genuumltzt wuumlrde einem
bdquoBildungsversaumlumnisldquo gleichkaumlme und nur schwer wieder aufzuholen sei (vgl dies S 20- 24)
bdquoJe reichhaltiger aumluszligere Lernreize sind desto mehr effiziente neuronale Netzwerke
21
(Synapsen) bilden sich heraus die fuumlr die Verarbeitungskapazitaumlt des Gehirns und seineLernfaumlhigkeit im spaumlteren Leben bedeutsam sind Im Entwicklungsverlauf eines jedenKindes gibt es optimale Zeitraumlume fuumlr grundlegende Lernschritte (zB ZweitspracheRaumorientierung elementares mathematisches Denken Interesse an Naturwissen-schaften aumlsthetisches Verstaumlndnis Entwicklung der Musikalitaumlt) Solche Zeitfenstergibt es auch noch im Laufe der weiteren Bildungsbiografie Dennoch gilt es diese sen-siblen Phasen bereits durch fruumlhe Bildung offensiv zu nutzen [sic] Je solider und brei-ter die Basis aus jener Zeit desto houmlher ist die Wahrscheinlichkeit dass das Kind danachaktiver und leichter lernt Fruumlhe Bildungsversaumlumnisse sind nur schwer aufholbarldquo(dies S 24)
Die programmatische Paumldagogisierung von Spiel die die bdquoGrenzen zwischen der herkoumlmmlichen
Trennung von Freispielprozessen und geplanten Bildungsprozessen zunehmendldquo (dies S 30) ver-
wischen soll ist vor dem Hintergrund Bildung als Produkt einer offensiven Nutzung der sensiblen
Lernzeitfenster anzusehen (vgl dies S 23-24) und wiederum von seiner politischen Motivation
mit dem Wettlauf um Konkurrenzfaumlhigkeit sowie der Weiterfuumlhrung einer in der Gesellschaft durch-
gesetzten und der Wirtschaft dienlichen Wissenshierarchie in Verbindung zu bringen Folglich fuumlhrt
die im Bildungs- und Erziehungsplan programmatisch angewiesene Funktionalisierung des Spiels
zum bdquospielerischen Lernenldquo letztlich paumldagogisch motiviert zur zunehmenden Verdraumlngung des frei-
en (Kinder)Spiels denn dieses wird als zu zeitintensive Taumltigkeit angesehen Freispiel darf zwar
laut Plan auch enthalten sein es bdquomuss jedoch im angemessenen Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlten ste-
henldquo (dies S 31) weshalb es wegen des bdquoLernfensterdrucksldquo (vgl Dies S 23-24) zum bdquospielen-
den Lernenldquo umfunktionalisiert werden soll (vgl dies S 30-31) um wegen seiner bildenden Po-
tenzen dann als Lernbeschleunigung dem Lernziel (bdquoBildungserfolgldquo) dienbar gemacht zu werden
Das Freispiel soll konzeptionell auf zwei Wegen zu bdquospielendem Lernenldquo qualitativ aufgewertet
werden Zum einen indem aus Spielprozessen Projekte hervor gehen mit der Bedingung dass das
Spielgeschehen zunehmend von der Projekttaumltigkeit durchdrungen wird Und zum anderen koumlnnen
bdquo[]im Rahmen von Projekten [hellip] Freispielphasen enthalten sein in denen sich dieKinder weiterhin mit dem Projektthema allein oder mit anderen auseinandersetzen DieQualitaumlt der Freispielprozesse laumlsst sich durch gezielte Unterstuumltzungsmaszlignahmen erhouml-henldquo (dies S 30 Herv MG)
Wenn also Freispielphasen eingeplant werden dann unter der Bedingung dass im bdquoSpielldquo die Pro-
jektthemen wieder aufgegriffen werden In beiden Varianten wird aber die Qualitaumlt des Spiels zu-
mindest im Bezug auf das Erreichen des Lernzieles angezweifelt weshalb ein gezieltes Einwirken
der Paumldagogen kontinuierlich angedacht ist
bdquoDie Houmlhergewichtung des elementaren Bildungsauftrags hat zur Konsequenz dasssich das beilaumlufige Lernen der Kinder im Spiel zum spielerischen Lernen hin entwickeltDem Spiel wird mehr systematische Begleitung und didaktische Aufbereitung
22
zuteilldquo(dies S31 Herv MG)
Das demnach angedachte bdquoFreispielldquo soll folglich auch kein freies natuumlrliches Spielen sein selbst
wenn sich Kinder angetan von den Projektinhalten im freien Spiel beginnen selbsttaumltig im Rah-
men dessen auseinanderzusetzen Solches Geschehen wuumlrde durch paumldagogisches Einwirken auf
das Lernziel hin gelenkte Taumltigkeit werden es soll durch Erwachsene zum bdquospielerischen Lernenldquo
hin entwickelt werden Ebenso kann auch ein anfaumlngliches Spiel nie als solches bestehen bleiben
Die Houmlhergewichtung des institutionellen bdquoBildungsauftragsldquo bewirkt in beiden Faumlllen dass der
scheinbar gewaumlhrte bdquoSpielraumldquo zur zielorientierten Lerntaumltigkeit wird weshalb (freies) Spiel ver-
draumlngt wird und zunehmend in Projekttaumltigkeit muumlndet Erst dann hat Spiel einen qualitativen Nut-
zen im Sinne des Bildungs- und Erziehungsplans Deshalb haben Spielen und Lernen auch nach An-
sicht und Position des Bildungsplanvorhabens in einem besonderen Verhaumlltnis zueinander zu stehen
welches Paumldagogen zu sichern haben
bdquoFreispiel ist wichtig muss jedoch im angemessenem Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlt stehendie die Erwachsenen planen und initiieren[]ldquo (ebd Herv MG)
Denn Lernaktivitaumlt sollte nach Meinung der Autorinnen und Autoren wenn sie vom Kind ausgeht
letztlich durch Erwachsene zielfuumlhrend gelenkt werden
Diese Qualitaumlt steigernden Unterstuumltzungsmaszlignahmen und das angestrebte Verhaumlltnis von Spielen
und Lernen stehen im einzelnen mit den Wesensmomenten des freien Spiels in Widerspruch Im
freien Spiel sind die Spielinhalte die sich spielende Kinder selbst auswaumlhlen vorwiegend alltagsbe-
zogen und als diese individuell meist sehr unterschiedlich Kinder begegnen im Spiel also Themen
die ihr Interesse durch erlebte oder beobachtete Situationen geweckt haben Diese eigens initiierten
Spielideen koumlnnen wie oben skizziert diverse Funktionen (zB bildendes Erproben) als Nebenef-
fekt haben Aber im Sinne des Spiels als bdquofreie Zeitgestaltungldquo draumlngt das Kind eher nach sinnvoll
erfuumllltem Leben durch erstrebtes lustvolles Spielen mit ganzheitlichem Lebensweltbezug als nach
einer von auszligen das Spiel deformierenden oder domestizierenden Systematik und Didaktik Es ist
anzunehmen dass diese fehlende bdquoBe-friedigungldquo des Spielbeduumlrfnisses ihre praumlgenden Anpas-
sungsspuren in den Kindern hinterlaumlsst und sie wahrscheinlich unzufrieden macht Zusaumltzlich duumlrf-
ten diese Umstaumlnde dem Lernen allgemein auch eher abtraumlglich sein
Es besteht also ein ganzheitlicher Bezug zum eigenen Leben wenn durch die Freiheit zum Spiel
ganz individuelle Themen zur Spielidee werden und bdquoihren Laufldquo nehmen Das heiszligt die jeweilige
Initialidee wird im weiteren Spielverlauf staumlndig veraumlndert werden und folgt dabei gerade eben
nicht der bdquoLogikldquo der buumlrgerlichen Erwachsenenwelt Diese bdquoLogikldquo wird aber im Bildungsplan fo-
23
kussiert In ihm ist die Annahme enthalten dass Kinder wie Forscher ihre Umwelt erkunden und
nun im Zuge der Aufwertung des Spiels zum bdquospielerischen Lernenldquo durch paumldagogisches Hinwir-
ken sich das bdquospielendeldquo Kind in reflektierender Betrachtungsweise Kausalzusammenhaumlnge und
Gesetzmaumlszligigkeiten des zu untersuchenden bdquoGegenstandesldquo erschlieszligen bzw davon ableiten soll
(vgl dies S 20 27-28 30-31) Spiel ist aber nur dann Spiel wenn es ein eigenes fortwaumlhrendes
kreatives und spontanes Eingehen auf die Anregungen der aumluszligeren Spielszenerie ermoumlglicht (vgl
Kapitel bdquo14 Das Moment der Ambivalenzldquo S 11ff sowie Rittelmeyer 2007 S 136) Innerhalb
dessen orientiert sich die Spiel gestaltende Taumltigkeit des Kindes hauptsaumlchlich an den eigenen Be-
duumlrfnissen und nicht an Vorgaben von auszligen Deswegen kann auch nicht alles Spiel sein das waumlre
Willkuumlr und nicht Geschlossenheit (vgl Kapitel bdquo15 das Moment der inneren Geschlossenheitldquo S
13) Und um seiner inneren Zweckmaumlszligigkeit moumlglichst dienlich zu sein bleibt es auch stets unver-
fuumlgbar Darin gibt es keine absolute Eindeutigkeit (zB ein Lernziel) mit zielgerichtetem Streben
nach zukuumlnftiger Befriedigung Spiel ist jetzt ist gegenwaumlrtig angestrebtes erfuumlllendes Erleben von
frei gestalteter Zeit Nur so koumlnnen sich alle weiteren Wesensmomente und ihre ua auch hoch ef-
fektiv bildenden Potenziale ergeben und individuell entfalten Solches Spiel waumlre aber von Vielfalt
Spontanitaumlt Uumlberfluss Instabilitaumlt Kreativitaumlt oder auch vom ihm eigenen Unsinn gepraumlgt Sicher-
lich erschlieszligen sich dem Kind dabei diverse Kausalzusammenhaumlnge und aus Einzelphaumlnomenen
wird es ableitend Gesetzmaumlszligigkeiten erfahren die sich in diesem informellen Lernprozess dann als
Wissen Kenntnisse Fertigkeiten oder auch Kompetenzen verinnerlichen Aber diese (Neben)Effek-
te wuumlrden nie zielfuumlhrend oder leitend das Spielgeschehen formen bzw antreiben
Dem natuumlrlichen freien Spiel steht das bdquospielerische Lernenldquo auch im Bezug auf die im Spiel er-
schaffene Phantasiewelt (vgl Kapitel bdquo13 Das Moment der Scheinhaftigkeitldquo S 10) entgegen
Denn diese zeichnet sich gerade dadurch aus dass sie sich von den bdquoObjektenldquo der Umwelt loumlst
vom Faktischen enthoben ist und durch Phantasie zu bdquoNeuemldquo zu Symbolischem werden laumlsst Und
somit das symbolische bdquoAls-obldquo Spielgeschehen ermoumlglicht Das Spiel wuumlrde sich also notwendi-
gerweise von der Projekttaumltigkeit oder ihren faktischen Inhalten loumlsen muumlssen um sich in dieser
Phantasiewelt mit seiner Spielhandlung zwischen Zufaumllligem und Notwendigem bewegen zu koumln-
nen Mit der daraus entstehenden Gegenwaumlrtigkeit schloumlssen sich alle weiteren Momente zu ihrer
bdquofunktionalenldquo Kette zusammen Auch der zeitliche Rahmen in dem sich das freie Spiel nun bewe-
gen wuumlrde ist unvorhersehbar Es ist also wahrscheinlich dass das Spielgeschehen uumlber den von
Erziehern eingeplanten bdquoFreispielzeitraumldquo hinweg andauern koumlnnte und deshalb von auszligen durch
die Paumldagogen abgebrochen werden wuumlrde Der bdquoinneren Unendlichkeitldquo des Spiels wuumlrde dies so-
mit ein abruptes Ende bereiten Dem zirkulaumlrem Charakter des Spiels steht noch ein weiterer Aspekt
24
entgegen Naumlmlich dass die Wiederholungen der Spielhandlung nicht aus systematischer oder di-
daktischen bdquoAufbereitungldquo erzeugt werden koumlnnen sondern dass sie wie Rolf Oerter in bdquoZur Psy-
chlogie des Spielsldquo beschreibt mit lustvollem Erleben in Verbindung zu bringen sind und demnach
eher dem Lustprinzip folgen als dem rationellem Realitaumltsprinzip (vgl Oerter 2007 S 9 12 14f
18-21)
Einzelne Momente fuumlr bdquospielerisches Lernenldquo zu erzeugen bzw sie diesbezuumlglich abzuwandeln
kann also nicht mehr mit dem natuumlrlichen freiem Spiel in Verbindung gebracht geschweige denn
damit gleichgesetzt werden Das daraus resultierende bdquoSpielenldquo kann demnach auch nicht dem Be-
duumlrfnis oder Drang nach Spiel entsprechen welches Kinder ganz offenkundig haben Das Spiel im
Sinne des Bildungsplanes gleicht in seiner angedachten Form eher bdquodomestiziertenldquo Spiels das in
einzelne Wesensmomente zerrissen ist um als didaktische bdquoListldquo geplant initiiert zu werden Somit
wird durch die verkuumlrzte Auffassung von Spiel als Mittel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo bei
gleichzeitiger Verkuumlrzung echter Spielzeit die zunehmende Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels
im Bildungsplan programmatisch angegangen bzw angeordnet wodurch die dieser Arbeit zugrunde
liegende Annahme bestaumltigt wird
3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
Die Reformpaumldagogik hat zB durch Ellen Key Johann Heinrich Pestalozzi oder Maria Monterssori
Konzepte wie Jena-Plan das der Sudberry Valley School oder der Freien Demokratischen Schulen
inspiriert Innerhalb deren Konzeptionen findet auch die kindliche Lebenswelt ohne sie romantisch
zu verklaumlren ihren anerkennenden Platz und wird als vollwertiger Lebensabschnitt beachtet Ihre
aumlhnlichen Bildungsansaumltze enthalten vielfaumlltigste Anreize und Formen vernuumlnftiger Bildungsideen
mit ganzheitlichem Menschenbild und echtem Lebensweltbezug Das bedeutet auch fuumlr eine Institu-
tion um mit Ellen Key zu sprechen Bildung vom Kind aus zu denken
Exemplarisch moumlchte ich im Folgenden diese Bildungsvorhaben und ihre fuumlr die Kinder bereiteten
Entwicklungsspielraumlume an Hand der Freien Demokratischen Schulen skizzieren Der Ausgangs-
punkt dieser Schulen ist der Kerngedanke dass sich durch Eigeninitiative selbstverantwortete Bil-
dung und freies Spiel nicht abstoszligend gegenuumlber stehen sondern dass beide den Beduumlrfnissen des
Kindes entspringen und das Kind deshalb je nach seiner Beduumlrfnislage seine Aktivitaumlten diesbezuumlg-
lich selbstorganisiert Zwar sind auch Freie Demokratische Schulen als Institution leider kein wirk-
licher bdquoorganischerldquo Teil der Lebenswelt von Kindern sondern immer nur von auszligen angebotene in-
tentionale Konstrukte die aber in diesem Fall den individuellen Entwicklungsspielraum der Kinder
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versuchen zu schuumltzen bzw bereitzuhalten Somit wird jedem Kind sein eigener Freiraum der ihm
spontanes freies Spiel ermoumlglicht bereitet ohne es in irgendeiner Form zu verzwecken oder zu ka-
nalisieren Einige Konzepte solcher Schulen greifen auch die Kindheit als gesellschaftlichen Status
hervorbringende Begebenheit auf naumlmlich dass durch die alltaumlgliche Erwerbstaumltigkeit der Erwach-
senen die Kindheit entsteht und zwar als davon getrennter Lebensbereich Verschiedene Versuche
zB durch (Land)Schulheime oder selbst initiierten Lernvereinbarungen zielen darauf ab die ge-
trennten Lebensrealitaumlten von Kindern und Erwachsenen wieder mehr zur Uumlberschneidung zu brin-
gen Die daraus entstehenden freiwilligen Erfahrungspartnerschaften werden eigenverantwortlich
von den Beteiligten (Schuumller und Lehrer) nach ihren Beduumlrfnissen Vorstellungen und Wuumlnschen
gemeinsam gestaltet Es kann also keinen einheitlichen Lehrplan geben und es kann auch keinen
bdquoMethodenkofferldquo als Handreichung des Ministeriums geben der Anwendung finden soll Aber
falls es von den Schuumllern gewuumlnscht wird bzw falls es von ihnen als vernuumlnftig fuumlr die Umsetzung
des Vorhabens angesehen wird kann sich der Lehrer sinnvollerweise durch methodische oder di-
daktische bzw besser mathetische Aufbereitung unterstuumltzend einbringen Die Schuumller entwickeln
also selbst wie sie lernen und was sie lernen Dabei treffen sie nicht maszliggeblich ihre Auswahl aus
bereits bestehenden Angeboten sondern sie koumlnnen ihre Beschaumlftigungs- bzw Lerngebiete voumlllig
frei waumlhlen und initiieren Jede Beschaumlftigung wird dabei als wertvoll und lehrreich erachtet sei es
das Lesen das Experimentieren das freie Spielen oder das Teilnehmen an einem Unterrichtskurs
Die Schuumller entscheiden auch wann sie lernen Sie legen damit den gesamten zeitlichen Rahmen
fest innerhalb dessen sie sich mit ihrem eigenem Lerngebiet beschaumlftigen wollen Dies betrifft die
Tageszeit und den Gesamtzeitraum der Taumltigkeit aber vor allem auch das Alter in dem sie sich ent-
schlieszligen sich mit einer Thematik zu befassen So entschlieszligt sich zB ein neunjaumlhriges Kind Lesen
zu lernen wo ein fuumlnfjaumlhriges bereits damit begonnen hat Dabei waumlre es nicht ungewoumlhnlich dass
diese beiden Leseinteressierten sich zusammenschlieszligen und eine Lerngruppe initiieren um sich
gemeinsam dem Lesen lernen zu widmen Auch liegt es in der Verantwortung der Kinder wie inten-
siv sie sich mit dem gewaumlhlten Thema auseinandersetzen wollen Um all dies zu planen und umset-
zen zu koumlnnen sind die Lehrer wie beratende Helfer kontinuierlich fuumlr die Kinder da und die Kin-
der sind sich nie selbst uumlberlassen Somit schafft das Vertrauen der Lehrer in die Schuumller Vertrauens-
wuumlrdigkeit und die Kinder koumlnnen sich sicher und geborgen fuumlhlen um sich moumlglichst ohne Angst
in dieser Freiheit ganz nach ihren Beduumlrfnissen der Welt zuzuwenden Diesen Freiraum zum Entde-
cken und Spielen bezeichnen die Sudberry- bzw die Demokratischen Schulen als Lernfreiheit und
er ist eine der beiden Grundsaumlulen des Bildungskonzepts Die zweite Saumlule ist von organisatorischer
Natur und konstatiert den Lernort als egalitaumlres System in dem Schuumller und Lehrer in verschiede-
nen Gremien Komitees und Aumlmtern gleiche Einflussmoumlglichkeiten Pflichten sowie Rechte besit-
26
zen (vgl Schiffner 2007 S 8-15)
Peter Gray emeritierter Professor fuumlr Psychologie des Boston College erklaumlrte in einem Vortrag in
Berlin 3122012 die Grundlagen dieses bdquoErziehungsldquo Ansatzes18 Er nennt ihn Vertrauensvolle Er-
ziehung (Trustful Parenting) bdquoVertrauensvolle Erziehung basiert auf der Annahme dass Kinder von
Natur aus widerstandsfaumlhig kompetent sozial und selbstgesteuert sindldquo (Gray 2012 S 1) Daraus
ergibt sich dass Kinder ihrem Beduumlrfnis nach selbst entscheidend entdecken und spielen Es obliegt
ihrer Entscheidung Risiken einzugehen und dabei auch evtl eigene Fehler zu machen Entwick-
lungsvergleiche (auch keine Lernleistungsvergleiche) liegen dieser Ansicht fern Erziehung versucht
demnach Entwicklung nicht zu lenken sondern zu unterstuumltzen sodass Kinder ihre eigenen Ziele
verwirklichen koumlnnen Sie entwickeln dabei Eigeninitiative und uumlbernehmen Selbstverantwortung
in der Gemeinschaft Die Erwachsenen stellen dazu lediglich den aumluszligeren bdquoRahmenldquo her der fuumlr ein
gesundes Heranwachsen erforderlich ist (vgl Grey 2012 S1 ff) Deshalb ist dieser Ansatz auch
nicht als eine vernachlaumlssigende Haltung zum Kind anzusehen sondern ganz im Gegenteil die
bdquoErziehendenldquo senden den Kindern folgende Botschaft
bdquoDu bist kompetent Du hast Augen und ein Gehirn und du bist in der Lage Dinge her-auszufinden Du kennst deine eigenen Faumlhigkeiten und Grenzen Durch Spielen und Er-forschen wirst du dir aneignen was du wissen musst Deine Beduumlrfnisse werden gewuumlr-digt Deine Meinung zaumlhlt Du bist fuumlr deine Fehler selbst verantwortlich und man kanndarauf vertrauen dass du aus ihnen lernst Das Sozialleben zeichnet sich nicht durchWillenskaumlmpfe aus sondern vielmehr dadurch einander so beizustehen dass alle dasbekommen was sie brauchen und sich am meisten wuumlnschen Wir sind auf deiner Seitenicht gegen dichldquo (ders S1)
Interessant finde ich Peter Grays historischen Bezug den er zur Vertrauensvollen Erziehung her-
stellt Er belegt naumlmlich mit verschiedenen wissenschaftlichen Studien zu Jaumlger- und Sammlerkultu-
ren dass dieser Erziehungsstil bis zum Einsetzen der Landwirtschaft (vor ca 10000 Jahren in Asi-
en) der vorherrschende war und dass die Menschheit zu 99 Prozent ihrer gesamten Geschichte (ca 1
Millionen Jahre) Jaumlger und Sammler waren (vgl ders S 1-3)
4 Zusammenfassende Gedanken
Die anfaumlngliche Spielbegriffseingrenzung im ersten Teil dieser Arbeit verdeutlichte dass das Spiel
nicht nur von elementarer Bedeutung fuumlr ein gesundes Aufwachsen fuumlr Koumlrper und Psyche der Kin-
der ist obwohl das freie (Kinder)Spiel die dafuumlr wohl geeignetste Lebenstaumltigkeit darstellt Dem
18 Vgl Gray Peter (2012) Trustful Parenting May Require an Alternative to Conventional Schooling (Vertrauensvol-le Erziehung macht unter Umstaumlnden eine Alternative zum konventionellen Schulsystem noumltig) httpwwwting-schuledeindex_htm_filesPeter20Gray20_20Trustful20parentingpdf (Zugriff 260315)
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natuumlrlichen (Kinder)Spiel als geistig-kreative Weltzuwendung liegen viel urspruumlnglichere Wurzeln
zu Grunde weshalb sich durch freies Spiel die Sinne der Koumlrper und auch der Geist als bdquoNebenef-
fektldquo beilaumlufig bilden und entwickeln Naumlmlich wie das bdquoMenschsein kein Zweck etwa des Lebens
sondern das Leben selbst istldquo (Kamper 1976 S 141) ist das (Kinder)Spiel auch kein findiger
Zweck des Lebendigen sondern gelebte Lebendigkeit und damit zwecklos (vgl ebd) bdquoDarauf und
nur darauf bezieht sich Schillers Wort dass der Mensch nur spielt wo er in voller Bedeutung des
Wortes Mensch ist und nur da ganz Mensch ist wo er spieltldquo (ebd) Somit stellt das Spiel das Prin-
zip des Lebendigen dar dies herauszuarbeiten und phaumlnomenologisch be-greifbar zu machen war
Ziel des ersten Teils dieser Arbeit Ich beabsichtigte darin ein Verstaumlndnis dafuumlr zu bilden dass das
(Kinder)Spiel als Modus von Freiheit im bdquoSpannungsfeld Lebenldquo die Wesenskraumlfte der Evolution
den Zufall die Spontanitaumlt und die Kreativitaumlt als eigene Triebkraumlfte in sich traumlgt und im freien
selbst initiierten Spielgeschehen zur Entfaltung bringt Als dieses Urprinzip ist das freie natuumlrliche
Spiel dem Menschen - homo ludens - und deshalb auch den Kindern ein Beduumlrfnis Deshalb fuumlhrt
durch Spiel gestaltete Zeit als erstrebte wesensgemaumlszlige Taumltigkeit zu Lebenszufriedenheit Und nur
dann traumlgt es seine Potenziale der Sinnesbildung Koumlrperbildung und geistig-seelischen Bildung so-
wie die Moumlglichkeit unvorhersehbarer Emergenzen in sich Und als solcher freier Ausdruck von Le-
bendigkeit ist deshalb Spiel fuumlr ein Kind innerhalb eines erfuumlllten Daseins grundlegend und zu ach-
ten bzw anzuerkennen
Im zweiten Teil wurde einsteigend die im derzeitigen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
vertretene Auffassung von Spiel erlaumlutert und der Plan wurde auf seine moumlgliche politisch- und paumld-
agogisch motivierte Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel untersucht Es konnte dargelegt werden
dass der Spiel(zeit)raum aufgrund des Interessengegensatzes von Kind und Staat kontinuierlich ein-
gekuumlrzt wird und zur zunehmenden Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel fuumlhrt um die politischen
Programme bdquoVerbesserung der Bildungschancenldquo und bdquoChancengleichheitldquo durchzusetzen Die da-
mit verwirklichten politischen Ziele und die Umsetzung einheitlicher Bildungsstandards haben da-
bei einerseits den Zweck die fuumlr die Wirtschaft dienliche und in der Gesellschaft mit Schule durch-
gesetzte Wissenshierachie fortzufuumlhren Und andererseits sollen diese Jahrgangssortierungen durch
internationale Tests wie PISA uauml als Standortfaktor im Wettkampf um Konkurrenzfaumlhigkeit auf ei-
nem globalisierten Markt Wirtschaftsstandort sichernd eingesetzt werden
Die Annahme dass es durch die Einuumlbung von vermeintlichen also dem Zeitgeist entsprechenden
bdquoGrundkompetenzenldquo bzw bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (als Bildungsstandards) zur zunehmenden
Verdraumlngung von freiem Spiel kommt konnte dadurch bestaumlrkt werden dass auf Grundlage eines
verkuumlrzten Spielbegriffes das freie (Kinder)Spiel durch paumldagogisches Einwirken in bdquospielerisches
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Lernenldquo umfunktionalisiert und dadurch echte Spielzeit zunehmend eingekuumlrzt wird Der Zweck ist
dabei das (Kinder)Spiel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo als bdquoLernmotorldquo der Kinder innerhalb
des bdquoLernfensterdrucksldquo dem Lehrapparat dienstbar zu machen
Im dritten Teil dieser Arbeit wurde anhand der Demokratischen Schulen kurz skizziert wie institu-
tionelle Bildung die freies Spielen wirklich gewaumlhrleistet gelingen kann Leider stehen die Schulen
in freier Traumlgerschaft zu denen die Freien Demokratischen Schulen zaumlhlen in Deutschland vor be-
sonderen behoumlrdlichen Genehmigungsbarrieren und unzureichender oumlffentlicher Finanzierung was
ihre Realisierung maszliggeblich erschwert oder ganz verhindert Auch darin kann eine Verdraumlngung
bzw Verhinderung des freien Spiels gesehen werden
Die Verdraumlngung des freien Kinderspiels ist aus zweierlei Gruumlnden nicht gut zu heiszligen ja sogar ab-
zulehnen ist Erstens ist die im Spiel als Nebenerscheinung enthaltene Einuumlbung von Grund-
kompetenzen von groumlszligter Komplexitaumlt und Vielfalt die selbst neue nicht vorhersagbare Qualitaumlten
hervorbringt die mit den Triebkraumlften der Evolution in Verbindung zu bringen sind (Emergenz)
Deshalb ist es fuumlr einen ganzheitlichen Entwicklungsspielraum der Kinder und im Sinne der Evolu-
tion unvernuumlnftig das Spiel wie im Bildungsplan beschrieben bdquoqualitativ aufzuwertenldquo um ver-
meintliche fuumlr das derzeitige Leben als unverzichtbar angenommene bdquoGrundkompetenzenldquo durch
bdquospielerisches Lernenldquo einzuuumlben Und zweitens ist das Spiel als kreative geistig-emotionale Welt-
zuwendung und damit als wesensgemaumlszlige kreatuumlrliche Taumltigkeit des Menschen den Kindern ein Be-
duumlrfnis und grundlegend fuumlr ihr gesundes Aufwachsen und Lebensgeborgenheit (Lebenszufrieden-
heit) in einem sie wahrhaft erfuumlllenden menschlichen Dasein
Bedenke ich nun die Lebenszeit die auch meine Kinder teilweise schon vor dem ersten Lebensjahr
mit haumlufig acht Stunden taumlglich in Kindertageseinrichtungen (leider nicht in einer Freien Demokra-
tischen Schule mit Primarbereich) verbrachten derzeit verbringen und spaumlter in der Schule bis min-
destens zur Erfuumlllung der Schulpflicht mit etwa 15 Jahren in der Schule verbringen muumlssen bin ich
erschrocken-besorgt und wuumltend wie dem Phaumlnomen des freien natuumlrlichen Kinderspiels und der
Bildung insgesamt im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan begegnet wird Bildung als vorran-
gig politisch-oumlkonomisches Arrangement zu sehen darin das Spiel als List zu benutzen um standar-
disiertes Lernen zu erzielen echte Spielzeit zunehmend zu verkuumlrzen ndash dieses planvolle Vorgehen
der Politik und der beteiligten Paumldagogen stellt eine Missachtung der ihnen anvertrauten Kinder mit
ihren individuellen Wuumlnschen Vorstellungen Beduumlrfnissen und ihrer ganz persoumlnlichen Lebenswelt
dar und ist ein lebensentfremdendes Vorhaben das junge Menschen von einem sie erfuumlllenden gu-
ten Leben trennt
29
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31
Eidesstattliche Erklaumlrung
Ich erklaumlre hiermit an Eides Statt durch eigenhaumlndige Unterschrift dass ich die vorliegende Arbeit
selbstaumlndig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe die aus
fremden Quellen (einschlieszliglich elektronischer Quellen und dem Internet) direkt oder indirekt uumlber-
nommenen Gedanken sind ausnahmslos als solche kenntlich gemacht
Ich weiszlig dass bei Abgabe einer falschen Versicherung die Arbeit als nicht bestanden zu gelten hat
Herold 10042015
32
- Die zunehmende Verdraumlngung des freien Kinderspiels
- im Hessischen Bildungsplan
- Einleitung
- 1 Freies Kinderspiel - Wesensmerkmale
-
- 11 Das Moment der Freiheit
- 12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
- 13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
- 14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
- 15 Das Moment der Geschlossenheit
- 16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
- 17 Zusammenfassung
-
- 2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
-
- 21 Das Spielverstaumlndnis
- 22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
- 23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
- 24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
-
- 3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
- 4 Zusammenfassende Gedanken
- Literaturverzeichnis
- Internetquellen
-
Aufgrund dieser Beobachtungen und Erfahrungen nehme ich an dass es einen Gegensatz zwischen
den Interessen und Beduumlrfnissen des Kindes nach selbst initiierter Lebenstaumltigkeit und den Anliegen
und Zielen von Staat und Wirtschaft bezuumlglich Bildung und Erziehung gibt welche zu einer Ver-
draumlngung des freien Kinderspiels in staatlichen Institutionen fuumlhrt Ich vermute dass die paumldagogi-
schen Ziele und Zwecke des intentional geplanten staatlichen Bildungs- und Erziehungsvorhabens
welches sich in den jeweiligen Bildungs- und Erziehungsplaumlnen der Bundeslaumlnder widerspiegelt
das freie (Kinder)Spiel verdraumlngen muumlssten weil sie durch oumlkonomisch-technokratisch Bildungsre-
formen gepraumlgt sind Diese Praumlgung ist in sofern oumlkonomisch als dass sich die Ansichten des Wirt-
schaftssektors dirigierend auf die Bildungsreform auswirken Und somit wird die staatliche Lern-
und Bildungsplanung unter Wirtschaftsstandort sicherndem Blickwinkel betrachtet die bdquoHeran-
wachsende gezielt auf bestimmte (meist kognitive) Schluumlsselqualifikationenʻ oder Grund-
kompetenzenʻ (zB den Umgang mit Informationstechnologien) vorbereitenldquo (ders S 8) soll
Technokratisch wird diese Bildungsintention dann wenn sie von einer rationalen Planbarkeit indivi-
dueller Bildungsprozesse ausgeht oder diese durch paumldagogisches Wirken beabsichtigt weshalb
selbsttaumltige Bildungsprozesse die im freien Spiel initiiert werden dem entgegen stehen (vgl ebd)
Im Gesamten handelt es sich dabei um die Einschraumlnkung jener Freiraumlume in denen - mit Schiller
gesprochen - Kinder noch im Sinne des Wortes Mensch sein koumlnnen in denen sie nach ihren Moumlg-
lichkeiten fuumlr ihre Beduumlrfnisse eigeninitiativ Selbstverantwortung uumlbernehmen und spielen Nach
Dietmar Kamper scheint der Mensch in dieser verplanten Welt aber selbst auf dem Spiel zu stehen
weil er nicht mehr spielen kann Laufen wir Gefahr uns selbst in dieser wahnhaften Unwirklichkeit
in bloszligen Spielen allmaumlhlich selbst zu verspielen und houmlren vielleicht auf Mensch zu sein Diese
Wortspielchen sind doch nur bloszlige Spielerei koumlnnte man sagen und als das waumlren sie unernst also
bedeutungslos oder Spielerei eben Leere bloszlig aneinandergereihte Wortanalogien ohne wesentli-
chen Zusammenhang oder nicht Unernst ist doch eben bloszlig als-ob und eigentlich nur ein Spiel-
chen und deshalb ohne Gehalt (Vgl Kamper 1976 S 130-145) Aber eines machen diese Wort-
spiele schon deutlich dass das Spiel mit Worten zu fassen eine kaum spielerische (in beiden Sinnen
des Wortes) Angelegenheit sein wird Aber ist das Spiel ohne es zu spielen uumlberhaupt zu erfassen
Jedenfalls gespielt wird die Floumlte der Ball oder mit dem Wind aber auch in Gedanken oder eben
mit Worten aber auch das Spiel der Wellen ist Spiel auch das Liebesspiel scheint wie das Kinder-
spiel zumindest vom Wort ein aumlhnliches aber vielleicht sogar ein wesensgleiches Phaumlnomen zu um-
schreiben zu um-spielen
Dieser hinter dem Spiel liegende bdquoKosmosldquo ist grundlegend fuumlr die vorliegende Arbeit Ich bin da-
von uumlberzeugt dass (Kinder)Spiel weitaus mehr ist als unernstes oder unproduktives Tun es auch
3
mehr ist als eine geschickte natuumlrliche Vorbereitung auf das Leben die dann von Bildungsinstitutio-
nen als guumlnstiges Mittel bdquokompetenzenfoumlrderndldquo eingesetzt wird wie es haumlufig den Bildungsdiskus-
sionen in oumlffentlichen Medien zu entnehmen ist Und ich bin uumlberzeugt davon dass das Spiel der
Wellen im Wesentlichen den gleichen Prinzipien folgt und im gleichen Modus verlaumluft wie das
Jonglieren von Baumlllen oder das Feuerwehrmannspiel spielender Kinder Deshalb wird es im ersten
Teil dieser Arbeit das Ziel sein Spiel von seinem Wesen aus phaumlnomenologisch zu beschreiben
moumlglichst ohne das Spiel auf moumlgliche Funktionen oder psychologische Effekte zu verengen Diese
Wesenszusammenhaumlnge ermoumlglichen es dann das Spiel als ein eigens initiiertes und durch Selbstor-
ganisation gesteuertes Geschehen anerkennen zu koumlnnen dass sich zwischen Zufall und Notwen-
digkeit ereignet und keiner Mittel-Zweck-Logik der buumlrgerlichen Gesellschaft folgt
Eine solche weitreichende uumlber den Funktionen und Nutzen liegende Begriffsbestimmung bzw
Phaumlnomenbeschreibung des Begriffes bdquoSpielldquo sehe ich als grundlegend an um ein Verstaumlndnis fuumlr
die Voraussetzungen des freien Spiels als selbstinitiiertes Geschehen zu entwickeln und um darzule-
gen weshalb es dem Menschen ein Beduumlrfnis ist freie Zeit mit Spiel zu gestalten Daraus lassen
sich dann generelle Aussagen ableiten wie freies (Kinder)Spiel moumlglich ist oder wodurch es verhin-
dert wird
Diese Begriffsbestimmung dient als Grundlage fuumlr den zweiten Teil dieser Arbeit Darin werde ich
anhand des Hessischen Bildungs- und Erziehungsplanes aufzeigen dass die Verdraumlngung von frei-
em Spiel bereits in den Bildungsplaumlnen der Laumlnder wurzelt und somit politisch und paumldagogisch
motiviert ist Welche Auswirkungen und Folgen eine solche Verdraumlngung haben kann wird eben-
falls dargestellt
Abschlieszligend stelle ich im dritten Teil dieser Arbeit eine bdquoandereldquo Idee von Bildung vor Eine Bil-
dung die eher als bdquoBegleitungldquo beschrieben werden kann und in der die Kinder ihrem Beduumlrfnis
und Drang nach freiem Spiel nachkommen koumlnnen Dazu wird ansatzweise das Konzept der Freien
Demokratischen Schulen vorgestellt in denen die Kinder in ihren Interessen und Beduumlrfnissen ge-
achtet entsprechend begleitet werden und in denen der Freiraum zum Spiel bewusst erhalten wird
1 Freies Kinderspiel - Wesensmerkmale
Die Frage danach was Spiel ist laumlsst sich meiner Meinung nach nicht mit einer eindeutigen im
Sinne einer allgemein guumlltigen alle Bereiche des Lebens1 einschlieszligenden Definition leisten die
1 Die bdquoBereiche des Lebensldquo umfassen die materielle biologische und geistige Welt mit all ihren wechselseitigenProzessen und unzaumlhligen Erscheinungsformen zu der zB auch die Evolution nur als ein einzelner Prozess inner-halb dieser Dreigliedrigkeit (Materie Natur Geist) zaumlhlt
4
auch von den verschiedenen Wissenschaften wie beispielsweise der Biologie der Physik oder der
Paumldagogik akzeptiert wird2 Aber Spiel ist eben weit mehr als unernstes bzw unproduktives Zeit-
vertreiben junger Menschen bzw Tiere Auch ist es mehr als eine Voruumlbung (Einuumlbung von
Kompetenzen oder Sozialverhalten etc) auf das Leben und es stellt mehr als einen Entlastungspol
fuumlr den Koumlrper bzw das Lebens dar Auch ist es mehr als eine auf Trieben basierenden Befriedi-
gungshandlung und es ist auch mehr als ein Medium zum bdquospielerischen Lernenldquo etc Zwar sollen
diese das Spiel sicherlich betreffenden Begleiterscheinungen nicht negiert werden aber sie bdquospie-
lenldquo innerhalb des im Weiteren noch naumlher zu beschreibenden bdquonatuumlrlichen Spielsldquo eine eher beige-
ordnete Rolle als Nebenerscheinung die im Umfang dieser Arbeit nur am Rande beispielhaft Er-
waumlhnung finden koumlnnen3
Mein Bestimmungsversuch des Begriffes bdquoSpielldquo wird zwar von der Betrachtungsweise des Spiels
als bdquoUrphaumlnomenldquo (Hans Scheuerl) bzw als Prinzip des Lebendigen4 inspiriert sein sich aber im ei-
gentlichen auf den Bereich des Kinderspiels beschraumlnken Diesbezuumlglich soll der von Johan Huizin-
ga in seinem Buch bdquoHomo Ludens Vom Ursprung der Kultur im Spielldquo entwickelte Definitionsvor-
schlag als Ausgangspunkt fuumlr eine Begriffsbestimmung des freien Kinderspiels dienen wenngleich
er wie ein anschlieszligender aktueller Definitionsvorschlag von Ursula Stenger zeigen wird nicht alle
wesentlichen Aspekte des Spiels beinhaltet
bdquoDer Form nach betrachtet kann man das Spiel [hellip] eine freie Handlung nennen dieals nicht so gemeintʻ und auszligerhalb des gewoumlhnlichen Lebens stehend empfunden wirdund trotzdem den Spieler voumlllig in Beschlag nehmen kann an die kein materielles Be-duumlrfnis geknuumlpft ist und mit der kein Nutzen erworben wird die sich innerhalb einer ei-gens bestimmten Zeit und eines eigens bestimmten Raums vollzieht die nach bestimm-ten Regeln ordnungsgemaumlszlig verlaumluft und Gemeinschaftsverbaumlnde ins Leben ruft die ih-rerseits sich gern mit einem Geheimnis umgeben oder durch Verkleidung als anders vonder gewoumlhnlichen Welt abhebenldquo (Huizinga 2004 S 22 Herv i Orig)
bdquoDas Spiel zeichnet sich durch raumlumliche und zeitliche Begrenztheit durch Wiederhol-barkeit und Einmaligkeit aus es durchbricht das normale alltaumlgliche Leben baut sichunverfuumlgbar und ereignishaft auf setzt dabei auch Handlungs- und Denkformen des All-tags auszliger Kraft und entlaumlsst den Spielenden dann wieder in sein gewoumlhnliches Lebenldquo(Stenger 2014 S 267)
In Johan Huizingas Definitionsversuch wird im Vergleich zur zweiten Definition von Ursula Sten-
ger die Frage ob Spiel als bdquofreie Handlungldquo eher als Taumltigkeit oder als Geschehen aufzufassen ist
nicht deutlich Dieser spaumlter im Kapitel bdquo14 Das Moment der Ambivalenzldquo noch detaillierter be-
schriebene Aspekt des Spiels ist gerade fuumlr das freie Spiel von ganz entscheidender Bedeutung
2 Vgl Scheuerl 1988 S 32-52 ebenso Miller-Kipp 2005 S273 277-279 auch Flitner 2002 S 13-253 Vgl Huizinga 2004 S 9-12 ebenso Scheuerl 1990 S 109-111 auch Flitner 2002 S 195-1974 Vgl Miller-Kipp 2005 ebenso Bonet 1993 aumlhnlich auch Huizinga 2004
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denn die sich aus der naumlheren Analyse ergebenden Voraussetzungen und Grundlagen fuumlr gelingen-
des freies bzw bdquonatuumlrlichesldquo Spiel werden ersichtlich machen aus welchem bdquoStoffldquo die schon an-
genommene Freiheit ist und mit welchem Verlaufsmuster dh mit welcher Strategie sich diese Frei-
heit im Spiel organisiert weshalb letztlich auch zwischen Taumltigkeit und Geschehen zu unterschei-
den ist Dazu wird noch ein weiterer Aspekt dieser bdquofreien Handlungldquo ganz zu Anfang naumlher zu be-
schreiben sein denn es gibt mehrere Ebenen auf denen verschiedene Qualitaumlten von Freiheit beste-
hen naumlmlich die Freiheit von der Lebensfuumlrsorge als bdquoFreiraumldquo zum Spiel und die schon erwaumlhnte
Freiheit als Ambivalenz im Spiel Beide Definitionsversuche sind aber auch insofern nicht bdquoganz-
heitlichldquo umfassend da sie lediglich auf Spiel als Verhalten von Menschen abzielen also anthropo-
zentrisch sind und sich somit nicht auf andere Wissenschaften uumlbertragen lassen Da das Spiel aber
auch von elementarer Bedeutung fuumlr nicht-paumldagogische Wissenschaften ist waumlre eine ganzheitli-
che Definition dienlich um entscheidende Parallelen zwischen den verschiedenen Forschungsgebie-
ten ziehen zu koumlnnen und die im Spiel zweifelsohne enthaltenen Potenziale nicht bdquoaufs Spiel zu set-
zenldquo und letztlich bdquozu verspielenldquo So konnten beispielsweise aktuelle naturwissenschaftliche Er-
kenntnisse zum bdquonatuumlrlichenldquo Spiel besonders uumlber die unverfuumlgbaren eigentuumlmlichen Momente
des Spiels naumlmlich die Kreativitaumlt die Phantasie die Spontanitaumlt die Unordnung den Unsinn den
Zufall und die Freiheit zeigen welch grundlegende Bedeutung ihnen im Spiel zukommen sodass
auch weitreichende Konsequenzen fuumlr die Paumldagogik daraus abgeleitet werden koumlnnen So sollte
beispielsweise auf der Handlungsebene das Geschehen des Spiels vernuumlnftigerweise abgewartet
werden damit etwas zwischen Zufall und Notwendigkeit selbstgesteuert daraus erwachsen kann
Und nicht wie bisher versucht wird das Spiel quasi als bdquoListldquo geplant und kontrollierbar von auszligen
zu erzeugen um daraus zB einzelne Kompetenzen vermeintlich herzustellen die dem aktuellen
Zeitgeist nach als bedeutend angesehen werden (vgl Miller-Kipp 2005 S 273-285) Ich sehe es als
entscheidend an die Verwandtschaft der wesentlichen Momente des Spiels mit dem Evolutionsprin-
zip aufzuzeigen um daraus ableitbare Konsequenzen und Voraussetzungen fuumlr das bdquonatuumlrlicheldquo
Kinderspiel ersichtlich machen zu koumlnnen An gegebener Stelle werde ich diese skizzierten Aspekte
nochmals vertiefend aufgreifen Zunaumlchst jedoch werde ich mich ausgehend von Hans Scheuerls
Standardwerk der Paumldagogik uumlber das Spiel5 mit den von ihm untersuchten Spielphaumlnomenen und
ihrem gemeinsamen Wesenszusammenhang befassen Hierbei ist es mein Anliegen das
(Kinder)Spiel weitestgehend nach seinem Wesen mit seinen grundlegenden Eigenheiten zu be-
schreiben und nicht nach seiner moumlglichen Funktion oder seinem Zweck fuumlr den Menschen zu fra-
gen Mit der Vermeidung eines auf Funktionen und Zwecken orientierten Erklaumlrungsversuch zu der
5 Scheuerl Hans Das Spiel - Untersuchung uumlber sein Wesen seine paumldagogischen Moumlglichkeiten und Grenzen 11Aufl Weinheim und Basel 1990
6
Frage was Spiel ist zielt mein Beschreibungsversuch darauf ab die Ebene der verschiedenen Spiel-
formen mit ihren Nutzen zu verlassen und in uumlbergeordneter Ebene das Spiel allgemeinguumlltiger er-
fassbar zu machen Dadurch sollen die bereits angedeuteten tieferen Zusammenhaumlnge des Spielphauml-
nomens ersichtlich werden woraus sich bdquoneueldquo Relevanzen fuumlr unsere Lebensfuumlhrung ableiten las-
sen Diese grundlegenderen Zusammenhaumlnge und die sich daraus ergebenden Konsequenzen oder
Relevanzen werden auch im Weiteren fuumlr die Argumentationslinie dieser Arbeit leitend sein
Auch Hans Scheuerls Ziel war es zunaumlchst zu einer grundlegenden Wesensbestimmung des Spiels
zu gelangen Dafuumlr unterteilte er das Spielgeschehen in sechs Wesensmomente naumlmlich in
Freiheit innere Unendlichkeit Scheinhaftigkeit Ambivalenz Geschlossenheit und Ge-
genwertigkeit (vgl Scheuerl 1990 S12-16 65-67) Aber auch durch diese Gliederung laumlsst sich
nicht bestimmt klaumlren was Spiel ist (vgl ders S 102) Daruumlber jedoch wie freies Kinderspiel
moumlglich wird gibt sein phaumlnomenologischer Deutungsversuch detailliert Aufschluss Daher wird
dieser im Folgenden kurz vorgestellt
11 Das Moment der Freiheit
Spielen geschieht nach Hans Scheuerl um seiner Selbst Willen bdquoSpiel verfolgt keinen auszligerhalb
seiner selbst liegenden Zweckldquo (Scheuerl 1990 S67)
Spiel ereignet sich somit nicht um etwas zu erschaffen zu erledigen zu verrichten zu erlernen
usw obwohl im Spiel zuhauf geschaffen errichtet gestaltet erledigt erlernt usw wird Ein Kind
das im Spiel bspw Baukloumltze aufeinander stapelt spielt dies nicht damit es einen geschickten Um-
gang damit erlernt sondern weil es Freude am lustbetonten Spielen hat Das Spielgeschehen ereig-
net sich also zweckfrei ist aber kein willkuumlrliches Ereignis oder sinnfreie Betaumltigung sondern es ist
bdquovon innerer Zweckmaumlszligigkeitldquo (ders S69) durchdrungen dh es folgt eigenen Regeln individuel-
len Absprachen Grenzen Zielen lustvollem Erleben usw und sei es beim spielenden Kind beim
Katzenjungen Fuszligballspieler oder Musiker Ihr Spiel wird stets mit Ernst und besonderem Eifer be-
trieben
bdquoSoll sein Spiel gelingen so muszlig er [der Spielende MG] sich ihm widmen koumlnnen alsgaumlbe es nichts auszliger diesem Spiel auf der Welt Eine aumlhnliche selbst- und weltvergesse-ne Hingabe verlangt das Spiel auch schon vom Kindeldquo(ders S67)
Diese voumlllige Hingabe beinhaltet Sorgenfreiheit ohne die das Spielen nicht moumlglich waumlre Die Spie-
lenden muumlssen fuumlr eine gewisse Zeit frei von ihrer unmittelbaren Lebensfuumlrsorge des bdquoDaseins-
kampfesldquo (Scheuerl) sein Dadurch entsteht ein Freiraum in Form von frei verfuumlgbarer Zeit und in
7
diesem bdquoRaumldquo ereignet sich Spiel (vgl ders S 67- 69)
Somit ist es auch kaum verwunderlich dass besonders den Nachkommen einer Art dieser besondere
Freiraum in hohem Maszlige zuteil wird Der Biologe und Anthropologe Adolf Portmann weist dazu in
einem seiner Beitraumlge zum Spiel6 darauf hin dass diese freie Zeit durch Spiel zu sinnvoll erfuumlllen-
der gestalteter Zeit (Vgl Portmann 1976 S60 vgl dazu auch S 68 und 71) wird und somit fuumlr
ein erfuumllltes Leben grundlegend sei Im Gegensatz zu einigen Spieltheorieansaumltzen7 die dem Spiel
ausschlieszliglich Erhaltungswert beimessen dient das Spiel Portmann zufolge mehr als nur dem Er-
haltungswert Aktuelle biologische Forschung hat hierzu offengelegt dass nur bei houmlheren Lebewe-
sen mit Entfaltung der Innerlichkeit im Sinne einer bdquoPsycheldquo aumluszligerlich verborgenes Erleben8 ent-
steht und dass es erst durch dieses Erleben von subjektiver Wirklichkeit (vgl Portmann 1976 S
58-61) zu bdquolustbetontem Verhalten [kommt] das nicht unmittelbar der Lebenserhaltung dient - es
begegnet uns erlebtes erstrebtes Spielenldquo (ders S60) Portmann beschreibt Spiel demnach wie
folgt
bdquoSpiel ist freier Umgang mit der Zeit ist erfuumlllte Zeit es schenkt sinnvolles Erleben jen-seits aller Erhaltungswerte es ist ein Tun mit Spannung und Loumlsung ein Umgang miteinem Partner der mit einem spielt - auch wenn dieser Partner nur der Boden ist oderdie Wand welche dem Spielenden den elastischen Ball zuruumlckwerfen Dieses Spiel setztetwas besonderes voraus einen Zeitraum ohne Sorge []ldquo (ebd)
Adolf Portmanns These dass bei houmlheren Lebewesen sinnvoll erfuumlllende Gestaltung von sorgenfrei-
er Zeit durch Spiel geschieht hat somit allgemeine Bedeutung auch fuumlr unsere eigene Daseinsfuumlh-
rung Denn
bdquo Spielʻ ist die lustvolle von Erhaltungssorge freie also zweckfreie aber sinnerfuumlllteZeitldquo (ders S 68 Herv i Orig)
bdquoVolles Leben ist nicht allein Gestaltung von Stoff von Materie Leben ist Umgang mitZeit ist Gestaltung von Zeit ist Sinngebung fuumlr leere Uhrenzeitldquo(ders S 60)
Portmann hebt das freie Spiel als gestaltete Zeit auf die Ebene der Grundbeduumlrfnisse und macht es
fuumlr ein sinnvoll erfuumllltes wahrhaft gutes Leben zur Bedingung (vgl ders S 66-72)
6 Portmann Adolf Das Spiel als gestaltete Zeit In Der Mensch und das Spiel in der verplanten Welt Hg Bayeri -sche Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1976
7 Kraftuumlberschusstheorie (H Spencer) Erholungstheorie (M Lazarus) Katharsistheorie (K Gross) Entwicklungs-psychologie (J Piaget) (vgl Kluge 1981 S 15 und 31)
8 Gemeint ist dass mit steigender Gestaltungshoumlhe der Lebewesen subjektives Erleben moumlglich ist also dass durchdas Zentralnervensystem und die Sinnesorgane reiche Umweltbeziehungen entstehen Diese Entwicklung hat sichbeim Menschen bis zur geistigen Lebensform gesteigert (vgl Portmann 1976 S 59-61)
8
12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
Kinder zeigen in ihrer Alltaumlglichkeit kontinuierlich einen Drang zum Spielen Ein Kind - und si-
cherlich nicht nur es allein - hat offenbar ein Beduumlrfnis nach freiem Spiel Scheuerl benennt diese
Begebenheit als triebhafte Tendenz zum Spiel (Vgl Scheuerl 1990 S 71) bdquoEs gibt zweifellos
einen Zwang zum Spielldquo (ebd Herv i Orig) Nach ihm muumlssen Kinder wenn sie gesund aufwach-
sen sollen sogar spielen um nicht psychisch und physisch zu erkranken Insofern kann sogar von
einem gewissen bdquoSpieltriebldquo (Vgl ders S 73) als Tendenz zum Spiel gesprochen werden Dieses
Spielbestreben weist aber letztlich ein anderes Wesen als andere menschliche Tendenzen (Triebe)
zur Beduumlrfnisbefriedigung auf und muss davon unterschieden werden Denn die letztlichen Tenden-
zen im Spiel sind keine gewoumlhnlichen Beduumlrfnisbefriedigungen durch Triebverhalten also keine de-
terminierten triebhaften Handlungen die zweck- oder zielorientiert sind Statt dessen sind sie situa-
tiv sowie individuell variabel und vor allem in sich zirkulaumlr Denn die Befreiung von Beduumlrfniss-
pannungen also dem bdquo[s]ich allen Erregungen und Drang-Erlebnissen gegenuumlber den Frieden ge-
benldquo (ders S 70) zielt auf das Ende der Spannung ab die das nicht erfuumlllte Beduumlrfnis triebhaft
ausloumlste So etwa moumlchte man zB bei Hunger oder Durst Saumlttigung bzw Stillung herbei fuumlhren
Alle triebhaften Handlungen zielen demnach tendenziell auf die Befriedigung des sie hervorbrin-
genden Beduumlrfnisses ab und somit auf ihr eigenes Ende In dieser Tendenz die sich auf das Ende
der beduumlrfnisbefriedigenden Handlung hin ausrichtet liegt nun zum Spiel der wesentliche Unter-
schied Der bdquoSpieltriebldquo will keine Befriedigung bdquoer kann nicht gesaumlttigtʻ werdenldquo (ders S 73)
Sein Initialzweck ist vielmehr die Beseitigung aller Spielhindernisse - deshalb auch triebhafte Ten-
denz zum Spiel Aber sobald eine konkrete Spielidee im Kind aufkeimt und es beginnen kann sich
entschieden und mit groumlszligtem Eifer ihr zu widmen um darin voumlllig selbst aufzugehen als ob es nur
dies Eine auf Erden gaumlbe und das Spiel niemals enden duumlrfe wird das Wesensmerkmal der inneren
Unendlichkeit erkenntlich bdquoDa ist nichts was auf ein Ende draumlngt nichts was den Zustand des
Spielens aufheben moumlchteldquo (ders S 71 )
bdquoDas Spiel kann innerhalb seines Freiraums gekennzeichnet werden als Bewegung voninnerer Unendlichkeitʻldquo (ders S74)
Ist ein Spiel erst einmal im Gange will es ewig fortgesetzt werden Es strebt seiner eigenen inneren
Unendlichkeit entgegen einem nicht endenden zirkulaumlren bdquoZustandldquo Und von da an gleicht der
bdquoSpieltriebldquo als Spielerscheinung in seiner Tendenz auch keiner zielorientierten Zweck- oder Be-
duumlrfnishandlung mehr weshalb genau genommen nicht von gewoumlhnlicher Beduumlrfnisbefriedigung
durch Triebverhalten gesprochen werden kann Das Spiel ist also dem Wesen nach eine staumlndige
Spielbewegung (Scheuerl) quasi ein Perpetuum mobile Ein Kind spielt nicht bis es das Spielen
9
satt hat oder vom Spielen uumlbersaumlttigt ist sondern es beendet erst sein Spielen wenn es durch aumluszliger-
liche Faktoren (zB Beduumlrfnisse Noumlte Verpflichtungen jeglicher Art etc) dazu gedraumlngt wird (vgl
ders S 70-77)
13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
Das frei von Zwecken und Triebdruck voumlllig in sich selbst versunkene unendliche Spiel spielende
Kind wird durch die Hingabe an die eigene Phantasie kreativ wird lebendig Die Einbildungskraft
erschafft und gestaltet eine eigene Phantasiewelt in der Form einer bdquoAls-obldquo-Realitaumlt (Scheuerl)
Die durch Spielerphantasie konstruierte bdquoScheinweltldquo (Scheuerl) nimmt dabei die Bedingungen ih-
rer Umwelt wie beispielsweise reale Gegenstaumlnde und Objekte und ihre Materialitaumlt auf und erwei-
tert diese bdquoGegenstaumlndeldquo ggf bis zum imaginaumlren rein symbolischen Spielmittel damit es der
Spielidee und ihrem Fortgang moumlglichst dienlich ist
Die gesamte Phantasiespielwelt wird somit nach eigenen Vorstellungen von nah am objekthaften
(abbildnah) bis fernab der im weitesten Sinne materiellen Realitaumlt (abstrakt) konstruiert und kann
mit eigenen Gesetzmaumlszligigkeiten und Zusammenhaumlngen gestaltet werden Die entstehenden spieleri-
schen Inszenierungen enthalten in ihrer Spielidee auch fortwaumlhrend aktuelles Geschehen und die
Eindruumlcke der Kinder dazu wodurch es auf diesem Weg zur spielerischen Auseinandersetzung da-
mit kommt So kann zB ein vom Kind miterlebtes Hochwasser in der eigenen Region zur aufge-
griffenen Spielidee fuumlhren Ein verwittertes Stuumlck Holz etwa koumlnnte dem spielenden Kind als Sym-
bol des Rettungsbootes dienen das sich mit seinen imaginaumlren Insassen in einer dramatischen Ret-
tungsaktion im Hochwassergebiet befindet In solchen Spielszenen ist haumlufig beobachtbar dass es
beim Spielen nicht um abbildhaftes realitaumltsgetreues Nachspielen des eventuell Erlebten geht Son-
dern vielmehr darum dass sich das spielende Kind aktiv im Spiel zwar mit Erlebtem auseinander-
setzt im Sinne der bdquoScheinhaftigkeitldquo und des Unendlichkeitscharakters des Spiels aber rein aus
Freude am lustbetonten gestalteten Spielen die Spielhandlung ritualhaft wiederholt In diesem Sin-
ne wuumlrden beispielsweise immer wieder Insassen aus dem Boot geschleudert die es dann aufs Neue
zu retten gaumllte wodurch das Spiel zirkulaumlr bestaumlndig zumindest solange fortdauern koumlnnte bis neue
Spielideen oder von auszligen kommende Faktoren es abloumlsen oder beenden Spielern aber auch Zu-
schauern (zB im szenischen Spiel) erscheint diese Phantasiewelt von der materiellen Realitaumlt los-
geloumlst und die uumlber den Dingen schwebende bdquoScheinhaftigkeitldquo des Spiels (Scheuerl) kann Betrach-
ter und Akteure gleichfalls in ihren faszinierenden Bann ziehen sofern ihnen der Zugang zur eige-
nen Phantasie nicht von auszligen bdquoversperrtldquo ist (vgl Scheuerl 1990 S 77- 85)
10
14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
Jeder Spielende versucht sein Spiel bestaumlndig aufrecht zu erhalten9 Dafuumlr baut er im Spiel ein
Spannungsverhaumlltnis also einen inneren bdquoSpielraumldquo als Modus von selbstregulierter Freiheit auf
Die entstehende Autonomie (Freiheit) im Spiel besteht nun in der Ambivalenz zwischen sich zufaumll-
lig ergebendem Neuen Unbekanntem oder neu Gestaltetem (zB neue Passage am Kletterfels oder
die sich staumlndig neu ergebenden Flugbahnen der jonglierten Baumllle etc) und notwendig Festgeleg-
tem Bekanntem oder Begrenzendem (zB Regeln beherrschte Kletterpassage die bestaumlndige Form
und das Gewicht der Jonglierbaumllle die eingeuumlbte Jongliertechnik etc) Der Spielende versucht da-
bei permanent sein Spiel in Balance zwischen diesen beiden bdquoPolenldquo zu halten um es einerseits
stets durch bdquoNeuesldquo interessant zu gestalten und es andererseits durch bdquoBekanntesldquo zu stabilisieren
Die Dominanz einer Seite wuumlrde das Spiel abbrechen also beenden Denn ein zu viel an Neuem
noch zu Entdeckendem wuumlrde dem Spiel ein Uumlbergewicht an Wagnis Raumltselhaftigkeit Moumlglichkei-
ten oder Schwierigkeit verleihen und ein zu viel an bereits Entdecktem Begriffenem oder Begren-
zung wuumlrde das Spiel etwa vorhersehbar und eindeutig machen oder es einengen bdquokanalisierenldquo
(Scheuerl eindimensionale Zweckhandlung) sodass jede von ihm ausgehende Spannung und Spiel-
freude verloren ginge (vgl Scheuerl 1990 S 86-90)
bdquoSo bedarf das Spiel einer maszligvollen Spannung Spannungslosigkeit waumlre der Tod fuumlrdas Spiel Andererseits wuumlrde eine zu hohe Spannung sogleich einen auf Beendigungder Spannung gerichteten Befriedigungswunsch hervorrufen der die Ambivalenz uumlber-waumlltigen muumlszligteldquo (ders S 88 Herv i Orig)
Veranschaulicht darstellen laumlsst sich diese Ambivalenz zwischen Zufall und Notwendigkeit im Spiel
auch am Beispiel des Wuumlrfelns mit einem sechsseitigem Zahlenwuumlrfel Dabei besteht der Zufall in
der Wahrscheinlichkeit mit der eine der sechs Zahlen gewuumlrfelt wird und die Notwendigkeit be-
steht darin dass eine gewuumlrfelte Zahl immer im einschlieszligenden Bereich von eins bis sechs liegen
wird Somit begrenzen die festgelegten sechs Seiten des Wuumlrfels wie eine Regel das zufaumlllige Ein-
zelergebnis und steuern quasi bdquoselbstorganisiertldquo die Konsequenzen des Zufalls wodurch er statis-
tisch moumlglich dh wahrscheinlich wird (vgl Miller-Kipp 2005 S 281-282)
Nach Gisela Miller-Kipp10 ist dieses selbstgesteuerte Spannungsverhaumlltnis von ganz urspruumlnglicher
Relevanz Sie sieht einen Zusammenhang zwischen dem bdquoSpiel der Evolutionldquo dem Modus von
Freiheit zwischen Moumlglichem und Wahrscheinlichem und dem (menschlichen tierischen) Spiel als
9 vgl dazu bdquo12 Moment der inneren Unendlichkeitldquo in dieser Arbeit S 9 f10 Miller-Kipp Gisela Zufall Selbstorganisation und Kreativitaumlt Ein Versuch uumlber die Natur des Spiels wider seine
Paumldagogisierung In Bilstein J Winzen M Wulf C (Hg) Anthropologie und Paumldagogik des Spiels Weinheimund Basel Beltz Verlag 2005 S 273-291
11
einem lebendigen Teil dessen Naturwissenschaftliche Forschungen uumlber die Evolution haben seit
fast einem Jahrhundert die dazu grundlegenden Wesenskraumlfte im Evolutionsprozess definiert Diese
Wesensmerkmale sind Kreativitaumlt und Zufall (vgl dies S 281-285) Elfriede Maria Bonet fuumlhrt in
ihrem Aufsatz zum Spiel bdquoVon Autonomie und Spontanitaumlt Eine Naturgeschichte des Spielsldquo11 aus
dass Selbstorganisation eine relative Unabhaumlngigkeit von aumluszligeren Reizen bewirkt (Autonomie)
weshalb Spontanitaumlt als Strategie zur Selbststeuerung entsteht Diese Entwicklung von Selbstorga-
nisation mit Spontanitaumlt zur Selbststeuerung bildet ihr zufolge das kreative Moment im Evolutions-
prozess welches fuumlr das Auftreten neuer nicht voraussagbarer Qualitaumlten bzw neuer bdquoFormenldquo
oder Variationen aus dem Vorhandenen entstehen laumlsst (Emergenz12) Das daraus entstehende neue
Ganze waumlre bildlich gesprochen demnach mehr als die Summe seiner einzelnen Teile (frei nach Ari-
stoteles) Da es fuumlr menschliches aber auch tierisches Verhalten charakteristisch ist dass aufgrund
von Autonomie Spontanitaumlt entsteht erkennt Bonet darin die systemische Wesensverwandheit von
Spiel und Evolution (vgl Bonet S35ff) Diese Annahme deckt sich insofern auch mit dem Stand-
punkt derzeitiger Evolutionsforschung denn darin bdquowird die Evolution der materiellen und biologi-
schen Welt als einheitlicher Prozess angesehen der nicht determiniert ist und nicht deterministisch
ndash oder im alten Sinne mechanisch ndash ablaumluft Er spieltʻ wie es heiszligt [hellip]ldquo (Miller-Kipp 2005 S
280 Herv i Orig) Daraus folgt dass die bdquonatuumlrliche ndash physikalische und biologische ndash und kultu-
relle Evolution strukturell miteinander gekoppelt [sind] laufen also weder unabhaumlngig voneinander
noch in determinierender Kausalitaumlt zueinander abldquo (ebd Herv i Orig) Das schlieszligt somit das
Spiel des Menschen als bdquoKulturfaktorldquo13 und bdquoUrprinzipldquo (Huizinga) in diesen offenen Prozess ein
denn bdquoes [das Spiel MG] wurzelt in der Natur als der natuumlrlichen (der materiellen und der biologi-
schen) Evolution und traumlgt deren Momente in sich auch im Kulturprozessldquo (Miller-Kipp 2005 S
281) Auf dieser Grundlage wird derzeit die kreative Selbststeuerung auch als ursaumlchlich fuumlr den ge-
waltigen Formen- und Artenreichtum der Natur angesehen (vgl dies S 273-285 vgl dazu auch
Bonet 1993 S 35 ff) Auf das bdquonatuumlrlicheldquo (Kinder)Spiel bezogen bedeutet dies dass auch aus
dem Spiel in seinen Formen und Funktionen heraus Emergenzen entstehen Diese neuen unvorher-
11 Bonet Elfriede Maria Von Autonomie und Spontanitaumlt Eine Naturgeschichte des Spiels In Baatz U Muumlller-Funk W (Hg) Vom Ernst des Spiels uumlber Spiel und Spieltheorie Berlin Dietrich Reimer Verlag 1993 S35- 47
12 bdquoEmergent So bezeichnet man systemische Eigenschaften die nicht aus den Komponenten eines Systems abgelei-tet oder vorhergesagt werden koumlnnen Systeme sind in erster Linie relationale Tatsachen Dinge die auf den Bezie-hungen beruhen welche die Elemente des Systems zueinander einnehmen Als solche besitzen sie Eigenschaftendie gegenuumlber den Eigenschaften ihrer Komponenten oder Elemente emergent sind Nach Luhmann ist das Sozialeeine emergente Eigenschaft und als solches nicht aus den Eigenschaften seiner Elemente der psychischen Systemeableitbar Sozialitaumlt ist eine houmlherstufige Eigenschaft die auf den Beziehungen zwischen Menschen beruht In derBewusstseinsphilosophie behauptet der so genannte Emergentismus die Emergenz von Bewusstsein Hat die Kom-plexitaumlt bestimmter biologischer Systeme einen bestimmten Grad erreicht stehen insbesondere Nervenzellen aufvielfaumlltige Weise miteinander in Beziehung so tritt in der Geschichte der Evolution Bewusstsein als emergente Ei-genschaft dieser biologischen Systeme aufldquo (bdquoemergentldquo In UTB-Online-Woumlrterbuch Philosophie)
13 Huizinga geht davon aus dass Kultur (Sprache Gemeinschaftsleben Brauchtum Essen Sitten Kunst ReligionRechtsleben etc) in Form von Spiel entsteht (vgl Huizinga 2004 S7-13 56-58)
12
sagbaren Erscheinungen (Qualitaumlten) sind so vielfaumlltig dass sie dem von der Natur hervorgebrach-
ten Artenreichtum gleichen und in ihrer Qualitaumlt fuumlr das Individuum die vielfaumlltigsten und komple-
xesten Funktionen und Nutzen bereithalten
Nach meiner Auffassung werden die beschriebenen Wesenszusammenhaumlnge von Spiel und Evoluti-
on besonders in dem Modus von Freiheit als Ambivalenz im Spiel ersichtlich da die grundlegenden
evolutiven Momente naumlmlich Kreativitaumlt Selbstorganisation und Spontanitaumlt auch die wesentlichen
Schaffenskraumlfte menschlichen Handelns und des erlaumluterten Spannungsverhaumlltnisses im Spiel sind
In Anlehnung an Miller-Kippacutes und Bonetacutes Deutungsversuche zum Spiel ist das freie im obigen
Sinne natuumlrliche Kinderspiel als Modus von selbstregulierter Freiheit eine wesensgemaumlszlige kreatuumlrli-
che bdquoTaumltigkeitldquo des Menschen die sich ereignet bzw die geschieht und nicht verrichtet oder erzeugt
werden kann Die diesem bdquoSpielgeschehenldquo (Scheuerl) innewohnenden unverfuumlgbaren wesentli-
chen Momente sind demnach sowohl die Grundbedingung fuumlr das Spiel selbst als auch Vorausset-
zung fuumlr die Vielfaumlltigkeit im Spielprozess Fraglich ist an dieser Stelle ob ein intentional geplantes
Erziehungs- und Bildungsvorhaben diesen Entwicklungsspielraum mit vielfaumlltigsten Erfahrungs-
moumlglichkeiten fuumlr Kinder schuumltzend bereithaumllt Und ob dann das freie natuumlrliche Spiel abgewartet
wird oder ob das (Kinder)Spiel mit funktionalen Absichten durch Paumldagogisierung in das planende
Joch von Erziehungs- und Bildungsbestrebungen eingespannt wird und seine wesentlichen Poten-
ziale damit verspielt werden
15 Das Moment der Geschlossenheit
Die freie Spieltaumltigkeit eines Kindes ist insofern geschlossen als dass die oben genannten Momente
wie einzelne ineinander greifende Glieder eine bdquogeschlossene Ketteldquo bilden muumlssen damit sich
freies bdquonatuumlrlichesldquo Spiel einstellt Die sich daraus bildenden oder aufgenommenen Spiele werden
haumlufig von da an als auftretendes Phaumlnomen augenscheinlich Denn das Spiel beginnt sich als frei
gestaltete Zeit mit seinem entstehenden bdquoKosmosldquo von Regeln Zufaumlllen Absprachen Bedingun-
gen Offenheiten Bestrebungen Kontexten Unverfuumlgbarkeiten Themen etc klar zu definieren und
vom gewoumlhnlichen Leben bdquoabzusetzenldquo Es wird dabei ersichtlich dass freies Spiel seine eigene in-
nere Regelhaftigkeit (im weitesten Sinne) sein bdquoSpielfeldldquo hat und eher als das Gegenteil von Will-
kuumlr oder Anomie anzusehen ist (Vgl Scheuerl 1990 S 91-95)
16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
Das Spiel verfolgt keinen auszligerhalb seiner selbst liegenden Zweck (Zweckfreiheit) und das Spielge-
13
schehen ist eine bdquopendelnde Suchbewegungldquo (Scheuerl Ambivalenz) die bestrebt ist innerhalb ih-
rer konstruierten bdquoScheinweltldquo (Scheuerl Scheinhaftigkeit) endlos in sich selbst zuruumlckzulaufen
um kein Ende zu finden (innere Unendlichkeit) Spielende sind von ihrem lustvollen Erleben im
Spiel voumlllig durchdrungen und gestalten spielend spontan mit groszliger Ernsthaftigkeit und in voumllli-
ger Selbst- und Weltvergessenheit ihr bdquoewigesldquo Spiel Und wie entgegen aller Vergessenheit ist es
dennoch ein Zustand houmlchster Wachheit und Konzentration Spielende sind in jedem gegenwaumlrtigen
Moment voumlllig praumlsent dh im bdquoHier und Jetztldquo aumlhnlich einem meditierenden Menschen Spielende
befinden sich also im Zustand tiefer Kontemplation aber nur im Bezug auf ihr Spiel weshalb sie
auch das eigene Gefuumlhl fuumlr Zeit im Moment des Spielens nicht oder kaum wahrnehmen Spielende
Kinder koumlnnen uumlber Stunden bdquowie gefesseltldquo ihrem Spiel nachgehen ohne dass ihnen die Zeitspan-
ne wirklich bewusst waumlre oder dass es ihnen hinterher moumlglich waumlre den fuumlr das Spiel aufgebrach-
ten Zeitraum zu schaumltzen (Vgl Scheuerl 1990 S 95-96 100-102)
17 Zusammenfassung
Das dieser Arbeit zugrunde liegende Verstaumlndnis des Begriffes bdquofreies Kinderspielldquo kann wie folgt
zusammengefasst werden Freies (Kinder)Spiel wird als ein Geschehen von komplexer geistig-
kreativer Weltzuwendung verstanden das sich innerhalb eines Freiraumes ereignet Einerseits ist
die sich innerhalb dessen ereignende Spieltaumltigkeit frei von Zielen Zwecken oder Nutzen die au-
szligerhalb seiner selbst liegen und andererseits sind die Spielenden innerhalb des Spielzeitraums frei
von ihrer unmittelbaren Lebensfuumlrsorge Als solche freie Zeit gestaltende Taumltigkeit ist das Spielen
fuumlr geistig emotional erlebende Wesen wie den Menschen oder houmlher entwickelte Tiere fuumlr eine
hohe Lebensqualitaumlt innerhalb eines erfuumlllenden Lebens grundlegend Aus diesem Umstand ergibt
sich dass freies natuumlrliches Spiel als grundsaumltzliches Beduumlrfnis angesehen werden kann weshalb
Spielende auch einen Drang (bdquoTriebldquo) zum Spiel aufweisen Doch ist der Charakter dieser
(Spiel)Taumltigkeit an sich von anderer bdquoNaturldquo als gewoumlhnliche Beduumlrfnisse befriedigende
(Trieb)Handlungen Als diese triebhafte Tendenz zum Spiel zielt die Spieltaumltigkeit nicht auf das Be-
duumlrfnis stillende Ende ab sondern auf ihren dauerhaften Fortgang Dieser zirkulaumlre Charakter und
das geistig erfuumlllende Erleben werden dabei durch den Umstand ermoumlglicht dass sich das Spieler-
eignis aufgrund seiner zuvor beschriebenen Autonomie in einem Spannungsverhaumlltnis ereignet Die-
ses ergibt sich zwischen Zufall und Notwendigkeit und wird durch den Spielenden bestaumlndig in
Waage gehalten Dieses selbst initiierte Geschehen reguliert sich somit auf der Handlungsebene
selbst es ist selbstorganisiert Diese Selbststeuerung nutzt Phantasie und Spontanitaumlt als Strategie
weshalb das Spielgeschehen trotz seines zirkulaumlren Charakters als prozessoffen bezeichnet werden
14
kann Besonders das Kinderspiel taucht dazu im gegenwaumlrtigen Spielmoment mit seinen spielenden
Subjekten im besonderen Bewusstsein uumlber seine paradoxe Als-ob-Realitaumlt in ihre eigens gestaltete
geistige Scheinwelt ein Die Spielenden sind waumlhrenddessen voumlllig selbst- und weltvergessen mit
groszliger Ernsthaftigkeit und im groumlszligten Eifer voumlllig in ihr bdquogebanntldquo Fuumlr ein bdquosich Ereignenldquo dieses
beschriebenen spontanen natuumlrlichen Spiels hat es nun als letztes Merkmal noch zur Voraussetzung
dass einzelne Momente nicht fuumlr sich isoliert initiiert oder planmaumlszligig ersetzt weggelassen oauml wer-
den koumlnnen so dass jedes einzelne der sechs Wesensmomente im Spielgeschehen quasi jeweils ein
bdquoGliedldquo in einer ineinander greifenden bdquofunktionalenldquo Kette darstellt ohne dass die Kette nicht
funktionstuumlchtig waumlre und sich freies natuumlrliches Spiel nicht ereignen koumlnnte
Inwiefern sich freies Kinderspiel nach dieser Auffassung im Hessischen Bildungs- und Erziehungs-
plan widerspiegelt soll im folgenden Kapitel untersucht werden
2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
21 Das Spielverstaumlndnis
Im Kapitel bdquoGrundsaumltze und Prinzipienldquo des Hessischen Bildungsplanes kommt dessen bdquoeigenesldquo
Verstaumlndnis zum bdquoKinderspielldquo ebenso zum Ausdruck wie eine Anleitung dazu wie mit dem Spiel-
phaumlnomen planvoll umzugehen ist (vgl Hessisches Sozialministerium Hessisches Kultusministeri-
um (2007) S 30-31) Im Folgenden werden diese Positionen zusammenfassend darstellt und erlaumlu-
tert
Spiel wird darin als Mittel in der ureigenen Ausdrucksform des Kindes angesehen womit es in der
Zeit des Heranwachsens seine Entwicklungsaufgaben und Lebensrealitaumlt bewaumlltigt Nach dieser
Auffassung kennzeichnen das Spiel drei Merkmale Das ist erstens die Zweckfreiheit der Spielhand-
lung die ausschlieszliglich durch das von ihr ausgehende Anregungspotentials ausgefuumlhrt wird Zwei-
tens dass im Spiel eine eigene Realitaumlt konstruiert wird und drittens dass Spielhandlungen wie im
Ritual wiederholt werden Die weitere Betrachtung des Spiels ist dann maszliggeblich auf Zwecke Zie-
le und den Sinn des Spiels im Bezug auf seine Wirkungen beschraumlnkt Somit sollen sich Kinder
zwar bdquoin ihren Spielhandlungen lustvoll versenken und dabei in einen intensiven Austausch mit ih-
rer Umwelt tretenldquo (dies S 30) Dies diene dann aber lediglich der Verarbeitung und Bewaumlltigung
von noch nicht zuordenbaren Erfahrungen (Problemen) Diese vom Kind zu bewaumlltigenden Proble-
me betraumlfen einerseits Entwicklungsthematiken wie bdquodas Ausspielen von Macht und Kontrolle von
Allmachtsphantasien [hellip] oder Herrschaft uumlber Leben und Tod [] sowie der Wunsch nach Heraus-
bildung eines Selbst bzw einer Identitaumltldquo (ebd) und andererseits Beziehungsthematiken zwischen
15
Erwachsenen und Gleichaltrigen
An die Beschreibung der drei Merkmale von Spiel anschlieszligend wird der Lern- und Entwicklungs-
charakter des Spiel dargestellt bdquoFreie Spielprozesse sind immer auch Lernprozesse denn Kinder
lernen zumindest beilaumlufig durch Spielenldquo (ebd)
Weiter heiszligt es im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan dass die Qualitaumlt dieser Lernprozesse
die im freien Kinderspiel stattfinden durch bdquogezielte Unterstuumltzungsmaszlignahmenldquo zu erhoumlhen sei In
dieser Aussage wird deutlich dass das freie Kinderspiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungs-
plan lediglich als Mittel aufgefasst wird welches die Entwicklungs- und Lernprozesse waumlhrend des
Heranwachsens beschleunigend wie ein Motor vorantreiben soll Warum sonst soll die bdquoQualitaumltldquo
des freien Kinderspiels bdquoerhoumlhtldquo werden Kinder sollen in erster Linie nicht spielen um ihrem Be-
duumlrfnis nach Spiel nachzukommen sondern um etwas zu lernen Dies legt den Verdacht nahe dass
das Spielen als solches auch nur aus diesem Grunde naumlmlich weil Kinder im Spiel etwas lernen
dh Kompetenzen erwerben Bestandteil des Bildungsplanes ist
Zusammenfassend kann festgestellt werden dass das Spiel im Hessischen Bildungs- und Erzie-
hungsplan auf eine Art Voruumlbung fuumlr das bdquorichtigeldquo Leben bei gleichzeitiger Lebensbewaumlltigung
verkuumlrzt wird Gleichzeitig findet durch die bdquoAufwertungldquo des freien Spiels zum bdquospielerischen Ler-
nenldquo eine Funktionalisierung und Paumldagogisierung des freien Spiels statt Die dem Spiel von Lern-
und Entwicklungspsychologie attestierten Potenzen (vgl Oerter 2007) sollen fuumlr die Realisierung
der Bildungs- und Erziehungsziele nutzbar gemacht werden dh das Spiel an sich dient vorrangig
dem Erwerb gewisser Kompetenzen und nicht der Erfuumlllung kindlicher Spielbeduumlrfnisse
Im folgenden Abschnitt werden die Hintergruumlnde eines solchen Spielverstaumlndnisses untersucht
Politische Motivationen spielen dabei ebenso eine Rolle wie die sich daraus ergebenden Ziele des
aktuellen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplans
22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
Im Vorwort des Hessischen Bildungs- und Erziehungsplans benennen die ehemaligen Hessischen
Ministerinnen14 fuumlr Kultus Karin Wolf und fuumlr Soziales Silke Lautenschlaumlger das zentrale politi-
sche Ziel naumlmlich die bdquoOptimierung der Bildungschancenldquo und die Entwicklung von bdquoChancen-
gleichheitldquo (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S 18) fuumlr die heranwachsende
Generation Bereits diese Formulierung laumlsst erkennen dass es im Bereich Bildung und Erziehung
politisch gesehen um Effizienz und um einheitliche bdquoQualitaumlts-ldquo und bdquoBildungsstandardsldquo geht die
14 unver uumlbern v aktuellem Kultusminister Herr Lorz von Herr Gruumlttner fuumlr Soziales und Integration
16
auf maximale Leistungen in der nationalen und internationalen Wissenskonkurrenz zielen
Wie ist also bdquoOptimierung der Bildungschancenldquo zu verstehen Konzeptionell ist diese bdquoOptimie-
rung der Bildungschancenldquo darauf angelegt dass bis zum Uumlbergang in die Sekundarstufe die Kin-
dertageseinrichtungen und Grundschulen allen Kindern eines Jahrgangs als Grundlagen die gleichen
bdquoBasiskompetenzenldquo15 vermitteln sollen Das Erreichen dieser bdquoBildungsstandardsldquo bis zur vierten
Klasse sei wiederum die Herstellung von bdquoChancengleichheitldquo so die Schlussfolgerung (vgl dies
S 18)
Dabei besteht die Chance darin dass die Kinder des gesamten Jahrgangs in gleichen Leistungstests
an diesen einheitlichen bdquoBasiskompetenzenldquo in Abhaumlngigkeit gemessen und in Konkurrenz zueinan-
der nach ihren Lernleistungsdifferenzen (Leistungsabstaumlnden) eingeordnet werden koumlnnen (vgl
Nuumlberlin 2002 S 117-127) Die dabei entstehende Jahrgangssortierung dh die Platzierung im
Leistungsvergleich innerhalb eines Jahrganges entscheidet dann daruumlber welche Kinder eine
bdquoChanceldquo auf houmlhere Bildung erhalten und welche nicht welche also das Gymnasium besuchen
duumlrfen und fuumlr welche der Besuch der Realschule vorgesehen ist Somit werden mit dem politischen
Programm bdquoChancengleichheitldquo bzw bdquoOptimierung der Bildungschanceldquo die jungen Generationen
(Kinder und Jugendliche) gemaumlszlig der in der Gesellschaft durchgesetzten Wissenshierarchie bzw Fauml-
higkeitshierarchie kontinuierlich eingeordnet (vgl Nuumlberlin 2002 S 127-129)
Deshalb soll bdquoChancengleichheitldquo auch bdquoBildungschancenldquo eroumlffnen weshalb im Bildungsplan Paumld-
agogen dazu aufgerufen sind die Kinder von fruumlhester Kindheit an individuell zu staumlrken um ihre
unterschiedlichen Voraussetzungen zumindest in gleichen bdquoBasiskompetenzenldquo vermeintlich einan-
der anzugleichen und somit die Vergleichbarkeit in der Notenkonkurrenz chancengleich im Sinne
von voraussetzungsgleich zu gestalten (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S
5-6 und S 17-18) Gerda Nuumlberlin weiszligt darauf hin dass aber diese Voraussetzungsgleichheit die
Institution Schule gerade nicht leistet Und dass Schule statt dessen durch Lernen auf Zeit die Schuuml-
ler innerhalb eines Jahrgangs mit einheitlichen Tests kontinuierlich einem Sortierungsverfahren un-
terzieht das eher gemaumlszlig den Bildungsschichten die Wissensunterschiede der Kinder hervorhebt
und sogar mit produziert statt sie mit dem Ziel der bestmoumlglichen Wissengleichheit zu bdquobeseitigenldquo
(vgl Nuumlberlin 2002 S 104-142)
Die auf gleiche Basiskompetenzen vorbereitenden Lernangebote und Fruumlhfoumlrderungen sollen nach
Aumluszligerung der Ministerinnen im Vorwort intensiver und fruumlher initiiert werden als in den vorange-
gangenen Jahren (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S 5-6) Zur Sicherung
15 bzw auch als bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (vgl dies S 41) bezeichnet daraus resultieren sollen die besonders vonder Wirtschaft geforderten bdquoMetakompetenzenldquo (vgl dies S 17)
17
der bdquoBildungsqualitaumltldquo und Umsetzung einheitlicher Standards soll der Bildungs- und Erziehungs-
plan das institutionenuumlbergreifende Steuerungsinstrument sein (vgl dies S 19) Die Herausgeber
des Bildungsplanes heben in der Einfuumlhrung besonders hervor dass es sich erstmals um einen Bil-
dungs- und Erziehungsplan handelt der durch seine stufenlose Konzeption von 0 bis 10 Jahren ein
kontinuierliches Lernen vorsieht Alle paumldagogisch wirkenden Personen und Institutionen sollen
durch einheitliche Bildungs- und Erziehungsziele moumlglichst an bdquoeinem Strang ziehenldquo koumlnnen (vgl
dies S 5-19)
Leitziel ist es fuumlr das bdquolebenslange Lernenldquo mit dem Erwerb von bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo die
bereits erwaumlhnte gemeinsame Grundlage (bdquoBasiskompetenzenldquo 16) der Kinder zu erzeugen (vgl
dies S 41f)
Veranlasst sehen sich die Ministerien zur bdquoneuenldquo konzeptionellen Bildungssteuerung durch den
tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel der sich von der demografischen Entwicklung uumlber viel-
faumlltige kulturelle Kontexte die Wirtschafts- und Arbeitswelt bis hin zu familialen Wandlungsprozes-
sen vollzieht und generell durch Schnelllebigkeit gekennzeichnet ist und von den Menschen ein ho-
hes Maszlig an Flexibilitaumlt und Mobilitaumlt fordert Hierzu werden auch die Ergebnisse der Schuumllerleis-
tungsvergleiche wie PISA TIMSS oder IGLU und denen entsprechende wissenschaftliche For-
schungsbefunde genannt denen der bdquo(neue) Bildungs- und Erziehungsplanldquo Rechnung tragen
moumlchte (vgl dies S 16-19)
Denn die Platzierung bei national und international vergleichbaren Leistungserhebungen ist letztlich
die Bemessungsgrundlage fuumlr bdquoBildungserfolgldquo oder bdquoBildungsversaumlumnisldquo Die attestierte bdquoBil-
dungsqualitaumltldquo ist deshalb von politischem Interesse weil die Politik die durch ihr Bildungssystem
erreichte Platzierung im vorderen Bereich als Standortfaktor fuumlr ihren Wirtschaftsstandort in
Deutschland nutzen moumlchte um vor allem auf dem globalem Markt konkurrenzfaumlhig zu bleiben
Im Folgenden wird zu zeigen sein ob und inwiefern diese Zielsetzungen mit dem dafuumlr entwickel-
ten Bildungskonzept zur angenommenen Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels fuumlhren
16 Im Einzelnen werden folgende Kompetenzen genannt als Basiskompetenzen werden bdquoindividuumsbezogeneKompetenzenldquo bdquoKompetenzen zum Handeln im sozialen Kontextldquo bdquoLernen und lernmethodische Kompetenzldquo undbdquokompetenter Umgang mit Veraumlnderung und Belastung Widerstandsfaumlhigkeit (Resilienz)ldquo genannt (vgl dies S 25-26 und S 41-44) Zum anderen werden darauf aufbauende konkrete Bildungs- und Erziehungsziele genannt (ent-sprechend der geforderten bdquoMetakompetenzenldquo) bdquostarke Kinderldquo bdquokommunikationsfreudige Kinder und medien-kompetente Kinderldquo bdquoKreative fantasievolle und kuumlnstlerische Kinderldquo bdquoLernende forschende und entdeckungs-freudige Kinderldquo und bdquoverantwortungsvoll und werteorientiert handelnde Kinderldquo (vgl dies S 13)
18
23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Wie kann das politische Ziel naumlmlich alle Kinder mit den gleichen Grundkompetenzen auszustatten
und deren bdquoErfolgldquo mindestens ab der vierten Klasse an regelmaumlszligigen Leistungserhebungen zu be-
messen durch freies Spiel erreicht werden Die Vermittlung bzw der Erwerb standardisierter Inhal-
te (Wissen Faumlhigkeiten Fertigkeiten Kompetenzen) und die Verfuumlgung daruumlber (Pruumlfungstermin)
steht im Widerspruch zum freien Spiel als offenem Prozess den die Spielenden selbst initiieren und
gestalten und bei dem keine Voraussagen daruumlber getroffen werden koumlnnen wann sich welche
Kenntnisse und Fertigkeiten einstellen
Diese erlangt man einerseits durch die Freiheit als Freiraum zum Spiel die eine gewisse Qualitaumlt an
Sorgefreiheit bedingt Zur Sorgefreiheit zaumlhlt beispielsweise auch das Freisein von Lerndruck der
jedoch unter anderem durch festgelegte Leistungserhebungen und Entwicklungsdokumentationen
bei den Kindern erzeugt wird Und andererseits erwirbt man Kenntnisse und Faumlhigkeiten nur dann
wenn das Spiel frei ist wenn es sich also um seiner selbst Willen ereignet und eben nicht bdquokanali -
siertldquo wird es also keinen aumluszligeren Zielen Zwecken oder Absichten unterliegt wie es jedoch bei
festgelegten bdquoBasiskompetenzenldquo (bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo) eines bdquoBildungsstandardsldquo der Fall
waumlre17 Hinzu kommt der weitere Aspekt von Freiheit im Spiel wonach das Spiel ein selbstgesteuer-
ter Prozess mit offenem bdquoAusgangldquo ist dessen Wirkungen eben nicht planbar oder voraussagbar
also nicht standardisierbar und determinierbar sind Diese Qualitaumlt von Freiheit im Spiel ergibt sich
nun aus den unverfuumlgbaren Momenten des freien Spiels wie dem Augenblick der Instabilitaumlt der
Kreativitaumlt und Phantasie der Spontanitaumlt und Unordnung dem Unsinn und Zufall Diese zugleich
auch wesentlichen Antriebskraumlfte des Spiels koumlnnen sich wie bereits im Kapitel bdquo14 Moment der
Ambivalenzldquo (S 11-13) naumlher beschrieben nur in einem Entwicklungsspielraum mit reichhaltigen
Erfahrungsmoumlglichkeiten und mit dem erlaumluterten Spannungsverhaumlltnis ergeben Sie tragen dann
aber auch die unermesslichen Potentiale fuumlr Emergenz mit dem Prinzip des Lebendigen in sich
woraus sich seine Offenheit fuumlr Neues im Sinne der Weiterentwicklung von Leben ergibt
An dieser Stelle moumlchte ich ergaumlnzend zu meiner eher phaumlnomenologischen Wesensauffassung von
freiem Spiel einige Beispiele skizzieren wie sich die Einuumlbung von Kompetenzen durch freies Spiel
aus psychologischer Sicht vollzieht
Die im Hessischen Bildungsplan intentional geplanten Basiskompetenzen und Lernziele wie bei-
spielsweise Kreativitaumlt Abstraktionsvermoumlgen Empathie oder Flexibilitaumlt in Denk- und Vorstel-
17 Vgl dazu Kapitel bdquo11 Das Moment der Freiheitldquo in dieser Arbeit S 7f
19
lungsvermoumlgen ergeben sich im Spiel als bdquoNebeneffektldquo Das Kind vollzieht naumlmlich im Spiel fuumlr
seine Entwicklung entscheidende Bildungsprozesse selbsttaumltig intrinsisch motiviert und in der bdquoDo-
sisldquo die es bedarf Dabei von groszliger Bedeutung ist der vom Kind entwickelte eigene Lernmodus
der sich maszliggeblich an der individuellen Leistungsfaumlhigkeit und den persoumlnlichen Beduumlrfnissen ori-
entiert Hierfuumlr benoumltigt jedes Kind einen eigenen Entwicklungsspielraum
bdquo[Der] sollte Heranwachsenden die vielfaumlltigsten auch selbsttaumltig inszenierten Erfah-rungsraumlume bieten um sich - wie es Johann Heinrich Pestalozzi nannte - an Kopf Herzund Hand bilden zu koumlnnen moumlglichst frei von Furcht und Zwang Sinnesbildung Koumlr-perbildung und geistig-seelische Bildung sollten dabei gleichermaszligen zur Entfaltungkommenldquo (Rittelmeyer 2007 S 7)
So initiieren Kinder beispielsweise in ihren Rollenspielen eigentaumltige Bildungsprozesse indem sie
sich im spontanen Spiel in die Perspektive anderer Menschen versetzen und eigenes Handeln fuumlr
aumlhnliche Lebenssituationen uumlben Oder sie erproben sich im Spiel mit verschiedenen sozialen Rol-
len zB im Rahmen gesellschaftlicher Verhaltensstandards indem ein von Geschichten aufgenom-
menes oder durch elterliche Kommentare an die Kinder herangetragenes Ideal (bdquoTapferkeitldquo bdquoGe-
schwisterliebeldquo bdquoFreundschaftldquo bdquoHilfsbereitschaftldquo etc) mit der persoumlnlichen Wirklichkeit vertraut
gemacht wird Dieses Erproben entspricht zB einer Bewusstseinsbildung im Hinblick auf (solche)
gesellschaftlichen Rollenerwartungen
bdquo[Oder] im Symbolspiel das ein Houmllzchen zur Mutterʻ oder zum Autoʻ werden laumlsstuumlben Kinder die Faumlhigkeit im Hinblick auf gegebene Phaumlnomene verschiedene Per-spektiven entwickeln zu koumlnnen also mit Kreativitaumlt oder Phantasie auf Erscheinungender aumluszligeren Welt zu reagierenldquo (ders S 17)
Es ist schwierig zu sagen welche Kompetenzen genau aus eigentaumltigen Bildungsprozessen im Spiel
entstehen da Resultate aus diesen Erfahrungen wiederum von diversen Faktoren abhaumlngig sind
Maszliggebliche Faktoren sind dabei die uumlberaus verschiedenen biografischen Erfahrungen der Kinder
und dass die letztliche Erfahrungsgewichtung durch ihre Individualitaumlt verschieden zum Tragen
kommt
Da aber jedes Lernen immer individuumsbezogen dh vom Kind abhaumlngig ist hat dieser Umstand
auch fuumlr die geplant-initiierten Lernangebote Geltung sofern derartige von auszligen angestoszligene
Lernangebote uumlberhaupt in den lernenden Kindern auf Resonanz stoszligen
Es duumlrfte kaum anzuzweifeln sein dass wie im Beispiel des spontanen von den Kindern selbst initi-
ierten Rollenspiels Rollenhandeln und soziale Empathie eingeuumlbt und fuumlr eigenes Handeln erprobt
werden Ebenso werden durch Symbol- oder Rollenspiele die Phantasie und Kreativitaumlt vielfaumlltig
angeregt die Beobachtungsgabe und das Vorstellungsvermoumlgen ausgepraumlgt Daraus kann sich wie-
20
derum das Abstraktionsvermoumlgen entwickeln und die Kinder bilden mit zunehmenden Perspekti-
venwechseln eigene Vorstellungen und Uumlberzeugungen aus Indem naumlmlich Spielende in ihre selbst
konstruierte bdquoScheinweltldquo gaumlnzlich bdquoeintauchenldquo nehmen sie auf zuvor vielfaumlltig beobachtete und
erlebte Situationen Bezug Erst spielen sie das Erlebte nach und bdquodurchlebenldquo es dabei spielerisch
immer wieder bis sich ein tiefgruumlndiges Verstaumlndnis uumlber die erlebte Situation gebildet hat Allmaumlh-
lich wird dann durch die eigene Ausgestaltung des Rollen- oder Symbolspiels das wahrgenommene
Phaumlnomen zunehmend abstrahiert und Kinder beginnen vielfaumlltige eigene Vorstellungen dazu zu
entwickeln Freies Spiel entspricht also eigentaumltiger Lebenswelterfahrung und -aneignung und ihr
Bildungsgehalt scheint dabei fast unermesslich groszlig zu sein (vgl ders S 7-17 und S 135-137)
Es wuumlrden sich also durch freies Kinderspiel ganz unterschiedliche und auch bdquoneueldquo Kompetenzen
mit ganz individuellen Auspraumlgungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten bilden Diese Aspekte ma-
chen aber eine vergleichende Leistungserhebung quasi unaussagekraumlftig bzw koumlnnten einen deter-
minierten bdquoBildungsstandardldquo insofern bdquogefaumlhrdenldquo als dass das Spiel als kreative geistig-emotio-
nale Weltzuwendung immer einen offenen bdquoAusgangldquo hat dh nicht vorhersagbar ist Das Zulassen
von freiem Spiel steht somit im Interessenskonflikt mit den oben genannten politischen Absichten
weshalb dem freien Spiel ein generelles Misstrauen gegenuumlber gebracht wird Dies fuumlhrt letztlich
konzeptionell dh durch die Einfuumlhrung und Umsetzung von bdquoBildungsstandardsldquo zur zunehmen-
den Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
Inwiefern die angenommene Verdraumlngung von freiem Kinderspiel auch paumldagogisch motiviert sein
kann soll im folgenden Abschnitt untersucht werden
24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Die Autorinnen und Autoren sehen Kinder einerseits als kompetente selbstbestimmt taumltig werdende
Wesen an und deuten die Bildung und das Lernen zwar als soziale Prozesse die sich im Dialog zwi-
schen Kind und Erwachsenem vollziehen koumlnnen Andererseits verweisen sie aber darauf dass die
Qualitaumlt dieser Prozesse wiederum von auszligen dh von einem Erwachsenen gesteuert und mode-
riert werden sollen (vgl Hessisches Sozialministerium Hessisches Kultusministerium 2007 S 20-
21) Die Steuerung der Bildungs- und Lernprozesse wird versucht zu rechtfertigen indem auf aktu-
elle neurowissenschaftliche Befunde verwiesen wird die dem kindlichen Gehirn ein enormes Ent-
wicklungs- und Lernleistungsvermoumlgen zuschreiben welches wenn es nicht genuumltzt wuumlrde einem
bdquoBildungsversaumlumnisldquo gleichkaumlme und nur schwer wieder aufzuholen sei (vgl dies S 20- 24)
bdquoJe reichhaltiger aumluszligere Lernreize sind desto mehr effiziente neuronale Netzwerke
21
(Synapsen) bilden sich heraus die fuumlr die Verarbeitungskapazitaumlt des Gehirns und seineLernfaumlhigkeit im spaumlteren Leben bedeutsam sind Im Entwicklungsverlauf eines jedenKindes gibt es optimale Zeitraumlume fuumlr grundlegende Lernschritte (zB ZweitspracheRaumorientierung elementares mathematisches Denken Interesse an Naturwissen-schaften aumlsthetisches Verstaumlndnis Entwicklung der Musikalitaumlt) Solche Zeitfenstergibt es auch noch im Laufe der weiteren Bildungsbiografie Dennoch gilt es diese sen-siblen Phasen bereits durch fruumlhe Bildung offensiv zu nutzen [sic] Je solider und brei-ter die Basis aus jener Zeit desto houmlher ist die Wahrscheinlichkeit dass das Kind danachaktiver und leichter lernt Fruumlhe Bildungsversaumlumnisse sind nur schwer aufholbarldquo(dies S 24)
Die programmatische Paumldagogisierung von Spiel die die bdquoGrenzen zwischen der herkoumlmmlichen
Trennung von Freispielprozessen und geplanten Bildungsprozessen zunehmendldquo (dies S 30) ver-
wischen soll ist vor dem Hintergrund Bildung als Produkt einer offensiven Nutzung der sensiblen
Lernzeitfenster anzusehen (vgl dies S 23-24) und wiederum von seiner politischen Motivation
mit dem Wettlauf um Konkurrenzfaumlhigkeit sowie der Weiterfuumlhrung einer in der Gesellschaft durch-
gesetzten und der Wirtschaft dienlichen Wissenshierarchie in Verbindung zu bringen Folglich fuumlhrt
die im Bildungs- und Erziehungsplan programmatisch angewiesene Funktionalisierung des Spiels
zum bdquospielerischen Lernenldquo letztlich paumldagogisch motiviert zur zunehmenden Verdraumlngung des frei-
en (Kinder)Spiels denn dieses wird als zu zeitintensive Taumltigkeit angesehen Freispiel darf zwar
laut Plan auch enthalten sein es bdquomuss jedoch im angemessenen Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlten ste-
henldquo (dies S 31) weshalb es wegen des bdquoLernfensterdrucksldquo (vgl Dies S 23-24) zum bdquospielen-
den Lernenldquo umfunktionalisiert werden soll (vgl dies S 30-31) um wegen seiner bildenden Po-
tenzen dann als Lernbeschleunigung dem Lernziel (bdquoBildungserfolgldquo) dienbar gemacht zu werden
Das Freispiel soll konzeptionell auf zwei Wegen zu bdquospielendem Lernenldquo qualitativ aufgewertet
werden Zum einen indem aus Spielprozessen Projekte hervor gehen mit der Bedingung dass das
Spielgeschehen zunehmend von der Projekttaumltigkeit durchdrungen wird Und zum anderen koumlnnen
bdquo[]im Rahmen von Projekten [hellip] Freispielphasen enthalten sein in denen sich dieKinder weiterhin mit dem Projektthema allein oder mit anderen auseinandersetzen DieQualitaumlt der Freispielprozesse laumlsst sich durch gezielte Unterstuumltzungsmaszlignahmen erhouml-henldquo (dies S 30 Herv MG)
Wenn also Freispielphasen eingeplant werden dann unter der Bedingung dass im bdquoSpielldquo die Pro-
jektthemen wieder aufgegriffen werden In beiden Varianten wird aber die Qualitaumlt des Spiels zu-
mindest im Bezug auf das Erreichen des Lernzieles angezweifelt weshalb ein gezieltes Einwirken
der Paumldagogen kontinuierlich angedacht ist
bdquoDie Houmlhergewichtung des elementaren Bildungsauftrags hat zur Konsequenz dasssich das beilaumlufige Lernen der Kinder im Spiel zum spielerischen Lernen hin entwickeltDem Spiel wird mehr systematische Begleitung und didaktische Aufbereitung
22
zuteilldquo(dies S31 Herv MG)
Das demnach angedachte bdquoFreispielldquo soll folglich auch kein freies natuumlrliches Spielen sein selbst
wenn sich Kinder angetan von den Projektinhalten im freien Spiel beginnen selbsttaumltig im Rah-
men dessen auseinanderzusetzen Solches Geschehen wuumlrde durch paumldagogisches Einwirken auf
das Lernziel hin gelenkte Taumltigkeit werden es soll durch Erwachsene zum bdquospielerischen Lernenldquo
hin entwickelt werden Ebenso kann auch ein anfaumlngliches Spiel nie als solches bestehen bleiben
Die Houmlhergewichtung des institutionellen bdquoBildungsauftragsldquo bewirkt in beiden Faumlllen dass der
scheinbar gewaumlhrte bdquoSpielraumldquo zur zielorientierten Lerntaumltigkeit wird weshalb (freies) Spiel ver-
draumlngt wird und zunehmend in Projekttaumltigkeit muumlndet Erst dann hat Spiel einen qualitativen Nut-
zen im Sinne des Bildungs- und Erziehungsplans Deshalb haben Spielen und Lernen auch nach An-
sicht und Position des Bildungsplanvorhabens in einem besonderen Verhaumlltnis zueinander zu stehen
welches Paumldagogen zu sichern haben
bdquoFreispiel ist wichtig muss jedoch im angemessenem Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlt stehendie die Erwachsenen planen und initiieren[]ldquo (ebd Herv MG)
Denn Lernaktivitaumlt sollte nach Meinung der Autorinnen und Autoren wenn sie vom Kind ausgeht
letztlich durch Erwachsene zielfuumlhrend gelenkt werden
Diese Qualitaumlt steigernden Unterstuumltzungsmaszlignahmen und das angestrebte Verhaumlltnis von Spielen
und Lernen stehen im einzelnen mit den Wesensmomenten des freien Spiels in Widerspruch Im
freien Spiel sind die Spielinhalte die sich spielende Kinder selbst auswaumlhlen vorwiegend alltagsbe-
zogen und als diese individuell meist sehr unterschiedlich Kinder begegnen im Spiel also Themen
die ihr Interesse durch erlebte oder beobachtete Situationen geweckt haben Diese eigens initiierten
Spielideen koumlnnen wie oben skizziert diverse Funktionen (zB bildendes Erproben) als Nebenef-
fekt haben Aber im Sinne des Spiels als bdquofreie Zeitgestaltungldquo draumlngt das Kind eher nach sinnvoll
erfuumllltem Leben durch erstrebtes lustvolles Spielen mit ganzheitlichem Lebensweltbezug als nach
einer von auszligen das Spiel deformierenden oder domestizierenden Systematik und Didaktik Es ist
anzunehmen dass diese fehlende bdquoBe-friedigungldquo des Spielbeduumlrfnisses ihre praumlgenden Anpas-
sungsspuren in den Kindern hinterlaumlsst und sie wahrscheinlich unzufrieden macht Zusaumltzlich duumlrf-
ten diese Umstaumlnde dem Lernen allgemein auch eher abtraumlglich sein
Es besteht also ein ganzheitlicher Bezug zum eigenen Leben wenn durch die Freiheit zum Spiel
ganz individuelle Themen zur Spielidee werden und bdquoihren Laufldquo nehmen Das heiszligt die jeweilige
Initialidee wird im weiteren Spielverlauf staumlndig veraumlndert werden und folgt dabei gerade eben
nicht der bdquoLogikldquo der buumlrgerlichen Erwachsenenwelt Diese bdquoLogikldquo wird aber im Bildungsplan fo-
23
kussiert In ihm ist die Annahme enthalten dass Kinder wie Forscher ihre Umwelt erkunden und
nun im Zuge der Aufwertung des Spiels zum bdquospielerischen Lernenldquo durch paumldagogisches Hinwir-
ken sich das bdquospielendeldquo Kind in reflektierender Betrachtungsweise Kausalzusammenhaumlnge und
Gesetzmaumlszligigkeiten des zu untersuchenden bdquoGegenstandesldquo erschlieszligen bzw davon ableiten soll
(vgl dies S 20 27-28 30-31) Spiel ist aber nur dann Spiel wenn es ein eigenes fortwaumlhrendes
kreatives und spontanes Eingehen auf die Anregungen der aumluszligeren Spielszenerie ermoumlglicht (vgl
Kapitel bdquo14 Das Moment der Ambivalenzldquo S 11ff sowie Rittelmeyer 2007 S 136) Innerhalb
dessen orientiert sich die Spiel gestaltende Taumltigkeit des Kindes hauptsaumlchlich an den eigenen Be-
duumlrfnissen und nicht an Vorgaben von auszligen Deswegen kann auch nicht alles Spiel sein das waumlre
Willkuumlr und nicht Geschlossenheit (vgl Kapitel bdquo15 das Moment der inneren Geschlossenheitldquo S
13) Und um seiner inneren Zweckmaumlszligigkeit moumlglichst dienlich zu sein bleibt es auch stets unver-
fuumlgbar Darin gibt es keine absolute Eindeutigkeit (zB ein Lernziel) mit zielgerichtetem Streben
nach zukuumlnftiger Befriedigung Spiel ist jetzt ist gegenwaumlrtig angestrebtes erfuumlllendes Erleben von
frei gestalteter Zeit Nur so koumlnnen sich alle weiteren Wesensmomente und ihre ua auch hoch ef-
fektiv bildenden Potenziale ergeben und individuell entfalten Solches Spiel waumlre aber von Vielfalt
Spontanitaumlt Uumlberfluss Instabilitaumlt Kreativitaumlt oder auch vom ihm eigenen Unsinn gepraumlgt Sicher-
lich erschlieszligen sich dem Kind dabei diverse Kausalzusammenhaumlnge und aus Einzelphaumlnomenen
wird es ableitend Gesetzmaumlszligigkeiten erfahren die sich in diesem informellen Lernprozess dann als
Wissen Kenntnisse Fertigkeiten oder auch Kompetenzen verinnerlichen Aber diese (Neben)Effek-
te wuumlrden nie zielfuumlhrend oder leitend das Spielgeschehen formen bzw antreiben
Dem natuumlrlichen freien Spiel steht das bdquospielerische Lernenldquo auch im Bezug auf die im Spiel er-
schaffene Phantasiewelt (vgl Kapitel bdquo13 Das Moment der Scheinhaftigkeitldquo S 10) entgegen
Denn diese zeichnet sich gerade dadurch aus dass sie sich von den bdquoObjektenldquo der Umwelt loumlst
vom Faktischen enthoben ist und durch Phantasie zu bdquoNeuemldquo zu Symbolischem werden laumlsst Und
somit das symbolische bdquoAls-obldquo Spielgeschehen ermoumlglicht Das Spiel wuumlrde sich also notwendi-
gerweise von der Projekttaumltigkeit oder ihren faktischen Inhalten loumlsen muumlssen um sich in dieser
Phantasiewelt mit seiner Spielhandlung zwischen Zufaumllligem und Notwendigem bewegen zu koumln-
nen Mit der daraus entstehenden Gegenwaumlrtigkeit schloumlssen sich alle weiteren Momente zu ihrer
bdquofunktionalenldquo Kette zusammen Auch der zeitliche Rahmen in dem sich das freie Spiel nun bewe-
gen wuumlrde ist unvorhersehbar Es ist also wahrscheinlich dass das Spielgeschehen uumlber den von
Erziehern eingeplanten bdquoFreispielzeitraumldquo hinweg andauern koumlnnte und deshalb von auszligen durch
die Paumldagogen abgebrochen werden wuumlrde Der bdquoinneren Unendlichkeitldquo des Spiels wuumlrde dies so-
mit ein abruptes Ende bereiten Dem zirkulaumlrem Charakter des Spiels steht noch ein weiterer Aspekt
24
entgegen Naumlmlich dass die Wiederholungen der Spielhandlung nicht aus systematischer oder di-
daktischen bdquoAufbereitungldquo erzeugt werden koumlnnen sondern dass sie wie Rolf Oerter in bdquoZur Psy-
chlogie des Spielsldquo beschreibt mit lustvollem Erleben in Verbindung zu bringen sind und demnach
eher dem Lustprinzip folgen als dem rationellem Realitaumltsprinzip (vgl Oerter 2007 S 9 12 14f
18-21)
Einzelne Momente fuumlr bdquospielerisches Lernenldquo zu erzeugen bzw sie diesbezuumlglich abzuwandeln
kann also nicht mehr mit dem natuumlrlichen freiem Spiel in Verbindung gebracht geschweige denn
damit gleichgesetzt werden Das daraus resultierende bdquoSpielenldquo kann demnach auch nicht dem Be-
duumlrfnis oder Drang nach Spiel entsprechen welches Kinder ganz offenkundig haben Das Spiel im
Sinne des Bildungsplanes gleicht in seiner angedachten Form eher bdquodomestiziertenldquo Spiels das in
einzelne Wesensmomente zerrissen ist um als didaktische bdquoListldquo geplant initiiert zu werden Somit
wird durch die verkuumlrzte Auffassung von Spiel als Mittel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo bei
gleichzeitiger Verkuumlrzung echter Spielzeit die zunehmende Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels
im Bildungsplan programmatisch angegangen bzw angeordnet wodurch die dieser Arbeit zugrunde
liegende Annahme bestaumltigt wird
3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
Die Reformpaumldagogik hat zB durch Ellen Key Johann Heinrich Pestalozzi oder Maria Monterssori
Konzepte wie Jena-Plan das der Sudberry Valley School oder der Freien Demokratischen Schulen
inspiriert Innerhalb deren Konzeptionen findet auch die kindliche Lebenswelt ohne sie romantisch
zu verklaumlren ihren anerkennenden Platz und wird als vollwertiger Lebensabschnitt beachtet Ihre
aumlhnlichen Bildungsansaumltze enthalten vielfaumlltigste Anreize und Formen vernuumlnftiger Bildungsideen
mit ganzheitlichem Menschenbild und echtem Lebensweltbezug Das bedeutet auch fuumlr eine Institu-
tion um mit Ellen Key zu sprechen Bildung vom Kind aus zu denken
Exemplarisch moumlchte ich im Folgenden diese Bildungsvorhaben und ihre fuumlr die Kinder bereiteten
Entwicklungsspielraumlume an Hand der Freien Demokratischen Schulen skizzieren Der Ausgangs-
punkt dieser Schulen ist der Kerngedanke dass sich durch Eigeninitiative selbstverantwortete Bil-
dung und freies Spiel nicht abstoszligend gegenuumlber stehen sondern dass beide den Beduumlrfnissen des
Kindes entspringen und das Kind deshalb je nach seiner Beduumlrfnislage seine Aktivitaumlten diesbezuumlg-
lich selbstorganisiert Zwar sind auch Freie Demokratische Schulen als Institution leider kein wirk-
licher bdquoorganischerldquo Teil der Lebenswelt von Kindern sondern immer nur von auszligen angebotene in-
tentionale Konstrukte die aber in diesem Fall den individuellen Entwicklungsspielraum der Kinder
25
versuchen zu schuumltzen bzw bereitzuhalten Somit wird jedem Kind sein eigener Freiraum der ihm
spontanes freies Spiel ermoumlglicht bereitet ohne es in irgendeiner Form zu verzwecken oder zu ka-
nalisieren Einige Konzepte solcher Schulen greifen auch die Kindheit als gesellschaftlichen Status
hervorbringende Begebenheit auf naumlmlich dass durch die alltaumlgliche Erwerbstaumltigkeit der Erwach-
senen die Kindheit entsteht und zwar als davon getrennter Lebensbereich Verschiedene Versuche
zB durch (Land)Schulheime oder selbst initiierten Lernvereinbarungen zielen darauf ab die ge-
trennten Lebensrealitaumlten von Kindern und Erwachsenen wieder mehr zur Uumlberschneidung zu brin-
gen Die daraus entstehenden freiwilligen Erfahrungspartnerschaften werden eigenverantwortlich
von den Beteiligten (Schuumller und Lehrer) nach ihren Beduumlrfnissen Vorstellungen und Wuumlnschen
gemeinsam gestaltet Es kann also keinen einheitlichen Lehrplan geben und es kann auch keinen
bdquoMethodenkofferldquo als Handreichung des Ministeriums geben der Anwendung finden soll Aber
falls es von den Schuumllern gewuumlnscht wird bzw falls es von ihnen als vernuumlnftig fuumlr die Umsetzung
des Vorhabens angesehen wird kann sich der Lehrer sinnvollerweise durch methodische oder di-
daktische bzw besser mathetische Aufbereitung unterstuumltzend einbringen Die Schuumller entwickeln
also selbst wie sie lernen und was sie lernen Dabei treffen sie nicht maszliggeblich ihre Auswahl aus
bereits bestehenden Angeboten sondern sie koumlnnen ihre Beschaumlftigungs- bzw Lerngebiete voumlllig
frei waumlhlen und initiieren Jede Beschaumlftigung wird dabei als wertvoll und lehrreich erachtet sei es
das Lesen das Experimentieren das freie Spielen oder das Teilnehmen an einem Unterrichtskurs
Die Schuumller entscheiden auch wann sie lernen Sie legen damit den gesamten zeitlichen Rahmen
fest innerhalb dessen sie sich mit ihrem eigenem Lerngebiet beschaumlftigen wollen Dies betrifft die
Tageszeit und den Gesamtzeitraum der Taumltigkeit aber vor allem auch das Alter in dem sie sich ent-
schlieszligen sich mit einer Thematik zu befassen So entschlieszligt sich zB ein neunjaumlhriges Kind Lesen
zu lernen wo ein fuumlnfjaumlhriges bereits damit begonnen hat Dabei waumlre es nicht ungewoumlhnlich dass
diese beiden Leseinteressierten sich zusammenschlieszligen und eine Lerngruppe initiieren um sich
gemeinsam dem Lesen lernen zu widmen Auch liegt es in der Verantwortung der Kinder wie inten-
siv sie sich mit dem gewaumlhlten Thema auseinandersetzen wollen Um all dies zu planen und umset-
zen zu koumlnnen sind die Lehrer wie beratende Helfer kontinuierlich fuumlr die Kinder da und die Kin-
der sind sich nie selbst uumlberlassen Somit schafft das Vertrauen der Lehrer in die Schuumller Vertrauens-
wuumlrdigkeit und die Kinder koumlnnen sich sicher und geborgen fuumlhlen um sich moumlglichst ohne Angst
in dieser Freiheit ganz nach ihren Beduumlrfnissen der Welt zuzuwenden Diesen Freiraum zum Entde-
cken und Spielen bezeichnen die Sudberry- bzw die Demokratischen Schulen als Lernfreiheit und
er ist eine der beiden Grundsaumlulen des Bildungskonzepts Die zweite Saumlule ist von organisatorischer
Natur und konstatiert den Lernort als egalitaumlres System in dem Schuumller und Lehrer in verschiede-
nen Gremien Komitees und Aumlmtern gleiche Einflussmoumlglichkeiten Pflichten sowie Rechte besit-
26
zen (vgl Schiffner 2007 S 8-15)
Peter Gray emeritierter Professor fuumlr Psychologie des Boston College erklaumlrte in einem Vortrag in
Berlin 3122012 die Grundlagen dieses bdquoErziehungsldquo Ansatzes18 Er nennt ihn Vertrauensvolle Er-
ziehung (Trustful Parenting) bdquoVertrauensvolle Erziehung basiert auf der Annahme dass Kinder von
Natur aus widerstandsfaumlhig kompetent sozial und selbstgesteuert sindldquo (Gray 2012 S 1) Daraus
ergibt sich dass Kinder ihrem Beduumlrfnis nach selbst entscheidend entdecken und spielen Es obliegt
ihrer Entscheidung Risiken einzugehen und dabei auch evtl eigene Fehler zu machen Entwick-
lungsvergleiche (auch keine Lernleistungsvergleiche) liegen dieser Ansicht fern Erziehung versucht
demnach Entwicklung nicht zu lenken sondern zu unterstuumltzen sodass Kinder ihre eigenen Ziele
verwirklichen koumlnnen Sie entwickeln dabei Eigeninitiative und uumlbernehmen Selbstverantwortung
in der Gemeinschaft Die Erwachsenen stellen dazu lediglich den aumluszligeren bdquoRahmenldquo her der fuumlr ein
gesundes Heranwachsen erforderlich ist (vgl Grey 2012 S1 ff) Deshalb ist dieser Ansatz auch
nicht als eine vernachlaumlssigende Haltung zum Kind anzusehen sondern ganz im Gegenteil die
bdquoErziehendenldquo senden den Kindern folgende Botschaft
bdquoDu bist kompetent Du hast Augen und ein Gehirn und du bist in der Lage Dinge her-auszufinden Du kennst deine eigenen Faumlhigkeiten und Grenzen Durch Spielen und Er-forschen wirst du dir aneignen was du wissen musst Deine Beduumlrfnisse werden gewuumlr-digt Deine Meinung zaumlhlt Du bist fuumlr deine Fehler selbst verantwortlich und man kanndarauf vertrauen dass du aus ihnen lernst Das Sozialleben zeichnet sich nicht durchWillenskaumlmpfe aus sondern vielmehr dadurch einander so beizustehen dass alle dasbekommen was sie brauchen und sich am meisten wuumlnschen Wir sind auf deiner Seitenicht gegen dichldquo (ders S1)
Interessant finde ich Peter Grays historischen Bezug den er zur Vertrauensvollen Erziehung her-
stellt Er belegt naumlmlich mit verschiedenen wissenschaftlichen Studien zu Jaumlger- und Sammlerkultu-
ren dass dieser Erziehungsstil bis zum Einsetzen der Landwirtschaft (vor ca 10000 Jahren in Asi-
en) der vorherrschende war und dass die Menschheit zu 99 Prozent ihrer gesamten Geschichte (ca 1
Millionen Jahre) Jaumlger und Sammler waren (vgl ders S 1-3)
4 Zusammenfassende Gedanken
Die anfaumlngliche Spielbegriffseingrenzung im ersten Teil dieser Arbeit verdeutlichte dass das Spiel
nicht nur von elementarer Bedeutung fuumlr ein gesundes Aufwachsen fuumlr Koumlrper und Psyche der Kin-
der ist obwohl das freie (Kinder)Spiel die dafuumlr wohl geeignetste Lebenstaumltigkeit darstellt Dem
18 Vgl Gray Peter (2012) Trustful Parenting May Require an Alternative to Conventional Schooling (Vertrauensvol-le Erziehung macht unter Umstaumlnden eine Alternative zum konventionellen Schulsystem noumltig) httpwwwting-schuledeindex_htm_filesPeter20Gray20_20Trustful20parentingpdf (Zugriff 260315)
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natuumlrlichen (Kinder)Spiel als geistig-kreative Weltzuwendung liegen viel urspruumlnglichere Wurzeln
zu Grunde weshalb sich durch freies Spiel die Sinne der Koumlrper und auch der Geist als bdquoNebenef-
fektldquo beilaumlufig bilden und entwickeln Naumlmlich wie das bdquoMenschsein kein Zweck etwa des Lebens
sondern das Leben selbst istldquo (Kamper 1976 S 141) ist das (Kinder)Spiel auch kein findiger
Zweck des Lebendigen sondern gelebte Lebendigkeit und damit zwecklos (vgl ebd) bdquoDarauf und
nur darauf bezieht sich Schillers Wort dass der Mensch nur spielt wo er in voller Bedeutung des
Wortes Mensch ist und nur da ganz Mensch ist wo er spieltldquo (ebd) Somit stellt das Spiel das Prin-
zip des Lebendigen dar dies herauszuarbeiten und phaumlnomenologisch be-greifbar zu machen war
Ziel des ersten Teils dieser Arbeit Ich beabsichtigte darin ein Verstaumlndnis dafuumlr zu bilden dass das
(Kinder)Spiel als Modus von Freiheit im bdquoSpannungsfeld Lebenldquo die Wesenskraumlfte der Evolution
den Zufall die Spontanitaumlt und die Kreativitaumlt als eigene Triebkraumlfte in sich traumlgt und im freien
selbst initiierten Spielgeschehen zur Entfaltung bringt Als dieses Urprinzip ist das freie natuumlrliche
Spiel dem Menschen - homo ludens - und deshalb auch den Kindern ein Beduumlrfnis Deshalb fuumlhrt
durch Spiel gestaltete Zeit als erstrebte wesensgemaumlszlige Taumltigkeit zu Lebenszufriedenheit Und nur
dann traumlgt es seine Potenziale der Sinnesbildung Koumlrperbildung und geistig-seelischen Bildung so-
wie die Moumlglichkeit unvorhersehbarer Emergenzen in sich Und als solcher freier Ausdruck von Le-
bendigkeit ist deshalb Spiel fuumlr ein Kind innerhalb eines erfuumlllten Daseins grundlegend und zu ach-
ten bzw anzuerkennen
Im zweiten Teil wurde einsteigend die im derzeitigen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
vertretene Auffassung von Spiel erlaumlutert und der Plan wurde auf seine moumlgliche politisch- und paumld-
agogisch motivierte Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel untersucht Es konnte dargelegt werden
dass der Spiel(zeit)raum aufgrund des Interessengegensatzes von Kind und Staat kontinuierlich ein-
gekuumlrzt wird und zur zunehmenden Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel fuumlhrt um die politischen
Programme bdquoVerbesserung der Bildungschancenldquo und bdquoChancengleichheitldquo durchzusetzen Die da-
mit verwirklichten politischen Ziele und die Umsetzung einheitlicher Bildungsstandards haben da-
bei einerseits den Zweck die fuumlr die Wirtschaft dienliche und in der Gesellschaft mit Schule durch-
gesetzte Wissenshierachie fortzufuumlhren Und andererseits sollen diese Jahrgangssortierungen durch
internationale Tests wie PISA uauml als Standortfaktor im Wettkampf um Konkurrenzfaumlhigkeit auf ei-
nem globalisierten Markt Wirtschaftsstandort sichernd eingesetzt werden
Die Annahme dass es durch die Einuumlbung von vermeintlichen also dem Zeitgeist entsprechenden
bdquoGrundkompetenzenldquo bzw bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (als Bildungsstandards) zur zunehmenden
Verdraumlngung von freiem Spiel kommt konnte dadurch bestaumlrkt werden dass auf Grundlage eines
verkuumlrzten Spielbegriffes das freie (Kinder)Spiel durch paumldagogisches Einwirken in bdquospielerisches
28
Lernenldquo umfunktionalisiert und dadurch echte Spielzeit zunehmend eingekuumlrzt wird Der Zweck ist
dabei das (Kinder)Spiel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo als bdquoLernmotorldquo der Kinder innerhalb
des bdquoLernfensterdrucksldquo dem Lehrapparat dienstbar zu machen
Im dritten Teil dieser Arbeit wurde anhand der Demokratischen Schulen kurz skizziert wie institu-
tionelle Bildung die freies Spielen wirklich gewaumlhrleistet gelingen kann Leider stehen die Schulen
in freier Traumlgerschaft zu denen die Freien Demokratischen Schulen zaumlhlen in Deutschland vor be-
sonderen behoumlrdlichen Genehmigungsbarrieren und unzureichender oumlffentlicher Finanzierung was
ihre Realisierung maszliggeblich erschwert oder ganz verhindert Auch darin kann eine Verdraumlngung
bzw Verhinderung des freien Spiels gesehen werden
Die Verdraumlngung des freien Kinderspiels ist aus zweierlei Gruumlnden nicht gut zu heiszligen ja sogar ab-
zulehnen ist Erstens ist die im Spiel als Nebenerscheinung enthaltene Einuumlbung von Grund-
kompetenzen von groumlszligter Komplexitaumlt und Vielfalt die selbst neue nicht vorhersagbare Qualitaumlten
hervorbringt die mit den Triebkraumlften der Evolution in Verbindung zu bringen sind (Emergenz)
Deshalb ist es fuumlr einen ganzheitlichen Entwicklungsspielraum der Kinder und im Sinne der Evolu-
tion unvernuumlnftig das Spiel wie im Bildungsplan beschrieben bdquoqualitativ aufzuwertenldquo um ver-
meintliche fuumlr das derzeitige Leben als unverzichtbar angenommene bdquoGrundkompetenzenldquo durch
bdquospielerisches Lernenldquo einzuuumlben Und zweitens ist das Spiel als kreative geistig-emotionale Welt-
zuwendung und damit als wesensgemaumlszlige kreatuumlrliche Taumltigkeit des Menschen den Kindern ein Be-
duumlrfnis und grundlegend fuumlr ihr gesundes Aufwachsen und Lebensgeborgenheit (Lebenszufrieden-
heit) in einem sie wahrhaft erfuumlllenden menschlichen Dasein
Bedenke ich nun die Lebenszeit die auch meine Kinder teilweise schon vor dem ersten Lebensjahr
mit haumlufig acht Stunden taumlglich in Kindertageseinrichtungen (leider nicht in einer Freien Demokra-
tischen Schule mit Primarbereich) verbrachten derzeit verbringen und spaumlter in der Schule bis min-
destens zur Erfuumlllung der Schulpflicht mit etwa 15 Jahren in der Schule verbringen muumlssen bin ich
erschrocken-besorgt und wuumltend wie dem Phaumlnomen des freien natuumlrlichen Kinderspiels und der
Bildung insgesamt im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan begegnet wird Bildung als vorran-
gig politisch-oumlkonomisches Arrangement zu sehen darin das Spiel als List zu benutzen um standar-
disiertes Lernen zu erzielen echte Spielzeit zunehmend zu verkuumlrzen ndash dieses planvolle Vorgehen
der Politik und der beteiligten Paumldagogen stellt eine Missachtung der ihnen anvertrauten Kinder mit
ihren individuellen Wuumlnschen Vorstellungen Beduumlrfnissen und ihrer ganz persoumlnlichen Lebenswelt
dar und ist ein lebensentfremdendes Vorhaben das junge Menschen von einem sie erfuumlllenden gu-
ten Leben trennt
29
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31
Eidesstattliche Erklaumlrung
Ich erklaumlre hiermit an Eides Statt durch eigenhaumlndige Unterschrift dass ich die vorliegende Arbeit
selbstaumlndig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe die aus
fremden Quellen (einschlieszliglich elektronischer Quellen und dem Internet) direkt oder indirekt uumlber-
nommenen Gedanken sind ausnahmslos als solche kenntlich gemacht
Ich weiszlig dass bei Abgabe einer falschen Versicherung die Arbeit als nicht bestanden zu gelten hat
Herold 10042015
32
- Die zunehmende Verdraumlngung des freien Kinderspiels
- im Hessischen Bildungsplan
- Einleitung
- 1 Freies Kinderspiel - Wesensmerkmale
-
- 11 Das Moment der Freiheit
- 12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
- 13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
- 14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
- 15 Das Moment der Geschlossenheit
- 16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
- 17 Zusammenfassung
-
- 2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
-
- 21 Das Spielverstaumlndnis
- 22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
- 23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
- 24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
-
- 3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
- 4 Zusammenfassende Gedanken
- Literaturverzeichnis
- Internetquellen
-
mehr ist als eine geschickte natuumlrliche Vorbereitung auf das Leben die dann von Bildungsinstitutio-
nen als guumlnstiges Mittel bdquokompetenzenfoumlrderndldquo eingesetzt wird wie es haumlufig den Bildungsdiskus-
sionen in oumlffentlichen Medien zu entnehmen ist Und ich bin uumlberzeugt davon dass das Spiel der
Wellen im Wesentlichen den gleichen Prinzipien folgt und im gleichen Modus verlaumluft wie das
Jonglieren von Baumlllen oder das Feuerwehrmannspiel spielender Kinder Deshalb wird es im ersten
Teil dieser Arbeit das Ziel sein Spiel von seinem Wesen aus phaumlnomenologisch zu beschreiben
moumlglichst ohne das Spiel auf moumlgliche Funktionen oder psychologische Effekte zu verengen Diese
Wesenszusammenhaumlnge ermoumlglichen es dann das Spiel als ein eigens initiiertes und durch Selbstor-
ganisation gesteuertes Geschehen anerkennen zu koumlnnen dass sich zwischen Zufall und Notwen-
digkeit ereignet und keiner Mittel-Zweck-Logik der buumlrgerlichen Gesellschaft folgt
Eine solche weitreichende uumlber den Funktionen und Nutzen liegende Begriffsbestimmung bzw
Phaumlnomenbeschreibung des Begriffes bdquoSpielldquo sehe ich als grundlegend an um ein Verstaumlndnis fuumlr
die Voraussetzungen des freien Spiels als selbstinitiiertes Geschehen zu entwickeln und um darzule-
gen weshalb es dem Menschen ein Beduumlrfnis ist freie Zeit mit Spiel zu gestalten Daraus lassen
sich dann generelle Aussagen ableiten wie freies (Kinder)Spiel moumlglich ist oder wodurch es verhin-
dert wird
Diese Begriffsbestimmung dient als Grundlage fuumlr den zweiten Teil dieser Arbeit Darin werde ich
anhand des Hessischen Bildungs- und Erziehungsplanes aufzeigen dass die Verdraumlngung von frei-
em Spiel bereits in den Bildungsplaumlnen der Laumlnder wurzelt und somit politisch und paumldagogisch
motiviert ist Welche Auswirkungen und Folgen eine solche Verdraumlngung haben kann wird eben-
falls dargestellt
Abschlieszligend stelle ich im dritten Teil dieser Arbeit eine bdquoandereldquo Idee von Bildung vor Eine Bil-
dung die eher als bdquoBegleitungldquo beschrieben werden kann und in der die Kinder ihrem Beduumlrfnis
und Drang nach freiem Spiel nachkommen koumlnnen Dazu wird ansatzweise das Konzept der Freien
Demokratischen Schulen vorgestellt in denen die Kinder in ihren Interessen und Beduumlrfnissen ge-
achtet entsprechend begleitet werden und in denen der Freiraum zum Spiel bewusst erhalten wird
1 Freies Kinderspiel - Wesensmerkmale
Die Frage danach was Spiel ist laumlsst sich meiner Meinung nach nicht mit einer eindeutigen im
Sinne einer allgemein guumlltigen alle Bereiche des Lebens1 einschlieszligenden Definition leisten die
1 Die bdquoBereiche des Lebensldquo umfassen die materielle biologische und geistige Welt mit all ihren wechselseitigenProzessen und unzaumlhligen Erscheinungsformen zu der zB auch die Evolution nur als ein einzelner Prozess inner-halb dieser Dreigliedrigkeit (Materie Natur Geist) zaumlhlt
4
auch von den verschiedenen Wissenschaften wie beispielsweise der Biologie der Physik oder der
Paumldagogik akzeptiert wird2 Aber Spiel ist eben weit mehr als unernstes bzw unproduktives Zeit-
vertreiben junger Menschen bzw Tiere Auch ist es mehr als eine Voruumlbung (Einuumlbung von
Kompetenzen oder Sozialverhalten etc) auf das Leben und es stellt mehr als einen Entlastungspol
fuumlr den Koumlrper bzw das Lebens dar Auch ist es mehr als eine auf Trieben basierenden Befriedi-
gungshandlung und es ist auch mehr als ein Medium zum bdquospielerischen Lernenldquo etc Zwar sollen
diese das Spiel sicherlich betreffenden Begleiterscheinungen nicht negiert werden aber sie bdquospie-
lenldquo innerhalb des im Weiteren noch naumlher zu beschreibenden bdquonatuumlrlichen Spielsldquo eine eher beige-
ordnete Rolle als Nebenerscheinung die im Umfang dieser Arbeit nur am Rande beispielhaft Er-
waumlhnung finden koumlnnen3
Mein Bestimmungsversuch des Begriffes bdquoSpielldquo wird zwar von der Betrachtungsweise des Spiels
als bdquoUrphaumlnomenldquo (Hans Scheuerl) bzw als Prinzip des Lebendigen4 inspiriert sein sich aber im ei-
gentlichen auf den Bereich des Kinderspiels beschraumlnken Diesbezuumlglich soll der von Johan Huizin-
ga in seinem Buch bdquoHomo Ludens Vom Ursprung der Kultur im Spielldquo entwickelte Definitionsvor-
schlag als Ausgangspunkt fuumlr eine Begriffsbestimmung des freien Kinderspiels dienen wenngleich
er wie ein anschlieszligender aktueller Definitionsvorschlag von Ursula Stenger zeigen wird nicht alle
wesentlichen Aspekte des Spiels beinhaltet
bdquoDer Form nach betrachtet kann man das Spiel [hellip] eine freie Handlung nennen dieals nicht so gemeintʻ und auszligerhalb des gewoumlhnlichen Lebens stehend empfunden wirdund trotzdem den Spieler voumlllig in Beschlag nehmen kann an die kein materielles Be-duumlrfnis geknuumlpft ist und mit der kein Nutzen erworben wird die sich innerhalb einer ei-gens bestimmten Zeit und eines eigens bestimmten Raums vollzieht die nach bestimm-ten Regeln ordnungsgemaumlszlig verlaumluft und Gemeinschaftsverbaumlnde ins Leben ruft die ih-rerseits sich gern mit einem Geheimnis umgeben oder durch Verkleidung als anders vonder gewoumlhnlichen Welt abhebenldquo (Huizinga 2004 S 22 Herv i Orig)
bdquoDas Spiel zeichnet sich durch raumlumliche und zeitliche Begrenztheit durch Wiederhol-barkeit und Einmaligkeit aus es durchbricht das normale alltaumlgliche Leben baut sichunverfuumlgbar und ereignishaft auf setzt dabei auch Handlungs- und Denkformen des All-tags auszliger Kraft und entlaumlsst den Spielenden dann wieder in sein gewoumlhnliches Lebenldquo(Stenger 2014 S 267)
In Johan Huizingas Definitionsversuch wird im Vergleich zur zweiten Definition von Ursula Sten-
ger die Frage ob Spiel als bdquofreie Handlungldquo eher als Taumltigkeit oder als Geschehen aufzufassen ist
nicht deutlich Dieser spaumlter im Kapitel bdquo14 Das Moment der Ambivalenzldquo noch detaillierter be-
schriebene Aspekt des Spiels ist gerade fuumlr das freie Spiel von ganz entscheidender Bedeutung
2 Vgl Scheuerl 1988 S 32-52 ebenso Miller-Kipp 2005 S273 277-279 auch Flitner 2002 S 13-253 Vgl Huizinga 2004 S 9-12 ebenso Scheuerl 1990 S 109-111 auch Flitner 2002 S 195-1974 Vgl Miller-Kipp 2005 ebenso Bonet 1993 aumlhnlich auch Huizinga 2004
5
denn die sich aus der naumlheren Analyse ergebenden Voraussetzungen und Grundlagen fuumlr gelingen-
des freies bzw bdquonatuumlrlichesldquo Spiel werden ersichtlich machen aus welchem bdquoStoffldquo die schon an-
genommene Freiheit ist und mit welchem Verlaufsmuster dh mit welcher Strategie sich diese Frei-
heit im Spiel organisiert weshalb letztlich auch zwischen Taumltigkeit und Geschehen zu unterschei-
den ist Dazu wird noch ein weiterer Aspekt dieser bdquofreien Handlungldquo ganz zu Anfang naumlher zu be-
schreiben sein denn es gibt mehrere Ebenen auf denen verschiedene Qualitaumlten von Freiheit beste-
hen naumlmlich die Freiheit von der Lebensfuumlrsorge als bdquoFreiraumldquo zum Spiel und die schon erwaumlhnte
Freiheit als Ambivalenz im Spiel Beide Definitionsversuche sind aber auch insofern nicht bdquoganz-
heitlichldquo umfassend da sie lediglich auf Spiel als Verhalten von Menschen abzielen also anthropo-
zentrisch sind und sich somit nicht auf andere Wissenschaften uumlbertragen lassen Da das Spiel aber
auch von elementarer Bedeutung fuumlr nicht-paumldagogische Wissenschaften ist waumlre eine ganzheitli-
che Definition dienlich um entscheidende Parallelen zwischen den verschiedenen Forschungsgebie-
ten ziehen zu koumlnnen und die im Spiel zweifelsohne enthaltenen Potenziale nicht bdquoaufs Spiel zu set-
zenldquo und letztlich bdquozu verspielenldquo So konnten beispielsweise aktuelle naturwissenschaftliche Er-
kenntnisse zum bdquonatuumlrlichenldquo Spiel besonders uumlber die unverfuumlgbaren eigentuumlmlichen Momente
des Spiels naumlmlich die Kreativitaumlt die Phantasie die Spontanitaumlt die Unordnung den Unsinn den
Zufall und die Freiheit zeigen welch grundlegende Bedeutung ihnen im Spiel zukommen sodass
auch weitreichende Konsequenzen fuumlr die Paumldagogik daraus abgeleitet werden koumlnnen So sollte
beispielsweise auf der Handlungsebene das Geschehen des Spiels vernuumlnftigerweise abgewartet
werden damit etwas zwischen Zufall und Notwendigkeit selbstgesteuert daraus erwachsen kann
Und nicht wie bisher versucht wird das Spiel quasi als bdquoListldquo geplant und kontrollierbar von auszligen
zu erzeugen um daraus zB einzelne Kompetenzen vermeintlich herzustellen die dem aktuellen
Zeitgeist nach als bedeutend angesehen werden (vgl Miller-Kipp 2005 S 273-285) Ich sehe es als
entscheidend an die Verwandtschaft der wesentlichen Momente des Spiels mit dem Evolutionsprin-
zip aufzuzeigen um daraus ableitbare Konsequenzen und Voraussetzungen fuumlr das bdquonatuumlrlicheldquo
Kinderspiel ersichtlich machen zu koumlnnen An gegebener Stelle werde ich diese skizzierten Aspekte
nochmals vertiefend aufgreifen Zunaumlchst jedoch werde ich mich ausgehend von Hans Scheuerls
Standardwerk der Paumldagogik uumlber das Spiel5 mit den von ihm untersuchten Spielphaumlnomenen und
ihrem gemeinsamen Wesenszusammenhang befassen Hierbei ist es mein Anliegen das
(Kinder)Spiel weitestgehend nach seinem Wesen mit seinen grundlegenden Eigenheiten zu be-
schreiben und nicht nach seiner moumlglichen Funktion oder seinem Zweck fuumlr den Menschen zu fra-
gen Mit der Vermeidung eines auf Funktionen und Zwecken orientierten Erklaumlrungsversuch zu der
5 Scheuerl Hans Das Spiel - Untersuchung uumlber sein Wesen seine paumldagogischen Moumlglichkeiten und Grenzen 11Aufl Weinheim und Basel 1990
6
Frage was Spiel ist zielt mein Beschreibungsversuch darauf ab die Ebene der verschiedenen Spiel-
formen mit ihren Nutzen zu verlassen und in uumlbergeordneter Ebene das Spiel allgemeinguumlltiger er-
fassbar zu machen Dadurch sollen die bereits angedeuteten tieferen Zusammenhaumlnge des Spielphauml-
nomens ersichtlich werden woraus sich bdquoneueldquo Relevanzen fuumlr unsere Lebensfuumlhrung ableiten las-
sen Diese grundlegenderen Zusammenhaumlnge und die sich daraus ergebenden Konsequenzen oder
Relevanzen werden auch im Weiteren fuumlr die Argumentationslinie dieser Arbeit leitend sein
Auch Hans Scheuerls Ziel war es zunaumlchst zu einer grundlegenden Wesensbestimmung des Spiels
zu gelangen Dafuumlr unterteilte er das Spielgeschehen in sechs Wesensmomente naumlmlich in
Freiheit innere Unendlichkeit Scheinhaftigkeit Ambivalenz Geschlossenheit und Ge-
genwertigkeit (vgl Scheuerl 1990 S12-16 65-67) Aber auch durch diese Gliederung laumlsst sich
nicht bestimmt klaumlren was Spiel ist (vgl ders S 102) Daruumlber jedoch wie freies Kinderspiel
moumlglich wird gibt sein phaumlnomenologischer Deutungsversuch detailliert Aufschluss Daher wird
dieser im Folgenden kurz vorgestellt
11 Das Moment der Freiheit
Spielen geschieht nach Hans Scheuerl um seiner Selbst Willen bdquoSpiel verfolgt keinen auszligerhalb
seiner selbst liegenden Zweckldquo (Scheuerl 1990 S67)
Spiel ereignet sich somit nicht um etwas zu erschaffen zu erledigen zu verrichten zu erlernen
usw obwohl im Spiel zuhauf geschaffen errichtet gestaltet erledigt erlernt usw wird Ein Kind
das im Spiel bspw Baukloumltze aufeinander stapelt spielt dies nicht damit es einen geschickten Um-
gang damit erlernt sondern weil es Freude am lustbetonten Spielen hat Das Spielgeschehen ereig-
net sich also zweckfrei ist aber kein willkuumlrliches Ereignis oder sinnfreie Betaumltigung sondern es ist
bdquovon innerer Zweckmaumlszligigkeitldquo (ders S69) durchdrungen dh es folgt eigenen Regeln individuel-
len Absprachen Grenzen Zielen lustvollem Erleben usw und sei es beim spielenden Kind beim
Katzenjungen Fuszligballspieler oder Musiker Ihr Spiel wird stets mit Ernst und besonderem Eifer be-
trieben
bdquoSoll sein Spiel gelingen so muszlig er [der Spielende MG] sich ihm widmen koumlnnen alsgaumlbe es nichts auszliger diesem Spiel auf der Welt Eine aumlhnliche selbst- und weltvergesse-ne Hingabe verlangt das Spiel auch schon vom Kindeldquo(ders S67)
Diese voumlllige Hingabe beinhaltet Sorgenfreiheit ohne die das Spielen nicht moumlglich waumlre Die Spie-
lenden muumlssen fuumlr eine gewisse Zeit frei von ihrer unmittelbaren Lebensfuumlrsorge des bdquoDaseins-
kampfesldquo (Scheuerl) sein Dadurch entsteht ein Freiraum in Form von frei verfuumlgbarer Zeit und in
7
diesem bdquoRaumldquo ereignet sich Spiel (vgl ders S 67- 69)
Somit ist es auch kaum verwunderlich dass besonders den Nachkommen einer Art dieser besondere
Freiraum in hohem Maszlige zuteil wird Der Biologe und Anthropologe Adolf Portmann weist dazu in
einem seiner Beitraumlge zum Spiel6 darauf hin dass diese freie Zeit durch Spiel zu sinnvoll erfuumlllen-
der gestalteter Zeit (Vgl Portmann 1976 S60 vgl dazu auch S 68 und 71) wird und somit fuumlr
ein erfuumllltes Leben grundlegend sei Im Gegensatz zu einigen Spieltheorieansaumltzen7 die dem Spiel
ausschlieszliglich Erhaltungswert beimessen dient das Spiel Portmann zufolge mehr als nur dem Er-
haltungswert Aktuelle biologische Forschung hat hierzu offengelegt dass nur bei houmlheren Lebewe-
sen mit Entfaltung der Innerlichkeit im Sinne einer bdquoPsycheldquo aumluszligerlich verborgenes Erleben8 ent-
steht und dass es erst durch dieses Erleben von subjektiver Wirklichkeit (vgl Portmann 1976 S
58-61) zu bdquolustbetontem Verhalten [kommt] das nicht unmittelbar der Lebenserhaltung dient - es
begegnet uns erlebtes erstrebtes Spielenldquo (ders S60) Portmann beschreibt Spiel demnach wie
folgt
bdquoSpiel ist freier Umgang mit der Zeit ist erfuumlllte Zeit es schenkt sinnvolles Erleben jen-seits aller Erhaltungswerte es ist ein Tun mit Spannung und Loumlsung ein Umgang miteinem Partner der mit einem spielt - auch wenn dieser Partner nur der Boden ist oderdie Wand welche dem Spielenden den elastischen Ball zuruumlckwerfen Dieses Spiel setztetwas besonderes voraus einen Zeitraum ohne Sorge []ldquo (ebd)
Adolf Portmanns These dass bei houmlheren Lebewesen sinnvoll erfuumlllende Gestaltung von sorgenfrei-
er Zeit durch Spiel geschieht hat somit allgemeine Bedeutung auch fuumlr unsere eigene Daseinsfuumlh-
rung Denn
bdquo Spielʻ ist die lustvolle von Erhaltungssorge freie also zweckfreie aber sinnerfuumlllteZeitldquo (ders S 68 Herv i Orig)
bdquoVolles Leben ist nicht allein Gestaltung von Stoff von Materie Leben ist Umgang mitZeit ist Gestaltung von Zeit ist Sinngebung fuumlr leere Uhrenzeitldquo(ders S 60)
Portmann hebt das freie Spiel als gestaltete Zeit auf die Ebene der Grundbeduumlrfnisse und macht es
fuumlr ein sinnvoll erfuumllltes wahrhaft gutes Leben zur Bedingung (vgl ders S 66-72)
6 Portmann Adolf Das Spiel als gestaltete Zeit In Der Mensch und das Spiel in der verplanten Welt Hg Bayeri -sche Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1976
7 Kraftuumlberschusstheorie (H Spencer) Erholungstheorie (M Lazarus) Katharsistheorie (K Gross) Entwicklungs-psychologie (J Piaget) (vgl Kluge 1981 S 15 und 31)
8 Gemeint ist dass mit steigender Gestaltungshoumlhe der Lebewesen subjektives Erleben moumlglich ist also dass durchdas Zentralnervensystem und die Sinnesorgane reiche Umweltbeziehungen entstehen Diese Entwicklung hat sichbeim Menschen bis zur geistigen Lebensform gesteigert (vgl Portmann 1976 S 59-61)
8
12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
Kinder zeigen in ihrer Alltaumlglichkeit kontinuierlich einen Drang zum Spielen Ein Kind - und si-
cherlich nicht nur es allein - hat offenbar ein Beduumlrfnis nach freiem Spiel Scheuerl benennt diese
Begebenheit als triebhafte Tendenz zum Spiel (Vgl Scheuerl 1990 S 71) bdquoEs gibt zweifellos
einen Zwang zum Spielldquo (ebd Herv i Orig) Nach ihm muumlssen Kinder wenn sie gesund aufwach-
sen sollen sogar spielen um nicht psychisch und physisch zu erkranken Insofern kann sogar von
einem gewissen bdquoSpieltriebldquo (Vgl ders S 73) als Tendenz zum Spiel gesprochen werden Dieses
Spielbestreben weist aber letztlich ein anderes Wesen als andere menschliche Tendenzen (Triebe)
zur Beduumlrfnisbefriedigung auf und muss davon unterschieden werden Denn die letztlichen Tenden-
zen im Spiel sind keine gewoumlhnlichen Beduumlrfnisbefriedigungen durch Triebverhalten also keine de-
terminierten triebhaften Handlungen die zweck- oder zielorientiert sind Statt dessen sind sie situa-
tiv sowie individuell variabel und vor allem in sich zirkulaumlr Denn die Befreiung von Beduumlrfniss-
pannungen also dem bdquo[s]ich allen Erregungen und Drang-Erlebnissen gegenuumlber den Frieden ge-
benldquo (ders S 70) zielt auf das Ende der Spannung ab die das nicht erfuumlllte Beduumlrfnis triebhaft
ausloumlste So etwa moumlchte man zB bei Hunger oder Durst Saumlttigung bzw Stillung herbei fuumlhren
Alle triebhaften Handlungen zielen demnach tendenziell auf die Befriedigung des sie hervorbrin-
genden Beduumlrfnisses ab und somit auf ihr eigenes Ende In dieser Tendenz die sich auf das Ende
der beduumlrfnisbefriedigenden Handlung hin ausrichtet liegt nun zum Spiel der wesentliche Unter-
schied Der bdquoSpieltriebldquo will keine Befriedigung bdquoer kann nicht gesaumlttigtʻ werdenldquo (ders S 73)
Sein Initialzweck ist vielmehr die Beseitigung aller Spielhindernisse - deshalb auch triebhafte Ten-
denz zum Spiel Aber sobald eine konkrete Spielidee im Kind aufkeimt und es beginnen kann sich
entschieden und mit groumlszligtem Eifer ihr zu widmen um darin voumlllig selbst aufzugehen als ob es nur
dies Eine auf Erden gaumlbe und das Spiel niemals enden duumlrfe wird das Wesensmerkmal der inneren
Unendlichkeit erkenntlich bdquoDa ist nichts was auf ein Ende draumlngt nichts was den Zustand des
Spielens aufheben moumlchteldquo (ders S 71 )
bdquoDas Spiel kann innerhalb seines Freiraums gekennzeichnet werden als Bewegung voninnerer Unendlichkeitʻldquo (ders S74)
Ist ein Spiel erst einmal im Gange will es ewig fortgesetzt werden Es strebt seiner eigenen inneren
Unendlichkeit entgegen einem nicht endenden zirkulaumlren bdquoZustandldquo Und von da an gleicht der
bdquoSpieltriebldquo als Spielerscheinung in seiner Tendenz auch keiner zielorientierten Zweck- oder Be-
duumlrfnishandlung mehr weshalb genau genommen nicht von gewoumlhnlicher Beduumlrfnisbefriedigung
durch Triebverhalten gesprochen werden kann Das Spiel ist also dem Wesen nach eine staumlndige
Spielbewegung (Scheuerl) quasi ein Perpetuum mobile Ein Kind spielt nicht bis es das Spielen
9
satt hat oder vom Spielen uumlbersaumlttigt ist sondern es beendet erst sein Spielen wenn es durch aumluszliger-
liche Faktoren (zB Beduumlrfnisse Noumlte Verpflichtungen jeglicher Art etc) dazu gedraumlngt wird (vgl
ders S 70-77)
13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
Das frei von Zwecken und Triebdruck voumlllig in sich selbst versunkene unendliche Spiel spielende
Kind wird durch die Hingabe an die eigene Phantasie kreativ wird lebendig Die Einbildungskraft
erschafft und gestaltet eine eigene Phantasiewelt in der Form einer bdquoAls-obldquo-Realitaumlt (Scheuerl)
Die durch Spielerphantasie konstruierte bdquoScheinweltldquo (Scheuerl) nimmt dabei die Bedingungen ih-
rer Umwelt wie beispielsweise reale Gegenstaumlnde und Objekte und ihre Materialitaumlt auf und erwei-
tert diese bdquoGegenstaumlndeldquo ggf bis zum imaginaumlren rein symbolischen Spielmittel damit es der
Spielidee und ihrem Fortgang moumlglichst dienlich ist
Die gesamte Phantasiespielwelt wird somit nach eigenen Vorstellungen von nah am objekthaften
(abbildnah) bis fernab der im weitesten Sinne materiellen Realitaumlt (abstrakt) konstruiert und kann
mit eigenen Gesetzmaumlszligigkeiten und Zusammenhaumlngen gestaltet werden Die entstehenden spieleri-
schen Inszenierungen enthalten in ihrer Spielidee auch fortwaumlhrend aktuelles Geschehen und die
Eindruumlcke der Kinder dazu wodurch es auf diesem Weg zur spielerischen Auseinandersetzung da-
mit kommt So kann zB ein vom Kind miterlebtes Hochwasser in der eigenen Region zur aufge-
griffenen Spielidee fuumlhren Ein verwittertes Stuumlck Holz etwa koumlnnte dem spielenden Kind als Sym-
bol des Rettungsbootes dienen das sich mit seinen imaginaumlren Insassen in einer dramatischen Ret-
tungsaktion im Hochwassergebiet befindet In solchen Spielszenen ist haumlufig beobachtbar dass es
beim Spielen nicht um abbildhaftes realitaumltsgetreues Nachspielen des eventuell Erlebten geht Son-
dern vielmehr darum dass sich das spielende Kind aktiv im Spiel zwar mit Erlebtem auseinander-
setzt im Sinne der bdquoScheinhaftigkeitldquo und des Unendlichkeitscharakters des Spiels aber rein aus
Freude am lustbetonten gestalteten Spielen die Spielhandlung ritualhaft wiederholt In diesem Sin-
ne wuumlrden beispielsweise immer wieder Insassen aus dem Boot geschleudert die es dann aufs Neue
zu retten gaumllte wodurch das Spiel zirkulaumlr bestaumlndig zumindest solange fortdauern koumlnnte bis neue
Spielideen oder von auszligen kommende Faktoren es abloumlsen oder beenden Spielern aber auch Zu-
schauern (zB im szenischen Spiel) erscheint diese Phantasiewelt von der materiellen Realitaumlt los-
geloumlst und die uumlber den Dingen schwebende bdquoScheinhaftigkeitldquo des Spiels (Scheuerl) kann Betrach-
ter und Akteure gleichfalls in ihren faszinierenden Bann ziehen sofern ihnen der Zugang zur eige-
nen Phantasie nicht von auszligen bdquoversperrtldquo ist (vgl Scheuerl 1990 S 77- 85)
10
14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
Jeder Spielende versucht sein Spiel bestaumlndig aufrecht zu erhalten9 Dafuumlr baut er im Spiel ein
Spannungsverhaumlltnis also einen inneren bdquoSpielraumldquo als Modus von selbstregulierter Freiheit auf
Die entstehende Autonomie (Freiheit) im Spiel besteht nun in der Ambivalenz zwischen sich zufaumll-
lig ergebendem Neuen Unbekanntem oder neu Gestaltetem (zB neue Passage am Kletterfels oder
die sich staumlndig neu ergebenden Flugbahnen der jonglierten Baumllle etc) und notwendig Festgeleg-
tem Bekanntem oder Begrenzendem (zB Regeln beherrschte Kletterpassage die bestaumlndige Form
und das Gewicht der Jonglierbaumllle die eingeuumlbte Jongliertechnik etc) Der Spielende versucht da-
bei permanent sein Spiel in Balance zwischen diesen beiden bdquoPolenldquo zu halten um es einerseits
stets durch bdquoNeuesldquo interessant zu gestalten und es andererseits durch bdquoBekanntesldquo zu stabilisieren
Die Dominanz einer Seite wuumlrde das Spiel abbrechen also beenden Denn ein zu viel an Neuem
noch zu Entdeckendem wuumlrde dem Spiel ein Uumlbergewicht an Wagnis Raumltselhaftigkeit Moumlglichkei-
ten oder Schwierigkeit verleihen und ein zu viel an bereits Entdecktem Begriffenem oder Begren-
zung wuumlrde das Spiel etwa vorhersehbar und eindeutig machen oder es einengen bdquokanalisierenldquo
(Scheuerl eindimensionale Zweckhandlung) sodass jede von ihm ausgehende Spannung und Spiel-
freude verloren ginge (vgl Scheuerl 1990 S 86-90)
bdquoSo bedarf das Spiel einer maszligvollen Spannung Spannungslosigkeit waumlre der Tod fuumlrdas Spiel Andererseits wuumlrde eine zu hohe Spannung sogleich einen auf Beendigungder Spannung gerichteten Befriedigungswunsch hervorrufen der die Ambivalenz uumlber-waumlltigen muumlszligteldquo (ders S 88 Herv i Orig)
Veranschaulicht darstellen laumlsst sich diese Ambivalenz zwischen Zufall und Notwendigkeit im Spiel
auch am Beispiel des Wuumlrfelns mit einem sechsseitigem Zahlenwuumlrfel Dabei besteht der Zufall in
der Wahrscheinlichkeit mit der eine der sechs Zahlen gewuumlrfelt wird und die Notwendigkeit be-
steht darin dass eine gewuumlrfelte Zahl immer im einschlieszligenden Bereich von eins bis sechs liegen
wird Somit begrenzen die festgelegten sechs Seiten des Wuumlrfels wie eine Regel das zufaumlllige Ein-
zelergebnis und steuern quasi bdquoselbstorganisiertldquo die Konsequenzen des Zufalls wodurch er statis-
tisch moumlglich dh wahrscheinlich wird (vgl Miller-Kipp 2005 S 281-282)
Nach Gisela Miller-Kipp10 ist dieses selbstgesteuerte Spannungsverhaumlltnis von ganz urspruumlnglicher
Relevanz Sie sieht einen Zusammenhang zwischen dem bdquoSpiel der Evolutionldquo dem Modus von
Freiheit zwischen Moumlglichem und Wahrscheinlichem und dem (menschlichen tierischen) Spiel als
9 vgl dazu bdquo12 Moment der inneren Unendlichkeitldquo in dieser Arbeit S 9 f10 Miller-Kipp Gisela Zufall Selbstorganisation und Kreativitaumlt Ein Versuch uumlber die Natur des Spiels wider seine
Paumldagogisierung In Bilstein J Winzen M Wulf C (Hg) Anthropologie und Paumldagogik des Spiels Weinheimund Basel Beltz Verlag 2005 S 273-291
11
einem lebendigen Teil dessen Naturwissenschaftliche Forschungen uumlber die Evolution haben seit
fast einem Jahrhundert die dazu grundlegenden Wesenskraumlfte im Evolutionsprozess definiert Diese
Wesensmerkmale sind Kreativitaumlt und Zufall (vgl dies S 281-285) Elfriede Maria Bonet fuumlhrt in
ihrem Aufsatz zum Spiel bdquoVon Autonomie und Spontanitaumlt Eine Naturgeschichte des Spielsldquo11 aus
dass Selbstorganisation eine relative Unabhaumlngigkeit von aumluszligeren Reizen bewirkt (Autonomie)
weshalb Spontanitaumlt als Strategie zur Selbststeuerung entsteht Diese Entwicklung von Selbstorga-
nisation mit Spontanitaumlt zur Selbststeuerung bildet ihr zufolge das kreative Moment im Evolutions-
prozess welches fuumlr das Auftreten neuer nicht voraussagbarer Qualitaumlten bzw neuer bdquoFormenldquo
oder Variationen aus dem Vorhandenen entstehen laumlsst (Emergenz12) Das daraus entstehende neue
Ganze waumlre bildlich gesprochen demnach mehr als die Summe seiner einzelnen Teile (frei nach Ari-
stoteles) Da es fuumlr menschliches aber auch tierisches Verhalten charakteristisch ist dass aufgrund
von Autonomie Spontanitaumlt entsteht erkennt Bonet darin die systemische Wesensverwandheit von
Spiel und Evolution (vgl Bonet S35ff) Diese Annahme deckt sich insofern auch mit dem Stand-
punkt derzeitiger Evolutionsforschung denn darin bdquowird die Evolution der materiellen und biologi-
schen Welt als einheitlicher Prozess angesehen der nicht determiniert ist und nicht deterministisch
ndash oder im alten Sinne mechanisch ndash ablaumluft Er spieltʻ wie es heiszligt [hellip]ldquo (Miller-Kipp 2005 S
280 Herv i Orig) Daraus folgt dass die bdquonatuumlrliche ndash physikalische und biologische ndash und kultu-
relle Evolution strukturell miteinander gekoppelt [sind] laufen also weder unabhaumlngig voneinander
noch in determinierender Kausalitaumlt zueinander abldquo (ebd Herv i Orig) Das schlieszligt somit das
Spiel des Menschen als bdquoKulturfaktorldquo13 und bdquoUrprinzipldquo (Huizinga) in diesen offenen Prozess ein
denn bdquoes [das Spiel MG] wurzelt in der Natur als der natuumlrlichen (der materiellen und der biologi-
schen) Evolution und traumlgt deren Momente in sich auch im Kulturprozessldquo (Miller-Kipp 2005 S
281) Auf dieser Grundlage wird derzeit die kreative Selbststeuerung auch als ursaumlchlich fuumlr den ge-
waltigen Formen- und Artenreichtum der Natur angesehen (vgl dies S 273-285 vgl dazu auch
Bonet 1993 S 35 ff) Auf das bdquonatuumlrlicheldquo (Kinder)Spiel bezogen bedeutet dies dass auch aus
dem Spiel in seinen Formen und Funktionen heraus Emergenzen entstehen Diese neuen unvorher-
11 Bonet Elfriede Maria Von Autonomie und Spontanitaumlt Eine Naturgeschichte des Spiels In Baatz U Muumlller-Funk W (Hg) Vom Ernst des Spiels uumlber Spiel und Spieltheorie Berlin Dietrich Reimer Verlag 1993 S35- 47
12 bdquoEmergent So bezeichnet man systemische Eigenschaften die nicht aus den Komponenten eines Systems abgelei-tet oder vorhergesagt werden koumlnnen Systeme sind in erster Linie relationale Tatsachen Dinge die auf den Bezie-hungen beruhen welche die Elemente des Systems zueinander einnehmen Als solche besitzen sie Eigenschaftendie gegenuumlber den Eigenschaften ihrer Komponenten oder Elemente emergent sind Nach Luhmann ist das Sozialeeine emergente Eigenschaft und als solches nicht aus den Eigenschaften seiner Elemente der psychischen Systemeableitbar Sozialitaumlt ist eine houmlherstufige Eigenschaft die auf den Beziehungen zwischen Menschen beruht In derBewusstseinsphilosophie behauptet der so genannte Emergentismus die Emergenz von Bewusstsein Hat die Kom-plexitaumlt bestimmter biologischer Systeme einen bestimmten Grad erreicht stehen insbesondere Nervenzellen aufvielfaumlltige Weise miteinander in Beziehung so tritt in der Geschichte der Evolution Bewusstsein als emergente Ei-genschaft dieser biologischen Systeme aufldquo (bdquoemergentldquo In UTB-Online-Woumlrterbuch Philosophie)
13 Huizinga geht davon aus dass Kultur (Sprache Gemeinschaftsleben Brauchtum Essen Sitten Kunst ReligionRechtsleben etc) in Form von Spiel entsteht (vgl Huizinga 2004 S7-13 56-58)
12
sagbaren Erscheinungen (Qualitaumlten) sind so vielfaumlltig dass sie dem von der Natur hervorgebrach-
ten Artenreichtum gleichen und in ihrer Qualitaumlt fuumlr das Individuum die vielfaumlltigsten und komple-
xesten Funktionen und Nutzen bereithalten
Nach meiner Auffassung werden die beschriebenen Wesenszusammenhaumlnge von Spiel und Evoluti-
on besonders in dem Modus von Freiheit als Ambivalenz im Spiel ersichtlich da die grundlegenden
evolutiven Momente naumlmlich Kreativitaumlt Selbstorganisation und Spontanitaumlt auch die wesentlichen
Schaffenskraumlfte menschlichen Handelns und des erlaumluterten Spannungsverhaumlltnisses im Spiel sind
In Anlehnung an Miller-Kippacutes und Bonetacutes Deutungsversuche zum Spiel ist das freie im obigen
Sinne natuumlrliche Kinderspiel als Modus von selbstregulierter Freiheit eine wesensgemaumlszlige kreatuumlrli-
che bdquoTaumltigkeitldquo des Menschen die sich ereignet bzw die geschieht und nicht verrichtet oder erzeugt
werden kann Die diesem bdquoSpielgeschehenldquo (Scheuerl) innewohnenden unverfuumlgbaren wesentli-
chen Momente sind demnach sowohl die Grundbedingung fuumlr das Spiel selbst als auch Vorausset-
zung fuumlr die Vielfaumlltigkeit im Spielprozess Fraglich ist an dieser Stelle ob ein intentional geplantes
Erziehungs- und Bildungsvorhaben diesen Entwicklungsspielraum mit vielfaumlltigsten Erfahrungs-
moumlglichkeiten fuumlr Kinder schuumltzend bereithaumllt Und ob dann das freie natuumlrliche Spiel abgewartet
wird oder ob das (Kinder)Spiel mit funktionalen Absichten durch Paumldagogisierung in das planende
Joch von Erziehungs- und Bildungsbestrebungen eingespannt wird und seine wesentlichen Poten-
ziale damit verspielt werden
15 Das Moment der Geschlossenheit
Die freie Spieltaumltigkeit eines Kindes ist insofern geschlossen als dass die oben genannten Momente
wie einzelne ineinander greifende Glieder eine bdquogeschlossene Ketteldquo bilden muumlssen damit sich
freies bdquonatuumlrlichesldquo Spiel einstellt Die sich daraus bildenden oder aufgenommenen Spiele werden
haumlufig von da an als auftretendes Phaumlnomen augenscheinlich Denn das Spiel beginnt sich als frei
gestaltete Zeit mit seinem entstehenden bdquoKosmosldquo von Regeln Zufaumlllen Absprachen Bedingun-
gen Offenheiten Bestrebungen Kontexten Unverfuumlgbarkeiten Themen etc klar zu definieren und
vom gewoumlhnlichen Leben bdquoabzusetzenldquo Es wird dabei ersichtlich dass freies Spiel seine eigene in-
nere Regelhaftigkeit (im weitesten Sinne) sein bdquoSpielfeldldquo hat und eher als das Gegenteil von Will-
kuumlr oder Anomie anzusehen ist (Vgl Scheuerl 1990 S 91-95)
16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
Das Spiel verfolgt keinen auszligerhalb seiner selbst liegenden Zweck (Zweckfreiheit) und das Spielge-
13
schehen ist eine bdquopendelnde Suchbewegungldquo (Scheuerl Ambivalenz) die bestrebt ist innerhalb ih-
rer konstruierten bdquoScheinweltldquo (Scheuerl Scheinhaftigkeit) endlos in sich selbst zuruumlckzulaufen
um kein Ende zu finden (innere Unendlichkeit) Spielende sind von ihrem lustvollen Erleben im
Spiel voumlllig durchdrungen und gestalten spielend spontan mit groszliger Ernsthaftigkeit und in voumllli-
ger Selbst- und Weltvergessenheit ihr bdquoewigesldquo Spiel Und wie entgegen aller Vergessenheit ist es
dennoch ein Zustand houmlchster Wachheit und Konzentration Spielende sind in jedem gegenwaumlrtigen
Moment voumlllig praumlsent dh im bdquoHier und Jetztldquo aumlhnlich einem meditierenden Menschen Spielende
befinden sich also im Zustand tiefer Kontemplation aber nur im Bezug auf ihr Spiel weshalb sie
auch das eigene Gefuumlhl fuumlr Zeit im Moment des Spielens nicht oder kaum wahrnehmen Spielende
Kinder koumlnnen uumlber Stunden bdquowie gefesseltldquo ihrem Spiel nachgehen ohne dass ihnen die Zeitspan-
ne wirklich bewusst waumlre oder dass es ihnen hinterher moumlglich waumlre den fuumlr das Spiel aufgebrach-
ten Zeitraum zu schaumltzen (Vgl Scheuerl 1990 S 95-96 100-102)
17 Zusammenfassung
Das dieser Arbeit zugrunde liegende Verstaumlndnis des Begriffes bdquofreies Kinderspielldquo kann wie folgt
zusammengefasst werden Freies (Kinder)Spiel wird als ein Geschehen von komplexer geistig-
kreativer Weltzuwendung verstanden das sich innerhalb eines Freiraumes ereignet Einerseits ist
die sich innerhalb dessen ereignende Spieltaumltigkeit frei von Zielen Zwecken oder Nutzen die au-
szligerhalb seiner selbst liegen und andererseits sind die Spielenden innerhalb des Spielzeitraums frei
von ihrer unmittelbaren Lebensfuumlrsorge Als solche freie Zeit gestaltende Taumltigkeit ist das Spielen
fuumlr geistig emotional erlebende Wesen wie den Menschen oder houmlher entwickelte Tiere fuumlr eine
hohe Lebensqualitaumlt innerhalb eines erfuumlllenden Lebens grundlegend Aus diesem Umstand ergibt
sich dass freies natuumlrliches Spiel als grundsaumltzliches Beduumlrfnis angesehen werden kann weshalb
Spielende auch einen Drang (bdquoTriebldquo) zum Spiel aufweisen Doch ist der Charakter dieser
(Spiel)Taumltigkeit an sich von anderer bdquoNaturldquo als gewoumlhnliche Beduumlrfnisse befriedigende
(Trieb)Handlungen Als diese triebhafte Tendenz zum Spiel zielt die Spieltaumltigkeit nicht auf das Be-
duumlrfnis stillende Ende ab sondern auf ihren dauerhaften Fortgang Dieser zirkulaumlre Charakter und
das geistig erfuumlllende Erleben werden dabei durch den Umstand ermoumlglicht dass sich das Spieler-
eignis aufgrund seiner zuvor beschriebenen Autonomie in einem Spannungsverhaumlltnis ereignet Die-
ses ergibt sich zwischen Zufall und Notwendigkeit und wird durch den Spielenden bestaumlndig in
Waage gehalten Dieses selbst initiierte Geschehen reguliert sich somit auf der Handlungsebene
selbst es ist selbstorganisiert Diese Selbststeuerung nutzt Phantasie und Spontanitaumlt als Strategie
weshalb das Spielgeschehen trotz seines zirkulaumlren Charakters als prozessoffen bezeichnet werden
14
kann Besonders das Kinderspiel taucht dazu im gegenwaumlrtigen Spielmoment mit seinen spielenden
Subjekten im besonderen Bewusstsein uumlber seine paradoxe Als-ob-Realitaumlt in ihre eigens gestaltete
geistige Scheinwelt ein Die Spielenden sind waumlhrenddessen voumlllig selbst- und weltvergessen mit
groszliger Ernsthaftigkeit und im groumlszligten Eifer voumlllig in ihr bdquogebanntldquo Fuumlr ein bdquosich Ereignenldquo dieses
beschriebenen spontanen natuumlrlichen Spiels hat es nun als letztes Merkmal noch zur Voraussetzung
dass einzelne Momente nicht fuumlr sich isoliert initiiert oder planmaumlszligig ersetzt weggelassen oauml wer-
den koumlnnen so dass jedes einzelne der sechs Wesensmomente im Spielgeschehen quasi jeweils ein
bdquoGliedldquo in einer ineinander greifenden bdquofunktionalenldquo Kette darstellt ohne dass die Kette nicht
funktionstuumlchtig waumlre und sich freies natuumlrliches Spiel nicht ereignen koumlnnte
Inwiefern sich freies Kinderspiel nach dieser Auffassung im Hessischen Bildungs- und Erziehungs-
plan widerspiegelt soll im folgenden Kapitel untersucht werden
2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
21 Das Spielverstaumlndnis
Im Kapitel bdquoGrundsaumltze und Prinzipienldquo des Hessischen Bildungsplanes kommt dessen bdquoeigenesldquo
Verstaumlndnis zum bdquoKinderspielldquo ebenso zum Ausdruck wie eine Anleitung dazu wie mit dem Spiel-
phaumlnomen planvoll umzugehen ist (vgl Hessisches Sozialministerium Hessisches Kultusministeri-
um (2007) S 30-31) Im Folgenden werden diese Positionen zusammenfassend darstellt und erlaumlu-
tert
Spiel wird darin als Mittel in der ureigenen Ausdrucksform des Kindes angesehen womit es in der
Zeit des Heranwachsens seine Entwicklungsaufgaben und Lebensrealitaumlt bewaumlltigt Nach dieser
Auffassung kennzeichnen das Spiel drei Merkmale Das ist erstens die Zweckfreiheit der Spielhand-
lung die ausschlieszliglich durch das von ihr ausgehende Anregungspotentials ausgefuumlhrt wird Zwei-
tens dass im Spiel eine eigene Realitaumlt konstruiert wird und drittens dass Spielhandlungen wie im
Ritual wiederholt werden Die weitere Betrachtung des Spiels ist dann maszliggeblich auf Zwecke Zie-
le und den Sinn des Spiels im Bezug auf seine Wirkungen beschraumlnkt Somit sollen sich Kinder
zwar bdquoin ihren Spielhandlungen lustvoll versenken und dabei in einen intensiven Austausch mit ih-
rer Umwelt tretenldquo (dies S 30) Dies diene dann aber lediglich der Verarbeitung und Bewaumlltigung
von noch nicht zuordenbaren Erfahrungen (Problemen) Diese vom Kind zu bewaumlltigenden Proble-
me betraumlfen einerseits Entwicklungsthematiken wie bdquodas Ausspielen von Macht und Kontrolle von
Allmachtsphantasien [hellip] oder Herrschaft uumlber Leben und Tod [] sowie der Wunsch nach Heraus-
bildung eines Selbst bzw einer Identitaumltldquo (ebd) und andererseits Beziehungsthematiken zwischen
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Erwachsenen und Gleichaltrigen
An die Beschreibung der drei Merkmale von Spiel anschlieszligend wird der Lern- und Entwicklungs-
charakter des Spiel dargestellt bdquoFreie Spielprozesse sind immer auch Lernprozesse denn Kinder
lernen zumindest beilaumlufig durch Spielenldquo (ebd)
Weiter heiszligt es im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan dass die Qualitaumlt dieser Lernprozesse
die im freien Kinderspiel stattfinden durch bdquogezielte Unterstuumltzungsmaszlignahmenldquo zu erhoumlhen sei In
dieser Aussage wird deutlich dass das freie Kinderspiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungs-
plan lediglich als Mittel aufgefasst wird welches die Entwicklungs- und Lernprozesse waumlhrend des
Heranwachsens beschleunigend wie ein Motor vorantreiben soll Warum sonst soll die bdquoQualitaumltldquo
des freien Kinderspiels bdquoerhoumlhtldquo werden Kinder sollen in erster Linie nicht spielen um ihrem Be-
duumlrfnis nach Spiel nachzukommen sondern um etwas zu lernen Dies legt den Verdacht nahe dass
das Spielen als solches auch nur aus diesem Grunde naumlmlich weil Kinder im Spiel etwas lernen
dh Kompetenzen erwerben Bestandteil des Bildungsplanes ist
Zusammenfassend kann festgestellt werden dass das Spiel im Hessischen Bildungs- und Erzie-
hungsplan auf eine Art Voruumlbung fuumlr das bdquorichtigeldquo Leben bei gleichzeitiger Lebensbewaumlltigung
verkuumlrzt wird Gleichzeitig findet durch die bdquoAufwertungldquo des freien Spiels zum bdquospielerischen Ler-
nenldquo eine Funktionalisierung und Paumldagogisierung des freien Spiels statt Die dem Spiel von Lern-
und Entwicklungspsychologie attestierten Potenzen (vgl Oerter 2007) sollen fuumlr die Realisierung
der Bildungs- und Erziehungsziele nutzbar gemacht werden dh das Spiel an sich dient vorrangig
dem Erwerb gewisser Kompetenzen und nicht der Erfuumlllung kindlicher Spielbeduumlrfnisse
Im folgenden Abschnitt werden die Hintergruumlnde eines solchen Spielverstaumlndnisses untersucht
Politische Motivationen spielen dabei ebenso eine Rolle wie die sich daraus ergebenden Ziele des
aktuellen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplans
22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
Im Vorwort des Hessischen Bildungs- und Erziehungsplans benennen die ehemaligen Hessischen
Ministerinnen14 fuumlr Kultus Karin Wolf und fuumlr Soziales Silke Lautenschlaumlger das zentrale politi-
sche Ziel naumlmlich die bdquoOptimierung der Bildungschancenldquo und die Entwicklung von bdquoChancen-
gleichheitldquo (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S 18) fuumlr die heranwachsende
Generation Bereits diese Formulierung laumlsst erkennen dass es im Bereich Bildung und Erziehung
politisch gesehen um Effizienz und um einheitliche bdquoQualitaumlts-ldquo und bdquoBildungsstandardsldquo geht die
14 unver uumlbern v aktuellem Kultusminister Herr Lorz von Herr Gruumlttner fuumlr Soziales und Integration
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auf maximale Leistungen in der nationalen und internationalen Wissenskonkurrenz zielen
Wie ist also bdquoOptimierung der Bildungschancenldquo zu verstehen Konzeptionell ist diese bdquoOptimie-
rung der Bildungschancenldquo darauf angelegt dass bis zum Uumlbergang in die Sekundarstufe die Kin-
dertageseinrichtungen und Grundschulen allen Kindern eines Jahrgangs als Grundlagen die gleichen
bdquoBasiskompetenzenldquo15 vermitteln sollen Das Erreichen dieser bdquoBildungsstandardsldquo bis zur vierten
Klasse sei wiederum die Herstellung von bdquoChancengleichheitldquo so die Schlussfolgerung (vgl dies
S 18)
Dabei besteht die Chance darin dass die Kinder des gesamten Jahrgangs in gleichen Leistungstests
an diesen einheitlichen bdquoBasiskompetenzenldquo in Abhaumlngigkeit gemessen und in Konkurrenz zueinan-
der nach ihren Lernleistungsdifferenzen (Leistungsabstaumlnden) eingeordnet werden koumlnnen (vgl
Nuumlberlin 2002 S 117-127) Die dabei entstehende Jahrgangssortierung dh die Platzierung im
Leistungsvergleich innerhalb eines Jahrganges entscheidet dann daruumlber welche Kinder eine
bdquoChanceldquo auf houmlhere Bildung erhalten und welche nicht welche also das Gymnasium besuchen
duumlrfen und fuumlr welche der Besuch der Realschule vorgesehen ist Somit werden mit dem politischen
Programm bdquoChancengleichheitldquo bzw bdquoOptimierung der Bildungschanceldquo die jungen Generationen
(Kinder und Jugendliche) gemaumlszlig der in der Gesellschaft durchgesetzten Wissenshierarchie bzw Fauml-
higkeitshierarchie kontinuierlich eingeordnet (vgl Nuumlberlin 2002 S 127-129)
Deshalb soll bdquoChancengleichheitldquo auch bdquoBildungschancenldquo eroumlffnen weshalb im Bildungsplan Paumld-
agogen dazu aufgerufen sind die Kinder von fruumlhester Kindheit an individuell zu staumlrken um ihre
unterschiedlichen Voraussetzungen zumindest in gleichen bdquoBasiskompetenzenldquo vermeintlich einan-
der anzugleichen und somit die Vergleichbarkeit in der Notenkonkurrenz chancengleich im Sinne
von voraussetzungsgleich zu gestalten (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S
5-6 und S 17-18) Gerda Nuumlberlin weiszligt darauf hin dass aber diese Voraussetzungsgleichheit die
Institution Schule gerade nicht leistet Und dass Schule statt dessen durch Lernen auf Zeit die Schuuml-
ler innerhalb eines Jahrgangs mit einheitlichen Tests kontinuierlich einem Sortierungsverfahren un-
terzieht das eher gemaumlszlig den Bildungsschichten die Wissensunterschiede der Kinder hervorhebt
und sogar mit produziert statt sie mit dem Ziel der bestmoumlglichen Wissengleichheit zu bdquobeseitigenldquo
(vgl Nuumlberlin 2002 S 104-142)
Die auf gleiche Basiskompetenzen vorbereitenden Lernangebote und Fruumlhfoumlrderungen sollen nach
Aumluszligerung der Ministerinnen im Vorwort intensiver und fruumlher initiiert werden als in den vorange-
gangenen Jahren (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S 5-6) Zur Sicherung
15 bzw auch als bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (vgl dies S 41) bezeichnet daraus resultieren sollen die besonders vonder Wirtschaft geforderten bdquoMetakompetenzenldquo (vgl dies S 17)
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der bdquoBildungsqualitaumltldquo und Umsetzung einheitlicher Standards soll der Bildungs- und Erziehungs-
plan das institutionenuumlbergreifende Steuerungsinstrument sein (vgl dies S 19) Die Herausgeber
des Bildungsplanes heben in der Einfuumlhrung besonders hervor dass es sich erstmals um einen Bil-
dungs- und Erziehungsplan handelt der durch seine stufenlose Konzeption von 0 bis 10 Jahren ein
kontinuierliches Lernen vorsieht Alle paumldagogisch wirkenden Personen und Institutionen sollen
durch einheitliche Bildungs- und Erziehungsziele moumlglichst an bdquoeinem Strang ziehenldquo koumlnnen (vgl
dies S 5-19)
Leitziel ist es fuumlr das bdquolebenslange Lernenldquo mit dem Erwerb von bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo die
bereits erwaumlhnte gemeinsame Grundlage (bdquoBasiskompetenzenldquo 16) der Kinder zu erzeugen (vgl
dies S 41f)
Veranlasst sehen sich die Ministerien zur bdquoneuenldquo konzeptionellen Bildungssteuerung durch den
tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel der sich von der demografischen Entwicklung uumlber viel-
faumlltige kulturelle Kontexte die Wirtschafts- und Arbeitswelt bis hin zu familialen Wandlungsprozes-
sen vollzieht und generell durch Schnelllebigkeit gekennzeichnet ist und von den Menschen ein ho-
hes Maszlig an Flexibilitaumlt und Mobilitaumlt fordert Hierzu werden auch die Ergebnisse der Schuumllerleis-
tungsvergleiche wie PISA TIMSS oder IGLU und denen entsprechende wissenschaftliche For-
schungsbefunde genannt denen der bdquo(neue) Bildungs- und Erziehungsplanldquo Rechnung tragen
moumlchte (vgl dies S 16-19)
Denn die Platzierung bei national und international vergleichbaren Leistungserhebungen ist letztlich
die Bemessungsgrundlage fuumlr bdquoBildungserfolgldquo oder bdquoBildungsversaumlumnisldquo Die attestierte bdquoBil-
dungsqualitaumltldquo ist deshalb von politischem Interesse weil die Politik die durch ihr Bildungssystem
erreichte Platzierung im vorderen Bereich als Standortfaktor fuumlr ihren Wirtschaftsstandort in
Deutschland nutzen moumlchte um vor allem auf dem globalem Markt konkurrenzfaumlhig zu bleiben
Im Folgenden wird zu zeigen sein ob und inwiefern diese Zielsetzungen mit dem dafuumlr entwickel-
ten Bildungskonzept zur angenommenen Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels fuumlhren
16 Im Einzelnen werden folgende Kompetenzen genannt als Basiskompetenzen werden bdquoindividuumsbezogeneKompetenzenldquo bdquoKompetenzen zum Handeln im sozialen Kontextldquo bdquoLernen und lernmethodische Kompetenzldquo undbdquokompetenter Umgang mit Veraumlnderung und Belastung Widerstandsfaumlhigkeit (Resilienz)ldquo genannt (vgl dies S 25-26 und S 41-44) Zum anderen werden darauf aufbauende konkrete Bildungs- und Erziehungsziele genannt (ent-sprechend der geforderten bdquoMetakompetenzenldquo) bdquostarke Kinderldquo bdquokommunikationsfreudige Kinder und medien-kompetente Kinderldquo bdquoKreative fantasievolle und kuumlnstlerische Kinderldquo bdquoLernende forschende und entdeckungs-freudige Kinderldquo und bdquoverantwortungsvoll und werteorientiert handelnde Kinderldquo (vgl dies S 13)
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23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Wie kann das politische Ziel naumlmlich alle Kinder mit den gleichen Grundkompetenzen auszustatten
und deren bdquoErfolgldquo mindestens ab der vierten Klasse an regelmaumlszligigen Leistungserhebungen zu be-
messen durch freies Spiel erreicht werden Die Vermittlung bzw der Erwerb standardisierter Inhal-
te (Wissen Faumlhigkeiten Fertigkeiten Kompetenzen) und die Verfuumlgung daruumlber (Pruumlfungstermin)
steht im Widerspruch zum freien Spiel als offenem Prozess den die Spielenden selbst initiieren und
gestalten und bei dem keine Voraussagen daruumlber getroffen werden koumlnnen wann sich welche
Kenntnisse und Fertigkeiten einstellen
Diese erlangt man einerseits durch die Freiheit als Freiraum zum Spiel die eine gewisse Qualitaumlt an
Sorgefreiheit bedingt Zur Sorgefreiheit zaumlhlt beispielsweise auch das Freisein von Lerndruck der
jedoch unter anderem durch festgelegte Leistungserhebungen und Entwicklungsdokumentationen
bei den Kindern erzeugt wird Und andererseits erwirbt man Kenntnisse und Faumlhigkeiten nur dann
wenn das Spiel frei ist wenn es sich also um seiner selbst Willen ereignet und eben nicht bdquokanali -
siertldquo wird es also keinen aumluszligeren Zielen Zwecken oder Absichten unterliegt wie es jedoch bei
festgelegten bdquoBasiskompetenzenldquo (bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo) eines bdquoBildungsstandardsldquo der Fall
waumlre17 Hinzu kommt der weitere Aspekt von Freiheit im Spiel wonach das Spiel ein selbstgesteuer-
ter Prozess mit offenem bdquoAusgangldquo ist dessen Wirkungen eben nicht planbar oder voraussagbar
also nicht standardisierbar und determinierbar sind Diese Qualitaumlt von Freiheit im Spiel ergibt sich
nun aus den unverfuumlgbaren Momenten des freien Spiels wie dem Augenblick der Instabilitaumlt der
Kreativitaumlt und Phantasie der Spontanitaumlt und Unordnung dem Unsinn und Zufall Diese zugleich
auch wesentlichen Antriebskraumlfte des Spiels koumlnnen sich wie bereits im Kapitel bdquo14 Moment der
Ambivalenzldquo (S 11-13) naumlher beschrieben nur in einem Entwicklungsspielraum mit reichhaltigen
Erfahrungsmoumlglichkeiten und mit dem erlaumluterten Spannungsverhaumlltnis ergeben Sie tragen dann
aber auch die unermesslichen Potentiale fuumlr Emergenz mit dem Prinzip des Lebendigen in sich
woraus sich seine Offenheit fuumlr Neues im Sinne der Weiterentwicklung von Leben ergibt
An dieser Stelle moumlchte ich ergaumlnzend zu meiner eher phaumlnomenologischen Wesensauffassung von
freiem Spiel einige Beispiele skizzieren wie sich die Einuumlbung von Kompetenzen durch freies Spiel
aus psychologischer Sicht vollzieht
Die im Hessischen Bildungsplan intentional geplanten Basiskompetenzen und Lernziele wie bei-
spielsweise Kreativitaumlt Abstraktionsvermoumlgen Empathie oder Flexibilitaumlt in Denk- und Vorstel-
17 Vgl dazu Kapitel bdquo11 Das Moment der Freiheitldquo in dieser Arbeit S 7f
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lungsvermoumlgen ergeben sich im Spiel als bdquoNebeneffektldquo Das Kind vollzieht naumlmlich im Spiel fuumlr
seine Entwicklung entscheidende Bildungsprozesse selbsttaumltig intrinsisch motiviert und in der bdquoDo-
sisldquo die es bedarf Dabei von groszliger Bedeutung ist der vom Kind entwickelte eigene Lernmodus
der sich maszliggeblich an der individuellen Leistungsfaumlhigkeit und den persoumlnlichen Beduumlrfnissen ori-
entiert Hierfuumlr benoumltigt jedes Kind einen eigenen Entwicklungsspielraum
bdquo[Der] sollte Heranwachsenden die vielfaumlltigsten auch selbsttaumltig inszenierten Erfah-rungsraumlume bieten um sich - wie es Johann Heinrich Pestalozzi nannte - an Kopf Herzund Hand bilden zu koumlnnen moumlglichst frei von Furcht und Zwang Sinnesbildung Koumlr-perbildung und geistig-seelische Bildung sollten dabei gleichermaszligen zur Entfaltungkommenldquo (Rittelmeyer 2007 S 7)
So initiieren Kinder beispielsweise in ihren Rollenspielen eigentaumltige Bildungsprozesse indem sie
sich im spontanen Spiel in die Perspektive anderer Menschen versetzen und eigenes Handeln fuumlr
aumlhnliche Lebenssituationen uumlben Oder sie erproben sich im Spiel mit verschiedenen sozialen Rol-
len zB im Rahmen gesellschaftlicher Verhaltensstandards indem ein von Geschichten aufgenom-
menes oder durch elterliche Kommentare an die Kinder herangetragenes Ideal (bdquoTapferkeitldquo bdquoGe-
schwisterliebeldquo bdquoFreundschaftldquo bdquoHilfsbereitschaftldquo etc) mit der persoumlnlichen Wirklichkeit vertraut
gemacht wird Dieses Erproben entspricht zB einer Bewusstseinsbildung im Hinblick auf (solche)
gesellschaftlichen Rollenerwartungen
bdquo[Oder] im Symbolspiel das ein Houmllzchen zur Mutterʻ oder zum Autoʻ werden laumlsstuumlben Kinder die Faumlhigkeit im Hinblick auf gegebene Phaumlnomene verschiedene Per-spektiven entwickeln zu koumlnnen also mit Kreativitaumlt oder Phantasie auf Erscheinungender aumluszligeren Welt zu reagierenldquo (ders S 17)
Es ist schwierig zu sagen welche Kompetenzen genau aus eigentaumltigen Bildungsprozessen im Spiel
entstehen da Resultate aus diesen Erfahrungen wiederum von diversen Faktoren abhaumlngig sind
Maszliggebliche Faktoren sind dabei die uumlberaus verschiedenen biografischen Erfahrungen der Kinder
und dass die letztliche Erfahrungsgewichtung durch ihre Individualitaumlt verschieden zum Tragen
kommt
Da aber jedes Lernen immer individuumsbezogen dh vom Kind abhaumlngig ist hat dieser Umstand
auch fuumlr die geplant-initiierten Lernangebote Geltung sofern derartige von auszligen angestoszligene
Lernangebote uumlberhaupt in den lernenden Kindern auf Resonanz stoszligen
Es duumlrfte kaum anzuzweifeln sein dass wie im Beispiel des spontanen von den Kindern selbst initi-
ierten Rollenspiels Rollenhandeln und soziale Empathie eingeuumlbt und fuumlr eigenes Handeln erprobt
werden Ebenso werden durch Symbol- oder Rollenspiele die Phantasie und Kreativitaumlt vielfaumlltig
angeregt die Beobachtungsgabe und das Vorstellungsvermoumlgen ausgepraumlgt Daraus kann sich wie-
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derum das Abstraktionsvermoumlgen entwickeln und die Kinder bilden mit zunehmenden Perspekti-
venwechseln eigene Vorstellungen und Uumlberzeugungen aus Indem naumlmlich Spielende in ihre selbst
konstruierte bdquoScheinweltldquo gaumlnzlich bdquoeintauchenldquo nehmen sie auf zuvor vielfaumlltig beobachtete und
erlebte Situationen Bezug Erst spielen sie das Erlebte nach und bdquodurchlebenldquo es dabei spielerisch
immer wieder bis sich ein tiefgruumlndiges Verstaumlndnis uumlber die erlebte Situation gebildet hat Allmaumlh-
lich wird dann durch die eigene Ausgestaltung des Rollen- oder Symbolspiels das wahrgenommene
Phaumlnomen zunehmend abstrahiert und Kinder beginnen vielfaumlltige eigene Vorstellungen dazu zu
entwickeln Freies Spiel entspricht also eigentaumltiger Lebenswelterfahrung und -aneignung und ihr
Bildungsgehalt scheint dabei fast unermesslich groszlig zu sein (vgl ders S 7-17 und S 135-137)
Es wuumlrden sich also durch freies Kinderspiel ganz unterschiedliche und auch bdquoneueldquo Kompetenzen
mit ganz individuellen Auspraumlgungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten bilden Diese Aspekte ma-
chen aber eine vergleichende Leistungserhebung quasi unaussagekraumlftig bzw koumlnnten einen deter-
minierten bdquoBildungsstandardldquo insofern bdquogefaumlhrdenldquo als dass das Spiel als kreative geistig-emotio-
nale Weltzuwendung immer einen offenen bdquoAusgangldquo hat dh nicht vorhersagbar ist Das Zulassen
von freiem Spiel steht somit im Interessenskonflikt mit den oben genannten politischen Absichten
weshalb dem freien Spiel ein generelles Misstrauen gegenuumlber gebracht wird Dies fuumlhrt letztlich
konzeptionell dh durch die Einfuumlhrung und Umsetzung von bdquoBildungsstandardsldquo zur zunehmen-
den Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
Inwiefern die angenommene Verdraumlngung von freiem Kinderspiel auch paumldagogisch motiviert sein
kann soll im folgenden Abschnitt untersucht werden
24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Die Autorinnen und Autoren sehen Kinder einerseits als kompetente selbstbestimmt taumltig werdende
Wesen an und deuten die Bildung und das Lernen zwar als soziale Prozesse die sich im Dialog zwi-
schen Kind und Erwachsenem vollziehen koumlnnen Andererseits verweisen sie aber darauf dass die
Qualitaumlt dieser Prozesse wiederum von auszligen dh von einem Erwachsenen gesteuert und mode-
riert werden sollen (vgl Hessisches Sozialministerium Hessisches Kultusministerium 2007 S 20-
21) Die Steuerung der Bildungs- und Lernprozesse wird versucht zu rechtfertigen indem auf aktu-
elle neurowissenschaftliche Befunde verwiesen wird die dem kindlichen Gehirn ein enormes Ent-
wicklungs- und Lernleistungsvermoumlgen zuschreiben welches wenn es nicht genuumltzt wuumlrde einem
bdquoBildungsversaumlumnisldquo gleichkaumlme und nur schwer wieder aufzuholen sei (vgl dies S 20- 24)
bdquoJe reichhaltiger aumluszligere Lernreize sind desto mehr effiziente neuronale Netzwerke
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(Synapsen) bilden sich heraus die fuumlr die Verarbeitungskapazitaumlt des Gehirns und seineLernfaumlhigkeit im spaumlteren Leben bedeutsam sind Im Entwicklungsverlauf eines jedenKindes gibt es optimale Zeitraumlume fuumlr grundlegende Lernschritte (zB ZweitspracheRaumorientierung elementares mathematisches Denken Interesse an Naturwissen-schaften aumlsthetisches Verstaumlndnis Entwicklung der Musikalitaumlt) Solche Zeitfenstergibt es auch noch im Laufe der weiteren Bildungsbiografie Dennoch gilt es diese sen-siblen Phasen bereits durch fruumlhe Bildung offensiv zu nutzen [sic] Je solider und brei-ter die Basis aus jener Zeit desto houmlher ist die Wahrscheinlichkeit dass das Kind danachaktiver und leichter lernt Fruumlhe Bildungsversaumlumnisse sind nur schwer aufholbarldquo(dies S 24)
Die programmatische Paumldagogisierung von Spiel die die bdquoGrenzen zwischen der herkoumlmmlichen
Trennung von Freispielprozessen und geplanten Bildungsprozessen zunehmendldquo (dies S 30) ver-
wischen soll ist vor dem Hintergrund Bildung als Produkt einer offensiven Nutzung der sensiblen
Lernzeitfenster anzusehen (vgl dies S 23-24) und wiederum von seiner politischen Motivation
mit dem Wettlauf um Konkurrenzfaumlhigkeit sowie der Weiterfuumlhrung einer in der Gesellschaft durch-
gesetzten und der Wirtschaft dienlichen Wissenshierarchie in Verbindung zu bringen Folglich fuumlhrt
die im Bildungs- und Erziehungsplan programmatisch angewiesene Funktionalisierung des Spiels
zum bdquospielerischen Lernenldquo letztlich paumldagogisch motiviert zur zunehmenden Verdraumlngung des frei-
en (Kinder)Spiels denn dieses wird als zu zeitintensive Taumltigkeit angesehen Freispiel darf zwar
laut Plan auch enthalten sein es bdquomuss jedoch im angemessenen Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlten ste-
henldquo (dies S 31) weshalb es wegen des bdquoLernfensterdrucksldquo (vgl Dies S 23-24) zum bdquospielen-
den Lernenldquo umfunktionalisiert werden soll (vgl dies S 30-31) um wegen seiner bildenden Po-
tenzen dann als Lernbeschleunigung dem Lernziel (bdquoBildungserfolgldquo) dienbar gemacht zu werden
Das Freispiel soll konzeptionell auf zwei Wegen zu bdquospielendem Lernenldquo qualitativ aufgewertet
werden Zum einen indem aus Spielprozessen Projekte hervor gehen mit der Bedingung dass das
Spielgeschehen zunehmend von der Projekttaumltigkeit durchdrungen wird Und zum anderen koumlnnen
bdquo[]im Rahmen von Projekten [hellip] Freispielphasen enthalten sein in denen sich dieKinder weiterhin mit dem Projektthema allein oder mit anderen auseinandersetzen DieQualitaumlt der Freispielprozesse laumlsst sich durch gezielte Unterstuumltzungsmaszlignahmen erhouml-henldquo (dies S 30 Herv MG)
Wenn also Freispielphasen eingeplant werden dann unter der Bedingung dass im bdquoSpielldquo die Pro-
jektthemen wieder aufgegriffen werden In beiden Varianten wird aber die Qualitaumlt des Spiels zu-
mindest im Bezug auf das Erreichen des Lernzieles angezweifelt weshalb ein gezieltes Einwirken
der Paumldagogen kontinuierlich angedacht ist
bdquoDie Houmlhergewichtung des elementaren Bildungsauftrags hat zur Konsequenz dasssich das beilaumlufige Lernen der Kinder im Spiel zum spielerischen Lernen hin entwickeltDem Spiel wird mehr systematische Begleitung und didaktische Aufbereitung
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zuteilldquo(dies S31 Herv MG)
Das demnach angedachte bdquoFreispielldquo soll folglich auch kein freies natuumlrliches Spielen sein selbst
wenn sich Kinder angetan von den Projektinhalten im freien Spiel beginnen selbsttaumltig im Rah-
men dessen auseinanderzusetzen Solches Geschehen wuumlrde durch paumldagogisches Einwirken auf
das Lernziel hin gelenkte Taumltigkeit werden es soll durch Erwachsene zum bdquospielerischen Lernenldquo
hin entwickelt werden Ebenso kann auch ein anfaumlngliches Spiel nie als solches bestehen bleiben
Die Houmlhergewichtung des institutionellen bdquoBildungsauftragsldquo bewirkt in beiden Faumlllen dass der
scheinbar gewaumlhrte bdquoSpielraumldquo zur zielorientierten Lerntaumltigkeit wird weshalb (freies) Spiel ver-
draumlngt wird und zunehmend in Projekttaumltigkeit muumlndet Erst dann hat Spiel einen qualitativen Nut-
zen im Sinne des Bildungs- und Erziehungsplans Deshalb haben Spielen und Lernen auch nach An-
sicht und Position des Bildungsplanvorhabens in einem besonderen Verhaumlltnis zueinander zu stehen
welches Paumldagogen zu sichern haben
bdquoFreispiel ist wichtig muss jedoch im angemessenem Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlt stehendie die Erwachsenen planen und initiieren[]ldquo (ebd Herv MG)
Denn Lernaktivitaumlt sollte nach Meinung der Autorinnen und Autoren wenn sie vom Kind ausgeht
letztlich durch Erwachsene zielfuumlhrend gelenkt werden
Diese Qualitaumlt steigernden Unterstuumltzungsmaszlignahmen und das angestrebte Verhaumlltnis von Spielen
und Lernen stehen im einzelnen mit den Wesensmomenten des freien Spiels in Widerspruch Im
freien Spiel sind die Spielinhalte die sich spielende Kinder selbst auswaumlhlen vorwiegend alltagsbe-
zogen und als diese individuell meist sehr unterschiedlich Kinder begegnen im Spiel also Themen
die ihr Interesse durch erlebte oder beobachtete Situationen geweckt haben Diese eigens initiierten
Spielideen koumlnnen wie oben skizziert diverse Funktionen (zB bildendes Erproben) als Nebenef-
fekt haben Aber im Sinne des Spiels als bdquofreie Zeitgestaltungldquo draumlngt das Kind eher nach sinnvoll
erfuumllltem Leben durch erstrebtes lustvolles Spielen mit ganzheitlichem Lebensweltbezug als nach
einer von auszligen das Spiel deformierenden oder domestizierenden Systematik und Didaktik Es ist
anzunehmen dass diese fehlende bdquoBe-friedigungldquo des Spielbeduumlrfnisses ihre praumlgenden Anpas-
sungsspuren in den Kindern hinterlaumlsst und sie wahrscheinlich unzufrieden macht Zusaumltzlich duumlrf-
ten diese Umstaumlnde dem Lernen allgemein auch eher abtraumlglich sein
Es besteht also ein ganzheitlicher Bezug zum eigenen Leben wenn durch die Freiheit zum Spiel
ganz individuelle Themen zur Spielidee werden und bdquoihren Laufldquo nehmen Das heiszligt die jeweilige
Initialidee wird im weiteren Spielverlauf staumlndig veraumlndert werden und folgt dabei gerade eben
nicht der bdquoLogikldquo der buumlrgerlichen Erwachsenenwelt Diese bdquoLogikldquo wird aber im Bildungsplan fo-
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kussiert In ihm ist die Annahme enthalten dass Kinder wie Forscher ihre Umwelt erkunden und
nun im Zuge der Aufwertung des Spiels zum bdquospielerischen Lernenldquo durch paumldagogisches Hinwir-
ken sich das bdquospielendeldquo Kind in reflektierender Betrachtungsweise Kausalzusammenhaumlnge und
Gesetzmaumlszligigkeiten des zu untersuchenden bdquoGegenstandesldquo erschlieszligen bzw davon ableiten soll
(vgl dies S 20 27-28 30-31) Spiel ist aber nur dann Spiel wenn es ein eigenes fortwaumlhrendes
kreatives und spontanes Eingehen auf die Anregungen der aumluszligeren Spielszenerie ermoumlglicht (vgl
Kapitel bdquo14 Das Moment der Ambivalenzldquo S 11ff sowie Rittelmeyer 2007 S 136) Innerhalb
dessen orientiert sich die Spiel gestaltende Taumltigkeit des Kindes hauptsaumlchlich an den eigenen Be-
duumlrfnissen und nicht an Vorgaben von auszligen Deswegen kann auch nicht alles Spiel sein das waumlre
Willkuumlr und nicht Geschlossenheit (vgl Kapitel bdquo15 das Moment der inneren Geschlossenheitldquo S
13) Und um seiner inneren Zweckmaumlszligigkeit moumlglichst dienlich zu sein bleibt es auch stets unver-
fuumlgbar Darin gibt es keine absolute Eindeutigkeit (zB ein Lernziel) mit zielgerichtetem Streben
nach zukuumlnftiger Befriedigung Spiel ist jetzt ist gegenwaumlrtig angestrebtes erfuumlllendes Erleben von
frei gestalteter Zeit Nur so koumlnnen sich alle weiteren Wesensmomente und ihre ua auch hoch ef-
fektiv bildenden Potenziale ergeben und individuell entfalten Solches Spiel waumlre aber von Vielfalt
Spontanitaumlt Uumlberfluss Instabilitaumlt Kreativitaumlt oder auch vom ihm eigenen Unsinn gepraumlgt Sicher-
lich erschlieszligen sich dem Kind dabei diverse Kausalzusammenhaumlnge und aus Einzelphaumlnomenen
wird es ableitend Gesetzmaumlszligigkeiten erfahren die sich in diesem informellen Lernprozess dann als
Wissen Kenntnisse Fertigkeiten oder auch Kompetenzen verinnerlichen Aber diese (Neben)Effek-
te wuumlrden nie zielfuumlhrend oder leitend das Spielgeschehen formen bzw antreiben
Dem natuumlrlichen freien Spiel steht das bdquospielerische Lernenldquo auch im Bezug auf die im Spiel er-
schaffene Phantasiewelt (vgl Kapitel bdquo13 Das Moment der Scheinhaftigkeitldquo S 10) entgegen
Denn diese zeichnet sich gerade dadurch aus dass sie sich von den bdquoObjektenldquo der Umwelt loumlst
vom Faktischen enthoben ist und durch Phantasie zu bdquoNeuemldquo zu Symbolischem werden laumlsst Und
somit das symbolische bdquoAls-obldquo Spielgeschehen ermoumlglicht Das Spiel wuumlrde sich also notwendi-
gerweise von der Projekttaumltigkeit oder ihren faktischen Inhalten loumlsen muumlssen um sich in dieser
Phantasiewelt mit seiner Spielhandlung zwischen Zufaumllligem und Notwendigem bewegen zu koumln-
nen Mit der daraus entstehenden Gegenwaumlrtigkeit schloumlssen sich alle weiteren Momente zu ihrer
bdquofunktionalenldquo Kette zusammen Auch der zeitliche Rahmen in dem sich das freie Spiel nun bewe-
gen wuumlrde ist unvorhersehbar Es ist also wahrscheinlich dass das Spielgeschehen uumlber den von
Erziehern eingeplanten bdquoFreispielzeitraumldquo hinweg andauern koumlnnte und deshalb von auszligen durch
die Paumldagogen abgebrochen werden wuumlrde Der bdquoinneren Unendlichkeitldquo des Spiels wuumlrde dies so-
mit ein abruptes Ende bereiten Dem zirkulaumlrem Charakter des Spiels steht noch ein weiterer Aspekt
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entgegen Naumlmlich dass die Wiederholungen der Spielhandlung nicht aus systematischer oder di-
daktischen bdquoAufbereitungldquo erzeugt werden koumlnnen sondern dass sie wie Rolf Oerter in bdquoZur Psy-
chlogie des Spielsldquo beschreibt mit lustvollem Erleben in Verbindung zu bringen sind und demnach
eher dem Lustprinzip folgen als dem rationellem Realitaumltsprinzip (vgl Oerter 2007 S 9 12 14f
18-21)
Einzelne Momente fuumlr bdquospielerisches Lernenldquo zu erzeugen bzw sie diesbezuumlglich abzuwandeln
kann also nicht mehr mit dem natuumlrlichen freiem Spiel in Verbindung gebracht geschweige denn
damit gleichgesetzt werden Das daraus resultierende bdquoSpielenldquo kann demnach auch nicht dem Be-
duumlrfnis oder Drang nach Spiel entsprechen welches Kinder ganz offenkundig haben Das Spiel im
Sinne des Bildungsplanes gleicht in seiner angedachten Form eher bdquodomestiziertenldquo Spiels das in
einzelne Wesensmomente zerrissen ist um als didaktische bdquoListldquo geplant initiiert zu werden Somit
wird durch die verkuumlrzte Auffassung von Spiel als Mittel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo bei
gleichzeitiger Verkuumlrzung echter Spielzeit die zunehmende Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels
im Bildungsplan programmatisch angegangen bzw angeordnet wodurch die dieser Arbeit zugrunde
liegende Annahme bestaumltigt wird
3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
Die Reformpaumldagogik hat zB durch Ellen Key Johann Heinrich Pestalozzi oder Maria Monterssori
Konzepte wie Jena-Plan das der Sudberry Valley School oder der Freien Demokratischen Schulen
inspiriert Innerhalb deren Konzeptionen findet auch die kindliche Lebenswelt ohne sie romantisch
zu verklaumlren ihren anerkennenden Platz und wird als vollwertiger Lebensabschnitt beachtet Ihre
aumlhnlichen Bildungsansaumltze enthalten vielfaumlltigste Anreize und Formen vernuumlnftiger Bildungsideen
mit ganzheitlichem Menschenbild und echtem Lebensweltbezug Das bedeutet auch fuumlr eine Institu-
tion um mit Ellen Key zu sprechen Bildung vom Kind aus zu denken
Exemplarisch moumlchte ich im Folgenden diese Bildungsvorhaben und ihre fuumlr die Kinder bereiteten
Entwicklungsspielraumlume an Hand der Freien Demokratischen Schulen skizzieren Der Ausgangs-
punkt dieser Schulen ist der Kerngedanke dass sich durch Eigeninitiative selbstverantwortete Bil-
dung und freies Spiel nicht abstoszligend gegenuumlber stehen sondern dass beide den Beduumlrfnissen des
Kindes entspringen und das Kind deshalb je nach seiner Beduumlrfnislage seine Aktivitaumlten diesbezuumlg-
lich selbstorganisiert Zwar sind auch Freie Demokratische Schulen als Institution leider kein wirk-
licher bdquoorganischerldquo Teil der Lebenswelt von Kindern sondern immer nur von auszligen angebotene in-
tentionale Konstrukte die aber in diesem Fall den individuellen Entwicklungsspielraum der Kinder
25
versuchen zu schuumltzen bzw bereitzuhalten Somit wird jedem Kind sein eigener Freiraum der ihm
spontanes freies Spiel ermoumlglicht bereitet ohne es in irgendeiner Form zu verzwecken oder zu ka-
nalisieren Einige Konzepte solcher Schulen greifen auch die Kindheit als gesellschaftlichen Status
hervorbringende Begebenheit auf naumlmlich dass durch die alltaumlgliche Erwerbstaumltigkeit der Erwach-
senen die Kindheit entsteht und zwar als davon getrennter Lebensbereich Verschiedene Versuche
zB durch (Land)Schulheime oder selbst initiierten Lernvereinbarungen zielen darauf ab die ge-
trennten Lebensrealitaumlten von Kindern und Erwachsenen wieder mehr zur Uumlberschneidung zu brin-
gen Die daraus entstehenden freiwilligen Erfahrungspartnerschaften werden eigenverantwortlich
von den Beteiligten (Schuumller und Lehrer) nach ihren Beduumlrfnissen Vorstellungen und Wuumlnschen
gemeinsam gestaltet Es kann also keinen einheitlichen Lehrplan geben und es kann auch keinen
bdquoMethodenkofferldquo als Handreichung des Ministeriums geben der Anwendung finden soll Aber
falls es von den Schuumllern gewuumlnscht wird bzw falls es von ihnen als vernuumlnftig fuumlr die Umsetzung
des Vorhabens angesehen wird kann sich der Lehrer sinnvollerweise durch methodische oder di-
daktische bzw besser mathetische Aufbereitung unterstuumltzend einbringen Die Schuumller entwickeln
also selbst wie sie lernen und was sie lernen Dabei treffen sie nicht maszliggeblich ihre Auswahl aus
bereits bestehenden Angeboten sondern sie koumlnnen ihre Beschaumlftigungs- bzw Lerngebiete voumlllig
frei waumlhlen und initiieren Jede Beschaumlftigung wird dabei als wertvoll und lehrreich erachtet sei es
das Lesen das Experimentieren das freie Spielen oder das Teilnehmen an einem Unterrichtskurs
Die Schuumller entscheiden auch wann sie lernen Sie legen damit den gesamten zeitlichen Rahmen
fest innerhalb dessen sie sich mit ihrem eigenem Lerngebiet beschaumlftigen wollen Dies betrifft die
Tageszeit und den Gesamtzeitraum der Taumltigkeit aber vor allem auch das Alter in dem sie sich ent-
schlieszligen sich mit einer Thematik zu befassen So entschlieszligt sich zB ein neunjaumlhriges Kind Lesen
zu lernen wo ein fuumlnfjaumlhriges bereits damit begonnen hat Dabei waumlre es nicht ungewoumlhnlich dass
diese beiden Leseinteressierten sich zusammenschlieszligen und eine Lerngruppe initiieren um sich
gemeinsam dem Lesen lernen zu widmen Auch liegt es in der Verantwortung der Kinder wie inten-
siv sie sich mit dem gewaumlhlten Thema auseinandersetzen wollen Um all dies zu planen und umset-
zen zu koumlnnen sind die Lehrer wie beratende Helfer kontinuierlich fuumlr die Kinder da und die Kin-
der sind sich nie selbst uumlberlassen Somit schafft das Vertrauen der Lehrer in die Schuumller Vertrauens-
wuumlrdigkeit und die Kinder koumlnnen sich sicher und geborgen fuumlhlen um sich moumlglichst ohne Angst
in dieser Freiheit ganz nach ihren Beduumlrfnissen der Welt zuzuwenden Diesen Freiraum zum Entde-
cken und Spielen bezeichnen die Sudberry- bzw die Demokratischen Schulen als Lernfreiheit und
er ist eine der beiden Grundsaumlulen des Bildungskonzepts Die zweite Saumlule ist von organisatorischer
Natur und konstatiert den Lernort als egalitaumlres System in dem Schuumller und Lehrer in verschiede-
nen Gremien Komitees und Aumlmtern gleiche Einflussmoumlglichkeiten Pflichten sowie Rechte besit-
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zen (vgl Schiffner 2007 S 8-15)
Peter Gray emeritierter Professor fuumlr Psychologie des Boston College erklaumlrte in einem Vortrag in
Berlin 3122012 die Grundlagen dieses bdquoErziehungsldquo Ansatzes18 Er nennt ihn Vertrauensvolle Er-
ziehung (Trustful Parenting) bdquoVertrauensvolle Erziehung basiert auf der Annahme dass Kinder von
Natur aus widerstandsfaumlhig kompetent sozial und selbstgesteuert sindldquo (Gray 2012 S 1) Daraus
ergibt sich dass Kinder ihrem Beduumlrfnis nach selbst entscheidend entdecken und spielen Es obliegt
ihrer Entscheidung Risiken einzugehen und dabei auch evtl eigene Fehler zu machen Entwick-
lungsvergleiche (auch keine Lernleistungsvergleiche) liegen dieser Ansicht fern Erziehung versucht
demnach Entwicklung nicht zu lenken sondern zu unterstuumltzen sodass Kinder ihre eigenen Ziele
verwirklichen koumlnnen Sie entwickeln dabei Eigeninitiative und uumlbernehmen Selbstverantwortung
in der Gemeinschaft Die Erwachsenen stellen dazu lediglich den aumluszligeren bdquoRahmenldquo her der fuumlr ein
gesundes Heranwachsen erforderlich ist (vgl Grey 2012 S1 ff) Deshalb ist dieser Ansatz auch
nicht als eine vernachlaumlssigende Haltung zum Kind anzusehen sondern ganz im Gegenteil die
bdquoErziehendenldquo senden den Kindern folgende Botschaft
bdquoDu bist kompetent Du hast Augen und ein Gehirn und du bist in der Lage Dinge her-auszufinden Du kennst deine eigenen Faumlhigkeiten und Grenzen Durch Spielen und Er-forschen wirst du dir aneignen was du wissen musst Deine Beduumlrfnisse werden gewuumlr-digt Deine Meinung zaumlhlt Du bist fuumlr deine Fehler selbst verantwortlich und man kanndarauf vertrauen dass du aus ihnen lernst Das Sozialleben zeichnet sich nicht durchWillenskaumlmpfe aus sondern vielmehr dadurch einander so beizustehen dass alle dasbekommen was sie brauchen und sich am meisten wuumlnschen Wir sind auf deiner Seitenicht gegen dichldquo (ders S1)
Interessant finde ich Peter Grays historischen Bezug den er zur Vertrauensvollen Erziehung her-
stellt Er belegt naumlmlich mit verschiedenen wissenschaftlichen Studien zu Jaumlger- und Sammlerkultu-
ren dass dieser Erziehungsstil bis zum Einsetzen der Landwirtschaft (vor ca 10000 Jahren in Asi-
en) der vorherrschende war und dass die Menschheit zu 99 Prozent ihrer gesamten Geschichte (ca 1
Millionen Jahre) Jaumlger und Sammler waren (vgl ders S 1-3)
4 Zusammenfassende Gedanken
Die anfaumlngliche Spielbegriffseingrenzung im ersten Teil dieser Arbeit verdeutlichte dass das Spiel
nicht nur von elementarer Bedeutung fuumlr ein gesundes Aufwachsen fuumlr Koumlrper und Psyche der Kin-
der ist obwohl das freie (Kinder)Spiel die dafuumlr wohl geeignetste Lebenstaumltigkeit darstellt Dem
18 Vgl Gray Peter (2012) Trustful Parenting May Require an Alternative to Conventional Schooling (Vertrauensvol-le Erziehung macht unter Umstaumlnden eine Alternative zum konventionellen Schulsystem noumltig) httpwwwting-schuledeindex_htm_filesPeter20Gray20_20Trustful20parentingpdf (Zugriff 260315)
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natuumlrlichen (Kinder)Spiel als geistig-kreative Weltzuwendung liegen viel urspruumlnglichere Wurzeln
zu Grunde weshalb sich durch freies Spiel die Sinne der Koumlrper und auch der Geist als bdquoNebenef-
fektldquo beilaumlufig bilden und entwickeln Naumlmlich wie das bdquoMenschsein kein Zweck etwa des Lebens
sondern das Leben selbst istldquo (Kamper 1976 S 141) ist das (Kinder)Spiel auch kein findiger
Zweck des Lebendigen sondern gelebte Lebendigkeit und damit zwecklos (vgl ebd) bdquoDarauf und
nur darauf bezieht sich Schillers Wort dass der Mensch nur spielt wo er in voller Bedeutung des
Wortes Mensch ist und nur da ganz Mensch ist wo er spieltldquo (ebd) Somit stellt das Spiel das Prin-
zip des Lebendigen dar dies herauszuarbeiten und phaumlnomenologisch be-greifbar zu machen war
Ziel des ersten Teils dieser Arbeit Ich beabsichtigte darin ein Verstaumlndnis dafuumlr zu bilden dass das
(Kinder)Spiel als Modus von Freiheit im bdquoSpannungsfeld Lebenldquo die Wesenskraumlfte der Evolution
den Zufall die Spontanitaumlt und die Kreativitaumlt als eigene Triebkraumlfte in sich traumlgt und im freien
selbst initiierten Spielgeschehen zur Entfaltung bringt Als dieses Urprinzip ist das freie natuumlrliche
Spiel dem Menschen - homo ludens - und deshalb auch den Kindern ein Beduumlrfnis Deshalb fuumlhrt
durch Spiel gestaltete Zeit als erstrebte wesensgemaumlszlige Taumltigkeit zu Lebenszufriedenheit Und nur
dann traumlgt es seine Potenziale der Sinnesbildung Koumlrperbildung und geistig-seelischen Bildung so-
wie die Moumlglichkeit unvorhersehbarer Emergenzen in sich Und als solcher freier Ausdruck von Le-
bendigkeit ist deshalb Spiel fuumlr ein Kind innerhalb eines erfuumlllten Daseins grundlegend und zu ach-
ten bzw anzuerkennen
Im zweiten Teil wurde einsteigend die im derzeitigen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
vertretene Auffassung von Spiel erlaumlutert und der Plan wurde auf seine moumlgliche politisch- und paumld-
agogisch motivierte Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel untersucht Es konnte dargelegt werden
dass der Spiel(zeit)raum aufgrund des Interessengegensatzes von Kind und Staat kontinuierlich ein-
gekuumlrzt wird und zur zunehmenden Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel fuumlhrt um die politischen
Programme bdquoVerbesserung der Bildungschancenldquo und bdquoChancengleichheitldquo durchzusetzen Die da-
mit verwirklichten politischen Ziele und die Umsetzung einheitlicher Bildungsstandards haben da-
bei einerseits den Zweck die fuumlr die Wirtschaft dienliche und in der Gesellschaft mit Schule durch-
gesetzte Wissenshierachie fortzufuumlhren Und andererseits sollen diese Jahrgangssortierungen durch
internationale Tests wie PISA uauml als Standortfaktor im Wettkampf um Konkurrenzfaumlhigkeit auf ei-
nem globalisierten Markt Wirtschaftsstandort sichernd eingesetzt werden
Die Annahme dass es durch die Einuumlbung von vermeintlichen also dem Zeitgeist entsprechenden
bdquoGrundkompetenzenldquo bzw bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (als Bildungsstandards) zur zunehmenden
Verdraumlngung von freiem Spiel kommt konnte dadurch bestaumlrkt werden dass auf Grundlage eines
verkuumlrzten Spielbegriffes das freie (Kinder)Spiel durch paumldagogisches Einwirken in bdquospielerisches
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Lernenldquo umfunktionalisiert und dadurch echte Spielzeit zunehmend eingekuumlrzt wird Der Zweck ist
dabei das (Kinder)Spiel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo als bdquoLernmotorldquo der Kinder innerhalb
des bdquoLernfensterdrucksldquo dem Lehrapparat dienstbar zu machen
Im dritten Teil dieser Arbeit wurde anhand der Demokratischen Schulen kurz skizziert wie institu-
tionelle Bildung die freies Spielen wirklich gewaumlhrleistet gelingen kann Leider stehen die Schulen
in freier Traumlgerschaft zu denen die Freien Demokratischen Schulen zaumlhlen in Deutschland vor be-
sonderen behoumlrdlichen Genehmigungsbarrieren und unzureichender oumlffentlicher Finanzierung was
ihre Realisierung maszliggeblich erschwert oder ganz verhindert Auch darin kann eine Verdraumlngung
bzw Verhinderung des freien Spiels gesehen werden
Die Verdraumlngung des freien Kinderspiels ist aus zweierlei Gruumlnden nicht gut zu heiszligen ja sogar ab-
zulehnen ist Erstens ist die im Spiel als Nebenerscheinung enthaltene Einuumlbung von Grund-
kompetenzen von groumlszligter Komplexitaumlt und Vielfalt die selbst neue nicht vorhersagbare Qualitaumlten
hervorbringt die mit den Triebkraumlften der Evolution in Verbindung zu bringen sind (Emergenz)
Deshalb ist es fuumlr einen ganzheitlichen Entwicklungsspielraum der Kinder und im Sinne der Evolu-
tion unvernuumlnftig das Spiel wie im Bildungsplan beschrieben bdquoqualitativ aufzuwertenldquo um ver-
meintliche fuumlr das derzeitige Leben als unverzichtbar angenommene bdquoGrundkompetenzenldquo durch
bdquospielerisches Lernenldquo einzuuumlben Und zweitens ist das Spiel als kreative geistig-emotionale Welt-
zuwendung und damit als wesensgemaumlszlige kreatuumlrliche Taumltigkeit des Menschen den Kindern ein Be-
duumlrfnis und grundlegend fuumlr ihr gesundes Aufwachsen und Lebensgeborgenheit (Lebenszufrieden-
heit) in einem sie wahrhaft erfuumlllenden menschlichen Dasein
Bedenke ich nun die Lebenszeit die auch meine Kinder teilweise schon vor dem ersten Lebensjahr
mit haumlufig acht Stunden taumlglich in Kindertageseinrichtungen (leider nicht in einer Freien Demokra-
tischen Schule mit Primarbereich) verbrachten derzeit verbringen und spaumlter in der Schule bis min-
destens zur Erfuumlllung der Schulpflicht mit etwa 15 Jahren in der Schule verbringen muumlssen bin ich
erschrocken-besorgt und wuumltend wie dem Phaumlnomen des freien natuumlrlichen Kinderspiels und der
Bildung insgesamt im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan begegnet wird Bildung als vorran-
gig politisch-oumlkonomisches Arrangement zu sehen darin das Spiel als List zu benutzen um standar-
disiertes Lernen zu erzielen echte Spielzeit zunehmend zu verkuumlrzen ndash dieses planvolle Vorgehen
der Politik und der beteiligten Paumldagogen stellt eine Missachtung der ihnen anvertrauten Kinder mit
ihren individuellen Wuumlnschen Vorstellungen Beduumlrfnissen und ihrer ganz persoumlnlichen Lebenswelt
dar und ist ein lebensentfremdendes Vorhaben das junge Menschen von einem sie erfuumlllenden gu-
ten Leben trennt
29
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31
Eidesstattliche Erklaumlrung
Ich erklaumlre hiermit an Eides Statt durch eigenhaumlndige Unterschrift dass ich die vorliegende Arbeit
selbstaumlndig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe die aus
fremden Quellen (einschlieszliglich elektronischer Quellen und dem Internet) direkt oder indirekt uumlber-
nommenen Gedanken sind ausnahmslos als solche kenntlich gemacht
Ich weiszlig dass bei Abgabe einer falschen Versicherung die Arbeit als nicht bestanden zu gelten hat
Herold 10042015
32
- Die zunehmende Verdraumlngung des freien Kinderspiels
- im Hessischen Bildungsplan
- Einleitung
- 1 Freies Kinderspiel - Wesensmerkmale
-
- 11 Das Moment der Freiheit
- 12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
- 13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
- 14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
- 15 Das Moment der Geschlossenheit
- 16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
- 17 Zusammenfassung
-
- 2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
-
- 21 Das Spielverstaumlndnis
- 22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
- 23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
- 24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
-
- 3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
- 4 Zusammenfassende Gedanken
- Literaturverzeichnis
- Internetquellen
-
auch von den verschiedenen Wissenschaften wie beispielsweise der Biologie der Physik oder der
Paumldagogik akzeptiert wird2 Aber Spiel ist eben weit mehr als unernstes bzw unproduktives Zeit-
vertreiben junger Menschen bzw Tiere Auch ist es mehr als eine Voruumlbung (Einuumlbung von
Kompetenzen oder Sozialverhalten etc) auf das Leben und es stellt mehr als einen Entlastungspol
fuumlr den Koumlrper bzw das Lebens dar Auch ist es mehr als eine auf Trieben basierenden Befriedi-
gungshandlung und es ist auch mehr als ein Medium zum bdquospielerischen Lernenldquo etc Zwar sollen
diese das Spiel sicherlich betreffenden Begleiterscheinungen nicht negiert werden aber sie bdquospie-
lenldquo innerhalb des im Weiteren noch naumlher zu beschreibenden bdquonatuumlrlichen Spielsldquo eine eher beige-
ordnete Rolle als Nebenerscheinung die im Umfang dieser Arbeit nur am Rande beispielhaft Er-
waumlhnung finden koumlnnen3
Mein Bestimmungsversuch des Begriffes bdquoSpielldquo wird zwar von der Betrachtungsweise des Spiels
als bdquoUrphaumlnomenldquo (Hans Scheuerl) bzw als Prinzip des Lebendigen4 inspiriert sein sich aber im ei-
gentlichen auf den Bereich des Kinderspiels beschraumlnken Diesbezuumlglich soll der von Johan Huizin-
ga in seinem Buch bdquoHomo Ludens Vom Ursprung der Kultur im Spielldquo entwickelte Definitionsvor-
schlag als Ausgangspunkt fuumlr eine Begriffsbestimmung des freien Kinderspiels dienen wenngleich
er wie ein anschlieszligender aktueller Definitionsvorschlag von Ursula Stenger zeigen wird nicht alle
wesentlichen Aspekte des Spiels beinhaltet
bdquoDer Form nach betrachtet kann man das Spiel [hellip] eine freie Handlung nennen dieals nicht so gemeintʻ und auszligerhalb des gewoumlhnlichen Lebens stehend empfunden wirdund trotzdem den Spieler voumlllig in Beschlag nehmen kann an die kein materielles Be-duumlrfnis geknuumlpft ist und mit der kein Nutzen erworben wird die sich innerhalb einer ei-gens bestimmten Zeit und eines eigens bestimmten Raums vollzieht die nach bestimm-ten Regeln ordnungsgemaumlszlig verlaumluft und Gemeinschaftsverbaumlnde ins Leben ruft die ih-rerseits sich gern mit einem Geheimnis umgeben oder durch Verkleidung als anders vonder gewoumlhnlichen Welt abhebenldquo (Huizinga 2004 S 22 Herv i Orig)
bdquoDas Spiel zeichnet sich durch raumlumliche und zeitliche Begrenztheit durch Wiederhol-barkeit und Einmaligkeit aus es durchbricht das normale alltaumlgliche Leben baut sichunverfuumlgbar und ereignishaft auf setzt dabei auch Handlungs- und Denkformen des All-tags auszliger Kraft und entlaumlsst den Spielenden dann wieder in sein gewoumlhnliches Lebenldquo(Stenger 2014 S 267)
In Johan Huizingas Definitionsversuch wird im Vergleich zur zweiten Definition von Ursula Sten-
ger die Frage ob Spiel als bdquofreie Handlungldquo eher als Taumltigkeit oder als Geschehen aufzufassen ist
nicht deutlich Dieser spaumlter im Kapitel bdquo14 Das Moment der Ambivalenzldquo noch detaillierter be-
schriebene Aspekt des Spiels ist gerade fuumlr das freie Spiel von ganz entscheidender Bedeutung
2 Vgl Scheuerl 1988 S 32-52 ebenso Miller-Kipp 2005 S273 277-279 auch Flitner 2002 S 13-253 Vgl Huizinga 2004 S 9-12 ebenso Scheuerl 1990 S 109-111 auch Flitner 2002 S 195-1974 Vgl Miller-Kipp 2005 ebenso Bonet 1993 aumlhnlich auch Huizinga 2004
5
denn die sich aus der naumlheren Analyse ergebenden Voraussetzungen und Grundlagen fuumlr gelingen-
des freies bzw bdquonatuumlrlichesldquo Spiel werden ersichtlich machen aus welchem bdquoStoffldquo die schon an-
genommene Freiheit ist und mit welchem Verlaufsmuster dh mit welcher Strategie sich diese Frei-
heit im Spiel organisiert weshalb letztlich auch zwischen Taumltigkeit und Geschehen zu unterschei-
den ist Dazu wird noch ein weiterer Aspekt dieser bdquofreien Handlungldquo ganz zu Anfang naumlher zu be-
schreiben sein denn es gibt mehrere Ebenen auf denen verschiedene Qualitaumlten von Freiheit beste-
hen naumlmlich die Freiheit von der Lebensfuumlrsorge als bdquoFreiraumldquo zum Spiel und die schon erwaumlhnte
Freiheit als Ambivalenz im Spiel Beide Definitionsversuche sind aber auch insofern nicht bdquoganz-
heitlichldquo umfassend da sie lediglich auf Spiel als Verhalten von Menschen abzielen also anthropo-
zentrisch sind und sich somit nicht auf andere Wissenschaften uumlbertragen lassen Da das Spiel aber
auch von elementarer Bedeutung fuumlr nicht-paumldagogische Wissenschaften ist waumlre eine ganzheitli-
che Definition dienlich um entscheidende Parallelen zwischen den verschiedenen Forschungsgebie-
ten ziehen zu koumlnnen und die im Spiel zweifelsohne enthaltenen Potenziale nicht bdquoaufs Spiel zu set-
zenldquo und letztlich bdquozu verspielenldquo So konnten beispielsweise aktuelle naturwissenschaftliche Er-
kenntnisse zum bdquonatuumlrlichenldquo Spiel besonders uumlber die unverfuumlgbaren eigentuumlmlichen Momente
des Spiels naumlmlich die Kreativitaumlt die Phantasie die Spontanitaumlt die Unordnung den Unsinn den
Zufall und die Freiheit zeigen welch grundlegende Bedeutung ihnen im Spiel zukommen sodass
auch weitreichende Konsequenzen fuumlr die Paumldagogik daraus abgeleitet werden koumlnnen So sollte
beispielsweise auf der Handlungsebene das Geschehen des Spiels vernuumlnftigerweise abgewartet
werden damit etwas zwischen Zufall und Notwendigkeit selbstgesteuert daraus erwachsen kann
Und nicht wie bisher versucht wird das Spiel quasi als bdquoListldquo geplant und kontrollierbar von auszligen
zu erzeugen um daraus zB einzelne Kompetenzen vermeintlich herzustellen die dem aktuellen
Zeitgeist nach als bedeutend angesehen werden (vgl Miller-Kipp 2005 S 273-285) Ich sehe es als
entscheidend an die Verwandtschaft der wesentlichen Momente des Spiels mit dem Evolutionsprin-
zip aufzuzeigen um daraus ableitbare Konsequenzen und Voraussetzungen fuumlr das bdquonatuumlrlicheldquo
Kinderspiel ersichtlich machen zu koumlnnen An gegebener Stelle werde ich diese skizzierten Aspekte
nochmals vertiefend aufgreifen Zunaumlchst jedoch werde ich mich ausgehend von Hans Scheuerls
Standardwerk der Paumldagogik uumlber das Spiel5 mit den von ihm untersuchten Spielphaumlnomenen und
ihrem gemeinsamen Wesenszusammenhang befassen Hierbei ist es mein Anliegen das
(Kinder)Spiel weitestgehend nach seinem Wesen mit seinen grundlegenden Eigenheiten zu be-
schreiben und nicht nach seiner moumlglichen Funktion oder seinem Zweck fuumlr den Menschen zu fra-
gen Mit der Vermeidung eines auf Funktionen und Zwecken orientierten Erklaumlrungsversuch zu der
5 Scheuerl Hans Das Spiel - Untersuchung uumlber sein Wesen seine paumldagogischen Moumlglichkeiten und Grenzen 11Aufl Weinheim und Basel 1990
6
Frage was Spiel ist zielt mein Beschreibungsversuch darauf ab die Ebene der verschiedenen Spiel-
formen mit ihren Nutzen zu verlassen und in uumlbergeordneter Ebene das Spiel allgemeinguumlltiger er-
fassbar zu machen Dadurch sollen die bereits angedeuteten tieferen Zusammenhaumlnge des Spielphauml-
nomens ersichtlich werden woraus sich bdquoneueldquo Relevanzen fuumlr unsere Lebensfuumlhrung ableiten las-
sen Diese grundlegenderen Zusammenhaumlnge und die sich daraus ergebenden Konsequenzen oder
Relevanzen werden auch im Weiteren fuumlr die Argumentationslinie dieser Arbeit leitend sein
Auch Hans Scheuerls Ziel war es zunaumlchst zu einer grundlegenden Wesensbestimmung des Spiels
zu gelangen Dafuumlr unterteilte er das Spielgeschehen in sechs Wesensmomente naumlmlich in
Freiheit innere Unendlichkeit Scheinhaftigkeit Ambivalenz Geschlossenheit und Ge-
genwertigkeit (vgl Scheuerl 1990 S12-16 65-67) Aber auch durch diese Gliederung laumlsst sich
nicht bestimmt klaumlren was Spiel ist (vgl ders S 102) Daruumlber jedoch wie freies Kinderspiel
moumlglich wird gibt sein phaumlnomenologischer Deutungsversuch detailliert Aufschluss Daher wird
dieser im Folgenden kurz vorgestellt
11 Das Moment der Freiheit
Spielen geschieht nach Hans Scheuerl um seiner Selbst Willen bdquoSpiel verfolgt keinen auszligerhalb
seiner selbst liegenden Zweckldquo (Scheuerl 1990 S67)
Spiel ereignet sich somit nicht um etwas zu erschaffen zu erledigen zu verrichten zu erlernen
usw obwohl im Spiel zuhauf geschaffen errichtet gestaltet erledigt erlernt usw wird Ein Kind
das im Spiel bspw Baukloumltze aufeinander stapelt spielt dies nicht damit es einen geschickten Um-
gang damit erlernt sondern weil es Freude am lustbetonten Spielen hat Das Spielgeschehen ereig-
net sich also zweckfrei ist aber kein willkuumlrliches Ereignis oder sinnfreie Betaumltigung sondern es ist
bdquovon innerer Zweckmaumlszligigkeitldquo (ders S69) durchdrungen dh es folgt eigenen Regeln individuel-
len Absprachen Grenzen Zielen lustvollem Erleben usw und sei es beim spielenden Kind beim
Katzenjungen Fuszligballspieler oder Musiker Ihr Spiel wird stets mit Ernst und besonderem Eifer be-
trieben
bdquoSoll sein Spiel gelingen so muszlig er [der Spielende MG] sich ihm widmen koumlnnen alsgaumlbe es nichts auszliger diesem Spiel auf der Welt Eine aumlhnliche selbst- und weltvergesse-ne Hingabe verlangt das Spiel auch schon vom Kindeldquo(ders S67)
Diese voumlllige Hingabe beinhaltet Sorgenfreiheit ohne die das Spielen nicht moumlglich waumlre Die Spie-
lenden muumlssen fuumlr eine gewisse Zeit frei von ihrer unmittelbaren Lebensfuumlrsorge des bdquoDaseins-
kampfesldquo (Scheuerl) sein Dadurch entsteht ein Freiraum in Form von frei verfuumlgbarer Zeit und in
7
diesem bdquoRaumldquo ereignet sich Spiel (vgl ders S 67- 69)
Somit ist es auch kaum verwunderlich dass besonders den Nachkommen einer Art dieser besondere
Freiraum in hohem Maszlige zuteil wird Der Biologe und Anthropologe Adolf Portmann weist dazu in
einem seiner Beitraumlge zum Spiel6 darauf hin dass diese freie Zeit durch Spiel zu sinnvoll erfuumlllen-
der gestalteter Zeit (Vgl Portmann 1976 S60 vgl dazu auch S 68 und 71) wird und somit fuumlr
ein erfuumllltes Leben grundlegend sei Im Gegensatz zu einigen Spieltheorieansaumltzen7 die dem Spiel
ausschlieszliglich Erhaltungswert beimessen dient das Spiel Portmann zufolge mehr als nur dem Er-
haltungswert Aktuelle biologische Forschung hat hierzu offengelegt dass nur bei houmlheren Lebewe-
sen mit Entfaltung der Innerlichkeit im Sinne einer bdquoPsycheldquo aumluszligerlich verborgenes Erleben8 ent-
steht und dass es erst durch dieses Erleben von subjektiver Wirklichkeit (vgl Portmann 1976 S
58-61) zu bdquolustbetontem Verhalten [kommt] das nicht unmittelbar der Lebenserhaltung dient - es
begegnet uns erlebtes erstrebtes Spielenldquo (ders S60) Portmann beschreibt Spiel demnach wie
folgt
bdquoSpiel ist freier Umgang mit der Zeit ist erfuumlllte Zeit es schenkt sinnvolles Erleben jen-seits aller Erhaltungswerte es ist ein Tun mit Spannung und Loumlsung ein Umgang miteinem Partner der mit einem spielt - auch wenn dieser Partner nur der Boden ist oderdie Wand welche dem Spielenden den elastischen Ball zuruumlckwerfen Dieses Spiel setztetwas besonderes voraus einen Zeitraum ohne Sorge []ldquo (ebd)
Adolf Portmanns These dass bei houmlheren Lebewesen sinnvoll erfuumlllende Gestaltung von sorgenfrei-
er Zeit durch Spiel geschieht hat somit allgemeine Bedeutung auch fuumlr unsere eigene Daseinsfuumlh-
rung Denn
bdquo Spielʻ ist die lustvolle von Erhaltungssorge freie also zweckfreie aber sinnerfuumlllteZeitldquo (ders S 68 Herv i Orig)
bdquoVolles Leben ist nicht allein Gestaltung von Stoff von Materie Leben ist Umgang mitZeit ist Gestaltung von Zeit ist Sinngebung fuumlr leere Uhrenzeitldquo(ders S 60)
Portmann hebt das freie Spiel als gestaltete Zeit auf die Ebene der Grundbeduumlrfnisse und macht es
fuumlr ein sinnvoll erfuumllltes wahrhaft gutes Leben zur Bedingung (vgl ders S 66-72)
6 Portmann Adolf Das Spiel als gestaltete Zeit In Der Mensch und das Spiel in der verplanten Welt Hg Bayeri -sche Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1976
7 Kraftuumlberschusstheorie (H Spencer) Erholungstheorie (M Lazarus) Katharsistheorie (K Gross) Entwicklungs-psychologie (J Piaget) (vgl Kluge 1981 S 15 und 31)
8 Gemeint ist dass mit steigender Gestaltungshoumlhe der Lebewesen subjektives Erleben moumlglich ist also dass durchdas Zentralnervensystem und die Sinnesorgane reiche Umweltbeziehungen entstehen Diese Entwicklung hat sichbeim Menschen bis zur geistigen Lebensform gesteigert (vgl Portmann 1976 S 59-61)
8
12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
Kinder zeigen in ihrer Alltaumlglichkeit kontinuierlich einen Drang zum Spielen Ein Kind - und si-
cherlich nicht nur es allein - hat offenbar ein Beduumlrfnis nach freiem Spiel Scheuerl benennt diese
Begebenheit als triebhafte Tendenz zum Spiel (Vgl Scheuerl 1990 S 71) bdquoEs gibt zweifellos
einen Zwang zum Spielldquo (ebd Herv i Orig) Nach ihm muumlssen Kinder wenn sie gesund aufwach-
sen sollen sogar spielen um nicht psychisch und physisch zu erkranken Insofern kann sogar von
einem gewissen bdquoSpieltriebldquo (Vgl ders S 73) als Tendenz zum Spiel gesprochen werden Dieses
Spielbestreben weist aber letztlich ein anderes Wesen als andere menschliche Tendenzen (Triebe)
zur Beduumlrfnisbefriedigung auf und muss davon unterschieden werden Denn die letztlichen Tenden-
zen im Spiel sind keine gewoumlhnlichen Beduumlrfnisbefriedigungen durch Triebverhalten also keine de-
terminierten triebhaften Handlungen die zweck- oder zielorientiert sind Statt dessen sind sie situa-
tiv sowie individuell variabel und vor allem in sich zirkulaumlr Denn die Befreiung von Beduumlrfniss-
pannungen also dem bdquo[s]ich allen Erregungen und Drang-Erlebnissen gegenuumlber den Frieden ge-
benldquo (ders S 70) zielt auf das Ende der Spannung ab die das nicht erfuumlllte Beduumlrfnis triebhaft
ausloumlste So etwa moumlchte man zB bei Hunger oder Durst Saumlttigung bzw Stillung herbei fuumlhren
Alle triebhaften Handlungen zielen demnach tendenziell auf die Befriedigung des sie hervorbrin-
genden Beduumlrfnisses ab und somit auf ihr eigenes Ende In dieser Tendenz die sich auf das Ende
der beduumlrfnisbefriedigenden Handlung hin ausrichtet liegt nun zum Spiel der wesentliche Unter-
schied Der bdquoSpieltriebldquo will keine Befriedigung bdquoer kann nicht gesaumlttigtʻ werdenldquo (ders S 73)
Sein Initialzweck ist vielmehr die Beseitigung aller Spielhindernisse - deshalb auch triebhafte Ten-
denz zum Spiel Aber sobald eine konkrete Spielidee im Kind aufkeimt und es beginnen kann sich
entschieden und mit groumlszligtem Eifer ihr zu widmen um darin voumlllig selbst aufzugehen als ob es nur
dies Eine auf Erden gaumlbe und das Spiel niemals enden duumlrfe wird das Wesensmerkmal der inneren
Unendlichkeit erkenntlich bdquoDa ist nichts was auf ein Ende draumlngt nichts was den Zustand des
Spielens aufheben moumlchteldquo (ders S 71 )
bdquoDas Spiel kann innerhalb seines Freiraums gekennzeichnet werden als Bewegung voninnerer Unendlichkeitʻldquo (ders S74)
Ist ein Spiel erst einmal im Gange will es ewig fortgesetzt werden Es strebt seiner eigenen inneren
Unendlichkeit entgegen einem nicht endenden zirkulaumlren bdquoZustandldquo Und von da an gleicht der
bdquoSpieltriebldquo als Spielerscheinung in seiner Tendenz auch keiner zielorientierten Zweck- oder Be-
duumlrfnishandlung mehr weshalb genau genommen nicht von gewoumlhnlicher Beduumlrfnisbefriedigung
durch Triebverhalten gesprochen werden kann Das Spiel ist also dem Wesen nach eine staumlndige
Spielbewegung (Scheuerl) quasi ein Perpetuum mobile Ein Kind spielt nicht bis es das Spielen
9
satt hat oder vom Spielen uumlbersaumlttigt ist sondern es beendet erst sein Spielen wenn es durch aumluszliger-
liche Faktoren (zB Beduumlrfnisse Noumlte Verpflichtungen jeglicher Art etc) dazu gedraumlngt wird (vgl
ders S 70-77)
13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
Das frei von Zwecken und Triebdruck voumlllig in sich selbst versunkene unendliche Spiel spielende
Kind wird durch die Hingabe an die eigene Phantasie kreativ wird lebendig Die Einbildungskraft
erschafft und gestaltet eine eigene Phantasiewelt in der Form einer bdquoAls-obldquo-Realitaumlt (Scheuerl)
Die durch Spielerphantasie konstruierte bdquoScheinweltldquo (Scheuerl) nimmt dabei die Bedingungen ih-
rer Umwelt wie beispielsweise reale Gegenstaumlnde und Objekte und ihre Materialitaumlt auf und erwei-
tert diese bdquoGegenstaumlndeldquo ggf bis zum imaginaumlren rein symbolischen Spielmittel damit es der
Spielidee und ihrem Fortgang moumlglichst dienlich ist
Die gesamte Phantasiespielwelt wird somit nach eigenen Vorstellungen von nah am objekthaften
(abbildnah) bis fernab der im weitesten Sinne materiellen Realitaumlt (abstrakt) konstruiert und kann
mit eigenen Gesetzmaumlszligigkeiten und Zusammenhaumlngen gestaltet werden Die entstehenden spieleri-
schen Inszenierungen enthalten in ihrer Spielidee auch fortwaumlhrend aktuelles Geschehen und die
Eindruumlcke der Kinder dazu wodurch es auf diesem Weg zur spielerischen Auseinandersetzung da-
mit kommt So kann zB ein vom Kind miterlebtes Hochwasser in der eigenen Region zur aufge-
griffenen Spielidee fuumlhren Ein verwittertes Stuumlck Holz etwa koumlnnte dem spielenden Kind als Sym-
bol des Rettungsbootes dienen das sich mit seinen imaginaumlren Insassen in einer dramatischen Ret-
tungsaktion im Hochwassergebiet befindet In solchen Spielszenen ist haumlufig beobachtbar dass es
beim Spielen nicht um abbildhaftes realitaumltsgetreues Nachspielen des eventuell Erlebten geht Son-
dern vielmehr darum dass sich das spielende Kind aktiv im Spiel zwar mit Erlebtem auseinander-
setzt im Sinne der bdquoScheinhaftigkeitldquo und des Unendlichkeitscharakters des Spiels aber rein aus
Freude am lustbetonten gestalteten Spielen die Spielhandlung ritualhaft wiederholt In diesem Sin-
ne wuumlrden beispielsweise immer wieder Insassen aus dem Boot geschleudert die es dann aufs Neue
zu retten gaumllte wodurch das Spiel zirkulaumlr bestaumlndig zumindest solange fortdauern koumlnnte bis neue
Spielideen oder von auszligen kommende Faktoren es abloumlsen oder beenden Spielern aber auch Zu-
schauern (zB im szenischen Spiel) erscheint diese Phantasiewelt von der materiellen Realitaumlt los-
geloumlst und die uumlber den Dingen schwebende bdquoScheinhaftigkeitldquo des Spiels (Scheuerl) kann Betrach-
ter und Akteure gleichfalls in ihren faszinierenden Bann ziehen sofern ihnen der Zugang zur eige-
nen Phantasie nicht von auszligen bdquoversperrtldquo ist (vgl Scheuerl 1990 S 77- 85)
10
14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
Jeder Spielende versucht sein Spiel bestaumlndig aufrecht zu erhalten9 Dafuumlr baut er im Spiel ein
Spannungsverhaumlltnis also einen inneren bdquoSpielraumldquo als Modus von selbstregulierter Freiheit auf
Die entstehende Autonomie (Freiheit) im Spiel besteht nun in der Ambivalenz zwischen sich zufaumll-
lig ergebendem Neuen Unbekanntem oder neu Gestaltetem (zB neue Passage am Kletterfels oder
die sich staumlndig neu ergebenden Flugbahnen der jonglierten Baumllle etc) und notwendig Festgeleg-
tem Bekanntem oder Begrenzendem (zB Regeln beherrschte Kletterpassage die bestaumlndige Form
und das Gewicht der Jonglierbaumllle die eingeuumlbte Jongliertechnik etc) Der Spielende versucht da-
bei permanent sein Spiel in Balance zwischen diesen beiden bdquoPolenldquo zu halten um es einerseits
stets durch bdquoNeuesldquo interessant zu gestalten und es andererseits durch bdquoBekanntesldquo zu stabilisieren
Die Dominanz einer Seite wuumlrde das Spiel abbrechen also beenden Denn ein zu viel an Neuem
noch zu Entdeckendem wuumlrde dem Spiel ein Uumlbergewicht an Wagnis Raumltselhaftigkeit Moumlglichkei-
ten oder Schwierigkeit verleihen und ein zu viel an bereits Entdecktem Begriffenem oder Begren-
zung wuumlrde das Spiel etwa vorhersehbar und eindeutig machen oder es einengen bdquokanalisierenldquo
(Scheuerl eindimensionale Zweckhandlung) sodass jede von ihm ausgehende Spannung und Spiel-
freude verloren ginge (vgl Scheuerl 1990 S 86-90)
bdquoSo bedarf das Spiel einer maszligvollen Spannung Spannungslosigkeit waumlre der Tod fuumlrdas Spiel Andererseits wuumlrde eine zu hohe Spannung sogleich einen auf Beendigungder Spannung gerichteten Befriedigungswunsch hervorrufen der die Ambivalenz uumlber-waumlltigen muumlszligteldquo (ders S 88 Herv i Orig)
Veranschaulicht darstellen laumlsst sich diese Ambivalenz zwischen Zufall und Notwendigkeit im Spiel
auch am Beispiel des Wuumlrfelns mit einem sechsseitigem Zahlenwuumlrfel Dabei besteht der Zufall in
der Wahrscheinlichkeit mit der eine der sechs Zahlen gewuumlrfelt wird und die Notwendigkeit be-
steht darin dass eine gewuumlrfelte Zahl immer im einschlieszligenden Bereich von eins bis sechs liegen
wird Somit begrenzen die festgelegten sechs Seiten des Wuumlrfels wie eine Regel das zufaumlllige Ein-
zelergebnis und steuern quasi bdquoselbstorganisiertldquo die Konsequenzen des Zufalls wodurch er statis-
tisch moumlglich dh wahrscheinlich wird (vgl Miller-Kipp 2005 S 281-282)
Nach Gisela Miller-Kipp10 ist dieses selbstgesteuerte Spannungsverhaumlltnis von ganz urspruumlnglicher
Relevanz Sie sieht einen Zusammenhang zwischen dem bdquoSpiel der Evolutionldquo dem Modus von
Freiheit zwischen Moumlglichem und Wahrscheinlichem und dem (menschlichen tierischen) Spiel als
9 vgl dazu bdquo12 Moment der inneren Unendlichkeitldquo in dieser Arbeit S 9 f10 Miller-Kipp Gisela Zufall Selbstorganisation und Kreativitaumlt Ein Versuch uumlber die Natur des Spiels wider seine
Paumldagogisierung In Bilstein J Winzen M Wulf C (Hg) Anthropologie und Paumldagogik des Spiels Weinheimund Basel Beltz Verlag 2005 S 273-291
11
einem lebendigen Teil dessen Naturwissenschaftliche Forschungen uumlber die Evolution haben seit
fast einem Jahrhundert die dazu grundlegenden Wesenskraumlfte im Evolutionsprozess definiert Diese
Wesensmerkmale sind Kreativitaumlt und Zufall (vgl dies S 281-285) Elfriede Maria Bonet fuumlhrt in
ihrem Aufsatz zum Spiel bdquoVon Autonomie und Spontanitaumlt Eine Naturgeschichte des Spielsldquo11 aus
dass Selbstorganisation eine relative Unabhaumlngigkeit von aumluszligeren Reizen bewirkt (Autonomie)
weshalb Spontanitaumlt als Strategie zur Selbststeuerung entsteht Diese Entwicklung von Selbstorga-
nisation mit Spontanitaumlt zur Selbststeuerung bildet ihr zufolge das kreative Moment im Evolutions-
prozess welches fuumlr das Auftreten neuer nicht voraussagbarer Qualitaumlten bzw neuer bdquoFormenldquo
oder Variationen aus dem Vorhandenen entstehen laumlsst (Emergenz12) Das daraus entstehende neue
Ganze waumlre bildlich gesprochen demnach mehr als die Summe seiner einzelnen Teile (frei nach Ari-
stoteles) Da es fuumlr menschliches aber auch tierisches Verhalten charakteristisch ist dass aufgrund
von Autonomie Spontanitaumlt entsteht erkennt Bonet darin die systemische Wesensverwandheit von
Spiel und Evolution (vgl Bonet S35ff) Diese Annahme deckt sich insofern auch mit dem Stand-
punkt derzeitiger Evolutionsforschung denn darin bdquowird die Evolution der materiellen und biologi-
schen Welt als einheitlicher Prozess angesehen der nicht determiniert ist und nicht deterministisch
ndash oder im alten Sinne mechanisch ndash ablaumluft Er spieltʻ wie es heiszligt [hellip]ldquo (Miller-Kipp 2005 S
280 Herv i Orig) Daraus folgt dass die bdquonatuumlrliche ndash physikalische und biologische ndash und kultu-
relle Evolution strukturell miteinander gekoppelt [sind] laufen also weder unabhaumlngig voneinander
noch in determinierender Kausalitaumlt zueinander abldquo (ebd Herv i Orig) Das schlieszligt somit das
Spiel des Menschen als bdquoKulturfaktorldquo13 und bdquoUrprinzipldquo (Huizinga) in diesen offenen Prozess ein
denn bdquoes [das Spiel MG] wurzelt in der Natur als der natuumlrlichen (der materiellen und der biologi-
schen) Evolution und traumlgt deren Momente in sich auch im Kulturprozessldquo (Miller-Kipp 2005 S
281) Auf dieser Grundlage wird derzeit die kreative Selbststeuerung auch als ursaumlchlich fuumlr den ge-
waltigen Formen- und Artenreichtum der Natur angesehen (vgl dies S 273-285 vgl dazu auch
Bonet 1993 S 35 ff) Auf das bdquonatuumlrlicheldquo (Kinder)Spiel bezogen bedeutet dies dass auch aus
dem Spiel in seinen Formen und Funktionen heraus Emergenzen entstehen Diese neuen unvorher-
11 Bonet Elfriede Maria Von Autonomie und Spontanitaumlt Eine Naturgeschichte des Spiels In Baatz U Muumlller-Funk W (Hg) Vom Ernst des Spiels uumlber Spiel und Spieltheorie Berlin Dietrich Reimer Verlag 1993 S35- 47
12 bdquoEmergent So bezeichnet man systemische Eigenschaften die nicht aus den Komponenten eines Systems abgelei-tet oder vorhergesagt werden koumlnnen Systeme sind in erster Linie relationale Tatsachen Dinge die auf den Bezie-hungen beruhen welche die Elemente des Systems zueinander einnehmen Als solche besitzen sie Eigenschaftendie gegenuumlber den Eigenschaften ihrer Komponenten oder Elemente emergent sind Nach Luhmann ist das Sozialeeine emergente Eigenschaft und als solches nicht aus den Eigenschaften seiner Elemente der psychischen Systemeableitbar Sozialitaumlt ist eine houmlherstufige Eigenschaft die auf den Beziehungen zwischen Menschen beruht In derBewusstseinsphilosophie behauptet der so genannte Emergentismus die Emergenz von Bewusstsein Hat die Kom-plexitaumlt bestimmter biologischer Systeme einen bestimmten Grad erreicht stehen insbesondere Nervenzellen aufvielfaumlltige Weise miteinander in Beziehung so tritt in der Geschichte der Evolution Bewusstsein als emergente Ei-genschaft dieser biologischen Systeme aufldquo (bdquoemergentldquo In UTB-Online-Woumlrterbuch Philosophie)
13 Huizinga geht davon aus dass Kultur (Sprache Gemeinschaftsleben Brauchtum Essen Sitten Kunst ReligionRechtsleben etc) in Form von Spiel entsteht (vgl Huizinga 2004 S7-13 56-58)
12
sagbaren Erscheinungen (Qualitaumlten) sind so vielfaumlltig dass sie dem von der Natur hervorgebrach-
ten Artenreichtum gleichen und in ihrer Qualitaumlt fuumlr das Individuum die vielfaumlltigsten und komple-
xesten Funktionen und Nutzen bereithalten
Nach meiner Auffassung werden die beschriebenen Wesenszusammenhaumlnge von Spiel und Evoluti-
on besonders in dem Modus von Freiheit als Ambivalenz im Spiel ersichtlich da die grundlegenden
evolutiven Momente naumlmlich Kreativitaumlt Selbstorganisation und Spontanitaumlt auch die wesentlichen
Schaffenskraumlfte menschlichen Handelns und des erlaumluterten Spannungsverhaumlltnisses im Spiel sind
In Anlehnung an Miller-Kippacutes und Bonetacutes Deutungsversuche zum Spiel ist das freie im obigen
Sinne natuumlrliche Kinderspiel als Modus von selbstregulierter Freiheit eine wesensgemaumlszlige kreatuumlrli-
che bdquoTaumltigkeitldquo des Menschen die sich ereignet bzw die geschieht und nicht verrichtet oder erzeugt
werden kann Die diesem bdquoSpielgeschehenldquo (Scheuerl) innewohnenden unverfuumlgbaren wesentli-
chen Momente sind demnach sowohl die Grundbedingung fuumlr das Spiel selbst als auch Vorausset-
zung fuumlr die Vielfaumlltigkeit im Spielprozess Fraglich ist an dieser Stelle ob ein intentional geplantes
Erziehungs- und Bildungsvorhaben diesen Entwicklungsspielraum mit vielfaumlltigsten Erfahrungs-
moumlglichkeiten fuumlr Kinder schuumltzend bereithaumllt Und ob dann das freie natuumlrliche Spiel abgewartet
wird oder ob das (Kinder)Spiel mit funktionalen Absichten durch Paumldagogisierung in das planende
Joch von Erziehungs- und Bildungsbestrebungen eingespannt wird und seine wesentlichen Poten-
ziale damit verspielt werden
15 Das Moment der Geschlossenheit
Die freie Spieltaumltigkeit eines Kindes ist insofern geschlossen als dass die oben genannten Momente
wie einzelne ineinander greifende Glieder eine bdquogeschlossene Ketteldquo bilden muumlssen damit sich
freies bdquonatuumlrlichesldquo Spiel einstellt Die sich daraus bildenden oder aufgenommenen Spiele werden
haumlufig von da an als auftretendes Phaumlnomen augenscheinlich Denn das Spiel beginnt sich als frei
gestaltete Zeit mit seinem entstehenden bdquoKosmosldquo von Regeln Zufaumlllen Absprachen Bedingun-
gen Offenheiten Bestrebungen Kontexten Unverfuumlgbarkeiten Themen etc klar zu definieren und
vom gewoumlhnlichen Leben bdquoabzusetzenldquo Es wird dabei ersichtlich dass freies Spiel seine eigene in-
nere Regelhaftigkeit (im weitesten Sinne) sein bdquoSpielfeldldquo hat und eher als das Gegenteil von Will-
kuumlr oder Anomie anzusehen ist (Vgl Scheuerl 1990 S 91-95)
16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
Das Spiel verfolgt keinen auszligerhalb seiner selbst liegenden Zweck (Zweckfreiheit) und das Spielge-
13
schehen ist eine bdquopendelnde Suchbewegungldquo (Scheuerl Ambivalenz) die bestrebt ist innerhalb ih-
rer konstruierten bdquoScheinweltldquo (Scheuerl Scheinhaftigkeit) endlos in sich selbst zuruumlckzulaufen
um kein Ende zu finden (innere Unendlichkeit) Spielende sind von ihrem lustvollen Erleben im
Spiel voumlllig durchdrungen und gestalten spielend spontan mit groszliger Ernsthaftigkeit und in voumllli-
ger Selbst- und Weltvergessenheit ihr bdquoewigesldquo Spiel Und wie entgegen aller Vergessenheit ist es
dennoch ein Zustand houmlchster Wachheit und Konzentration Spielende sind in jedem gegenwaumlrtigen
Moment voumlllig praumlsent dh im bdquoHier und Jetztldquo aumlhnlich einem meditierenden Menschen Spielende
befinden sich also im Zustand tiefer Kontemplation aber nur im Bezug auf ihr Spiel weshalb sie
auch das eigene Gefuumlhl fuumlr Zeit im Moment des Spielens nicht oder kaum wahrnehmen Spielende
Kinder koumlnnen uumlber Stunden bdquowie gefesseltldquo ihrem Spiel nachgehen ohne dass ihnen die Zeitspan-
ne wirklich bewusst waumlre oder dass es ihnen hinterher moumlglich waumlre den fuumlr das Spiel aufgebrach-
ten Zeitraum zu schaumltzen (Vgl Scheuerl 1990 S 95-96 100-102)
17 Zusammenfassung
Das dieser Arbeit zugrunde liegende Verstaumlndnis des Begriffes bdquofreies Kinderspielldquo kann wie folgt
zusammengefasst werden Freies (Kinder)Spiel wird als ein Geschehen von komplexer geistig-
kreativer Weltzuwendung verstanden das sich innerhalb eines Freiraumes ereignet Einerseits ist
die sich innerhalb dessen ereignende Spieltaumltigkeit frei von Zielen Zwecken oder Nutzen die au-
szligerhalb seiner selbst liegen und andererseits sind die Spielenden innerhalb des Spielzeitraums frei
von ihrer unmittelbaren Lebensfuumlrsorge Als solche freie Zeit gestaltende Taumltigkeit ist das Spielen
fuumlr geistig emotional erlebende Wesen wie den Menschen oder houmlher entwickelte Tiere fuumlr eine
hohe Lebensqualitaumlt innerhalb eines erfuumlllenden Lebens grundlegend Aus diesem Umstand ergibt
sich dass freies natuumlrliches Spiel als grundsaumltzliches Beduumlrfnis angesehen werden kann weshalb
Spielende auch einen Drang (bdquoTriebldquo) zum Spiel aufweisen Doch ist der Charakter dieser
(Spiel)Taumltigkeit an sich von anderer bdquoNaturldquo als gewoumlhnliche Beduumlrfnisse befriedigende
(Trieb)Handlungen Als diese triebhafte Tendenz zum Spiel zielt die Spieltaumltigkeit nicht auf das Be-
duumlrfnis stillende Ende ab sondern auf ihren dauerhaften Fortgang Dieser zirkulaumlre Charakter und
das geistig erfuumlllende Erleben werden dabei durch den Umstand ermoumlglicht dass sich das Spieler-
eignis aufgrund seiner zuvor beschriebenen Autonomie in einem Spannungsverhaumlltnis ereignet Die-
ses ergibt sich zwischen Zufall und Notwendigkeit und wird durch den Spielenden bestaumlndig in
Waage gehalten Dieses selbst initiierte Geschehen reguliert sich somit auf der Handlungsebene
selbst es ist selbstorganisiert Diese Selbststeuerung nutzt Phantasie und Spontanitaumlt als Strategie
weshalb das Spielgeschehen trotz seines zirkulaumlren Charakters als prozessoffen bezeichnet werden
14
kann Besonders das Kinderspiel taucht dazu im gegenwaumlrtigen Spielmoment mit seinen spielenden
Subjekten im besonderen Bewusstsein uumlber seine paradoxe Als-ob-Realitaumlt in ihre eigens gestaltete
geistige Scheinwelt ein Die Spielenden sind waumlhrenddessen voumlllig selbst- und weltvergessen mit
groszliger Ernsthaftigkeit und im groumlszligten Eifer voumlllig in ihr bdquogebanntldquo Fuumlr ein bdquosich Ereignenldquo dieses
beschriebenen spontanen natuumlrlichen Spiels hat es nun als letztes Merkmal noch zur Voraussetzung
dass einzelne Momente nicht fuumlr sich isoliert initiiert oder planmaumlszligig ersetzt weggelassen oauml wer-
den koumlnnen so dass jedes einzelne der sechs Wesensmomente im Spielgeschehen quasi jeweils ein
bdquoGliedldquo in einer ineinander greifenden bdquofunktionalenldquo Kette darstellt ohne dass die Kette nicht
funktionstuumlchtig waumlre und sich freies natuumlrliches Spiel nicht ereignen koumlnnte
Inwiefern sich freies Kinderspiel nach dieser Auffassung im Hessischen Bildungs- und Erziehungs-
plan widerspiegelt soll im folgenden Kapitel untersucht werden
2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
21 Das Spielverstaumlndnis
Im Kapitel bdquoGrundsaumltze und Prinzipienldquo des Hessischen Bildungsplanes kommt dessen bdquoeigenesldquo
Verstaumlndnis zum bdquoKinderspielldquo ebenso zum Ausdruck wie eine Anleitung dazu wie mit dem Spiel-
phaumlnomen planvoll umzugehen ist (vgl Hessisches Sozialministerium Hessisches Kultusministeri-
um (2007) S 30-31) Im Folgenden werden diese Positionen zusammenfassend darstellt und erlaumlu-
tert
Spiel wird darin als Mittel in der ureigenen Ausdrucksform des Kindes angesehen womit es in der
Zeit des Heranwachsens seine Entwicklungsaufgaben und Lebensrealitaumlt bewaumlltigt Nach dieser
Auffassung kennzeichnen das Spiel drei Merkmale Das ist erstens die Zweckfreiheit der Spielhand-
lung die ausschlieszliglich durch das von ihr ausgehende Anregungspotentials ausgefuumlhrt wird Zwei-
tens dass im Spiel eine eigene Realitaumlt konstruiert wird und drittens dass Spielhandlungen wie im
Ritual wiederholt werden Die weitere Betrachtung des Spiels ist dann maszliggeblich auf Zwecke Zie-
le und den Sinn des Spiels im Bezug auf seine Wirkungen beschraumlnkt Somit sollen sich Kinder
zwar bdquoin ihren Spielhandlungen lustvoll versenken und dabei in einen intensiven Austausch mit ih-
rer Umwelt tretenldquo (dies S 30) Dies diene dann aber lediglich der Verarbeitung und Bewaumlltigung
von noch nicht zuordenbaren Erfahrungen (Problemen) Diese vom Kind zu bewaumlltigenden Proble-
me betraumlfen einerseits Entwicklungsthematiken wie bdquodas Ausspielen von Macht und Kontrolle von
Allmachtsphantasien [hellip] oder Herrschaft uumlber Leben und Tod [] sowie der Wunsch nach Heraus-
bildung eines Selbst bzw einer Identitaumltldquo (ebd) und andererseits Beziehungsthematiken zwischen
15
Erwachsenen und Gleichaltrigen
An die Beschreibung der drei Merkmale von Spiel anschlieszligend wird der Lern- und Entwicklungs-
charakter des Spiel dargestellt bdquoFreie Spielprozesse sind immer auch Lernprozesse denn Kinder
lernen zumindest beilaumlufig durch Spielenldquo (ebd)
Weiter heiszligt es im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan dass die Qualitaumlt dieser Lernprozesse
die im freien Kinderspiel stattfinden durch bdquogezielte Unterstuumltzungsmaszlignahmenldquo zu erhoumlhen sei In
dieser Aussage wird deutlich dass das freie Kinderspiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungs-
plan lediglich als Mittel aufgefasst wird welches die Entwicklungs- und Lernprozesse waumlhrend des
Heranwachsens beschleunigend wie ein Motor vorantreiben soll Warum sonst soll die bdquoQualitaumltldquo
des freien Kinderspiels bdquoerhoumlhtldquo werden Kinder sollen in erster Linie nicht spielen um ihrem Be-
duumlrfnis nach Spiel nachzukommen sondern um etwas zu lernen Dies legt den Verdacht nahe dass
das Spielen als solches auch nur aus diesem Grunde naumlmlich weil Kinder im Spiel etwas lernen
dh Kompetenzen erwerben Bestandteil des Bildungsplanes ist
Zusammenfassend kann festgestellt werden dass das Spiel im Hessischen Bildungs- und Erzie-
hungsplan auf eine Art Voruumlbung fuumlr das bdquorichtigeldquo Leben bei gleichzeitiger Lebensbewaumlltigung
verkuumlrzt wird Gleichzeitig findet durch die bdquoAufwertungldquo des freien Spiels zum bdquospielerischen Ler-
nenldquo eine Funktionalisierung und Paumldagogisierung des freien Spiels statt Die dem Spiel von Lern-
und Entwicklungspsychologie attestierten Potenzen (vgl Oerter 2007) sollen fuumlr die Realisierung
der Bildungs- und Erziehungsziele nutzbar gemacht werden dh das Spiel an sich dient vorrangig
dem Erwerb gewisser Kompetenzen und nicht der Erfuumlllung kindlicher Spielbeduumlrfnisse
Im folgenden Abschnitt werden die Hintergruumlnde eines solchen Spielverstaumlndnisses untersucht
Politische Motivationen spielen dabei ebenso eine Rolle wie die sich daraus ergebenden Ziele des
aktuellen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplans
22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
Im Vorwort des Hessischen Bildungs- und Erziehungsplans benennen die ehemaligen Hessischen
Ministerinnen14 fuumlr Kultus Karin Wolf und fuumlr Soziales Silke Lautenschlaumlger das zentrale politi-
sche Ziel naumlmlich die bdquoOptimierung der Bildungschancenldquo und die Entwicklung von bdquoChancen-
gleichheitldquo (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S 18) fuumlr die heranwachsende
Generation Bereits diese Formulierung laumlsst erkennen dass es im Bereich Bildung und Erziehung
politisch gesehen um Effizienz und um einheitliche bdquoQualitaumlts-ldquo und bdquoBildungsstandardsldquo geht die
14 unver uumlbern v aktuellem Kultusminister Herr Lorz von Herr Gruumlttner fuumlr Soziales und Integration
16
auf maximale Leistungen in der nationalen und internationalen Wissenskonkurrenz zielen
Wie ist also bdquoOptimierung der Bildungschancenldquo zu verstehen Konzeptionell ist diese bdquoOptimie-
rung der Bildungschancenldquo darauf angelegt dass bis zum Uumlbergang in die Sekundarstufe die Kin-
dertageseinrichtungen und Grundschulen allen Kindern eines Jahrgangs als Grundlagen die gleichen
bdquoBasiskompetenzenldquo15 vermitteln sollen Das Erreichen dieser bdquoBildungsstandardsldquo bis zur vierten
Klasse sei wiederum die Herstellung von bdquoChancengleichheitldquo so die Schlussfolgerung (vgl dies
S 18)
Dabei besteht die Chance darin dass die Kinder des gesamten Jahrgangs in gleichen Leistungstests
an diesen einheitlichen bdquoBasiskompetenzenldquo in Abhaumlngigkeit gemessen und in Konkurrenz zueinan-
der nach ihren Lernleistungsdifferenzen (Leistungsabstaumlnden) eingeordnet werden koumlnnen (vgl
Nuumlberlin 2002 S 117-127) Die dabei entstehende Jahrgangssortierung dh die Platzierung im
Leistungsvergleich innerhalb eines Jahrganges entscheidet dann daruumlber welche Kinder eine
bdquoChanceldquo auf houmlhere Bildung erhalten und welche nicht welche also das Gymnasium besuchen
duumlrfen und fuumlr welche der Besuch der Realschule vorgesehen ist Somit werden mit dem politischen
Programm bdquoChancengleichheitldquo bzw bdquoOptimierung der Bildungschanceldquo die jungen Generationen
(Kinder und Jugendliche) gemaumlszlig der in der Gesellschaft durchgesetzten Wissenshierarchie bzw Fauml-
higkeitshierarchie kontinuierlich eingeordnet (vgl Nuumlberlin 2002 S 127-129)
Deshalb soll bdquoChancengleichheitldquo auch bdquoBildungschancenldquo eroumlffnen weshalb im Bildungsplan Paumld-
agogen dazu aufgerufen sind die Kinder von fruumlhester Kindheit an individuell zu staumlrken um ihre
unterschiedlichen Voraussetzungen zumindest in gleichen bdquoBasiskompetenzenldquo vermeintlich einan-
der anzugleichen und somit die Vergleichbarkeit in der Notenkonkurrenz chancengleich im Sinne
von voraussetzungsgleich zu gestalten (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S
5-6 und S 17-18) Gerda Nuumlberlin weiszligt darauf hin dass aber diese Voraussetzungsgleichheit die
Institution Schule gerade nicht leistet Und dass Schule statt dessen durch Lernen auf Zeit die Schuuml-
ler innerhalb eines Jahrgangs mit einheitlichen Tests kontinuierlich einem Sortierungsverfahren un-
terzieht das eher gemaumlszlig den Bildungsschichten die Wissensunterschiede der Kinder hervorhebt
und sogar mit produziert statt sie mit dem Ziel der bestmoumlglichen Wissengleichheit zu bdquobeseitigenldquo
(vgl Nuumlberlin 2002 S 104-142)
Die auf gleiche Basiskompetenzen vorbereitenden Lernangebote und Fruumlhfoumlrderungen sollen nach
Aumluszligerung der Ministerinnen im Vorwort intensiver und fruumlher initiiert werden als in den vorange-
gangenen Jahren (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S 5-6) Zur Sicherung
15 bzw auch als bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (vgl dies S 41) bezeichnet daraus resultieren sollen die besonders vonder Wirtschaft geforderten bdquoMetakompetenzenldquo (vgl dies S 17)
17
der bdquoBildungsqualitaumltldquo und Umsetzung einheitlicher Standards soll der Bildungs- und Erziehungs-
plan das institutionenuumlbergreifende Steuerungsinstrument sein (vgl dies S 19) Die Herausgeber
des Bildungsplanes heben in der Einfuumlhrung besonders hervor dass es sich erstmals um einen Bil-
dungs- und Erziehungsplan handelt der durch seine stufenlose Konzeption von 0 bis 10 Jahren ein
kontinuierliches Lernen vorsieht Alle paumldagogisch wirkenden Personen und Institutionen sollen
durch einheitliche Bildungs- und Erziehungsziele moumlglichst an bdquoeinem Strang ziehenldquo koumlnnen (vgl
dies S 5-19)
Leitziel ist es fuumlr das bdquolebenslange Lernenldquo mit dem Erwerb von bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo die
bereits erwaumlhnte gemeinsame Grundlage (bdquoBasiskompetenzenldquo 16) der Kinder zu erzeugen (vgl
dies S 41f)
Veranlasst sehen sich die Ministerien zur bdquoneuenldquo konzeptionellen Bildungssteuerung durch den
tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel der sich von der demografischen Entwicklung uumlber viel-
faumlltige kulturelle Kontexte die Wirtschafts- und Arbeitswelt bis hin zu familialen Wandlungsprozes-
sen vollzieht und generell durch Schnelllebigkeit gekennzeichnet ist und von den Menschen ein ho-
hes Maszlig an Flexibilitaumlt und Mobilitaumlt fordert Hierzu werden auch die Ergebnisse der Schuumllerleis-
tungsvergleiche wie PISA TIMSS oder IGLU und denen entsprechende wissenschaftliche For-
schungsbefunde genannt denen der bdquo(neue) Bildungs- und Erziehungsplanldquo Rechnung tragen
moumlchte (vgl dies S 16-19)
Denn die Platzierung bei national und international vergleichbaren Leistungserhebungen ist letztlich
die Bemessungsgrundlage fuumlr bdquoBildungserfolgldquo oder bdquoBildungsversaumlumnisldquo Die attestierte bdquoBil-
dungsqualitaumltldquo ist deshalb von politischem Interesse weil die Politik die durch ihr Bildungssystem
erreichte Platzierung im vorderen Bereich als Standortfaktor fuumlr ihren Wirtschaftsstandort in
Deutschland nutzen moumlchte um vor allem auf dem globalem Markt konkurrenzfaumlhig zu bleiben
Im Folgenden wird zu zeigen sein ob und inwiefern diese Zielsetzungen mit dem dafuumlr entwickel-
ten Bildungskonzept zur angenommenen Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels fuumlhren
16 Im Einzelnen werden folgende Kompetenzen genannt als Basiskompetenzen werden bdquoindividuumsbezogeneKompetenzenldquo bdquoKompetenzen zum Handeln im sozialen Kontextldquo bdquoLernen und lernmethodische Kompetenzldquo undbdquokompetenter Umgang mit Veraumlnderung und Belastung Widerstandsfaumlhigkeit (Resilienz)ldquo genannt (vgl dies S 25-26 und S 41-44) Zum anderen werden darauf aufbauende konkrete Bildungs- und Erziehungsziele genannt (ent-sprechend der geforderten bdquoMetakompetenzenldquo) bdquostarke Kinderldquo bdquokommunikationsfreudige Kinder und medien-kompetente Kinderldquo bdquoKreative fantasievolle und kuumlnstlerische Kinderldquo bdquoLernende forschende und entdeckungs-freudige Kinderldquo und bdquoverantwortungsvoll und werteorientiert handelnde Kinderldquo (vgl dies S 13)
18
23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Wie kann das politische Ziel naumlmlich alle Kinder mit den gleichen Grundkompetenzen auszustatten
und deren bdquoErfolgldquo mindestens ab der vierten Klasse an regelmaumlszligigen Leistungserhebungen zu be-
messen durch freies Spiel erreicht werden Die Vermittlung bzw der Erwerb standardisierter Inhal-
te (Wissen Faumlhigkeiten Fertigkeiten Kompetenzen) und die Verfuumlgung daruumlber (Pruumlfungstermin)
steht im Widerspruch zum freien Spiel als offenem Prozess den die Spielenden selbst initiieren und
gestalten und bei dem keine Voraussagen daruumlber getroffen werden koumlnnen wann sich welche
Kenntnisse und Fertigkeiten einstellen
Diese erlangt man einerseits durch die Freiheit als Freiraum zum Spiel die eine gewisse Qualitaumlt an
Sorgefreiheit bedingt Zur Sorgefreiheit zaumlhlt beispielsweise auch das Freisein von Lerndruck der
jedoch unter anderem durch festgelegte Leistungserhebungen und Entwicklungsdokumentationen
bei den Kindern erzeugt wird Und andererseits erwirbt man Kenntnisse und Faumlhigkeiten nur dann
wenn das Spiel frei ist wenn es sich also um seiner selbst Willen ereignet und eben nicht bdquokanali -
siertldquo wird es also keinen aumluszligeren Zielen Zwecken oder Absichten unterliegt wie es jedoch bei
festgelegten bdquoBasiskompetenzenldquo (bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo) eines bdquoBildungsstandardsldquo der Fall
waumlre17 Hinzu kommt der weitere Aspekt von Freiheit im Spiel wonach das Spiel ein selbstgesteuer-
ter Prozess mit offenem bdquoAusgangldquo ist dessen Wirkungen eben nicht planbar oder voraussagbar
also nicht standardisierbar und determinierbar sind Diese Qualitaumlt von Freiheit im Spiel ergibt sich
nun aus den unverfuumlgbaren Momenten des freien Spiels wie dem Augenblick der Instabilitaumlt der
Kreativitaumlt und Phantasie der Spontanitaumlt und Unordnung dem Unsinn und Zufall Diese zugleich
auch wesentlichen Antriebskraumlfte des Spiels koumlnnen sich wie bereits im Kapitel bdquo14 Moment der
Ambivalenzldquo (S 11-13) naumlher beschrieben nur in einem Entwicklungsspielraum mit reichhaltigen
Erfahrungsmoumlglichkeiten und mit dem erlaumluterten Spannungsverhaumlltnis ergeben Sie tragen dann
aber auch die unermesslichen Potentiale fuumlr Emergenz mit dem Prinzip des Lebendigen in sich
woraus sich seine Offenheit fuumlr Neues im Sinne der Weiterentwicklung von Leben ergibt
An dieser Stelle moumlchte ich ergaumlnzend zu meiner eher phaumlnomenologischen Wesensauffassung von
freiem Spiel einige Beispiele skizzieren wie sich die Einuumlbung von Kompetenzen durch freies Spiel
aus psychologischer Sicht vollzieht
Die im Hessischen Bildungsplan intentional geplanten Basiskompetenzen und Lernziele wie bei-
spielsweise Kreativitaumlt Abstraktionsvermoumlgen Empathie oder Flexibilitaumlt in Denk- und Vorstel-
17 Vgl dazu Kapitel bdquo11 Das Moment der Freiheitldquo in dieser Arbeit S 7f
19
lungsvermoumlgen ergeben sich im Spiel als bdquoNebeneffektldquo Das Kind vollzieht naumlmlich im Spiel fuumlr
seine Entwicklung entscheidende Bildungsprozesse selbsttaumltig intrinsisch motiviert und in der bdquoDo-
sisldquo die es bedarf Dabei von groszliger Bedeutung ist der vom Kind entwickelte eigene Lernmodus
der sich maszliggeblich an der individuellen Leistungsfaumlhigkeit und den persoumlnlichen Beduumlrfnissen ori-
entiert Hierfuumlr benoumltigt jedes Kind einen eigenen Entwicklungsspielraum
bdquo[Der] sollte Heranwachsenden die vielfaumlltigsten auch selbsttaumltig inszenierten Erfah-rungsraumlume bieten um sich - wie es Johann Heinrich Pestalozzi nannte - an Kopf Herzund Hand bilden zu koumlnnen moumlglichst frei von Furcht und Zwang Sinnesbildung Koumlr-perbildung und geistig-seelische Bildung sollten dabei gleichermaszligen zur Entfaltungkommenldquo (Rittelmeyer 2007 S 7)
So initiieren Kinder beispielsweise in ihren Rollenspielen eigentaumltige Bildungsprozesse indem sie
sich im spontanen Spiel in die Perspektive anderer Menschen versetzen und eigenes Handeln fuumlr
aumlhnliche Lebenssituationen uumlben Oder sie erproben sich im Spiel mit verschiedenen sozialen Rol-
len zB im Rahmen gesellschaftlicher Verhaltensstandards indem ein von Geschichten aufgenom-
menes oder durch elterliche Kommentare an die Kinder herangetragenes Ideal (bdquoTapferkeitldquo bdquoGe-
schwisterliebeldquo bdquoFreundschaftldquo bdquoHilfsbereitschaftldquo etc) mit der persoumlnlichen Wirklichkeit vertraut
gemacht wird Dieses Erproben entspricht zB einer Bewusstseinsbildung im Hinblick auf (solche)
gesellschaftlichen Rollenerwartungen
bdquo[Oder] im Symbolspiel das ein Houmllzchen zur Mutterʻ oder zum Autoʻ werden laumlsstuumlben Kinder die Faumlhigkeit im Hinblick auf gegebene Phaumlnomene verschiedene Per-spektiven entwickeln zu koumlnnen also mit Kreativitaumlt oder Phantasie auf Erscheinungender aumluszligeren Welt zu reagierenldquo (ders S 17)
Es ist schwierig zu sagen welche Kompetenzen genau aus eigentaumltigen Bildungsprozessen im Spiel
entstehen da Resultate aus diesen Erfahrungen wiederum von diversen Faktoren abhaumlngig sind
Maszliggebliche Faktoren sind dabei die uumlberaus verschiedenen biografischen Erfahrungen der Kinder
und dass die letztliche Erfahrungsgewichtung durch ihre Individualitaumlt verschieden zum Tragen
kommt
Da aber jedes Lernen immer individuumsbezogen dh vom Kind abhaumlngig ist hat dieser Umstand
auch fuumlr die geplant-initiierten Lernangebote Geltung sofern derartige von auszligen angestoszligene
Lernangebote uumlberhaupt in den lernenden Kindern auf Resonanz stoszligen
Es duumlrfte kaum anzuzweifeln sein dass wie im Beispiel des spontanen von den Kindern selbst initi-
ierten Rollenspiels Rollenhandeln und soziale Empathie eingeuumlbt und fuumlr eigenes Handeln erprobt
werden Ebenso werden durch Symbol- oder Rollenspiele die Phantasie und Kreativitaumlt vielfaumlltig
angeregt die Beobachtungsgabe und das Vorstellungsvermoumlgen ausgepraumlgt Daraus kann sich wie-
20
derum das Abstraktionsvermoumlgen entwickeln und die Kinder bilden mit zunehmenden Perspekti-
venwechseln eigene Vorstellungen und Uumlberzeugungen aus Indem naumlmlich Spielende in ihre selbst
konstruierte bdquoScheinweltldquo gaumlnzlich bdquoeintauchenldquo nehmen sie auf zuvor vielfaumlltig beobachtete und
erlebte Situationen Bezug Erst spielen sie das Erlebte nach und bdquodurchlebenldquo es dabei spielerisch
immer wieder bis sich ein tiefgruumlndiges Verstaumlndnis uumlber die erlebte Situation gebildet hat Allmaumlh-
lich wird dann durch die eigene Ausgestaltung des Rollen- oder Symbolspiels das wahrgenommene
Phaumlnomen zunehmend abstrahiert und Kinder beginnen vielfaumlltige eigene Vorstellungen dazu zu
entwickeln Freies Spiel entspricht also eigentaumltiger Lebenswelterfahrung und -aneignung und ihr
Bildungsgehalt scheint dabei fast unermesslich groszlig zu sein (vgl ders S 7-17 und S 135-137)
Es wuumlrden sich also durch freies Kinderspiel ganz unterschiedliche und auch bdquoneueldquo Kompetenzen
mit ganz individuellen Auspraumlgungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten bilden Diese Aspekte ma-
chen aber eine vergleichende Leistungserhebung quasi unaussagekraumlftig bzw koumlnnten einen deter-
minierten bdquoBildungsstandardldquo insofern bdquogefaumlhrdenldquo als dass das Spiel als kreative geistig-emotio-
nale Weltzuwendung immer einen offenen bdquoAusgangldquo hat dh nicht vorhersagbar ist Das Zulassen
von freiem Spiel steht somit im Interessenskonflikt mit den oben genannten politischen Absichten
weshalb dem freien Spiel ein generelles Misstrauen gegenuumlber gebracht wird Dies fuumlhrt letztlich
konzeptionell dh durch die Einfuumlhrung und Umsetzung von bdquoBildungsstandardsldquo zur zunehmen-
den Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
Inwiefern die angenommene Verdraumlngung von freiem Kinderspiel auch paumldagogisch motiviert sein
kann soll im folgenden Abschnitt untersucht werden
24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Die Autorinnen und Autoren sehen Kinder einerseits als kompetente selbstbestimmt taumltig werdende
Wesen an und deuten die Bildung und das Lernen zwar als soziale Prozesse die sich im Dialog zwi-
schen Kind und Erwachsenem vollziehen koumlnnen Andererseits verweisen sie aber darauf dass die
Qualitaumlt dieser Prozesse wiederum von auszligen dh von einem Erwachsenen gesteuert und mode-
riert werden sollen (vgl Hessisches Sozialministerium Hessisches Kultusministerium 2007 S 20-
21) Die Steuerung der Bildungs- und Lernprozesse wird versucht zu rechtfertigen indem auf aktu-
elle neurowissenschaftliche Befunde verwiesen wird die dem kindlichen Gehirn ein enormes Ent-
wicklungs- und Lernleistungsvermoumlgen zuschreiben welches wenn es nicht genuumltzt wuumlrde einem
bdquoBildungsversaumlumnisldquo gleichkaumlme und nur schwer wieder aufzuholen sei (vgl dies S 20- 24)
bdquoJe reichhaltiger aumluszligere Lernreize sind desto mehr effiziente neuronale Netzwerke
21
(Synapsen) bilden sich heraus die fuumlr die Verarbeitungskapazitaumlt des Gehirns und seineLernfaumlhigkeit im spaumlteren Leben bedeutsam sind Im Entwicklungsverlauf eines jedenKindes gibt es optimale Zeitraumlume fuumlr grundlegende Lernschritte (zB ZweitspracheRaumorientierung elementares mathematisches Denken Interesse an Naturwissen-schaften aumlsthetisches Verstaumlndnis Entwicklung der Musikalitaumlt) Solche Zeitfenstergibt es auch noch im Laufe der weiteren Bildungsbiografie Dennoch gilt es diese sen-siblen Phasen bereits durch fruumlhe Bildung offensiv zu nutzen [sic] Je solider und brei-ter die Basis aus jener Zeit desto houmlher ist die Wahrscheinlichkeit dass das Kind danachaktiver und leichter lernt Fruumlhe Bildungsversaumlumnisse sind nur schwer aufholbarldquo(dies S 24)
Die programmatische Paumldagogisierung von Spiel die die bdquoGrenzen zwischen der herkoumlmmlichen
Trennung von Freispielprozessen und geplanten Bildungsprozessen zunehmendldquo (dies S 30) ver-
wischen soll ist vor dem Hintergrund Bildung als Produkt einer offensiven Nutzung der sensiblen
Lernzeitfenster anzusehen (vgl dies S 23-24) und wiederum von seiner politischen Motivation
mit dem Wettlauf um Konkurrenzfaumlhigkeit sowie der Weiterfuumlhrung einer in der Gesellschaft durch-
gesetzten und der Wirtschaft dienlichen Wissenshierarchie in Verbindung zu bringen Folglich fuumlhrt
die im Bildungs- und Erziehungsplan programmatisch angewiesene Funktionalisierung des Spiels
zum bdquospielerischen Lernenldquo letztlich paumldagogisch motiviert zur zunehmenden Verdraumlngung des frei-
en (Kinder)Spiels denn dieses wird als zu zeitintensive Taumltigkeit angesehen Freispiel darf zwar
laut Plan auch enthalten sein es bdquomuss jedoch im angemessenen Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlten ste-
henldquo (dies S 31) weshalb es wegen des bdquoLernfensterdrucksldquo (vgl Dies S 23-24) zum bdquospielen-
den Lernenldquo umfunktionalisiert werden soll (vgl dies S 30-31) um wegen seiner bildenden Po-
tenzen dann als Lernbeschleunigung dem Lernziel (bdquoBildungserfolgldquo) dienbar gemacht zu werden
Das Freispiel soll konzeptionell auf zwei Wegen zu bdquospielendem Lernenldquo qualitativ aufgewertet
werden Zum einen indem aus Spielprozessen Projekte hervor gehen mit der Bedingung dass das
Spielgeschehen zunehmend von der Projekttaumltigkeit durchdrungen wird Und zum anderen koumlnnen
bdquo[]im Rahmen von Projekten [hellip] Freispielphasen enthalten sein in denen sich dieKinder weiterhin mit dem Projektthema allein oder mit anderen auseinandersetzen DieQualitaumlt der Freispielprozesse laumlsst sich durch gezielte Unterstuumltzungsmaszlignahmen erhouml-henldquo (dies S 30 Herv MG)
Wenn also Freispielphasen eingeplant werden dann unter der Bedingung dass im bdquoSpielldquo die Pro-
jektthemen wieder aufgegriffen werden In beiden Varianten wird aber die Qualitaumlt des Spiels zu-
mindest im Bezug auf das Erreichen des Lernzieles angezweifelt weshalb ein gezieltes Einwirken
der Paumldagogen kontinuierlich angedacht ist
bdquoDie Houmlhergewichtung des elementaren Bildungsauftrags hat zur Konsequenz dasssich das beilaumlufige Lernen der Kinder im Spiel zum spielerischen Lernen hin entwickeltDem Spiel wird mehr systematische Begleitung und didaktische Aufbereitung
22
zuteilldquo(dies S31 Herv MG)
Das demnach angedachte bdquoFreispielldquo soll folglich auch kein freies natuumlrliches Spielen sein selbst
wenn sich Kinder angetan von den Projektinhalten im freien Spiel beginnen selbsttaumltig im Rah-
men dessen auseinanderzusetzen Solches Geschehen wuumlrde durch paumldagogisches Einwirken auf
das Lernziel hin gelenkte Taumltigkeit werden es soll durch Erwachsene zum bdquospielerischen Lernenldquo
hin entwickelt werden Ebenso kann auch ein anfaumlngliches Spiel nie als solches bestehen bleiben
Die Houmlhergewichtung des institutionellen bdquoBildungsauftragsldquo bewirkt in beiden Faumlllen dass der
scheinbar gewaumlhrte bdquoSpielraumldquo zur zielorientierten Lerntaumltigkeit wird weshalb (freies) Spiel ver-
draumlngt wird und zunehmend in Projekttaumltigkeit muumlndet Erst dann hat Spiel einen qualitativen Nut-
zen im Sinne des Bildungs- und Erziehungsplans Deshalb haben Spielen und Lernen auch nach An-
sicht und Position des Bildungsplanvorhabens in einem besonderen Verhaumlltnis zueinander zu stehen
welches Paumldagogen zu sichern haben
bdquoFreispiel ist wichtig muss jedoch im angemessenem Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlt stehendie die Erwachsenen planen und initiieren[]ldquo (ebd Herv MG)
Denn Lernaktivitaumlt sollte nach Meinung der Autorinnen und Autoren wenn sie vom Kind ausgeht
letztlich durch Erwachsene zielfuumlhrend gelenkt werden
Diese Qualitaumlt steigernden Unterstuumltzungsmaszlignahmen und das angestrebte Verhaumlltnis von Spielen
und Lernen stehen im einzelnen mit den Wesensmomenten des freien Spiels in Widerspruch Im
freien Spiel sind die Spielinhalte die sich spielende Kinder selbst auswaumlhlen vorwiegend alltagsbe-
zogen und als diese individuell meist sehr unterschiedlich Kinder begegnen im Spiel also Themen
die ihr Interesse durch erlebte oder beobachtete Situationen geweckt haben Diese eigens initiierten
Spielideen koumlnnen wie oben skizziert diverse Funktionen (zB bildendes Erproben) als Nebenef-
fekt haben Aber im Sinne des Spiels als bdquofreie Zeitgestaltungldquo draumlngt das Kind eher nach sinnvoll
erfuumllltem Leben durch erstrebtes lustvolles Spielen mit ganzheitlichem Lebensweltbezug als nach
einer von auszligen das Spiel deformierenden oder domestizierenden Systematik und Didaktik Es ist
anzunehmen dass diese fehlende bdquoBe-friedigungldquo des Spielbeduumlrfnisses ihre praumlgenden Anpas-
sungsspuren in den Kindern hinterlaumlsst und sie wahrscheinlich unzufrieden macht Zusaumltzlich duumlrf-
ten diese Umstaumlnde dem Lernen allgemein auch eher abtraumlglich sein
Es besteht also ein ganzheitlicher Bezug zum eigenen Leben wenn durch die Freiheit zum Spiel
ganz individuelle Themen zur Spielidee werden und bdquoihren Laufldquo nehmen Das heiszligt die jeweilige
Initialidee wird im weiteren Spielverlauf staumlndig veraumlndert werden und folgt dabei gerade eben
nicht der bdquoLogikldquo der buumlrgerlichen Erwachsenenwelt Diese bdquoLogikldquo wird aber im Bildungsplan fo-
23
kussiert In ihm ist die Annahme enthalten dass Kinder wie Forscher ihre Umwelt erkunden und
nun im Zuge der Aufwertung des Spiels zum bdquospielerischen Lernenldquo durch paumldagogisches Hinwir-
ken sich das bdquospielendeldquo Kind in reflektierender Betrachtungsweise Kausalzusammenhaumlnge und
Gesetzmaumlszligigkeiten des zu untersuchenden bdquoGegenstandesldquo erschlieszligen bzw davon ableiten soll
(vgl dies S 20 27-28 30-31) Spiel ist aber nur dann Spiel wenn es ein eigenes fortwaumlhrendes
kreatives und spontanes Eingehen auf die Anregungen der aumluszligeren Spielszenerie ermoumlglicht (vgl
Kapitel bdquo14 Das Moment der Ambivalenzldquo S 11ff sowie Rittelmeyer 2007 S 136) Innerhalb
dessen orientiert sich die Spiel gestaltende Taumltigkeit des Kindes hauptsaumlchlich an den eigenen Be-
duumlrfnissen und nicht an Vorgaben von auszligen Deswegen kann auch nicht alles Spiel sein das waumlre
Willkuumlr und nicht Geschlossenheit (vgl Kapitel bdquo15 das Moment der inneren Geschlossenheitldquo S
13) Und um seiner inneren Zweckmaumlszligigkeit moumlglichst dienlich zu sein bleibt es auch stets unver-
fuumlgbar Darin gibt es keine absolute Eindeutigkeit (zB ein Lernziel) mit zielgerichtetem Streben
nach zukuumlnftiger Befriedigung Spiel ist jetzt ist gegenwaumlrtig angestrebtes erfuumlllendes Erleben von
frei gestalteter Zeit Nur so koumlnnen sich alle weiteren Wesensmomente und ihre ua auch hoch ef-
fektiv bildenden Potenziale ergeben und individuell entfalten Solches Spiel waumlre aber von Vielfalt
Spontanitaumlt Uumlberfluss Instabilitaumlt Kreativitaumlt oder auch vom ihm eigenen Unsinn gepraumlgt Sicher-
lich erschlieszligen sich dem Kind dabei diverse Kausalzusammenhaumlnge und aus Einzelphaumlnomenen
wird es ableitend Gesetzmaumlszligigkeiten erfahren die sich in diesem informellen Lernprozess dann als
Wissen Kenntnisse Fertigkeiten oder auch Kompetenzen verinnerlichen Aber diese (Neben)Effek-
te wuumlrden nie zielfuumlhrend oder leitend das Spielgeschehen formen bzw antreiben
Dem natuumlrlichen freien Spiel steht das bdquospielerische Lernenldquo auch im Bezug auf die im Spiel er-
schaffene Phantasiewelt (vgl Kapitel bdquo13 Das Moment der Scheinhaftigkeitldquo S 10) entgegen
Denn diese zeichnet sich gerade dadurch aus dass sie sich von den bdquoObjektenldquo der Umwelt loumlst
vom Faktischen enthoben ist und durch Phantasie zu bdquoNeuemldquo zu Symbolischem werden laumlsst Und
somit das symbolische bdquoAls-obldquo Spielgeschehen ermoumlglicht Das Spiel wuumlrde sich also notwendi-
gerweise von der Projekttaumltigkeit oder ihren faktischen Inhalten loumlsen muumlssen um sich in dieser
Phantasiewelt mit seiner Spielhandlung zwischen Zufaumllligem und Notwendigem bewegen zu koumln-
nen Mit der daraus entstehenden Gegenwaumlrtigkeit schloumlssen sich alle weiteren Momente zu ihrer
bdquofunktionalenldquo Kette zusammen Auch der zeitliche Rahmen in dem sich das freie Spiel nun bewe-
gen wuumlrde ist unvorhersehbar Es ist also wahrscheinlich dass das Spielgeschehen uumlber den von
Erziehern eingeplanten bdquoFreispielzeitraumldquo hinweg andauern koumlnnte und deshalb von auszligen durch
die Paumldagogen abgebrochen werden wuumlrde Der bdquoinneren Unendlichkeitldquo des Spiels wuumlrde dies so-
mit ein abruptes Ende bereiten Dem zirkulaumlrem Charakter des Spiels steht noch ein weiterer Aspekt
24
entgegen Naumlmlich dass die Wiederholungen der Spielhandlung nicht aus systematischer oder di-
daktischen bdquoAufbereitungldquo erzeugt werden koumlnnen sondern dass sie wie Rolf Oerter in bdquoZur Psy-
chlogie des Spielsldquo beschreibt mit lustvollem Erleben in Verbindung zu bringen sind und demnach
eher dem Lustprinzip folgen als dem rationellem Realitaumltsprinzip (vgl Oerter 2007 S 9 12 14f
18-21)
Einzelne Momente fuumlr bdquospielerisches Lernenldquo zu erzeugen bzw sie diesbezuumlglich abzuwandeln
kann also nicht mehr mit dem natuumlrlichen freiem Spiel in Verbindung gebracht geschweige denn
damit gleichgesetzt werden Das daraus resultierende bdquoSpielenldquo kann demnach auch nicht dem Be-
duumlrfnis oder Drang nach Spiel entsprechen welches Kinder ganz offenkundig haben Das Spiel im
Sinne des Bildungsplanes gleicht in seiner angedachten Form eher bdquodomestiziertenldquo Spiels das in
einzelne Wesensmomente zerrissen ist um als didaktische bdquoListldquo geplant initiiert zu werden Somit
wird durch die verkuumlrzte Auffassung von Spiel als Mittel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo bei
gleichzeitiger Verkuumlrzung echter Spielzeit die zunehmende Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels
im Bildungsplan programmatisch angegangen bzw angeordnet wodurch die dieser Arbeit zugrunde
liegende Annahme bestaumltigt wird
3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
Die Reformpaumldagogik hat zB durch Ellen Key Johann Heinrich Pestalozzi oder Maria Monterssori
Konzepte wie Jena-Plan das der Sudberry Valley School oder der Freien Demokratischen Schulen
inspiriert Innerhalb deren Konzeptionen findet auch die kindliche Lebenswelt ohne sie romantisch
zu verklaumlren ihren anerkennenden Platz und wird als vollwertiger Lebensabschnitt beachtet Ihre
aumlhnlichen Bildungsansaumltze enthalten vielfaumlltigste Anreize und Formen vernuumlnftiger Bildungsideen
mit ganzheitlichem Menschenbild und echtem Lebensweltbezug Das bedeutet auch fuumlr eine Institu-
tion um mit Ellen Key zu sprechen Bildung vom Kind aus zu denken
Exemplarisch moumlchte ich im Folgenden diese Bildungsvorhaben und ihre fuumlr die Kinder bereiteten
Entwicklungsspielraumlume an Hand der Freien Demokratischen Schulen skizzieren Der Ausgangs-
punkt dieser Schulen ist der Kerngedanke dass sich durch Eigeninitiative selbstverantwortete Bil-
dung und freies Spiel nicht abstoszligend gegenuumlber stehen sondern dass beide den Beduumlrfnissen des
Kindes entspringen und das Kind deshalb je nach seiner Beduumlrfnislage seine Aktivitaumlten diesbezuumlg-
lich selbstorganisiert Zwar sind auch Freie Demokratische Schulen als Institution leider kein wirk-
licher bdquoorganischerldquo Teil der Lebenswelt von Kindern sondern immer nur von auszligen angebotene in-
tentionale Konstrukte die aber in diesem Fall den individuellen Entwicklungsspielraum der Kinder
25
versuchen zu schuumltzen bzw bereitzuhalten Somit wird jedem Kind sein eigener Freiraum der ihm
spontanes freies Spiel ermoumlglicht bereitet ohne es in irgendeiner Form zu verzwecken oder zu ka-
nalisieren Einige Konzepte solcher Schulen greifen auch die Kindheit als gesellschaftlichen Status
hervorbringende Begebenheit auf naumlmlich dass durch die alltaumlgliche Erwerbstaumltigkeit der Erwach-
senen die Kindheit entsteht und zwar als davon getrennter Lebensbereich Verschiedene Versuche
zB durch (Land)Schulheime oder selbst initiierten Lernvereinbarungen zielen darauf ab die ge-
trennten Lebensrealitaumlten von Kindern und Erwachsenen wieder mehr zur Uumlberschneidung zu brin-
gen Die daraus entstehenden freiwilligen Erfahrungspartnerschaften werden eigenverantwortlich
von den Beteiligten (Schuumller und Lehrer) nach ihren Beduumlrfnissen Vorstellungen und Wuumlnschen
gemeinsam gestaltet Es kann also keinen einheitlichen Lehrplan geben und es kann auch keinen
bdquoMethodenkofferldquo als Handreichung des Ministeriums geben der Anwendung finden soll Aber
falls es von den Schuumllern gewuumlnscht wird bzw falls es von ihnen als vernuumlnftig fuumlr die Umsetzung
des Vorhabens angesehen wird kann sich der Lehrer sinnvollerweise durch methodische oder di-
daktische bzw besser mathetische Aufbereitung unterstuumltzend einbringen Die Schuumller entwickeln
also selbst wie sie lernen und was sie lernen Dabei treffen sie nicht maszliggeblich ihre Auswahl aus
bereits bestehenden Angeboten sondern sie koumlnnen ihre Beschaumlftigungs- bzw Lerngebiete voumlllig
frei waumlhlen und initiieren Jede Beschaumlftigung wird dabei als wertvoll und lehrreich erachtet sei es
das Lesen das Experimentieren das freie Spielen oder das Teilnehmen an einem Unterrichtskurs
Die Schuumller entscheiden auch wann sie lernen Sie legen damit den gesamten zeitlichen Rahmen
fest innerhalb dessen sie sich mit ihrem eigenem Lerngebiet beschaumlftigen wollen Dies betrifft die
Tageszeit und den Gesamtzeitraum der Taumltigkeit aber vor allem auch das Alter in dem sie sich ent-
schlieszligen sich mit einer Thematik zu befassen So entschlieszligt sich zB ein neunjaumlhriges Kind Lesen
zu lernen wo ein fuumlnfjaumlhriges bereits damit begonnen hat Dabei waumlre es nicht ungewoumlhnlich dass
diese beiden Leseinteressierten sich zusammenschlieszligen und eine Lerngruppe initiieren um sich
gemeinsam dem Lesen lernen zu widmen Auch liegt es in der Verantwortung der Kinder wie inten-
siv sie sich mit dem gewaumlhlten Thema auseinandersetzen wollen Um all dies zu planen und umset-
zen zu koumlnnen sind die Lehrer wie beratende Helfer kontinuierlich fuumlr die Kinder da und die Kin-
der sind sich nie selbst uumlberlassen Somit schafft das Vertrauen der Lehrer in die Schuumller Vertrauens-
wuumlrdigkeit und die Kinder koumlnnen sich sicher und geborgen fuumlhlen um sich moumlglichst ohne Angst
in dieser Freiheit ganz nach ihren Beduumlrfnissen der Welt zuzuwenden Diesen Freiraum zum Entde-
cken und Spielen bezeichnen die Sudberry- bzw die Demokratischen Schulen als Lernfreiheit und
er ist eine der beiden Grundsaumlulen des Bildungskonzepts Die zweite Saumlule ist von organisatorischer
Natur und konstatiert den Lernort als egalitaumlres System in dem Schuumller und Lehrer in verschiede-
nen Gremien Komitees und Aumlmtern gleiche Einflussmoumlglichkeiten Pflichten sowie Rechte besit-
26
zen (vgl Schiffner 2007 S 8-15)
Peter Gray emeritierter Professor fuumlr Psychologie des Boston College erklaumlrte in einem Vortrag in
Berlin 3122012 die Grundlagen dieses bdquoErziehungsldquo Ansatzes18 Er nennt ihn Vertrauensvolle Er-
ziehung (Trustful Parenting) bdquoVertrauensvolle Erziehung basiert auf der Annahme dass Kinder von
Natur aus widerstandsfaumlhig kompetent sozial und selbstgesteuert sindldquo (Gray 2012 S 1) Daraus
ergibt sich dass Kinder ihrem Beduumlrfnis nach selbst entscheidend entdecken und spielen Es obliegt
ihrer Entscheidung Risiken einzugehen und dabei auch evtl eigene Fehler zu machen Entwick-
lungsvergleiche (auch keine Lernleistungsvergleiche) liegen dieser Ansicht fern Erziehung versucht
demnach Entwicklung nicht zu lenken sondern zu unterstuumltzen sodass Kinder ihre eigenen Ziele
verwirklichen koumlnnen Sie entwickeln dabei Eigeninitiative und uumlbernehmen Selbstverantwortung
in der Gemeinschaft Die Erwachsenen stellen dazu lediglich den aumluszligeren bdquoRahmenldquo her der fuumlr ein
gesundes Heranwachsen erforderlich ist (vgl Grey 2012 S1 ff) Deshalb ist dieser Ansatz auch
nicht als eine vernachlaumlssigende Haltung zum Kind anzusehen sondern ganz im Gegenteil die
bdquoErziehendenldquo senden den Kindern folgende Botschaft
bdquoDu bist kompetent Du hast Augen und ein Gehirn und du bist in der Lage Dinge her-auszufinden Du kennst deine eigenen Faumlhigkeiten und Grenzen Durch Spielen und Er-forschen wirst du dir aneignen was du wissen musst Deine Beduumlrfnisse werden gewuumlr-digt Deine Meinung zaumlhlt Du bist fuumlr deine Fehler selbst verantwortlich und man kanndarauf vertrauen dass du aus ihnen lernst Das Sozialleben zeichnet sich nicht durchWillenskaumlmpfe aus sondern vielmehr dadurch einander so beizustehen dass alle dasbekommen was sie brauchen und sich am meisten wuumlnschen Wir sind auf deiner Seitenicht gegen dichldquo (ders S1)
Interessant finde ich Peter Grays historischen Bezug den er zur Vertrauensvollen Erziehung her-
stellt Er belegt naumlmlich mit verschiedenen wissenschaftlichen Studien zu Jaumlger- und Sammlerkultu-
ren dass dieser Erziehungsstil bis zum Einsetzen der Landwirtschaft (vor ca 10000 Jahren in Asi-
en) der vorherrschende war und dass die Menschheit zu 99 Prozent ihrer gesamten Geschichte (ca 1
Millionen Jahre) Jaumlger und Sammler waren (vgl ders S 1-3)
4 Zusammenfassende Gedanken
Die anfaumlngliche Spielbegriffseingrenzung im ersten Teil dieser Arbeit verdeutlichte dass das Spiel
nicht nur von elementarer Bedeutung fuumlr ein gesundes Aufwachsen fuumlr Koumlrper und Psyche der Kin-
der ist obwohl das freie (Kinder)Spiel die dafuumlr wohl geeignetste Lebenstaumltigkeit darstellt Dem
18 Vgl Gray Peter (2012) Trustful Parenting May Require an Alternative to Conventional Schooling (Vertrauensvol-le Erziehung macht unter Umstaumlnden eine Alternative zum konventionellen Schulsystem noumltig) httpwwwting-schuledeindex_htm_filesPeter20Gray20_20Trustful20parentingpdf (Zugriff 260315)
27
natuumlrlichen (Kinder)Spiel als geistig-kreative Weltzuwendung liegen viel urspruumlnglichere Wurzeln
zu Grunde weshalb sich durch freies Spiel die Sinne der Koumlrper und auch der Geist als bdquoNebenef-
fektldquo beilaumlufig bilden und entwickeln Naumlmlich wie das bdquoMenschsein kein Zweck etwa des Lebens
sondern das Leben selbst istldquo (Kamper 1976 S 141) ist das (Kinder)Spiel auch kein findiger
Zweck des Lebendigen sondern gelebte Lebendigkeit und damit zwecklos (vgl ebd) bdquoDarauf und
nur darauf bezieht sich Schillers Wort dass der Mensch nur spielt wo er in voller Bedeutung des
Wortes Mensch ist und nur da ganz Mensch ist wo er spieltldquo (ebd) Somit stellt das Spiel das Prin-
zip des Lebendigen dar dies herauszuarbeiten und phaumlnomenologisch be-greifbar zu machen war
Ziel des ersten Teils dieser Arbeit Ich beabsichtigte darin ein Verstaumlndnis dafuumlr zu bilden dass das
(Kinder)Spiel als Modus von Freiheit im bdquoSpannungsfeld Lebenldquo die Wesenskraumlfte der Evolution
den Zufall die Spontanitaumlt und die Kreativitaumlt als eigene Triebkraumlfte in sich traumlgt und im freien
selbst initiierten Spielgeschehen zur Entfaltung bringt Als dieses Urprinzip ist das freie natuumlrliche
Spiel dem Menschen - homo ludens - und deshalb auch den Kindern ein Beduumlrfnis Deshalb fuumlhrt
durch Spiel gestaltete Zeit als erstrebte wesensgemaumlszlige Taumltigkeit zu Lebenszufriedenheit Und nur
dann traumlgt es seine Potenziale der Sinnesbildung Koumlrperbildung und geistig-seelischen Bildung so-
wie die Moumlglichkeit unvorhersehbarer Emergenzen in sich Und als solcher freier Ausdruck von Le-
bendigkeit ist deshalb Spiel fuumlr ein Kind innerhalb eines erfuumlllten Daseins grundlegend und zu ach-
ten bzw anzuerkennen
Im zweiten Teil wurde einsteigend die im derzeitigen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
vertretene Auffassung von Spiel erlaumlutert und der Plan wurde auf seine moumlgliche politisch- und paumld-
agogisch motivierte Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel untersucht Es konnte dargelegt werden
dass der Spiel(zeit)raum aufgrund des Interessengegensatzes von Kind und Staat kontinuierlich ein-
gekuumlrzt wird und zur zunehmenden Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel fuumlhrt um die politischen
Programme bdquoVerbesserung der Bildungschancenldquo und bdquoChancengleichheitldquo durchzusetzen Die da-
mit verwirklichten politischen Ziele und die Umsetzung einheitlicher Bildungsstandards haben da-
bei einerseits den Zweck die fuumlr die Wirtschaft dienliche und in der Gesellschaft mit Schule durch-
gesetzte Wissenshierachie fortzufuumlhren Und andererseits sollen diese Jahrgangssortierungen durch
internationale Tests wie PISA uauml als Standortfaktor im Wettkampf um Konkurrenzfaumlhigkeit auf ei-
nem globalisierten Markt Wirtschaftsstandort sichernd eingesetzt werden
Die Annahme dass es durch die Einuumlbung von vermeintlichen also dem Zeitgeist entsprechenden
bdquoGrundkompetenzenldquo bzw bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (als Bildungsstandards) zur zunehmenden
Verdraumlngung von freiem Spiel kommt konnte dadurch bestaumlrkt werden dass auf Grundlage eines
verkuumlrzten Spielbegriffes das freie (Kinder)Spiel durch paumldagogisches Einwirken in bdquospielerisches
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Lernenldquo umfunktionalisiert und dadurch echte Spielzeit zunehmend eingekuumlrzt wird Der Zweck ist
dabei das (Kinder)Spiel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo als bdquoLernmotorldquo der Kinder innerhalb
des bdquoLernfensterdrucksldquo dem Lehrapparat dienstbar zu machen
Im dritten Teil dieser Arbeit wurde anhand der Demokratischen Schulen kurz skizziert wie institu-
tionelle Bildung die freies Spielen wirklich gewaumlhrleistet gelingen kann Leider stehen die Schulen
in freier Traumlgerschaft zu denen die Freien Demokratischen Schulen zaumlhlen in Deutschland vor be-
sonderen behoumlrdlichen Genehmigungsbarrieren und unzureichender oumlffentlicher Finanzierung was
ihre Realisierung maszliggeblich erschwert oder ganz verhindert Auch darin kann eine Verdraumlngung
bzw Verhinderung des freien Spiels gesehen werden
Die Verdraumlngung des freien Kinderspiels ist aus zweierlei Gruumlnden nicht gut zu heiszligen ja sogar ab-
zulehnen ist Erstens ist die im Spiel als Nebenerscheinung enthaltene Einuumlbung von Grund-
kompetenzen von groumlszligter Komplexitaumlt und Vielfalt die selbst neue nicht vorhersagbare Qualitaumlten
hervorbringt die mit den Triebkraumlften der Evolution in Verbindung zu bringen sind (Emergenz)
Deshalb ist es fuumlr einen ganzheitlichen Entwicklungsspielraum der Kinder und im Sinne der Evolu-
tion unvernuumlnftig das Spiel wie im Bildungsplan beschrieben bdquoqualitativ aufzuwertenldquo um ver-
meintliche fuumlr das derzeitige Leben als unverzichtbar angenommene bdquoGrundkompetenzenldquo durch
bdquospielerisches Lernenldquo einzuuumlben Und zweitens ist das Spiel als kreative geistig-emotionale Welt-
zuwendung und damit als wesensgemaumlszlige kreatuumlrliche Taumltigkeit des Menschen den Kindern ein Be-
duumlrfnis und grundlegend fuumlr ihr gesundes Aufwachsen und Lebensgeborgenheit (Lebenszufrieden-
heit) in einem sie wahrhaft erfuumlllenden menschlichen Dasein
Bedenke ich nun die Lebenszeit die auch meine Kinder teilweise schon vor dem ersten Lebensjahr
mit haumlufig acht Stunden taumlglich in Kindertageseinrichtungen (leider nicht in einer Freien Demokra-
tischen Schule mit Primarbereich) verbrachten derzeit verbringen und spaumlter in der Schule bis min-
destens zur Erfuumlllung der Schulpflicht mit etwa 15 Jahren in der Schule verbringen muumlssen bin ich
erschrocken-besorgt und wuumltend wie dem Phaumlnomen des freien natuumlrlichen Kinderspiels und der
Bildung insgesamt im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan begegnet wird Bildung als vorran-
gig politisch-oumlkonomisches Arrangement zu sehen darin das Spiel als List zu benutzen um standar-
disiertes Lernen zu erzielen echte Spielzeit zunehmend zu verkuumlrzen ndash dieses planvolle Vorgehen
der Politik und der beteiligten Paumldagogen stellt eine Missachtung der ihnen anvertrauten Kinder mit
ihren individuellen Wuumlnschen Vorstellungen Beduumlrfnissen und ihrer ganz persoumlnlichen Lebenswelt
dar und ist ein lebensentfremdendes Vorhaben das junge Menschen von einem sie erfuumlllenden gu-
ten Leben trennt
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31
Eidesstattliche Erklaumlrung
Ich erklaumlre hiermit an Eides Statt durch eigenhaumlndige Unterschrift dass ich die vorliegende Arbeit
selbstaumlndig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe die aus
fremden Quellen (einschlieszliglich elektronischer Quellen und dem Internet) direkt oder indirekt uumlber-
nommenen Gedanken sind ausnahmslos als solche kenntlich gemacht
Ich weiszlig dass bei Abgabe einer falschen Versicherung die Arbeit als nicht bestanden zu gelten hat
Herold 10042015
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- Die zunehmende Verdraumlngung des freien Kinderspiels
- im Hessischen Bildungsplan
- Einleitung
- 1 Freies Kinderspiel - Wesensmerkmale
-
- 11 Das Moment der Freiheit
- 12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
- 13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
- 14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
- 15 Das Moment der Geschlossenheit
- 16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
- 17 Zusammenfassung
-
- 2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
-
- 21 Das Spielverstaumlndnis
- 22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
- 23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
- 24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
-
- 3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
- 4 Zusammenfassende Gedanken
- Literaturverzeichnis
- Internetquellen
-
denn die sich aus der naumlheren Analyse ergebenden Voraussetzungen und Grundlagen fuumlr gelingen-
des freies bzw bdquonatuumlrlichesldquo Spiel werden ersichtlich machen aus welchem bdquoStoffldquo die schon an-
genommene Freiheit ist und mit welchem Verlaufsmuster dh mit welcher Strategie sich diese Frei-
heit im Spiel organisiert weshalb letztlich auch zwischen Taumltigkeit und Geschehen zu unterschei-
den ist Dazu wird noch ein weiterer Aspekt dieser bdquofreien Handlungldquo ganz zu Anfang naumlher zu be-
schreiben sein denn es gibt mehrere Ebenen auf denen verschiedene Qualitaumlten von Freiheit beste-
hen naumlmlich die Freiheit von der Lebensfuumlrsorge als bdquoFreiraumldquo zum Spiel und die schon erwaumlhnte
Freiheit als Ambivalenz im Spiel Beide Definitionsversuche sind aber auch insofern nicht bdquoganz-
heitlichldquo umfassend da sie lediglich auf Spiel als Verhalten von Menschen abzielen also anthropo-
zentrisch sind und sich somit nicht auf andere Wissenschaften uumlbertragen lassen Da das Spiel aber
auch von elementarer Bedeutung fuumlr nicht-paumldagogische Wissenschaften ist waumlre eine ganzheitli-
che Definition dienlich um entscheidende Parallelen zwischen den verschiedenen Forschungsgebie-
ten ziehen zu koumlnnen und die im Spiel zweifelsohne enthaltenen Potenziale nicht bdquoaufs Spiel zu set-
zenldquo und letztlich bdquozu verspielenldquo So konnten beispielsweise aktuelle naturwissenschaftliche Er-
kenntnisse zum bdquonatuumlrlichenldquo Spiel besonders uumlber die unverfuumlgbaren eigentuumlmlichen Momente
des Spiels naumlmlich die Kreativitaumlt die Phantasie die Spontanitaumlt die Unordnung den Unsinn den
Zufall und die Freiheit zeigen welch grundlegende Bedeutung ihnen im Spiel zukommen sodass
auch weitreichende Konsequenzen fuumlr die Paumldagogik daraus abgeleitet werden koumlnnen So sollte
beispielsweise auf der Handlungsebene das Geschehen des Spiels vernuumlnftigerweise abgewartet
werden damit etwas zwischen Zufall und Notwendigkeit selbstgesteuert daraus erwachsen kann
Und nicht wie bisher versucht wird das Spiel quasi als bdquoListldquo geplant und kontrollierbar von auszligen
zu erzeugen um daraus zB einzelne Kompetenzen vermeintlich herzustellen die dem aktuellen
Zeitgeist nach als bedeutend angesehen werden (vgl Miller-Kipp 2005 S 273-285) Ich sehe es als
entscheidend an die Verwandtschaft der wesentlichen Momente des Spiels mit dem Evolutionsprin-
zip aufzuzeigen um daraus ableitbare Konsequenzen und Voraussetzungen fuumlr das bdquonatuumlrlicheldquo
Kinderspiel ersichtlich machen zu koumlnnen An gegebener Stelle werde ich diese skizzierten Aspekte
nochmals vertiefend aufgreifen Zunaumlchst jedoch werde ich mich ausgehend von Hans Scheuerls
Standardwerk der Paumldagogik uumlber das Spiel5 mit den von ihm untersuchten Spielphaumlnomenen und
ihrem gemeinsamen Wesenszusammenhang befassen Hierbei ist es mein Anliegen das
(Kinder)Spiel weitestgehend nach seinem Wesen mit seinen grundlegenden Eigenheiten zu be-
schreiben und nicht nach seiner moumlglichen Funktion oder seinem Zweck fuumlr den Menschen zu fra-
gen Mit der Vermeidung eines auf Funktionen und Zwecken orientierten Erklaumlrungsversuch zu der
5 Scheuerl Hans Das Spiel - Untersuchung uumlber sein Wesen seine paumldagogischen Moumlglichkeiten und Grenzen 11Aufl Weinheim und Basel 1990
6
Frage was Spiel ist zielt mein Beschreibungsversuch darauf ab die Ebene der verschiedenen Spiel-
formen mit ihren Nutzen zu verlassen und in uumlbergeordneter Ebene das Spiel allgemeinguumlltiger er-
fassbar zu machen Dadurch sollen die bereits angedeuteten tieferen Zusammenhaumlnge des Spielphauml-
nomens ersichtlich werden woraus sich bdquoneueldquo Relevanzen fuumlr unsere Lebensfuumlhrung ableiten las-
sen Diese grundlegenderen Zusammenhaumlnge und die sich daraus ergebenden Konsequenzen oder
Relevanzen werden auch im Weiteren fuumlr die Argumentationslinie dieser Arbeit leitend sein
Auch Hans Scheuerls Ziel war es zunaumlchst zu einer grundlegenden Wesensbestimmung des Spiels
zu gelangen Dafuumlr unterteilte er das Spielgeschehen in sechs Wesensmomente naumlmlich in
Freiheit innere Unendlichkeit Scheinhaftigkeit Ambivalenz Geschlossenheit und Ge-
genwertigkeit (vgl Scheuerl 1990 S12-16 65-67) Aber auch durch diese Gliederung laumlsst sich
nicht bestimmt klaumlren was Spiel ist (vgl ders S 102) Daruumlber jedoch wie freies Kinderspiel
moumlglich wird gibt sein phaumlnomenologischer Deutungsversuch detailliert Aufschluss Daher wird
dieser im Folgenden kurz vorgestellt
11 Das Moment der Freiheit
Spielen geschieht nach Hans Scheuerl um seiner Selbst Willen bdquoSpiel verfolgt keinen auszligerhalb
seiner selbst liegenden Zweckldquo (Scheuerl 1990 S67)
Spiel ereignet sich somit nicht um etwas zu erschaffen zu erledigen zu verrichten zu erlernen
usw obwohl im Spiel zuhauf geschaffen errichtet gestaltet erledigt erlernt usw wird Ein Kind
das im Spiel bspw Baukloumltze aufeinander stapelt spielt dies nicht damit es einen geschickten Um-
gang damit erlernt sondern weil es Freude am lustbetonten Spielen hat Das Spielgeschehen ereig-
net sich also zweckfrei ist aber kein willkuumlrliches Ereignis oder sinnfreie Betaumltigung sondern es ist
bdquovon innerer Zweckmaumlszligigkeitldquo (ders S69) durchdrungen dh es folgt eigenen Regeln individuel-
len Absprachen Grenzen Zielen lustvollem Erleben usw und sei es beim spielenden Kind beim
Katzenjungen Fuszligballspieler oder Musiker Ihr Spiel wird stets mit Ernst und besonderem Eifer be-
trieben
bdquoSoll sein Spiel gelingen so muszlig er [der Spielende MG] sich ihm widmen koumlnnen alsgaumlbe es nichts auszliger diesem Spiel auf der Welt Eine aumlhnliche selbst- und weltvergesse-ne Hingabe verlangt das Spiel auch schon vom Kindeldquo(ders S67)
Diese voumlllige Hingabe beinhaltet Sorgenfreiheit ohne die das Spielen nicht moumlglich waumlre Die Spie-
lenden muumlssen fuumlr eine gewisse Zeit frei von ihrer unmittelbaren Lebensfuumlrsorge des bdquoDaseins-
kampfesldquo (Scheuerl) sein Dadurch entsteht ein Freiraum in Form von frei verfuumlgbarer Zeit und in
7
diesem bdquoRaumldquo ereignet sich Spiel (vgl ders S 67- 69)
Somit ist es auch kaum verwunderlich dass besonders den Nachkommen einer Art dieser besondere
Freiraum in hohem Maszlige zuteil wird Der Biologe und Anthropologe Adolf Portmann weist dazu in
einem seiner Beitraumlge zum Spiel6 darauf hin dass diese freie Zeit durch Spiel zu sinnvoll erfuumlllen-
der gestalteter Zeit (Vgl Portmann 1976 S60 vgl dazu auch S 68 und 71) wird und somit fuumlr
ein erfuumllltes Leben grundlegend sei Im Gegensatz zu einigen Spieltheorieansaumltzen7 die dem Spiel
ausschlieszliglich Erhaltungswert beimessen dient das Spiel Portmann zufolge mehr als nur dem Er-
haltungswert Aktuelle biologische Forschung hat hierzu offengelegt dass nur bei houmlheren Lebewe-
sen mit Entfaltung der Innerlichkeit im Sinne einer bdquoPsycheldquo aumluszligerlich verborgenes Erleben8 ent-
steht und dass es erst durch dieses Erleben von subjektiver Wirklichkeit (vgl Portmann 1976 S
58-61) zu bdquolustbetontem Verhalten [kommt] das nicht unmittelbar der Lebenserhaltung dient - es
begegnet uns erlebtes erstrebtes Spielenldquo (ders S60) Portmann beschreibt Spiel demnach wie
folgt
bdquoSpiel ist freier Umgang mit der Zeit ist erfuumlllte Zeit es schenkt sinnvolles Erleben jen-seits aller Erhaltungswerte es ist ein Tun mit Spannung und Loumlsung ein Umgang miteinem Partner der mit einem spielt - auch wenn dieser Partner nur der Boden ist oderdie Wand welche dem Spielenden den elastischen Ball zuruumlckwerfen Dieses Spiel setztetwas besonderes voraus einen Zeitraum ohne Sorge []ldquo (ebd)
Adolf Portmanns These dass bei houmlheren Lebewesen sinnvoll erfuumlllende Gestaltung von sorgenfrei-
er Zeit durch Spiel geschieht hat somit allgemeine Bedeutung auch fuumlr unsere eigene Daseinsfuumlh-
rung Denn
bdquo Spielʻ ist die lustvolle von Erhaltungssorge freie also zweckfreie aber sinnerfuumlllteZeitldquo (ders S 68 Herv i Orig)
bdquoVolles Leben ist nicht allein Gestaltung von Stoff von Materie Leben ist Umgang mitZeit ist Gestaltung von Zeit ist Sinngebung fuumlr leere Uhrenzeitldquo(ders S 60)
Portmann hebt das freie Spiel als gestaltete Zeit auf die Ebene der Grundbeduumlrfnisse und macht es
fuumlr ein sinnvoll erfuumllltes wahrhaft gutes Leben zur Bedingung (vgl ders S 66-72)
6 Portmann Adolf Das Spiel als gestaltete Zeit In Der Mensch und das Spiel in der verplanten Welt Hg Bayeri -sche Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1976
7 Kraftuumlberschusstheorie (H Spencer) Erholungstheorie (M Lazarus) Katharsistheorie (K Gross) Entwicklungs-psychologie (J Piaget) (vgl Kluge 1981 S 15 und 31)
8 Gemeint ist dass mit steigender Gestaltungshoumlhe der Lebewesen subjektives Erleben moumlglich ist also dass durchdas Zentralnervensystem und die Sinnesorgane reiche Umweltbeziehungen entstehen Diese Entwicklung hat sichbeim Menschen bis zur geistigen Lebensform gesteigert (vgl Portmann 1976 S 59-61)
8
12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
Kinder zeigen in ihrer Alltaumlglichkeit kontinuierlich einen Drang zum Spielen Ein Kind - und si-
cherlich nicht nur es allein - hat offenbar ein Beduumlrfnis nach freiem Spiel Scheuerl benennt diese
Begebenheit als triebhafte Tendenz zum Spiel (Vgl Scheuerl 1990 S 71) bdquoEs gibt zweifellos
einen Zwang zum Spielldquo (ebd Herv i Orig) Nach ihm muumlssen Kinder wenn sie gesund aufwach-
sen sollen sogar spielen um nicht psychisch und physisch zu erkranken Insofern kann sogar von
einem gewissen bdquoSpieltriebldquo (Vgl ders S 73) als Tendenz zum Spiel gesprochen werden Dieses
Spielbestreben weist aber letztlich ein anderes Wesen als andere menschliche Tendenzen (Triebe)
zur Beduumlrfnisbefriedigung auf und muss davon unterschieden werden Denn die letztlichen Tenden-
zen im Spiel sind keine gewoumlhnlichen Beduumlrfnisbefriedigungen durch Triebverhalten also keine de-
terminierten triebhaften Handlungen die zweck- oder zielorientiert sind Statt dessen sind sie situa-
tiv sowie individuell variabel und vor allem in sich zirkulaumlr Denn die Befreiung von Beduumlrfniss-
pannungen also dem bdquo[s]ich allen Erregungen und Drang-Erlebnissen gegenuumlber den Frieden ge-
benldquo (ders S 70) zielt auf das Ende der Spannung ab die das nicht erfuumlllte Beduumlrfnis triebhaft
ausloumlste So etwa moumlchte man zB bei Hunger oder Durst Saumlttigung bzw Stillung herbei fuumlhren
Alle triebhaften Handlungen zielen demnach tendenziell auf die Befriedigung des sie hervorbrin-
genden Beduumlrfnisses ab und somit auf ihr eigenes Ende In dieser Tendenz die sich auf das Ende
der beduumlrfnisbefriedigenden Handlung hin ausrichtet liegt nun zum Spiel der wesentliche Unter-
schied Der bdquoSpieltriebldquo will keine Befriedigung bdquoer kann nicht gesaumlttigtʻ werdenldquo (ders S 73)
Sein Initialzweck ist vielmehr die Beseitigung aller Spielhindernisse - deshalb auch triebhafte Ten-
denz zum Spiel Aber sobald eine konkrete Spielidee im Kind aufkeimt und es beginnen kann sich
entschieden und mit groumlszligtem Eifer ihr zu widmen um darin voumlllig selbst aufzugehen als ob es nur
dies Eine auf Erden gaumlbe und das Spiel niemals enden duumlrfe wird das Wesensmerkmal der inneren
Unendlichkeit erkenntlich bdquoDa ist nichts was auf ein Ende draumlngt nichts was den Zustand des
Spielens aufheben moumlchteldquo (ders S 71 )
bdquoDas Spiel kann innerhalb seines Freiraums gekennzeichnet werden als Bewegung voninnerer Unendlichkeitʻldquo (ders S74)
Ist ein Spiel erst einmal im Gange will es ewig fortgesetzt werden Es strebt seiner eigenen inneren
Unendlichkeit entgegen einem nicht endenden zirkulaumlren bdquoZustandldquo Und von da an gleicht der
bdquoSpieltriebldquo als Spielerscheinung in seiner Tendenz auch keiner zielorientierten Zweck- oder Be-
duumlrfnishandlung mehr weshalb genau genommen nicht von gewoumlhnlicher Beduumlrfnisbefriedigung
durch Triebverhalten gesprochen werden kann Das Spiel ist also dem Wesen nach eine staumlndige
Spielbewegung (Scheuerl) quasi ein Perpetuum mobile Ein Kind spielt nicht bis es das Spielen
9
satt hat oder vom Spielen uumlbersaumlttigt ist sondern es beendet erst sein Spielen wenn es durch aumluszliger-
liche Faktoren (zB Beduumlrfnisse Noumlte Verpflichtungen jeglicher Art etc) dazu gedraumlngt wird (vgl
ders S 70-77)
13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
Das frei von Zwecken und Triebdruck voumlllig in sich selbst versunkene unendliche Spiel spielende
Kind wird durch die Hingabe an die eigene Phantasie kreativ wird lebendig Die Einbildungskraft
erschafft und gestaltet eine eigene Phantasiewelt in der Form einer bdquoAls-obldquo-Realitaumlt (Scheuerl)
Die durch Spielerphantasie konstruierte bdquoScheinweltldquo (Scheuerl) nimmt dabei die Bedingungen ih-
rer Umwelt wie beispielsweise reale Gegenstaumlnde und Objekte und ihre Materialitaumlt auf und erwei-
tert diese bdquoGegenstaumlndeldquo ggf bis zum imaginaumlren rein symbolischen Spielmittel damit es der
Spielidee und ihrem Fortgang moumlglichst dienlich ist
Die gesamte Phantasiespielwelt wird somit nach eigenen Vorstellungen von nah am objekthaften
(abbildnah) bis fernab der im weitesten Sinne materiellen Realitaumlt (abstrakt) konstruiert und kann
mit eigenen Gesetzmaumlszligigkeiten und Zusammenhaumlngen gestaltet werden Die entstehenden spieleri-
schen Inszenierungen enthalten in ihrer Spielidee auch fortwaumlhrend aktuelles Geschehen und die
Eindruumlcke der Kinder dazu wodurch es auf diesem Weg zur spielerischen Auseinandersetzung da-
mit kommt So kann zB ein vom Kind miterlebtes Hochwasser in der eigenen Region zur aufge-
griffenen Spielidee fuumlhren Ein verwittertes Stuumlck Holz etwa koumlnnte dem spielenden Kind als Sym-
bol des Rettungsbootes dienen das sich mit seinen imaginaumlren Insassen in einer dramatischen Ret-
tungsaktion im Hochwassergebiet befindet In solchen Spielszenen ist haumlufig beobachtbar dass es
beim Spielen nicht um abbildhaftes realitaumltsgetreues Nachspielen des eventuell Erlebten geht Son-
dern vielmehr darum dass sich das spielende Kind aktiv im Spiel zwar mit Erlebtem auseinander-
setzt im Sinne der bdquoScheinhaftigkeitldquo und des Unendlichkeitscharakters des Spiels aber rein aus
Freude am lustbetonten gestalteten Spielen die Spielhandlung ritualhaft wiederholt In diesem Sin-
ne wuumlrden beispielsweise immer wieder Insassen aus dem Boot geschleudert die es dann aufs Neue
zu retten gaumllte wodurch das Spiel zirkulaumlr bestaumlndig zumindest solange fortdauern koumlnnte bis neue
Spielideen oder von auszligen kommende Faktoren es abloumlsen oder beenden Spielern aber auch Zu-
schauern (zB im szenischen Spiel) erscheint diese Phantasiewelt von der materiellen Realitaumlt los-
geloumlst und die uumlber den Dingen schwebende bdquoScheinhaftigkeitldquo des Spiels (Scheuerl) kann Betrach-
ter und Akteure gleichfalls in ihren faszinierenden Bann ziehen sofern ihnen der Zugang zur eige-
nen Phantasie nicht von auszligen bdquoversperrtldquo ist (vgl Scheuerl 1990 S 77- 85)
10
14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
Jeder Spielende versucht sein Spiel bestaumlndig aufrecht zu erhalten9 Dafuumlr baut er im Spiel ein
Spannungsverhaumlltnis also einen inneren bdquoSpielraumldquo als Modus von selbstregulierter Freiheit auf
Die entstehende Autonomie (Freiheit) im Spiel besteht nun in der Ambivalenz zwischen sich zufaumll-
lig ergebendem Neuen Unbekanntem oder neu Gestaltetem (zB neue Passage am Kletterfels oder
die sich staumlndig neu ergebenden Flugbahnen der jonglierten Baumllle etc) und notwendig Festgeleg-
tem Bekanntem oder Begrenzendem (zB Regeln beherrschte Kletterpassage die bestaumlndige Form
und das Gewicht der Jonglierbaumllle die eingeuumlbte Jongliertechnik etc) Der Spielende versucht da-
bei permanent sein Spiel in Balance zwischen diesen beiden bdquoPolenldquo zu halten um es einerseits
stets durch bdquoNeuesldquo interessant zu gestalten und es andererseits durch bdquoBekanntesldquo zu stabilisieren
Die Dominanz einer Seite wuumlrde das Spiel abbrechen also beenden Denn ein zu viel an Neuem
noch zu Entdeckendem wuumlrde dem Spiel ein Uumlbergewicht an Wagnis Raumltselhaftigkeit Moumlglichkei-
ten oder Schwierigkeit verleihen und ein zu viel an bereits Entdecktem Begriffenem oder Begren-
zung wuumlrde das Spiel etwa vorhersehbar und eindeutig machen oder es einengen bdquokanalisierenldquo
(Scheuerl eindimensionale Zweckhandlung) sodass jede von ihm ausgehende Spannung und Spiel-
freude verloren ginge (vgl Scheuerl 1990 S 86-90)
bdquoSo bedarf das Spiel einer maszligvollen Spannung Spannungslosigkeit waumlre der Tod fuumlrdas Spiel Andererseits wuumlrde eine zu hohe Spannung sogleich einen auf Beendigungder Spannung gerichteten Befriedigungswunsch hervorrufen der die Ambivalenz uumlber-waumlltigen muumlszligteldquo (ders S 88 Herv i Orig)
Veranschaulicht darstellen laumlsst sich diese Ambivalenz zwischen Zufall und Notwendigkeit im Spiel
auch am Beispiel des Wuumlrfelns mit einem sechsseitigem Zahlenwuumlrfel Dabei besteht der Zufall in
der Wahrscheinlichkeit mit der eine der sechs Zahlen gewuumlrfelt wird und die Notwendigkeit be-
steht darin dass eine gewuumlrfelte Zahl immer im einschlieszligenden Bereich von eins bis sechs liegen
wird Somit begrenzen die festgelegten sechs Seiten des Wuumlrfels wie eine Regel das zufaumlllige Ein-
zelergebnis und steuern quasi bdquoselbstorganisiertldquo die Konsequenzen des Zufalls wodurch er statis-
tisch moumlglich dh wahrscheinlich wird (vgl Miller-Kipp 2005 S 281-282)
Nach Gisela Miller-Kipp10 ist dieses selbstgesteuerte Spannungsverhaumlltnis von ganz urspruumlnglicher
Relevanz Sie sieht einen Zusammenhang zwischen dem bdquoSpiel der Evolutionldquo dem Modus von
Freiheit zwischen Moumlglichem und Wahrscheinlichem und dem (menschlichen tierischen) Spiel als
9 vgl dazu bdquo12 Moment der inneren Unendlichkeitldquo in dieser Arbeit S 9 f10 Miller-Kipp Gisela Zufall Selbstorganisation und Kreativitaumlt Ein Versuch uumlber die Natur des Spiels wider seine
Paumldagogisierung In Bilstein J Winzen M Wulf C (Hg) Anthropologie und Paumldagogik des Spiels Weinheimund Basel Beltz Verlag 2005 S 273-291
11
einem lebendigen Teil dessen Naturwissenschaftliche Forschungen uumlber die Evolution haben seit
fast einem Jahrhundert die dazu grundlegenden Wesenskraumlfte im Evolutionsprozess definiert Diese
Wesensmerkmale sind Kreativitaumlt und Zufall (vgl dies S 281-285) Elfriede Maria Bonet fuumlhrt in
ihrem Aufsatz zum Spiel bdquoVon Autonomie und Spontanitaumlt Eine Naturgeschichte des Spielsldquo11 aus
dass Selbstorganisation eine relative Unabhaumlngigkeit von aumluszligeren Reizen bewirkt (Autonomie)
weshalb Spontanitaumlt als Strategie zur Selbststeuerung entsteht Diese Entwicklung von Selbstorga-
nisation mit Spontanitaumlt zur Selbststeuerung bildet ihr zufolge das kreative Moment im Evolutions-
prozess welches fuumlr das Auftreten neuer nicht voraussagbarer Qualitaumlten bzw neuer bdquoFormenldquo
oder Variationen aus dem Vorhandenen entstehen laumlsst (Emergenz12) Das daraus entstehende neue
Ganze waumlre bildlich gesprochen demnach mehr als die Summe seiner einzelnen Teile (frei nach Ari-
stoteles) Da es fuumlr menschliches aber auch tierisches Verhalten charakteristisch ist dass aufgrund
von Autonomie Spontanitaumlt entsteht erkennt Bonet darin die systemische Wesensverwandheit von
Spiel und Evolution (vgl Bonet S35ff) Diese Annahme deckt sich insofern auch mit dem Stand-
punkt derzeitiger Evolutionsforschung denn darin bdquowird die Evolution der materiellen und biologi-
schen Welt als einheitlicher Prozess angesehen der nicht determiniert ist und nicht deterministisch
ndash oder im alten Sinne mechanisch ndash ablaumluft Er spieltʻ wie es heiszligt [hellip]ldquo (Miller-Kipp 2005 S
280 Herv i Orig) Daraus folgt dass die bdquonatuumlrliche ndash physikalische und biologische ndash und kultu-
relle Evolution strukturell miteinander gekoppelt [sind] laufen also weder unabhaumlngig voneinander
noch in determinierender Kausalitaumlt zueinander abldquo (ebd Herv i Orig) Das schlieszligt somit das
Spiel des Menschen als bdquoKulturfaktorldquo13 und bdquoUrprinzipldquo (Huizinga) in diesen offenen Prozess ein
denn bdquoes [das Spiel MG] wurzelt in der Natur als der natuumlrlichen (der materiellen und der biologi-
schen) Evolution und traumlgt deren Momente in sich auch im Kulturprozessldquo (Miller-Kipp 2005 S
281) Auf dieser Grundlage wird derzeit die kreative Selbststeuerung auch als ursaumlchlich fuumlr den ge-
waltigen Formen- und Artenreichtum der Natur angesehen (vgl dies S 273-285 vgl dazu auch
Bonet 1993 S 35 ff) Auf das bdquonatuumlrlicheldquo (Kinder)Spiel bezogen bedeutet dies dass auch aus
dem Spiel in seinen Formen und Funktionen heraus Emergenzen entstehen Diese neuen unvorher-
11 Bonet Elfriede Maria Von Autonomie und Spontanitaumlt Eine Naturgeschichte des Spiels In Baatz U Muumlller-Funk W (Hg) Vom Ernst des Spiels uumlber Spiel und Spieltheorie Berlin Dietrich Reimer Verlag 1993 S35- 47
12 bdquoEmergent So bezeichnet man systemische Eigenschaften die nicht aus den Komponenten eines Systems abgelei-tet oder vorhergesagt werden koumlnnen Systeme sind in erster Linie relationale Tatsachen Dinge die auf den Bezie-hungen beruhen welche die Elemente des Systems zueinander einnehmen Als solche besitzen sie Eigenschaftendie gegenuumlber den Eigenschaften ihrer Komponenten oder Elemente emergent sind Nach Luhmann ist das Sozialeeine emergente Eigenschaft und als solches nicht aus den Eigenschaften seiner Elemente der psychischen Systemeableitbar Sozialitaumlt ist eine houmlherstufige Eigenschaft die auf den Beziehungen zwischen Menschen beruht In derBewusstseinsphilosophie behauptet der so genannte Emergentismus die Emergenz von Bewusstsein Hat die Kom-plexitaumlt bestimmter biologischer Systeme einen bestimmten Grad erreicht stehen insbesondere Nervenzellen aufvielfaumlltige Weise miteinander in Beziehung so tritt in der Geschichte der Evolution Bewusstsein als emergente Ei-genschaft dieser biologischen Systeme aufldquo (bdquoemergentldquo In UTB-Online-Woumlrterbuch Philosophie)
13 Huizinga geht davon aus dass Kultur (Sprache Gemeinschaftsleben Brauchtum Essen Sitten Kunst ReligionRechtsleben etc) in Form von Spiel entsteht (vgl Huizinga 2004 S7-13 56-58)
12
sagbaren Erscheinungen (Qualitaumlten) sind so vielfaumlltig dass sie dem von der Natur hervorgebrach-
ten Artenreichtum gleichen und in ihrer Qualitaumlt fuumlr das Individuum die vielfaumlltigsten und komple-
xesten Funktionen und Nutzen bereithalten
Nach meiner Auffassung werden die beschriebenen Wesenszusammenhaumlnge von Spiel und Evoluti-
on besonders in dem Modus von Freiheit als Ambivalenz im Spiel ersichtlich da die grundlegenden
evolutiven Momente naumlmlich Kreativitaumlt Selbstorganisation und Spontanitaumlt auch die wesentlichen
Schaffenskraumlfte menschlichen Handelns und des erlaumluterten Spannungsverhaumlltnisses im Spiel sind
In Anlehnung an Miller-Kippacutes und Bonetacutes Deutungsversuche zum Spiel ist das freie im obigen
Sinne natuumlrliche Kinderspiel als Modus von selbstregulierter Freiheit eine wesensgemaumlszlige kreatuumlrli-
che bdquoTaumltigkeitldquo des Menschen die sich ereignet bzw die geschieht und nicht verrichtet oder erzeugt
werden kann Die diesem bdquoSpielgeschehenldquo (Scheuerl) innewohnenden unverfuumlgbaren wesentli-
chen Momente sind demnach sowohl die Grundbedingung fuumlr das Spiel selbst als auch Vorausset-
zung fuumlr die Vielfaumlltigkeit im Spielprozess Fraglich ist an dieser Stelle ob ein intentional geplantes
Erziehungs- und Bildungsvorhaben diesen Entwicklungsspielraum mit vielfaumlltigsten Erfahrungs-
moumlglichkeiten fuumlr Kinder schuumltzend bereithaumllt Und ob dann das freie natuumlrliche Spiel abgewartet
wird oder ob das (Kinder)Spiel mit funktionalen Absichten durch Paumldagogisierung in das planende
Joch von Erziehungs- und Bildungsbestrebungen eingespannt wird und seine wesentlichen Poten-
ziale damit verspielt werden
15 Das Moment der Geschlossenheit
Die freie Spieltaumltigkeit eines Kindes ist insofern geschlossen als dass die oben genannten Momente
wie einzelne ineinander greifende Glieder eine bdquogeschlossene Ketteldquo bilden muumlssen damit sich
freies bdquonatuumlrlichesldquo Spiel einstellt Die sich daraus bildenden oder aufgenommenen Spiele werden
haumlufig von da an als auftretendes Phaumlnomen augenscheinlich Denn das Spiel beginnt sich als frei
gestaltete Zeit mit seinem entstehenden bdquoKosmosldquo von Regeln Zufaumlllen Absprachen Bedingun-
gen Offenheiten Bestrebungen Kontexten Unverfuumlgbarkeiten Themen etc klar zu definieren und
vom gewoumlhnlichen Leben bdquoabzusetzenldquo Es wird dabei ersichtlich dass freies Spiel seine eigene in-
nere Regelhaftigkeit (im weitesten Sinne) sein bdquoSpielfeldldquo hat und eher als das Gegenteil von Will-
kuumlr oder Anomie anzusehen ist (Vgl Scheuerl 1990 S 91-95)
16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
Das Spiel verfolgt keinen auszligerhalb seiner selbst liegenden Zweck (Zweckfreiheit) und das Spielge-
13
schehen ist eine bdquopendelnde Suchbewegungldquo (Scheuerl Ambivalenz) die bestrebt ist innerhalb ih-
rer konstruierten bdquoScheinweltldquo (Scheuerl Scheinhaftigkeit) endlos in sich selbst zuruumlckzulaufen
um kein Ende zu finden (innere Unendlichkeit) Spielende sind von ihrem lustvollen Erleben im
Spiel voumlllig durchdrungen und gestalten spielend spontan mit groszliger Ernsthaftigkeit und in voumllli-
ger Selbst- und Weltvergessenheit ihr bdquoewigesldquo Spiel Und wie entgegen aller Vergessenheit ist es
dennoch ein Zustand houmlchster Wachheit und Konzentration Spielende sind in jedem gegenwaumlrtigen
Moment voumlllig praumlsent dh im bdquoHier und Jetztldquo aumlhnlich einem meditierenden Menschen Spielende
befinden sich also im Zustand tiefer Kontemplation aber nur im Bezug auf ihr Spiel weshalb sie
auch das eigene Gefuumlhl fuumlr Zeit im Moment des Spielens nicht oder kaum wahrnehmen Spielende
Kinder koumlnnen uumlber Stunden bdquowie gefesseltldquo ihrem Spiel nachgehen ohne dass ihnen die Zeitspan-
ne wirklich bewusst waumlre oder dass es ihnen hinterher moumlglich waumlre den fuumlr das Spiel aufgebrach-
ten Zeitraum zu schaumltzen (Vgl Scheuerl 1990 S 95-96 100-102)
17 Zusammenfassung
Das dieser Arbeit zugrunde liegende Verstaumlndnis des Begriffes bdquofreies Kinderspielldquo kann wie folgt
zusammengefasst werden Freies (Kinder)Spiel wird als ein Geschehen von komplexer geistig-
kreativer Weltzuwendung verstanden das sich innerhalb eines Freiraumes ereignet Einerseits ist
die sich innerhalb dessen ereignende Spieltaumltigkeit frei von Zielen Zwecken oder Nutzen die au-
szligerhalb seiner selbst liegen und andererseits sind die Spielenden innerhalb des Spielzeitraums frei
von ihrer unmittelbaren Lebensfuumlrsorge Als solche freie Zeit gestaltende Taumltigkeit ist das Spielen
fuumlr geistig emotional erlebende Wesen wie den Menschen oder houmlher entwickelte Tiere fuumlr eine
hohe Lebensqualitaumlt innerhalb eines erfuumlllenden Lebens grundlegend Aus diesem Umstand ergibt
sich dass freies natuumlrliches Spiel als grundsaumltzliches Beduumlrfnis angesehen werden kann weshalb
Spielende auch einen Drang (bdquoTriebldquo) zum Spiel aufweisen Doch ist der Charakter dieser
(Spiel)Taumltigkeit an sich von anderer bdquoNaturldquo als gewoumlhnliche Beduumlrfnisse befriedigende
(Trieb)Handlungen Als diese triebhafte Tendenz zum Spiel zielt die Spieltaumltigkeit nicht auf das Be-
duumlrfnis stillende Ende ab sondern auf ihren dauerhaften Fortgang Dieser zirkulaumlre Charakter und
das geistig erfuumlllende Erleben werden dabei durch den Umstand ermoumlglicht dass sich das Spieler-
eignis aufgrund seiner zuvor beschriebenen Autonomie in einem Spannungsverhaumlltnis ereignet Die-
ses ergibt sich zwischen Zufall und Notwendigkeit und wird durch den Spielenden bestaumlndig in
Waage gehalten Dieses selbst initiierte Geschehen reguliert sich somit auf der Handlungsebene
selbst es ist selbstorganisiert Diese Selbststeuerung nutzt Phantasie und Spontanitaumlt als Strategie
weshalb das Spielgeschehen trotz seines zirkulaumlren Charakters als prozessoffen bezeichnet werden
14
kann Besonders das Kinderspiel taucht dazu im gegenwaumlrtigen Spielmoment mit seinen spielenden
Subjekten im besonderen Bewusstsein uumlber seine paradoxe Als-ob-Realitaumlt in ihre eigens gestaltete
geistige Scheinwelt ein Die Spielenden sind waumlhrenddessen voumlllig selbst- und weltvergessen mit
groszliger Ernsthaftigkeit und im groumlszligten Eifer voumlllig in ihr bdquogebanntldquo Fuumlr ein bdquosich Ereignenldquo dieses
beschriebenen spontanen natuumlrlichen Spiels hat es nun als letztes Merkmal noch zur Voraussetzung
dass einzelne Momente nicht fuumlr sich isoliert initiiert oder planmaumlszligig ersetzt weggelassen oauml wer-
den koumlnnen so dass jedes einzelne der sechs Wesensmomente im Spielgeschehen quasi jeweils ein
bdquoGliedldquo in einer ineinander greifenden bdquofunktionalenldquo Kette darstellt ohne dass die Kette nicht
funktionstuumlchtig waumlre und sich freies natuumlrliches Spiel nicht ereignen koumlnnte
Inwiefern sich freies Kinderspiel nach dieser Auffassung im Hessischen Bildungs- und Erziehungs-
plan widerspiegelt soll im folgenden Kapitel untersucht werden
2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
21 Das Spielverstaumlndnis
Im Kapitel bdquoGrundsaumltze und Prinzipienldquo des Hessischen Bildungsplanes kommt dessen bdquoeigenesldquo
Verstaumlndnis zum bdquoKinderspielldquo ebenso zum Ausdruck wie eine Anleitung dazu wie mit dem Spiel-
phaumlnomen planvoll umzugehen ist (vgl Hessisches Sozialministerium Hessisches Kultusministeri-
um (2007) S 30-31) Im Folgenden werden diese Positionen zusammenfassend darstellt und erlaumlu-
tert
Spiel wird darin als Mittel in der ureigenen Ausdrucksform des Kindes angesehen womit es in der
Zeit des Heranwachsens seine Entwicklungsaufgaben und Lebensrealitaumlt bewaumlltigt Nach dieser
Auffassung kennzeichnen das Spiel drei Merkmale Das ist erstens die Zweckfreiheit der Spielhand-
lung die ausschlieszliglich durch das von ihr ausgehende Anregungspotentials ausgefuumlhrt wird Zwei-
tens dass im Spiel eine eigene Realitaumlt konstruiert wird und drittens dass Spielhandlungen wie im
Ritual wiederholt werden Die weitere Betrachtung des Spiels ist dann maszliggeblich auf Zwecke Zie-
le und den Sinn des Spiels im Bezug auf seine Wirkungen beschraumlnkt Somit sollen sich Kinder
zwar bdquoin ihren Spielhandlungen lustvoll versenken und dabei in einen intensiven Austausch mit ih-
rer Umwelt tretenldquo (dies S 30) Dies diene dann aber lediglich der Verarbeitung und Bewaumlltigung
von noch nicht zuordenbaren Erfahrungen (Problemen) Diese vom Kind zu bewaumlltigenden Proble-
me betraumlfen einerseits Entwicklungsthematiken wie bdquodas Ausspielen von Macht und Kontrolle von
Allmachtsphantasien [hellip] oder Herrschaft uumlber Leben und Tod [] sowie der Wunsch nach Heraus-
bildung eines Selbst bzw einer Identitaumltldquo (ebd) und andererseits Beziehungsthematiken zwischen
15
Erwachsenen und Gleichaltrigen
An die Beschreibung der drei Merkmale von Spiel anschlieszligend wird der Lern- und Entwicklungs-
charakter des Spiel dargestellt bdquoFreie Spielprozesse sind immer auch Lernprozesse denn Kinder
lernen zumindest beilaumlufig durch Spielenldquo (ebd)
Weiter heiszligt es im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan dass die Qualitaumlt dieser Lernprozesse
die im freien Kinderspiel stattfinden durch bdquogezielte Unterstuumltzungsmaszlignahmenldquo zu erhoumlhen sei In
dieser Aussage wird deutlich dass das freie Kinderspiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungs-
plan lediglich als Mittel aufgefasst wird welches die Entwicklungs- und Lernprozesse waumlhrend des
Heranwachsens beschleunigend wie ein Motor vorantreiben soll Warum sonst soll die bdquoQualitaumltldquo
des freien Kinderspiels bdquoerhoumlhtldquo werden Kinder sollen in erster Linie nicht spielen um ihrem Be-
duumlrfnis nach Spiel nachzukommen sondern um etwas zu lernen Dies legt den Verdacht nahe dass
das Spielen als solches auch nur aus diesem Grunde naumlmlich weil Kinder im Spiel etwas lernen
dh Kompetenzen erwerben Bestandteil des Bildungsplanes ist
Zusammenfassend kann festgestellt werden dass das Spiel im Hessischen Bildungs- und Erzie-
hungsplan auf eine Art Voruumlbung fuumlr das bdquorichtigeldquo Leben bei gleichzeitiger Lebensbewaumlltigung
verkuumlrzt wird Gleichzeitig findet durch die bdquoAufwertungldquo des freien Spiels zum bdquospielerischen Ler-
nenldquo eine Funktionalisierung und Paumldagogisierung des freien Spiels statt Die dem Spiel von Lern-
und Entwicklungspsychologie attestierten Potenzen (vgl Oerter 2007) sollen fuumlr die Realisierung
der Bildungs- und Erziehungsziele nutzbar gemacht werden dh das Spiel an sich dient vorrangig
dem Erwerb gewisser Kompetenzen und nicht der Erfuumlllung kindlicher Spielbeduumlrfnisse
Im folgenden Abschnitt werden die Hintergruumlnde eines solchen Spielverstaumlndnisses untersucht
Politische Motivationen spielen dabei ebenso eine Rolle wie die sich daraus ergebenden Ziele des
aktuellen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplans
22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
Im Vorwort des Hessischen Bildungs- und Erziehungsplans benennen die ehemaligen Hessischen
Ministerinnen14 fuumlr Kultus Karin Wolf und fuumlr Soziales Silke Lautenschlaumlger das zentrale politi-
sche Ziel naumlmlich die bdquoOptimierung der Bildungschancenldquo und die Entwicklung von bdquoChancen-
gleichheitldquo (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S 18) fuumlr die heranwachsende
Generation Bereits diese Formulierung laumlsst erkennen dass es im Bereich Bildung und Erziehung
politisch gesehen um Effizienz und um einheitliche bdquoQualitaumlts-ldquo und bdquoBildungsstandardsldquo geht die
14 unver uumlbern v aktuellem Kultusminister Herr Lorz von Herr Gruumlttner fuumlr Soziales und Integration
16
auf maximale Leistungen in der nationalen und internationalen Wissenskonkurrenz zielen
Wie ist also bdquoOptimierung der Bildungschancenldquo zu verstehen Konzeptionell ist diese bdquoOptimie-
rung der Bildungschancenldquo darauf angelegt dass bis zum Uumlbergang in die Sekundarstufe die Kin-
dertageseinrichtungen und Grundschulen allen Kindern eines Jahrgangs als Grundlagen die gleichen
bdquoBasiskompetenzenldquo15 vermitteln sollen Das Erreichen dieser bdquoBildungsstandardsldquo bis zur vierten
Klasse sei wiederum die Herstellung von bdquoChancengleichheitldquo so die Schlussfolgerung (vgl dies
S 18)
Dabei besteht die Chance darin dass die Kinder des gesamten Jahrgangs in gleichen Leistungstests
an diesen einheitlichen bdquoBasiskompetenzenldquo in Abhaumlngigkeit gemessen und in Konkurrenz zueinan-
der nach ihren Lernleistungsdifferenzen (Leistungsabstaumlnden) eingeordnet werden koumlnnen (vgl
Nuumlberlin 2002 S 117-127) Die dabei entstehende Jahrgangssortierung dh die Platzierung im
Leistungsvergleich innerhalb eines Jahrganges entscheidet dann daruumlber welche Kinder eine
bdquoChanceldquo auf houmlhere Bildung erhalten und welche nicht welche also das Gymnasium besuchen
duumlrfen und fuumlr welche der Besuch der Realschule vorgesehen ist Somit werden mit dem politischen
Programm bdquoChancengleichheitldquo bzw bdquoOptimierung der Bildungschanceldquo die jungen Generationen
(Kinder und Jugendliche) gemaumlszlig der in der Gesellschaft durchgesetzten Wissenshierarchie bzw Fauml-
higkeitshierarchie kontinuierlich eingeordnet (vgl Nuumlberlin 2002 S 127-129)
Deshalb soll bdquoChancengleichheitldquo auch bdquoBildungschancenldquo eroumlffnen weshalb im Bildungsplan Paumld-
agogen dazu aufgerufen sind die Kinder von fruumlhester Kindheit an individuell zu staumlrken um ihre
unterschiedlichen Voraussetzungen zumindest in gleichen bdquoBasiskompetenzenldquo vermeintlich einan-
der anzugleichen und somit die Vergleichbarkeit in der Notenkonkurrenz chancengleich im Sinne
von voraussetzungsgleich zu gestalten (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S
5-6 und S 17-18) Gerda Nuumlberlin weiszligt darauf hin dass aber diese Voraussetzungsgleichheit die
Institution Schule gerade nicht leistet Und dass Schule statt dessen durch Lernen auf Zeit die Schuuml-
ler innerhalb eines Jahrgangs mit einheitlichen Tests kontinuierlich einem Sortierungsverfahren un-
terzieht das eher gemaumlszlig den Bildungsschichten die Wissensunterschiede der Kinder hervorhebt
und sogar mit produziert statt sie mit dem Ziel der bestmoumlglichen Wissengleichheit zu bdquobeseitigenldquo
(vgl Nuumlberlin 2002 S 104-142)
Die auf gleiche Basiskompetenzen vorbereitenden Lernangebote und Fruumlhfoumlrderungen sollen nach
Aumluszligerung der Ministerinnen im Vorwort intensiver und fruumlher initiiert werden als in den vorange-
gangenen Jahren (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S 5-6) Zur Sicherung
15 bzw auch als bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (vgl dies S 41) bezeichnet daraus resultieren sollen die besonders vonder Wirtschaft geforderten bdquoMetakompetenzenldquo (vgl dies S 17)
17
der bdquoBildungsqualitaumltldquo und Umsetzung einheitlicher Standards soll der Bildungs- und Erziehungs-
plan das institutionenuumlbergreifende Steuerungsinstrument sein (vgl dies S 19) Die Herausgeber
des Bildungsplanes heben in der Einfuumlhrung besonders hervor dass es sich erstmals um einen Bil-
dungs- und Erziehungsplan handelt der durch seine stufenlose Konzeption von 0 bis 10 Jahren ein
kontinuierliches Lernen vorsieht Alle paumldagogisch wirkenden Personen und Institutionen sollen
durch einheitliche Bildungs- und Erziehungsziele moumlglichst an bdquoeinem Strang ziehenldquo koumlnnen (vgl
dies S 5-19)
Leitziel ist es fuumlr das bdquolebenslange Lernenldquo mit dem Erwerb von bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo die
bereits erwaumlhnte gemeinsame Grundlage (bdquoBasiskompetenzenldquo 16) der Kinder zu erzeugen (vgl
dies S 41f)
Veranlasst sehen sich die Ministerien zur bdquoneuenldquo konzeptionellen Bildungssteuerung durch den
tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel der sich von der demografischen Entwicklung uumlber viel-
faumlltige kulturelle Kontexte die Wirtschafts- und Arbeitswelt bis hin zu familialen Wandlungsprozes-
sen vollzieht und generell durch Schnelllebigkeit gekennzeichnet ist und von den Menschen ein ho-
hes Maszlig an Flexibilitaumlt und Mobilitaumlt fordert Hierzu werden auch die Ergebnisse der Schuumllerleis-
tungsvergleiche wie PISA TIMSS oder IGLU und denen entsprechende wissenschaftliche For-
schungsbefunde genannt denen der bdquo(neue) Bildungs- und Erziehungsplanldquo Rechnung tragen
moumlchte (vgl dies S 16-19)
Denn die Platzierung bei national und international vergleichbaren Leistungserhebungen ist letztlich
die Bemessungsgrundlage fuumlr bdquoBildungserfolgldquo oder bdquoBildungsversaumlumnisldquo Die attestierte bdquoBil-
dungsqualitaumltldquo ist deshalb von politischem Interesse weil die Politik die durch ihr Bildungssystem
erreichte Platzierung im vorderen Bereich als Standortfaktor fuumlr ihren Wirtschaftsstandort in
Deutschland nutzen moumlchte um vor allem auf dem globalem Markt konkurrenzfaumlhig zu bleiben
Im Folgenden wird zu zeigen sein ob und inwiefern diese Zielsetzungen mit dem dafuumlr entwickel-
ten Bildungskonzept zur angenommenen Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels fuumlhren
16 Im Einzelnen werden folgende Kompetenzen genannt als Basiskompetenzen werden bdquoindividuumsbezogeneKompetenzenldquo bdquoKompetenzen zum Handeln im sozialen Kontextldquo bdquoLernen und lernmethodische Kompetenzldquo undbdquokompetenter Umgang mit Veraumlnderung und Belastung Widerstandsfaumlhigkeit (Resilienz)ldquo genannt (vgl dies S 25-26 und S 41-44) Zum anderen werden darauf aufbauende konkrete Bildungs- und Erziehungsziele genannt (ent-sprechend der geforderten bdquoMetakompetenzenldquo) bdquostarke Kinderldquo bdquokommunikationsfreudige Kinder und medien-kompetente Kinderldquo bdquoKreative fantasievolle und kuumlnstlerische Kinderldquo bdquoLernende forschende und entdeckungs-freudige Kinderldquo und bdquoverantwortungsvoll und werteorientiert handelnde Kinderldquo (vgl dies S 13)
18
23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Wie kann das politische Ziel naumlmlich alle Kinder mit den gleichen Grundkompetenzen auszustatten
und deren bdquoErfolgldquo mindestens ab der vierten Klasse an regelmaumlszligigen Leistungserhebungen zu be-
messen durch freies Spiel erreicht werden Die Vermittlung bzw der Erwerb standardisierter Inhal-
te (Wissen Faumlhigkeiten Fertigkeiten Kompetenzen) und die Verfuumlgung daruumlber (Pruumlfungstermin)
steht im Widerspruch zum freien Spiel als offenem Prozess den die Spielenden selbst initiieren und
gestalten und bei dem keine Voraussagen daruumlber getroffen werden koumlnnen wann sich welche
Kenntnisse und Fertigkeiten einstellen
Diese erlangt man einerseits durch die Freiheit als Freiraum zum Spiel die eine gewisse Qualitaumlt an
Sorgefreiheit bedingt Zur Sorgefreiheit zaumlhlt beispielsweise auch das Freisein von Lerndruck der
jedoch unter anderem durch festgelegte Leistungserhebungen und Entwicklungsdokumentationen
bei den Kindern erzeugt wird Und andererseits erwirbt man Kenntnisse und Faumlhigkeiten nur dann
wenn das Spiel frei ist wenn es sich also um seiner selbst Willen ereignet und eben nicht bdquokanali -
siertldquo wird es also keinen aumluszligeren Zielen Zwecken oder Absichten unterliegt wie es jedoch bei
festgelegten bdquoBasiskompetenzenldquo (bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo) eines bdquoBildungsstandardsldquo der Fall
waumlre17 Hinzu kommt der weitere Aspekt von Freiheit im Spiel wonach das Spiel ein selbstgesteuer-
ter Prozess mit offenem bdquoAusgangldquo ist dessen Wirkungen eben nicht planbar oder voraussagbar
also nicht standardisierbar und determinierbar sind Diese Qualitaumlt von Freiheit im Spiel ergibt sich
nun aus den unverfuumlgbaren Momenten des freien Spiels wie dem Augenblick der Instabilitaumlt der
Kreativitaumlt und Phantasie der Spontanitaumlt und Unordnung dem Unsinn und Zufall Diese zugleich
auch wesentlichen Antriebskraumlfte des Spiels koumlnnen sich wie bereits im Kapitel bdquo14 Moment der
Ambivalenzldquo (S 11-13) naumlher beschrieben nur in einem Entwicklungsspielraum mit reichhaltigen
Erfahrungsmoumlglichkeiten und mit dem erlaumluterten Spannungsverhaumlltnis ergeben Sie tragen dann
aber auch die unermesslichen Potentiale fuumlr Emergenz mit dem Prinzip des Lebendigen in sich
woraus sich seine Offenheit fuumlr Neues im Sinne der Weiterentwicklung von Leben ergibt
An dieser Stelle moumlchte ich ergaumlnzend zu meiner eher phaumlnomenologischen Wesensauffassung von
freiem Spiel einige Beispiele skizzieren wie sich die Einuumlbung von Kompetenzen durch freies Spiel
aus psychologischer Sicht vollzieht
Die im Hessischen Bildungsplan intentional geplanten Basiskompetenzen und Lernziele wie bei-
spielsweise Kreativitaumlt Abstraktionsvermoumlgen Empathie oder Flexibilitaumlt in Denk- und Vorstel-
17 Vgl dazu Kapitel bdquo11 Das Moment der Freiheitldquo in dieser Arbeit S 7f
19
lungsvermoumlgen ergeben sich im Spiel als bdquoNebeneffektldquo Das Kind vollzieht naumlmlich im Spiel fuumlr
seine Entwicklung entscheidende Bildungsprozesse selbsttaumltig intrinsisch motiviert und in der bdquoDo-
sisldquo die es bedarf Dabei von groszliger Bedeutung ist der vom Kind entwickelte eigene Lernmodus
der sich maszliggeblich an der individuellen Leistungsfaumlhigkeit und den persoumlnlichen Beduumlrfnissen ori-
entiert Hierfuumlr benoumltigt jedes Kind einen eigenen Entwicklungsspielraum
bdquo[Der] sollte Heranwachsenden die vielfaumlltigsten auch selbsttaumltig inszenierten Erfah-rungsraumlume bieten um sich - wie es Johann Heinrich Pestalozzi nannte - an Kopf Herzund Hand bilden zu koumlnnen moumlglichst frei von Furcht und Zwang Sinnesbildung Koumlr-perbildung und geistig-seelische Bildung sollten dabei gleichermaszligen zur Entfaltungkommenldquo (Rittelmeyer 2007 S 7)
So initiieren Kinder beispielsweise in ihren Rollenspielen eigentaumltige Bildungsprozesse indem sie
sich im spontanen Spiel in die Perspektive anderer Menschen versetzen und eigenes Handeln fuumlr
aumlhnliche Lebenssituationen uumlben Oder sie erproben sich im Spiel mit verschiedenen sozialen Rol-
len zB im Rahmen gesellschaftlicher Verhaltensstandards indem ein von Geschichten aufgenom-
menes oder durch elterliche Kommentare an die Kinder herangetragenes Ideal (bdquoTapferkeitldquo bdquoGe-
schwisterliebeldquo bdquoFreundschaftldquo bdquoHilfsbereitschaftldquo etc) mit der persoumlnlichen Wirklichkeit vertraut
gemacht wird Dieses Erproben entspricht zB einer Bewusstseinsbildung im Hinblick auf (solche)
gesellschaftlichen Rollenerwartungen
bdquo[Oder] im Symbolspiel das ein Houmllzchen zur Mutterʻ oder zum Autoʻ werden laumlsstuumlben Kinder die Faumlhigkeit im Hinblick auf gegebene Phaumlnomene verschiedene Per-spektiven entwickeln zu koumlnnen also mit Kreativitaumlt oder Phantasie auf Erscheinungender aumluszligeren Welt zu reagierenldquo (ders S 17)
Es ist schwierig zu sagen welche Kompetenzen genau aus eigentaumltigen Bildungsprozessen im Spiel
entstehen da Resultate aus diesen Erfahrungen wiederum von diversen Faktoren abhaumlngig sind
Maszliggebliche Faktoren sind dabei die uumlberaus verschiedenen biografischen Erfahrungen der Kinder
und dass die letztliche Erfahrungsgewichtung durch ihre Individualitaumlt verschieden zum Tragen
kommt
Da aber jedes Lernen immer individuumsbezogen dh vom Kind abhaumlngig ist hat dieser Umstand
auch fuumlr die geplant-initiierten Lernangebote Geltung sofern derartige von auszligen angestoszligene
Lernangebote uumlberhaupt in den lernenden Kindern auf Resonanz stoszligen
Es duumlrfte kaum anzuzweifeln sein dass wie im Beispiel des spontanen von den Kindern selbst initi-
ierten Rollenspiels Rollenhandeln und soziale Empathie eingeuumlbt und fuumlr eigenes Handeln erprobt
werden Ebenso werden durch Symbol- oder Rollenspiele die Phantasie und Kreativitaumlt vielfaumlltig
angeregt die Beobachtungsgabe und das Vorstellungsvermoumlgen ausgepraumlgt Daraus kann sich wie-
20
derum das Abstraktionsvermoumlgen entwickeln und die Kinder bilden mit zunehmenden Perspekti-
venwechseln eigene Vorstellungen und Uumlberzeugungen aus Indem naumlmlich Spielende in ihre selbst
konstruierte bdquoScheinweltldquo gaumlnzlich bdquoeintauchenldquo nehmen sie auf zuvor vielfaumlltig beobachtete und
erlebte Situationen Bezug Erst spielen sie das Erlebte nach und bdquodurchlebenldquo es dabei spielerisch
immer wieder bis sich ein tiefgruumlndiges Verstaumlndnis uumlber die erlebte Situation gebildet hat Allmaumlh-
lich wird dann durch die eigene Ausgestaltung des Rollen- oder Symbolspiels das wahrgenommene
Phaumlnomen zunehmend abstrahiert und Kinder beginnen vielfaumlltige eigene Vorstellungen dazu zu
entwickeln Freies Spiel entspricht also eigentaumltiger Lebenswelterfahrung und -aneignung und ihr
Bildungsgehalt scheint dabei fast unermesslich groszlig zu sein (vgl ders S 7-17 und S 135-137)
Es wuumlrden sich also durch freies Kinderspiel ganz unterschiedliche und auch bdquoneueldquo Kompetenzen
mit ganz individuellen Auspraumlgungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten bilden Diese Aspekte ma-
chen aber eine vergleichende Leistungserhebung quasi unaussagekraumlftig bzw koumlnnten einen deter-
minierten bdquoBildungsstandardldquo insofern bdquogefaumlhrdenldquo als dass das Spiel als kreative geistig-emotio-
nale Weltzuwendung immer einen offenen bdquoAusgangldquo hat dh nicht vorhersagbar ist Das Zulassen
von freiem Spiel steht somit im Interessenskonflikt mit den oben genannten politischen Absichten
weshalb dem freien Spiel ein generelles Misstrauen gegenuumlber gebracht wird Dies fuumlhrt letztlich
konzeptionell dh durch die Einfuumlhrung und Umsetzung von bdquoBildungsstandardsldquo zur zunehmen-
den Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
Inwiefern die angenommene Verdraumlngung von freiem Kinderspiel auch paumldagogisch motiviert sein
kann soll im folgenden Abschnitt untersucht werden
24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Die Autorinnen und Autoren sehen Kinder einerseits als kompetente selbstbestimmt taumltig werdende
Wesen an und deuten die Bildung und das Lernen zwar als soziale Prozesse die sich im Dialog zwi-
schen Kind und Erwachsenem vollziehen koumlnnen Andererseits verweisen sie aber darauf dass die
Qualitaumlt dieser Prozesse wiederum von auszligen dh von einem Erwachsenen gesteuert und mode-
riert werden sollen (vgl Hessisches Sozialministerium Hessisches Kultusministerium 2007 S 20-
21) Die Steuerung der Bildungs- und Lernprozesse wird versucht zu rechtfertigen indem auf aktu-
elle neurowissenschaftliche Befunde verwiesen wird die dem kindlichen Gehirn ein enormes Ent-
wicklungs- und Lernleistungsvermoumlgen zuschreiben welches wenn es nicht genuumltzt wuumlrde einem
bdquoBildungsversaumlumnisldquo gleichkaumlme und nur schwer wieder aufzuholen sei (vgl dies S 20- 24)
bdquoJe reichhaltiger aumluszligere Lernreize sind desto mehr effiziente neuronale Netzwerke
21
(Synapsen) bilden sich heraus die fuumlr die Verarbeitungskapazitaumlt des Gehirns und seineLernfaumlhigkeit im spaumlteren Leben bedeutsam sind Im Entwicklungsverlauf eines jedenKindes gibt es optimale Zeitraumlume fuumlr grundlegende Lernschritte (zB ZweitspracheRaumorientierung elementares mathematisches Denken Interesse an Naturwissen-schaften aumlsthetisches Verstaumlndnis Entwicklung der Musikalitaumlt) Solche Zeitfenstergibt es auch noch im Laufe der weiteren Bildungsbiografie Dennoch gilt es diese sen-siblen Phasen bereits durch fruumlhe Bildung offensiv zu nutzen [sic] Je solider und brei-ter die Basis aus jener Zeit desto houmlher ist die Wahrscheinlichkeit dass das Kind danachaktiver und leichter lernt Fruumlhe Bildungsversaumlumnisse sind nur schwer aufholbarldquo(dies S 24)
Die programmatische Paumldagogisierung von Spiel die die bdquoGrenzen zwischen der herkoumlmmlichen
Trennung von Freispielprozessen und geplanten Bildungsprozessen zunehmendldquo (dies S 30) ver-
wischen soll ist vor dem Hintergrund Bildung als Produkt einer offensiven Nutzung der sensiblen
Lernzeitfenster anzusehen (vgl dies S 23-24) und wiederum von seiner politischen Motivation
mit dem Wettlauf um Konkurrenzfaumlhigkeit sowie der Weiterfuumlhrung einer in der Gesellschaft durch-
gesetzten und der Wirtschaft dienlichen Wissenshierarchie in Verbindung zu bringen Folglich fuumlhrt
die im Bildungs- und Erziehungsplan programmatisch angewiesene Funktionalisierung des Spiels
zum bdquospielerischen Lernenldquo letztlich paumldagogisch motiviert zur zunehmenden Verdraumlngung des frei-
en (Kinder)Spiels denn dieses wird als zu zeitintensive Taumltigkeit angesehen Freispiel darf zwar
laut Plan auch enthalten sein es bdquomuss jedoch im angemessenen Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlten ste-
henldquo (dies S 31) weshalb es wegen des bdquoLernfensterdrucksldquo (vgl Dies S 23-24) zum bdquospielen-
den Lernenldquo umfunktionalisiert werden soll (vgl dies S 30-31) um wegen seiner bildenden Po-
tenzen dann als Lernbeschleunigung dem Lernziel (bdquoBildungserfolgldquo) dienbar gemacht zu werden
Das Freispiel soll konzeptionell auf zwei Wegen zu bdquospielendem Lernenldquo qualitativ aufgewertet
werden Zum einen indem aus Spielprozessen Projekte hervor gehen mit der Bedingung dass das
Spielgeschehen zunehmend von der Projekttaumltigkeit durchdrungen wird Und zum anderen koumlnnen
bdquo[]im Rahmen von Projekten [hellip] Freispielphasen enthalten sein in denen sich dieKinder weiterhin mit dem Projektthema allein oder mit anderen auseinandersetzen DieQualitaumlt der Freispielprozesse laumlsst sich durch gezielte Unterstuumltzungsmaszlignahmen erhouml-henldquo (dies S 30 Herv MG)
Wenn also Freispielphasen eingeplant werden dann unter der Bedingung dass im bdquoSpielldquo die Pro-
jektthemen wieder aufgegriffen werden In beiden Varianten wird aber die Qualitaumlt des Spiels zu-
mindest im Bezug auf das Erreichen des Lernzieles angezweifelt weshalb ein gezieltes Einwirken
der Paumldagogen kontinuierlich angedacht ist
bdquoDie Houmlhergewichtung des elementaren Bildungsauftrags hat zur Konsequenz dasssich das beilaumlufige Lernen der Kinder im Spiel zum spielerischen Lernen hin entwickeltDem Spiel wird mehr systematische Begleitung und didaktische Aufbereitung
22
zuteilldquo(dies S31 Herv MG)
Das demnach angedachte bdquoFreispielldquo soll folglich auch kein freies natuumlrliches Spielen sein selbst
wenn sich Kinder angetan von den Projektinhalten im freien Spiel beginnen selbsttaumltig im Rah-
men dessen auseinanderzusetzen Solches Geschehen wuumlrde durch paumldagogisches Einwirken auf
das Lernziel hin gelenkte Taumltigkeit werden es soll durch Erwachsene zum bdquospielerischen Lernenldquo
hin entwickelt werden Ebenso kann auch ein anfaumlngliches Spiel nie als solches bestehen bleiben
Die Houmlhergewichtung des institutionellen bdquoBildungsauftragsldquo bewirkt in beiden Faumlllen dass der
scheinbar gewaumlhrte bdquoSpielraumldquo zur zielorientierten Lerntaumltigkeit wird weshalb (freies) Spiel ver-
draumlngt wird und zunehmend in Projekttaumltigkeit muumlndet Erst dann hat Spiel einen qualitativen Nut-
zen im Sinne des Bildungs- und Erziehungsplans Deshalb haben Spielen und Lernen auch nach An-
sicht und Position des Bildungsplanvorhabens in einem besonderen Verhaumlltnis zueinander zu stehen
welches Paumldagogen zu sichern haben
bdquoFreispiel ist wichtig muss jedoch im angemessenem Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlt stehendie die Erwachsenen planen und initiieren[]ldquo (ebd Herv MG)
Denn Lernaktivitaumlt sollte nach Meinung der Autorinnen und Autoren wenn sie vom Kind ausgeht
letztlich durch Erwachsene zielfuumlhrend gelenkt werden
Diese Qualitaumlt steigernden Unterstuumltzungsmaszlignahmen und das angestrebte Verhaumlltnis von Spielen
und Lernen stehen im einzelnen mit den Wesensmomenten des freien Spiels in Widerspruch Im
freien Spiel sind die Spielinhalte die sich spielende Kinder selbst auswaumlhlen vorwiegend alltagsbe-
zogen und als diese individuell meist sehr unterschiedlich Kinder begegnen im Spiel also Themen
die ihr Interesse durch erlebte oder beobachtete Situationen geweckt haben Diese eigens initiierten
Spielideen koumlnnen wie oben skizziert diverse Funktionen (zB bildendes Erproben) als Nebenef-
fekt haben Aber im Sinne des Spiels als bdquofreie Zeitgestaltungldquo draumlngt das Kind eher nach sinnvoll
erfuumllltem Leben durch erstrebtes lustvolles Spielen mit ganzheitlichem Lebensweltbezug als nach
einer von auszligen das Spiel deformierenden oder domestizierenden Systematik und Didaktik Es ist
anzunehmen dass diese fehlende bdquoBe-friedigungldquo des Spielbeduumlrfnisses ihre praumlgenden Anpas-
sungsspuren in den Kindern hinterlaumlsst und sie wahrscheinlich unzufrieden macht Zusaumltzlich duumlrf-
ten diese Umstaumlnde dem Lernen allgemein auch eher abtraumlglich sein
Es besteht also ein ganzheitlicher Bezug zum eigenen Leben wenn durch die Freiheit zum Spiel
ganz individuelle Themen zur Spielidee werden und bdquoihren Laufldquo nehmen Das heiszligt die jeweilige
Initialidee wird im weiteren Spielverlauf staumlndig veraumlndert werden und folgt dabei gerade eben
nicht der bdquoLogikldquo der buumlrgerlichen Erwachsenenwelt Diese bdquoLogikldquo wird aber im Bildungsplan fo-
23
kussiert In ihm ist die Annahme enthalten dass Kinder wie Forscher ihre Umwelt erkunden und
nun im Zuge der Aufwertung des Spiels zum bdquospielerischen Lernenldquo durch paumldagogisches Hinwir-
ken sich das bdquospielendeldquo Kind in reflektierender Betrachtungsweise Kausalzusammenhaumlnge und
Gesetzmaumlszligigkeiten des zu untersuchenden bdquoGegenstandesldquo erschlieszligen bzw davon ableiten soll
(vgl dies S 20 27-28 30-31) Spiel ist aber nur dann Spiel wenn es ein eigenes fortwaumlhrendes
kreatives und spontanes Eingehen auf die Anregungen der aumluszligeren Spielszenerie ermoumlglicht (vgl
Kapitel bdquo14 Das Moment der Ambivalenzldquo S 11ff sowie Rittelmeyer 2007 S 136) Innerhalb
dessen orientiert sich die Spiel gestaltende Taumltigkeit des Kindes hauptsaumlchlich an den eigenen Be-
duumlrfnissen und nicht an Vorgaben von auszligen Deswegen kann auch nicht alles Spiel sein das waumlre
Willkuumlr und nicht Geschlossenheit (vgl Kapitel bdquo15 das Moment der inneren Geschlossenheitldquo S
13) Und um seiner inneren Zweckmaumlszligigkeit moumlglichst dienlich zu sein bleibt es auch stets unver-
fuumlgbar Darin gibt es keine absolute Eindeutigkeit (zB ein Lernziel) mit zielgerichtetem Streben
nach zukuumlnftiger Befriedigung Spiel ist jetzt ist gegenwaumlrtig angestrebtes erfuumlllendes Erleben von
frei gestalteter Zeit Nur so koumlnnen sich alle weiteren Wesensmomente und ihre ua auch hoch ef-
fektiv bildenden Potenziale ergeben und individuell entfalten Solches Spiel waumlre aber von Vielfalt
Spontanitaumlt Uumlberfluss Instabilitaumlt Kreativitaumlt oder auch vom ihm eigenen Unsinn gepraumlgt Sicher-
lich erschlieszligen sich dem Kind dabei diverse Kausalzusammenhaumlnge und aus Einzelphaumlnomenen
wird es ableitend Gesetzmaumlszligigkeiten erfahren die sich in diesem informellen Lernprozess dann als
Wissen Kenntnisse Fertigkeiten oder auch Kompetenzen verinnerlichen Aber diese (Neben)Effek-
te wuumlrden nie zielfuumlhrend oder leitend das Spielgeschehen formen bzw antreiben
Dem natuumlrlichen freien Spiel steht das bdquospielerische Lernenldquo auch im Bezug auf die im Spiel er-
schaffene Phantasiewelt (vgl Kapitel bdquo13 Das Moment der Scheinhaftigkeitldquo S 10) entgegen
Denn diese zeichnet sich gerade dadurch aus dass sie sich von den bdquoObjektenldquo der Umwelt loumlst
vom Faktischen enthoben ist und durch Phantasie zu bdquoNeuemldquo zu Symbolischem werden laumlsst Und
somit das symbolische bdquoAls-obldquo Spielgeschehen ermoumlglicht Das Spiel wuumlrde sich also notwendi-
gerweise von der Projekttaumltigkeit oder ihren faktischen Inhalten loumlsen muumlssen um sich in dieser
Phantasiewelt mit seiner Spielhandlung zwischen Zufaumllligem und Notwendigem bewegen zu koumln-
nen Mit der daraus entstehenden Gegenwaumlrtigkeit schloumlssen sich alle weiteren Momente zu ihrer
bdquofunktionalenldquo Kette zusammen Auch der zeitliche Rahmen in dem sich das freie Spiel nun bewe-
gen wuumlrde ist unvorhersehbar Es ist also wahrscheinlich dass das Spielgeschehen uumlber den von
Erziehern eingeplanten bdquoFreispielzeitraumldquo hinweg andauern koumlnnte und deshalb von auszligen durch
die Paumldagogen abgebrochen werden wuumlrde Der bdquoinneren Unendlichkeitldquo des Spiels wuumlrde dies so-
mit ein abruptes Ende bereiten Dem zirkulaumlrem Charakter des Spiels steht noch ein weiterer Aspekt
24
entgegen Naumlmlich dass die Wiederholungen der Spielhandlung nicht aus systematischer oder di-
daktischen bdquoAufbereitungldquo erzeugt werden koumlnnen sondern dass sie wie Rolf Oerter in bdquoZur Psy-
chlogie des Spielsldquo beschreibt mit lustvollem Erleben in Verbindung zu bringen sind und demnach
eher dem Lustprinzip folgen als dem rationellem Realitaumltsprinzip (vgl Oerter 2007 S 9 12 14f
18-21)
Einzelne Momente fuumlr bdquospielerisches Lernenldquo zu erzeugen bzw sie diesbezuumlglich abzuwandeln
kann also nicht mehr mit dem natuumlrlichen freiem Spiel in Verbindung gebracht geschweige denn
damit gleichgesetzt werden Das daraus resultierende bdquoSpielenldquo kann demnach auch nicht dem Be-
duumlrfnis oder Drang nach Spiel entsprechen welches Kinder ganz offenkundig haben Das Spiel im
Sinne des Bildungsplanes gleicht in seiner angedachten Form eher bdquodomestiziertenldquo Spiels das in
einzelne Wesensmomente zerrissen ist um als didaktische bdquoListldquo geplant initiiert zu werden Somit
wird durch die verkuumlrzte Auffassung von Spiel als Mittel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo bei
gleichzeitiger Verkuumlrzung echter Spielzeit die zunehmende Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels
im Bildungsplan programmatisch angegangen bzw angeordnet wodurch die dieser Arbeit zugrunde
liegende Annahme bestaumltigt wird
3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
Die Reformpaumldagogik hat zB durch Ellen Key Johann Heinrich Pestalozzi oder Maria Monterssori
Konzepte wie Jena-Plan das der Sudberry Valley School oder der Freien Demokratischen Schulen
inspiriert Innerhalb deren Konzeptionen findet auch die kindliche Lebenswelt ohne sie romantisch
zu verklaumlren ihren anerkennenden Platz und wird als vollwertiger Lebensabschnitt beachtet Ihre
aumlhnlichen Bildungsansaumltze enthalten vielfaumlltigste Anreize und Formen vernuumlnftiger Bildungsideen
mit ganzheitlichem Menschenbild und echtem Lebensweltbezug Das bedeutet auch fuumlr eine Institu-
tion um mit Ellen Key zu sprechen Bildung vom Kind aus zu denken
Exemplarisch moumlchte ich im Folgenden diese Bildungsvorhaben und ihre fuumlr die Kinder bereiteten
Entwicklungsspielraumlume an Hand der Freien Demokratischen Schulen skizzieren Der Ausgangs-
punkt dieser Schulen ist der Kerngedanke dass sich durch Eigeninitiative selbstverantwortete Bil-
dung und freies Spiel nicht abstoszligend gegenuumlber stehen sondern dass beide den Beduumlrfnissen des
Kindes entspringen und das Kind deshalb je nach seiner Beduumlrfnislage seine Aktivitaumlten diesbezuumlg-
lich selbstorganisiert Zwar sind auch Freie Demokratische Schulen als Institution leider kein wirk-
licher bdquoorganischerldquo Teil der Lebenswelt von Kindern sondern immer nur von auszligen angebotene in-
tentionale Konstrukte die aber in diesem Fall den individuellen Entwicklungsspielraum der Kinder
25
versuchen zu schuumltzen bzw bereitzuhalten Somit wird jedem Kind sein eigener Freiraum der ihm
spontanes freies Spiel ermoumlglicht bereitet ohne es in irgendeiner Form zu verzwecken oder zu ka-
nalisieren Einige Konzepte solcher Schulen greifen auch die Kindheit als gesellschaftlichen Status
hervorbringende Begebenheit auf naumlmlich dass durch die alltaumlgliche Erwerbstaumltigkeit der Erwach-
senen die Kindheit entsteht und zwar als davon getrennter Lebensbereich Verschiedene Versuche
zB durch (Land)Schulheime oder selbst initiierten Lernvereinbarungen zielen darauf ab die ge-
trennten Lebensrealitaumlten von Kindern und Erwachsenen wieder mehr zur Uumlberschneidung zu brin-
gen Die daraus entstehenden freiwilligen Erfahrungspartnerschaften werden eigenverantwortlich
von den Beteiligten (Schuumller und Lehrer) nach ihren Beduumlrfnissen Vorstellungen und Wuumlnschen
gemeinsam gestaltet Es kann also keinen einheitlichen Lehrplan geben und es kann auch keinen
bdquoMethodenkofferldquo als Handreichung des Ministeriums geben der Anwendung finden soll Aber
falls es von den Schuumllern gewuumlnscht wird bzw falls es von ihnen als vernuumlnftig fuumlr die Umsetzung
des Vorhabens angesehen wird kann sich der Lehrer sinnvollerweise durch methodische oder di-
daktische bzw besser mathetische Aufbereitung unterstuumltzend einbringen Die Schuumller entwickeln
also selbst wie sie lernen und was sie lernen Dabei treffen sie nicht maszliggeblich ihre Auswahl aus
bereits bestehenden Angeboten sondern sie koumlnnen ihre Beschaumlftigungs- bzw Lerngebiete voumlllig
frei waumlhlen und initiieren Jede Beschaumlftigung wird dabei als wertvoll und lehrreich erachtet sei es
das Lesen das Experimentieren das freie Spielen oder das Teilnehmen an einem Unterrichtskurs
Die Schuumller entscheiden auch wann sie lernen Sie legen damit den gesamten zeitlichen Rahmen
fest innerhalb dessen sie sich mit ihrem eigenem Lerngebiet beschaumlftigen wollen Dies betrifft die
Tageszeit und den Gesamtzeitraum der Taumltigkeit aber vor allem auch das Alter in dem sie sich ent-
schlieszligen sich mit einer Thematik zu befassen So entschlieszligt sich zB ein neunjaumlhriges Kind Lesen
zu lernen wo ein fuumlnfjaumlhriges bereits damit begonnen hat Dabei waumlre es nicht ungewoumlhnlich dass
diese beiden Leseinteressierten sich zusammenschlieszligen und eine Lerngruppe initiieren um sich
gemeinsam dem Lesen lernen zu widmen Auch liegt es in der Verantwortung der Kinder wie inten-
siv sie sich mit dem gewaumlhlten Thema auseinandersetzen wollen Um all dies zu planen und umset-
zen zu koumlnnen sind die Lehrer wie beratende Helfer kontinuierlich fuumlr die Kinder da und die Kin-
der sind sich nie selbst uumlberlassen Somit schafft das Vertrauen der Lehrer in die Schuumller Vertrauens-
wuumlrdigkeit und die Kinder koumlnnen sich sicher und geborgen fuumlhlen um sich moumlglichst ohne Angst
in dieser Freiheit ganz nach ihren Beduumlrfnissen der Welt zuzuwenden Diesen Freiraum zum Entde-
cken und Spielen bezeichnen die Sudberry- bzw die Demokratischen Schulen als Lernfreiheit und
er ist eine der beiden Grundsaumlulen des Bildungskonzepts Die zweite Saumlule ist von organisatorischer
Natur und konstatiert den Lernort als egalitaumlres System in dem Schuumller und Lehrer in verschiede-
nen Gremien Komitees und Aumlmtern gleiche Einflussmoumlglichkeiten Pflichten sowie Rechte besit-
26
zen (vgl Schiffner 2007 S 8-15)
Peter Gray emeritierter Professor fuumlr Psychologie des Boston College erklaumlrte in einem Vortrag in
Berlin 3122012 die Grundlagen dieses bdquoErziehungsldquo Ansatzes18 Er nennt ihn Vertrauensvolle Er-
ziehung (Trustful Parenting) bdquoVertrauensvolle Erziehung basiert auf der Annahme dass Kinder von
Natur aus widerstandsfaumlhig kompetent sozial und selbstgesteuert sindldquo (Gray 2012 S 1) Daraus
ergibt sich dass Kinder ihrem Beduumlrfnis nach selbst entscheidend entdecken und spielen Es obliegt
ihrer Entscheidung Risiken einzugehen und dabei auch evtl eigene Fehler zu machen Entwick-
lungsvergleiche (auch keine Lernleistungsvergleiche) liegen dieser Ansicht fern Erziehung versucht
demnach Entwicklung nicht zu lenken sondern zu unterstuumltzen sodass Kinder ihre eigenen Ziele
verwirklichen koumlnnen Sie entwickeln dabei Eigeninitiative und uumlbernehmen Selbstverantwortung
in der Gemeinschaft Die Erwachsenen stellen dazu lediglich den aumluszligeren bdquoRahmenldquo her der fuumlr ein
gesundes Heranwachsen erforderlich ist (vgl Grey 2012 S1 ff) Deshalb ist dieser Ansatz auch
nicht als eine vernachlaumlssigende Haltung zum Kind anzusehen sondern ganz im Gegenteil die
bdquoErziehendenldquo senden den Kindern folgende Botschaft
bdquoDu bist kompetent Du hast Augen und ein Gehirn und du bist in der Lage Dinge her-auszufinden Du kennst deine eigenen Faumlhigkeiten und Grenzen Durch Spielen und Er-forschen wirst du dir aneignen was du wissen musst Deine Beduumlrfnisse werden gewuumlr-digt Deine Meinung zaumlhlt Du bist fuumlr deine Fehler selbst verantwortlich und man kanndarauf vertrauen dass du aus ihnen lernst Das Sozialleben zeichnet sich nicht durchWillenskaumlmpfe aus sondern vielmehr dadurch einander so beizustehen dass alle dasbekommen was sie brauchen und sich am meisten wuumlnschen Wir sind auf deiner Seitenicht gegen dichldquo (ders S1)
Interessant finde ich Peter Grays historischen Bezug den er zur Vertrauensvollen Erziehung her-
stellt Er belegt naumlmlich mit verschiedenen wissenschaftlichen Studien zu Jaumlger- und Sammlerkultu-
ren dass dieser Erziehungsstil bis zum Einsetzen der Landwirtschaft (vor ca 10000 Jahren in Asi-
en) der vorherrschende war und dass die Menschheit zu 99 Prozent ihrer gesamten Geschichte (ca 1
Millionen Jahre) Jaumlger und Sammler waren (vgl ders S 1-3)
4 Zusammenfassende Gedanken
Die anfaumlngliche Spielbegriffseingrenzung im ersten Teil dieser Arbeit verdeutlichte dass das Spiel
nicht nur von elementarer Bedeutung fuumlr ein gesundes Aufwachsen fuumlr Koumlrper und Psyche der Kin-
der ist obwohl das freie (Kinder)Spiel die dafuumlr wohl geeignetste Lebenstaumltigkeit darstellt Dem
18 Vgl Gray Peter (2012) Trustful Parenting May Require an Alternative to Conventional Schooling (Vertrauensvol-le Erziehung macht unter Umstaumlnden eine Alternative zum konventionellen Schulsystem noumltig) httpwwwting-schuledeindex_htm_filesPeter20Gray20_20Trustful20parentingpdf (Zugriff 260315)
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natuumlrlichen (Kinder)Spiel als geistig-kreative Weltzuwendung liegen viel urspruumlnglichere Wurzeln
zu Grunde weshalb sich durch freies Spiel die Sinne der Koumlrper und auch der Geist als bdquoNebenef-
fektldquo beilaumlufig bilden und entwickeln Naumlmlich wie das bdquoMenschsein kein Zweck etwa des Lebens
sondern das Leben selbst istldquo (Kamper 1976 S 141) ist das (Kinder)Spiel auch kein findiger
Zweck des Lebendigen sondern gelebte Lebendigkeit und damit zwecklos (vgl ebd) bdquoDarauf und
nur darauf bezieht sich Schillers Wort dass der Mensch nur spielt wo er in voller Bedeutung des
Wortes Mensch ist und nur da ganz Mensch ist wo er spieltldquo (ebd) Somit stellt das Spiel das Prin-
zip des Lebendigen dar dies herauszuarbeiten und phaumlnomenologisch be-greifbar zu machen war
Ziel des ersten Teils dieser Arbeit Ich beabsichtigte darin ein Verstaumlndnis dafuumlr zu bilden dass das
(Kinder)Spiel als Modus von Freiheit im bdquoSpannungsfeld Lebenldquo die Wesenskraumlfte der Evolution
den Zufall die Spontanitaumlt und die Kreativitaumlt als eigene Triebkraumlfte in sich traumlgt und im freien
selbst initiierten Spielgeschehen zur Entfaltung bringt Als dieses Urprinzip ist das freie natuumlrliche
Spiel dem Menschen - homo ludens - und deshalb auch den Kindern ein Beduumlrfnis Deshalb fuumlhrt
durch Spiel gestaltete Zeit als erstrebte wesensgemaumlszlige Taumltigkeit zu Lebenszufriedenheit Und nur
dann traumlgt es seine Potenziale der Sinnesbildung Koumlrperbildung und geistig-seelischen Bildung so-
wie die Moumlglichkeit unvorhersehbarer Emergenzen in sich Und als solcher freier Ausdruck von Le-
bendigkeit ist deshalb Spiel fuumlr ein Kind innerhalb eines erfuumlllten Daseins grundlegend und zu ach-
ten bzw anzuerkennen
Im zweiten Teil wurde einsteigend die im derzeitigen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
vertretene Auffassung von Spiel erlaumlutert und der Plan wurde auf seine moumlgliche politisch- und paumld-
agogisch motivierte Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel untersucht Es konnte dargelegt werden
dass der Spiel(zeit)raum aufgrund des Interessengegensatzes von Kind und Staat kontinuierlich ein-
gekuumlrzt wird und zur zunehmenden Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel fuumlhrt um die politischen
Programme bdquoVerbesserung der Bildungschancenldquo und bdquoChancengleichheitldquo durchzusetzen Die da-
mit verwirklichten politischen Ziele und die Umsetzung einheitlicher Bildungsstandards haben da-
bei einerseits den Zweck die fuumlr die Wirtschaft dienliche und in der Gesellschaft mit Schule durch-
gesetzte Wissenshierachie fortzufuumlhren Und andererseits sollen diese Jahrgangssortierungen durch
internationale Tests wie PISA uauml als Standortfaktor im Wettkampf um Konkurrenzfaumlhigkeit auf ei-
nem globalisierten Markt Wirtschaftsstandort sichernd eingesetzt werden
Die Annahme dass es durch die Einuumlbung von vermeintlichen also dem Zeitgeist entsprechenden
bdquoGrundkompetenzenldquo bzw bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (als Bildungsstandards) zur zunehmenden
Verdraumlngung von freiem Spiel kommt konnte dadurch bestaumlrkt werden dass auf Grundlage eines
verkuumlrzten Spielbegriffes das freie (Kinder)Spiel durch paumldagogisches Einwirken in bdquospielerisches
28
Lernenldquo umfunktionalisiert und dadurch echte Spielzeit zunehmend eingekuumlrzt wird Der Zweck ist
dabei das (Kinder)Spiel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo als bdquoLernmotorldquo der Kinder innerhalb
des bdquoLernfensterdrucksldquo dem Lehrapparat dienstbar zu machen
Im dritten Teil dieser Arbeit wurde anhand der Demokratischen Schulen kurz skizziert wie institu-
tionelle Bildung die freies Spielen wirklich gewaumlhrleistet gelingen kann Leider stehen die Schulen
in freier Traumlgerschaft zu denen die Freien Demokratischen Schulen zaumlhlen in Deutschland vor be-
sonderen behoumlrdlichen Genehmigungsbarrieren und unzureichender oumlffentlicher Finanzierung was
ihre Realisierung maszliggeblich erschwert oder ganz verhindert Auch darin kann eine Verdraumlngung
bzw Verhinderung des freien Spiels gesehen werden
Die Verdraumlngung des freien Kinderspiels ist aus zweierlei Gruumlnden nicht gut zu heiszligen ja sogar ab-
zulehnen ist Erstens ist die im Spiel als Nebenerscheinung enthaltene Einuumlbung von Grund-
kompetenzen von groumlszligter Komplexitaumlt und Vielfalt die selbst neue nicht vorhersagbare Qualitaumlten
hervorbringt die mit den Triebkraumlften der Evolution in Verbindung zu bringen sind (Emergenz)
Deshalb ist es fuumlr einen ganzheitlichen Entwicklungsspielraum der Kinder und im Sinne der Evolu-
tion unvernuumlnftig das Spiel wie im Bildungsplan beschrieben bdquoqualitativ aufzuwertenldquo um ver-
meintliche fuumlr das derzeitige Leben als unverzichtbar angenommene bdquoGrundkompetenzenldquo durch
bdquospielerisches Lernenldquo einzuuumlben Und zweitens ist das Spiel als kreative geistig-emotionale Welt-
zuwendung und damit als wesensgemaumlszlige kreatuumlrliche Taumltigkeit des Menschen den Kindern ein Be-
duumlrfnis und grundlegend fuumlr ihr gesundes Aufwachsen und Lebensgeborgenheit (Lebenszufrieden-
heit) in einem sie wahrhaft erfuumlllenden menschlichen Dasein
Bedenke ich nun die Lebenszeit die auch meine Kinder teilweise schon vor dem ersten Lebensjahr
mit haumlufig acht Stunden taumlglich in Kindertageseinrichtungen (leider nicht in einer Freien Demokra-
tischen Schule mit Primarbereich) verbrachten derzeit verbringen und spaumlter in der Schule bis min-
destens zur Erfuumlllung der Schulpflicht mit etwa 15 Jahren in der Schule verbringen muumlssen bin ich
erschrocken-besorgt und wuumltend wie dem Phaumlnomen des freien natuumlrlichen Kinderspiels und der
Bildung insgesamt im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan begegnet wird Bildung als vorran-
gig politisch-oumlkonomisches Arrangement zu sehen darin das Spiel als List zu benutzen um standar-
disiertes Lernen zu erzielen echte Spielzeit zunehmend zu verkuumlrzen ndash dieses planvolle Vorgehen
der Politik und der beteiligten Paumldagogen stellt eine Missachtung der ihnen anvertrauten Kinder mit
ihren individuellen Wuumlnschen Vorstellungen Beduumlrfnissen und ihrer ganz persoumlnlichen Lebenswelt
dar und ist ein lebensentfremdendes Vorhaben das junge Menschen von einem sie erfuumlllenden gu-
ten Leben trennt
29
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31
Eidesstattliche Erklaumlrung
Ich erklaumlre hiermit an Eides Statt durch eigenhaumlndige Unterschrift dass ich die vorliegende Arbeit
selbstaumlndig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe die aus
fremden Quellen (einschlieszliglich elektronischer Quellen und dem Internet) direkt oder indirekt uumlber-
nommenen Gedanken sind ausnahmslos als solche kenntlich gemacht
Ich weiszlig dass bei Abgabe einer falschen Versicherung die Arbeit als nicht bestanden zu gelten hat
Herold 10042015
32
- Die zunehmende Verdraumlngung des freien Kinderspiels
- im Hessischen Bildungsplan
- Einleitung
- 1 Freies Kinderspiel - Wesensmerkmale
-
- 11 Das Moment der Freiheit
- 12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
- 13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
- 14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
- 15 Das Moment der Geschlossenheit
- 16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
- 17 Zusammenfassung
-
- 2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
-
- 21 Das Spielverstaumlndnis
- 22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
- 23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
- 24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
-
- 3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
- 4 Zusammenfassende Gedanken
- Literaturverzeichnis
- Internetquellen
-
Frage was Spiel ist zielt mein Beschreibungsversuch darauf ab die Ebene der verschiedenen Spiel-
formen mit ihren Nutzen zu verlassen und in uumlbergeordneter Ebene das Spiel allgemeinguumlltiger er-
fassbar zu machen Dadurch sollen die bereits angedeuteten tieferen Zusammenhaumlnge des Spielphauml-
nomens ersichtlich werden woraus sich bdquoneueldquo Relevanzen fuumlr unsere Lebensfuumlhrung ableiten las-
sen Diese grundlegenderen Zusammenhaumlnge und die sich daraus ergebenden Konsequenzen oder
Relevanzen werden auch im Weiteren fuumlr die Argumentationslinie dieser Arbeit leitend sein
Auch Hans Scheuerls Ziel war es zunaumlchst zu einer grundlegenden Wesensbestimmung des Spiels
zu gelangen Dafuumlr unterteilte er das Spielgeschehen in sechs Wesensmomente naumlmlich in
Freiheit innere Unendlichkeit Scheinhaftigkeit Ambivalenz Geschlossenheit und Ge-
genwertigkeit (vgl Scheuerl 1990 S12-16 65-67) Aber auch durch diese Gliederung laumlsst sich
nicht bestimmt klaumlren was Spiel ist (vgl ders S 102) Daruumlber jedoch wie freies Kinderspiel
moumlglich wird gibt sein phaumlnomenologischer Deutungsversuch detailliert Aufschluss Daher wird
dieser im Folgenden kurz vorgestellt
11 Das Moment der Freiheit
Spielen geschieht nach Hans Scheuerl um seiner Selbst Willen bdquoSpiel verfolgt keinen auszligerhalb
seiner selbst liegenden Zweckldquo (Scheuerl 1990 S67)
Spiel ereignet sich somit nicht um etwas zu erschaffen zu erledigen zu verrichten zu erlernen
usw obwohl im Spiel zuhauf geschaffen errichtet gestaltet erledigt erlernt usw wird Ein Kind
das im Spiel bspw Baukloumltze aufeinander stapelt spielt dies nicht damit es einen geschickten Um-
gang damit erlernt sondern weil es Freude am lustbetonten Spielen hat Das Spielgeschehen ereig-
net sich also zweckfrei ist aber kein willkuumlrliches Ereignis oder sinnfreie Betaumltigung sondern es ist
bdquovon innerer Zweckmaumlszligigkeitldquo (ders S69) durchdrungen dh es folgt eigenen Regeln individuel-
len Absprachen Grenzen Zielen lustvollem Erleben usw und sei es beim spielenden Kind beim
Katzenjungen Fuszligballspieler oder Musiker Ihr Spiel wird stets mit Ernst und besonderem Eifer be-
trieben
bdquoSoll sein Spiel gelingen so muszlig er [der Spielende MG] sich ihm widmen koumlnnen alsgaumlbe es nichts auszliger diesem Spiel auf der Welt Eine aumlhnliche selbst- und weltvergesse-ne Hingabe verlangt das Spiel auch schon vom Kindeldquo(ders S67)
Diese voumlllige Hingabe beinhaltet Sorgenfreiheit ohne die das Spielen nicht moumlglich waumlre Die Spie-
lenden muumlssen fuumlr eine gewisse Zeit frei von ihrer unmittelbaren Lebensfuumlrsorge des bdquoDaseins-
kampfesldquo (Scheuerl) sein Dadurch entsteht ein Freiraum in Form von frei verfuumlgbarer Zeit und in
7
diesem bdquoRaumldquo ereignet sich Spiel (vgl ders S 67- 69)
Somit ist es auch kaum verwunderlich dass besonders den Nachkommen einer Art dieser besondere
Freiraum in hohem Maszlige zuteil wird Der Biologe und Anthropologe Adolf Portmann weist dazu in
einem seiner Beitraumlge zum Spiel6 darauf hin dass diese freie Zeit durch Spiel zu sinnvoll erfuumlllen-
der gestalteter Zeit (Vgl Portmann 1976 S60 vgl dazu auch S 68 und 71) wird und somit fuumlr
ein erfuumllltes Leben grundlegend sei Im Gegensatz zu einigen Spieltheorieansaumltzen7 die dem Spiel
ausschlieszliglich Erhaltungswert beimessen dient das Spiel Portmann zufolge mehr als nur dem Er-
haltungswert Aktuelle biologische Forschung hat hierzu offengelegt dass nur bei houmlheren Lebewe-
sen mit Entfaltung der Innerlichkeit im Sinne einer bdquoPsycheldquo aumluszligerlich verborgenes Erleben8 ent-
steht und dass es erst durch dieses Erleben von subjektiver Wirklichkeit (vgl Portmann 1976 S
58-61) zu bdquolustbetontem Verhalten [kommt] das nicht unmittelbar der Lebenserhaltung dient - es
begegnet uns erlebtes erstrebtes Spielenldquo (ders S60) Portmann beschreibt Spiel demnach wie
folgt
bdquoSpiel ist freier Umgang mit der Zeit ist erfuumlllte Zeit es schenkt sinnvolles Erleben jen-seits aller Erhaltungswerte es ist ein Tun mit Spannung und Loumlsung ein Umgang miteinem Partner der mit einem spielt - auch wenn dieser Partner nur der Boden ist oderdie Wand welche dem Spielenden den elastischen Ball zuruumlckwerfen Dieses Spiel setztetwas besonderes voraus einen Zeitraum ohne Sorge []ldquo (ebd)
Adolf Portmanns These dass bei houmlheren Lebewesen sinnvoll erfuumlllende Gestaltung von sorgenfrei-
er Zeit durch Spiel geschieht hat somit allgemeine Bedeutung auch fuumlr unsere eigene Daseinsfuumlh-
rung Denn
bdquo Spielʻ ist die lustvolle von Erhaltungssorge freie also zweckfreie aber sinnerfuumlllteZeitldquo (ders S 68 Herv i Orig)
bdquoVolles Leben ist nicht allein Gestaltung von Stoff von Materie Leben ist Umgang mitZeit ist Gestaltung von Zeit ist Sinngebung fuumlr leere Uhrenzeitldquo(ders S 60)
Portmann hebt das freie Spiel als gestaltete Zeit auf die Ebene der Grundbeduumlrfnisse und macht es
fuumlr ein sinnvoll erfuumllltes wahrhaft gutes Leben zur Bedingung (vgl ders S 66-72)
6 Portmann Adolf Das Spiel als gestaltete Zeit In Der Mensch und das Spiel in der verplanten Welt Hg Bayeri -sche Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1976
7 Kraftuumlberschusstheorie (H Spencer) Erholungstheorie (M Lazarus) Katharsistheorie (K Gross) Entwicklungs-psychologie (J Piaget) (vgl Kluge 1981 S 15 und 31)
8 Gemeint ist dass mit steigender Gestaltungshoumlhe der Lebewesen subjektives Erleben moumlglich ist also dass durchdas Zentralnervensystem und die Sinnesorgane reiche Umweltbeziehungen entstehen Diese Entwicklung hat sichbeim Menschen bis zur geistigen Lebensform gesteigert (vgl Portmann 1976 S 59-61)
8
12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
Kinder zeigen in ihrer Alltaumlglichkeit kontinuierlich einen Drang zum Spielen Ein Kind - und si-
cherlich nicht nur es allein - hat offenbar ein Beduumlrfnis nach freiem Spiel Scheuerl benennt diese
Begebenheit als triebhafte Tendenz zum Spiel (Vgl Scheuerl 1990 S 71) bdquoEs gibt zweifellos
einen Zwang zum Spielldquo (ebd Herv i Orig) Nach ihm muumlssen Kinder wenn sie gesund aufwach-
sen sollen sogar spielen um nicht psychisch und physisch zu erkranken Insofern kann sogar von
einem gewissen bdquoSpieltriebldquo (Vgl ders S 73) als Tendenz zum Spiel gesprochen werden Dieses
Spielbestreben weist aber letztlich ein anderes Wesen als andere menschliche Tendenzen (Triebe)
zur Beduumlrfnisbefriedigung auf und muss davon unterschieden werden Denn die letztlichen Tenden-
zen im Spiel sind keine gewoumlhnlichen Beduumlrfnisbefriedigungen durch Triebverhalten also keine de-
terminierten triebhaften Handlungen die zweck- oder zielorientiert sind Statt dessen sind sie situa-
tiv sowie individuell variabel und vor allem in sich zirkulaumlr Denn die Befreiung von Beduumlrfniss-
pannungen also dem bdquo[s]ich allen Erregungen und Drang-Erlebnissen gegenuumlber den Frieden ge-
benldquo (ders S 70) zielt auf das Ende der Spannung ab die das nicht erfuumlllte Beduumlrfnis triebhaft
ausloumlste So etwa moumlchte man zB bei Hunger oder Durst Saumlttigung bzw Stillung herbei fuumlhren
Alle triebhaften Handlungen zielen demnach tendenziell auf die Befriedigung des sie hervorbrin-
genden Beduumlrfnisses ab und somit auf ihr eigenes Ende In dieser Tendenz die sich auf das Ende
der beduumlrfnisbefriedigenden Handlung hin ausrichtet liegt nun zum Spiel der wesentliche Unter-
schied Der bdquoSpieltriebldquo will keine Befriedigung bdquoer kann nicht gesaumlttigtʻ werdenldquo (ders S 73)
Sein Initialzweck ist vielmehr die Beseitigung aller Spielhindernisse - deshalb auch triebhafte Ten-
denz zum Spiel Aber sobald eine konkrete Spielidee im Kind aufkeimt und es beginnen kann sich
entschieden und mit groumlszligtem Eifer ihr zu widmen um darin voumlllig selbst aufzugehen als ob es nur
dies Eine auf Erden gaumlbe und das Spiel niemals enden duumlrfe wird das Wesensmerkmal der inneren
Unendlichkeit erkenntlich bdquoDa ist nichts was auf ein Ende draumlngt nichts was den Zustand des
Spielens aufheben moumlchteldquo (ders S 71 )
bdquoDas Spiel kann innerhalb seines Freiraums gekennzeichnet werden als Bewegung voninnerer Unendlichkeitʻldquo (ders S74)
Ist ein Spiel erst einmal im Gange will es ewig fortgesetzt werden Es strebt seiner eigenen inneren
Unendlichkeit entgegen einem nicht endenden zirkulaumlren bdquoZustandldquo Und von da an gleicht der
bdquoSpieltriebldquo als Spielerscheinung in seiner Tendenz auch keiner zielorientierten Zweck- oder Be-
duumlrfnishandlung mehr weshalb genau genommen nicht von gewoumlhnlicher Beduumlrfnisbefriedigung
durch Triebverhalten gesprochen werden kann Das Spiel ist also dem Wesen nach eine staumlndige
Spielbewegung (Scheuerl) quasi ein Perpetuum mobile Ein Kind spielt nicht bis es das Spielen
9
satt hat oder vom Spielen uumlbersaumlttigt ist sondern es beendet erst sein Spielen wenn es durch aumluszliger-
liche Faktoren (zB Beduumlrfnisse Noumlte Verpflichtungen jeglicher Art etc) dazu gedraumlngt wird (vgl
ders S 70-77)
13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
Das frei von Zwecken und Triebdruck voumlllig in sich selbst versunkene unendliche Spiel spielende
Kind wird durch die Hingabe an die eigene Phantasie kreativ wird lebendig Die Einbildungskraft
erschafft und gestaltet eine eigene Phantasiewelt in der Form einer bdquoAls-obldquo-Realitaumlt (Scheuerl)
Die durch Spielerphantasie konstruierte bdquoScheinweltldquo (Scheuerl) nimmt dabei die Bedingungen ih-
rer Umwelt wie beispielsweise reale Gegenstaumlnde und Objekte und ihre Materialitaumlt auf und erwei-
tert diese bdquoGegenstaumlndeldquo ggf bis zum imaginaumlren rein symbolischen Spielmittel damit es der
Spielidee und ihrem Fortgang moumlglichst dienlich ist
Die gesamte Phantasiespielwelt wird somit nach eigenen Vorstellungen von nah am objekthaften
(abbildnah) bis fernab der im weitesten Sinne materiellen Realitaumlt (abstrakt) konstruiert und kann
mit eigenen Gesetzmaumlszligigkeiten und Zusammenhaumlngen gestaltet werden Die entstehenden spieleri-
schen Inszenierungen enthalten in ihrer Spielidee auch fortwaumlhrend aktuelles Geschehen und die
Eindruumlcke der Kinder dazu wodurch es auf diesem Weg zur spielerischen Auseinandersetzung da-
mit kommt So kann zB ein vom Kind miterlebtes Hochwasser in der eigenen Region zur aufge-
griffenen Spielidee fuumlhren Ein verwittertes Stuumlck Holz etwa koumlnnte dem spielenden Kind als Sym-
bol des Rettungsbootes dienen das sich mit seinen imaginaumlren Insassen in einer dramatischen Ret-
tungsaktion im Hochwassergebiet befindet In solchen Spielszenen ist haumlufig beobachtbar dass es
beim Spielen nicht um abbildhaftes realitaumltsgetreues Nachspielen des eventuell Erlebten geht Son-
dern vielmehr darum dass sich das spielende Kind aktiv im Spiel zwar mit Erlebtem auseinander-
setzt im Sinne der bdquoScheinhaftigkeitldquo und des Unendlichkeitscharakters des Spiels aber rein aus
Freude am lustbetonten gestalteten Spielen die Spielhandlung ritualhaft wiederholt In diesem Sin-
ne wuumlrden beispielsweise immer wieder Insassen aus dem Boot geschleudert die es dann aufs Neue
zu retten gaumllte wodurch das Spiel zirkulaumlr bestaumlndig zumindest solange fortdauern koumlnnte bis neue
Spielideen oder von auszligen kommende Faktoren es abloumlsen oder beenden Spielern aber auch Zu-
schauern (zB im szenischen Spiel) erscheint diese Phantasiewelt von der materiellen Realitaumlt los-
geloumlst und die uumlber den Dingen schwebende bdquoScheinhaftigkeitldquo des Spiels (Scheuerl) kann Betrach-
ter und Akteure gleichfalls in ihren faszinierenden Bann ziehen sofern ihnen der Zugang zur eige-
nen Phantasie nicht von auszligen bdquoversperrtldquo ist (vgl Scheuerl 1990 S 77- 85)
10
14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
Jeder Spielende versucht sein Spiel bestaumlndig aufrecht zu erhalten9 Dafuumlr baut er im Spiel ein
Spannungsverhaumlltnis also einen inneren bdquoSpielraumldquo als Modus von selbstregulierter Freiheit auf
Die entstehende Autonomie (Freiheit) im Spiel besteht nun in der Ambivalenz zwischen sich zufaumll-
lig ergebendem Neuen Unbekanntem oder neu Gestaltetem (zB neue Passage am Kletterfels oder
die sich staumlndig neu ergebenden Flugbahnen der jonglierten Baumllle etc) und notwendig Festgeleg-
tem Bekanntem oder Begrenzendem (zB Regeln beherrschte Kletterpassage die bestaumlndige Form
und das Gewicht der Jonglierbaumllle die eingeuumlbte Jongliertechnik etc) Der Spielende versucht da-
bei permanent sein Spiel in Balance zwischen diesen beiden bdquoPolenldquo zu halten um es einerseits
stets durch bdquoNeuesldquo interessant zu gestalten und es andererseits durch bdquoBekanntesldquo zu stabilisieren
Die Dominanz einer Seite wuumlrde das Spiel abbrechen also beenden Denn ein zu viel an Neuem
noch zu Entdeckendem wuumlrde dem Spiel ein Uumlbergewicht an Wagnis Raumltselhaftigkeit Moumlglichkei-
ten oder Schwierigkeit verleihen und ein zu viel an bereits Entdecktem Begriffenem oder Begren-
zung wuumlrde das Spiel etwa vorhersehbar und eindeutig machen oder es einengen bdquokanalisierenldquo
(Scheuerl eindimensionale Zweckhandlung) sodass jede von ihm ausgehende Spannung und Spiel-
freude verloren ginge (vgl Scheuerl 1990 S 86-90)
bdquoSo bedarf das Spiel einer maszligvollen Spannung Spannungslosigkeit waumlre der Tod fuumlrdas Spiel Andererseits wuumlrde eine zu hohe Spannung sogleich einen auf Beendigungder Spannung gerichteten Befriedigungswunsch hervorrufen der die Ambivalenz uumlber-waumlltigen muumlszligteldquo (ders S 88 Herv i Orig)
Veranschaulicht darstellen laumlsst sich diese Ambivalenz zwischen Zufall und Notwendigkeit im Spiel
auch am Beispiel des Wuumlrfelns mit einem sechsseitigem Zahlenwuumlrfel Dabei besteht der Zufall in
der Wahrscheinlichkeit mit der eine der sechs Zahlen gewuumlrfelt wird und die Notwendigkeit be-
steht darin dass eine gewuumlrfelte Zahl immer im einschlieszligenden Bereich von eins bis sechs liegen
wird Somit begrenzen die festgelegten sechs Seiten des Wuumlrfels wie eine Regel das zufaumlllige Ein-
zelergebnis und steuern quasi bdquoselbstorganisiertldquo die Konsequenzen des Zufalls wodurch er statis-
tisch moumlglich dh wahrscheinlich wird (vgl Miller-Kipp 2005 S 281-282)
Nach Gisela Miller-Kipp10 ist dieses selbstgesteuerte Spannungsverhaumlltnis von ganz urspruumlnglicher
Relevanz Sie sieht einen Zusammenhang zwischen dem bdquoSpiel der Evolutionldquo dem Modus von
Freiheit zwischen Moumlglichem und Wahrscheinlichem und dem (menschlichen tierischen) Spiel als
9 vgl dazu bdquo12 Moment der inneren Unendlichkeitldquo in dieser Arbeit S 9 f10 Miller-Kipp Gisela Zufall Selbstorganisation und Kreativitaumlt Ein Versuch uumlber die Natur des Spiels wider seine
Paumldagogisierung In Bilstein J Winzen M Wulf C (Hg) Anthropologie und Paumldagogik des Spiels Weinheimund Basel Beltz Verlag 2005 S 273-291
11
einem lebendigen Teil dessen Naturwissenschaftliche Forschungen uumlber die Evolution haben seit
fast einem Jahrhundert die dazu grundlegenden Wesenskraumlfte im Evolutionsprozess definiert Diese
Wesensmerkmale sind Kreativitaumlt und Zufall (vgl dies S 281-285) Elfriede Maria Bonet fuumlhrt in
ihrem Aufsatz zum Spiel bdquoVon Autonomie und Spontanitaumlt Eine Naturgeschichte des Spielsldquo11 aus
dass Selbstorganisation eine relative Unabhaumlngigkeit von aumluszligeren Reizen bewirkt (Autonomie)
weshalb Spontanitaumlt als Strategie zur Selbststeuerung entsteht Diese Entwicklung von Selbstorga-
nisation mit Spontanitaumlt zur Selbststeuerung bildet ihr zufolge das kreative Moment im Evolutions-
prozess welches fuumlr das Auftreten neuer nicht voraussagbarer Qualitaumlten bzw neuer bdquoFormenldquo
oder Variationen aus dem Vorhandenen entstehen laumlsst (Emergenz12) Das daraus entstehende neue
Ganze waumlre bildlich gesprochen demnach mehr als die Summe seiner einzelnen Teile (frei nach Ari-
stoteles) Da es fuumlr menschliches aber auch tierisches Verhalten charakteristisch ist dass aufgrund
von Autonomie Spontanitaumlt entsteht erkennt Bonet darin die systemische Wesensverwandheit von
Spiel und Evolution (vgl Bonet S35ff) Diese Annahme deckt sich insofern auch mit dem Stand-
punkt derzeitiger Evolutionsforschung denn darin bdquowird die Evolution der materiellen und biologi-
schen Welt als einheitlicher Prozess angesehen der nicht determiniert ist und nicht deterministisch
ndash oder im alten Sinne mechanisch ndash ablaumluft Er spieltʻ wie es heiszligt [hellip]ldquo (Miller-Kipp 2005 S
280 Herv i Orig) Daraus folgt dass die bdquonatuumlrliche ndash physikalische und biologische ndash und kultu-
relle Evolution strukturell miteinander gekoppelt [sind] laufen also weder unabhaumlngig voneinander
noch in determinierender Kausalitaumlt zueinander abldquo (ebd Herv i Orig) Das schlieszligt somit das
Spiel des Menschen als bdquoKulturfaktorldquo13 und bdquoUrprinzipldquo (Huizinga) in diesen offenen Prozess ein
denn bdquoes [das Spiel MG] wurzelt in der Natur als der natuumlrlichen (der materiellen und der biologi-
schen) Evolution und traumlgt deren Momente in sich auch im Kulturprozessldquo (Miller-Kipp 2005 S
281) Auf dieser Grundlage wird derzeit die kreative Selbststeuerung auch als ursaumlchlich fuumlr den ge-
waltigen Formen- und Artenreichtum der Natur angesehen (vgl dies S 273-285 vgl dazu auch
Bonet 1993 S 35 ff) Auf das bdquonatuumlrlicheldquo (Kinder)Spiel bezogen bedeutet dies dass auch aus
dem Spiel in seinen Formen und Funktionen heraus Emergenzen entstehen Diese neuen unvorher-
11 Bonet Elfriede Maria Von Autonomie und Spontanitaumlt Eine Naturgeschichte des Spiels In Baatz U Muumlller-Funk W (Hg) Vom Ernst des Spiels uumlber Spiel und Spieltheorie Berlin Dietrich Reimer Verlag 1993 S35- 47
12 bdquoEmergent So bezeichnet man systemische Eigenschaften die nicht aus den Komponenten eines Systems abgelei-tet oder vorhergesagt werden koumlnnen Systeme sind in erster Linie relationale Tatsachen Dinge die auf den Bezie-hungen beruhen welche die Elemente des Systems zueinander einnehmen Als solche besitzen sie Eigenschaftendie gegenuumlber den Eigenschaften ihrer Komponenten oder Elemente emergent sind Nach Luhmann ist das Sozialeeine emergente Eigenschaft und als solches nicht aus den Eigenschaften seiner Elemente der psychischen Systemeableitbar Sozialitaumlt ist eine houmlherstufige Eigenschaft die auf den Beziehungen zwischen Menschen beruht In derBewusstseinsphilosophie behauptet der so genannte Emergentismus die Emergenz von Bewusstsein Hat die Kom-plexitaumlt bestimmter biologischer Systeme einen bestimmten Grad erreicht stehen insbesondere Nervenzellen aufvielfaumlltige Weise miteinander in Beziehung so tritt in der Geschichte der Evolution Bewusstsein als emergente Ei-genschaft dieser biologischen Systeme aufldquo (bdquoemergentldquo In UTB-Online-Woumlrterbuch Philosophie)
13 Huizinga geht davon aus dass Kultur (Sprache Gemeinschaftsleben Brauchtum Essen Sitten Kunst ReligionRechtsleben etc) in Form von Spiel entsteht (vgl Huizinga 2004 S7-13 56-58)
12
sagbaren Erscheinungen (Qualitaumlten) sind so vielfaumlltig dass sie dem von der Natur hervorgebrach-
ten Artenreichtum gleichen und in ihrer Qualitaumlt fuumlr das Individuum die vielfaumlltigsten und komple-
xesten Funktionen und Nutzen bereithalten
Nach meiner Auffassung werden die beschriebenen Wesenszusammenhaumlnge von Spiel und Evoluti-
on besonders in dem Modus von Freiheit als Ambivalenz im Spiel ersichtlich da die grundlegenden
evolutiven Momente naumlmlich Kreativitaumlt Selbstorganisation und Spontanitaumlt auch die wesentlichen
Schaffenskraumlfte menschlichen Handelns und des erlaumluterten Spannungsverhaumlltnisses im Spiel sind
In Anlehnung an Miller-Kippacutes und Bonetacutes Deutungsversuche zum Spiel ist das freie im obigen
Sinne natuumlrliche Kinderspiel als Modus von selbstregulierter Freiheit eine wesensgemaumlszlige kreatuumlrli-
che bdquoTaumltigkeitldquo des Menschen die sich ereignet bzw die geschieht und nicht verrichtet oder erzeugt
werden kann Die diesem bdquoSpielgeschehenldquo (Scheuerl) innewohnenden unverfuumlgbaren wesentli-
chen Momente sind demnach sowohl die Grundbedingung fuumlr das Spiel selbst als auch Vorausset-
zung fuumlr die Vielfaumlltigkeit im Spielprozess Fraglich ist an dieser Stelle ob ein intentional geplantes
Erziehungs- und Bildungsvorhaben diesen Entwicklungsspielraum mit vielfaumlltigsten Erfahrungs-
moumlglichkeiten fuumlr Kinder schuumltzend bereithaumllt Und ob dann das freie natuumlrliche Spiel abgewartet
wird oder ob das (Kinder)Spiel mit funktionalen Absichten durch Paumldagogisierung in das planende
Joch von Erziehungs- und Bildungsbestrebungen eingespannt wird und seine wesentlichen Poten-
ziale damit verspielt werden
15 Das Moment der Geschlossenheit
Die freie Spieltaumltigkeit eines Kindes ist insofern geschlossen als dass die oben genannten Momente
wie einzelne ineinander greifende Glieder eine bdquogeschlossene Ketteldquo bilden muumlssen damit sich
freies bdquonatuumlrlichesldquo Spiel einstellt Die sich daraus bildenden oder aufgenommenen Spiele werden
haumlufig von da an als auftretendes Phaumlnomen augenscheinlich Denn das Spiel beginnt sich als frei
gestaltete Zeit mit seinem entstehenden bdquoKosmosldquo von Regeln Zufaumlllen Absprachen Bedingun-
gen Offenheiten Bestrebungen Kontexten Unverfuumlgbarkeiten Themen etc klar zu definieren und
vom gewoumlhnlichen Leben bdquoabzusetzenldquo Es wird dabei ersichtlich dass freies Spiel seine eigene in-
nere Regelhaftigkeit (im weitesten Sinne) sein bdquoSpielfeldldquo hat und eher als das Gegenteil von Will-
kuumlr oder Anomie anzusehen ist (Vgl Scheuerl 1990 S 91-95)
16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
Das Spiel verfolgt keinen auszligerhalb seiner selbst liegenden Zweck (Zweckfreiheit) und das Spielge-
13
schehen ist eine bdquopendelnde Suchbewegungldquo (Scheuerl Ambivalenz) die bestrebt ist innerhalb ih-
rer konstruierten bdquoScheinweltldquo (Scheuerl Scheinhaftigkeit) endlos in sich selbst zuruumlckzulaufen
um kein Ende zu finden (innere Unendlichkeit) Spielende sind von ihrem lustvollen Erleben im
Spiel voumlllig durchdrungen und gestalten spielend spontan mit groszliger Ernsthaftigkeit und in voumllli-
ger Selbst- und Weltvergessenheit ihr bdquoewigesldquo Spiel Und wie entgegen aller Vergessenheit ist es
dennoch ein Zustand houmlchster Wachheit und Konzentration Spielende sind in jedem gegenwaumlrtigen
Moment voumlllig praumlsent dh im bdquoHier und Jetztldquo aumlhnlich einem meditierenden Menschen Spielende
befinden sich also im Zustand tiefer Kontemplation aber nur im Bezug auf ihr Spiel weshalb sie
auch das eigene Gefuumlhl fuumlr Zeit im Moment des Spielens nicht oder kaum wahrnehmen Spielende
Kinder koumlnnen uumlber Stunden bdquowie gefesseltldquo ihrem Spiel nachgehen ohne dass ihnen die Zeitspan-
ne wirklich bewusst waumlre oder dass es ihnen hinterher moumlglich waumlre den fuumlr das Spiel aufgebrach-
ten Zeitraum zu schaumltzen (Vgl Scheuerl 1990 S 95-96 100-102)
17 Zusammenfassung
Das dieser Arbeit zugrunde liegende Verstaumlndnis des Begriffes bdquofreies Kinderspielldquo kann wie folgt
zusammengefasst werden Freies (Kinder)Spiel wird als ein Geschehen von komplexer geistig-
kreativer Weltzuwendung verstanden das sich innerhalb eines Freiraumes ereignet Einerseits ist
die sich innerhalb dessen ereignende Spieltaumltigkeit frei von Zielen Zwecken oder Nutzen die au-
szligerhalb seiner selbst liegen und andererseits sind die Spielenden innerhalb des Spielzeitraums frei
von ihrer unmittelbaren Lebensfuumlrsorge Als solche freie Zeit gestaltende Taumltigkeit ist das Spielen
fuumlr geistig emotional erlebende Wesen wie den Menschen oder houmlher entwickelte Tiere fuumlr eine
hohe Lebensqualitaumlt innerhalb eines erfuumlllenden Lebens grundlegend Aus diesem Umstand ergibt
sich dass freies natuumlrliches Spiel als grundsaumltzliches Beduumlrfnis angesehen werden kann weshalb
Spielende auch einen Drang (bdquoTriebldquo) zum Spiel aufweisen Doch ist der Charakter dieser
(Spiel)Taumltigkeit an sich von anderer bdquoNaturldquo als gewoumlhnliche Beduumlrfnisse befriedigende
(Trieb)Handlungen Als diese triebhafte Tendenz zum Spiel zielt die Spieltaumltigkeit nicht auf das Be-
duumlrfnis stillende Ende ab sondern auf ihren dauerhaften Fortgang Dieser zirkulaumlre Charakter und
das geistig erfuumlllende Erleben werden dabei durch den Umstand ermoumlglicht dass sich das Spieler-
eignis aufgrund seiner zuvor beschriebenen Autonomie in einem Spannungsverhaumlltnis ereignet Die-
ses ergibt sich zwischen Zufall und Notwendigkeit und wird durch den Spielenden bestaumlndig in
Waage gehalten Dieses selbst initiierte Geschehen reguliert sich somit auf der Handlungsebene
selbst es ist selbstorganisiert Diese Selbststeuerung nutzt Phantasie und Spontanitaumlt als Strategie
weshalb das Spielgeschehen trotz seines zirkulaumlren Charakters als prozessoffen bezeichnet werden
14
kann Besonders das Kinderspiel taucht dazu im gegenwaumlrtigen Spielmoment mit seinen spielenden
Subjekten im besonderen Bewusstsein uumlber seine paradoxe Als-ob-Realitaumlt in ihre eigens gestaltete
geistige Scheinwelt ein Die Spielenden sind waumlhrenddessen voumlllig selbst- und weltvergessen mit
groszliger Ernsthaftigkeit und im groumlszligten Eifer voumlllig in ihr bdquogebanntldquo Fuumlr ein bdquosich Ereignenldquo dieses
beschriebenen spontanen natuumlrlichen Spiels hat es nun als letztes Merkmal noch zur Voraussetzung
dass einzelne Momente nicht fuumlr sich isoliert initiiert oder planmaumlszligig ersetzt weggelassen oauml wer-
den koumlnnen so dass jedes einzelne der sechs Wesensmomente im Spielgeschehen quasi jeweils ein
bdquoGliedldquo in einer ineinander greifenden bdquofunktionalenldquo Kette darstellt ohne dass die Kette nicht
funktionstuumlchtig waumlre und sich freies natuumlrliches Spiel nicht ereignen koumlnnte
Inwiefern sich freies Kinderspiel nach dieser Auffassung im Hessischen Bildungs- und Erziehungs-
plan widerspiegelt soll im folgenden Kapitel untersucht werden
2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
21 Das Spielverstaumlndnis
Im Kapitel bdquoGrundsaumltze und Prinzipienldquo des Hessischen Bildungsplanes kommt dessen bdquoeigenesldquo
Verstaumlndnis zum bdquoKinderspielldquo ebenso zum Ausdruck wie eine Anleitung dazu wie mit dem Spiel-
phaumlnomen planvoll umzugehen ist (vgl Hessisches Sozialministerium Hessisches Kultusministeri-
um (2007) S 30-31) Im Folgenden werden diese Positionen zusammenfassend darstellt und erlaumlu-
tert
Spiel wird darin als Mittel in der ureigenen Ausdrucksform des Kindes angesehen womit es in der
Zeit des Heranwachsens seine Entwicklungsaufgaben und Lebensrealitaumlt bewaumlltigt Nach dieser
Auffassung kennzeichnen das Spiel drei Merkmale Das ist erstens die Zweckfreiheit der Spielhand-
lung die ausschlieszliglich durch das von ihr ausgehende Anregungspotentials ausgefuumlhrt wird Zwei-
tens dass im Spiel eine eigene Realitaumlt konstruiert wird und drittens dass Spielhandlungen wie im
Ritual wiederholt werden Die weitere Betrachtung des Spiels ist dann maszliggeblich auf Zwecke Zie-
le und den Sinn des Spiels im Bezug auf seine Wirkungen beschraumlnkt Somit sollen sich Kinder
zwar bdquoin ihren Spielhandlungen lustvoll versenken und dabei in einen intensiven Austausch mit ih-
rer Umwelt tretenldquo (dies S 30) Dies diene dann aber lediglich der Verarbeitung und Bewaumlltigung
von noch nicht zuordenbaren Erfahrungen (Problemen) Diese vom Kind zu bewaumlltigenden Proble-
me betraumlfen einerseits Entwicklungsthematiken wie bdquodas Ausspielen von Macht und Kontrolle von
Allmachtsphantasien [hellip] oder Herrschaft uumlber Leben und Tod [] sowie der Wunsch nach Heraus-
bildung eines Selbst bzw einer Identitaumltldquo (ebd) und andererseits Beziehungsthematiken zwischen
15
Erwachsenen und Gleichaltrigen
An die Beschreibung der drei Merkmale von Spiel anschlieszligend wird der Lern- und Entwicklungs-
charakter des Spiel dargestellt bdquoFreie Spielprozesse sind immer auch Lernprozesse denn Kinder
lernen zumindest beilaumlufig durch Spielenldquo (ebd)
Weiter heiszligt es im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan dass die Qualitaumlt dieser Lernprozesse
die im freien Kinderspiel stattfinden durch bdquogezielte Unterstuumltzungsmaszlignahmenldquo zu erhoumlhen sei In
dieser Aussage wird deutlich dass das freie Kinderspiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungs-
plan lediglich als Mittel aufgefasst wird welches die Entwicklungs- und Lernprozesse waumlhrend des
Heranwachsens beschleunigend wie ein Motor vorantreiben soll Warum sonst soll die bdquoQualitaumltldquo
des freien Kinderspiels bdquoerhoumlhtldquo werden Kinder sollen in erster Linie nicht spielen um ihrem Be-
duumlrfnis nach Spiel nachzukommen sondern um etwas zu lernen Dies legt den Verdacht nahe dass
das Spielen als solches auch nur aus diesem Grunde naumlmlich weil Kinder im Spiel etwas lernen
dh Kompetenzen erwerben Bestandteil des Bildungsplanes ist
Zusammenfassend kann festgestellt werden dass das Spiel im Hessischen Bildungs- und Erzie-
hungsplan auf eine Art Voruumlbung fuumlr das bdquorichtigeldquo Leben bei gleichzeitiger Lebensbewaumlltigung
verkuumlrzt wird Gleichzeitig findet durch die bdquoAufwertungldquo des freien Spiels zum bdquospielerischen Ler-
nenldquo eine Funktionalisierung und Paumldagogisierung des freien Spiels statt Die dem Spiel von Lern-
und Entwicklungspsychologie attestierten Potenzen (vgl Oerter 2007) sollen fuumlr die Realisierung
der Bildungs- und Erziehungsziele nutzbar gemacht werden dh das Spiel an sich dient vorrangig
dem Erwerb gewisser Kompetenzen und nicht der Erfuumlllung kindlicher Spielbeduumlrfnisse
Im folgenden Abschnitt werden die Hintergruumlnde eines solchen Spielverstaumlndnisses untersucht
Politische Motivationen spielen dabei ebenso eine Rolle wie die sich daraus ergebenden Ziele des
aktuellen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplans
22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
Im Vorwort des Hessischen Bildungs- und Erziehungsplans benennen die ehemaligen Hessischen
Ministerinnen14 fuumlr Kultus Karin Wolf und fuumlr Soziales Silke Lautenschlaumlger das zentrale politi-
sche Ziel naumlmlich die bdquoOptimierung der Bildungschancenldquo und die Entwicklung von bdquoChancen-
gleichheitldquo (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S 18) fuumlr die heranwachsende
Generation Bereits diese Formulierung laumlsst erkennen dass es im Bereich Bildung und Erziehung
politisch gesehen um Effizienz und um einheitliche bdquoQualitaumlts-ldquo und bdquoBildungsstandardsldquo geht die
14 unver uumlbern v aktuellem Kultusminister Herr Lorz von Herr Gruumlttner fuumlr Soziales und Integration
16
auf maximale Leistungen in der nationalen und internationalen Wissenskonkurrenz zielen
Wie ist also bdquoOptimierung der Bildungschancenldquo zu verstehen Konzeptionell ist diese bdquoOptimie-
rung der Bildungschancenldquo darauf angelegt dass bis zum Uumlbergang in die Sekundarstufe die Kin-
dertageseinrichtungen und Grundschulen allen Kindern eines Jahrgangs als Grundlagen die gleichen
bdquoBasiskompetenzenldquo15 vermitteln sollen Das Erreichen dieser bdquoBildungsstandardsldquo bis zur vierten
Klasse sei wiederum die Herstellung von bdquoChancengleichheitldquo so die Schlussfolgerung (vgl dies
S 18)
Dabei besteht die Chance darin dass die Kinder des gesamten Jahrgangs in gleichen Leistungstests
an diesen einheitlichen bdquoBasiskompetenzenldquo in Abhaumlngigkeit gemessen und in Konkurrenz zueinan-
der nach ihren Lernleistungsdifferenzen (Leistungsabstaumlnden) eingeordnet werden koumlnnen (vgl
Nuumlberlin 2002 S 117-127) Die dabei entstehende Jahrgangssortierung dh die Platzierung im
Leistungsvergleich innerhalb eines Jahrganges entscheidet dann daruumlber welche Kinder eine
bdquoChanceldquo auf houmlhere Bildung erhalten und welche nicht welche also das Gymnasium besuchen
duumlrfen und fuumlr welche der Besuch der Realschule vorgesehen ist Somit werden mit dem politischen
Programm bdquoChancengleichheitldquo bzw bdquoOptimierung der Bildungschanceldquo die jungen Generationen
(Kinder und Jugendliche) gemaumlszlig der in der Gesellschaft durchgesetzten Wissenshierarchie bzw Fauml-
higkeitshierarchie kontinuierlich eingeordnet (vgl Nuumlberlin 2002 S 127-129)
Deshalb soll bdquoChancengleichheitldquo auch bdquoBildungschancenldquo eroumlffnen weshalb im Bildungsplan Paumld-
agogen dazu aufgerufen sind die Kinder von fruumlhester Kindheit an individuell zu staumlrken um ihre
unterschiedlichen Voraussetzungen zumindest in gleichen bdquoBasiskompetenzenldquo vermeintlich einan-
der anzugleichen und somit die Vergleichbarkeit in der Notenkonkurrenz chancengleich im Sinne
von voraussetzungsgleich zu gestalten (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S
5-6 und S 17-18) Gerda Nuumlberlin weiszligt darauf hin dass aber diese Voraussetzungsgleichheit die
Institution Schule gerade nicht leistet Und dass Schule statt dessen durch Lernen auf Zeit die Schuuml-
ler innerhalb eines Jahrgangs mit einheitlichen Tests kontinuierlich einem Sortierungsverfahren un-
terzieht das eher gemaumlszlig den Bildungsschichten die Wissensunterschiede der Kinder hervorhebt
und sogar mit produziert statt sie mit dem Ziel der bestmoumlglichen Wissengleichheit zu bdquobeseitigenldquo
(vgl Nuumlberlin 2002 S 104-142)
Die auf gleiche Basiskompetenzen vorbereitenden Lernangebote und Fruumlhfoumlrderungen sollen nach
Aumluszligerung der Ministerinnen im Vorwort intensiver und fruumlher initiiert werden als in den vorange-
gangenen Jahren (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S 5-6) Zur Sicherung
15 bzw auch als bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (vgl dies S 41) bezeichnet daraus resultieren sollen die besonders vonder Wirtschaft geforderten bdquoMetakompetenzenldquo (vgl dies S 17)
17
der bdquoBildungsqualitaumltldquo und Umsetzung einheitlicher Standards soll der Bildungs- und Erziehungs-
plan das institutionenuumlbergreifende Steuerungsinstrument sein (vgl dies S 19) Die Herausgeber
des Bildungsplanes heben in der Einfuumlhrung besonders hervor dass es sich erstmals um einen Bil-
dungs- und Erziehungsplan handelt der durch seine stufenlose Konzeption von 0 bis 10 Jahren ein
kontinuierliches Lernen vorsieht Alle paumldagogisch wirkenden Personen und Institutionen sollen
durch einheitliche Bildungs- und Erziehungsziele moumlglichst an bdquoeinem Strang ziehenldquo koumlnnen (vgl
dies S 5-19)
Leitziel ist es fuumlr das bdquolebenslange Lernenldquo mit dem Erwerb von bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo die
bereits erwaumlhnte gemeinsame Grundlage (bdquoBasiskompetenzenldquo 16) der Kinder zu erzeugen (vgl
dies S 41f)
Veranlasst sehen sich die Ministerien zur bdquoneuenldquo konzeptionellen Bildungssteuerung durch den
tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel der sich von der demografischen Entwicklung uumlber viel-
faumlltige kulturelle Kontexte die Wirtschafts- und Arbeitswelt bis hin zu familialen Wandlungsprozes-
sen vollzieht und generell durch Schnelllebigkeit gekennzeichnet ist und von den Menschen ein ho-
hes Maszlig an Flexibilitaumlt und Mobilitaumlt fordert Hierzu werden auch die Ergebnisse der Schuumllerleis-
tungsvergleiche wie PISA TIMSS oder IGLU und denen entsprechende wissenschaftliche For-
schungsbefunde genannt denen der bdquo(neue) Bildungs- und Erziehungsplanldquo Rechnung tragen
moumlchte (vgl dies S 16-19)
Denn die Platzierung bei national und international vergleichbaren Leistungserhebungen ist letztlich
die Bemessungsgrundlage fuumlr bdquoBildungserfolgldquo oder bdquoBildungsversaumlumnisldquo Die attestierte bdquoBil-
dungsqualitaumltldquo ist deshalb von politischem Interesse weil die Politik die durch ihr Bildungssystem
erreichte Platzierung im vorderen Bereich als Standortfaktor fuumlr ihren Wirtschaftsstandort in
Deutschland nutzen moumlchte um vor allem auf dem globalem Markt konkurrenzfaumlhig zu bleiben
Im Folgenden wird zu zeigen sein ob und inwiefern diese Zielsetzungen mit dem dafuumlr entwickel-
ten Bildungskonzept zur angenommenen Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels fuumlhren
16 Im Einzelnen werden folgende Kompetenzen genannt als Basiskompetenzen werden bdquoindividuumsbezogeneKompetenzenldquo bdquoKompetenzen zum Handeln im sozialen Kontextldquo bdquoLernen und lernmethodische Kompetenzldquo undbdquokompetenter Umgang mit Veraumlnderung und Belastung Widerstandsfaumlhigkeit (Resilienz)ldquo genannt (vgl dies S 25-26 und S 41-44) Zum anderen werden darauf aufbauende konkrete Bildungs- und Erziehungsziele genannt (ent-sprechend der geforderten bdquoMetakompetenzenldquo) bdquostarke Kinderldquo bdquokommunikationsfreudige Kinder und medien-kompetente Kinderldquo bdquoKreative fantasievolle und kuumlnstlerische Kinderldquo bdquoLernende forschende und entdeckungs-freudige Kinderldquo und bdquoverantwortungsvoll und werteorientiert handelnde Kinderldquo (vgl dies S 13)
18
23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Wie kann das politische Ziel naumlmlich alle Kinder mit den gleichen Grundkompetenzen auszustatten
und deren bdquoErfolgldquo mindestens ab der vierten Klasse an regelmaumlszligigen Leistungserhebungen zu be-
messen durch freies Spiel erreicht werden Die Vermittlung bzw der Erwerb standardisierter Inhal-
te (Wissen Faumlhigkeiten Fertigkeiten Kompetenzen) und die Verfuumlgung daruumlber (Pruumlfungstermin)
steht im Widerspruch zum freien Spiel als offenem Prozess den die Spielenden selbst initiieren und
gestalten und bei dem keine Voraussagen daruumlber getroffen werden koumlnnen wann sich welche
Kenntnisse und Fertigkeiten einstellen
Diese erlangt man einerseits durch die Freiheit als Freiraum zum Spiel die eine gewisse Qualitaumlt an
Sorgefreiheit bedingt Zur Sorgefreiheit zaumlhlt beispielsweise auch das Freisein von Lerndruck der
jedoch unter anderem durch festgelegte Leistungserhebungen und Entwicklungsdokumentationen
bei den Kindern erzeugt wird Und andererseits erwirbt man Kenntnisse und Faumlhigkeiten nur dann
wenn das Spiel frei ist wenn es sich also um seiner selbst Willen ereignet und eben nicht bdquokanali -
siertldquo wird es also keinen aumluszligeren Zielen Zwecken oder Absichten unterliegt wie es jedoch bei
festgelegten bdquoBasiskompetenzenldquo (bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo) eines bdquoBildungsstandardsldquo der Fall
waumlre17 Hinzu kommt der weitere Aspekt von Freiheit im Spiel wonach das Spiel ein selbstgesteuer-
ter Prozess mit offenem bdquoAusgangldquo ist dessen Wirkungen eben nicht planbar oder voraussagbar
also nicht standardisierbar und determinierbar sind Diese Qualitaumlt von Freiheit im Spiel ergibt sich
nun aus den unverfuumlgbaren Momenten des freien Spiels wie dem Augenblick der Instabilitaumlt der
Kreativitaumlt und Phantasie der Spontanitaumlt und Unordnung dem Unsinn und Zufall Diese zugleich
auch wesentlichen Antriebskraumlfte des Spiels koumlnnen sich wie bereits im Kapitel bdquo14 Moment der
Ambivalenzldquo (S 11-13) naumlher beschrieben nur in einem Entwicklungsspielraum mit reichhaltigen
Erfahrungsmoumlglichkeiten und mit dem erlaumluterten Spannungsverhaumlltnis ergeben Sie tragen dann
aber auch die unermesslichen Potentiale fuumlr Emergenz mit dem Prinzip des Lebendigen in sich
woraus sich seine Offenheit fuumlr Neues im Sinne der Weiterentwicklung von Leben ergibt
An dieser Stelle moumlchte ich ergaumlnzend zu meiner eher phaumlnomenologischen Wesensauffassung von
freiem Spiel einige Beispiele skizzieren wie sich die Einuumlbung von Kompetenzen durch freies Spiel
aus psychologischer Sicht vollzieht
Die im Hessischen Bildungsplan intentional geplanten Basiskompetenzen und Lernziele wie bei-
spielsweise Kreativitaumlt Abstraktionsvermoumlgen Empathie oder Flexibilitaumlt in Denk- und Vorstel-
17 Vgl dazu Kapitel bdquo11 Das Moment der Freiheitldquo in dieser Arbeit S 7f
19
lungsvermoumlgen ergeben sich im Spiel als bdquoNebeneffektldquo Das Kind vollzieht naumlmlich im Spiel fuumlr
seine Entwicklung entscheidende Bildungsprozesse selbsttaumltig intrinsisch motiviert und in der bdquoDo-
sisldquo die es bedarf Dabei von groszliger Bedeutung ist der vom Kind entwickelte eigene Lernmodus
der sich maszliggeblich an der individuellen Leistungsfaumlhigkeit und den persoumlnlichen Beduumlrfnissen ori-
entiert Hierfuumlr benoumltigt jedes Kind einen eigenen Entwicklungsspielraum
bdquo[Der] sollte Heranwachsenden die vielfaumlltigsten auch selbsttaumltig inszenierten Erfah-rungsraumlume bieten um sich - wie es Johann Heinrich Pestalozzi nannte - an Kopf Herzund Hand bilden zu koumlnnen moumlglichst frei von Furcht und Zwang Sinnesbildung Koumlr-perbildung und geistig-seelische Bildung sollten dabei gleichermaszligen zur Entfaltungkommenldquo (Rittelmeyer 2007 S 7)
So initiieren Kinder beispielsweise in ihren Rollenspielen eigentaumltige Bildungsprozesse indem sie
sich im spontanen Spiel in die Perspektive anderer Menschen versetzen und eigenes Handeln fuumlr
aumlhnliche Lebenssituationen uumlben Oder sie erproben sich im Spiel mit verschiedenen sozialen Rol-
len zB im Rahmen gesellschaftlicher Verhaltensstandards indem ein von Geschichten aufgenom-
menes oder durch elterliche Kommentare an die Kinder herangetragenes Ideal (bdquoTapferkeitldquo bdquoGe-
schwisterliebeldquo bdquoFreundschaftldquo bdquoHilfsbereitschaftldquo etc) mit der persoumlnlichen Wirklichkeit vertraut
gemacht wird Dieses Erproben entspricht zB einer Bewusstseinsbildung im Hinblick auf (solche)
gesellschaftlichen Rollenerwartungen
bdquo[Oder] im Symbolspiel das ein Houmllzchen zur Mutterʻ oder zum Autoʻ werden laumlsstuumlben Kinder die Faumlhigkeit im Hinblick auf gegebene Phaumlnomene verschiedene Per-spektiven entwickeln zu koumlnnen also mit Kreativitaumlt oder Phantasie auf Erscheinungender aumluszligeren Welt zu reagierenldquo (ders S 17)
Es ist schwierig zu sagen welche Kompetenzen genau aus eigentaumltigen Bildungsprozessen im Spiel
entstehen da Resultate aus diesen Erfahrungen wiederum von diversen Faktoren abhaumlngig sind
Maszliggebliche Faktoren sind dabei die uumlberaus verschiedenen biografischen Erfahrungen der Kinder
und dass die letztliche Erfahrungsgewichtung durch ihre Individualitaumlt verschieden zum Tragen
kommt
Da aber jedes Lernen immer individuumsbezogen dh vom Kind abhaumlngig ist hat dieser Umstand
auch fuumlr die geplant-initiierten Lernangebote Geltung sofern derartige von auszligen angestoszligene
Lernangebote uumlberhaupt in den lernenden Kindern auf Resonanz stoszligen
Es duumlrfte kaum anzuzweifeln sein dass wie im Beispiel des spontanen von den Kindern selbst initi-
ierten Rollenspiels Rollenhandeln und soziale Empathie eingeuumlbt und fuumlr eigenes Handeln erprobt
werden Ebenso werden durch Symbol- oder Rollenspiele die Phantasie und Kreativitaumlt vielfaumlltig
angeregt die Beobachtungsgabe und das Vorstellungsvermoumlgen ausgepraumlgt Daraus kann sich wie-
20
derum das Abstraktionsvermoumlgen entwickeln und die Kinder bilden mit zunehmenden Perspekti-
venwechseln eigene Vorstellungen und Uumlberzeugungen aus Indem naumlmlich Spielende in ihre selbst
konstruierte bdquoScheinweltldquo gaumlnzlich bdquoeintauchenldquo nehmen sie auf zuvor vielfaumlltig beobachtete und
erlebte Situationen Bezug Erst spielen sie das Erlebte nach und bdquodurchlebenldquo es dabei spielerisch
immer wieder bis sich ein tiefgruumlndiges Verstaumlndnis uumlber die erlebte Situation gebildet hat Allmaumlh-
lich wird dann durch die eigene Ausgestaltung des Rollen- oder Symbolspiels das wahrgenommene
Phaumlnomen zunehmend abstrahiert und Kinder beginnen vielfaumlltige eigene Vorstellungen dazu zu
entwickeln Freies Spiel entspricht also eigentaumltiger Lebenswelterfahrung und -aneignung und ihr
Bildungsgehalt scheint dabei fast unermesslich groszlig zu sein (vgl ders S 7-17 und S 135-137)
Es wuumlrden sich also durch freies Kinderspiel ganz unterschiedliche und auch bdquoneueldquo Kompetenzen
mit ganz individuellen Auspraumlgungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten bilden Diese Aspekte ma-
chen aber eine vergleichende Leistungserhebung quasi unaussagekraumlftig bzw koumlnnten einen deter-
minierten bdquoBildungsstandardldquo insofern bdquogefaumlhrdenldquo als dass das Spiel als kreative geistig-emotio-
nale Weltzuwendung immer einen offenen bdquoAusgangldquo hat dh nicht vorhersagbar ist Das Zulassen
von freiem Spiel steht somit im Interessenskonflikt mit den oben genannten politischen Absichten
weshalb dem freien Spiel ein generelles Misstrauen gegenuumlber gebracht wird Dies fuumlhrt letztlich
konzeptionell dh durch die Einfuumlhrung und Umsetzung von bdquoBildungsstandardsldquo zur zunehmen-
den Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
Inwiefern die angenommene Verdraumlngung von freiem Kinderspiel auch paumldagogisch motiviert sein
kann soll im folgenden Abschnitt untersucht werden
24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Die Autorinnen und Autoren sehen Kinder einerseits als kompetente selbstbestimmt taumltig werdende
Wesen an und deuten die Bildung und das Lernen zwar als soziale Prozesse die sich im Dialog zwi-
schen Kind und Erwachsenem vollziehen koumlnnen Andererseits verweisen sie aber darauf dass die
Qualitaumlt dieser Prozesse wiederum von auszligen dh von einem Erwachsenen gesteuert und mode-
riert werden sollen (vgl Hessisches Sozialministerium Hessisches Kultusministerium 2007 S 20-
21) Die Steuerung der Bildungs- und Lernprozesse wird versucht zu rechtfertigen indem auf aktu-
elle neurowissenschaftliche Befunde verwiesen wird die dem kindlichen Gehirn ein enormes Ent-
wicklungs- und Lernleistungsvermoumlgen zuschreiben welches wenn es nicht genuumltzt wuumlrde einem
bdquoBildungsversaumlumnisldquo gleichkaumlme und nur schwer wieder aufzuholen sei (vgl dies S 20- 24)
bdquoJe reichhaltiger aumluszligere Lernreize sind desto mehr effiziente neuronale Netzwerke
21
(Synapsen) bilden sich heraus die fuumlr die Verarbeitungskapazitaumlt des Gehirns und seineLernfaumlhigkeit im spaumlteren Leben bedeutsam sind Im Entwicklungsverlauf eines jedenKindes gibt es optimale Zeitraumlume fuumlr grundlegende Lernschritte (zB ZweitspracheRaumorientierung elementares mathematisches Denken Interesse an Naturwissen-schaften aumlsthetisches Verstaumlndnis Entwicklung der Musikalitaumlt) Solche Zeitfenstergibt es auch noch im Laufe der weiteren Bildungsbiografie Dennoch gilt es diese sen-siblen Phasen bereits durch fruumlhe Bildung offensiv zu nutzen [sic] Je solider und brei-ter die Basis aus jener Zeit desto houmlher ist die Wahrscheinlichkeit dass das Kind danachaktiver und leichter lernt Fruumlhe Bildungsversaumlumnisse sind nur schwer aufholbarldquo(dies S 24)
Die programmatische Paumldagogisierung von Spiel die die bdquoGrenzen zwischen der herkoumlmmlichen
Trennung von Freispielprozessen und geplanten Bildungsprozessen zunehmendldquo (dies S 30) ver-
wischen soll ist vor dem Hintergrund Bildung als Produkt einer offensiven Nutzung der sensiblen
Lernzeitfenster anzusehen (vgl dies S 23-24) und wiederum von seiner politischen Motivation
mit dem Wettlauf um Konkurrenzfaumlhigkeit sowie der Weiterfuumlhrung einer in der Gesellschaft durch-
gesetzten und der Wirtschaft dienlichen Wissenshierarchie in Verbindung zu bringen Folglich fuumlhrt
die im Bildungs- und Erziehungsplan programmatisch angewiesene Funktionalisierung des Spiels
zum bdquospielerischen Lernenldquo letztlich paumldagogisch motiviert zur zunehmenden Verdraumlngung des frei-
en (Kinder)Spiels denn dieses wird als zu zeitintensive Taumltigkeit angesehen Freispiel darf zwar
laut Plan auch enthalten sein es bdquomuss jedoch im angemessenen Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlten ste-
henldquo (dies S 31) weshalb es wegen des bdquoLernfensterdrucksldquo (vgl Dies S 23-24) zum bdquospielen-
den Lernenldquo umfunktionalisiert werden soll (vgl dies S 30-31) um wegen seiner bildenden Po-
tenzen dann als Lernbeschleunigung dem Lernziel (bdquoBildungserfolgldquo) dienbar gemacht zu werden
Das Freispiel soll konzeptionell auf zwei Wegen zu bdquospielendem Lernenldquo qualitativ aufgewertet
werden Zum einen indem aus Spielprozessen Projekte hervor gehen mit der Bedingung dass das
Spielgeschehen zunehmend von der Projekttaumltigkeit durchdrungen wird Und zum anderen koumlnnen
bdquo[]im Rahmen von Projekten [hellip] Freispielphasen enthalten sein in denen sich dieKinder weiterhin mit dem Projektthema allein oder mit anderen auseinandersetzen DieQualitaumlt der Freispielprozesse laumlsst sich durch gezielte Unterstuumltzungsmaszlignahmen erhouml-henldquo (dies S 30 Herv MG)
Wenn also Freispielphasen eingeplant werden dann unter der Bedingung dass im bdquoSpielldquo die Pro-
jektthemen wieder aufgegriffen werden In beiden Varianten wird aber die Qualitaumlt des Spiels zu-
mindest im Bezug auf das Erreichen des Lernzieles angezweifelt weshalb ein gezieltes Einwirken
der Paumldagogen kontinuierlich angedacht ist
bdquoDie Houmlhergewichtung des elementaren Bildungsauftrags hat zur Konsequenz dasssich das beilaumlufige Lernen der Kinder im Spiel zum spielerischen Lernen hin entwickeltDem Spiel wird mehr systematische Begleitung und didaktische Aufbereitung
22
zuteilldquo(dies S31 Herv MG)
Das demnach angedachte bdquoFreispielldquo soll folglich auch kein freies natuumlrliches Spielen sein selbst
wenn sich Kinder angetan von den Projektinhalten im freien Spiel beginnen selbsttaumltig im Rah-
men dessen auseinanderzusetzen Solches Geschehen wuumlrde durch paumldagogisches Einwirken auf
das Lernziel hin gelenkte Taumltigkeit werden es soll durch Erwachsene zum bdquospielerischen Lernenldquo
hin entwickelt werden Ebenso kann auch ein anfaumlngliches Spiel nie als solches bestehen bleiben
Die Houmlhergewichtung des institutionellen bdquoBildungsauftragsldquo bewirkt in beiden Faumlllen dass der
scheinbar gewaumlhrte bdquoSpielraumldquo zur zielorientierten Lerntaumltigkeit wird weshalb (freies) Spiel ver-
draumlngt wird und zunehmend in Projekttaumltigkeit muumlndet Erst dann hat Spiel einen qualitativen Nut-
zen im Sinne des Bildungs- und Erziehungsplans Deshalb haben Spielen und Lernen auch nach An-
sicht und Position des Bildungsplanvorhabens in einem besonderen Verhaumlltnis zueinander zu stehen
welches Paumldagogen zu sichern haben
bdquoFreispiel ist wichtig muss jedoch im angemessenem Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlt stehendie die Erwachsenen planen und initiieren[]ldquo (ebd Herv MG)
Denn Lernaktivitaumlt sollte nach Meinung der Autorinnen und Autoren wenn sie vom Kind ausgeht
letztlich durch Erwachsene zielfuumlhrend gelenkt werden
Diese Qualitaumlt steigernden Unterstuumltzungsmaszlignahmen und das angestrebte Verhaumlltnis von Spielen
und Lernen stehen im einzelnen mit den Wesensmomenten des freien Spiels in Widerspruch Im
freien Spiel sind die Spielinhalte die sich spielende Kinder selbst auswaumlhlen vorwiegend alltagsbe-
zogen und als diese individuell meist sehr unterschiedlich Kinder begegnen im Spiel also Themen
die ihr Interesse durch erlebte oder beobachtete Situationen geweckt haben Diese eigens initiierten
Spielideen koumlnnen wie oben skizziert diverse Funktionen (zB bildendes Erproben) als Nebenef-
fekt haben Aber im Sinne des Spiels als bdquofreie Zeitgestaltungldquo draumlngt das Kind eher nach sinnvoll
erfuumllltem Leben durch erstrebtes lustvolles Spielen mit ganzheitlichem Lebensweltbezug als nach
einer von auszligen das Spiel deformierenden oder domestizierenden Systematik und Didaktik Es ist
anzunehmen dass diese fehlende bdquoBe-friedigungldquo des Spielbeduumlrfnisses ihre praumlgenden Anpas-
sungsspuren in den Kindern hinterlaumlsst und sie wahrscheinlich unzufrieden macht Zusaumltzlich duumlrf-
ten diese Umstaumlnde dem Lernen allgemein auch eher abtraumlglich sein
Es besteht also ein ganzheitlicher Bezug zum eigenen Leben wenn durch die Freiheit zum Spiel
ganz individuelle Themen zur Spielidee werden und bdquoihren Laufldquo nehmen Das heiszligt die jeweilige
Initialidee wird im weiteren Spielverlauf staumlndig veraumlndert werden und folgt dabei gerade eben
nicht der bdquoLogikldquo der buumlrgerlichen Erwachsenenwelt Diese bdquoLogikldquo wird aber im Bildungsplan fo-
23
kussiert In ihm ist die Annahme enthalten dass Kinder wie Forscher ihre Umwelt erkunden und
nun im Zuge der Aufwertung des Spiels zum bdquospielerischen Lernenldquo durch paumldagogisches Hinwir-
ken sich das bdquospielendeldquo Kind in reflektierender Betrachtungsweise Kausalzusammenhaumlnge und
Gesetzmaumlszligigkeiten des zu untersuchenden bdquoGegenstandesldquo erschlieszligen bzw davon ableiten soll
(vgl dies S 20 27-28 30-31) Spiel ist aber nur dann Spiel wenn es ein eigenes fortwaumlhrendes
kreatives und spontanes Eingehen auf die Anregungen der aumluszligeren Spielszenerie ermoumlglicht (vgl
Kapitel bdquo14 Das Moment der Ambivalenzldquo S 11ff sowie Rittelmeyer 2007 S 136) Innerhalb
dessen orientiert sich die Spiel gestaltende Taumltigkeit des Kindes hauptsaumlchlich an den eigenen Be-
duumlrfnissen und nicht an Vorgaben von auszligen Deswegen kann auch nicht alles Spiel sein das waumlre
Willkuumlr und nicht Geschlossenheit (vgl Kapitel bdquo15 das Moment der inneren Geschlossenheitldquo S
13) Und um seiner inneren Zweckmaumlszligigkeit moumlglichst dienlich zu sein bleibt es auch stets unver-
fuumlgbar Darin gibt es keine absolute Eindeutigkeit (zB ein Lernziel) mit zielgerichtetem Streben
nach zukuumlnftiger Befriedigung Spiel ist jetzt ist gegenwaumlrtig angestrebtes erfuumlllendes Erleben von
frei gestalteter Zeit Nur so koumlnnen sich alle weiteren Wesensmomente und ihre ua auch hoch ef-
fektiv bildenden Potenziale ergeben und individuell entfalten Solches Spiel waumlre aber von Vielfalt
Spontanitaumlt Uumlberfluss Instabilitaumlt Kreativitaumlt oder auch vom ihm eigenen Unsinn gepraumlgt Sicher-
lich erschlieszligen sich dem Kind dabei diverse Kausalzusammenhaumlnge und aus Einzelphaumlnomenen
wird es ableitend Gesetzmaumlszligigkeiten erfahren die sich in diesem informellen Lernprozess dann als
Wissen Kenntnisse Fertigkeiten oder auch Kompetenzen verinnerlichen Aber diese (Neben)Effek-
te wuumlrden nie zielfuumlhrend oder leitend das Spielgeschehen formen bzw antreiben
Dem natuumlrlichen freien Spiel steht das bdquospielerische Lernenldquo auch im Bezug auf die im Spiel er-
schaffene Phantasiewelt (vgl Kapitel bdquo13 Das Moment der Scheinhaftigkeitldquo S 10) entgegen
Denn diese zeichnet sich gerade dadurch aus dass sie sich von den bdquoObjektenldquo der Umwelt loumlst
vom Faktischen enthoben ist und durch Phantasie zu bdquoNeuemldquo zu Symbolischem werden laumlsst Und
somit das symbolische bdquoAls-obldquo Spielgeschehen ermoumlglicht Das Spiel wuumlrde sich also notwendi-
gerweise von der Projekttaumltigkeit oder ihren faktischen Inhalten loumlsen muumlssen um sich in dieser
Phantasiewelt mit seiner Spielhandlung zwischen Zufaumllligem und Notwendigem bewegen zu koumln-
nen Mit der daraus entstehenden Gegenwaumlrtigkeit schloumlssen sich alle weiteren Momente zu ihrer
bdquofunktionalenldquo Kette zusammen Auch der zeitliche Rahmen in dem sich das freie Spiel nun bewe-
gen wuumlrde ist unvorhersehbar Es ist also wahrscheinlich dass das Spielgeschehen uumlber den von
Erziehern eingeplanten bdquoFreispielzeitraumldquo hinweg andauern koumlnnte und deshalb von auszligen durch
die Paumldagogen abgebrochen werden wuumlrde Der bdquoinneren Unendlichkeitldquo des Spiels wuumlrde dies so-
mit ein abruptes Ende bereiten Dem zirkulaumlrem Charakter des Spiels steht noch ein weiterer Aspekt
24
entgegen Naumlmlich dass die Wiederholungen der Spielhandlung nicht aus systematischer oder di-
daktischen bdquoAufbereitungldquo erzeugt werden koumlnnen sondern dass sie wie Rolf Oerter in bdquoZur Psy-
chlogie des Spielsldquo beschreibt mit lustvollem Erleben in Verbindung zu bringen sind und demnach
eher dem Lustprinzip folgen als dem rationellem Realitaumltsprinzip (vgl Oerter 2007 S 9 12 14f
18-21)
Einzelne Momente fuumlr bdquospielerisches Lernenldquo zu erzeugen bzw sie diesbezuumlglich abzuwandeln
kann also nicht mehr mit dem natuumlrlichen freiem Spiel in Verbindung gebracht geschweige denn
damit gleichgesetzt werden Das daraus resultierende bdquoSpielenldquo kann demnach auch nicht dem Be-
duumlrfnis oder Drang nach Spiel entsprechen welches Kinder ganz offenkundig haben Das Spiel im
Sinne des Bildungsplanes gleicht in seiner angedachten Form eher bdquodomestiziertenldquo Spiels das in
einzelne Wesensmomente zerrissen ist um als didaktische bdquoListldquo geplant initiiert zu werden Somit
wird durch die verkuumlrzte Auffassung von Spiel als Mittel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo bei
gleichzeitiger Verkuumlrzung echter Spielzeit die zunehmende Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels
im Bildungsplan programmatisch angegangen bzw angeordnet wodurch die dieser Arbeit zugrunde
liegende Annahme bestaumltigt wird
3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
Die Reformpaumldagogik hat zB durch Ellen Key Johann Heinrich Pestalozzi oder Maria Monterssori
Konzepte wie Jena-Plan das der Sudberry Valley School oder der Freien Demokratischen Schulen
inspiriert Innerhalb deren Konzeptionen findet auch die kindliche Lebenswelt ohne sie romantisch
zu verklaumlren ihren anerkennenden Platz und wird als vollwertiger Lebensabschnitt beachtet Ihre
aumlhnlichen Bildungsansaumltze enthalten vielfaumlltigste Anreize und Formen vernuumlnftiger Bildungsideen
mit ganzheitlichem Menschenbild und echtem Lebensweltbezug Das bedeutet auch fuumlr eine Institu-
tion um mit Ellen Key zu sprechen Bildung vom Kind aus zu denken
Exemplarisch moumlchte ich im Folgenden diese Bildungsvorhaben und ihre fuumlr die Kinder bereiteten
Entwicklungsspielraumlume an Hand der Freien Demokratischen Schulen skizzieren Der Ausgangs-
punkt dieser Schulen ist der Kerngedanke dass sich durch Eigeninitiative selbstverantwortete Bil-
dung und freies Spiel nicht abstoszligend gegenuumlber stehen sondern dass beide den Beduumlrfnissen des
Kindes entspringen und das Kind deshalb je nach seiner Beduumlrfnislage seine Aktivitaumlten diesbezuumlg-
lich selbstorganisiert Zwar sind auch Freie Demokratische Schulen als Institution leider kein wirk-
licher bdquoorganischerldquo Teil der Lebenswelt von Kindern sondern immer nur von auszligen angebotene in-
tentionale Konstrukte die aber in diesem Fall den individuellen Entwicklungsspielraum der Kinder
25
versuchen zu schuumltzen bzw bereitzuhalten Somit wird jedem Kind sein eigener Freiraum der ihm
spontanes freies Spiel ermoumlglicht bereitet ohne es in irgendeiner Form zu verzwecken oder zu ka-
nalisieren Einige Konzepte solcher Schulen greifen auch die Kindheit als gesellschaftlichen Status
hervorbringende Begebenheit auf naumlmlich dass durch die alltaumlgliche Erwerbstaumltigkeit der Erwach-
senen die Kindheit entsteht und zwar als davon getrennter Lebensbereich Verschiedene Versuche
zB durch (Land)Schulheime oder selbst initiierten Lernvereinbarungen zielen darauf ab die ge-
trennten Lebensrealitaumlten von Kindern und Erwachsenen wieder mehr zur Uumlberschneidung zu brin-
gen Die daraus entstehenden freiwilligen Erfahrungspartnerschaften werden eigenverantwortlich
von den Beteiligten (Schuumller und Lehrer) nach ihren Beduumlrfnissen Vorstellungen und Wuumlnschen
gemeinsam gestaltet Es kann also keinen einheitlichen Lehrplan geben und es kann auch keinen
bdquoMethodenkofferldquo als Handreichung des Ministeriums geben der Anwendung finden soll Aber
falls es von den Schuumllern gewuumlnscht wird bzw falls es von ihnen als vernuumlnftig fuumlr die Umsetzung
des Vorhabens angesehen wird kann sich der Lehrer sinnvollerweise durch methodische oder di-
daktische bzw besser mathetische Aufbereitung unterstuumltzend einbringen Die Schuumller entwickeln
also selbst wie sie lernen und was sie lernen Dabei treffen sie nicht maszliggeblich ihre Auswahl aus
bereits bestehenden Angeboten sondern sie koumlnnen ihre Beschaumlftigungs- bzw Lerngebiete voumlllig
frei waumlhlen und initiieren Jede Beschaumlftigung wird dabei als wertvoll und lehrreich erachtet sei es
das Lesen das Experimentieren das freie Spielen oder das Teilnehmen an einem Unterrichtskurs
Die Schuumller entscheiden auch wann sie lernen Sie legen damit den gesamten zeitlichen Rahmen
fest innerhalb dessen sie sich mit ihrem eigenem Lerngebiet beschaumlftigen wollen Dies betrifft die
Tageszeit und den Gesamtzeitraum der Taumltigkeit aber vor allem auch das Alter in dem sie sich ent-
schlieszligen sich mit einer Thematik zu befassen So entschlieszligt sich zB ein neunjaumlhriges Kind Lesen
zu lernen wo ein fuumlnfjaumlhriges bereits damit begonnen hat Dabei waumlre es nicht ungewoumlhnlich dass
diese beiden Leseinteressierten sich zusammenschlieszligen und eine Lerngruppe initiieren um sich
gemeinsam dem Lesen lernen zu widmen Auch liegt es in der Verantwortung der Kinder wie inten-
siv sie sich mit dem gewaumlhlten Thema auseinandersetzen wollen Um all dies zu planen und umset-
zen zu koumlnnen sind die Lehrer wie beratende Helfer kontinuierlich fuumlr die Kinder da und die Kin-
der sind sich nie selbst uumlberlassen Somit schafft das Vertrauen der Lehrer in die Schuumller Vertrauens-
wuumlrdigkeit und die Kinder koumlnnen sich sicher und geborgen fuumlhlen um sich moumlglichst ohne Angst
in dieser Freiheit ganz nach ihren Beduumlrfnissen der Welt zuzuwenden Diesen Freiraum zum Entde-
cken und Spielen bezeichnen die Sudberry- bzw die Demokratischen Schulen als Lernfreiheit und
er ist eine der beiden Grundsaumlulen des Bildungskonzepts Die zweite Saumlule ist von organisatorischer
Natur und konstatiert den Lernort als egalitaumlres System in dem Schuumller und Lehrer in verschiede-
nen Gremien Komitees und Aumlmtern gleiche Einflussmoumlglichkeiten Pflichten sowie Rechte besit-
26
zen (vgl Schiffner 2007 S 8-15)
Peter Gray emeritierter Professor fuumlr Psychologie des Boston College erklaumlrte in einem Vortrag in
Berlin 3122012 die Grundlagen dieses bdquoErziehungsldquo Ansatzes18 Er nennt ihn Vertrauensvolle Er-
ziehung (Trustful Parenting) bdquoVertrauensvolle Erziehung basiert auf der Annahme dass Kinder von
Natur aus widerstandsfaumlhig kompetent sozial und selbstgesteuert sindldquo (Gray 2012 S 1) Daraus
ergibt sich dass Kinder ihrem Beduumlrfnis nach selbst entscheidend entdecken und spielen Es obliegt
ihrer Entscheidung Risiken einzugehen und dabei auch evtl eigene Fehler zu machen Entwick-
lungsvergleiche (auch keine Lernleistungsvergleiche) liegen dieser Ansicht fern Erziehung versucht
demnach Entwicklung nicht zu lenken sondern zu unterstuumltzen sodass Kinder ihre eigenen Ziele
verwirklichen koumlnnen Sie entwickeln dabei Eigeninitiative und uumlbernehmen Selbstverantwortung
in der Gemeinschaft Die Erwachsenen stellen dazu lediglich den aumluszligeren bdquoRahmenldquo her der fuumlr ein
gesundes Heranwachsen erforderlich ist (vgl Grey 2012 S1 ff) Deshalb ist dieser Ansatz auch
nicht als eine vernachlaumlssigende Haltung zum Kind anzusehen sondern ganz im Gegenteil die
bdquoErziehendenldquo senden den Kindern folgende Botschaft
bdquoDu bist kompetent Du hast Augen und ein Gehirn und du bist in der Lage Dinge her-auszufinden Du kennst deine eigenen Faumlhigkeiten und Grenzen Durch Spielen und Er-forschen wirst du dir aneignen was du wissen musst Deine Beduumlrfnisse werden gewuumlr-digt Deine Meinung zaumlhlt Du bist fuumlr deine Fehler selbst verantwortlich und man kanndarauf vertrauen dass du aus ihnen lernst Das Sozialleben zeichnet sich nicht durchWillenskaumlmpfe aus sondern vielmehr dadurch einander so beizustehen dass alle dasbekommen was sie brauchen und sich am meisten wuumlnschen Wir sind auf deiner Seitenicht gegen dichldquo (ders S1)
Interessant finde ich Peter Grays historischen Bezug den er zur Vertrauensvollen Erziehung her-
stellt Er belegt naumlmlich mit verschiedenen wissenschaftlichen Studien zu Jaumlger- und Sammlerkultu-
ren dass dieser Erziehungsstil bis zum Einsetzen der Landwirtschaft (vor ca 10000 Jahren in Asi-
en) der vorherrschende war und dass die Menschheit zu 99 Prozent ihrer gesamten Geschichte (ca 1
Millionen Jahre) Jaumlger und Sammler waren (vgl ders S 1-3)
4 Zusammenfassende Gedanken
Die anfaumlngliche Spielbegriffseingrenzung im ersten Teil dieser Arbeit verdeutlichte dass das Spiel
nicht nur von elementarer Bedeutung fuumlr ein gesundes Aufwachsen fuumlr Koumlrper und Psyche der Kin-
der ist obwohl das freie (Kinder)Spiel die dafuumlr wohl geeignetste Lebenstaumltigkeit darstellt Dem
18 Vgl Gray Peter (2012) Trustful Parenting May Require an Alternative to Conventional Schooling (Vertrauensvol-le Erziehung macht unter Umstaumlnden eine Alternative zum konventionellen Schulsystem noumltig) httpwwwting-schuledeindex_htm_filesPeter20Gray20_20Trustful20parentingpdf (Zugriff 260315)
27
natuumlrlichen (Kinder)Spiel als geistig-kreative Weltzuwendung liegen viel urspruumlnglichere Wurzeln
zu Grunde weshalb sich durch freies Spiel die Sinne der Koumlrper und auch der Geist als bdquoNebenef-
fektldquo beilaumlufig bilden und entwickeln Naumlmlich wie das bdquoMenschsein kein Zweck etwa des Lebens
sondern das Leben selbst istldquo (Kamper 1976 S 141) ist das (Kinder)Spiel auch kein findiger
Zweck des Lebendigen sondern gelebte Lebendigkeit und damit zwecklos (vgl ebd) bdquoDarauf und
nur darauf bezieht sich Schillers Wort dass der Mensch nur spielt wo er in voller Bedeutung des
Wortes Mensch ist und nur da ganz Mensch ist wo er spieltldquo (ebd) Somit stellt das Spiel das Prin-
zip des Lebendigen dar dies herauszuarbeiten und phaumlnomenologisch be-greifbar zu machen war
Ziel des ersten Teils dieser Arbeit Ich beabsichtigte darin ein Verstaumlndnis dafuumlr zu bilden dass das
(Kinder)Spiel als Modus von Freiheit im bdquoSpannungsfeld Lebenldquo die Wesenskraumlfte der Evolution
den Zufall die Spontanitaumlt und die Kreativitaumlt als eigene Triebkraumlfte in sich traumlgt und im freien
selbst initiierten Spielgeschehen zur Entfaltung bringt Als dieses Urprinzip ist das freie natuumlrliche
Spiel dem Menschen - homo ludens - und deshalb auch den Kindern ein Beduumlrfnis Deshalb fuumlhrt
durch Spiel gestaltete Zeit als erstrebte wesensgemaumlszlige Taumltigkeit zu Lebenszufriedenheit Und nur
dann traumlgt es seine Potenziale der Sinnesbildung Koumlrperbildung und geistig-seelischen Bildung so-
wie die Moumlglichkeit unvorhersehbarer Emergenzen in sich Und als solcher freier Ausdruck von Le-
bendigkeit ist deshalb Spiel fuumlr ein Kind innerhalb eines erfuumlllten Daseins grundlegend und zu ach-
ten bzw anzuerkennen
Im zweiten Teil wurde einsteigend die im derzeitigen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
vertretene Auffassung von Spiel erlaumlutert und der Plan wurde auf seine moumlgliche politisch- und paumld-
agogisch motivierte Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel untersucht Es konnte dargelegt werden
dass der Spiel(zeit)raum aufgrund des Interessengegensatzes von Kind und Staat kontinuierlich ein-
gekuumlrzt wird und zur zunehmenden Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel fuumlhrt um die politischen
Programme bdquoVerbesserung der Bildungschancenldquo und bdquoChancengleichheitldquo durchzusetzen Die da-
mit verwirklichten politischen Ziele und die Umsetzung einheitlicher Bildungsstandards haben da-
bei einerseits den Zweck die fuumlr die Wirtschaft dienliche und in der Gesellschaft mit Schule durch-
gesetzte Wissenshierachie fortzufuumlhren Und andererseits sollen diese Jahrgangssortierungen durch
internationale Tests wie PISA uauml als Standortfaktor im Wettkampf um Konkurrenzfaumlhigkeit auf ei-
nem globalisierten Markt Wirtschaftsstandort sichernd eingesetzt werden
Die Annahme dass es durch die Einuumlbung von vermeintlichen also dem Zeitgeist entsprechenden
bdquoGrundkompetenzenldquo bzw bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (als Bildungsstandards) zur zunehmenden
Verdraumlngung von freiem Spiel kommt konnte dadurch bestaumlrkt werden dass auf Grundlage eines
verkuumlrzten Spielbegriffes das freie (Kinder)Spiel durch paumldagogisches Einwirken in bdquospielerisches
28
Lernenldquo umfunktionalisiert und dadurch echte Spielzeit zunehmend eingekuumlrzt wird Der Zweck ist
dabei das (Kinder)Spiel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo als bdquoLernmotorldquo der Kinder innerhalb
des bdquoLernfensterdrucksldquo dem Lehrapparat dienstbar zu machen
Im dritten Teil dieser Arbeit wurde anhand der Demokratischen Schulen kurz skizziert wie institu-
tionelle Bildung die freies Spielen wirklich gewaumlhrleistet gelingen kann Leider stehen die Schulen
in freier Traumlgerschaft zu denen die Freien Demokratischen Schulen zaumlhlen in Deutschland vor be-
sonderen behoumlrdlichen Genehmigungsbarrieren und unzureichender oumlffentlicher Finanzierung was
ihre Realisierung maszliggeblich erschwert oder ganz verhindert Auch darin kann eine Verdraumlngung
bzw Verhinderung des freien Spiels gesehen werden
Die Verdraumlngung des freien Kinderspiels ist aus zweierlei Gruumlnden nicht gut zu heiszligen ja sogar ab-
zulehnen ist Erstens ist die im Spiel als Nebenerscheinung enthaltene Einuumlbung von Grund-
kompetenzen von groumlszligter Komplexitaumlt und Vielfalt die selbst neue nicht vorhersagbare Qualitaumlten
hervorbringt die mit den Triebkraumlften der Evolution in Verbindung zu bringen sind (Emergenz)
Deshalb ist es fuumlr einen ganzheitlichen Entwicklungsspielraum der Kinder und im Sinne der Evolu-
tion unvernuumlnftig das Spiel wie im Bildungsplan beschrieben bdquoqualitativ aufzuwertenldquo um ver-
meintliche fuumlr das derzeitige Leben als unverzichtbar angenommene bdquoGrundkompetenzenldquo durch
bdquospielerisches Lernenldquo einzuuumlben Und zweitens ist das Spiel als kreative geistig-emotionale Welt-
zuwendung und damit als wesensgemaumlszlige kreatuumlrliche Taumltigkeit des Menschen den Kindern ein Be-
duumlrfnis und grundlegend fuumlr ihr gesundes Aufwachsen und Lebensgeborgenheit (Lebenszufrieden-
heit) in einem sie wahrhaft erfuumlllenden menschlichen Dasein
Bedenke ich nun die Lebenszeit die auch meine Kinder teilweise schon vor dem ersten Lebensjahr
mit haumlufig acht Stunden taumlglich in Kindertageseinrichtungen (leider nicht in einer Freien Demokra-
tischen Schule mit Primarbereich) verbrachten derzeit verbringen und spaumlter in der Schule bis min-
destens zur Erfuumlllung der Schulpflicht mit etwa 15 Jahren in der Schule verbringen muumlssen bin ich
erschrocken-besorgt und wuumltend wie dem Phaumlnomen des freien natuumlrlichen Kinderspiels und der
Bildung insgesamt im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan begegnet wird Bildung als vorran-
gig politisch-oumlkonomisches Arrangement zu sehen darin das Spiel als List zu benutzen um standar-
disiertes Lernen zu erzielen echte Spielzeit zunehmend zu verkuumlrzen ndash dieses planvolle Vorgehen
der Politik und der beteiligten Paumldagogen stellt eine Missachtung der ihnen anvertrauten Kinder mit
ihren individuellen Wuumlnschen Vorstellungen Beduumlrfnissen und ihrer ganz persoumlnlichen Lebenswelt
dar und ist ein lebensentfremdendes Vorhaben das junge Menschen von einem sie erfuumlllenden gu-
ten Leben trennt
29
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31
Eidesstattliche Erklaumlrung
Ich erklaumlre hiermit an Eides Statt durch eigenhaumlndige Unterschrift dass ich die vorliegende Arbeit
selbstaumlndig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe die aus
fremden Quellen (einschlieszliglich elektronischer Quellen und dem Internet) direkt oder indirekt uumlber-
nommenen Gedanken sind ausnahmslos als solche kenntlich gemacht
Ich weiszlig dass bei Abgabe einer falschen Versicherung die Arbeit als nicht bestanden zu gelten hat
Herold 10042015
32
- Die zunehmende Verdraumlngung des freien Kinderspiels
- im Hessischen Bildungsplan
- Einleitung
- 1 Freies Kinderspiel - Wesensmerkmale
-
- 11 Das Moment der Freiheit
- 12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
- 13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
- 14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
- 15 Das Moment der Geschlossenheit
- 16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
- 17 Zusammenfassung
-
- 2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
-
- 21 Das Spielverstaumlndnis
- 22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
- 23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
- 24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
-
- 3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
- 4 Zusammenfassende Gedanken
- Literaturverzeichnis
- Internetquellen
-
diesem bdquoRaumldquo ereignet sich Spiel (vgl ders S 67- 69)
Somit ist es auch kaum verwunderlich dass besonders den Nachkommen einer Art dieser besondere
Freiraum in hohem Maszlige zuteil wird Der Biologe und Anthropologe Adolf Portmann weist dazu in
einem seiner Beitraumlge zum Spiel6 darauf hin dass diese freie Zeit durch Spiel zu sinnvoll erfuumlllen-
der gestalteter Zeit (Vgl Portmann 1976 S60 vgl dazu auch S 68 und 71) wird und somit fuumlr
ein erfuumllltes Leben grundlegend sei Im Gegensatz zu einigen Spieltheorieansaumltzen7 die dem Spiel
ausschlieszliglich Erhaltungswert beimessen dient das Spiel Portmann zufolge mehr als nur dem Er-
haltungswert Aktuelle biologische Forschung hat hierzu offengelegt dass nur bei houmlheren Lebewe-
sen mit Entfaltung der Innerlichkeit im Sinne einer bdquoPsycheldquo aumluszligerlich verborgenes Erleben8 ent-
steht und dass es erst durch dieses Erleben von subjektiver Wirklichkeit (vgl Portmann 1976 S
58-61) zu bdquolustbetontem Verhalten [kommt] das nicht unmittelbar der Lebenserhaltung dient - es
begegnet uns erlebtes erstrebtes Spielenldquo (ders S60) Portmann beschreibt Spiel demnach wie
folgt
bdquoSpiel ist freier Umgang mit der Zeit ist erfuumlllte Zeit es schenkt sinnvolles Erleben jen-seits aller Erhaltungswerte es ist ein Tun mit Spannung und Loumlsung ein Umgang miteinem Partner der mit einem spielt - auch wenn dieser Partner nur der Boden ist oderdie Wand welche dem Spielenden den elastischen Ball zuruumlckwerfen Dieses Spiel setztetwas besonderes voraus einen Zeitraum ohne Sorge []ldquo (ebd)
Adolf Portmanns These dass bei houmlheren Lebewesen sinnvoll erfuumlllende Gestaltung von sorgenfrei-
er Zeit durch Spiel geschieht hat somit allgemeine Bedeutung auch fuumlr unsere eigene Daseinsfuumlh-
rung Denn
bdquo Spielʻ ist die lustvolle von Erhaltungssorge freie also zweckfreie aber sinnerfuumlllteZeitldquo (ders S 68 Herv i Orig)
bdquoVolles Leben ist nicht allein Gestaltung von Stoff von Materie Leben ist Umgang mitZeit ist Gestaltung von Zeit ist Sinngebung fuumlr leere Uhrenzeitldquo(ders S 60)
Portmann hebt das freie Spiel als gestaltete Zeit auf die Ebene der Grundbeduumlrfnisse und macht es
fuumlr ein sinnvoll erfuumllltes wahrhaft gutes Leben zur Bedingung (vgl ders S 66-72)
6 Portmann Adolf Das Spiel als gestaltete Zeit In Der Mensch und das Spiel in der verplanten Welt Hg Bayeri -sche Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1976
7 Kraftuumlberschusstheorie (H Spencer) Erholungstheorie (M Lazarus) Katharsistheorie (K Gross) Entwicklungs-psychologie (J Piaget) (vgl Kluge 1981 S 15 und 31)
8 Gemeint ist dass mit steigender Gestaltungshoumlhe der Lebewesen subjektives Erleben moumlglich ist also dass durchdas Zentralnervensystem und die Sinnesorgane reiche Umweltbeziehungen entstehen Diese Entwicklung hat sichbeim Menschen bis zur geistigen Lebensform gesteigert (vgl Portmann 1976 S 59-61)
8
12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
Kinder zeigen in ihrer Alltaumlglichkeit kontinuierlich einen Drang zum Spielen Ein Kind - und si-
cherlich nicht nur es allein - hat offenbar ein Beduumlrfnis nach freiem Spiel Scheuerl benennt diese
Begebenheit als triebhafte Tendenz zum Spiel (Vgl Scheuerl 1990 S 71) bdquoEs gibt zweifellos
einen Zwang zum Spielldquo (ebd Herv i Orig) Nach ihm muumlssen Kinder wenn sie gesund aufwach-
sen sollen sogar spielen um nicht psychisch und physisch zu erkranken Insofern kann sogar von
einem gewissen bdquoSpieltriebldquo (Vgl ders S 73) als Tendenz zum Spiel gesprochen werden Dieses
Spielbestreben weist aber letztlich ein anderes Wesen als andere menschliche Tendenzen (Triebe)
zur Beduumlrfnisbefriedigung auf und muss davon unterschieden werden Denn die letztlichen Tenden-
zen im Spiel sind keine gewoumlhnlichen Beduumlrfnisbefriedigungen durch Triebverhalten also keine de-
terminierten triebhaften Handlungen die zweck- oder zielorientiert sind Statt dessen sind sie situa-
tiv sowie individuell variabel und vor allem in sich zirkulaumlr Denn die Befreiung von Beduumlrfniss-
pannungen also dem bdquo[s]ich allen Erregungen und Drang-Erlebnissen gegenuumlber den Frieden ge-
benldquo (ders S 70) zielt auf das Ende der Spannung ab die das nicht erfuumlllte Beduumlrfnis triebhaft
ausloumlste So etwa moumlchte man zB bei Hunger oder Durst Saumlttigung bzw Stillung herbei fuumlhren
Alle triebhaften Handlungen zielen demnach tendenziell auf die Befriedigung des sie hervorbrin-
genden Beduumlrfnisses ab und somit auf ihr eigenes Ende In dieser Tendenz die sich auf das Ende
der beduumlrfnisbefriedigenden Handlung hin ausrichtet liegt nun zum Spiel der wesentliche Unter-
schied Der bdquoSpieltriebldquo will keine Befriedigung bdquoer kann nicht gesaumlttigtʻ werdenldquo (ders S 73)
Sein Initialzweck ist vielmehr die Beseitigung aller Spielhindernisse - deshalb auch triebhafte Ten-
denz zum Spiel Aber sobald eine konkrete Spielidee im Kind aufkeimt und es beginnen kann sich
entschieden und mit groumlszligtem Eifer ihr zu widmen um darin voumlllig selbst aufzugehen als ob es nur
dies Eine auf Erden gaumlbe und das Spiel niemals enden duumlrfe wird das Wesensmerkmal der inneren
Unendlichkeit erkenntlich bdquoDa ist nichts was auf ein Ende draumlngt nichts was den Zustand des
Spielens aufheben moumlchteldquo (ders S 71 )
bdquoDas Spiel kann innerhalb seines Freiraums gekennzeichnet werden als Bewegung voninnerer Unendlichkeitʻldquo (ders S74)
Ist ein Spiel erst einmal im Gange will es ewig fortgesetzt werden Es strebt seiner eigenen inneren
Unendlichkeit entgegen einem nicht endenden zirkulaumlren bdquoZustandldquo Und von da an gleicht der
bdquoSpieltriebldquo als Spielerscheinung in seiner Tendenz auch keiner zielorientierten Zweck- oder Be-
duumlrfnishandlung mehr weshalb genau genommen nicht von gewoumlhnlicher Beduumlrfnisbefriedigung
durch Triebverhalten gesprochen werden kann Das Spiel ist also dem Wesen nach eine staumlndige
Spielbewegung (Scheuerl) quasi ein Perpetuum mobile Ein Kind spielt nicht bis es das Spielen
9
satt hat oder vom Spielen uumlbersaumlttigt ist sondern es beendet erst sein Spielen wenn es durch aumluszliger-
liche Faktoren (zB Beduumlrfnisse Noumlte Verpflichtungen jeglicher Art etc) dazu gedraumlngt wird (vgl
ders S 70-77)
13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
Das frei von Zwecken und Triebdruck voumlllig in sich selbst versunkene unendliche Spiel spielende
Kind wird durch die Hingabe an die eigene Phantasie kreativ wird lebendig Die Einbildungskraft
erschafft und gestaltet eine eigene Phantasiewelt in der Form einer bdquoAls-obldquo-Realitaumlt (Scheuerl)
Die durch Spielerphantasie konstruierte bdquoScheinweltldquo (Scheuerl) nimmt dabei die Bedingungen ih-
rer Umwelt wie beispielsweise reale Gegenstaumlnde und Objekte und ihre Materialitaumlt auf und erwei-
tert diese bdquoGegenstaumlndeldquo ggf bis zum imaginaumlren rein symbolischen Spielmittel damit es der
Spielidee und ihrem Fortgang moumlglichst dienlich ist
Die gesamte Phantasiespielwelt wird somit nach eigenen Vorstellungen von nah am objekthaften
(abbildnah) bis fernab der im weitesten Sinne materiellen Realitaumlt (abstrakt) konstruiert und kann
mit eigenen Gesetzmaumlszligigkeiten und Zusammenhaumlngen gestaltet werden Die entstehenden spieleri-
schen Inszenierungen enthalten in ihrer Spielidee auch fortwaumlhrend aktuelles Geschehen und die
Eindruumlcke der Kinder dazu wodurch es auf diesem Weg zur spielerischen Auseinandersetzung da-
mit kommt So kann zB ein vom Kind miterlebtes Hochwasser in der eigenen Region zur aufge-
griffenen Spielidee fuumlhren Ein verwittertes Stuumlck Holz etwa koumlnnte dem spielenden Kind als Sym-
bol des Rettungsbootes dienen das sich mit seinen imaginaumlren Insassen in einer dramatischen Ret-
tungsaktion im Hochwassergebiet befindet In solchen Spielszenen ist haumlufig beobachtbar dass es
beim Spielen nicht um abbildhaftes realitaumltsgetreues Nachspielen des eventuell Erlebten geht Son-
dern vielmehr darum dass sich das spielende Kind aktiv im Spiel zwar mit Erlebtem auseinander-
setzt im Sinne der bdquoScheinhaftigkeitldquo und des Unendlichkeitscharakters des Spiels aber rein aus
Freude am lustbetonten gestalteten Spielen die Spielhandlung ritualhaft wiederholt In diesem Sin-
ne wuumlrden beispielsweise immer wieder Insassen aus dem Boot geschleudert die es dann aufs Neue
zu retten gaumllte wodurch das Spiel zirkulaumlr bestaumlndig zumindest solange fortdauern koumlnnte bis neue
Spielideen oder von auszligen kommende Faktoren es abloumlsen oder beenden Spielern aber auch Zu-
schauern (zB im szenischen Spiel) erscheint diese Phantasiewelt von der materiellen Realitaumlt los-
geloumlst und die uumlber den Dingen schwebende bdquoScheinhaftigkeitldquo des Spiels (Scheuerl) kann Betrach-
ter und Akteure gleichfalls in ihren faszinierenden Bann ziehen sofern ihnen der Zugang zur eige-
nen Phantasie nicht von auszligen bdquoversperrtldquo ist (vgl Scheuerl 1990 S 77- 85)
10
14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
Jeder Spielende versucht sein Spiel bestaumlndig aufrecht zu erhalten9 Dafuumlr baut er im Spiel ein
Spannungsverhaumlltnis also einen inneren bdquoSpielraumldquo als Modus von selbstregulierter Freiheit auf
Die entstehende Autonomie (Freiheit) im Spiel besteht nun in der Ambivalenz zwischen sich zufaumll-
lig ergebendem Neuen Unbekanntem oder neu Gestaltetem (zB neue Passage am Kletterfels oder
die sich staumlndig neu ergebenden Flugbahnen der jonglierten Baumllle etc) und notwendig Festgeleg-
tem Bekanntem oder Begrenzendem (zB Regeln beherrschte Kletterpassage die bestaumlndige Form
und das Gewicht der Jonglierbaumllle die eingeuumlbte Jongliertechnik etc) Der Spielende versucht da-
bei permanent sein Spiel in Balance zwischen diesen beiden bdquoPolenldquo zu halten um es einerseits
stets durch bdquoNeuesldquo interessant zu gestalten und es andererseits durch bdquoBekanntesldquo zu stabilisieren
Die Dominanz einer Seite wuumlrde das Spiel abbrechen also beenden Denn ein zu viel an Neuem
noch zu Entdeckendem wuumlrde dem Spiel ein Uumlbergewicht an Wagnis Raumltselhaftigkeit Moumlglichkei-
ten oder Schwierigkeit verleihen und ein zu viel an bereits Entdecktem Begriffenem oder Begren-
zung wuumlrde das Spiel etwa vorhersehbar und eindeutig machen oder es einengen bdquokanalisierenldquo
(Scheuerl eindimensionale Zweckhandlung) sodass jede von ihm ausgehende Spannung und Spiel-
freude verloren ginge (vgl Scheuerl 1990 S 86-90)
bdquoSo bedarf das Spiel einer maszligvollen Spannung Spannungslosigkeit waumlre der Tod fuumlrdas Spiel Andererseits wuumlrde eine zu hohe Spannung sogleich einen auf Beendigungder Spannung gerichteten Befriedigungswunsch hervorrufen der die Ambivalenz uumlber-waumlltigen muumlszligteldquo (ders S 88 Herv i Orig)
Veranschaulicht darstellen laumlsst sich diese Ambivalenz zwischen Zufall und Notwendigkeit im Spiel
auch am Beispiel des Wuumlrfelns mit einem sechsseitigem Zahlenwuumlrfel Dabei besteht der Zufall in
der Wahrscheinlichkeit mit der eine der sechs Zahlen gewuumlrfelt wird und die Notwendigkeit be-
steht darin dass eine gewuumlrfelte Zahl immer im einschlieszligenden Bereich von eins bis sechs liegen
wird Somit begrenzen die festgelegten sechs Seiten des Wuumlrfels wie eine Regel das zufaumlllige Ein-
zelergebnis und steuern quasi bdquoselbstorganisiertldquo die Konsequenzen des Zufalls wodurch er statis-
tisch moumlglich dh wahrscheinlich wird (vgl Miller-Kipp 2005 S 281-282)
Nach Gisela Miller-Kipp10 ist dieses selbstgesteuerte Spannungsverhaumlltnis von ganz urspruumlnglicher
Relevanz Sie sieht einen Zusammenhang zwischen dem bdquoSpiel der Evolutionldquo dem Modus von
Freiheit zwischen Moumlglichem und Wahrscheinlichem und dem (menschlichen tierischen) Spiel als
9 vgl dazu bdquo12 Moment der inneren Unendlichkeitldquo in dieser Arbeit S 9 f10 Miller-Kipp Gisela Zufall Selbstorganisation und Kreativitaumlt Ein Versuch uumlber die Natur des Spiels wider seine
Paumldagogisierung In Bilstein J Winzen M Wulf C (Hg) Anthropologie und Paumldagogik des Spiels Weinheimund Basel Beltz Verlag 2005 S 273-291
11
einem lebendigen Teil dessen Naturwissenschaftliche Forschungen uumlber die Evolution haben seit
fast einem Jahrhundert die dazu grundlegenden Wesenskraumlfte im Evolutionsprozess definiert Diese
Wesensmerkmale sind Kreativitaumlt und Zufall (vgl dies S 281-285) Elfriede Maria Bonet fuumlhrt in
ihrem Aufsatz zum Spiel bdquoVon Autonomie und Spontanitaumlt Eine Naturgeschichte des Spielsldquo11 aus
dass Selbstorganisation eine relative Unabhaumlngigkeit von aumluszligeren Reizen bewirkt (Autonomie)
weshalb Spontanitaumlt als Strategie zur Selbststeuerung entsteht Diese Entwicklung von Selbstorga-
nisation mit Spontanitaumlt zur Selbststeuerung bildet ihr zufolge das kreative Moment im Evolutions-
prozess welches fuumlr das Auftreten neuer nicht voraussagbarer Qualitaumlten bzw neuer bdquoFormenldquo
oder Variationen aus dem Vorhandenen entstehen laumlsst (Emergenz12) Das daraus entstehende neue
Ganze waumlre bildlich gesprochen demnach mehr als die Summe seiner einzelnen Teile (frei nach Ari-
stoteles) Da es fuumlr menschliches aber auch tierisches Verhalten charakteristisch ist dass aufgrund
von Autonomie Spontanitaumlt entsteht erkennt Bonet darin die systemische Wesensverwandheit von
Spiel und Evolution (vgl Bonet S35ff) Diese Annahme deckt sich insofern auch mit dem Stand-
punkt derzeitiger Evolutionsforschung denn darin bdquowird die Evolution der materiellen und biologi-
schen Welt als einheitlicher Prozess angesehen der nicht determiniert ist und nicht deterministisch
ndash oder im alten Sinne mechanisch ndash ablaumluft Er spieltʻ wie es heiszligt [hellip]ldquo (Miller-Kipp 2005 S
280 Herv i Orig) Daraus folgt dass die bdquonatuumlrliche ndash physikalische und biologische ndash und kultu-
relle Evolution strukturell miteinander gekoppelt [sind] laufen also weder unabhaumlngig voneinander
noch in determinierender Kausalitaumlt zueinander abldquo (ebd Herv i Orig) Das schlieszligt somit das
Spiel des Menschen als bdquoKulturfaktorldquo13 und bdquoUrprinzipldquo (Huizinga) in diesen offenen Prozess ein
denn bdquoes [das Spiel MG] wurzelt in der Natur als der natuumlrlichen (der materiellen und der biologi-
schen) Evolution und traumlgt deren Momente in sich auch im Kulturprozessldquo (Miller-Kipp 2005 S
281) Auf dieser Grundlage wird derzeit die kreative Selbststeuerung auch als ursaumlchlich fuumlr den ge-
waltigen Formen- und Artenreichtum der Natur angesehen (vgl dies S 273-285 vgl dazu auch
Bonet 1993 S 35 ff) Auf das bdquonatuumlrlicheldquo (Kinder)Spiel bezogen bedeutet dies dass auch aus
dem Spiel in seinen Formen und Funktionen heraus Emergenzen entstehen Diese neuen unvorher-
11 Bonet Elfriede Maria Von Autonomie und Spontanitaumlt Eine Naturgeschichte des Spiels In Baatz U Muumlller-Funk W (Hg) Vom Ernst des Spiels uumlber Spiel und Spieltheorie Berlin Dietrich Reimer Verlag 1993 S35- 47
12 bdquoEmergent So bezeichnet man systemische Eigenschaften die nicht aus den Komponenten eines Systems abgelei-tet oder vorhergesagt werden koumlnnen Systeme sind in erster Linie relationale Tatsachen Dinge die auf den Bezie-hungen beruhen welche die Elemente des Systems zueinander einnehmen Als solche besitzen sie Eigenschaftendie gegenuumlber den Eigenschaften ihrer Komponenten oder Elemente emergent sind Nach Luhmann ist das Sozialeeine emergente Eigenschaft und als solches nicht aus den Eigenschaften seiner Elemente der psychischen Systemeableitbar Sozialitaumlt ist eine houmlherstufige Eigenschaft die auf den Beziehungen zwischen Menschen beruht In derBewusstseinsphilosophie behauptet der so genannte Emergentismus die Emergenz von Bewusstsein Hat die Kom-plexitaumlt bestimmter biologischer Systeme einen bestimmten Grad erreicht stehen insbesondere Nervenzellen aufvielfaumlltige Weise miteinander in Beziehung so tritt in der Geschichte der Evolution Bewusstsein als emergente Ei-genschaft dieser biologischen Systeme aufldquo (bdquoemergentldquo In UTB-Online-Woumlrterbuch Philosophie)
13 Huizinga geht davon aus dass Kultur (Sprache Gemeinschaftsleben Brauchtum Essen Sitten Kunst ReligionRechtsleben etc) in Form von Spiel entsteht (vgl Huizinga 2004 S7-13 56-58)
12
sagbaren Erscheinungen (Qualitaumlten) sind so vielfaumlltig dass sie dem von der Natur hervorgebrach-
ten Artenreichtum gleichen und in ihrer Qualitaumlt fuumlr das Individuum die vielfaumlltigsten und komple-
xesten Funktionen und Nutzen bereithalten
Nach meiner Auffassung werden die beschriebenen Wesenszusammenhaumlnge von Spiel und Evoluti-
on besonders in dem Modus von Freiheit als Ambivalenz im Spiel ersichtlich da die grundlegenden
evolutiven Momente naumlmlich Kreativitaumlt Selbstorganisation und Spontanitaumlt auch die wesentlichen
Schaffenskraumlfte menschlichen Handelns und des erlaumluterten Spannungsverhaumlltnisses im Spiel sind
In Anlehnung an Miller-Kippacutes und Bonetacutes Deutungsversuche zum Spiel ist das freie im obigen
Sinne natuumlrliche Kinderspiel als Modus von selbstregulierter Freiheit eine wesensgemaumlszlige kreatuumlrli-
che bdquoTaumltigkeitldquo des Menschen die sich ereignet bzw die geschieht und nicht verrichtet oder erzeugt
werden kann Die diesem bdquoSpielgeschehenldquo (Scheuerl) innewohnenden unverfuumlgbaren wesentli-
chen Momente sind demnach sowohl die Grundbedingung fuumlr das Spiel selbst als auch Vorausset-
zung fuumlr die Vielfaumlltigkeit im Spielprozess Fraglich ist an dieser Stelle ob ein intentional geplantes
Erziehungs- und Bildungsvorhaben diesen Entwicklungsspielraum mit vielfaumlltigsten Erfahrungs-
moumlglichkeiten fuumlr Kinder schuumltzend bereithaumllt Und ob dann das freie natuumlrliche Spiel abgewartet
wird oder ob das (Kinder)Spiel mit funktionalen Absichten durch Paumldagogisierung in das planende
Joch von Erziehungs- und Bildungsbestrebungen eingespannt wird und seine wesentlichen Poten-
ziale damit verspielt werden
15 Das Moment der Geschlossenheit
Die freie Spieltaumltigkeit eines Kindes ist insofern geschlossen als dass die oben genannten Momente
wie einzelne ineinander greifende Glieder eine bdquogeschlossene Ketteldquo bilden muumlssen damit sich
freies bdquonatuumlrlichesldquo Spiel einstellt Die sich daraus bildenden oder aufgenommenen Spiele werden
haumlufig von da an als auftretendes Phaumlnomen augenscheinlich Denn das Spiel beginnt sich als frei
gestaltete Zeit mit seinem entstehenden bdquoKosmosldquo von Regeln Zufaumlllen Absprachen Bedingun-
gen Offenheiten Bestrebungen Kontexten Unverfuumlgbarkeiten Themen etc klar zu definieren und
vom gewoumlhnlichen Leben bdquoabzusetzenldquo Es wird dabei ersichtlich dass freies Spiel seine eigene in-
nere Regelhaftigkeit (im weitesten Sinne) sein bdquoSpielfeldldquo hat und eher als das Gegenteil von Will-
kuumlr oder Anomie anzusehen ist (Vgl Scheuerl 1990 S 91-95)
16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
Das Spiel verfolgt keinen auszligerhalb seiner selbst liegenden Zweck (Zweckfreiheit) und das Spielge-
13
schehen ist eine bdquopendelnde Suchbewegungldquo (Scheuerl Ambivalenz) die bestrebt ist innerhalb ih-
rer konstruierten bdquoScheinweltldquo (Scheuerl Scheinhaftigkeit) endlos in sich selbst zuruumlckzulaufen
um kein Ende zu finden (innere Unendlichkeit) Spielende sind von ihrem lustvollen Erleben im
Spiel voumlllig durchdrungen und gestalten spielend spontan mit groszliger Ernsthaftigkeit und in voumllli-
ger Selbst- und Weltvergessenheit ihr bdquoewigesldquo Spiel Und wie entgegen aller Vergessenheit ist es
dennoch ein Zustand houmlchster Wachheit und Konzentration Spielende sind in jedem gegenwaumlrtigen
Moment voumlllig praumlsent dh im bdquoHier und Jetztldquo aumlhnlich einem meditierenden Menschen Spielende
befinden sich also im Zustand tiefer Kontemplation aber nur im Bezug auf ihr Spiel weshalb sie
auch das eigene Gefuumlhl fuumlr Zeit im Moment des Spielens nicht oder kaum wahrnehmen Spielende
Kinder koumlnnen uumlber Stunden bdquowie gefesseltldquo ihrem Spiel nachgehen ohne dass ihnen die Zeitspan-
ne wirklich bewusst waumlre oder dass es ihnen hinterher moumlglich waumlre den fuumlr das Spiel aufgebrach-
ten Zeitraum zu schaumltzen (Vgl Scheuerl 1990 S 95-96 100-102)
17 Zusammenfassung
Das dieser Arbeit zugrunde liegende Verstaumlndnis des Begriffes bdquofreies Kinderspielldquo kann wie folgt
zusammengefasst werden Freies (Kinder)Spiel wird als ein Geschehen von komplexer geistig-
kreativer Weltzuwendung verstanden das sich innerhalb eines Freiraumes ereignet Einerseits ist
die sich innerhalb dessen ereignende Spieltaumltigkeit frei von Zielen Zwecken oder Nutzen die au-
szligerhalb seiner selbst liegen und andererseits sind die Spielenden innerhalb des Spielzeitraums frei
von ihrer unmittelbaren Lebensfuumlrsorge Als solche freie Zeit gestaltende Taumltigkeit ist das Spielen
fuumlr geistig emotional erlebende Wesen wie den Menschen oder houmlher entwickelte Tiere fuumlr eine
hohe Lebensqualitaumlt innerhalb eines erfuumlllenden Lebens grundlegend Aus diesem Umstand ergibt
sich dass freies natuumlrliches Spiel als grundsaumltzliches Beduumlrfnis angesehen werden kann weshalb
Spielende auch einen Drang (bdquoTriebldquo) zum Spiel aufweisen Doch ist der Charakter dieser
(Spiel)Taumltigkeit an sich von anderer bdquoNaturldquo als gewoumlhnliche Beduumlrfnisse befriedigende
(Trieb)Handlungen Als diese triebhafte Tendenz zum Spiel zielt die Spieltaumltigkeit nicht auf das Be-
duumlrfnis stillende Ende ab sondern auf ihren dauerhaften Fortgang Dieser zirkulaumlre Charakter und
das geistig erfuumlllende Erleben werden dabei durch den Umstand ermoumlglicht dass sich das Spieler-
eignis aufgrund seiner zuvor beschriebenen Autonomie in einem Spannungsverhaumlltnis ereignet Die-
ses ergibt sich zwischen Zufall und Notwendigkeit und wird durch den Spielenden bestaumlndig in
Waage gehalten Dieses selbst initiierte Geschehen reguliert sich somit auf der Handlungsebene
selbst es ist selbstorganisiert Diese Selbststeuerung nutzt Phantasie und Spontanitaumlt als Strategie
weshalb das Spielgeschehen trotz seines zirkulaumlren Charakters als prozessoffen bezeichnet werden
14
kann Besonders das Kinderspiel taucht dazu im gegenwaumlrtigen Spielmoment mit seinen spielenden
Subjekten im besonderen Bewusstsein uumlber seine paradoxe Als-ob-Realitaumlt in ihre eigens gestaltete
geistige Scheinwelt ein Die Spielenden sind waumlhrenddessen voumlllig selbst- und weltvergessen mit
groszliger Ernsthaftigkeit und im groumlszligten Eifer voumlllig in ihr bdquogebanntldquo Fuumlr ein bdquosich Ereignenldquo dieses
beschriebenen spontanen natuumlrlichen Spiels hat es nun als letztes Merkmal noch zur Voraussetzung
dass einzelne Momente nicht fuumlr sich isoliert initiiert oder planmaumlszligig ersetzt weggelassen oauml wer-
den koumlnnen so dass jedes einzelne der sechs Wesensmomente im Spielgeschehen quasi jeweils ein
bdquoGliedldquo in einer ineinander greifenden bdquofunktionalenldquo Kette darstellt ohne dass die Kette nicht
funktionstuumlchtig waumlre und sich freies natuumlrliches Spiel nicht ereignen koumlnnte
Inwiefern sich freies Kinderspiel nach dieser Auffassung im Hessischen Bildungs- und Erziehungs-
plan widerspiegelt soll im folgenden Kapitel untersucht werden
2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
21 Das Spielverstaumlndnis
Im Kapitel bdquoGrundsaumltze und Prinzipienldquo des Hessischen Bildungsplanes kommt dessen bdquoeigenesldquo
Verstaumlndnis zum bdquoKinderspielldquo ebenso zum Ausdruck wie eine Anleitung dazu wie mit dem Spiel-
phaumlnomen planvoll umzugehen ist (vgl Hessisches Sozialministerium Hessisches Kultusministeri-
um (2007) S 30-31) Im Folgenden werden diese Positionen zusammenfassend darstellt und erlaumlu-
tert
Spiel wird darin als Mittel in der ureigenen Ausdrucksform des Kindes angesehen womit es in der
Zeit des Heranwachsens seine Entwicklungsaufgaben und Lebensrealitaumlt bewaumlltigt Nach dieser
Auffassung kennzeichnen das Spiel drei Merkmale Das ist erstens die Zweckfreiheit der Spielhand-
lung die ausschlieszliglich durch das von ihr ausgehende Anregungspotentials ausgefuumlhrt wird Zwei-
tens dass im Spiel eine eigene Realitaumlt konstruiert wird und drittens dass Spielhandlungen wie im
Ritual wiederholt werden Die weitere Betrachtung des Spiels ist dann maszliggeblich auf Zwecke Zie-
le und den Sinn des Spiels im Bezug auf seine Wirkungen beschraumlnkt Somit sollen sich Kinder
zwar bdquoin ihren Spielhandlungen lustvoll versenken und dabei in einen intensiven Austausch mit ih-
rer Umwelt tretenldquo (dies S 30) Dies diene dann aber lediglich der Verarbeitung und Bewaumlltigung
von noch nicht zuordenbaren Erfahrungen (Problemen) Diese vom Kind zu bewaumlltigenden Proble-
me betraumlfen einerseits Entwicklungsthematiken wie bdquodas Ausspielen von Macht und Kontrolle von
Allmachtsphantasien [hellip] oder Herrschaft uumlber Leben und Tod [] sowie der Wunsch nach Heraus-
bildung eines Selbst bzw einer Identitaumltldquo (ebd) und andererseits Beziehungsthematiken zwischen
15
Erwachsenen und Gleichaltrigen
An die Beschreibung der drei Merkmale von Spiel anschlieszligend wird der Lern- und Entwicklungs-
charakter des Spiel dargestellt bdquoFreie Spielprozesse sind immer auch Lernprozesse denn Kinder
lernen zumindest beilaumlufig durch Spielenldquo (ebd)
Weiter heiszligt es im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan dass die Qualitaumlt dieser Lernprozesse
die im freien Kinderspiel stattfinden durch bdquogezielte Unterstuumltzungsmaszlignahmenldquo zu erhoumlhen sei In
dieser Aussage wird deutlich dass das freie Kinderspiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungs-
plan lediglich als Mittel aufgefasst wird welches die Entwicklungs- und Lernprozesse waumlhrend des
Heranwachsens beschleunigend wie ein Motor vorantreiben soll Warum sonst soll die bdquoQualitaumltldquo
des freien Kinderspiels bdquoerhoumlhtldquo werden Kinder sollen in erster Linie nicht spielen um ihrem Be-
duumlrfnis nach Spiel nachzukommen sondern um etwas zu lernen Dies legt den Verdacht nahe dass
das Spielen als solches auch nur aus diesem Grunde naumlmlich weil Kinder im Spiel etwas lernen
dh Kompetenzen erwerben Bestandteil des Bildungsplanes ist
Zusammenfassend kann festgestellt werden dass das Spiel im Hessischen Bildungs- und Erzie-
hungsplan auf eine Art Voruumlbung fuumlr das bdquorichtigeldquo Leben bei gleichzeitiger Lebensbewaumlltigung
verkuumlrzt wird Gleichzeitig findet durch die bdquoAufwertungldquo des freien Spiels zum bdquospielerischen Ler-
nenldquo eine Funktionalisierung und Paumldagogisierung des freien Spiels statt Die dem Spiel von Lern-
und Entwicklungspsychologie attestierten Potenzen (vgl Oerter 2007) sollen fuumlr die Realisierung
der Bildungs- und Erziehungsziele nutzbar gemacht werden dh das Spiel an sich dient vorrangig
dem Erwerb gewisser Kompetenzen und nicht der Erfuumlllung kindlicher Spielbeduumlrfnisse
Im folgenden Abschnitt werden die Hintergruumlnde eines solchen Spielverstaumlndnisses untersucht
Politische Motivationen spielen dabei ebenso eine Rolle wie die sich daraus ergebenden Ziele des
aktuellen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplans
22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
Im Vorwort des Hessischen Bildungs- und Erziehungsplans benennen die ehemaligen Hessischen
Ministerinnen14 fuumlr Kultus Karin Wolf und fuumlr Soziales Silke Lautenschlaumlger das zentrale politi-
sche Ziel naumlmlich die bdquoOptimierung der Bildungschancenldquo und die Entwicklung von bdquoChancen-
gleichheitldquo (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S 18) fuumlr die heranwachsende
Generation Bereits diese Formulierung laumlsst erkennen dass es im Bereich Bildung und Erziehung
politisch gesehen um Effizienz und um einheitliche bdquoQualitaumlts-ldquo und bdquoBildungsstandardsldquo geht die
14 unver uumlbern v aktuellem Kultusminister Herr Lorz von Herr Gruumlttner fuumlr Soziales und Integration
16
auf maximale Leistungen in der nationalen und internationalen Wissenskonkurrenz zielen
Wie ist also bdquoOptimierung der Bildungschancenldquo zu verstehen Konzeptionell ist diese bdquoOptimie-
rung der Bildungschancenldquo darauf angelegt dass bis zum Uumlbergang in die Sekundarstufe die Kin-
dertageseinrichtungen und Grundschulen allen Kindern eines Jahrgangs als Grundlagen die gleichen
bdquoBasiskompetenzenldquo15 vermitteln sollen Das Erreichen dieser bdquoBildungsstandardsldquo bis zur vierten
Klasse sei wiederum die Herstellung von bdquoChancengleichheitldquo so die Schlussfolgerung (vgl dies
S 18)
Dabei besteht die Chance darin dass die Kinder des gesamten Jahrgangs in gleichen Leistungstests
an diesen einheitlichen bdquoBasiskompetenzenldquo in Abhaumlngigkeit gemessen und in Konkurrenz zueinan-
der nach ihren Lernleistungsdifferenzen (Leistungsabstaumlnden) eingeordnet werden koumlnnen (vgl
Nuumlberlin 2002 S 117-127) Die dabei entstehende Jahrgangssortierung dh die Platzierung im
Leistungsvergleich innerhalb eines Jahrganges entscheidet dann daruumlber welche Kinder eine
bdquoChanceldquo auf houmlhere Bildung erhalten und welche nicht welche also das Gymnasium besuchen
duumlrfen und fuumlr welche der Besuch der Realschule vorgesehen ist Somit werden mit dem politischen
Programm bdquoChancengleichheitldquo bzw bdquoOptimierung der Bildungschanceldquo die jungen Generationen
(Kinder und Jugendliche) gemaumlszlig der in der Gesellschaft durchgesetzten Wissenshierarchie bzw Fauml-
higkeitshierarchie kontinuierlich eingeordnet (vgl Nuumlberlin 2002 S 127-129)
Deshalb soll bdquoChancengleichheitldquo auch bdquoBildungschancenldquo eroumlffnen weshalb im Bildungsplan Paumld-
agogen dazu aufgerufen sind die Kinder von fruumlhester Kindheit an individuell zu staumlrken um ihre
unterschiedlichen Voraussetzungen zumindest in gleichen bdquoBasiskompetenzenldquo vermeintlich einan-
der anzugleichen und somit die Vergleichbarkeit in der Notenkonkurrenz chancengleich im Sinne
von voraussetzungsgleich zu gestalten (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S
5-6 und S 17-18) Gerda Nuumlberlin weiszligt darauf hin dass aber diese Voraussetzungsgleichheit die
Institution Schule gerade nicht leistet Und dass Schule statt dessen durch Lernen auf Zeit die Schuuml-
ler innerhalb eines Jahrgangs mit einheitlichen Tests kontinuierlich einem Sortierungsverfahren un-
terzieht das eher gemaumlszlig den Bildungsschichten die Wissensunterschiede der Kinder hervorhebt
und sogar mit produziert statt sie mit dem Ziel der bestmoumlglichen Wissengleichheit zu bdquobeseitigenldquo
(vgl Nuumlberlin 2002 S 104-142)
Die auf gleiche Basiskompetenzen vorbereitenden Lernangebote und Fruumlhfoumlrderungen sollen nach
Aumluszligerung der Ministerinnen im Vorwort intensiver und fruumlher initiiert werden als in den vorange-
gangenen Jahren (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S 5-6) Zur Sicherung
15 bzw auch als bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (vgl dies S 41) bezeichnet daraus resultieren sollen die besonders vonder Wirtschaft geforderten bdquoMetakompetenzenldquo (vgl dies S 17)
17
der bdquoBildungsqualitaumltldquo und Umsetzung einheitlicher Standards soll der Bildungs- und Erziehungs-
plan das institutionenuumlbergreifende Steuerungsinstrument sein (vgl dies S 19) Die Herausgeber
des Bildungsplanes heben in der Einfuumlhrung besonders hervor dass es sich erstmals um einen Bil-
dungs- und Erziehungsplan handelt der durch seine stufenlose Konzeption von 0 bis 10 Jahren ein
kontinuierliches Lernen vorsieht Alle paumldagogisch wirkenden Personen und Institutionen sollen
durch einheitliche Bildungs- und Erziehungsziele moumlglichst an bdquoeinem Strang ziehenldquo koumlnnen (vgl
dies S 5-19)
Leitziel ist es fuumlr das bdquolebenslange Lernenldquo mit dem Erwerb von bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo die
bereits erwaumlhnte gemeinsame Grundlage (bdquoBasiskompetenzenldquo 16) der Kinder zu erzeugen (vgl
dies S 41f)
Veranlasst sehen sich die Ministerien zur bdquoneuenldquo konzeptionellen Bildungssteuerung durch den
tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel der sich von der demografischen Entwicklung uumlber viel-
faumlltige kulturelle Kontexte die Wirtschafts- und Arbeitswelt bis hin zu familialen Wandlungsprozes-
sen vollzieht und generell durch Schnelllebigkeit gekennzeichnet ist und von den Menschen ein ho-
hes Maszlig an Flexibilitaumlt und Mobilitaumlt fordert Hierzu werden auch die Ergebnisse der Schuumllerleis-
tungsvergleiche wie PISA TIMSS oder IGLU und denen entsprechende wissenschaftliche For-
schungsbefunde genannt denen der bdquo(neue) Bildungs- und Erziehungsplanldquo Rechnung tragen
moumlchte (vgl dies S 16-19)
Denn die Platzierung bei national und international vergleichbaren Leistungserhebungen ist letztlich
die Bemessungsgrundlage fuumlr bdquoBildungserfolgldquo oder bdquoBildungsversaumlumnisldquo Die attestierte bdquoBil-
dungsqualitaumltldquo ist deshalb von politischem Interesse weil die Politik die durch ihr Bildungssystem
erreichte Platzierung im vorderen Bereich als Standortfaktor fuumlr ihren Wirtschaftsstandort in
Deutschland nutzen moumlchte um vor allem auf dem globalem Markt konkurrenzfaumlhig zu bleiben
Im Folgenden wird zu zeigen sein ob und inwiefern diese Zielsetzungen mit dem dafuumlr entwickel-
ten Bildungskonzept zur angenommenen Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels fuumlhren
16 Im Einzelnen werden folgende Kompetenzen genannt als Basiskompetenzen werden bdquoindividuumsbezogeneKompetenzenldquo bdquoKompetenzen zum Handeln im sozialen Kontextldquo bdquoLernen und lernmethodische Kompetenzldquo undbdquokompetenter Umgang mit Veraumlnderung und Belastung Widerstandsfaumlhigkeit (Resilienz)ldquo genannt (vgl dies S 25-26 und S 41-44) Zum anderen werden darauf aufbauende konkrete Bildungs- und Erziehungsziele genannt (ent-sprechend der geforderten bdquoMetakompetenzenldquo) bdquostarke Kinderldquo bdquokommunikationsfreudige Kinder und medien-kompetente Kinderldquo bdquoKreative fantasievolle und kuumlnstlerische Kinderldquo bdquoLernende forschende und entdeckungs-freudige Kinderldquo und bdquoverantwortungsvoll und werteorientiert handelnde Kinderldquo (vgl dies S 13)
18
23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Wie kann das politische Ziel naumlmlich alle Kinder mit den gleichen Grundkompetenzen auszustatten
und deren bdquoErfolgldquo mindestens ab der vierten Klasse an regelmaumlszligigen Leistungserhebungen zu be-
messen durch freies Spiel erreicht werden Die Vermittlung bzw der Erwerb standardisierter Inhal-
te (Wissen Faumlhigkeiten Fertigkeiten Kompetenzen) und die Verfuumlgung daruumlber (Pruumlfungstermin)
steht im Widerspruch zum freien Spiel als offenem Prozess den die Spielenden selbst initiieren und
gestalten und bei dem keine Voraussagen daruumlber getroffen werden koumlnnen wann sich welche
Kenntnisse und Fertigkeiten einstellen
Diese erlangt man einerseits durch die Freiheit als Freiraum zum Spiel die eine gewisse Qualitaumlt an
Sorgefreiheit bedingt Zur Sorgefreiheit zaumlhlt beispielsweise auch das Freisein von Lerndruck der
jedoch unter anderem durch festgelegte Leistungserhebungen und Entwicklungsdokumentationen
bei den Kindern erzeugt wird Und andererseits erwirbt man Kenntnisse und Faumlhigkeiten nur dann
wenn das Spiel frei ist wenn es sich also um seiner selbst Willen ereignet und eben nicht bdquokanali -
siertldquo wird es also keinen aumluszligeren Zielen Zwecken oder Absichten unterliegt wie es jedoch bei
festgelegten bdquoBasiskompetenzenldquo (bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo) eines bdquoBildungsstandardsldquo der Fall
waumlre17 Hinzu kommt der weitere Aspekt von Freiheit im Spiel wonach das Spiel ein selbstgesteuer-
ter Prozess mit offenem bdquoAusgangldquo ist dessen Wirkungen eben nicht planbar oder voraussagbar
also nicht standardisierbar und determinierbar sind Diese Qualitaumlt von Freiheit im Spiel ergibt sich
nun aus den unverfuumlgbaren Momenten des freien Spiels wie dem Augenblick der Instabilitaumlt der
Kreativitaumlt und Phantasie der Spontanitaumlt und Unordnung dem Unsinn und Zufall Diese zugleich
auch wesentlichen Antriebskraumlfte des Spiels koumlnnen sich wie bereits im Kapitel bdquo14 Moment der
Ambivalenzldquo (S 11-13) naumlher beschrieben nur in einem Entwicklungsspielraum mit reichhaltigen
Erfahrungsmoumlglichkeiten und mit dem erlaumluterten Spannungsverhaumlltnis ergeben Sie tragen dann
aber auch die unermesslichen Potentiale fuumlr Emergenz mit dem Prinzip des Lebendigen in sich
woraus sich seine Offenheit fuumlr Neues im Sinne der Weiterentwicklung von Leben ergibt
An dieser Stelle moumlchte ich ergaumlnzend zu meiner eher phaumlnomenologischen Wesensauffassung von
freiem Spiel einige Beispiele skizzieren wie sich die Einuumlbung von Kompetenzen durch freies Spiel
aus psychologischer Sicht vollzieht
Die im Hessischen Bildungsplan intentional geplanten Basiskompetenzen und Lernziele wie bei-
spielsweise Kreativitaumlt Abstraktionsvermoumlgen Empathie oder Flexibilitaumlt in Denk- und Vorstel-
17 Vgl dazu Kapitel bdquo11 Das Moment der Freiheitldquo in dieser Arbeit S 7f
19
lungsvermoumlgen ergeben sich im Spiel als bdquoNebeneffektldquo Das Kind vollzieht naumlmlich im Spiel fuumlr
seine Entwicklung entscheidende Bildungsprozesse selbsttaumltig intrinsisch motiviert und in der bdquoDo-
sisldquo die es bedarf Dabei von groszliger Bedeutung ist der vom Kind entwickelte eigene Lernmodus
der sich maszliggeblich an der individuellen Leistungsfaumlhigkeit und den persoumlnlichen Beduumlrfnissen ori-
entiert Hierfuumlr benoumltigt jedes Kind einen eigenen Entwicklungsspielraum
bdquo[Der] sollte Heranwachsenden die vielfaumlltigsten auch selbsttaumltig inszenierten Erfah-rungsraumlume bieten um sich - wie es Johann Heinrich Pestalozzi nannte - an Kopf Herzund Hand bilden zu koumlnnen moumlglichst frei von Furcht und Zwang Sinnesbildung Koumlr-perbildung und geistig-seelische Bildung sollten dabei gleichermaszligen zur Entfaltungkommenldquo (Rittelmeyer 2007 S 7)
So initiieren Kinder beispielsweise in ihren Rollenspielen eigentaumltige Bildungsprozesse indem sie
sich im spontanen Spiel in die Perspektive anderer Menschen versetzen und eigenes Handeln fuumlr
aumlhnliche Lebenssituationen uumlben Oder sie erproben sich im Spiel mit verschiedenen sozialen Rol-
len zB im Rahmen gesellschaftlicher Verhaltensstandards indem ein von Geschichten aufgenom-
menes oder durch elterliche Kommentare an die Kinder herangetragenes Ideal (bdquoTapferkeitldquo bdquoGe-
schwisterliebeldquo bdquoFreundschaftldquo bdquoHilfsbereitschaftldquo etc) mit der persoumlnlichen Wirklichkeit vertraut
gemacht wird Dieses Erproben entspricht zB einer Bewusstseinsbildung im Hinblick auf (solche)
gesellschaftlichen Rollenerwartungen
bdquo[Oder] im Symbolspiel das ein Houmllzchen zur Mutterʻ oder zum Autoʻ werden laumlsstuumlben Kinder die Faumlhigkeit im Hinblick auf gegebene Phaumlnomene verschiedene Per-spektiven entwickeln zu koumlnnen also mit Kreativitaumlt oder Phantasie auf Erscheinungender aumluszligeren Welt zu reagierenldquo (ders S 17)
Es ist schwierig zu sagen welche Kompetenzen genau aus eigentaumltigen Bildungsprozessen im Spiel
entstehen da Resultate aus diesen Erfahrungen wiederum von diversen Faktoren abhaumlngig sind
Maszliggebliche Faktoren sind dabei die uumlberaus verschiedenen biografischen Erfahrungen der Kinder
und dass die letztliche Erfahrungsgewichtung durch ihre Individualitaumlt verschieden zum Tragen
kommt
Da aber jedes Lernen immer individuumsbezogen dh vom Kind abhaumlngig ist hat dieser Umstand
auch fuumlr die geplant-initiierten Lernangebote Geltung sofern derartige von auszligen angestoszligene
Lernangebote uumlberhaupt in den lernenden Kindern auf Resonanz stoszligen
Es duumlrfte kaum anzuzweifeln sein dass wie im Beispiel des spontanen von den Kindern selbst initi-
ierten Rollenspiels Rollenhandeln und soziale Empathie eingeuumlbt und fuumlr eigenes Handeln erprobt
werden Ebenso werden durch Symbol- oder Rollenspiele die Phantasie und Kreativitaumlt vielfaumlltig
angeregt die Beobachtungsgabe und das Vorstellungsvermoumlgen ausgepraumlgt Daraus kann sich wie-
20
derum das Abstraktionsvermoumlgen entwickeln und die Kinder bilden mit zunehmenden Perspekti-
venwechseln eigene Vorstellungen und Uumlberzeugungen aus Indem naumlmlich Spielende in ihre selbst
konstruierte bdquoScheinweltldquo gaumlnzlich bdquoeintauchenldquo nehmen sie auf zuvor vielfaumlltig beobachtete und
erlebte Situationen Bezug Erst spielen sie das Erlebte nach und bdquodurchlebenldquo es dabei spielerisch
immer wieder bis sich ein tiefgruumlndiges Verstaumlndnis uumlber die erlebte Situation gebildet hat Allmaumlh-
lich wird dann durch die eigene Ausgestaltung des Rollen- oder Symbolspiels das wahrgenommene
Phaumlnomen zunehmend abstrahiert und Kinder beginnen vielfaumlltige eigene Vorstellungen dazu zu
entwickeln Freies Spiel entspricht also eigentaumltiger Lebenswelterfahrung und -aneignung und ihr
Bildungsgehalt scheint dabei fast unermesslich groszlig zu sein (vgl ders S 7-17 und S 135-137)
Es wuumlrden sich also durch freies Kinderspiel ganz unterschiedliche und auch bdquoneueldquo Kompetenzen
mit ganz individuellen Auspraumlgungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten bilden Diese Aspekte ma-
chen aber eine vergleichende Leistungserhebung quasi unaussagekraumlftig bzw koumlnnten einen deter-
minierten bdquoBildungsstandardldquo insofern bdquogefaumlhrdenldquo als dass das Spiel als kreative geistig-emotio-
nale Weltzuwendung immer einen offenen bdquoAusgangldquo hat dh nicht vorhersagbar ist Das Zulassen
von freiem Spiel steht somit im Interessenskonflikt mit den oben genannten politischen Absichten
weshalb dem freien Spiel ein generelles Misstrauen gegenuumlber gebracht wird Dies fuumlhrt letztlich
konzeptionell dh durch die Einfuumlhrung und Umsetzung von bdquoBildungsstandardsldquo zur zunehmen-
den Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
Inwiefern die angenommene Verdraumlngung von freiem Kinderspiel auch paumldagogisch motiviert sein
kann soll im folgenden Abschnitt untersucht werden
24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Die Autorinnen und Autoren sehen Kinder einerseits als kompetente selbstbestimmt taumltig werdende
Wesen an und deuten die Bildung und das Lernen zwar als soziale Prozesse die sich im Dialog zwi-
schen Kind und Erwachsenem vollziehen koumlnnen Andererseits verweisen sie aber darauf dass die
Qualitaumlt dieser Prozesse wiederum von auszligen dh von einem Erwachsenen gesteuert und mode-
riert werden sollen (vgl Hessisches Sozialministerium Hessisches Kultusministerium 2007 S 20-
21) Die Steuerung der Bildungs- und Lernprozesse wird versucht zu rechtfertigen indem auf aktu-
elle neurowissenschaftliche Befunde verwiesen wird die dem kindlichen Gehirn ein enormes Ent-
wicklungs- und Lernleistungsvermoumlgen zuschreiben welches wenn es nicht genuumltzt wuumlrde einem
bdquoBildungsversaumlumnisldquo gleichkaumlme und nur schwer wieder aufzuholen sei (vgl dies S 20- 24)
bdquoJe reichhaltiger aumluszligere Lernreize sind desto mehr effiziente neuronale Netzwerke
21
(Synapsen) bilden sich heraus die fuumlr die Verarbeitungskapazitaumlt des Gehirns und seineLernfaumlhigkeit im spaumlteren Leben bedeutsam sind Im Entwicklungsverlauf eines jedenKindes gibt es optimale Zeitraumlume fuumlr grundlegende Lernschritte (zB ZweitspracheRaumorientierung elementares mathematisches Denken Interesse an Naturwissen-schaften aumlsthetisches Verstaumlndnis Entwicklung der Musikalitaumlt) Solche Zeitfenstergibt es auch noch im Laufe der weiteren Bildungsbiografie Dennoch gilt es diese sen-siblen Phasen bereits durch fruumlhe Bildung offensiv zu nutzen [sic] Je solider und brei-ter die Basis aus jener Zeit desto houmlher ist die Wahrscheinlichkeit dass das Kind danachaktiver und leichter lernt Fruumlhe Bildungsversaumlumnisse sind nur schwer aufholbarldquo(dies S 24)
Die programmatische Paumldagogisierung von Spiel die die bdquoGrenzen zwischen der herkoumlmmlichen
Trennung von Freispielprozessen und geplanten Bildungsprozessen zunehmendldquo (dies S 30) ver-
wischen soll ist vor dem Hintergrund Bildung als Produkt einer offensiven Nutzung der sensiblen
Lernzeitfenster anzusehen (vgl dies S 23-24) und wiederum von seiner politischen Motivation
mit dem Wettlauf um Konkurrenzfaumlhigkeit sowie der Weiterfuumlhrung einer in der Gesellschaft durch-
gesetzten und der Wirtschaft dienlichen Wissenshierarchie in Verbindung zu bringen Folglich fuumlhrt
die im Bildungs- und Erziehungsplan programmatisch angewiesene Funktionalisierung des Spiels
zum bdquospielerischen Lernenldquo letztlich paumldagogisch motiviert zur zunehmenden Verdraumlngung des frei-
en (Kinder)Spiels denn dieses wird als zu zeitintensive Taumltigkeit angesehen Freispiel darf zwar
laut Plan auch enthalten sein es bdquomuss jedoch im angemessenen Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlten ste-
henldquo (dies S 31) weshalb es wegen des bdquoLernfensterdrucksldquo (vgl Dies S 23-24) zum bdquospielen-
den Lernenldquo umfunktionalisiert werden soll (vgl dies S 30-31) um wegen seiner bildenden Po-
tenzen dann als Lernbeschleunigung dem Lernziel (bdquoBildungserfolgldquo) dienbar gemacht zu werden
Das Freispiel soll konzeptionell auf zwei Wegen zu bdquospielendem Lernenldquo qualitativ aufgewertet
werden Zum einen indem aus Spielprozessen Projekte hervor gehen mit der Bedingung dass das
Spielgeschehen zunehmend von der Projekttaumltigkeit durchdrungen wird Und zum anderen koumlnnen
bdquo[]im Rahmen von Projekten [hellip] Freispielphasen enthalten sein in denen sich dieKinder weiterhin mit dem Projektthema allein oder mit anderen auseinandersetzen DieQualitaumlt der Freispielprozesse laumlsst sich durch gezielte Unterstuumltzungsmaszlignahmen erhouml-henldquo (dies S 30 Herv MG)
Wenn also Freispielphasen eingeplant werden dann unter der Bedingung dass im bdquoSpielldquo die Pro-
jektthemen wieder aufgegriffen werden In beiden Varianten wird aber die Qualitaumlt des Spiels zu-
mindest im Bezug auf das Erreichen des Lernzieles angezweifelt weshalb ein gezieltes Einwirken
der Paumldagogen kontinuierlich angedacht ist
bdquoDie Houmlhergewichtung des elementaren Bildungsauftrags hat zur Konsequenz dasssich das beilaumlufige Lernen der Kinder im Spiel zum spielerischen Lernen hin entwickeltDem Spiel wird mehr systematische Begleitung und didaktische Aufbereitung
22
zuteilldquo(dies S31 Herv MG)
Das demnach angedachte bdquoFreispielldquo soll folglich auch kein freies natuumlrliches Spielen sein selbst
wenn sich Kinder angetan von den Projektinhalten im freien Spiel beginnen selbsttaumltig im Rah-
men dessen auseinanderzusetzen Solches Geschehen wuumlrde durch paumldagogisches Einwirken auf
das Lernziel hin gelenkte Taumltigkeit werden es soll durch Erwachsene zum bdquospielerischen Lernenldquo
hin entwickelt werden Ebenso kann auch ein anfaumlngliches Spiel nie als solches bestehen bleiben
Die Houmlhergewichtung des institutionellen bdquoBildungsauftragsldquo bewirkt in beiden Faumlllen dass der
scheinbar gewaumlhrte bdquoSpielraumldquo zur zielorientierten Lerntaumltigkeit wird weshalb (freies) Spiel ver-
draumlngt wird und zunehmend in Projekttaumltigkeit muumlndet Erst dann hat Spiel einen qualitativen Nut-
zen im Sinne des Bildungs- und Erziehungsplans Deshalb haben Spielen und Lernen auch nach An-
sicht und Position des Bildungsplanvorhabens in einem besonderen Verhaumlltnis zueinander zu stehen
welches Paumldagogen zu sichern haben
bdquoFreispiel ist wichtig muss jedoch im angemessenem Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlt stehendie die Erwachsenen planen und initiieren[]ldquo (ebd Herv MG)
Denn Lernaktivitaumlt sollte nach Meinung der Autorinnen und Autoren wenn sie vom Kind ausgeht
letztlich durch Erwachsene zielfuumlhrend gelenkt werden
Diese Qualitaumlt steigernden Unterstuumltzungsmaszlignahmen und das angestrebte Verhaumlltnis von Spielen
und Lernen stehen im einzelnen mit den Wesensmomenten des freien Spiels in Widerspruch Im
freien Spiel sind die Spielinhalte die sich spielende Kinder selbst auswaumlhlen vorwiegend alltagsbe-
zogen und als diese individuell meist sehr unterschiedlich Kinder begegnen im Spiel also Themen
die ihr Interesse durch erlebte oder beobachtete Situationen geweckt haben Diese eigens initiierten
Spielideen koumlnnen wie oben skizziert diverse Funktionen (zB bildendes Erproben) als Nebenef-
fekt haben Aber im Sinne des Spiels als bdquofreie Zeitgestaltungldquo draumlngt das Kind eher nach sinnvoll
erfuumllltem Leben durch erstrebtes lustvolles Spielen mit ganzheitlichem Lebensweltbezug als nach
einer von auszligen das Spiel deformierenden oder domestizierenden Systematik und Didaktik Es ist
anzunehmen dass diese fehlende bdquoBe-friedigungldquo des Spielbeduumlrfnisses ihre praumlgenden Anpas-
sungsspuren in den Kindern hinterlaumlsst und sie wahrscheinlich unzufrieden macht Zusaumltzlich duumlrf-
ten diese Umstaumlnde dem Lernen allgemein auch eher abtraumlglich sein
Es besteht also ein ganzheitlicher Bezug zum eigenen Leben wenn durch die Freiheit zum Spiel
ganz individuelle Themen zur Spielidee werden und bdquoihren Laufldquo nehmen Das heiszligt die jeweilige
Initialidee wird im weiteren Spielverlauf staumlndig veraumlndert werden und folgt dabei gerade eben
nicht der bdquoLogikldquo der buumlrgerlichen Erwachsenenwelt Diese bdquoLogikldquo wird aber im Bildungsplan fo-
23
kussiert In ihm ist die Annahme enthalten dass Kinder wie Forscher ihre Umwelt erkunden und
nun im Zuge der Aufwertung des Spiels zum bdquospielerischen Lernenldquo durch paumldagogisches Hinwir-
ken sich das bdquospielendeldquo Kind in reflektierender Betrachtungsweise Kausalzusammenhaumlnge und
Gesetzmaumlszligigkeiten des zu untersuchenden bdquoGegenstandesldquo erschlieszligen bzw davon ableiten soll
(vgl dies S 20 27-28 30-31) Spiel ist aber nur dann Spiel wenn es ein eigenes fortwaumlhrendes
kreatives und spontanes Eingehen auf die Anregungen der aumluszligeren Spielszenerie ermoumlglicht (vgl
Kapitel bdquo14 Das Moment der Ambivalenzldquo S 11ff sowie Rittelmeyer 2007 S 136) Innerhalb
dessen orientiert sich die Spiel gestaltende Taumltigkeit des Kindes hauptsaumlchlich an den eigenen Be-
duumlrfnissen und nicht an Vorgaben von auszligen Deswegen kann auch nicht alles Spiel sein das waumlre
Willkuumlr und nicht Geschlossenheit (vgl Kapitel bdquo15 das Moment der inneren Geschlossenheitldquo S
13) Und um seiner inneren Zweckmaumlszligigkeit moumlglichst dienlich zu sein bleibt es auch stets unver-
fuumlgbar Darin gibt es keine absolute Eindeutigkeit (zB ein Lernziel) mit zielgerichtetem Streben
nach zukuumlnftiger Befriedigung Spiel ist jetzt ist gegenwaumlrtig angestrebtes erfuumlllendes Erleben von
frei gestalteter Zeit Nur so koumlnnen sich alle weiteren Wesensmomente und ihre ua auch hoch ef-
fektiv bildenden Potenziale ergeben und individuell entfalten Solches Spiel waumlre aber von Vielfalt
Spontanitaumlt Uumlberfluss Instabilitaumlt Kreativitaumlt oder auch vom ihm eigenen Unsinn gepraumlgt Sicher-
lich erschlieszligen sich dem Kind dabei diverse Kausalzusammenhaumlnge und aus Einzelphaumlnomenen
wird es ableitend Gesetzmaumlszligigkeiten erfahren die sich in diesem informellen Lernprozess dann als
Wissen Kenntnisse Fertigkeiten oder auch Kompetenzen verinnerlichen Aber diese (Neben)Effek-
te wuumlrden nie zielfuumlhrend oder leitend das Spielgeschehen formen bzw antreiben
Dem natuumlrlichen freien Spiel steht das bdquospielerische Lernenldquo auch im Bezug auf die im Spiel er-
schaffene Phantasiewelt (vgl Kapitel bdquo13 Das Moment der Scheinhaftigkeitldquo S 10) entgegen
Denn diese zeichnet sich gerade dadurch aus dass sie sich von den bdquoObjektenldquo der Umwelt loumlst
vom Faktischen enthoben ist und durch Phantasie zu bdquoNeuemldquo zu Symbolischem werden laumlsst Und
somit das symbolische bdquoAls-obldquo Spielgeschehen ermoumlglicht Das Spiel wuumlrde sich also notwendi-
gerweise von der Projekttaumltigkeit oder ihren faktischen Inhalten loumlsen muumlssen um sich in dieser
Phantasiewelt mit seiner Spielhandlung zwischen Zufaumllligem und Notwendigem bewegen zu koumln-
nen Mit der daraus entstehenden Gegenwaumlrtigkeit schloumlssen sich alle weiteren Momente zu ihrer
bdquofunktionalenldquo Kette zusammen Auch der zeitliche Rahmen in dem sich das freie Spiel nun bewe-
gen wuumlrde ist unvorhersehbar Es ist also wahrscheinlich dass das Spielgeschehen uumlber den von
Erziehern eingeplanten bdquoFreispielzeitraumldquo hinweg andauern koumlnnte und deshalb von auszligen durch
die Paumldagogen abgebrochen werden wuumlrde Der bdquoinneren Unendlichkeitldquo des Spiels wuumlrde dies so-
mit ein abruptes Ende bereiten Dem zirkulaumlrem Charakter des Spiels steht noch ein weiterer Aspekt
24
entgegen Naumlmlich dass die Wiederholungen der Spielhandlung nicht aus systematischer oder di-
daktischen bdquoAufbereitungldquo erzeugt werden koumlnnen sondern dass sie wie Rolf Oerter in bdquoZur Psy-
chlogie des Spielsldquo beschreibt mit lustvollem Erleben in Verbindung zu bringen sind und demnach
eher dem Lustprinzip folgen als dem rationellem Realitaumltsprinzip (vgl Oerter 2007 S 9 12 14f
18-21)
Einzelne Momente fuumlr bdquospielerisches Lernenldquo zu erzeugen bzw sie diesbezuumlglich abzuwandeln
kann also nicht mehr mit dem natuumlrlichen freiem Spiel in Verbindung gebracht geschweige denn
damit gleichgesetzt werden Das daraus resultierende bdquoSpielenldquo kann demnach auch nicht dem Be-
duumlrfnis oder Drang nach Spiel entsprechen welches Kinder ganz offenkundig haben Das Spiel im
Sinne des Bildungsplanes gleicht in seiner angedachten Form eher bdquodomestiziertenldquo Spiels das in
einzelne Wesensmomente zerrissen ist um als didaktische bdquoListldquo geplant initiiert zu werden Somit
wird durch die verkuumlrzte Auffassung von Spiel als Mittel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo bei
gleichzeitiger Verkuumlrzung echter Spielzeit die zunehmende Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels
im Bildungsplan programmatisch angegangen bzw angeordnet wodurch die dieser Arbeit zugrunde
liegende Annahme bestaumltigt wird
3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
Die Reformpaumldagogik hat zB durch Ellen Key Johann Heinrich Pestalozzi oder Maria Monterssori
Konzepte wie Jena-Plan das der Sudberry Valley School oder der Freien Demokratischen Schulen
inspiriert Innerhalb deren Konzeptionen findet auch die kindliche Lebenswelt ohne sie romantisch
zu verklaumlren ihren anerkennenden Platz und wird als vollwertiger Lebensabschnitt beachtet Ihre
aumlhnlichen Bildungsansaumltze enthalten vielfaumlltigste Anreize und Formen vernuumlnftiger Bildungsideen
mit ganzheitlichem Menschenbild und echtem Lebensweltbezug Das bedeutet auch fuumlr eine Institu-
tion um mit Ellen Key zu sprechen Bildung vom Kind aus zu denken
Exemplarisch moumlchte ich im Folgenden diese Bildungsvorhaben und ihre fuumlr die Kinder bereiteten
Entwicklungsspielraumlume an Hand der Freien Demokratischen Schulen skizzieren Der Ausgangs-
punkt dieser Schulen ist der Kerngedanke dass sich durch Eigeninitiative selbstverantwortete Bil-
dung und freies Spiel nicht abstoszligend gegenuumlber stehen sondern dass beide den Beduumlrfnissen des
Kindes entspringen und das Kind deshalb je nach seiner Beduumlrfnislage seine Aktivitaumlten diesbezuumlg-
lich selbstorganisiert Zwar sind auch Freie Demokratische Schulen als Institution leider kein wirk-
licher bdquoorganischerldquo Teil der Lebenswelt von Kindern sondern immer nur von auszligen angebotene in-
tentionale Konstrukte die aber in diesem Fall den individuellen Entwicklungsspielraum der Kinder
25
versuchen zu schuumltzen bzw bereitzuhalten Somit wird jedem Kind sein eigener Freiraum der ihm
spontanes freies Spiel ermoumlglicht bereitet ohne es in irgendeiner Form zu verzwecken oder zu ka-
nalisieren Einige Konzepte solcher Schulen greifen auch die Kindheit als gesellschaftlichen Status
hervorbringende Begebenheit auf naumlmlich dass durch die alltaumlgliche Erwerbstaumltigkeit der Erwach-
senen die Kindheit entsteht und zwar als davon getrennter Lebensbereich Verschiedene Versuche
zB durch (Land)Schulheime oder selbst initiierten Lernvereinbarungen zielen darauf ab die ge-
trennten Lebensrealitaumlten von Kindern und Erwachsenen wieder mehr zur Uumlberschneidung zu brin-
gen Die daraus entstehenden freiwilligen Erfahrungspartnerschaften werden eigenverantwortlich
von den Beteiligten (Schuumller und Lehrer) nach ihren Beduumlrfnissen Vorstellungen und Wuumlnschen
gemeinsam gestaltet Es kann also keinen einheitlichen Lehrplan geben und es kann auch keinen
bdquoMethodenkofferldquo als Handreichung des Ministeriums geben der Anwendung finden soll Aber
falls es von den Schuumllern gewuumlnscht wird bzw falls es von ihnen als vernuumlnftig fuumlr die Umsetzung
des Vorhabens angesehen wird kann sich der Lehrer sinnvollerweise durch methodische oder di-
daktische bzw besser mathetische Aufbereitung unterstuumltzend einbringen Die Schuumller entwickeln
also selbst wie sie lernen und was sie lernen Dabei treffen sie nicht maszliggeblich ihre Auswahl aus
bereits bestehenden Angeboten sondern sie koumlnnen ihre Beschaumlftigungs- bzw Lerngebiete voumlllig
frei waumlhlen und initiieren Jede Beschaumlftigung wird dabei als wertvoll und lehrreich erachtet sei es
das Lesen das Experimentieren das freie Spielen oder das Teilnehmen an einem Unterrichtskurs
Die Schuumller entscheiden auch wann sie lernen Sie legen damit den gesamten zeitlichen Rahmen
fest innerhalb dessen sie sich mit ihrem eigenem Lerngebiet beschaumlftigen wollen Dies betrifft die
Tageszeit und den Gesamtzeitraum der Taumltigkeit aber vor allem auch das Alter in dem sie sich ent-
schlieszligen sich mit einer Thematik zu befassen So entschlieszligt sich zB ein neunjaumlhriges Kind Lesen
zu lernen wo ein fuumlnfjaumlhriges bereits damit begonnen hat Dabei waumlre es nicht ungewoumlhnlich dass
diese beiden Leseinteressierten sich zusammenschlieszligen und eine Lerngruppe initiieren um sich
gemeinsam dem Lesen lernen zu widmen Auch liegt es in der Verantwortung der Kinder wie inten-
siv sie sich mit dem gewaumlhlten Thema auseinandersetzen wollen Um all dies zu planen und umset-
zen zu koumlnnen sind die Lehrer wie beratende Helfer kontinuierlich fuumlr die Kinder da und die Kin-
der sind sich nie selbst uumlberlassen Somit schafft das Vertrauen der Lehrer in die Schuumller Vertrauens-
wuumlrdigkeit und die Kinder koumlnnen sich sicher und geborgen fuumlhlen um sich moumlglichst ohne Angst
in dieser Freiheit ganz nach ihren Beduumlrfnissen der Welt zuzuwenden Diesen Freiraum zum Entde-
cken und Spielen bezeichnen die Sudberry- bzw die Demokratischen Schulen als Lernfreiheit und
er ist eine der beiden Grundsaumlulen des Bildungskonzepts Die zweite Saumlule ist von organisatorischer
Natur und konstatiert den Lernort als egalitaumlres System in dem Schuumller und Lehrer in verschiede-
nen Gremien Komitees und Aumlmtern gleiche Einflussmoumlglichkeiten Pflichten sowie Rechte besit-
26
zen (vgl Schiffner 2007 S 8-15)
Peter Gray emeritierter Professor fuumlr Psychologie des Boston College erklaumlrte in einem Vortrag in
Berlin 3122012 die Grundlagen dieses bdquoErziehungsldquo Ansatzes18 Er nennt ihn Vertrauensvolle Er-
ziehung (Trustful Parenting) bdquoVertrauensvolle Erziehung basiert auf der Annahme dass Kinder von
Natur aus widerstandsfaumlhig kompetent sozial und selbstgesteuert sindldquo (Gray 2012 S 1) Daraus
ergibt sich dass Kinder ihrem Beduumlrfnis nach selbst entscheidend entdecken und spielen Es obliegt
ihrer Entscheidung Risiken einzugehen und dabei auch evtl eigene Fehler zu machen Entwick-
lungsvergleiche (auch keine Lernleistungsvergleiche) liegen dieser Ansicht fern Erziehung versucht
demnach Entwicklung nicht zu lenken sondern zu unterstuumltzen sodass Kinder ihre eigenen Ziele
verwirklichen koumlnnen Sie entwickeln dabei Eigeninitiative und uumlbernehmen Selbstverantwortung
in der Gemeinschaft Die Erwachsenen stellen dazu lediglich den aumluszligeren bdquoRahmenldquo her der fuumlr ein
gesundes Heranwachsen erforderlich ist (vgl Grey 2012 S1 ff) Deshalb ist dieser Ansatz auch
nicht als eine vernachlaumlssigende Haltung zum Kind anzusehen sondern ganz im Gegenteil die
bdquoErziehendenldquo senden den Kindern folgende Botschaft
bdquoDu bist kompetent Du hast Augen und ein Gehirn und du bist in der Lage Dinge her-auszufinden Du kennst deine eigenen Faumlhigkeiten und Grenzen Durch Spielen und Er-forschen wirst du dir aneignen was du wissen musst Deine Beduumlrfnisse werden gewuumlr-digt Deine Meinung zaumlhlt Du bist fuumlr deine Fehler selbst verantwortlich und man kanndarauf vertrauen dass du aus ihnen lernst Das Sozialleben zeichnet sich nicht durchWillenskaumlmpfe aus sondern vielmehr dadurch einander so beizustehen dass alle dasbekommen was sie brauchen und sich am meisten wuumlnschen Wir sind auf deiner Seitenicht gegen dichldquo (ders S1)
Interessant finde ich Peter Grays historischen Bezug den er zur Vertrauensvollen Erziehung her-
stellt Er belegt naumlmlich mit verschiedenen wissenschaftlichen Studien zu Jaumlger- und Sammlerkultu-
ren dass dieser Erziehungsstil bis zum Einsetzen der Landwirtschaft (vor ca 10000 Jahren in Asi-
en) der vorherrschende war und dass die Menschheit zu 99 Prozent ihrer gesamten Geschichte (ca 1
Millionen Jahre) Jaumlger und Sammler waren (vgl ders S 1-3)
4 Zusammenfassende Gedanken
Die anfaumlngliche Spielbegriffseingrenzung im ersten Teil dieser Arbeit verdeutlichte dass das Spiel
nicht nur von elementarer Bedeutung fuumlr ein gesundes Aufwachsen fuumlr Koumlrper und Psyche der Kin-
der ist obwohl das freie (Kinder)Spiel die dafuumlr wohl geeignetste Lebenstaumltigkeit darstellt Dem
18 Vgl Gray Peter (2012) Trustful Parenting May Require an Alternative to Conventional Schooling (Vertrauensvol-le Erziehung macht unter Umstaumlnden eine Alternative zum konventionellen Schulsystem noumltig) httpwwwting-schuledeindex_htm_filesPeter20Gray20_20Trustful20parentingpdf (Zugriff 260315)
27
natuumlrlichen (Kinder)Spiel als geistig-kreative Weltzuwendung liegen viel urspruumlnglichere Wurzeln
zu Grunde weshalb sich durch freies Spiel die Sinne der Koumlrper und auch der Geist als bdquoNebenef-
fektldquo beilaumlufig bilden und entwickeln Naumlmlich wie das bdquoMenschsein kein Zweck etwa des Lebens
sondern das Leben selbst istldquo (Kamper 1976 S 141) ist das (Kinder)Spiel auch kein findiger
Zweck des Lebendigen sondern gelebte Lebendigkeit und damit zwecklos (vgl ebd) bdquoDarauf und
nur darauf bezieht sich Schillers Wort dass der Mensch nur spielt wo er in voller Bedeutung des
Wortes Mensch ist und nur da ganz Mensch ist wo er spieltldquo (ebd) Somit stellt das Spiel das Prin-
zip des Lebendigen dar dies herauszuarbeiten und phaumlnomenologisch be-greifbar zu machen war
Ziel des ersten Teils dieser Arbeit Ich beabsichtigte darin ein Verstaumlndnis dafuumlr zu bilden dass das
(Kinder)Spiel als Modus von Freiheit im bdquoSpannungsfeld Lebenldquo die Wesenskraumlfte der Evolution
den Zufall die Spontanitaumlt und die Kreativitaumlt als eigene Triebkraumlfte in sich traumlgt und im freien
selbst initiierten Spielgeschehen zur Entfaltung bringt Als dieses Urprinzip ist das freie natuumlrliche
Spiel dem Menschen - homo ludens - und deshalb auch den Kindern ein Beduumlrfnis Deshalb fuumlhrt
durch Spiel gestaltete Zeit als erstrebte wesensgemaumlszlige Taumltigkeit zu Lebenszufriedenheit Und nur
dann traumlgt es seine Potenziale der Sinnesbildung Koumlrperbildung und geistig-seelischen Bildung so-
wie die Moumlglichkeit unvorhersehbarer Emergenzen in sich Und als solcher freier Ausdruck von Le-
bendigkeit ist deshalb Spiel fuumlr ein Kind innerhalb eines erfuumlllten Daseins grundlegend und zu ach-
ten bzw anzuerkennen
Im zweiten Teil wurde einsteigend die im derzeitigen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
vertretene Auffassung von Spiel erlaumlutert und der Plan wurde auf seine moumlgliche politisch- und paumld-
agogisch motivierte Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel untersucht Es konnte dargelegt werden
dass der Spiel(zeit)raum aufgrund des Interessengegensatzes von Kind und Staat kontinuierlich ein-
gekuumlrzt wird und zur zunehmenden Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel fuumlhrt um die politischen
Programme bdquoVerbesserung der Bildungschancenldquo und bdquoChancengleichheitldquo durchzusetzen Die da-
mit verwirklichten politischen Ziele und die Umsetzung einheitlicher Bildungsstandards haben da-
bei einerseits den Zweck die fuumlr die Wirtschaft dienliche und in der Gesellschaft mit Schule durch-
gesetzte Wissenshierachie fortzufuumlhren Und andererseits sollen diese Jahrgangssortierungen durch
internationale Tests wie PISA uauml als Standortfaktor im Wettkampf um Konkurrenzfaumlhigkeit auf ei-
nem globalisierten Markt Wirtschaftsstandort sichernd eingesetzt werden
Die Annahme dass es durch die Einuumlbung von vermeintlichen also dem Zeitgeist entsprechenden
bdquoGrundkompetenzenldquo bzw bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (als Bildungsstandards) zur zunehmenden
Verdraumlngung von freiem Spiel kommt konnte dadurch bestaumlrkt werden dass auf Grundlage eines
verkuumlrzten Spielbegriffes das freie (Kinder)Spiel durch paumldagogisches Einwirken in bdquospielerisches
28
Lernenldquo umfunktionalisiert und dadurch echte Spielzeit zunehmend eingekuumlrzt wird Der Zweck ist
dabei das (Kinder)Spiel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo als bdquoLernmotorldquo der Kinder innerhalb
des bdquoLernfensterdrucksldquo dem Lehrapparat dienstbar zu machen
Im dritten Teil dieser Arbeit wurde anhand der Demokratischen Schulen kurz skizziert wie institu-
tionelle Bildung die freies Spielen wirklich gewaumlhrleistet gelingen kann Leider stehen die Schulen
in freier Traumlgerschaft zu denen die Freien Demokratischen Schulen zaumlhlen in Deutschland vor be-
sonderen behoumlrdlichen Genehmigungsbarrieren und unzureichender oumlffentlicher Finanzierung was
ihre Realisierung maszliggeblich erschwert oder ganz verhindert Auch darin kann eine Verdraumlngung
bzw Verhinderung des freien Spiels gesehen werden
Die Verdraumlngung des freien Kinderspiels ist aus zweierlei Gruumlnden nicht gut zu heiszligen ja sogar ab-
zulehnen ist Erstens ist die im Spiel als Nebenerscheinung enthaltene Einuumlbung von Grund-
kompetenzen von groumlszligter Komplexitaumlt und Vielfalt die selbst neue nicht vorhersagbare Qualitaumlten
hervorbringt die mit den Triebkraumlften der Evolution in Verbindung zu bringen sind (Emergenz)
Deshalb ist es fuumlr einen ganzheitlichen Entwicklungsspielraum der Kinder und im Sinne der Evolu-
tion unvernuumlnftig das Spiel wie im Bildungsplan beschrieben bdquoqualitativ aufzuwertenldquo um ver-
meintliche fuumlr das derzeitige Leben als unverzichtbar angenommene bdquoGrundkompetenzenldquo durch
bdquospielerisches Lernenldquo einzuuumlben Und zweitens ist das Spiel als kreative geistig-emotionale Welt-
zuwendung und damit als wesensgemaumlszlige kreatuumlrliche Taumltigkeit des Menschen den Kindern ein Be-
duumlrfnis und grundlegend fuumlr ihr gesundes Aufwachsen und Lebensgeborgenheit (Lebenszufrieden-
heit) in einem sie wahrhaft erfuumlllenden menschlichen Dasein
Bedenke ich nun die Lebenszeit die auch meine Kinder teilweise schon vor dem ersten Lebensjahr
mit haumlufig acht Stunden taumlglich in Kindertageseinrichtungen (leider nicht in einer Freien Demokra-
tischen Schule mit Primarbereich) verbrachten derzeit verbringen und spaumlter in der Schule bis min-
destens zur Erfuumlllung der Schulpflicht mit etwa 15 Jahren in der Schule verbringen muumlssen bin ich
erschrocken-besorgt und wuumltend wie dem Phaumlnomen des freien natuumlrlichen Kinderspiels und der
Bildung insgesamt im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan begegnet wird Bildung als vorran-
gig politisch-oumlkonomisches Arrangement zu sehen darin das Spiel als List zu benutzen um standar-
disiertes Lernen zu erzielen echte Spielzeit zunehmend zu verkuumlrzen ndash dieses planvolle Vorgehen
der Politik und der beteiligten Paumldagogen stellt eine Missachtung der ihnen anvertrauten Kinder mit
ihren individuellen Wuumlnschen Vorstellungen Beduumlrfnissen und ihrer ganz persoumlnlichen Lebenswelt
dar und ist ein lebensentfremdendes Vorhaben das junge Menschen von einem sie erfuumlllenden gu-
ten Leben trennt
29
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31
Eidesstattliche Erklaumlrung
Ich erklaumlre hiermit an Eides Statt durch eigenhaumlndige Unterschrift dass ich die vorliegende Arbeit
selbstaumlndig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe die aus
fremden Quellen (einschlieszliglich elektronischer Quellen und dem Internet) direkt oder indirekt uumlber-
nommenen Gedanken sind ausnahmslos als solche kenntlich gemacht
Ich weiszlig dass bei Abgabe einer falschen Versicherung die Arbeit als nicht bestanden zu gelten hat
Herold 10042015
32
- Die zunehmende Verdraumlngung des freien Kinderspiels
- im Hessischen Bildungsplan
- Einleitung
- 1 Freies Kinderspiel - Wesensmerkmale
-
- 11 Das Moment der Freiheit
- 12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
- 13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
- 14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
- 15 Das Moment der Geschlossenheit
- 16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
- 17 Zusammenfassung
-
- 2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
-
- 21 Das Spielverstaumlndnis
- 22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
- 23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
- 24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
-
- 3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
- 4 Zusammenfassende Gedanken
- Literaturverzeichnis
- Internetquellen
-
12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
Kinder zeigen in ihrer Alltaumlglichkeit kontinuierlich einen Drang zum Spielen Ein Kind - und si-
cherlich nicht nur es allein - hat offenbar ein Beduumlrfnis nach freiem Spiel Scheuerl benennt diese
Begebenheit als triebhafte Tendenz zum Spiel (Vgl Scheuerl 1990 S 71) bdquoEs gibt zweifellos
einen Zwang zum Spielldquo (ebd Herv i Orig) Nach ihm muumlssen Kinder wenn sie gesund aufwach-
sen sollen sogar spielen um nicht psychisch und physisch zu erkranken Insofern kann sogar von
einem gewissen bdquoSpieltriebldquo (Vgl ders S 73) als Tendenz zum Spiel gesprochen werden Dieses
Spielbestreben weist aber letztlich ein anderes Wesen als andere menschliche Tendenzen (Triebe)
zur Beduumlrfnisbefriedigung auf und muss davon unterschieden werden Denn die letztlichen Tenden-
zen im Spiel sind keine gewoumlhnlichen Beduumlrfnisbefriedigungen durch Triebverhalten also keine de-
terminierten triebhaften Handlungen die zweck- oder zielorientiert sind Statt dessen sind sie situa-
tiv sowie individuell variabel und vor allem in sich zirkulaumlr Denn die Befreiung von Beduumlrfniss-
pannungen also dem bdquo[s]ich allen Erregungen und Drang-Erlebnissen gegenuumlber den Frieden ge-
benldquo (ders S 70) zielt auf das Ende der Spannung ab die das nicht erfuumlllte Beduumlrfnis triebhaft
ausloumlste So etwa moumlchte man zB bei Hunger oder Durst Saumlttigung bzw Stillung herbei fuumlhren
Alle triebhaften Handlungen zielen demnach tendenziell auf die Befriedigung des sie hervorbrin-
genden Beduumlrfnisses ab und somit auf ihr eigenes Ende In dieser Tendenz die sich auf das Ende
der beduumlrfnisbefriedigenden Handlung hin ausrichtet liegt nun zum Spiel der wesentliche Unter-
schied Der bdquoSpieltriebldquo will keine Befriedigung bdquoer kann nicht gesaumlttigtʻ werdenldquo (ders S 73)
Sein Initialzweck ist vielmehr die Beseitigung aller Spielhindernisse - deshalb auch triebhafte Ten-
denz zum Spiel Aber sobald eine konkrete Spielidee im Kind aufkeimt und es beginnen kann sich
entschieden und mit groumlszligtem Eifer ihr zu widmen um darin voumlllig selbst aufzugehen als ob es nur
dies Eine auf Erden gaumlbe und das Spiel niemals enden duumlrfe wird das Wesensmerkmal der inneren
Unendlichkeit erkenntlich bdquoDa ist nichts was auf ein Ende draumlngt nichts was den Zustand des
Spielens aufheben moumlchteldquo (ders S 71 )
bdquoDas Spiel kann innerhalb seines Freiraums gekennzeichnet werden als Bewegung voninnerer Unendlichkeitʻldquo (ders S74)
Ist ein Spiel erst einmal im Gange will es ewig fortgesetzt werden Es strebt seiner eigenen inneren
Unendlichkeit entgegen einem nicht endenden zirkulaumlren bdquoZustandldquo Und von da an gleicht der
bdquoSpieltriebldquo als Spielerscheinung in seiner Tendenz auch keiner zielorientierten Zweck- oder Be-
duumlrfnishandlung mehr weshalb genau genommen nicht von gewoumlhnlicher Beduumlrfnisbefriedigung
durch Triebverhalten gesprochen werden kann Das Spiel ist also dem Wesen nach eine staumlndige
Spielbewegung (Scheuerl) quasi ein Perpetuum mobile Ein Kind spielt nicht bis es das Spielen
9
satt hat oder vom Spielen uumlbersaumlttigt ist sondern es beendet erst sein Spielen wenn es durch aumluszliger-
liche Faktoren (zB Beduumlrfnisse Noumlte Verpflichtungen jeglicher Art etc) dazu gedraumlngt wird (vgl
ders S 70-77)
13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
Das frei von Zwecken und Triebdruck voumlllig in sich selbst versunkene unendliche Spiel spielende
Kind wird durch die Hingabe an die eigene Phantasie kreativ wird lebendig Die Einbildungskraft
erschafft und gestaltet eine eigene Phantasiewelt in der Form einer bdquoAls-obldquo-Realitaumlt (Scheuerl)
Die durch Spielerphantasie konstruierte bdquoScheinweltldquo (Scheuerl) nimmt dabei die Bedingungen ih-
rer Umwelt wie beispielsweise reale Gegenstaumlnde und Objekte und ihre Materialitaumlt auf und erwei-
tert diese bdquoGegenstaumlndeldquo ggf bis zum imaginaumlren rein symbolischen Spielmittel damit es der
Spielidee und ihrem Fortgang moumlglichst dienlich ist
Die gesamte Phantasiespielwelt wird somit nach eigenen Vorstellungen von nah am objekthaften
(abbildnah) bis fernab der im weitesten Sinne materiellen Realitaumlt (abstrakt) konstruiert und kann
mit eigenen Gesetzmaumlszligigkeiten und Zusammenhaumlngen gestaltet werden Die entstehenden spieleri-
schen Inszenierungen enthalten in ihrer Spielidee auch fortwaumlhrend aktuelles Geschehen und die
Eindruumlcke der Kinder dazu wodurch es auf diesem Weg zur spielerischen Auseinandersetzung da-
mit kommt So kann zB ein vom Kind miterlebtes Hochwasser in der eigenen Region zur aufge-
griffenen Spielidee fuumlhren Ein verwittertes Stuumlck Holz etwa koumlnnte dem spielenden Kind als Sym-
bol des Rettungsbootes dienen das sich mit seinen imaginaumlren Insassen in einer dramatischen Ret-
tungsaktion im Hochwassergebiet befindet In solchen Spielszenen ist haumlufig beobachtbar dass es
beim Spielen nicht um abbildhaftes realitaumltsgetreues Nachspielen des eventuell Erlebten geht Son-
dern vielmehr darum dass sich das spielende Kind aktiv im Spiel zwar mit Erlebtem auseinander-
setzt im Sinne der bdquoScheinhaftigkeitldquo und des Unendlichkeitscharakters des Spiels aber rein aus
Freude am lustbetonten gestalteten Spielen die Spielhandlung ritualhaft wiederholt In diesem Sin-
ne wuumlrden beispielsweise immer wieder Insassen aus dem Boot geschleudert die es dann aufs Neue
zu retten gaumllte wodurch das Spiel zirkulaumlr bestaumlndig zumindest solange fortdauern koumlnnte bis neue
Spielideen oder von auszligen kommende Faktoren es abloumlsen oder beenden Spielern aber auch Zu-
schauern (zB im szenischen Spiel) erscheint diese Phantasiewelt von der materiellen Realitaumlt los-
geloumlst und die uumlber den Dingen schwebende bdquoScheinhaftigkeitldquo des Spiels (Scheuerl) kann Betrach-
ter und Akteure gleichfalls in ihren faszinierenden Bann ziehen sofern ihnen der Zugang zur eige-
nen Phantasie nicht von auszligen bdquoversperrtldquo ist (vgl Scheuerl 1990 S 77- 85)
10
14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
Jeder Spielende versucht sein Spiel bestaumlndig aufrecht zu erhalten9 Dafuumlr baut er im Spiel ein
Spannungsverhaumlltnis also einen inneren bdquoSpielraumldquo als Modus von selbstregulierter Freiheit auf
Die entstehende Autonomie (Freiheit) im Spiel besteht nun in der Ambivalenz zwischen sich zufaumll-
lig ergebendem Neuen Unbekanntem oder neu Gestaltetem (zB neue Passage am Kletterfels oder
die sich staumlndig neu ergebenden Flugbahnen der jonglierten Baumllle etc) und notwendig Festgeleg-
tem Bekanntem oder Begrenzendem (zB Regeln beherrschte Kletterpassage die bestaumlndige Form
und das Gewicht der Jonglierbaumllle die eingeuumlbte Jongliertechnik etc) Der Spielende versucht da-
bei permanent sein Spiel in Balance zwischen diesen beiden bdquoPolenldquo zu halten um es einerseits
stets durch bdquoNeuesldquo interessant zu gestalten und es andererseits durch bdquoBekanntesldquo zu stabilisieren
Die Dominanz einer Seite wuumlrde das Spiel abbrechen also beenden Denn ein zu viel an Neuem
noch zu Entdeckendem wuumlrde dem Spiel ein Uumlbergewicht an Wagnis Raumltselhaftigkeit Moumlglichkei-
ten oder Schwierigkeit verleihen und ein zu viel an bereits Entdecktem Begriffenem oder Begren-
zung wuumlrde das Spiel etwa vorhersehbar und eindeutig machen oder es einengen bdquokanalisierenldquo
(Scheuerl eindimensionale Zweckhandlung) sodass jede von ihm ausgehende Spannung und Spiel-
freude verloren ginge (vgl Scheuerl 1990 S 86-90)
bdquoSo bedarf das Spiel einer maszligvollen Spannung Spannungslosigkeit waumlre der Tod fuumlrdas Spiel Andererseits wuumlrde eine zu hohe Spannung sogleich einen auf Beendigungder Spannung gerichteten Befriedigungswunsch hervorrufen der die Ambivalenz uumlber-waumlltigen muumlszligteldquo (ders S 88 Herv i Orig)
Veranschaulicht darstellen laumlsst sich diese Ambivalenz zwischen Zufall und Notwendigkeit im Spiel
auch am Beispiel des Wuumlrfelns mit einem sechsseitigem Zahlenwuumlrfel Dabei besteht der Zufall in
der Wahrscheinlichkeit mit der eine der sechs Zahlen gewuumlrfelt wird und die Notwendigkeit be-
steht darin dass eine gewuumlrfelte Zahl immer im einschlieszligenden Bereich von eins bis sechs liegen
wird Somit begrenzen die festgelegten sechs Seiten des Wuumlrfels wie eine Regel das zufaumlllige Ein-
zelergebnis und steuern quasi bdquoselbstorganisiertldquo die Konsequenzen des Zufalls wodurch er statis-
tisch moumlglich dh wahrscheinlich wird (vgl Miller-Kipp 2005 S 281-282)
Nach Gisela Miller-Kipp10 ist dieses selbstgesteuerte Spannungsverhaumlltnis von ganz urspruumlnglicher
Relevanz Sie sieht einen Zusammenhang zwischen dem bdquoSpiel der Evolutionldquo dem Modus von
Freiheit zwischen Moumlglichem und Wahrscheinlichem und dem (menschlichen tierischen) Spiel als
9 vgl dazu bdquo12 Moment der inneren Unendlichkeitldquo in dieser Arbeit S 9 f10 Miller-Kipp Gisela Zufall Selbstorganisation und Kreativitaumlt Ein Versuch uumlber die Natur des Spiels wider seine
Paumldagogisierung In Bilstein J Winzen M Wulf C (Hg) Anthropologie und Paumldagogik des Spiels Weinheimund Basel Beltz Verlag 2005 S 273-291
11
einem lebendigen Teil dessen Naturwissenschaftliche Forschungen uumlber die Evolution haben seit
fast einem Jahrhundert die dazu grundlegenden Wesenskraumlfte im Evolutionsprozess definiert Diese
Wesensmerkmale sind Kreativitaumlt und Zufall (vgl dies S 281-285) Elfriede Maria Bonet fuumlhrt in
ihrem Aufsatz zum Spiel bdquoVon Autonomie und Spontanitaumlt Eine Naturgeschichte des Spielsldquo11 aus
dass Selbstorganisation eine relative Unabhaumlngigkeit von aumluszligeren Reizen bewirkt (Autonomie)
weshalb Spontanitaumlt als Strategie zur Selbststeuerung entsteht Diese Entwicklung von Selbstorga-
nisation mit Spontanitaumlt zur Selbststeuerung bildet ihr zufolge das kreative Moment im Evolutions-
prozess welches fuumlr das Auftreten neuer nicht voraussagbarer Qualitaumlten bzw neuer bdquoFormenldquo
oder Variationen aus dem Vorhandenen entstehen laumlsst (Emergenz12) Das daraus entstehende neue
Ganze waumlre bildlich gesprochen demnach mehr als die Summe seiner einzelnen Teile (frei nach Ari-
stoteles) Da es fuumlr menschliches aber auch tierisches Verhalten charakteristisch ist dass aufgrund
von Autonomie Spontanitaumlt entsteht erkennt Bonet darin die systemische Wesensverwandheit von
Spiel und Evolution (vgl Bonet S35ff) Diese Annahme deckt sich insofern auch mit dem Stand-
punkt derzeitiger Evolutionsforschung denn darin bdquowird die Evolution der materiellen und biologi-
schen Welt als einheitlicher Prozess angesehen der nicht determiniert ist und nicht deterministisch
ndash oder im alten Sinne mechanisch ndash ablaumluft Er spieltʻ wie es heiszligt [hellip]ldquo (Miller-Kipp 2005 S
280 Herv i Orig) Daraus folgt dass die bdquonatuumlrliche ndash physikalische und biologische ndash und kultu-
relle Evolution strukturell miteinander gekoppelt [sind] laufen also weder unabhaumlngig voneinander
noch in determinierender Kausalitaumlt zueinander abldquo (ebd Herv i Orig) Das schlieszligt somit das
Spiel des Menschen als bdquoKulturfaktorldquo13 und bdquoUrprinzipldquo (Huizinga) in diesen offenen Prozess ein
denn bdquoes [das Spiel MG] wurzelt in der Natur als der natuumlrlichen (der materiellen und der biologi-
schen) Evolution und traumlgt deren Momente in sich auch im Kulturprozessldquo (Miller-Kipp 2005 S
281) Auf dieser Grundlage wird derzeit die kreative Selbststeuerung auch als ursaumlchlich fuumlr den ge-
waltigen Formen- und Artenreichtum der Natur angesehen (vgl dies S 273-285 vgl dazu auch
Bonet 1993 S 35 ff) Auf das bdquonatuumlrlicheldquo (Kinder)Spiel bezogen bedeutet dies dass auch aus
dem Spiel in seinen Formen und Funktionen heraus Emergenzen entstehen Diese neuen unvorher-
11 Bonet Elfriede Maria Von Autonomie und Spontanitaumlt Eine Naturgeschichte des Spiels In Baatz U Muumlller-Funk W (Hg) Vom Ernst des Spiels uumlber Spiel und Spieltheorie Berlin Dietrich Reimer Verlag 1993 S35- 47
12 bdquoEmergent So bezeichnet man systemische Eigenschaften die nicht aus den Komponenten eines Systems abgelei-tet oder vorhergesagt werden koumlnnen Systeme sind in erster Linie relationale Tatsachen Dinge die auf den Bezie-hungen beruhen welche die Elemente des Systems zueinander einnehmen Als solche besitzen sie Eigenschaftendie gegenuumlber den Eigenschaften ihrer Komponenten oder Elemente emergent sind Nach Luhmann ist das Sozialeeine emergente Eigenschaft und als solches nicht aus den Eigenschaften seiner Elemente der psychischen Systemeableitbar Sozialitaumlt ist eine houmlherstufige Eigenschaft die auf den Beziehungen zwischen Menschen beruht In derBewusstseinsphilosophie behauptet der so genannte Emergentismus die Emergenz von Bewusstsein Hat die Kom-plexitaumlt bestimmter biologischer Systeme einen bestimmten Grad erreicht stehen insbesondere Nervenzellen aufvielfaumlltige Weise miteinander in Beziehung so tritt in der Geschichte der Evolution Bewusstsein als emergente Ei-genschaft dieser biologischen Systeme aufldquo (bdquoemergentldquo In UTB-Online-Woumlrterbuch Philosophie)
13 Huizinga geht davon aus dass Kultur (Sprache Gemeinschaftsleben Brauchtum Essen Sitten Kunst ReligionRechtsleben etc) in Form von Spiel entsteht (vgl Huizinga 2004 S7-13 56-58)
12
sagbaren Erscheinungen (Qualitaumlten) sind so vielfaumlltig dass sie dem von der Natur hervorgebrach-
ten Artenreichtum gleichen und in ihrer Qualitaumlt fuumlr das Individuum die vielfaumlltigsten und komple-
xesten Funktionen und Nutzen bereithalten
Nach meiner Auffassung werden die beschriebenen Wesenszusammenhaumlnge von Spiel und Evoluti-
on besonders in dem Modus von Freiheit als Ambivalenz im Spiel ersichtlich da die grundlegenden
evolutiven Momente naumlmlich Kreativitaumlt Selbstorganisation und Spontanitaumlt auch die wesentlichen
Schaffenskraumlfte menschlichen Handelns und des erlaumluterten Spannungsverhaumlltnisses im Spiel sind
In Anlehnung an Miller-Kippacutes und Bonetacutes Deutungsversuche zum Spiel ist das freie im obigen
Sinne natuumlrliche Kinderspiel als Modus von selbstregulierter Freiheit eine wesensgemaumlszlige kreatuumlrli-
che bdquoTaumltigkeitldquo des Menschen die sich ereignet bzw die geschieht und nicht verrichtet oder erzeugt
werden kann Die diesem bdquoSpielgeschehenldquo (Scheuerl) innewohnenden unverfuumlgbaren wesentli-
chen Momente sind demnach sowohl die Grundbedingung fuumlr das Spiel selbst als auch Vorausset-
zung fuumlr die Vielfaumlltigkeit im Spielprozess Fraglich ist an dieser Stelle ob ein intentional geplantes
Erziehungs- und Bildungsvorhaben diesen Entwicklungsspielraum mit vielfaumlltigsten Erfahrungs-
moumlglichkeiten fuumlr Kinder schuumltzend bereithaumllt Und ob dann das freie natuumlrliche Spiel abgewartet
wird oder ob das (Kinder)Spiel mit funktionalen Absichten durch Paumldagogisierung in das planende
Joch von Erziehungs- und Bildungsbestrebungen eingespannt wird und seine wesentlichen Poten-
ziale damit verspielt werden
15 Das Moment der Geschlossenheit
Die freie Spieltaumltigkeit eines Kindes ist insofern geschlossen als dass die oben genannten Momente
wie einzelne ineinander greifende Glieder eine bdquogeschlossene Ketteldquo bilden muumlssen damit sich
freies bdquonatuumlrlichesldquo Spiel einstellt Die sich daraus bildenden oder aufgenommenen Spiele werden
haumlufig von da an als auftretendes Phaumlnomen augenscheinlich Denn das Spiel beginnt sich als frei
gestaltete Zeit mit seinem entstehenden bdquoKosmosldquo von Regeln Zufaumlllen Absprachen Bedingun-
gen Offenheiten Bestrebungen Kontexten Unverfuumlgbarkeiten Themen etc klar zu definieren und
vom gewoumlhnlichen Leben bdquoabzusetzenldquo Es wird dabei ersichtlich dass freies Spiel seine eigene in-
nere Regelhaftigkeit (im weitesten Sinne) sein bdquoSpielfeldldquo hat und eher als das Gegenteil von Will-
kuumlr oder Anomie anzusehen ist (Vgl Scheuerl 1990 S 91-95)
16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
Das Spiel verfolgt keinen auszligerhalb seiner selbst liegenden Zweck (Zweckfreiheit) und das Spielge-
13
schehen ist eine bdquopendelnde Suchbewegungldquo (Scheuerl Ambivalenz) die bestrebt ist innerhalb ih-
rer konstruierten bdquoScheinweltldquo (Scheuerl Scheinhaftigkeit) endlos in sich selbst zuruumlckzulaufen
um kein Ende zu finden (innere Unendlichkeit) Spielende sind von ihrem lustvollen Erleben im
Spiel voumlllig durchdrungen und gestalten spielend spontan mit groszliger Ernsthaftigkeit und in voumllli-
ger Selbst- und Weltvergessenheit ihr bdquoewigesldquo Spiel Und wie entgegen aller Vergessenheit ist es
dennoch ein Zustand houmlchster Wachheit und Konzentration Spielende sind in jedem gegenwaumlrtigen
Moment voumlllig praumlsent dh im bdquoHier und Jetztldquo aumlhnlich einem meditierenden Menschen Spielende
befinden sich also im Zustand tiefer Kontemplation aber nur im Bezug auf ihr Spiel weshalb sie
auch das eigene Gefuumlhl fuumlr Zeit im Moment des Spielens nicht oder kaum wahrnehmen Spielende
Kinder koumlnnen uumlber Stunden bdquowie gefesseltldquo ihrem Spiel nachgehen ohne dass ihnen die Zeitspan-
ne wirklich bewusst waumlre oder dass es ihnen hinterher moumlglich waumlre den fuumlr das Spiel aufgebrach-
ten Zeitraum zu schaumltzen (Vgl Scheuerl 1990 S 95-96 100-102)
17 Zusammenfassung
Das dieser Arbeit zugrunde liegende Verstaumlndnis des Begriffes bdquofreies Kinderspielldquo kann wie folgt
zusammengefasst werden Freies (Kinder)Spiel wird als ein Geschehen von komplexer geistig-
kreativer Weltzuwendung verstanden das sich innerhalb eines Freiraumes ereignet Einerseits ist
die sich innerhalb dessen ereignende Spieltaumltigkeit frei von Zielen Zwecken oder Nutzen die au-
szligerhalb seiner selbst liegen und andererseits sind die Spielenden innerhalb des Spielzeitraums frei
von ihrer unmittelbaren Lebensfuumlrsorge Als solche freie Zeit gestaltende Taumltigkeit ist das Spielen
fuumlr geistig emotional erlebende Wesen wie den Menschen oder houmlher entwickelte Tiere fuumlr eine
hohe Lebensqualitaumlt innerhalb eines erfuumlllenden Lebens grundlegend Aus diesem Umstand ergibt
sich dass freies natuumlrliches Spiel als grundsaumltzliches Beduumlrfnis angesehen werden kann weshalb
Spielende auch einen Drang (bdquoTriebldquo) zum Spiel aufweisen Doch ist der Charakter dieser
(Spiel)Taumltigkeit an sich von anderer bdquoNaturldquo als gewoumlhnliche Beduumlrfnisse befriedigende
(Trieb)Handlungen Als diese triebhafte Tendenz zum Spiel zielt die Spieltaumltigkeit nicht auf das Be-
duumlrfnis stillende Ende ab sondern auf ihren dauerhaften Fortgang Dieser zirkulaumlre Charakter und
das geistig erfuumlllende Erleben werden dabei durch den Umstand ermoumlglicht dass sich das Spieler-
eignis aufgrund seiner zuvor beschriebenen Autonomie in einem Spannungsverhaumlltnis ereignet Die-
ses ergibt sich zwischen Zufall und Notwendigkeit und wird durch den Spielenden bestaumlndig in
Waage gehalten Dieses selbst initiierte Geschehen reguliert sich somit auf der Handlungsebene
selbst es ist selbstorganisiert Diese Selbststeuerung nutzt Phantasie und Spontanitaumlt als Strategie
weshalb das Spielgeschehen trotz seines zirkulaumlren Charakters als prozessoffen bezeichnet werden
14
kann Besonders das Kinderspiel taucht dazu im gegenwaumlrtigen Spielmoment mit seinen spielenden
Subjekten im besonderen Bewusstsein uumlber seine paradoxe Als-ob-Realitaumlt in ihre eigens gestaltete
geistige Scheinwelt ein Die Spielenden sind waumlhrenddessen voumlllig selbst- und weltvergessen mit
groszliger Ernsthaftigkeit und im groumlszligten Eifer voumlllig in ihr bdquogebanntldquo Fuumlr ein bdquosich Ereignenldquo dieses
beschriebenen spontanen natuumlrlichen Spiels hat es nun als letztes Merkmal noch zur Voraussetzung
dass einzelne Momente nicht fuumlr sich isoliert initiiert oder planmaumlszligig ersetzt weggelassen oauml wer-
den koumlnnen so dass jedes einzelne der sechs Wesensmomente im Spielgeschehen quasi jeweils ein
bdquoGliedldquo in einer ineinander greifenden bdquofunktionalenldquo Kette darstellt ohne dass die Kette nicht
funktionstuumlchtig waumlre und sich freies natuumlrliches Spiel nicht ereignen koumlnnte
Inwiefern sich freies Kinderspiel nach dieser Auffassung im Hessischen Bildungs- und Erziehungs-
plan widerspiegelt soll im folgenden Kapitel untersucht werden
2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
21 Das Spielverstaumlndnis
Im Kapitel bdquoGrundsaumltze und Prinzipienldquo des Hessischen Bildungsplanes kommt dessen bdquoeigenesldquo
Verstaumlndnis zum bdquoKinderspielldquo ebenso zum Ausdruck wie eine Anleitung dazu wie mit dem Spiel-
phaumlnomen planvoll umzugehen ist (vgl Hessisches Sozialministerium Hessisches Kultusministeri-
um (2007) S 30-31) Im Folgenden werden diese Positionen zusammenfassend darstellt und erlaumlu-
tert
Spiel wird darin als Mittel in der ureigenen Ausdrucksform des Kindes angesehen womit es in der
Zeit des Heranwachsens seine Entwicklungsaufgaben und Lebensrealitaumlt bewaumlltigt Nach dieser
Auffassung kennzeichnen das Spiel drei Merkmale Das ist erstens die Zweckfreiheit der Spielhand-
lung die ausschlieszliglich durch das von ihr ausgehende Anregungspotentials ausgefuumlhrt wird Zwei-
tens dass im Spiel eine eigene Realitaumlt konstruiert wird und drittens dass Spielhandlungen wie im
Ritual wiederholt werden Die weitere Betrachtung des Spiels ist dann maszliggeblich auf Zwecke Zie-
le und den Sinn des Spiels im Bezug auf seine Wirkungen beschraumlnkt Somit sollen sich Kinder
zwar bdquoin ihren Spielhandlungen lustvoll versenken und dabei in einen intensiven Austausch mit ih-
rer Umwelt tretenldquo (dies S 30) Dies diene dann aber lediglich der Verarbeitung und Bewaumlltigung
von noch nicht zuordenbaren Erfahrungen (Problemen) Diese vom Kind zu bewaumlltigenden Proble-
me betraumlfen einerseits Entwicklungsthematiken wie bdquodas Ausspielen von Macht und Kontrolle von
Allmachtsphantasien [hellip] oder Herrschaft uumlber Leben und Tod [] sowie der Wunsch nach Heraus-
bildung eines Selbst bzw einer Identitaumltldquo (ebd) und andererseits Beziehungsthematiken zwischen
15
Erwachsenen und Gleichaltrigen
An die Beschreibung der drei Merkmale von Spiel anschlieszligend wird der Lern- und Entwicklungs-
charakter des Spiel dargestellt bdquoFreie Spielprozesse sind immer auch Lernprozesse denn Kinder
lernen zumindest beilaumlufig durch Spielenldquo (ebd)
Weiter heiszligt es im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan dass die Qualitaumlt dieser Lernprozesse
die im freien Kinderspiel stattfinden durch bdquogezielte Unterstuumltzungsmaszlignahmenldquo zu erhoumlhen sei In
dieser Aussage wird deutlich dass das freie Kinderspiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungs-
plan lediglich als Mittel aufgefasst wird welches die Entwicklungs- und Lernprozesse waumlhrend des
Heranwachsens beschleunigend wie ein Motor vorantreiben soll Warum sonst soll die bdquoQualitaumltldquo
des freien Kinderspiels bdquoerhoumlhtldquo werden Kinder sollen in erster Linie nicht spielen um ihrem Be-
duumlrfnis nach Spiel nachzukommen sondern um etwas zu lernen Dies legt den Verdacht nahe dass
das Spielen als solches auch nur aus diesem Grunde naumlmlich weil Kinder im Spiel etwas lernen
dh Kompetenzen erwerben Bestandteil des Bildungsplanes ist
Zusammenfassend kann festgestellt werden dass das Spiel im Hessischen Bildungs- und Erzie-
hungsplan auf eine Art Voruumlbung fuumlr das bdquorichtigeldquo Leben bei gleichzeitiger Lebensbewaumlltigung
verkuumlrzt wird Gleichzeitig findet durch die bdquoAufwertungldquo des freien Spiels zum bdquospielerischen Ler-
nenldquo eine Funktionalisierung und Paumldagogisierung des freien Spiels statt Die dem Spiel von Lern-
und Entwicklungspsychologie attestierten Potenzen (vgl Oerter 2007) sollen fuumlr die Realisierung
der Bildungs- und Erziehungsziele nutzbar gemacht werden dh das Spiel an sich dient vorrangig
dem Erwerb gewisser Kompetenzen und nicht der Erfuumlllung kindlicher Spielbeduumlrfnisse
Im folgenden Abschnitt werden die Hintergruumlnde eines solchen Spielverstaumlndnisses untersucht
Politische Motivationen spielen dabei ebenso eine Rolle wie die sich daraus ergebenden Ziele des
aktuellen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplans
22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
Im Vorwort des Hessischen Bildungs- und Erziehungsplans benennen die ehemaligen Hessischen
Ministerinnen14 fuumlr Kultus Karin Wolf und fuumlr Soziales Silke Lautenschlaumlger das zentrale politi-
sche Ziel naumlmlich die bdquoOptimierung der Bildungschancenldquo und die Entwicklung von bdquoChancen-
gleichheitldquo (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S 18) fuumlr die heranwachsende
Generation Bereits diese Formulierung laumlsst erkennen dass es im Bereich Bildung und Erziehung
politisch gesehen um Effizienz und um einheitliche bdquoQualitaumlts-ldquo und bdquoBildungsstandardsldquo geht die
14 unver uumlbern v aktuellem Kultusminister Herr Lorz von Herr Gruumlttner fuumlr Soziales und Integration
16
auf maximale Leistungen in der nationalen und internationalen Wissenskonkurrenz zielen
Wie ist also bdquoOptimierung der Bildungschancenldquo zu verstehen Konzeptionell ist diese bdquoOptimie-
rung der Bildungschancenldquo darauf angelegt dass bis zum Uumlbergang in die Sekundarstufe die Kin-
dertageseinrichtungen und Grundschulen allen Kindern eines Jahrgangs als Grundlagen die gleichen
bdquoBasiskompetenzenldquo15 vermitteln sollen Das Erreichen dieser bdquoBildungsstandardsldquo bis zur vierten
Klasse sei wiederum die Herstellung von bdquoChancengleichheitldquo so die Schlussfolgerung (vgl dies
S 18)
Dabei besteht die Chance darin dass die Kinder des gesamten Jahrgangs in gleichen Leistungstests
an diesen einheitlichen bdquoBasiskompetenzenldquo in Abhaumlngigkeit gemessen und in Konkurrenz zueinan-
der nach ihren Lernleistungsdifferenzen (Leistungsabstaumlnden) eingeordnet werden koumlnnen (vgl
Nuumlberlin 2002 S 117-127) Die dabei entstehende Jahrgangssortierung dh die Platzierung im
Leistungsvergleich innerhalb eines Jahrganges entscheidet dann daruumlber welche Kinder eine
bdquoChanceldquo auf houmlhere Bildung erhalten und welche nicht welche also das Gymnasium besuchen
duumlrfen und fuumlr welche der Besuch der Realschule vorgesehen ist Somit werden mit dem politischen
Programm bdquoChancengleichheitldquo bzw bdquoOptimierung der Bildungschanceldquo die jungen Generationen
(Kinder und Jugendliche) gemaumlszlig der in der Gesellschaft durchgesetzten Wissenshierarchie bzw Fauml-
higkeitshierarchie kontinuierlich eingeordnet (vgl Nuumlberlin 2002 S 127-129)
Deshalb soll bdquoChancengleichheitldquo auch bdquoBildungschancenldquo eroumlffnen weshalb im Bildungsplan Paumld-
agogen dazu aufgerufen sind die Kinder von fruumlhester Kindheit an individuell zu staumlrken um ihre
unterschiedlichen Voraussetzungen zumindest in gleichen bdquoBasiskompetenzenldquo vermeintlich einan-
der anzugleichen und somit die Vergleichbarkeit in der Notenkonkurrenz chancengleich im Sinne
von voraussetzungsgleich zu gestalten (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S
5-6 und S 17-18) Gerda Nuumlberlin weiszligt darauf hin dass aber diese Voraussetzungsgleichheit die
Institution Schule gerade nicht leistet Und dass Schule statt dessen durch Lernen auf Zeit die Schuuml-
ler innerhalb eines Jahrgangs mit einheitlichen Tests kontinuierlich einem Sortierungsverfahren un-
terzieht das eher gemaumlszlig den Bildungsschichten die Wissensunterschiede der Kinder hervorhebt
und sogar mit produziert statt sie mit dem Ziel der bestmoumlglichen Wissengleichheit zu bdquobeseitigenldquo
(vgl Nuumlberlin 2002 S 104-142)
Die auf gleiche Basiskompetenzen vorbereitenden Lernangebote und Fruumlhfoumlrderungen sollen nach
Aumluszligerung der Ministerinnen im Vorwort intensiver und fruumlher initiiert werden als in den vorange-
gangenen Jahren (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S 5-6) Zur Sicherung
15 bzw auch als bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (vgl dies S 41) bezeichnet daraus resultieren sollen die besonders vonder Wirtschaft geforderten bdquoMetakompetenzenldquo (vgl dies S 17)
17
der bdquoBildungsqualitaumltldquo und Umsetzung einheitlicher Standards soll der Bildungs- und Erziehungs-
plan das institutionenuumlbergreifende Steuerungsinstrument sein (vgl dies S 19) Die Herausgeber
des Bildungsplanes heben in der Einfuumlhrung besonders hervor dass es sich erstmals um einen Bil-
dungs- und Erziehungsplan handelt der durch seine stufenlose Konzeption von 0 bis 10 Jahren ein
kontinuierliches Lernen vorsieht Alle paumldagogisch wirkenden Personen und Institutionen sollen
durch einheitliche Bildungs- und Erziehungsziele moumlglichst an bdquoeinem Strang ziehenldquo koumlnnen (vgl
dies S 5-19)
Leitziel ist es fuumlr das bdquolebenslange Lernenldquo mit dem Erwerb von bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo die
bereits erwaumlhnte gemeinsame Grundlage (bdquoBasiskompetenzenldquo 16) der Kinder zu erzeugen (vgl
dies S 41f)
Veranlasst sehen sich die Ministerien zur bdquoneuenldquo konzeptionellen Bildungssteuerung durch den
tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel der sich von der demografischen Entwicklung uumlber viel-
faumlltige kulturelle Kontexte die Wirtschafts- und Arbeitswelt bis hin zu familialen Wandlungsprozes-
sen vollzieht und generell durch Schnelllebigkeit gekennzeichnet ist und von den Menschen ein ho-
hes Maszlig an Flexibilitaumlt und Mobilitaumlt fordert Hierzu werden auch die Ergebnisse der Schuumllerleis-
tungsvergleiche wie PISA TIMSS oder IGLU und denen entsprechende wissenschaftliche For-
schungsbefunde genannt denen der bdquo(neue) Bildungs- und Erziehungsplanldquo Rechnung tragen
moumlchte (vgl dies S 16-19)
Denn die Platzierung bei national und international vergleichbaren Leistungserhebungen ist letztlich
die Bemessungsgrundlage fuumlr bdquoBildungserfolgldquo oder bdquoBildungsversaumlumnisldquo Die attestierte bdquoBil-
dungsqualitaumltldquo ist deshalb von politischem Interesse weil die Politik die durch ihr Bildungssystem
erreichte Platzierung im vorderen Bereich als Standortfaktor fuumlr ihren Wirtschaftsstandort in
Deutschland nutzen moumlchte um vor allem auf dem globalem Markt konkurrenzfaumlhig zu bleiben
Im Folgenden wird zu zeigen sein ob und inwiefern diese Zielsetzungen mit dem dafuumlr entwickel-
ten Bildungskonzept zur angenommenen Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels fuumlhren
16 Im Einzelnen werden folgende Kompetenzen genannt als Basiskompetenzen werden bdquoindividuumsbezogeneKompetenzenldquo bdquoKompetenzen zum Handeln im sozialen Kontextldquo bdquoLernen und lernmethodische Kompetenzldquo undbdquokompetenter Umgang mit Veraumlnderung und Belastung Widerstandsfaumlhigkeit (Resilienz)ldquo genannt (vgl dies S 25-26 und S 41-44) Zum anderen werden darauf aufbauende konkrete Bildungs- und Erziehungsziele genannt (ent-sprechend der geforderten bdquoMetakompetenzenldquo) bdquostarke Kinderldquo bdquokommunikationsfreudige Kinder und medien-kompetente Kinderldquo bdquoKreative fantasievolle und kuumlnstlerische Kinderldquo bdquoLernende forschende und entdeckungs-freudige Kinderldquo und bdquoverantwortungsvoll und werteorientiert handelnde Kinderldquo (vgl dies S 13)
18
23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Wie kann das politische Ziel naumlmlich alle Kinder mit den gleichen Grundkompetenzen auszustatten
und deren bdquoErfolgldquo mindestens ab der vierten Klasse an regelmaumlszligigen Leistungserhebungen zu be-
messen durch freies Spiel erreicht werden Die Vermittlung bzw der Erwerb standardisierter Inhal-
te (Wissen Faumlhigkeiten Fertigkeiten Kompetenzen) und die Verfuumlgung daruumlber (Pruumlfungstermin)
steht im Widerspruch zum freien Spiel als offenem Prozess den die Spielenden selbst initiieren und
gestalten und bei dem keine Voraussagen daruumlber getroffen werden koumlnnen wann sich welche
Kenntnisse und Fertigkeiten einstellen
Diese erlangt man einerseits durch die Freiheit als Freiraum zum Spiel die eine gewisse Qualitaumlt an
Sorgefreiheit bedingt Zur Sorgefreiheit zaumlhlt beispielsweise auch das Freisein von Lerndruck der
jedoch unter anderem durch festgelegte Leistungserhebungen und Entwicklungsdokumentationen
bei den Kindern erzeugt wird Und andererseits erwirbt man Kenntnisse und Faumlhigkeiten nur dann
wenn das Spiel frei ist wenn es sich also um seiner selbst Willen ereignet und eben nicht bdquokanali -
siertldquo wird es also keinen aumluszligeren Zielen Zwecken oder Absichten unterliegt wie es jedoch bei
festgelegten bdquoBasiskompetenzenldquo (bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo) eines bdquoBildungsstandardsldquo der Fall
waumlre17 Hinzu kommt der weitere Aspekt von Freiheit im Spiel wonach das Spiel ein selbstgesteuer-
ter Prozess mit offenem bdquoAusgangldquo ist dessen Wirkungen eben nicht planbar oder voraussagbar
also nicht standardisierbar und determinierbar sind Diese Qualitaumlt von Freiheit im Spiel ergibt sich
nun aus den unverfuumlgbaren Momenten des freien Spiels wie dem Augenblick der Instabilitaumlt der
Kreativitaumlt und Phantasie der Spontanitaumlt und Unordnung dem Unsinn und Zufall Diese zugleich
auch wesentlichen Antriebskraumlfte des Spiels koumlnnen sich wie bereits im Kapitel bdquo14 Moment der
Ambivalenzldquo (S 11-13) naumlher beschrieben nur in einem Entwicklungsspielraum mit reichhaltigen
Erfahrungsmoumlglichkeiten und mit dem erlaumluterten Spannungsverhaumlltnis ergeben Sie tragen dann
aber auch die unermesslichen Potentiale fuumlr Emergenz mit dem Prinzip des Lebendigen in sich
woraus sich seine Offenheit fuumlr Neues im Sinne der Weiterentwicklung von Leben ergibt
An dieser Stelle moumlchte ich ergaumlnzend zu meiner eher phaumlnomenologischen Wesensauffassung von
freiem Spiel einige Beispiele skizzieren wie sich die Einuumlbung von Kompetenzen durch freies Spiel
aus psychologischer Sicht vollzieht
Die im Hessischen Bildungsplan intentional geplanten Basiskompetenzen und Lernziele wie bei-
spielsweise Kreativitaumlt Abstraktionsvermoumlgen Empathie oder Flexibilitaumlt in Denk- und Vorstel-
17 Vgl dazu Kapitel bdquo11 Das Moment der Freiheitldquo in dieser Arbeit S 7f
19
lungsvermoumlgen ergeben sich im Spiel als bdquoNebeneffektldquo Das Kind vollzieht naumlmlich im Spiel fuumlr
seine Entwicklung entscheidende Bildungsprozesse selbsttaumltig intrinsisch motiviert und in der bdquoDo-
sisldquo die es bedarf Dabei von groszliger Bedeutung ist der vom Kind entwickelte eigene Lernmodus
der sich maszliggeblich an der individuellen Leistungsfaumlhigkeit und den persoumlnlichen Beduumlrfnissen ori-
entiert Hierfuumlr benoumltigt jedes Kind einen eigenen Entwicklungsspielraum
bdquo[Der] sollte Heranwachsenden die vielfaumlltigsten auch selbsttaumltig inszenierten Erfah-rungsraumlume bieten um sich - wie es Johann Heinrich Pestalozzi nannte - an Kopf Herzund Hand bilden zu koumlnnen moumlglichst frei von Furcht und Zwang Sinnesbildung Koumlr-perbildung und geistig-seelische Bildung sollten dabei gleichermaszligen zur Entfaltungkommenldquo (Rittelmeyer 2007 S 7)
So initiieren Kinder beispielsweise in ihren Rollenspielen eigentaumltige Bildungsprozesse indem sie
sich im spontanen Spiel in die Perspektive anderer Menschen versetzen und eigenes Handeln fuumlr
aumlhnliche Lebenssituationen uumlben Oder sie erproben sich im Spiel mit verschiedenen sozialen Rol-
len zB im Rahmen gesellschaftlicher Verhaltensstandards indem ein von Geschichten aufgenom-
menes oder durch elterliche Kommentare an die Kinder herangetragenes Ideal (bdquoTapferkeitldquo bdquoGe-
schwisterliebeldquo bdquoFreundschaftldquo bdquoHilfsbereitschaftldquo etc) mit der persoumlnlichen Wirklichkeit vertraut
gemacht wird Dieses Erproben entspricht zB einer Bewusstseinsbildung im Hinblick auf (solche)
gesellschaftlichen Rollenerwartungen
bdquo[Oder] im Symbolspiel das ein Houmllzchen zur Mutterʻ oder zum Autoʻ werden laumlsstuumlben Kinder die Faumlhigkeit im Hinblick auf gegebene Phaumlnomene verschiedene Per-spektiven entwickeln zu koumlnnen also mit Kreativitaumlt oder Phantasie auf Erscheinungender aumluszligeren Welt zu reagierenldquo (ders S 17)
Es ist schwierig zu sagen welche Kompetenzen genau aus eigentaumltigen Bildungsprozessen im Spiel
entstehen da Resultate aus diesen Erfahrungen wiederum von diversen Faktoren abhaumlngig sind
Maszliggebliche Faktoren sind dabei die uumlberaus verschiedenen biografischen Erfahrungen der Kinder
und dass die letztliche Erfahrungsgewichtung durch ihre Individualitaumlt verschieden zum Tragen
kommt
Da aber jedes Lernen immer individuumsbezogen dh vom Kind abhaumlngig ist hat dieser Umstand
auch fuumlr die geplant-initiierten Lernangebote Geltung sofern derartige von auszligen angestoszligene
Lernangebote uumlberhaupt in den lernenden Kindern auf Resonanz stoszligen
Es duumlrfte kaum anzuzweifeln sein dass wie im Beispiel des spontanen von den Kindern selbst initi-
ierten Rollenspiels Rollenhandeln und soziale Empathie eingeuumlbt und fuumlr eigenes Handeln erprobt
werden Ebenso werden durch Symbol- oder Rollenspiele die Phantasie und Kreativitaumlt vielfaumlltig
angeregt die Beobachtungsgabe und das Vorstellungsvermoumlgen ausgepraumlgt Daraus kann sich wie-
20
derum das Abstraktionsvermoumlgen entwickeln und die Kinder bilden mit zunehmenden Perspekti-
venwechseln eigene Vorstellungen und Uumlberzeugungen aus Indem naumlmlich Spielende in ihre selbst
konstruierte bdquoScheinweltldquo gaumlnzlich bdquoeintauchenldquo nehmen sie auf zuvor vielfaumlltig beobachtete und
erlebte Situationen Bezug Erst spielen sie das Erlebte nach und bdquodurchlebenldquo es dabei spielerisch
immer wieder bis sich ein tiefgruumlndiges Verstaumlndnis uumlber die erlebte Situation gebildet hat Allmaumlh-
lich wird dann durch die eigene Ausgestaltung des Rollen- oder Symbolspiels das wahrgenommene
Phaumlnomen zunehmend abstrahiert und Kinder beginnen vielfaumlltige eigene Vorstellungen dazu zu
entwickeln Freies Spiel entspricht also eigentaumltiger Lebenswelterfahrung und -aneignung und ihr
Bildungsgehalt scheint dabei fast unermesslich groszlig zu sein (vgl ders S 7-17 und S 135-137)
Es wuumlrden sich also durch freies Kinderspiel ganz unterschiedliche und auch bdquoneueldquo Kompetenzen
mit ganz individuellen Auspraumlgungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten bilden Diese Aspekte ma-
chen aber eine vergleichende Leistungserhebung quasi unaussagekraumlftig bzw koumlnnten einen deter-
minierten bdquoBildungsstandardldquo insofern bdquogefaumlhrdenldquo als dass das Spiel als kreative geistig-emotio-
nale Weltzuwendung immer einen offenen bdquoAusgangldquo hat dh nicht vorhersagbar ist Das Zulassen
von freiem Spiel steht somit im Interessenskonflikt mit den oben genannten politischen Absichten
weshalb dem freien Spiel ein generelles Misstrauen gegenuumlber gebracht wird Dies fuumlhrt letztlich
konzeptionell dh durch die Einfuumlhrung und Umsetzung von bdquoBildungsstandardsldquo zur zunehmen-
den Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
Inwiefern die angenommene Verdraumlngung von freiem Kinderspiel auch paumldagogisch motiviert sein
kann soll im folgenden Abschnitt untersucht werden
24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Die Autorinnen und Autoren sehen Kinder einerseits als kompetente selbstbestimmt taumltig werdende
Wesen an und deuten die Bildung und das Lernen zwar als soziale Prozesse die sich im Dialog zwi-
schen Kind und Erwachsenem vollziehen koumlnnen Andererseits verweisen sie aber darauf dass die
Qualitaumlt dieser Prozesse wiederum von auszligen dh von einem Erwachsenen gesteuert und mode-
riert werden sollen (vgl Hessisches Sozialministerium Hessisches Kultusministerium 2007 S 20-
21) Die Steuerung der Bildungs- und Lernprozesse wird versucht zu rechtfertigen indem auf aktu-
elle neurowissenschaftliche Befunde verwiesen wird die dem kindlichen Gehirn ein enormes Ent-
wicklungs- und Lernleistungsvermoumlgen zuschreiben welches wenn es nicht genuumltzt wuumlrde einem
bdquoBildungsversaumlumnisldquo gleichkaumlme und nur schwer wieder aufzuholen sei (vgl dies S 20- 24)
bdquoJe reichhaltiger aumluszligere Lernreize sind desto mehr effiziente neuronale Netzwerke
21
(Synapsen) bilden sich heraus die fuumlr die Verarbeitungskapazitaumlt des Gehirns und seineLernfaumlhigkeit im spaumlteren Leben bedeutsam sind Im Entwicklungsverlauf eines jedenKindes gibt es optimale Zeitraumlume fuumlr grundlegende Lernschritte (zB ZweitspracheRaumorientierung elementares mathematisches Denken Interesse an Naturwissen-schaften aumlsthetisches Verstaumlndnis Entwicklung der Musikalitaumlt) Solche Zeitfenstergibt es auch noch im Laufe der weiteren Bildungsbiografie Dennoch gilt es diese sen-siblen Phasen bereits durch fruumlhe Bildung offensiv zu nutzen [sic] Je solider und brei-ter die Basis aus jener Zeit desto houmlher ist die Wahrscheinlichkeit dass das Kind danachaktiver und leichter lernt Fruumlhe Bildungsversaumlumnisse sind nur schwer aufholbarldquo(dies S 24)
Die programmatische Paumldagogisierung von Spiel die die bdquoGrenzen zwischen der herkoumlmmlichen
Trennung von Freispielprozessen und geplanten Bildungsprozessen zunehmendldquo (dies S 30) ver-
wischen soll ist vor dem Hintergrund Bildung als Produkt einer offensiven Nutzung der sensiblen
Lernzeitfenster anzusehen (vgl dies S 23-24) und wiederum von seiner politischen Motivation
mit dem Wettlauf um Konkurrenzfaumlhigkeit sowie der Weiterfuumlhrung einer in der Gesellschaft durch-
gesetzten und der Wirtschaft dienlichen Wissenshierarchie in Verbindung zu bringen Folglich fuumlhrt
die im Bildungs- und Erziehungsplan programmatisch angewiesene Funktionalisierung des Spiels
zum bdquospielerischen Lernenldquo letztlich paumldagogisch motiviert zur zunehmenden Verdraumlngung des frei-
en (Kinder)Spiels denn dieses wird als zu zeitintensive Taumltigkeit angesehen Freispiel darf zwar
laut Plan auch enthalten sein es bdquomuss jedoch im angemessenen Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlten ste-
henldquo (dies S 31) weshalb es wegen des bdquoLernfensterdrucksldquo (vgl Dies S 23-24) zum bdquospielen-
den Lernenldquo umfunktionalisiert werden soll (vgl dies S 30-31) um wegen seiner bildenden Po-
tenzen dann als Lernbeschleunigung dem Lernziel (bdquoBildungserfolgldquo) dienbar gemacht zu werden
Das Freispiel soll konzeptionell auf zwei Wegen zu bdquospielendem Lernenldquo qualitativ aufgewertet
werden Zum einen indem aus Spielprozessen Projekte hervor gehen mit der Bedingung dass das
Spielgeschehen zunehmend von der Projekttaumltigkeit durchdrungen wird Und zum anderen koumlnnen
bdquo[]im Rahmen von Projekten [hellip] Freispielphasen enthalten sein in denen sich dieKinder weiterhin mit dem Projektthema allein oder mit anderen auseinandersetzen DieQualitaumlt der Freispielprozesse laumlsst sich durch gezielte Unterstuumltzungsmaszlignahmen erhouml-henldquo (dies S 30 Herv MG)
Wenn also Freispielphasen eingeplant werden dann unter der Bedingung dass im bdquoSpielldquo die Pro-
jektthemen wieder aufgegriffen werden In beiden Varianten wird aber die Qualitaumlt des Spiels zu-
mindest im Bezug auf das Erreichen des Lernzieles angezweifelt weshalb ein gezieltes Einwirken
der Paumldagogen kontinuierlich angedacht ist
bdquoDie Houmlhergewichtung des elementaren Bildungsauftrags hat zur Konsequenz dasssich das beilaumlufige Lernen der Kinder im Spiel zum spielerischen Lernen hin entwickeltDem Spiel wird mehr systematische Begleitung und didaktische Aufbereitung
22
zuteilldquo(dies S31 Herv MG)
Das demnach angedachte bdquoFreispielldquo soll folglich auch kein freies natuumlrliches Spielen sein selbst
wenn sich Kinder angetan von den Projektinhalten im freien Spiel beginnen selbsttaumltig im Rah-
men dessen auseinanderzusetzen Solches Geschehen wuumlrde durch paumldagogisches Einwirken auf
das Lernziel hin gelenkte Taumltigkeit werden es soll durch Erwachsene zum bdquospielerischen Lernenldquo
hin entwickelt werden Ebenso kann auch ein anfaumlngliches Spiel nie als solches bestehen bleiben
Die Houmlhergewichtung des institutionellen bdquoBildungsauftragsldquo bewirkt in beiden Faumlllen dass der
scheinbar gewaumlhrte bdquoSpielraumldquo zur zielorientierten Lerntaumltigkeit wird weshalb (freies) Spiel ver-
draumlngt wird und zunehmend in Projekttaumltigkeit muumlndet Erst dann hat Spiel einen qualitativen Nut-
zen im Sinne des Bildungs- und Erziehungsplans Deshalb haben Spielen und Lernen auch nach An-
sicht und Position des Bildungsplanvorhabens in einem besonderen Verhaumlltnis zueinander zu stehen
welches Paumldagogen zu sichern haben
bdquoFreispiel ist wichtig muss jedoch im angemessenem Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlt stehendie die Erwachsenen planen und initiieren[]ldquo (ebd Herv MG)
Denn Lernaktivitaumlt sollte nach Meinung der Autorinnen und Autoren wenn sie vom Kind ausgeht
letztlich durch Erwachsene zielfuumlhrend gelenkt werden
Diese Qualitaumlt steigernden Unterstuumltzungsmaszlignahmen und das angestrebte Verhaumlltnis von Spielen
und Lernen stehen im einzelnen mit den Wesensmomenten des freien Spiels in Widerspruch Im
freien Spiel sind die Spielinhalte die sich spielende Kinder selbst auswaumlhlen vorwiegend alltagsbe-
zogen und als diese individuell meist sehr unterschiedlich Kinder begegnen im Spiel also Themen
die ihr Interesse durch erlebte oder beobachtete Situationen geweckt haben Diese eigens initiierten
Spielideen koumlnnen wie oben skizziert diverse Funktionen (zB bildendes Erproben) als Nebenef-
fekt haben Aber im Sinne des Spiels als bdquofreie Zeitgestaltungldquo draumlngt das Kind eher nach sinnvoll
erfuumllltem Leben durch erstrebtes lustvolles Spielen mit ganzheitlichem Lebensweltbezug als nach
einer von auszligen das Spiel deformierenden oder domestizierenden Systematik und Didaktik Es ist
anzunehmen dass diese fehlende bdquoBe-friedigungldquo des Spielbeduumlrfnisses ihre praumlgenden Anpas-
sungsspuren in den Kindern hinterlaumlsst und sie wahrscheinlich unzufrieden macht Zusaumltzlich duumlrf-
ten diese Umstaumlnde dem Lernen allgemein auch eher abtraumlglich sein
Es besteht also ein ganzheitlicher Bezug zum eigenen Leben wenn durch die Freiheit zum Spiel
ganz individuelle Themen zur Spielidee werden und bdquoihren Laufldquo nehmen Das heiszligt die jeweilige
Initialidee wird im weiteren Spielverlauf staumlndig veraumlndert werden und folgt dabei gerade eben
nicht der bdquoLogikldquo der buumlrgerlichen Erwachsenenwelt Diese bdquoLogikldquo wird aber im Bildungsplan fo-
23
kussiert In ihm ist die Annahme enthalten dass Kinder wie Forscher ihre Umwelt erkunden und
nun im Zuge der Aufwertung des Spiels zum bdquospielerischen Lernenldquo durch paumldagogisches Hinwir-
ken sich das bdquospielendeldquo Kind in reflektierender Betrachtungsweise Kausalzusammenhaumlnge und
Gesetzmaumlszligigkeiten des zu untersuchenden bdquoGegenstandesldquo erschlieszligen bzw davon ableiten soll
(vgl dies S 20 27-28 30-31) Spiel ist aber nur dann Spiel wenn es ein eigenes fortwaumlhrendes
kreatives und spontanes Eingehen auf die Anregungen der aumluszligeren Spielszenerie ermoumlglicht (vgl
Kapitel bdquo14 Das Moment der Ambivalenzldquo S 11ff sowie Rittelmeyer 2007 S 136) Innerhalb
dessen orientiert sich die Spiel gestaltende Taumltigkeit des Kindes hauptsaumlchlich an den eigenen Be-
duumlrfnissen und nicht an Vorgaben von auszligen Deswegen kann auch nicht alles Spiel sein das waumlre
Willkuumlr und nicht Geschlossenheit (vgl Kapitel bdquo15 das Moment der inneren Geschlossenheitldquo S
13) Und um seiner inneren Zweckmaumlszligigkeit moumlglichst dienlich zu sein bleibt es auch stets unver-
fuumlgbar Darin gibt es keine absolute Eindeutigkeit (zB ein Lernziel) mit zielgerichtetem Streben
nach zukuumlnftiger Befriedigung Spiel ist jetzt ist gegenwaumlrtig angestrebtes erfuumlllendes Erleben von
frei gestalteter Zeit Nur so koumlnnen sich alle weiteren Wesensmomente und ihre ua auch hoch ef-
fektiv bildenden Potenziale ergeben und individuell entfalten Solches Spiel waumlre aber von Vielfalt
Spontanitaumlt Uumlberfluss Instabilitaumlt Kreativitaumlt oder auch vom ihm eigenen Unsinn gepraumlgt Sicher-
lich erschlieszligen sich dem Kind dabei diverse Kausalzusammenhaumlnge und aus Einzelphaumlnomenen
wird es ableitend Gesetzmaumlszligigkeiten erfahren die sich in diesem informellen Lernprozess dann als
Wissen Kenntnisse Fertigkeiten oder auch Kompetenzen verinnerlichen Aber diese (Neben)Effek-
te wuumlrden nie zielfuumlhrend oder leitend das Spielgeschehen formen bzw antreiben
Dem natuumlrlichen freien Spiel steht das bdquospielerische Lernenldquo auch im Bezug auf die im Spiel er-
schaffene Phantasiewelt (vgl Kapitel bdquo13 Das Moment der Scheinhaftigkeitldquo S 10) entgegen
Denn diese zeichnet sich gerade dadurch aus dass sie sich von den bdquoObjektenldquo der Umwelt loumlst
vom Faktischen enthoben ist und durch Phantasie zu bdquoNeuemldquo zu Symbolischem werden laumlsst Und
somit das symbolische bdquoAls-obldquo Spielgeschehen ermoumlglicht Das Spiel wuumlrde sich also notwendi-
gerweise von der Projekttaumltigkeit oder ihren faktischen Inhalten loumlsen muumlssen um sich in dieser
Phantasiewelt mit seiner Spielhandlung zwischen Zufaumllligem und Notwendigem bewegen zu koumln-
nen Mit der daraus entstehenden Gegenwaumlrtigkeit schloumlssen sich alle weiteren Momente zu ihrer
bdquofunktionalenldquo Kette zusammen Auch der zeitliche Rahmen in dem sich das freie Spiel nun bewe-
gen wuumlrde ist unvorhersehbar Es ist also wahrscheinlich dass das Spielgeschehen uumlber den von
Erziehern eingeplanten bdquoFreispielzeitraumldquo hinweg andauern koumlnnte und deshalb von auszligen durch
die Paumldagogen abgebrochen werden wuumlrde Der bdquoinneren Unendlichkeitldquo des Spiels wuumlrde dies so-
mit ein abruptes Ende bereiten Dem zirkulaumlrem Charakter des Spiels steht noch ein weiterer Aspekt
24
entgegen Naumlmlich dass die Wiederholungen der Spielhandlung nicht aus systematischer oder di-
daktischen bdquoAufbereitungldquo erzeugt werden koumlnnen sondern dass sie wie Rolf Oerter in bdquoZur Psy-
chlogie des Spielsldquo beschreibt mit lustvollem Erleben in Verbindung zu bringen sind und demnach
eher dem Lustprinzip folgen als dem rationellem Realitaumltsprinzip (vgl Oerter 2007 S 9 12 14f
18-21)
Einzelne Momente fuumlr bdquospielerisches Lernenldquo zu erzeugen bzw sie diesbezuumlglich abzuwandeln
kann also nicht mehr mit dem natuumlrlichen freiem Spiel in Verbindung gebracht geschweige denn
damit gleichgesetzt werden Das daraus resultierende bdquoSpielenldquo kann demnach auch nicht dem Be-
duumlrfnis oder Drang nach Spiel entsprechen welches Kinder ganz offenkundig haben Das Spiel im
Sinne des Bildungsplanes gleicht in seiner angedachten Form eher bdquodomestiziertenldquo Spiels das in
einzelne Wesensmomente zerrissen ist um als didaktische bdquoListldquo geplant initiiert zu werden Somit
wird durch die verkuumlrzte Auffassung von Spiel als Mittel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo bei
gleichzeitiger Verkuumlrzung echter Spielzeit die zunehmende Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels
im Bildungsplan programmatisch angegangen bzw angeordnet wodurch die dieser Arbeit zugrunde
liegende Annahme bestaumltigt wird
3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
Die Reformpaumldagogik hat zB durch Ellen Key Johann Heinrich Pestalozzi oder Maria Monterssori
Konzepte wie Jena-Plan das der Sudberry Valley School oder der Freien Demokratischen Schulen
inspiriert Innerhalb deren Konzeptionen findet auch die kindliche Lebenswelt ohne sie romantisch
zu verklaumlren ihren anerkennenden Platz und wird als vollwertiger Lebensabschnitt beachtet Ihre
aumlhnlichen Bildungsansaumltze enthalten vielfaumlltigste Anreize und Formen vernuumlnftiger Bildungsideen
mit ganzheitlichem Menschenbild und echtem Lebensweltbezug Das bedeutet auch fuumlr eine Institu-
tion um mit Ellen Key zu sprechen Bildung vom Kind aus zu denken
Exemplarisch moumlchte ich im Folgenden diese Bildungsvorhaben und ihre fuumlr die Kinder bereiteten
Entwicklungsspielraumlume an Hand der Freien Demokratischen Schulen skizzieren Der Ausgangs-
punkt dieser Schulen ist der Kerngedanke dass sich durch Eigeninitiative selbstverantwortete Bil-
dung und freies Spiel nicht abstoszligend gegenuumlber stehen sondern dass beide den Beduumlrfnissen des
Kindes entspringen und das Kind deshalb je nach seiner Beduumlrfnislage seine Aktivitaumlten diesbezuumlg-
lich selbstorganisiert Zwar sind auch Freie Demokratische Schulen als Institution leider kein wirk-
licher bdquoorganischerldquo Teil der Lebenswelt von Kindern sondern immer nur von auszligen angebotene in-
tentionale Konstrukte die aber in diesem Fall den individuellen Entwicklungsspielraum der Kinder
25
versuchen zu schuumltzen bzw bereitzuhalten Somit wird jedem Kind sein eigener Freiraum der ihm
spontanes freies Spiel ermoumlglicht bereitet ohne es in irgendeiner Form zu verzwecken oder zu ka-
nalisieren Einige Konzepte solcher Schulen greifen auch die Kindheit als gesellschaftlichen Status
hervorbringende Begebenheit auf naumlmlich dass durch die alltaumlgliche Erwerbstaumltigkeit der Erwach-
senen die Kindheit entsteht und zwar als davon getrennter Lebensbereich Verschiedene Versuche
zB durch (Land)Schulheime oder selbst initiierten Lernvereinbarungen zielen darauf ab die ge-
trennten Lebensrealitaumlten von Kindern und Erwachsenen wieder mehr zur Uumlberschneidung zu brin-
gen Die daraus entstehenden freiwilligen Erfahrungspartnerschaften werden eigenverantwortlich
von den Beteiligten (Schuumller und Lehrer) nach ihren Beduumlrfnissen Vorstellungen und Wuumlnschen
gemeinsam gestaltet Es kann also keinen einheitlichen Lehrplan geben und es kann auch keinen
bdquoMethodenkofferldquo als Handreichung des Ministeriums geben der Anwendung finden soll Aber
falls es von den Schuumllern gewuumlnscht wird bzw falls es von ihnen als vernuumlnftig fuumlr die Umsetzung
des Vorhabens angesehen wird kann sich der Lehrer sinnvollerweise durch methodische oder di-
daktische bzw besser mathetische Aufbereitung unterstuumltzend einbringen Die Schuumller entwickeln
also selbst wie sie lernen und was sie lernen Dabei treffen sie nicht maszliggeblich ihre Auswahl aus
bereits bestehenden Angeboten sondern sie koumlnnen ihre Beschaumlftigungs- bzw Lerngebiete voumlllig
frei waumlhlen und initiieren Jede Beschaumlftigung wird dabei als wertvoll und lehrreich erachtet sei es
das Lesen das Experimentieren das freie Spielen oder das Teilnehmen an einem Unterrichtskurs
Die Schuumller entscheiden auch wann sie lernen Sie legen damit den gesamten zeitlichen Rahmen
fest innerhalb dessen sie sich mit ihrem eigenem Lerngebiet beschaumlftigen wollen Dies betrifft die
Tageszeit und den Gesamtzeitraum der Taumltigkeit aber vor allem auch das Alter in dem sie sich ent-
schlieszligen sich mit einer Thematik zu befassen So entschlieszligt sich zB ein neunjaumlhriges Kind Lesen
zu lernen wo ein fuumlnfjaumlhriges bereits damit begonnen hat Dabei waumlre es nicht ungewoumlhnlich dass
diese beiden Leseinteressierten sich zusammenschlieszligen und eine Lerngruppe initiieren um sich
gemeinsam dem Lesen lernen zu widmen Auch liegt es in der Verantwortung der Kinder wie inten-
siv sie sich mit dem gewaumlhlten Thema auseinandersetzen wollen Um all dies zu planen und umset-
zen zu koumlnnen sind die Lehrer wie beratende Helfer kontinuierlich fuumlr die Kinder da und die Kin-
der sind sich nie selbst uumlberlassen Somit schafft das Vertrauen der Lehrer in die Schuumller Vertrauens-
wuumlrdigkeit und die Kinder koumlnnen sich sicher und geborgen fuumlhlen um sich moumlglichst ohne Angst
in dieser Freiheit ganz nach ihren Beduumlrfnissen der Welt zuzuwenden Diesen Freiraum zum Entde-
cken und Spielen bezeichnen die Sudberry- bzw die Demokratischen Schulen als Lernfreiheit und
er ist eine der beiden Grundsaumlulen des Bildungskonzepts Die zweite Saumlule ist von organisatorischer
Natur und konstatiert den Lernort als egalitaumlres System in dem Schuumller und Lehrer in verschiede-
nen Gremien Komitees und Aumlmtern gleiche Einflussmoumlglichkeiten Pflichten sowie Rechte besit-
26
zen (vgl Schiffner 2007 S 8-15)
Peter Gray emeritierter Professor fuumlr Psychologie des Boston College erklaumlrte in einem Vortrag in
Berlin 3122012 die Grundlagen dieses bdquoErziehungsldquo Ansatzes18 Er nennt ihn Vertrauensvolle Er-
ziehung (Trustful Parenting) bdquoVertrauensvolle Erziehung basiert auf der Annahme dass Kinder von
Natur aus widerstandsfaumlhig kompetent sozial und selbstgesteuert sindldquo (Gray 2012 S 1) Daraus
ergibt sich dass Kinder ihrem Beduumlrfnis nach selbst entscheidend entdecken und spielen Es obliegt
ihrer Entscheidung Risiken einzugehen und dabei auch evtl eigene Fehler zu machen Entwick-
lungsvergleiche (auch keine Lernleistungsvergleiche) liegen dieser Ansicht fern Erziehung versucht
demnach Entwicklung nicht zu lenken sondern zu unterstuumltzen sodass Kinder ihre eigenen Ziele
verwirklichen koumlnnen Sie entwickeln dabei Eigeninitiative und uumlbernehmen Selbstverantwortung
in der Gemeinschaft Die Erwachsenen stellen dazu lediglich den aumluszligeren bdquoRahmenldquo her der fuumlr ein
gesundes Heranwachsen erforderlich ist (vgl Grey 2012 S1 ff) Deshalb ist dieser Ansatz auch
nicht als eine vernachlaumlssigende Haltung zum Kind anzusehen sondern ganz im Gegenteil die
bdquoErziehendenldquo senden den Kindern folgende Botschaft
bdquoDu bist kompetent Du hast Augen und ein Gehirn und du bist in der Lage Dinge her-auszufinden Du kennst deine eigenen Faumlhigkeiten und Grenzen Durch Spielen und Er-forschen wirst du dir aneignen was du wissen musst Deine Beduumlrfnisse werden gewuumlr-digt Deine Meinung zaumlhlt Du bist fuumlr deine Fehler selbst verantwortlich und man kanndarauf vertrauen dass du aus ihnen lernst Das Sozialleben zeichnet sich nicht durchWillenskaumlmpfe aus sondern vielmehr dadurch einander so beizustehen dass alle dasbekommen was sie brauchen und sich am meisten wuumlnschen Wir sind auf deiner Seitenicht gegen dichldquo (ders S1)
Interessant finde ich Peter Grays historischen Bezug den er zur Vertrauensvollen Erziehung her-
stellt Er belegt naumlmlich mit verschiedenen wissenschaftlichen Studien zu Jaumlger- und Sammlerkultu-
ren dass dieser Erziehungsstil bis zum Einsetzen der Landwirtschaft (vor ca 10000 Jahren in Asi-
en) der vorherrschende war und dass die Menschheit zu 99 Prozent ihrer gesamten Geschichte (ca 1
Millionen Jahre) Jaumlger und Sammler waren (vgl ders S 1-3)
4 Zusammenfassende Gedanken
Die anfaumlngliche Spielbegriffseingrenzung im ersten Teil dieser Arbeit verdeutlichte dass das Spiel
nicht nur von elementarer Bedeutung fuumlr ein gesundes Aufwachsen fuumlr Koumlrper und Psyche der Kin-
der ist obwohl das freie (Kinder)Spiel die dafuumlr wohl geeignetste Lebenstaumltigkeit darstellt Dem
18 Vgl Gray Peter (2012) Trustful Parenting May Require an Alternative to Conventional Schooling (Vertrauensvol-le Erziehung macht unter Umstaumlnden eine Alternative zum konventionellen Schulsystem noumltig) httpwwwting-schuledeindex_htm_filesPeter20Gray20_20Trustful20parentingpdf (Zugriff 260315)
27
natuumlrlichen (Kinder)Spiel als geistig-kreative Weltzuwendung liegen viel urspruumlnglichere Wurzeln
zu Grunde weshalb sich durch freies Spiel die Sinne der Koumlrper und auch der Geist als bdquoNebenef-
fektldquo beilaumlufig bilden und entwickeln Naumlmlich wie das bdquoMenschsein kein Zweck etwa des Lebens
sondern das Leben selbst istldquo (Kamper 1976 S 141) ist das (Kinder)Spiel auch kein findiger
Zweck des Lebendigen sondern gelebte Lebendigkeit und damit zwecklos (vgl ebd) bdquoDarauf und
nur darauf bezieht sich Schillers Wort dass der Mensch nur spielt wo er in voller Bedeutung des
Wortes Mensch ist und nur da ganz Mensch ist wo er spieltldquo (ebd) Somit stellt das Spiel das Prin-
zip des Lebendigen dar dies herauszuarbeiten und phaumlnomenologisch be-greifbar zu machen war
Ziel des ersten Teils dieser Arbeit Ich beabsichtigte darin ein Verstaumlndnis dafuumlr zu bilden dass das
(Kinder)Spiel als Modus von Freiheit im bdquoSpannungsfeld Lebenldquo die Wesenskraumlfte der Evolution
den Zufall die Spontanitaumlt und die Kreativitaumlt als eigene Triebkraumlfte in sich traumlgt und im freien
selbst initiierten Spielgeschehen zur Entfaltung bringt Als dieses Urprinzip ist das freie natuumlrliche
Spiel dem Menschen - homo ludens - und deshalb auch den Kindern ein Beduumlrfnis Deshalb fuumlhrt
durch Spiel gestaltete Zeit als erstrebte wesensgemaumlszlige Taumltigkeit zu Lebenszufriedenheit Und nur
dann traumlgt es seine Potenziale der Sinnesbildung Koumlrperbildung und geistig-seelischen Bildung so-
wie die Moumlglichkeit unvorhersehbarer Emergenzen in sich Und als solcher freier Ausdruck von Le-
bendigkeit ist deshalb Spiel fuumlr ein Kind innerhalb eines erfuumlllten Daseins grundlegend und zu ach-
ten bzw anzuerkennen
Im zweiten Teil wurde einsteigend die im derzeitigen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
vertretene Auffassung von Spiel erlaumlutert und der Plan wurde auf seine moumlgliche politisch- und paumld-
agogisch motivierte Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel untersucht Es konnte dargelegt werden
dass der Spiel(zeit)raum aufgrund des Interessengegensatzes von Kind und Staat kontinuierlich ein-
gekuumlrzt wird und zur zunehmenden Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel fuumlhrt um die politischen
Programme bdquoVerbesserung der Bildungschancenldquo und bdquoChancengleichheitldquo durchzusetzen Die da-
mit verwirklichten politischen Ziele und die Umsetzung einheitlicher Bildungsstandards haben da-
bei einerseits den Zweck die fuumlr die Wirtschaft dienliche und in der Gesellschaft mit Schule durch-
gesetzte Wissenshierachie fortzufuumlhren Und andererseits sollen diese Jahrgangssortierungen durch
internationale Tests wie PISA uauml als Standortfaktor im Wettkampf um Konkurrenzfaumlhigkeit auf ei-
nem globalisierten Markt Wirtschaftsstandort sichernd eingesetzt werden
Die Annahme dass es durch die Einuumlbung von vermeintlichen also dem Zeitgeist entsprechenden
bdquoGrundkompetenzenldquo bzw bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (als Bildungsstandards) zur zunehmenden
Verdraumlngung von freiem Spiel kommt konnte dadurch bestaumlrkt werden dass auf Grundlage eines
verkuumlrzten Spielbegriffes das freie (Kinder)Spiel durch paumldagogisches Einwirken in bdquospielerisches
28
Lernenldquo umfunktionalisiert und dadurch echte Spielzeit zunehmend eingekuumlrzt wird Der Zweck ist
dabei das (Kinder)Spiel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo als bdquoLernmotorldquo der Kinder innerhalb
des bdquoLernfensterdrucksldquo dem Lehrapparat dienstbar zu machen
Im dritten Teil dieser Arbeit wurde anhand der Demokratischen Schulen kurz skizziert wie institu-
tionelle Bildung die freies Spielen wirklich gewaumlhrleistet gelingen kann Leider stehen die Schulen
in freier Traumlgerschaft zu denen die Freien Demokratischen Schulen zaumlhlen in Deutschland vor be-
sonderen behoumlrdlichen Genehmigungsbarrieren und unzureichender oumlffentlicher Finanzierung was
ihre Realisierung maszliggeblich erschwert oder ganz verhindert Auch darin kann eine Verdraumlngung
bzw Verhinderung des freien Spiels gesehen werden
Die Verdraumlngung des freien Kinderspiels ist aus zweierlei Gruumlnden nicht gut zu heiszligen ja sogar ab-
zulehnen ist Erstens ist die im Spiel als Nebenerscheinung enthaltene Einuumlbung von Grund-
kompetenzen von groumlszligter Komplexitaumlt und Vielfalt die selbst neue nicht vorhersagbare Qualitaumlten
hervorbringt die mit den Triebkraumlften der Evolution in Verbindung zu bringen sind (Emergenz)
Deshalb ist es fuumlr einen ganzheitlichen Entwicklungsspielraum der Kinder und im Sinne der Evolu-
tion unvernuumlnftig das Spiel wie im Bildungsplan beschrieben bdquoqualitativ aufzuwertenldquo um ver-
meintliche fuumlr das derzeitige Leben als unverzichtbar angenommene bdquoGrundkompetenzenldquo durch
bdquospielerisches Lernenldquo einzuuumlben Und zweitens ist das Spiel als kreative geistig-emotionale Welt-
zuwendung und damit als wesensgemaumlszlige kreatuumlrliche Taumltigkeit des Menschen den Kindern ein Be-
duumlrfnis und grundlegend fuumlr ihr gesundes Aufwachsen und Lebensgeborgenheit (Lebenszufrieden-
heit) in einem sie wahrhaft erfuumlllenden menschlichen Dasein
Bedenke ich nun die Lebenszeit die auch meine Kinder teilweise schon vor dem ersten Lebensjahr
mit haumlufig acht Stunden taumlglich in Kindertageseinrichtungen (leider nicht in einer Freien Demokra-
tischen Schule mit Primarbereich) verbrachten derzeit verbringen und spaumlter in der Schule bis min-
destens zur Erfuumlllung der Schulpflicht mit etwa 15 Jahren in der Schule verbringen muumlssen bin ich
erschrocken-besorgt und wuumltend wie dem Phaumlnomen des freien natuumlrlichen Kinderspiels und der
Bildung insgesamt im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan begegnet wird Bildung als vorran-
gig politisch-oumlkonomisches Arrangement zu sehen darin das Spiel als List zu benutzen um standar-
disiertes Lernen zu erzielen echte Spielzeit zunehmend zu verkuumlrzen ndash dieses planvolle Vorgehen
der Politik und der beteiligten Paumldagogen stellt eine Missachtung der ihnen anvertrauten Kinder mit
ihren individuellen Wuumlnschen Vorstellungen Beduumlrfnissen und ihrer ganz persoumlnlichen Lebenswelt
dar und ist ein lebensentfremdendes Vorhaben das junge Menschen von einem sie erfuumlllenden gu-
ten Leben trennt
29
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31
Eidesstattliche Erklaumlrung
Ich erklaumlre hiermit an Eides Statt durch eigenhaumlndige Unterschrift dass ich die vorliegende Arbeit
selbstaumlndig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe die aus
fremden Quellen (einschlieszliglich elektronischer Quellen und dem Internet) direkt oder indirekt uumlber-
nommenen Gedanken sind ausnahmslos als solche kenntlich gemacht
Ich weiszlig dass bei Abgabe einer falschen Versicherung die Arbeit als nicht bestanden zu gelten hat
Herold 10042015
32
- Die zunehmende Verdraumlngung des freien Kinderspiels
- im Hessischen Bildungsplan
- Einleitung
- 1 Freies Kinderspiel - Wesensmerkmale
-
- 11 Das Moment der Freiheit
- 12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
- 13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
- 14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
- 15 Das Moment der Geschlossenheit
- 16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
- 17 Zusammenfassung
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- 2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
-
- 21 Das Spielverstaumlndnis
- 22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
- 23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
- 24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
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- 3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
- 4 Zusammenfassende Gedanken
- Literaturverzeichnis
- Internetquellen
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satt hat oder vom Spielen uumlbersaumlttigt ist sondern es beendet erst sein Spielen wenn es durch aumluszliger-
liche Faktoren (zB Beduumlrfnisse Noumlte Verpflichtungen jeglicher Art etc) dazu gedraumlngt wird (vgl
ders S 70-77)
13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
Das frei von Zwecken und Triebdruck voumlllig in sich selbst versunkene unendliche Spiel spielende
Kind wird durch die Hingabe an die eigene Phantasie kreativ wird lebendig Die Einbildungskraft
erschafft und gestaltet eine eigene Phantasiewelt in der Form einer bdquoAls-obldquo-Realitaumlt (Scheuerl)
Die durch Spielerphantasie konstruierte bdquoScheinweltldquo (Scheuerl) nimmt dabei die Bedingungen ih-
rer Umwelt wie beispielsweise reale Gegenstaumlnde und Objekte und ihre Materialitaumlt auf und erwei-
tert diese bdquoGegenstaumlndeldquo ggf bis zum imaginaumlren rein symbolischen Spielmittel damit es der
Spielidee und ihrem Fortgang moumlglichst dienlich ist
Die gesamte Phantasiespielwelt wird somit nach eigenen Vorstellungen von nah am objekthaften
(abbildnah) bis fernab der im weitesten Sinne materiellen Realitaumlt (abstrakt) konstruiert und kann
mit eigenen Gesetzmaumlszligigkeiten und Zusammenhaumlngen gestaltet werden Die entstehenden spieleri-
schen Inszenierungen enthalten in ihrer Spielidee auch fortwaumlhrend aktuelles Geschehen und die
Eindruumlcke der Kinder dazu wodurch es auf diesem Weg zur spielerischen Auseinandersetzung da-
mit kommt So kann zB ein vom Kind miterlebtes Hochwasser in der eigenen Region zur aufge-
griffenen Spielidee fuumlhren Ein verwittertes Stuumlck Holz etwa koumlnnte dem spielenden Kind als Sym-
bol des Rettungsbootes dienen das sich mit seinen imaginaumlren Insassen in einer dramatischen Ret-
tungsaktion im Hochwassergebiet befindet In solchen Spielszenen ist haumlufig beobachtbar dass es
beim Spielen nicht um abbildhaftes realitaumltsgetreues Nachspielen des eventuell Erlebten geht Son-
dern vielmehr darum dass sich das spielende Kind aktiv im Spiel zwar mit Erlebtem auseinander-
setzt im Sinne der bdquoScheinhaftigkeitldquo und des Unendlichkeitscharakters des Spiels aber rein aus
Freude am lustbetonten gestalteten Spielen die Spielhandlung ritualhaft wiederholt In diesem Sin-
ne wuumlrden beispielsweise immer wieder Insassen aus dem Boot geschleudert die es dann aufs Neue
zu retten gaumllte wodurch das Spiel zirkulaumlr bestaumlndig zumindest solange fortdauern koumlnnte bis neue
Spielideen oder von auszligen kommende Faktoren es abloumlsen oder beenden Spielern aber auch Zu-
schauern (zB im szenischen Spiel) erscheint diese Phantasiewelt von der materiellen Realitaumlt los-
geloumlst und die uumlber den Dingen schwebende bdquoScheinhaftigkeitldquo des Spiels (Scheuerl) kann Betrach-
ter und Akteure gleichfalls in ihren faszinierenden Bann ziehen sofern ihnen der Zugang zur eige-
nen Phantasie nicht von auszligen bdquoversperrtldquo ist (vgl Scheuerl 1990 S 77- 85)
10
14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
Jeder Spielende versucht sein Spiel bestaumlndig aufrecht zu erhalten9 Dafuumlr baut er im Spiel ein
Spannungsverhaumlltnis also einen inneren bdquoSpielraumldquo als Modus von selbstregulierter Freiheit auf
Die entstehende Autonomie (Freiheit) im Spiel besteht nun in der Ambivalenz zwischen sich zufaumll-
lig ergebendem Neuen Unbekanntem oder neu Gestaltetem (zB neue Passage am Kletterfels oder
die sich staumlndig neu ergebenden Flugbahnen der jonglierten Baumllle etc) und notwendig Festgeleg-
tem Bekanntem oder Begrenzendem (zB Regeln beherrschte Kletterpassage die bestaumlndige Form
und das Gewicht der Jonglierbaumllle die eingeuumlbte Jongliertechnik etc) Der Spielende versucht da-
bei permanent sein Spiel in Balance zwischen diesen beiden bdquoPolenldquo zu halten um es einerseits
stets durch bdquoNeuesldquo interessant zu gestalten und es andererseits durch bdquoBekanntesldquo zu stabilisieren
Die Dominanz einer Seite wuumlrde das Spiel abbrechen also beenden Denn ein zu viel an Neuem
noch zu Entdeckendem wuumlrde dem Spiel ein Uumlbergewicht an Wagnis Raumltselhaftigkeit Moumlglichkei-
ten oder Schwierigkeit verleihen und ein zu viel an bereits Entdecktem Begriffenem oder Begren-
zung wuumlrde das Spiel etwa vorhersehbar und eindeutig machen oder es einengen bdquokanalisierenldquo
(Scheuerl eindimensionale Zweckhandlung) sodass jede von ihm ausgehende Spannung und Spiel-
freude verloren ginge (vgl Scheuerl 1990 S 86-90)
bdquoSo bedarf das Spiel einer maszligvollen Spannung Spannungslosigkeit waumlre der Tod fuumlrdas Spiel Andererseits wuumlrde eine zu hohe Spannung sogleich einen auf Beendigungder Spannung gerichteten Befriedigungswunsch hervorrufen der die Ambivalenz uumlber-waumlltigen muumlszligteldquo (ders S 88 Herv i Orig)
Veranschaulicht darstellen laumlsst sich diese Ambivalenz zwischen Zufall und Notwendigkeit im Spiel
auch am Beispiel des Wuumlrfelns mit einem sechsseitigem Zahlenwuumlrfel Dabei besteht der Zufall in
der Wahrscheinlichkeit mit der eine der sechs Zahlen gewuumlrfelt wird und die Notwendigkeit be-
steht darin dass eine gewuumlrfelte Zahl immer im einschlieszligenden Bereich von eins bis sechs liegen
wird Somit begrenzen die festgelegten sechs Seiten des Wuumlrfels wie eine Regel das zufaumlllige Ein-
zelergebnis und steuern quasi bdquoselbstorganisiertldquo die Konsequenzen des Zufalls wodurch er statis-
tisch moumlglich dh wahrscheinlich wird (vgl Miller-Kipp 2005 S 281-282)
Nach Gisela Miller-Kipp10 ist dieses selbstgesteuerte Spannungsverhaumlltnis von ganz urspruumlnglicher
Relevanz Sie sieht einen Zusammenhang zwischen dem bdquoSpiel der Evolutionldquo dem Modus von
Freiheit zwischen Moumlglichem und Wahrscheinlichem und dem (menschlichen tierischen) Spiel als
9 vgl dazu bdquo12 Moment der inneren Unendlichkeitldquo in dieser Arbeit S 9 f10 Miller-Kipp Gisela Zufall Selbstorganisation und Kreativitaumlt Ein Versuch uumlber die Natur des Spiels wider seine
Paumldagogisierung In Bilstein J Winzen M Wulf C (Hg) Anthropologie und Paumldagogik des Spiels Weinheimund Basel Beltz Verlag 2005 S 273-291
11
einem lebendigen Teil dessen Naturwissenschaftliche Forschungen uumlber die Evolution haben seit
fast einem Jahrhundert die dazu grundlegenden Wesenskraumlfte im Evolutionsprozess definiert Diese
Wesensmerkmale sind Kreativitaumlt und Zufall (vgl dies S 281-285) Elfriede Maria Bonet fuumlhrt in
ihrem Aufsatz zum Spiel bdquoVon Autonomie und Spontanitaumlt Eine Naturgeschichte des Spielsldquo11 aus
dass Selbstorganisation eine relative Unabhaumlngigkeit von aumluszligeren Reizen bewirkt (Autonomie)
weshalb Spontanitaumlt als Strategie zur Selbststeuerung entsteht Diese Entwicklung von Selbstorga-
nisation mit Spontanitaumlt zur Selbststeuerung bildet ihr zufolge das kreative Moment im Evolutions-
prozess welches fuumlr das Auftreten neuer nicht voraussagbarer Qualitaumlten bzw neuer bdquoFormenldquo
oder Variationen aus dem Vorhandenen entstehen laumlsst (Emergenz12) Das daraus entstehende neue
Ganze waumlre bildlich gesprochen demnach mehr als die Summe seiner einzelnen Teile (frei nach Ari-
stoteles) Da es fuumlr menschliches aber auch tierisches Verhalten charakteristisch ist dass aufgrund
von Autonomie Spontanitaumlt entsteht erkennt Bonet darin die systemische Wesensverwandheit von
Spiel und Evolution (vgl Bonet S35ff) Diese Annahme deckt sich insofern auch mit dem Stand-
punkt derzeitiger Evolutionsforschung denn darin bdquowird die Evolution der materiellen und biologi-
schen Welt als einheitlicher Prozess angesehen der nicht determiniert ist und nicht deterministisch
ndash oder im alten Sinne mechanisch ndash ablaumluft Er spieltʻ wie es heiszligt [hellip]ldquo (Miller-Kipp 2005 S
280 Herv i Orig) Daraus folgt dass die bdquonatuumlrliche ndash physikalische und biologische ndash und kultu-
relle Evolution strukturell miteinander gekoppelt [sind] laufen also weder unabhaumlngig voneinander
noch in determinierender Kausalitaumlt zueinander abldquo (ebd Herv i Orig) Das schlieszligt somit das
Spiel des Menschen als bdquoKulturfaktorldquo13 und bdquoUrprinzipldquo (Huizinga) in diesen offenen Prozess ein
denn bdquoes [das Spiel MG] wurzelt in der Natur als der natuumlrlichen (der materiellen und der biologi-
schen) Evolution und traumlgt deren Momente in sich auch im Kulturprozessldquo (Miller-Kipp 2005 S
281) Auf dieser Grundlage wird derzeit die kreative Selbststeuerung auch als ursaumlchlich fuumlr den ge-
waltigen Formen- und Artenreichtum der Natur angesehen (vgl dies S 273-285 vgl dazu auch
Bonet 1993 S 35 ff) Auf das bdquonatuumlrlicheldquo (Kinder)Spiel bezogen bedeutet dies dass auch aus
dem Spiel in seinen Formen und Funktionen heraus Emergenzen entstehen Diese neuen unvorher-
11 Bonet Elfriede Maria Von Autonomie und Spontanitaumlt Eine Naturgeschichte des Spiels In Baatz U Muumlller-Funk W (Hg) Vom Ernst des Spiels uumlber Spiel und Spieltheorie Berlin Dietrich Reimer Verlag 1993 S35- 47
12 bdquoEmergent So bezeichnet man systemische Eigenschaften die nicht aus den Komponenten eines Systems abgelei-tet oder vorhergesagt werden koumlnnen Systeme sind in erster Linie relationale Tatsachen Dinge die auf den Bezie-hungen beruhen welche die Elemente des Systems zueinander einnehmen Als solche besitzen sie Eigenschaftendie gegenuumlber den Eigenschaften ihrer Komponenten oder Elemente emergent sind Nach Luhmann ist das Sozialeeine emergente Eigenschaft und als solches nicht aus den Eigenschaften seiner Elemente der psychischen Systemeableitbar Sozialitaumlt ist eine houmlherstufige Eigenschaft die auf den Beziehungen zwischen Menschen beruht In derBewusstseinsphilosophie behauptet der so genannte Emergentismus die Emergenz von Bewusstsein Hat die Kom-plexitaumlt bestimmter biologischer Systeme einen bestimmten Grad erreicht stehen insbesondere Nervenzellen aufvielfaumlltige Weise miteinander in Beziehung so tritt in der Geschichte der Evolution Bewusstsein als emergente Ei-genschaft dieser biologischen Systeme aufldquo (bdquoemergentldquo In UTB-Online-Woumlrterbuch Philosophie)
13 Huizinga geht davon aus dass Kultur (Sprache Gemeinschaftsleben Brauchtum Essen Sitten Kunst ReligionRechtsleben etc) in Form von Spiel entsteht (vgl Huizinga 2004 S7-13 56-58)
12
sagbaren Erscheinungen (Qualitaumlten) sind so vielfaumlltig dass sie dem von der Natur hervorgebrach-
ten Artenreichtum gleichen und in ihrer Qualitaumlt fuumlr das Individuum die vielfaumlltigsten und komple-
xesten Funktionen und Nutzen bereithalten
Nach meiner Auffassung werden die beschriebenen Wesenszusammenhaumlnge von Spiel und Evoluti-
on besonders in dem Modus von Freiheit als Ambivalenz im Spiel ersichtlich da die grundlegenden
evolutiven Momente naumlmlich Kreativitaumlt Selbstorganisation und Spontanitaumlt auch die wesentlichen
Schaffenskraumlfte menschlichen Handelns und des erlaumluterten Spannungsverhaumlltnisses im Spiel sind
In Anlehnung an Miller-Kippacutes und Bonetacutes Deutungsversuche zum Spiel ist das freie im obigen
Sinne natuumlrliche Kinderspiel als Modus von selbstregulierter Freiheit eine wesensgemaumlszlige kreatuumlrli-
che bdquoTaumltigkeitldquo des Menschen die sich ereignet bzw die geschieht und nicht verrichtet oder erzeugt
werden kann Die diesem bdquoSpielgeschehenldquo (Scheuerl) innewohnenden unverfuumlgbaren wesentli-
chen Momente sind demnach sowohl die Grundbedingung fuumlr das Spiel selbst als auch Vorausset-
zung fuumlr die Vielfaumlltigkeit im Spielprozess Fraglich ist an dieser Stelle ob ein intentional geplantes
Erziehungs- und Bildungsvorhaben diesen Entwicklungsspielraum mit vielfaumlltigsten Erfahrungs-
moumlglichkeiten fuumlr Kinder schuumltzend bereithaumllt Und ob dann das freie natuumlrliche Spiel abgewartet
wird oder ob das (Kinder)Spiel mit funktionalen Absichten durch Paumldagogisierung in das planende
Joch von Erziehungs- und Bildungsbestrebungen eingespannt wird und seine wesentlichen Poten-
ziale damit verspielt werden
15 Das Moment der Geschlossenheit
Die freie Spieltaumltigkeit eines Kindes ist insofern geschlossen als dass die oben genannten Momente
wie einzelne ineinander greifende Glieder eine bdquogeschlossene Ketteldquo bilden muumlssen damit sich
freies bdquonatuumlrlichesldquo Spiel einstellt Die sich daraus bildenden oder aufgenommenen Spiele werden
haumlufig von da an als auftretendes Phaumlnomen augenscheinlich Denn das Spiel beginnt sich als frei
gestaltete Zeit mit seinem entstehenden bdquoKosmosldquo von Regeln Zufaumlllen Absprachen Bedingun-
gen Offenheiten Bestrebungen Kontexten Unverfuumlgbarkeiten Themen etc klar zu definieren und
vom gewoumlhnlichen Leben bdquoabzusetzenldquo Es wird dabei ersichtlich dass freies Spiel seine eigene in-
nere Regelhaftigkeit (im weitesten Sinne) sein bdquoSpielfeldldquo hat und eher als das Gegenteil von Will-
kuumlr oder Anomie anzusehen ist (Vgl Scheuerl 1990 S 91-95)
16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
Das Spiel verfolgt keinen auszligerhalb seiner selbst liegenden Zweck (Zweckfreiheit) und das Spielge-
13
schehen ist eine bdquopendelnde Suchbewegungldquo (Scheuerl Ambivalenz) die bestrebt ist innerhalb ih-
rer konstruierten bdquoScheinweltldquo (Scheuerl Scheinhaftigkeit) endlos in sich selbst zuruumlckzulaufen
um kein Ende zu finden (innere Unendlichkeit) Spielende sind von ihrem lustvollen Erleben im
Spiel voumlllig durchdrungen und gestalten spielend spontan mit groszliger Ernsthaftigkeit und in voumllli-
ger Selbst- und Weltvergessenheit ihr bdquoewigesldquo Spiel Und wie entgegen aller Vergessenheit ist es
dennoch ein Zustand houmlchster Wachheit und Konzentration Spielende sind in jedem gegenwaumlrtigen
Moment voumlllig praumlsent dh im bdquoHier und Jetztldquo aumlhnlich einem meditierenden Menschen Spielende
befinden sich also im Zustand tiefer Kontemplation aber nur im Bezug auf ihr Spiel weshalb sie
auch das eigene Gefuumlhl fuumlr Zeit im Moment des Spielens nicht oder kaum wahrnehmen Spielende
Kinder koumlnnen uumlber Stunden bdquowie gefesseltldquo ihrem Spiel nachgehen ohne dass ihnen die Zeitspan-
ne wirklich bewusst waumlre oder dass es ihnen hinterher moumlglich waumlre den fuumlr das Spiel aufgebrach-
ten Zeitraum zu schaumltzen (Vgl Scheuerl 1990 S 95-96 100-102)
17 Zusammenfassung
Das dieser Arbeit zugrunde liegende Verstaumlndnis des Begriffes bdquofreies Kinderspielldquo kann wie folgt
zusammengefasst werden Freies (Kinder)Spiel wird als ein Geschehen von komplexer geistig-
kreativer Weltzuwendung verstanden das sich innerhalb eines Freiraumes ereignet Einerseits ist
die sich innerhalb dessen ereignende Spieltaumltigkeit frei von Zielen Zwecken oder Nutzen die au-
szligerhalb seiner selbst liegen und andererseits sind die Spielenden innerhalb des Spielzeitraums frei
von ihrer unmittelbaren Lebensfuumlrsorge Als solche freie Zeit gestaltende Taumltigkeit ist das Spielen
fuumlr geistig emotional erlebende Wesen wie den Menschen oder houmlher entwickelte Tiere fuumlr eine
hohe Lebensqualitaumlt innerhalb eines erfuumlllenden Lebens grundlegend Aus diesem Umstand ergibt
sich dass freies natuumlrliches Spiel als grundsaumltzliches Beduumlrfnis angesehen werden kann weshalb
Spielende auch einen Drang (bdquoTriebldquo) zum Spiel aufweisen Doch ist der Charakter dieser
(Spiel)Taumltigkeit an sich von anderer bdquoNaturldquo als gewoumlhnliche Beduumlrfnisse befriedigende
(Trieb)Handlungen Als diese triebhafte Tendenz zum Spiel zielt die Spieltaumltigkeit nicht auf das Be-
duumlrfnis stillende Ende ab sondern auf ihren dauerhaften Fortgang Dieser zirkulaumlre Charakter und
das geistig erfuumlllende Erleben werden dabei durch den Umstand ermoumlglicht dass sich das Spieler-
eignis aufgrund seiner zuvor beschriebenen Autonomie in einem Spannungsverhaumlltnis ereignet Die-
ses ergibt sich zwischen Zufall und Notwendigkeit und wird durch den Spielenden bestaumlndig in
Waage gehalten Dieses selbst initiierte Geschehen reguliert sich somit auf der Handlungsebene
selbst es ist selbstorganisiert Diese Selbststeuerung nutzt Phantasie und Spontanitaumlt als Strategie
weshalb das Spielgeschehen trotz seines zirkulaumlren Charakters als prozessoffen bezeichnet werden
14
kann Besonders das Kinderspiel taucht dazu im gegenwaumlrtigen Spielmoment mit seinen spielenden
Subjekten im besonderen Bewusstsein uumlber seine paradoxe Als-ob-Realitaumlt in ihre eigens gestaltete
geistige Scheinwelt ein Die Spielenden sind waumlhrenddessen voumlllig selbst- und weltvergessen mit
groszliger Ernsthaftigkeit und im groumlszligten Eifer voumlllig in ihr bdquogebanntldquo Fuumlr ein bdquosich Ereignenldquo dieses
beschriebenen spontanen natuumlrlichen Spiels hat es nun als letztes Merkmal noch zur Voraussetzung
dass einzelne Momente nicht fuumlr sich isoliert initiiert oder planmaumlszligig ersetzt weggelassen oauml wer-
den koumlnnen so dass jedes einzelne der sechs Wesensmomente im Spielgeschehen quasi jeweils ein
bdquoGliedldquo in einer ineinander greifenden bdquofunktionalenldquo Kette darstellt ohne dass die Kette nicht
funktionstuumlchtig waumlre und sich freies natuumlrliches Spiel nicht ereignen koumlnnte
Inwiefern sich freies Kinderspiel nach dieser Auffassung im Hessischen Bildungs- und Erziehungs-
plan widerspiegelt soll im folgenden Kapitel untersucht werden
2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
21 Das Spielverstaumlndnis
Im Kapitel bdquoGrundsaumltze und Prinzipienldquo des Hessischen Bildungsplanes kommt dessen bdquoeigenesldquo
Verstaumlndnis zum bdquoKinderspielldquo ebenso zum Ausdruck wie eine Anleitung dazu wie mit dem Spiel-
phaumlnomen planvoll umzugehen ist (vgl Hessisches Sozialministerium Hessisches Kultusministeri-
um (2007) S 30-31) Im Folgenden werden diese Positionen zusammenfassend darstellt und erlaumlu-
tert
Spiel wird darin als Mittel in der ureigenen Ausdrucksform des Kindes angesehen womit es in der
Zeit des Heranwachsens seine Entwicklungsaufgaben und Lebensrealitaumlt bewaumlltigt Nach dieser
Auffassung kennzeichnen das Spiel drei Merkmale Das ist erstens die Zweckfreiheit der Spielhand-
lung die ausschlieszliglich durch das von ihr ausgehende Anregungspotentials ausgefuumlhrt wird Zwei-
tens dass im Spiel eine eigene Realitaumlt konstruiert wird und drittens dass Spielhandlungen wie im
Ritual wiederholt werden Die weitere Betrachtung des Spiels ist dann maszliggeblich auf Zwecke Zie-
le und den Sinn des Spiels im Bezug auf seine Wirkungen beschraumlnkt Somit sollen sich Kinder
zwar bdquoin ihren Spielhandlungen lustvoll versenken und dabei in einen intensiven Austausch mit ih-
rer Umwelt tretenldquo (dies S 30) Dies diene dann aber lediglich der Verarbeitung und Bewaumlltigung
von noch nicht zuordenbaren Erfahrungen (Problemen) Diese vom Kind zu bewaumlltigenden Proble-
me betraumlfen einerseits Entwicklungsthematiken wie bdquodas Ausspielen von Macht und Kontrolle von
Allmachtsphantasien [hellip] oder Herrschaft uumlber Leben und Tod [] sowie der Wunsch nach Heraus-
bildung eines Selbst bzw einer Identitaumltldquo (ebd) und andererseits Beziehungsthematiken zwischen
15
Erwachsenen und Gleichaltrigen
An die Beschreibung der drei Merkmale von Spiel anschlieszligend wird der Lern- und Entwicklungs-
charakter des Spiel dargestellt bdquoFreie Spielprozesse sind immer auch Lernprozesse denn Kinder
lernen zumindest beilaumlufig durch Spielenldquo (ebd)
Weiter heiszligt es im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan dass die Qualitaumlt dieser Lernprozesse
die im freien Kinderspiel stattfinden durch bdquogezielte Unterstuumltzungsmaszlignahmenldquo zu erhoumlhen sei In
dieser Aussage wird deutlich dass das freie Kinderspiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungs-
plan lediglich als Mittel aufgefasst wird welches die Entwicklungs- und Lernprozesse waumlhrend des
Heranwachsens beschleunigend wie ein Motor vorantreiben soll Warum sonst soll die bdquoQualitaumltldquo
des freien Kinderspiels bdquoerhoumlhtldquo werden Kinder sollen in erster Linie nicht spielen um ihrem Be-
duumlrfnis nach Spiel nachzukommen sondern um etwas zu lernen Dies legt den Verdacht nahe dass
das Spielen als solches auch nur aus diesem Grunde naumlmlich weil Kinder im Spiel etwas lernen
dh Kompetenzen erwerben Bestandteil des Bildungsplanes ist
Zusammenfassend kann festgestellt werden dass das Spiel im Hessischen Bildungs- und Erzie-
hungsplan auf eine Art Voruumlbung fuumlr das bdquorichtigeldquo Leben bei gleichzeitiger Lebensbewaumlltigung
verkuumlrzt wird Gleichzeitig findet durch die bdquoAufwertungldquo des freien Spiels zum bdquospielerischen Ler-
nenldquo eine Funktionalisierung und Paumldagogisierung des freien Spiels statt Die dem Spiel von Lern-
und Entwicklungspsychologie attestierten Potenzen (vgl Oerter 2007) sollen fuumlr die Realisierung
der Bildungs- und Erziehungsziele nutzbar gemacht werden dh das Spiel an sich dient vorrangig
dem Erwerb gewisser Kompetenzen und nicht der Erfuumlllung kindlicher Spielbeduumlrfnisse
Im folgenden Abschnitt werden die Hintergruumlnde eines solchen Spielverstaumlndnisses untersucht
Politische Motivationen spielen dabei ebenso eine Rolle wie die sich daraus ergebenden Ziele des
aktuellen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplans
22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
Im Vorwort des Hessischen Bildungs- und Erziehungsplans benennen die ehemaligen Hessischen
Ministerinnen14 fuumlr Kultus Karin Wolf und fuumlr Soziales Silke Lautenschlaumlger das zentrale politi-
sche Ziel naumlmlich die bdquoOptimierung der Bildungschancenldquo und die Entwicklung von bdquoChancen-
gleichheitldquo (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S 18) fuumlr die heranwachsende
Generation Bereits diese Formulierung laumlsst erkennen dass es im Bereich Bildung und Erziehung
politisch gesehen um Effizienz und um einheitliche bdquoQualitaumlts-ldquo und bdquoBildungsstandardsldquo geht die
14 unver uumlbern v aktuellem Kultusminister Herr Lorz von Herr Gruumlttner fuumlr Soziales und Integration
16
auf maximale Leistungen in der nationalen und internationalen Wissenskonkurrenz zielen
Wie ist also bdquoOptimierung der Bildungschancenldquo zu verstehen Konzeptionell ist diese bdquoOptimie-
rung der Bildungschancenldquo darauf angelegt dass bis zum Uumlbergang in die Sekundarstufe die Kin-
dertageseinrichtungen und Grundschulen allen Kindern eines Jahrgangs als Grundlagen die gleichen
bdquoBasiskompetenzenldquo15 vermitteln sollen Das Erreichen dieser bdquoBildungsstandardsldquo bis zur vierten
Klasse sei wiederum die Herstellung von bdquoChancengleichheitldquo so die Schlussfolgerung (vgl dies
S 18)
Dabei besteht die Chance darin dass die Kinder des gesamten Jahrgangs in gleichen Leistungstests
an diesen einheitlichen bdquoBasiskompetenzenldquo in Abhaumlngigkeit gemessen und in Konkurrenz zueinan-
der nach ihren Lernleistungsdifferenzen (Leistungsabstaumlnden) eingeordnet werden koumlnnen (vgl
Nuumlberlin 2002 S 117-127) Die dabei entstehende Jahrgangssortierung dh die Platzierung im
Leistungsvergleich innerhalb eines Jahrganges entscheidet dann daruumlber welche Kinder eine
bdquoChanceldquo auf houmlhere Bildung erhalten und welche nicht welche also das Gymnasium besuchen
duumlrfen und fuumlr welche der Besuch der Realschule vorgesehen ist Somit werden mit dem politischen
Programm bdquoChancengleichheitldquo bzw bdquoOptimierung der Bildungschanceldquo die jungen Generationen
(Kinder und Jugendliche) gemaumlszlig der in der Gesellschaft durchgesetzten Wissenshierarchie bzw Fauml-
higkeitshierarchie kontinuierlich eingeordnet (vgl Nuumlberlin 2002 S 127-129)
Deshalb soll bdquoChancengleichheitldquo auch bdquoBildungschancenldquo eroumlffnen weshalb im Bildungsplan Paumld-
agogen dazu aufgerufen sind die Kinder von fruumlhester Kindheit an individuell zu staumlrken um ihre
unterschiedlichen Voraussetzungen zumindest in gleichen bdquoBasiskompetenzenldquo vermeintlich einan-
der anzugleichen und somit die Vergleichbarkeit in der Notenkonkurrenz chancengleich im Sinne
von voraussetzungsgleich zu gestalten (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S
5-6 und S 17-18) Gerda Nuumlberlin weiszligt darauf hin dass aber diese Voraussetzungsgleichheit die
Institution Schule gerade nicht leistet Und dass Schule statt dessen durch Lernen auf Zeit die Schuuml-
ler innerhalb eines Jahrgangs mit einheitlichen Tests kontinuierlich einem Sortierungsverfahren un-
terzieht das eher gemaumlszlig den Bildungsschichten die Wissensunterschiede der Kinder hervorhebt
und sogar mit produziert statt sie mit dem Ziel der bestmoumlglichen Wissengleichheit zu bdquobeseitigenldquo
(vgl Nuumlberlin 2002 S 104-142)
Die auf gleiche Basiskompetenzen vorbereitenden Lernangebote und Fruumlhfoumlrderungen sollen nach
Aumluszligerung der Ministerinnen im Vorwort intensiver und fruumlher initiiert werden als in den vorange-
gangenen Jahren (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S 5-6) Zur Sicherung
15 bzw auch als bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (vgl dies S 41) bezeichnet daraus resultieren sollen die besonders vonder Wirtschaft geforderten bdquoMetakompetenzenldquo (vgl dies S 17)
17
der bdquoBildungsqualitaumltldquo und Umsetzung einheitlicher Standards soll der Bildungs- und Erziehungs-
plan das institutionenuumlbergreifende Steuerungsinstrument sein (vgl dies S 19) Die Herausgeber
des Bildungsplanes heben in der Einfuumlhrung besonders hervor dass es sich erstmals um einen Bil-
dungs- und Erziehungsplan handelt der durch seine stufenlose Konzeption von 0 bis 10 Jahren ein
kontinuierliches Lernen vorsieht Alle paumldagogisch wirkenden Personen und Institutionen sollen
durch einheitliche Bildungs- und Erziehungsziele moumlglichst an bdquoeinem Strang ziehenldquo koumlnnen (vgl
dies S 5-19)
Leitziel ist es fuumlr das bdquolebenslange Lernenldquo mit dem Erwerb von bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo die
bereits erwaumlhnte gemeinsame Grundlage (bdquoBasiskompetenzenldquo 16) der Kinder zu erzeugen (vgl
dies S 41f)
Veranlasst sehen sich die Ministerien zur bdquoneuenldquo konzeptionellen Bildungssteuerung durch den
tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel der sich von der demografischen Entwicklung uumlber viel-
faumlltige kulturelle Kontexte die Wirtschafts- und Arbeitswelt bis hin zu familialen Wandlungsprozes-
sen vollzieht und generell durch Schnelllebigkeit gekennzeichnet ist und von den Menschen ein ho-
hes Maszlig an Flexibilitaumlt und Mobilitaumlt fordert Hierzu werden auch die Ergebnisse der Schuumllerleis-
tungsvergleiche wie PISA TIMSS oder IGLU und denen entsprechende wissenschaftliche For-
schungsbefunde genannt denen der bdquo(neue) Bildungs- und Erziehungsplanldquo Rechnung tragen
moumlchte (vgl dies S 16-19)
Denn die Platzierung bei national und international vergleichbaren Leistungserhebungen ist letztlich
die Bemessungsgrundlage fuumlr bdquoBildungserfolgldquo oder bdquoBildungsversaumlumnisldquo Die attestierte bdquoBil-
dungsqualitaumltldquo ist deshalb von politischem Interesse weil die Politik die durch ihr Bildungssystem
erreichte Platzierung im vorderen Bereich als Standortfaktor fuumlr ihren Wirtschaftsstandort in
Deutschland nutzen moumlchte um vor allem auf dem globalem Markt konkurrenzfaumlhig zu bleiben
Im Folgenden wird zu zeigen sein ob und inwiefern diese Zielsetzungen mit dem dafuumlr entwickel-
ten Bildungskonzept zur angenommenen Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels fuumlhren
16 Im Einzelnen werden folgende Kompetenzen genannt als Basiskompetenzen werden bdquoindividuumsbezogeneKompetenzenldquo bdquoKompetenzen zum Handeln im sozialen Kontextldquo bdquoLernen und lernmethodische Kompetenzldquo undbdquokompetenter Umgang mit Veraumlnderung und Belastung Widerstandsfaumlhigkeit (Resilienz)ldquo genannt (vgl dies S 25-26 und S 41-44) Zum anderen werden darauf aufbauende konkrete Bildungs- und Erziehungsziele genannt (ent-sprechend der geforderten bdquoMetakompetenzenldquo) bdquostarke Kinderldquo bdquokommunikationsfreudige Kinder und medien-kompetente Kinderldquo bdquoKreative fantasievolle und kuumlnstlerische Kinderldquo bdquoLernende forschende und entdeckungs-freudige Kinderldquo und bdquoverantwortungsvoll und werteorientiert handelnde Kinderldquo (vgl dies S 13)
18
23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Wie kann das politische Ziel naumlmlich alle Kinder mit den gleichen Grundkompetenzen auszustatten
und deren bdquoErfolgldquo mindestens ab der vierten Klasse an regelmaumlszligigen Leistungserhebungen zu be-
messen durch freies Spiel erreicht werden Die Vermittlung bzw der Erwerb standardisierter Inhal-
te (Wissen Faumlhigkeiten Fertigkeiten Kompetenzen) und die Verfuumlgung daruumlber (Pruumlfungstermin)
steht im Widerspruch zum freien Spiel als offenem Prozess den die Spielenden selbst initiieren und
gestalten und bei dem keine Voraussagen daruumlber getroffen werden koumlnnen wann sich welche
Kenntnisse und Fertigkeiten einstellen
Diese erlangt man einerseits durch die Freiheit als Freiraum zum Spiel die eine gewisse Qualitaumlt an
Sorgefreiheit bedingt Zur Sorgefreiheit zaumlhlt beispielsweise auch das Freisein von Lerndruck der
jedoch unter anderem durch festgelegte Leistungserhebungen und Entwicklungsdokumentationen
bei den Kindern erzeugt wird Und andererseits erwirbt man Kenntnisse und Faumlhigkeiten nur dann
wenn das Spiel frei ist wenn es sich also um seiner selbst Willen ereignet und eben nicht bdquokanali -
siertldquo wird es also keinen aumluszligeren Zielen Zwecken oder Absichten unterliegt wie es jedoch bei
festgelegten bdquoBasiskompetenzenldquo (bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo) eines bdquoBildungsstandardsldquo der Fall
waumlre17 Hinzu kommt der weitere Aspekt von Freiheit im Spiel wonach das Spiel ein selbstgesteuer-
ter Prozess mit offenem bdquoAusgangldquo ist dessen Wirkungen eben nicht planbar oder voraussagbar
also nicht standardisierbar und determinierbar sind Diese Qualitaumlt von Freiheit im Spiel ergibt sich
nun aus den unverfuumlgbaren Momenten des freien Spiels wie dem Augenblick der Instabilitaumlt der
Kreativitaumlt und Phantasie der Spontanitaumlt und Unordnung dem Unsinn und Zufall Diese zugleich
auch wesentlichen Antriebskraumlfte des Spiels koumlnnen sich wie bereits im Kapitel bdquo14 Moment der
Ambivalenzldquo (S 11-13) naumlher beschrieben nur in einem Entwicklungsspielraum mit reichhaltigen
Erfahrungsmoumlglichkeiten und mit dem erlaumluterten Spannungsverhaumlltnis ergeben Sie tragen dann
aber auch die unermesslichen Potentiale fuumlr Emergenz mit dem Prinzip des Lebendigen in sich
woraus sich seine Offenheit fuumlr Neues im Sinne der Weiterentwicklung von Leben ergibt
An dieser Stelle moumlchte ich ergaumlnzend zu meiner eher phaumlnomenologischen Wesensauffassung von
freiem Spiel einige Beispiele skizzieren wie sich die Einuumlbung von Kompetenzen durch freies Spiel
aus psychologischer Sicht vollzieht
Die im Hessischen Bildungsplan intentional geplanten Basiskompetenzen und Lernziele wie bei-
spielsweise Kreativitaumlt Abstraktionsvermoumlgen Empathie oder Flexibilitaumlt in Denk- und Vorstel-
17 Vgl dazu Kapitel bdquo11 Das Moment der Freiheitldquo in dieser Arbeit S 7f
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lungsvermoumlgen ergeben sich im Spiel als bdquoNebeneffektldquo Das Kind vollzieht naumlmlich im Spiel fuumlr
seine Entwicklung entscheidende Bildungsprozesse selbsttaumltig intrinsisch motiviert und in der bdquoDo-
sisldquo die es bedarf Dabei von groszliger Bedeutung ist der vom Kind entwickelte eigene Lernmodus
der sich maszliggeblich an der individuellen Leistungsfaumlhigkeit und den persoumlnlichen Beduumlrfnissen ori-
entiert Hierfuumlr benoumltigt jedes Kind einen eigenen Entwicklungsspielraum
bdquo[Der] sollte Heranwachsenden die vielfaumlltigsten auch selbsttaumltig inszenierten Erfah-rungsraumlume bieten um sich - wie es Johann Heinrich Pestalozzi nannte - an Kopf Herzund Hand bilden zu koumlnnen moumlglichst frei von Furcht und Zwang Sinnesbildung Koumlr-perbildung und geistig-seelische Bildung sollten dabei gleichermaszligen zur Entfaltungkommenldquo (Rittelmeyer 2007 S 7)
So initiieren Kinder beispielsweise in ihren Rollenspielen eigentaumltige Bildungsprozesse indem sie
sich im spontanen Spiel in die Perspektive anderer Menschen versetzen und eigenes Handeln fuumlr
aumlhnliche Lebenssituationen uumlben Oder sie erproben sich im Spiel mit verschiedenen sozialen Rol-
len zB im Rahmen gesellschaftlicher Verhaltensstandards indem ein von Geschichten aufgenom-
menes oder durch elterliche Kommentare an die Kinder herangetragenes Ideal (bdquoTapferkeitldquo bdquoGe-
schwisterliebeldquo bdquoFreundschaftldquo bdquoHilfsbereitschaftldquo etc) mit der persoumlnlichen Wirklichkeit vertraut
gemacht wird Dieses Erproben entspricht zB einer Bewusstseinsbildung im Hinblick auf (solche)
gesellschaftlichen Rollenerwartungen
bdquo[Oder] im Symbolspiel das ein Houmllzchen zur Mutterʻ oder zum Autoʻ werden laumlsstuumlben Kinder die Faumlhigkeit im Hinblick auf gegebene Phaumlnomene verschiedene Per-spektiven entwickeln zu koumlnnen also mit Kreativitaumlt oder Phantasie auf Erscheinungender aumluszligeren Welt zu reagierenldquo (ders S 17)
Es ist schwierig zu sagen welche Kompetenzen genau aus eigentaumltigen Bildungsprozessen im Spiel
entstehen da Resultate aus diesen Erfahrungen wiederum von diversen Faktoren abhaumlngig sind
Maszliggebliche Faktoren sind dabei die uumlberaus verschiedenen biografischen Erfahrungen der Kinder
und dass die letztliche Erfahrungsgewichtung durch ihre Individualitaumlt verschieden zum Tragen
kommt
Da aber jedes Lernen immer individuumsbezogen dh vom Kind abhaumlngig ist hat dieser Umstand
auch fuumlr die geplant-initiierten Lernangebote Geltung sofern derartige von auszligen angestoszligene
Lernangebote uumlberhaupt in den lernenden Kindern auf Resonanz stoszligen
Es duumlrfte kaum anzuzweifeln sein dass wie im Beispiel des spontanen von den Kindern selbst initi-
ierten Rollenspiels Rollenhandeln und soziale Empathie eingeuumlbt und fuumlr eigenes Handeln erprobt
werden Ebenso werden durch Symbol- oder Rollenspiele die Phantasie und Kreativitaumlt vielfaumlltig
angeregt die Beobachtungsgabe und das Vorstellungsvermoumlgen ausgepraumlgt Daraus kann sich wie-
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derum das Abstraktionsvermoumlgen entwickeln und die Kinder bilden mit zunehmenden Perspekti-
venwechseln eigene Vorstellungen und Uumlberzeugungen aus Indem naumlmlich Spielende in ihre selbst
konstruierte bdquoScheinweltldquo gaumlnzlich bdquoeintauchenldquo nehmen sie auf zuvor vielfaumlltig beobachtete und
erlebte Situationen Bezug Erst spielen sie das Erlebte nach und bdquodurchlebenldquo es dabei spielerisch
immer wieder bis sich ein tiefgruumlndiges Verstaumlndnis uumlber die erlebte Situation gebildet hat Allmaumlh-
lich wird dann durch die eigene Ausgestaltung des Rollen- oder Symbolspiels das wahrgenommene
Phaumlnomen zunehmend abstrahiert und Kinder beginnen vielfaumlltige eigene Vorstellungen dazu zu
entwickeln Freies Spiel entspricht also eigentaumltiger Lebenswelterfahrung und -aneignung und ihr
Bildungsgehalt scheint dabei fast unermesslich groszlig zu sein (vgl ders S 7-17 und S 135-137)
Es wuumlrden sich also durch freies Kinderspiel ganz unterschiedliche und auch bdquoneueldquo Kompetenzen
mit ganz individuellen Auspraumlgungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten bilden Diese Aspekte ma-
chen aber eine vergleichende Leistungserhebung quasi unaussagekraumlftig bzw koumlnnten einen deter-
minierten bdquoBildungsstandardldquo insofern bdquogefaumlhrdenldquo als dass das Spiel als kreative geistig-emotio-
nale Weltzuwendung immer einen offenen bdquoAusgangldquo hat dh nicht vorhersagbar ist Das Zulassen
von freiem Spiel steht somit im Interessenskonflikt mit den oben genannten politischen Absichten
weshalb dem freien Spiel ein generelles Misstrauen gegenuumlber gebracht wird Dies fuumlhrt letztlich
konzeptionell dh durch die Einfuumlhrung und Umsetzung von bdquoBildungsstandardsldquo zur zunehmen-
den Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
Inwiefern die angenommene Verdraumlngung von freiem Kinderspiel auch paumldagogisch motiviert sein
kann soll im folgenden Abschnitt untersucht werden
24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Die Autorinnen und Autoren sehen Kinder einerseits als kompetente selbstbestimmt taumltig werdende
Wesen an und deuten die Bildung und das Lernen zwar als soziale Prozesse die sich im Dialog zwi-
schen Kind und Erwachsenem vollziehen koumlnnen Andererseits verweisen sie aber darauf dass die
Qualitaumlt dieser Prozesse wiederum von auszligen dh von einem Erwachsenen gesteuert und mode-
riert werden sollen (vgl Hessisches Sozialministerium Hessisches Kultusministerium 2007 S 20-
21) Die Steuerung der Bildungs- und Lernprozesse wird versucht zu rechtfertigen indem auf aktu-
elle neurowissenschaftliche Befunde verwiesen wird die dem kindlichen Gehirn ein enormes Ent-
wicklungs- und Lernleistungsvermoumlgen zuschreiben welches wenn es nicht genuumltzt wuumlrde einem
bdquoBildungsversaumlumnisldquo gleichkaumlme und nur schwer wieder aufzuholen sei (vgl dies S 20- 24)
bdquoJe reichhaltiger aumluszligere Lernreize sind desto mehr effiziente neuronale Netzwerke
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(Synapsen) bilden sich heraus die fuumlr die Verarbeitungskapazitaumlt des Gehirns und seineLernfaumlhigkeit im spaumlteren Leben bedeutsam sind Im Entwicklungsverlauf eines jedenKindes gibt es optimale Zeitraumlume fuumlr grundlegende Lernschritte (zB ZweitspracheRaumorientierung elementares mathematisches Denken Interesse an Naturwissen-schaften aumlsthetisches Verstaumlndnis Entwicklung der Musikalitaumlt) Solche Zeitfenstergibt es auch noch im Laufe der weiteren Bildungsbiografie Dennoch gilt es diese sen-siblen Phasen bereits durch fruumlhe Bildung offensiv zu nutzen [sic] Je solider und brei-ter die Basis aus jener Zeit desto houmlher ist die Wahrscheinlichkeit dass das Kind danachaktiver und leichter lernt Fruumlhe Bildungsversaumlumnisse sind nur schwer aufholbarldquo(dies S 24)
Die programmatische Paumldagogisierung von Spiel die die bdquoGrenzen zwischen der herkoumlmmlichen
Trennung von Freispielprozessen und geplanten Bildungsprozessen zunehmendldquo (dies S 30) ver-
wischen soll ist vor dem Hintergrund Bildung als Produkt einer offensiven Nutzung der sensiblen
Lernzeitfenster anzusehen (vgl dies S 23-24) und wiederum von seiner politischen Motivation
mit dem Wettlauf um Konkurrenzfaumlhigkeit sowie der Weiterfuumlhrung einer in der Gesellschaft durch-
gesetzten und der Wirtschaft dienlichen Wissenshierarchie in Verbindung zu bringen Folglich fuumlhrt
die im Bildungs- und Erziehungsplan programmatisch angewiesene Funktionalisierung des Spiels
zum bdquospielerischen Lernenldquo letztlich paumldagogisch motiviert zur zunehmenden Verdraumlngung des frei-
en (Kinder)Spiels denn dieses wird als zu zeitintensive Taumltigkeit angesehen Freispiel darf zwar
laut Plan auch enthalten sein es bdquomuss jedoch im angemessenen Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlten ste-
henldquo (dies S 31) weshalb es wegen des bdquoLernfensterdrucksldquo (vgl Dies S 23-24) zum bdquospielen-
den Lernenldquo umfunktionalisiert werden soll (vgl dies S 30-31) um wegen seiner bildenden Po-
tenzen dann als Lernbeschleunigung dem Lernziel (bdquoBildungserfolgldquo) dienbar gemacht zu werden
Das Freispiel soll konzeptionell auf zwei Wegen zu bdquospielendem Lernenldquo qualitativ aufgewertet
werden Zum einen indem aus Spielprozessen Projekte hervor gehen mit der Bedingung dass das
Spielgeschehen zunehmend von der Projekttaumltigkeit durchdrungen wird Und zum anderen koumlnnen
bdquo[]im Rahmen von Projekten [hellip] Freispielphasen enthalten sein in denen sich dieKinder weiterhin mit dem Projektthema allein oder mit anderen auseinandersetzen DieQualitaumlt der Freispielprozesse laumlsst sich durch gezielte Unterstuumltzungsmaszlignahmen erhouml-henldquo (dies S 30 Herv MG)
Wenn also Freispielphasen eingeplant werden dann unter der Bedingung dass im bdquoSpielldquo die Pro-
jektthemen wieder aufgegriffen werden In beiden Varianten wird aber die Qualitaumlt des Spiels zu-
mindest im Bezug auf das Erreichen des Lernzieles angezweifelt weshalb ein gezieltes Einwirken
der Paumldagogen kontinuierlich angedacht ist
bdquoDie Houmlhergewichtung des elementaren Bildungsauftrags hat zur Konsequenz dasssich das beilaumlufige Lernen der Kinder im Spiel zum spielerischen Lernen hin entwickeltDem Spiel wird mehr systematische Begleitung und didaktische Aufbereitung
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zuteilldquo(dies S31 Herv MG)
Das demnach angedachte bdquoFreispielldquo soll folglich auch kein freies natuumlrliches Spielen sein selbst
wenn sich Kinder angetan von den Projektinhalten im freien Spiel beginnen selbsttaumltig im Rah-
men dessen auseinanderzusetzen Solches Geschehen wuumlrde durch paumldagogisches Einwirken auf
das Lernziel hin gelenkte Taumltigkeit werden es soll durch Erwachsene zum bdquospielerischen Lernenldquo
hin entwickelt werden Ebenso kann auch ein anfaumlngliches Spiel nie als solches bestehen bleiben
Die Houmlhergewichtung des institutionellen bdquoBildungsauftragsldquo bewirkt in beiden Faumlllen dass der
scheinbar gewaumlhrte bdquoSpielraumldquo zur zielorientierten Lerntaumltigkeit wird weshalb (freies) Spiel ver-
draumlngt wird und zunehmend in Projekttaumltigkeit muumlndet Erst dann hat Spiel einen qualitativen Nut-
zen im Sinne des Bildungs- und Erziehungsplans Deshalb haben Spielen und Lernen auch nach An-
sicht und Position des Bildungsplanvorhabens in einem besonderen Verhaumlltnis zueinander zu stehen
welches Paumldagogen zu sichern haben
bdquoFreispiel ist wichtig muss jedoch im angemessenem Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlt stehendie die Erwachsenen planen und initiieren[]ldquo (ebd Herv MG)
Denn Lernaktivitaumlt sollte nach Meinung der Autorinnen und Autoren wenn sie vom Kind ausgeht
letztlich durch Erwachsene zielfuumlhrend gelenkt werden
Diese Qualitaumlt steigernden Unterstuumltzungsmaszlignahmen und das angestrebte Verhaumlltnis von Spielen
und Lernen stehen im einzelnen mit den Wesensmomenten des freien Spiels in Widerspruch Im
freien Spiel sind die Spielinhalte die sich spielende Kinder selbst auswaumlhlen vorwiegend alltagsbe-
zogen und als diese individuell meist sehr unterschiedlich Kinder begegnen im Spiel also Themen
die ihr Interesse durch erlebte oder beobachtete Situationen geweckt haben Diese eigens initiierten
Spielideen koumlnnen wie oben skizziert diverse Funktionen (zB bildendes Erproben) als Nebenef-
fekt haben Aber im Sinne des Spiels als bdquofreie Zeitgestaltungldquo draumlngt das Kind eher nach sinnvoll
erfuumllltem Leben durch erstrebtes lustvolles Spielen mit ganzheitlichem Lebensweltbezug als nach
einer von auszligen das Spiel deformierenden oder domestizierenden Systematik und Didaktik Es ist
anzunehmen dass diese fehlende bdquoBe-friedigungldquo des Spielbeduumlrfnisses ihre praumlgenden Anpas-
sungsspuren in den Kindern hinterlaumlsst und sie wahrscheinlich unzufrieden macht Zusaumltzlich duumlrf-
ten diese Umstaumlnde dem Lernen allgemein auch eher abtraumlglich sein
Es besteht also ein ganzheitlicher Bezug zum eigenen Leben wenn durch die Freiheit zum Spiel
ganz individuelle Themen zur Spielidee werden und bdquoihren Laufldquo nehmen Das heiszligt die jeweilige
Initialidee wird im weiteren Spielverlauf staumlndig veraumlndert werden und folgt dabei gerade eben
nicht der bdquoLogikldquo der buumlrgerlichen Erwachsenenwelt Diese bdquoLogikldquo wird aber im Bildungsplan fo-
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kussiert In ihm ist die Annahme enthalten dass Kinder wie Forscher ihre Umwelt erkunden und
nun im Zuge der Aufwertung des Spiels zum bdquospielerischen Lernenldquo durch paumldagogisches Hinwir-
ken sich das bdquospielendeldquo Kind in reflektierender Betrachtungsweise Kausalzusammenhaumlnge und
Gesetzmaumlszligigkeiten des zu untersuchenden bdquoGegenstandesldquo erschlieszligen bzw davon ableiten soll
(vgl dies S 20 27-28 30-31) Spiel ist aber nur dann Spiel wenn es ein eigenes fortwaumlhrendes
kreatives und spontanes Eingehen auf die Anregungen der aumluszligeren Spielszenerie ermoumlglicht (vgl
Kapitel bdquo14 Das Moment der Ambivalenzldquo S 11ff sowie Rittelmeyer 2007 S 136) Innerhalb
dessen orientiert sich die Spiel gestaltende Taumltigkeit des Kindes hauptsaumlchlich an den eigenen Be-
duumlrfnissen und nicht an Vorgaben von auszligen Deswegen kann auch nicht alles Spiel sein das waumlre
Willkuumlr und nicht Geschlossenheit (vgl Kapitel bdquo15 das Moment der inneren Geschlossenheitldquo S
13) Und um seiner inneren Zweckmaumlszligigkeit moumlglichst dienlich zu sein bleibt es auch stets unver-
fuumlgbar Darin gibt es keine absolute Eindeutigkeit (zB ein Lernziel) mit zielgerichtetem Streben
nach zukuumlnftiger Befriedigung Spiel ist jetzt ist gegenwaumlrtig angestrebtes erfuumlllendes Erleben von
frei gestalteter Zeit Nur so koumlnnen sich alle weiteren Wesensmomente und ihre ua auch hoch ef-
fektiv bildenden Potenziale ergeben und individuell entfalten Solches Spiel waumlre aber von Vielfalt
Spontanitaumlt Uumlberfluss Instabilitaumlt Kreativitaumlt oder auch vom ihm eigenen Unsinn gepraumlgt Sicher-
lich erschlieszligen sich dem Kind dabei diverse Kausalzusammenhaumlnge und aus Einzelphaumlnomenen
wird es ableitend Gesetzmaumlszligigkeiten erfahren die sich in diesem informellen Lernprozess dann als
Wissen Kenntnisse Fertigkeiten oder auch Kompetenzen verinnerlichen Aber diese (Neben)Effek-
te wuumlrden nie zielfuumlhrend oder leitend das Spielgeschehen formen bzw antreiben
Dem natuumlrlichen freien Spiel steht das bdquospielerische Lernenldquo auch im Bezug auf die im Spiel er-
schaffene Phantasiewelt (vgl Kapitel bdquo13 Das Moment der Scheinhaftigkeitldquo S 10) entgegen
Denn diese zeichnet sich gerade dadurch aus dass sie sich von den bdquoObjektenldquo der Umwelt loumlst
vom Faktischen enthoben ist und durch Phantasie zu bdquoNeuemldquo zu Symbolischem werden laumlsst Und
somit das symbolische bdquoAls-obldquo Spielgeschehen ermoumlglicht Das Spiel wuumlrde sich also notwendi-
gerweise von der Projekttaumltigkeit oder ihren faktischen Inhalten loumlsen muumlssen um sich in dieser
Phantasiewelt mit seiner Spielhandlung zwischen Zufaumllligem und Notwendigem bewegen zu koumln-
nen Mit der daraus entstehenden Gegenwaumlrtigkeit schloumlssen sich alle weiteren Momente zu ihrer
bdquofunktionalenldquo Kette zusammen Auch der zeitliche Rahmen in dem sich das freie Spiel nun bewe-
gen wuumlrde ist unvorhersehbar Es ist also wahrscheinlich dass das Spielgeschehen uumlber den von
Erziehern eingeplanten bdquoFreispielzeitraumldquo hinweg andauern koumlnnte und deshalb von auszligen durch
die Paumldagogen abgebrochen werden wuumlrde Der bdquoinneren Unendlichkeitldquo des Spiels wuumlrde dies so-
mit ein abruptes Ende bereiten Dem zirkulaumlrem Charakter des Spiels steht noch ein weiterer Aspekt
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entgegen Naumlmlich dass die Wiederholungen der Spielhandlung nicht aus systematischer oder di-
daktischen bdquoAufbereitungldquo erzeugt werden koumlnnen sondern dass sie wie Rolf Oerter in bdquoZur Psy-
chlogie des Spielsldquo beschreibt mit lustvollem Erleben in Verbindung zu bringen sind und demnach
eher dem Lustprinzip folgen als dem rationellem Realitaumltsprinzip (vgl Oerter 2007 S 9 12 14f
18-21)
Einzelne Momente fuumlr bdquospielerisches Lernenldquo zu erzeugen bzw sie diesbezuumlglich abzuwandeln
kann also nicht mehr mit dem natuumlrlichen freiem Spiel in Verbindung gebracht geschweige denn
damit gleichgesetzt werden Das daraus resultierende bdquoSpielenldquo kann demnach auch nicht dem Be-
duumlrfnis oder Drang nach Spiel entsprechen welches Kinder ganz offenkundig haben Das Spiel im
Sinne des Bildungsplanes gleicht in seiner angedachten Form eher bdquodomestiziertenldquo Spiels das in
einzelne Wesensmomente zerrissen ist um als didaktische bdquoListldquo geplant initiiert zu werden Somit
wird durch die verkuumlrzte Auffassung von Spiel als Mittel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo bei
gleichzeitiger Verkuumlrzung echter Spielzeit die zunehmende Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels
im Bildungsplan programmatisch angegangen bzw angeordnet wodurch die dieser Arbeit zugrunde
liegende Annahme bestaumltigt wird
3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
Die Reformpaumldagogik hat zB durch Ellen Key Johann Heinrich Pestalozzi oder Maria Monterssori
Konzepte wie Jena-Plan das der Sudberry Valley School oder der Freien Demokratischen Schulen
inspiriert Innerhalb deren Konzeptionen findet auch die kindliche Lebenswelt ohne sie romantisch
zu verklaumlren ihren anerkennenden Platz und wird als vollwertiger Lebensabschnitt beachtet Ihre
aumlhnlichen Bildungsansaumltze enthalten vielfaumlltigste Anreize und Formen vernuumlnftiger Bildungsideen
mit ganzheitlichem Menschenbild und echtem Lebensweltbezug Das bedeutet auch fuumlr eine Institu-
tion um mit Ellen Key zu sprechen Bildung vom Kind aus zu denken
Exemplarisch moumlchte ich im Folgenden diese Bildungsvorhaben und ihre fuumlr die Kinder bereiteten
Entwicklungsspielraumlume an Hand der Freien Demokratischen Schulen skizzieren Der Ausgangs-
punkt dieser Schulen ist der Kerngedanke dass sich durch Eigeninitiative selbstverantwortete Bil-
dung und freies Spiel nicht abstoszligend gegenuumlber stehen sondern dass beide den Beduumlrfnissen des
Kindes entspringen und das Kind deshalb je nach seiner Beduumlrfnislage seine Aktivitaumlten diesbezuumlg-
lich selbstorganisiert Zwar sind auch Freie Demokratische Schulen als Institution leider kein wirk-
licher bdquoorganischerldquo Teil der Lebenswelt von Kindern sondern immer nur von auszligen angebotene in-
tentionale Konstrukte die aber in diesem Fall den individuellen Entwicklungsspielraum der Kinder
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versuchen zu schuumltzen bzw bereitzuhalten Somit wird jedem Kind sein eigener Freiraum der ihm
spontanes freies Spiel ermoumlglicht bereitet ohne es in irgendeiner Form zu verzwecken oder zu ka-
nalisieren Einige Konzepte solcher Schulen greifen auch die Kindheit als gesellschaftlichen Status
hervorbringende Begebenheit auf naumlmlich dass durch die alltaumlgliche Erwerbstaumltigkeit der Erwach-
senen die Kindheit entsteht und zwar als davon getrennter Lebensbereich Verschiedene Versuche
zB durch (Land)Schulheime oder selbst initiierten Lernvereinbarungen zielen darauf ab die ge-
trennten Lebensrealitaumlten von Kindern und Erwachsenen wieder mehr zur Uumlberschneidung zu brin-
gen Die daraus entstehenden freiwilligen Erfahrungspartnerschaften werden eigenverantwortlich
von den Beteiligten (Schuumller und Lehrer) nach ihren Beduumlrfnissen Vorstellungen und Wuumlnschen
gemeinsam gestaltet Es kann also keinen einheitlichen Lehrplan geben und es kann auch keinen
bdquoMethodenkofferldquo als Handreichung des Ministeriums geben der Anwendung finden soll Aber
falls es von den Schuumllern gewuumlnscht wird bzw falls es von ihnen als vernuumlnftig fuumlr die Umsetzung
des Vorhabens angesehen wird kann sich der Lehrer sinnvollerweise durch methodische oder di-
daktische bzw besser mathetische Aufbereitung unterstuumltzend einbringen Die Schuumller entwickeln
also selbst wie sie lernen und was sie lernen Dabei treffen sie nicht maszliggeblich ihre Auswahl aus
bereits bestehenden Angeboten sondern sie koumlnnen ihre Beschaumlftigungs- bzw Lerngebiete voumlllig
frei waumlhlen und initiieren Jede Beschaumlftigung wird dabei als wertvoll und lehrreich erachtet sei es
das Lesen das Experimentieren das freie Spielen oder das Teilnehmen an einem Unterrichtskurs
Die Schuumller entscheiden auch wann sie lernen Sie legen damit den gesamten zeitlichen Rahmen
fest innerhalb dessen sie sich mit ihrem eigenem Lerngebiet beschaumlftigen wollen Dies betrifft die
Tageszeit und den Gesamtzeitraum der Taumltigkeit aber vor allem auch das Alter in dem sie sich ent-
schlieszligen sich mit einer Thematik zu befassen So entschlieszligt sich zB ein neunjaumlhriges Kind Lesen
zu lernen wo ein fuumlnfjaumlhriges bereits damit begonnen hat Dabei waumlre es nicht ungewoumlhnlich dass
diese beiden Leseinteressierten sich zusammenschlieszligen und eine Lerngruppe initiieren um sich
gemeinsam dem Lesen lernen zu widmen Auch liegt es in der Verantwortung der Kinder wie inten-
siv sie sich mit dem gewaumlhlten Thema auseinandersetzen wollen Um all dies zu planen und umset-
zen zu koumlnnen sind die Lehrer wie beratende Helfer kontinuierlich fuumlr die Kinder da und die Kin-
der sind sich nie selbst uumlberlassen Somit schafft das Vertrauen der Lehrer in die Schuumller Vertrauens-
wuumlrdigkeit und die Kinder koumlnnen sich sicher und geborgen fuumlhlen um sich moumlglichst ohne Angst
in dieser Freiheit ganz nach ihren Beduumlrfnissen der Welt zuzuwenden Diesen Freiraum zum Entde-
cken und Spielen bezeichnen die Sudberry- bzw die Demokratischen Schulen als Lernfreiheit und
er ist eine der beiden Grundsaumlulen des Bildungskonzepts Die zweite Saumlule ist von organisatorischer
Natur und konstatiert den Lernort als egalitaumlres System in dem Schuumller und Lehrer in verschiede-
nen Gremien Komitees und Aumlmtern gleiche Einflussmoumlglichkeiten Pflichten sowie Rechte besit-
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zen (vgl Schiffner 2007 S 8-15)
Peter Gray emeritierter Professor fuumlr Psychologie des Boston College erklaumlrte in einem Vortrag in
Berlin 3122012 die Grundlagen dieses bdquoErziehungsldquo Ansatzes18 Er nennt ihn Vertrauensvolle Er-
ziehung (Trustful Parenting) bdquoVertrauensvolle Erziehung basiert auf der Annahme dass Kinder von
Natur aus widerstandsfaumlhig kompetent sozial und selbstgesteuert sindldquo (Gray 2012 S 1) Daraus
ergibt sich dass Kinder ihrem Beduumlrfnis nach selbst entscheidend entdecken und spielen Es obliegt
ihrer Entscheidung Risiken einzugehen und dabei auch evtl eigene Fehler zu machen Entwick-
lungsvergleiche (auch keine Lernleistungsvergleiche) liegen dieser Ansicht fern Erziehung versucht
demnach Entwicklung nicht zu lenken sondern zu unterstuumltzen sodass Kinder ihre eigenen Ziele
verwirklichen koumlnnen Sie entwickeln dabei Eigeninitiative und uumlbernehmen Selbstverantwortung
in der Gemeinschaft Die Erwachsenen stellen dazu lediglich den aumluszligeren bdquoRahmenldquo her der fuumlr ein
gesundes Heranwachsen erforderlich ist (vgl Grey 2012 S1 ff) Deshalb ist dieser Ansatz auch
nicht als eine vernachlaumlssigende Haltung zum Kind anzusehen sondern ganz im Gegenteil die
bdquoErziehendenldquo senden den Kindern folgende Botschaft
bdquoDu bist kompetent Du hast Augen und ein Gehirn und du bist in der Lage Dinge her-auszufinden Du kennst deine eigenen Faumlhigkeiten und Grenzen Durch Spielen und Er-forschen wirst du dir aneignen was du wissen musst Deine Beduumlrfnisse werden gewuumlr-digt Deine Meinung zaumlhlt Du bist fuumlr deine Fehler selbst verantwortlich und man kanndarauf vertrauen dass du aus ihnen lernst Das Sozialleben zeichnet sich nicht durchWillenskaumlmpfe aus sondern vielmehr dadurch einander so beizustehen dass alle dasbekommen was sie brauchen und sich am meisten wuumlnschen Wir sind auf deiner Seitenicht gegen dichldquo (ders S1)
Interessant finde ich Peter Grays historischen Bezug den er zur Vertrauensvollen Erziehung her-
stellt Er belegt naumlmlich mit verschiedenen wissenschaftlichen Studien zu Jaumlger- und Sammlerkultu-
ren dass dieser Erziehungsstil bis zum Einsetzen der Landwirtschaft (vor ca 10000 Jahren in Asi-
en) der vorherrschende war und dass die Menschheit zu 99 Prozent ihrer gesamten Geschichte (ca 1
Millionen Jahre) Jaumlger und Sammler waren (vgl ders S 1-3)
4 Zusammenfassende Gedanken
Die anfaumlngliche Spielbegriffseingrenzung im ersten Teil dieser Arbeit verdeutlichte dass das Spiel
nicht nur von elementarer Bedeutung fuumlr ein gesundes Aufwachsen fuumlr Koumlrper und Psyche der Kin-
der ist obwohl das freie (Kinder)Spiel die dafuumlr wohl geeignetste Lebenstaumltigkeit darstellt Dem
18 Vgl Gray Peter (2012) Trustful Parenting May Require an Alternative to Conventional Schooling (Vertrauensvol-le Erziehung macht unter Umstaumlnden eine Alternative zum konventionellen Schulsystem noumltig) httpwwwting-schuledeindex_htm_filesPeter20Gray20_20Trustful20parentingpdf (Zugriff 260315)
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natuumlrlichen (Kinder)Spiel als geistig-kreative Weltzuwendung liegen viel urspruumlnglichere Wurzeln
zu Grunde weshalb sich durch freies Spiel die Sinne der Koumlrper und auch der Geist als bdquoNebenef-
fektldquo beilaumlufig bilden und entwickeln Naumlmlich wie das bdquoMenschsein kein Zweck etwa des Lebens
sondern das Leben selbst istldquo (Kamper 1976 S 141) ist das (Kinder)Spiel auch kein findiger
Zweck des Lebendigen sondern gelebte Lebendigkeit und damit zwecklos (vgl ebd) bdquoDarauf und
nur darauf bezieht sich Schillers Wort dass der Mensch nur spielt wo er in voller Bedeutung des
Wortes Mensch ist und nur da ganz Mensch ist wo er spieltldquo (ebd) Somit stellt das Spiel das Prin-
zip des Lebendigen dar dies herauszuarbeiten und phaumlnomenologisch be-greifbar zu machen war
Ziel des ersten Teils dieser Arbeit Ich beabsichtigte darin ein Verstaumlndnis dafuumlr zu bilden dass das
(Kinder)Spiel als Modus von Freiheit im bdquoSpannungsfeld Lebenldquo die Wesenskraumlfte der Evolution
den Zufall die Spontanitaumlt und die Kreativitaumlt als eigene Triebkraumlfte in sich traumlgt und im freien
selbst initiierten Spielgeschehen zur Entfaltung bringt Als dieses Urprinzip ist das freie natuumlrliche
Spiel dem Menschen - homo ludens - und deshalb auch den Kindern ein Beduumlrfnis Deshalb fuumlhrt
durch Spiel gestaltete Zeit als erstrebte wesensgemaumlszlige Taumltigkeit zu Lebenszufriedenheit Und nur
dann traumlgt es seine Potenziale der Sinnesbildung Koumlrperbildung und geistig-seelischen Bildung so-
wie die Moumlglichkeit unvorhersehbarer Emergenzen in sich Und als solcher freier Ausdruck von Le-
bendigkeit ist deshalb Spiel fuumlr ein Kind innerhalb eines erfuumlllten Daseins grundlegend und zu ach-
ten bzw anzuerkennen
Im zweiten Teil wurde einsteigend die im derzeitigen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
vertretene Auffassung von Spiel erlaumlutert und der Plan wurde auf seine moumlgliche politisch- und paumld-
agogisch motivierte Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel untersucht Es konnte dargelegt werden
dass der Spiel(zeit)raum aufgrund des Interessengegensatzes von Kind und Staat kontinuierlich ein-
gekuumlrzt wird und zur zunehmenden Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel fuumlhrt um die politischen
Programme bdquoVerbesserung der Bildungschancenldquo und bdquoChancengleichheitldquo durchzusetzen Die da-
mit verwirklichten politischen Ziele und die Umsetzung einheitlicher Bildungsstandards haben da-
bei einerseits den Zweck die fuumlr die Wirtschaft dienliche und in der Gesellschaft mit Schule durch-
gesetzte Wissenshierachie fortzufuumlhren Und andererseits sollen diese Jahrgangssortierungen durch
internationale Tests wie PISA uauml als Standortfaktor im Wettkampf um Konkurrenzfaumlhigkeit auf ei-
nem globalisierten Markt Wirtschaftsstandort sichernd eingesetzt werden
Die Annahme dass es durch die Einuumlbung von vermeintlichen also dem Zeitgeist entsprechenden
bdquoGrundkompetenzenldquo bzw bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (als Bildungsstandards) zur zunehmenden
Verdraumlngung von freiem Spiel kommt konnte dadurch bestaumlrkt werden dass auf Grundlage eines
verkuumlrzten Spielbegriffes das freie (Kinder)Spiel durch paumldagogisches Einwirken in bdquospielerisches
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Lernenldquo umfunktionalisiert und dadurch echte Spielzeit zunehmend eingekuumlrzt wird Der Zweck ist
dabei das (Kinder)Spiel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo als bdquoLernmotorldquo der Kinder innerhalb
des bdquoLernfensterdrucksldquo dem Lehrapparat dienstbar zu machen
Im dritten Teil dieser Arbeit wurde anhand der Demokratischen Schulen kurz skizziert wie institu-
tionelle Bildung die freies Spielen wirklich gewaumlhrleistet gelingen kann Leider stehen die Schulen
in freier Traumlgerschaft zu denen die Freien Demokratischen Schulen zaumlhlen in Deutschland vor be-
sonderen behoumlrdlichen Genehmigungsbarrieren und unzureichender oumlffentlicher Finanzierung was
ihre Realisierung maszliggeblich erschwert oder ganz verhindert Auch darin kann eine Verdraumlngung
bzw Verhinderung des freien Spiels gesehen werden
Die Verdraumlngung des freien Kinderspiels ist aus zweierlei Gruumlnden nicht gut zu heiszligen ja sogar ab-
zulehnen ist Erstens ist die im Spiel als Nebenerscheinung enthaltene Einuumlbung von Grund-
kompetenzen von groumlszligter Komplexitaumlt und Vielfalt die selbst neue nicht vorhersagbare Qualitaumlten
hervorbringt die mit den Triebkraumlften der Evolution in Verbindung zu bringen sind (Emergenz)
Deshalb ist es fuumlr einen ganzheitlichen Entwicklungsspielraum der Kinder und im Sinne der Evolu-
tion unvernuumlnftig das Spiel wie im Bildungsplan beschrieben bdquoqualitativ aufzuwertenldquo um ver-
meintliche fuumlr das derzeitige Leben als unverzichtbar angenommene bdquoGrundkompetenzenldquo durch
bdquospielerisches Lernenldquo einzuuumlben Und zweitens ist das Spiel als kreative geistig-emotionale Welt-
zuwendung und damit als wesensgemaumlszlige kreatuumlrliche Taumltigkeit des Menschen den Kindern ein Be-
duumlrfnis und grundlegend fuumlr ihr gesundes Aufwachsen und Lebensgeborgenheit (Lebenszufrieden-
heit) in einem sie wahrhaft erfuumlllenden menschlichen Dasein
Bedenke ich nun die Lebenszeit die auch meine Kinder teilweise schon vor dem ersten Lebensjahr
mit haumlufig acht Stunden taumlglich in Kindertageseinrichtungen (leider nicht in einer Freien Demokra-
tischen Schule mit Primarbereich) verbrachten derzeit verbringen und spaumlter in der Schule bis min-
destens zur Erfuumlllung der Schulpflicht mit etwa 15 Jahren in der Schule verbringen muumlssen bin ich
erschrocken-besorgt und wuumltend wie dem Phaumlnomen des freien natuumlrlichen Kinderspiels und der
Bildung insgesamt im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan begegnet wird Bildung als vorran-
gig politisch-oumlkonomisches Arrangement zu sehen darin das Spiel als List zu benutzen um standar-
disiertes Lernen zu erzielen echte Spielzeit zunehmend zu verkuumlrzen ndash dieses planvolle Vorgehen
der Politik und der beteiligten Paumldagogen stellt eine Missachtung der ihnen anvertrauten Kinder mit
ihren individuellen Wuumlnschen Vorstellungen Beduumlrfnissen und ihrer ganz persoumlnlichen Lebenswelt
dar und ist ein lebensentfremdendes Vorhaben das junge Menschen von einem sie erfuumlllenden gu-
ten Leben trennt
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Literaturverzeichnis
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31
Eidesstattliche Erklaumlrung
Ich erklaumlre hiermit an Eides Statt durch eigenhaumlndige Unterschrift dass ich die vorliegende Arbeit
selbstaumlndig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe die aus
fremden Quellen (einschlieszliglich elektronischer Quellen und dem Internet) direkt oder indirekt uumlber-
nommenen Gedanken sind ausnahmslos als solche kenntlich gemacht
Ich weiszlig dass bei Abgabe einer falschen Versicherung die Arbeit als nicht bestanden zu gelten hat
Herold 10042015
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- Die zunehmende Verdraumlngung des freien Kinderspiels
- im Hessischen Bildungsplan
- Einleitung
- 1 Freies Kinderspiel - Wesensmerkmale
-
- 11 Das Moment der Freiheit
- 12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
- 13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
- 14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
- 15 Das Moment der Geschlossenheit
- 16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
- 17 Zusammenfassung
-
- 2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
-
- 21 Das Spielverstaumlndnis
- 22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
- 23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
- 24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
-
- 3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
- 4 Zusammenfassende Gedanken
- Literaturverzeichnis
- Internetquellen
-
14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
Jeder Spielende versucht sein Spiel bestaumlndig aufrecht zu erhalten9 Dafuumlr baut er im Spiel ein
Spannungsverhaumlltnis also einen inneren bdquoSpielraumldquo als Modus von selbstregulierter Freiheit auf
Die entstehende Autonomie (Freiheit) im Spiel besteht nun in der Ambivalenz zwischen sich zufaumll-
lig ergebendem Neuen Unbekanntem oder neu Gestaltetem (zB neue Passage am Kletterfels oder
die sich staumlndig neu ergebenden Flugbahnen der jonglierten Baumllle etc) und notwendig Festgeleg-
tem Bekanntem oder Begrenzendem (zB Regeln beherrschte Kletterpassage die bestaumlndige Form
und das Gewicht der Jonglierbaumllle die eingeuumlbte Jongliertechnik etc) Der Spielende versucht da-
bei permanent sein Spiel in Balance zwischen diesen beiden bdquoPolenldquo zu halten um es einerseits
stets durch bdquoNeuesldquo interessant zu gestalten und es andererseits durch bdquoBekanntesldquo zu stabilisieren
Die Dominanz einer Seite wuumlrde das Spiel abbrechen also beenden Denn ein zu viel an Neuem
noch zu Entdeckendem wuumlrde dem Spiel ein Uumlbergewicht an Wagnis Raumltselhaftigkeit Moumlglichkei-
ten oder Schwierigkeit verleihen und ein zu viel an bereits Entdecktem Begriffenem oder Begren-
zung wuumlrde das Spiel etwa vorhersehbar und eindeutig machen oder es einengen bdquokanalisierenldquo
(Scheuerl eindimensionale Zweckhandlung) sodass jede von ihm ausgehende Spannung und Spiel-
freude verloren ginge (vgl Scheuerl 1990 S 86-90)
bdquoSo bedarf das Spiel einer maszligvollen Spannung Spannungslosigkeit waumlre der Tod fuumlrdas Spiel Andererseits wuumlrde eine zu hohe Spannung sogleich einen auf Beendigungder Spannung gerichteten Befriedigungswunsch hervorrufen der die Ambivalenz uumlber-waumlltigen muumlszligteldquo (ders S 88 Herv i Orig)
Veranschaulicht darstellen laumlsst sich diese Ambivalenz zwischen Zufall und Notwendigkeit im Spiel
auch am Beispiel des Wuumlrfelns mit einem sechsseitigem Zahlenwuumlrfel Dabei besteht der Zufall in
der Wahrscheinlichkeit mit der eine der sechs Zahlen gewuumlrfelt wird und die Notwendigkeit be-
steht darin dass eine gewuumlrfelte Zahl immer im einschlieszligenden Bereich von eins bis sechs liegen
wird Somit begrenzen die festgelegten sechs Seiten des Wuumlrfels wie eine Regel das zufaumlllige Ein-
zelergebnis und steuern quasi bdquoselbstorganisiertldquo die Konsequenzen des Zufalls wodurch er statis-
tisch moumlglich dh wahrscheinlich wird (vgl Miller-Kipp 2005 S 281-282)
Nach Gisela Miller-Kipp10 ist dieses selbstgesteuerte Spannungsverhaumlltnis von ganz urspruumlnglicher
Relevanz Sie sieht einen Zusammenhang zwischen dem bdquoSpiel der Evolutionldquo dem Modus von
Freiheit zwischen Moumlglichem und Wahrscheinlichem und dem (menschlichen tierischen) Spiel als
9 vgl dazu bdquo12 Moment der inneren Unendlichkeitldquo in dieser Arbeit S 9 f10 Miller-Kipp Gisela Zufall Selbstorganisation und Kreativitaumlt Ein Versuch uumlber die Natur des Spiels wider seine
Paumldagogisierung In Bilstein J Winzen M Wulf C (Hg) Anthropologie und Paumldagogik des Spiels Weinheimund Basel Beltz Verlag 2005 S 273-291
11
einem lebendigen Teil dessen Naturwissenschaftliche Forschungen uumlber die Evolution haben seit
fast einem Jahrhundert die dazu grundlegenden Wesenskraumlfte im Evolutionsprozess definiert Diese
Wesensmerkmale sind Kreativitaumlt und Zufall (vgl dies S 281-285) Elfriede Maria Bonet fuumlhrt in
ihrem Aufsatz zum Spiel bdquoVon Autonomie und Spontanitaumlt Eine Naturgeschichte des Spielsldquo11 aus
dass Selbstorganisation eine relative Unabhaumlngigkeit von aumluszligeren Reizen bewirkt (Autonomie)
weshalb Spontanitaumlt als Strategie zur Selbststeuerung entsteht Diese Entwicklung von Selbstorga-
nisation mit Spontanitaumlt zur Selbststeuerung bildet ihr zufolge das kreative Moment im Evolutions-
prozess welches fuumlr das Auftreten neuer nicht voraussagbarer Qualitaumlten bzw neuer bdquoFormenldquo
oder Variationen aus dem Vorhandenen entstehen laumlsst (Emergenz12) Das daraus entstehende neue
Ganze waumlre bildlich gesprochen demnach mehr als die Summe seiner einzelnen Teile (frei nach Ari-
stoteles) Da es fuumlr menschliches aber auch tierisches Verhalten charakteristisch ist dass aufgrund
von Autonomie Spontanitaumlt entsteht erkennt Bonet darin die systemische Wesensverwandheit von
Spiel und Evolution (vgl Bonet S35ff) Diese Annahme deckt sich insofern auch mit dem Stand-
punkt derzeitiger Evolutionsforschung denn darin bdquowird die Evolution der materiellen und biologi-
schen Welt als einheitlicher Prozess angesehen der nicht determiniert ist und nicht deterministisch
ndash oder im alten Sinne mechanisch ndash ablaumluft Er spieltʻ wie es heiszligt [hellip]ldquo (Miller-Kipp 2005 S
280 Herv i Orig) Daraus folgt dass die bdquonatuumlrliche ndash physikalische und biologische ndash und kultu-
relle Evolution strukturell miteinander gekoppelt [sind] laufen also weder unabhaumlngig voneinander
noch in determinierender Kausalitaumlt zueinander abldquo (ebd Herv i Orig) Das schlieszligt somit das
Spiel des Menschen als bdquoKulturfaktorldquo13 und bdquoUrprinzipldquo (Huizinga) in diesen offenen Prozess ein
denn bdquoes [das Spiel MG] wurzelt in der Natur als der natuumlrlichen (der materiellen und der biologi-
schen) Evolution und traumlgt deren Momente in sich auch im Kulturprozessldquo (Miller-Kipp 2005 S
281) Auf dieser Grundlage wird derzeit die kreative Selbststeuerung auch als ursaumlchlich fuumlr den ge-
waltigen Formen- und Artenreichtum der Natur angesehen (vgl dies S 273-285 vgl dazu auch
Bonet 1993 S 35 ff) Auf das bdquonatuumlrlicheldquo (Kinder)Spiel bezogen bedeutet dies dass auch aus
dem Spiel in seinen Formen und Funktionen heraus Emergenzen entstehen Diese neuen unvorher-
11 Bonet Elfriede Maria Von Autonomie und Spontanitaumlt Eine Naturgeschichte des Spiels In Baatz U Muumlller-Funk W (Hg) Vom Ernst des Spiels uumlber Spiel und Spieltheorie Berlin Dietrich Reimer Verlag 1993 S35- 47
12 bdquoEmergent So bezeichnet man systemische Eigenschaften die nicht aus den Komponenten eines Systems abgelei-tet oder vorhergesagt werden koumlnnen Systeme sind in erster Linie relationale Tatsachen Dinge die auf den Bezie-hungen beruhen welche die Elemente des Systems zueinander einnehmen Als solche besitzen sie Eigenschaftendie gegenuumlber den Eigenschaften ihrer Komponenten oder Elemente emergent sind Nach Luhmann ist das Sozialeeine emergente Eigenschaft und als solches nicht aus den Eigenschaften seiner Elemente der psychischen Systemeableitbar Sozialitaumlt ist eine houmlherstufige Eigenschaft die auf den Beziehungen zwischen Menschen beruht In derBewusstseinsphilosophie behauptet der so genannte Emergentismus die Emergenz von Bewusstsein Hat die Kom-plexitaumlt bestimmter biologischer Systeme einen bestimmten Grad erreicht stehen insbesondere Nervenzellen aufvielfaumlltige Weise miteinander in Beziehung so tritt in der Geschichte der Evolution Bewusstsein als emergente Ei-genschaft dieser biologischen Systeme aufldquo (bdquoemergentldquo In UTB-Online-Woumlrterbuch Philosophie)
13 Huizinga geht davon aus dass Kultur (Sprache Gemeinschaftsleben Brauchtum Essen Sitten Kunst ReligionRechtsleben etc) in Form von Spiel entsteht (vgl Huizinga 2004 S7-13 56-58)
12
sagbaren Erscheinungen (Qualitaumlten) sind so vielfaumlltig dass sie dem von der Natur hervorgebrach-
ten Artenreichtum gleichen und in ihrer Qualitaumlt fuumlr das Individuum die vielfaumlltigsten und komple-
xesten Funktionen und Nutzen bereithalten
Nach meiner Auffassung werden die beschriebenen Wesenszusammenhaumlnge von Spiel und Evoluti-
on besonders in dem Modus von Freiheit als Ambivalenz im Spiel ersichtlich da die grundlegenden
evolutiven Momente naumlmlich Kreativitaumlt Selbstorganisation und Spontanitaumlt auch die wesentlichen
Schaffenskraumlfte menschlichen Handelns und des erlaumluterten Spannungsverhaumlltnisses im Spiel sind
In Anlehnung an Miller-Kippacutes und Bonetacutes Deutungsversuche zum Spiel ist das freie im obigen
Sinne natuumlrliche Kinderspiel als Modus von selbstregulierter Freiheit eine wesensgemaumlszlige kreatuumlrli-
che bdquoTaumltigkeitldquo des Menschen die sich ereignet bzw die geschieht und nicht verrichtet oder erzeugt
werden kann Die diesem bdquoSpielgeschehenldquo (Scheuerl) innewohnenden unverfuumlgbaren wesentli-
chen Momente sind demnach sowohl die Grundbedingung fuumlr das Spiel selbst als auch Vorausset-
zung fuumlr die Vielfaumlltigkeit im Spielprozess Fraglich ist an dieser Stelle ob ein intentional geplantes
Erziehungs- und Bildungsvorhaben diesen Entwicklungsspielraum mit vielfaumlltigsten Erfahrungs-
moumlglichkeiten fuumlr Kinder schuumltzend bereithaumllt Und ob dann das freie natuumlrliche Spiel abgewartet
wird oder ob das (Kinder)Spiel mit funktionalen Absichten durch Paumldagogisierung in das planende
Joch von Erziehungs- und Bildungsbestrebungen eingespannt wird und seine wesentlichen Poten-
ziale damit verspielt werden
15 Das Moment der Geschlossenheit
Die freie Spieltaumltigkeit eines Kindes ist insofern geschlossen als dass die oben genannten Momente
wie einzelne ineinander greifende Glieder eine bdquogeschlossene Ketteldquo bilden muumlssen damit sich
freies bdquonatuumlrlichesldquo Spiel einstellt Die sich daraus bildenden oder aufgenommenen Spiele werden
haumlufig von da an als auftretendes Phaumlnomen augenscheinlich Denn das Spiel beginnt sich als frei
gestaltete Zeit mit seinem entstehenden bdquoKosmosldquo von Regeln Zufaumlllen Absprachen Bedingun-
gen Offenheiten Bestrebungen Kontexten Unverfuumlgbarkeiten Themen etc klar zu definieren und
vom gewoumlhnlichen Leben bdquoabzusetzenldquo Es wird dabei ersichtlich dass freies Spiel seine eigene in-
nere Regelhaftigkeit (im weitesten Sinne) sein bdquoSpielfeldldquo hat und eher als das Gegenteil von Will-
kuumlr oder Anomie anzusehen ist (Vgl Scheuerl 1990 S 91-95)
16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
Das Spiel verfolgt keinen auszligerhalb seiner selbst liegenden Zweck (Zweckfreiheit) und das Spielge-
13
schehen ist eine bdquopendelnde Suchbewegungldquo (Scheuerl Ambivalenz) die bestrebt ist innerhalb ih-
rer konstruierten bdquoScheinweltldquo (Scheuerl Scheinhaftigkeit) endlos in sich selbst zuruumlckzulaufen
um kein Ende zu finden (innere Unendlichkeit) Spielende sind von ihrem lustvollen Erleben im
Spiel voumlllig durchdrungen und gestalten spielend spontan mit groszliger Ernsthaftigkeit und in voumllli-
ger Selbst- und Weltvergessenheit ihr bdquoewigesldquo Spiel Und wie entgegen aller Vergessenheit ist es
dennoch ein Zustand houmlchster Wachheit und Konzentration Spielende sind in jedem gegenwaumlrtigen
Moment voumlllig praumlsent dh im bdquoHier und Jetztldquo aumlhnlich einem meditierenden Menschen Spielende
befinden sich also im Zustand tiefer Kontemplation aber nur im Bezug auf ihr Spiel weshalb sie
auch das eigene Gefuumlhl fuumlr Zeit im Moment des Spielens nicht oder kaum wahrnehmen Spielende
Kinder koumlnnen uumlber Stunden bdquowie gefesseltldquo ihrem Spiel nachgehen ohne dass ihnen die Zeitspan-
ne wirklich bewusst waumlre oder dass es ihnen hinterher moumlglich waumlre den fuumlr das Spiel aufgebrach-
ten Zeitraum zu schaumltzen (Vgl Scheuerl 1990 S 95-96 100-102)
17 Zusammenfassung
Das dieser Arbeit zugrunde liegende Verstaumlndnis des Begriffes bdquofreies Kinderspielldquo kann wie folgt
zusammengefasst werden Freies (Kinder)Spiel wird als ein Geschehen von komplexer geistig-
kreativer Weltzuwendung verstanden das sich innerhalb eines Freiraumes ereignet Einerseits ist
die sich innerhalb dessen ereignende Spieltaumltigkeit frei von Zielen Zwecken oder Nutzen die au-
szligerhalb seiner selbst liegen und andererseits sind die Spielenden innerhalb des Spielzeitraums frei
von ihrer unmittelbaren Lebensfuumlrsorge Als solche freie Zeit gestaltende Taumltigkeit ist das Spielen
fuumlr geistig emotional erlebende Wesen wie den Menschen oder houmlher entwickelte Tiere fuumlr eine
hohe Lebensqualitaumlt innerhalb eines erfuumlllenden Lebens grundlegend Aus diesem Umstand ergibt
sich dass freies natuumlrliches Spiel als grundsaumltzliches Beduumlrfnis angesehen werden kann weshalb
Spielende auch einen Drang (bdquoTriebldquo) zum Spiel aufweisen Doch ist der Charakter dieser
(Spiel)Taumltigkeit an sich von anderer bdquoNaturldquo als gewoumlhnliche Beduumlrfnisse befriedigende
(Trieb)Handlungen Als diese triebhafte Tendenz zum Spiel zielt die Spieltaumltigkeit nicht auf das Be-
duumlrfnis stillende Ende ab sondern auf ihren dauerhaften Fortgang Dieser zirkulaumlre Charakter und
das geistig erfuumlllende Erleben werden dabei durch den Umstand ermoumlglicht dass sich das Spieler-
eignis aufgrund seiner zuvor beschriebenen Autonomie in einem Spannungsverhaumlltnis ereignet Die-
ses ergibt sich zwischen Zufall und Notwendigkeit und wird durch den Spielenden bestaumlndig in
Waage gehalten Dieses selbst initiierte Geschehen reguliert sich somit auf der Handlungsebene
selbst es ist selbstorganisiert Diese Selbststeuerung nutzt Phantasie und Spontanitaumlt als Strategie
weshalb das Spielgeschehen trotz seines zirkulaumlren Charakters als prozessoffen bezeichnet werden
14
kann Besonders das Kinderspiel taucht dazu im gegenwaumlrtigen Spielmoment mit seinen spielenden
Subjekten im besonderen Bewusstsein uumlber seine paradoxe Als-ob-Realitaumlt in ihre eigens gestaltete
geistige Scheinwelt ein Die Spielenden sind waumlhrenddessen voumlllig selbst- und weltvergessen mit
groszliger Ernsthaftigkeit und im groumlszligten Eifer voumlllig in ihr bdquogebanntldquo Fuumlr ein bdquosich Ereignenldquo dieses
beschriebenen spontanen natuumlrlichen Spiels hat es nun als letztes Merkmal noch zur Voraussetzung
dass einzelne Momente nicht fuumlr sich isoliert initiiert oder planmaumlszligig ersetzt weggelassen oauml wer-
den koumlnnen so dass jedes einzelne der sechs Wesensmomente im Spielgeschehen quasi jeweils ein
bdquoGliedldquo in einer ineinander greifenden bdquofunktionalenldquo Kette darstellt ohne dass die Kette nicht
funktionstuumlchtig waumlre und sich freies natuumlrliches Spiel nicht ereignen koumlnnte
Inwiefern sich freies Kinderspiel nach dieser Auffassung im Hessischen Bildungs- und Erziehungs-
plan widerspiegelt soll im folgenden Kapitel untersucht werden
2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
21 Das Spielverstaumlndnis
Im Kapitel bdquoGrundsaumltze und Prinzipienldquo des Hessischen Bildungsplanes kommt dessen bdquoeigenesldquo
Verstaumlndnis zum bdquoKinderspielldquo ebenso zum Ausdruck wie eine Anleitung dazu wie mit dem Spiel-
phaumlnomen planvoll umzugehen ist (vgl Hessisches Sozialministerium Hessisches Kultusministeri-
um (2007) S 30-31) Im Folgenden werden diese Positionen zusammenfassend darstellt und erlaumlu-
tert
Spiel wird darin als Mittel in der ureigenen Ausdrucksform des Kindes angesehen womit es in der
Zeit des Heranwachsens seine Entwicklungsaufgaben und Lebensrealitaumlt bewaumlltigt Nach dieser
Auffassung kennzeichnen das Spiel drei Merkmale Das ist erstens die Zweckfreiheit der Spielhand-
lung die ausschlieszliglich durch das von ihr ausgehende Anregungspotentials ausgefuumlhrt wird Zwei-
tens dass im Spiel eine eigene Realitaumlt konstruiert wird und drittens dass Spielhandlungen wie im
Ritual wiederholt werden Die weitere Betrachtung des Spiels ist dann maszliggeblich auf Zwecke Zie-
le und den Sinn des Spiels im Bezug auf seine Wirkungen beschraumlnkt Somit sollen sich Kinder
zwar bdquoin ihren Spielhandlungen lustvoll versenken und dabei in einen intensiven Austausch mit ih-
rer Umwelt tretenldquo (dies S 30) Dies diene dann aber lediglich der Verarbeitung und Bewaumlltigung
von noch nicht zuordenbaren Erfahrungen (Problemen) Diese vom Kind zu bewaumlltigenden Proble-
me betraumlfen einerseits Entwicklungsthematiken wie bdquodas Ausspielen von Macht und Kontrolle von
Allmachtsphantasien [hellip] oder Herrschaft uumlber Leben und Tod [] sowie der Wunsch nach Heraus-
bildung eines Selbst bzw einer Identitaumltldquo (ebd) und andererseits Beziehungsthematiken zwischen
15
Erwachsenen und Gleichaltrigen
An die Beschreibung der drei Merkmale von Spiel anschlieszligend wird der Lern- und Entwicklungs-
charakter des Spiel dargestellt bdquoFreie Spielprozesse sind immer auch Lernprozesse denn Kinder
lernen zumindest beilaumlufig durch Spielenldquo (ebd)
Weiter heiszligt es im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan dass die Qualitaumlt dieser Lernprozesse
die im freien Kinderspiel stattfinden durch bdquogezielte Unterstuumltzungsmaszlignahmenldquo zu erhoumlhen sei In
dieser Aussage wird deutlich dass das freie Kinderspiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungs-
plan lediglich als Mittel aufgefasst wird welches die Entwicklungs- und Lernprozesse waumlhrend des
Heranwachsens beschleunigend wie ein Motor vorantreiben soll Warum sonst soll die bdquoQualitaumltldquo
des freien Kinderspiels bdquoerhoumlhtldquo werden Kinder sollen in erster Linie nicht spielen um ihrem Be-
duumlrfnis nach Spiel nachzukommen sondern um etwas zu lernen Dies legt den Verdacht nahe dass
das Spielen als solches auch nur aus diesem Grunde naumlmlich weil Kinder im Spiel etwas lernen
dh Kompetenzen erwerben Bestandteil des Bildungsplanes ist
Zusammenfassend kann festgestellt werden dass das Spiel im Hessischen Bildungs- und Erzie-
hungsplan auf eine Art Voruumlbung fuumlr das bdquorichtigeldquo Leben bei gleichzeitiger Lebensbewaumlltigung
verkuumlrzt wird Gleichzeitig findet durch die bdquoAufwertungldquo des freien Spiels zum bdquospielerischen Ler-
nenldquo eine Funktionalisierung und Paumldagogisierung des freien Spiels statt Die dem Spiel von Lern-
und Entwicklungspsychologie attestierten Potenzen (vgl Oerter 2007) sollen fuumlr die Realisierung
der Bildungs- und Erziehungsziele nutzbar gemacht werden dh das Spiel an sich dient vorrangig
dem Erwerb gewisser Kompetenzen und nicht der Erfuumlllung kindlicher Spielbeduumlrfnisse
Im folgenden Abschnitt werden die Hintergruumlnde eines solchen Spielverstaumlndnisses untersucht
Politische Motivationen spielen dabei ebenso eine Rolle wie die sich daraus ergebenden Ziele des
aktuellen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplans
22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
Im Vorwort des Hessischen Bildungs- und Erziehungsplans benennen die ehemaligen Hessischen
Ministerinnen14 fuumlr Kultus Karin Wolf und fuumlr Soziales Silke Lautenschlaumlger das zentrale politi-
sche Ziel naumlmlich die bdquoOptimierung der Bildungschancenldquo und die Entwicklung von bdquoChancen-
gleichheitldquo (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S 18) fuumlr die heranwachsende
Generation Bereits diese Formulierung laumlsst erkennen dass es im Bereich Bildung und Erziehung
politisch gesehen um Effizienz und um einheitliche bdquoQualitaumlts-ldquo und bdquoBildungsstandardsldquo geht die
14 unver uumlbern v aktuellem Kultusminister Herr Lorz von Herr Gruumlttner fuumlr Soziales und Integration
16
auf maximale Leistungen in der nationalen und internationalen Wissenskonkurrenz zielen
Wie ist also bdquoOptimierung der Bildungschancenldquo zu verstehen Konzeptionell ist diese bdquoOptimie-
rung der Bildungschancenldquo darauf angelegt dass bis zum Uumlbergang in die Sekundarstufe die Kin-
dertageseinrichtungen und Grundschulen allen Kindern eines Jahrgangs als Grundlagen die gleichen
bdquoBasiskompetenzenldquo15 vermitteln sollen Das Erreichen dieser bdquoBildungsstandardsldquo bis zur vierten
Klasse sei wiederum die Herstellung von bdquoChancengleichheitldquo so die Schlussfolgerung (vgl dies
S 18)
Dabei besteht die Chance darin dass die Kinder des gesamten Jahrgangs in gleichen Leistungstests
an diesen einheitlichen bdquoBasiskompetenzenldquo in Abhaumlngigkeit gemessen und in Konkurrenz zueinan-
der nach ihren Lernleistungsdifferenzen (Leistungsabstaumlnden) eingeordnet werden koumlnnen (vgl
Nuumlberlin 2002 S 117-127) Die dabei entstehende Jahrgangssortierung dh die Platzierung im
Leistungsvergleich innerhalb eines Jahrganges entscheidet dann daruumlber welche Kinder eine
bdquoChanceldquo auf houmlhere Bildung erhalten und welche nicht welche also das Gymnasium besuchen
duumlrfen und fuumlr welche der Besuch der Realschule vorgesehen ist Somit werden mit dem politischen
Programm bdquoChancengleichheitldquo bzw bdquoOptimierung der Bildungschanceldquo die jungen Generationen
(Kinder und Jugendliche) gemaumlszlig der in der Gesellschaft durchgesetzten Wissenshierarchie bzw Fauml-
higkeitshierarchie kontinuierlich eingeordnet (vgl Nuumlberlin 2002 S 127-129)
Deshalb soll bdquoChancengleichheitldquo auch bdquoBildungschancenldquo eroumlffnen weshalb im Bildungsplan Paumld-
agogen dazu aufgerufen sind die Kinder von fruumlhester Kindheit an individuell zu staumlrken um ihre
unterschiedlichen Voraussetzungen zumindest in gleichen bdquoBasiskompetenzenldquo vermeintlich einan-
der anzugleichen und somit die Vergleichbarkeit in der Notenkonkurrenz chancengleich im Sinne
von voraussetzungsgleich zu gestalten (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S
5-6 und S 17-18) Gerda Nuumlberlin weiszligt darauf hin dass aber diese Voraussetzungsgleichheit die
Institution Schule gerade nicht leistet Und dass Schule statt dessen durch Lernen auf Zeit die Schuuml-
ler innerhalb eines Jahrgangs mit einheitlichen Tests kontinuierlich einem Sortierungsverfahren un-
terzieht das eher gemaumlszlig den Bildungsschichten die Wissensunterschiede der Kinder hervorhebt
und sogar mit produziert statt sie mit dem Ziel der bestmoumlglichen Wissengleichheit zu bdquobeseitigenldquo
(vgl Nuumlberlin 2002 S 104-142)
Die auf gleiche Basiskompetenzen vorbereitenden Lernangebote und Fruumlhfoumlrderungen sollen nach
Aumluszligerung der Ministerinnen im Vorwort intensiver und fruumlher initiiert werden als in den vorange-
gangenen Jahren (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S 5-6) Zur Sicherung
15 bzw auch als bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (vgl dies S 41) bezeichnet daraus resultieren sollen die besonders vonder Wirtschaft geforderten bdquoMetakompetenzenldquo (vgl dies S 17)
17
der bdquoBildungsqualitaumltldquo und Umsetzung einheitlicher Standards soll der Bildungs- und Erziehungs-
plan das institutionenuumlbergreifende Steuerungsinstrument sein (vgl dies S 19) Die Herausgeber
des Bildungsplanes heben in der Einfuumlhrung besonders hervor dass es sich erstmals um einen Bil-
dungs- und Erziehungsplan handelt der durch seine stufenlose Konzeption von 0 bis 10 Jahren ein
kontinuierliches Lernen vorsieht Alle paumldagogisch wirkenden Personen und Institutionen sollen
durch einheitliche Bildungs- und Erziehungsziele moumlglichst an bdquoeinem Strang ziehenldquo koumlnnen (vgl
dies S 5-19)
Leitziel ist es fuumlr das bdquolebenslange Lernenldquo mit dem Erwerb von bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo die
bereits erwaumlhnte gemeinsame Grundlage (bdquoBasiskompetenzenldquo 16) der Kinder zu erzeugen (vgl
dies S 41f)
Veranlasst sehen sich die Ministerien zur bdquoneuenldquo konzeptionellen Bildungssteuerung durch den
tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel der sich von der demografischen Entwicklung uumlber viel-
faumlltige kulturelle Kontexte die Wirtschafts- und Arbeitswelt bis hin zu familialen Wandlungsprozes-
sen vollzieht und generell durch Schnelllebigkeit gekennzeichnet ist und von den Menschen ein ho-
hes Maszlig an Flexibilitaumlt und Mobilitaumlt fordert Hierzu werden auch die Ergebnisse der Schuumllerleis-
tungsvergleiche wie PISA TIMSS oder IGLU und denen entsprechende wissenschaftliche For-
schungsbefunde genannt denen der bdquo(neue) Bildungs- und Erziehungsplanldquo Rechnung tragen
moumlchte (vgl dies S 16-19)
Denn die Platzierung bei national und international vergleichbaren Leistungserhebungen ist letztlich
die Bemessungsgrundlage fuumlr bdquoBildungserfolgldquo oder bdquoBildungsversaumlumnisldquo Die attestierte bdquoBil-
dungsqualitaumltldquo ist deshalb von politischem Interesse weil die Politik die durch ihr Bildungssystem
erreichte Platzierung im vorderen Bereich als Standortfaktor fuumlr ihren Wirtschaftsstandort in
Deutschland nutzen moumlchte um vor allem auf dem globalem Markt konkurrenzfaumlhig zu bleiben
Im Folgenden wird zu zeigen sein ob und inwiefern diese Zielsetzungen mit dem dafuumlr entwickel-
ten Bildungskonzept zur angenommenen Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels fuumlhren
16 Im Einzelnen werden folgende Kompetenzen genannt als Basiskompetenzen werden bdquoindividuumsbezogeneKompetenzenldquo bdquoKompetenzen zum Handeln im sozialen Kontextldquo bdquoLernen und lernmethodische Kompetenzldquo undbdquokompetenter Umgang mit Veraumlnderung und Belastung Widerstandsfaumlhigkeit (Resilienz)ldquo genannt (vgl dies S 25-26 und S 41-44) Zum anderen werden darauf aufbauende konkrete Bildungs- und Erziehungsziele genannt (ent-sprechend der geforderten bdquoMetakompetenzenldquo) bdquostarke Kinderldquo bdquokommunikationsfreudige Kinder und medien-kompetente Kinderldquo bdquoKreative fantasievolle und kuumlnstlerische Kinderldquo bdquoLernende forschende und entdeckungs-freudige Kinderldquo und bdquoverantwortungsvoll und werteorientiert handelnde Kinderldquo (vgl dies S 13)
18
23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Wie kann das politische Ziel naumlmlich alle Kinder mit den gleichen Grundkompetenzen auszustatten
und deren bdquoErfolgldquo mindestens ab der vierten Klasse an regelmaumlszligigen Leistungserhebungen zu be-
messen durch freies Spiel erreicht werden Die Vermittlung bzw der Erwerb standardisierter Inhal-
te (Wissen Faumlhigkeiten Fertigkeiten Kompetenzen) und die Verfuumlgung daruumlber (Pruumlfungstermin)
steht im Widerspruch zum freien Spiel als offenem Prozess den die Spielenden selbst initiieren und
gestalten und bei dem keine Voraussagen daruumlber getroffen werden koumlnnen wann sich welche
Kenntnisse und Fertigkeiten einstellen
Diese erlangt man einerseits durch die Freiheit als Freiraum zum Spiel die eine gewisse Qualitaumlt an
Sorgefreiheit bedingt Zur Sorgefreiheit zaumlhlt beispielsweise auch das Freisein von Lerndruck der
jedoch unter anderem durch festgelegte Leistungserhebungen und Entwicklungsdokumentationen
bei den Kindern erzeugt wird Und andererseits erwirbt man Kenntnisse und Faumlhigkeiten nur dann
wenn das Spiel frei ist wenn es sich also um seiner selbst Willen ereignet und eben nicht bdquokanali -
siertldquo wird es also keinen aumluszligeren Zielen Zwecken oder Absichten unterliegt wie es jedoch bei
festgelegten bdquoBasiskompetenzenldquo (bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo) eines bdquoBildungsstandardsldquo der Fall
waumlre17 Hinzu kommt der weitere Aspekt von Freiheit im Spiel wonach das Spiel ein selbstgesteuer-
ter Prozess mit offenem bdquoAusgangldquo ist dessen Wirkungen eben nicht planbar oder voraussagbar
also nicht standardisierbar und determinierbar sind Diese Qualitaumlt von Freiheit im Spiel ergibt sich
nun aus den unverfuumlgbaren Momenten des freien Spiels wie dem Augenblick der Instabilitaumlt der
Kreativitaumlt und Phantasie der Spontanitaumlt und Unordnung dem Unsinn und Zufall Diese zugleich
auch wesentlichen Antriebskraumlfte des Spiels koumlnnen sich wie bereits im Kapitel bdquo14 Moment der
Ambivalenzldquo (S 11-13) naumlher beschrieben nur in einem Entwicklungsspielraum mit reichhaltigen
Erfahrungsmoumlglichkeiten und mit dem erlaumluterten Spannungsverhaumlltnis ergeben Sie tragen dann
aber auch die unermesslichen Potentiale fuumlr Emergenz mit dem Prinzip des Lebendigen in sich
woraus sich seine Offenheit fuumlr Neues im Sinne der Weiterentwicklung von Leben ergibt
An dieser Stelle moumlchte ich ergaumlnzend zu meiner eher phaumlnomenologischen Wesensauffassung von
freiem Spiel einige Beispiele skizzieren wie sich die Einuumlbung von Kompetenzen durch freies Spiel
aus psychologischer Sicht vollzieht
Die im Hessischen Bildungsplan intentional geplanten Basiskompetenzen und Lernziele wie bei-
spielsweise Kreativitaumlt Abstraktionsvermoumlgen Empathie oder Flexibilitaumlt in Denk- und Vorstel-
17 Vgl dazu Kapitel bdquo11 Das Moment der Freiheitldquo in dieser Arbeit S 7f
19
lungsvermoumlgen ergeben sich im Spiel als bdquoNebeneffektldquo Das Kind vollzieht naumlmlich im Spiel fuumlr
seine Entwicklung entscheidende Bildungsprozesse selbsttaumltig intrinsisch motiviert und in der bdquoDo-
sisldquo die es bedarf Dabei von groszliger Bedeutung ist der vom Kind entwickelte eigene Lernmodus
der sich maszliggeblich an der individuellen Leistungsfaumlhigkeit und den persoumlnlichen Beduumlrfnissen ori-
entiert Hierfuumlr benoumltigt jedes Kind einen eigenen Entwicklungsspielraum
bdquo[Der] sollte Heranwachsenden die vielfaumlltigsten auch selbsttaumltig inszenierten Erfah-rungsraumlume bieten um sich - wie es Johann Heinrich Pestalozzi nannte - an Kopf Herzund Hand bilden zu koumlnnen moumlglichst frei von Furcht und Zwang Sinnesbildung Koumlr-perbildung und geistig-seelische Bildung sollten dabei gleichermaszligen zur Entfaltungkommenldquo (Rittelmeyer 2007 S 7)
So initiieren Kinder beispielsweise in ihren Rollenspielen eigentaumltige Bildungsprozesse indem sie
sich im spontanen Spiel in die Perspektive anderer Menschen versetzen und eigenes Handeln fuumlr
aumlhnliche Lebenssituationen uumlben Oder sie erproben sich im Spiel mit verschiedenen sozialen Rol-
len zB im Rahmen gesellschaftlicher Verhaltensstandards indem ein von Geschichten aufgenom-
menes oder durch elterliche Kommentare an die Kinder herangetragenes Ideal (bdquoTapferkeitldquo bdquoGe-
schwisterliebeldquo bdquoFreundschaftldquo bdquoHilfsbereitschaftldquo etc) mit der persoumlnlichen Wirklichkeit vertraut
gemacht wird Dieses Erproben entspricht zB einer Bewusstseinsbildung im Hinblick auf (solche)
gesellschaftlichen Rollenerwartungen
bdquo[Oder] im Symbolspiel das ein Houmllzchen zur Mutterʻ oder zum Autoʻ werden laumlsstuumlben Kinder die Faumlhigkeit im Hinblick auf gegebene Phaumlnomene verschiedene Per-spektiven entwickeln zu koumlnnen also mit Kreativitaumlt oder Phantasie auf Erscheinungender aumluszligeren Welt zu reagierenldquo (ders S 17)
Es ist schwierig zu sagen welche Kompetenzen genau aus eigentaumltigen Bildungsprozessen im Spiel
entstehen da Resultate aus diesen Erfahrungen wiederum von diversen Faktoren abhaumlngig sind
Maszliggebliche Faktoren sind dabei die uumlberaus verschiedenen biografischen Erfahrungen der Kinder
und dass die letztliche Erfahrungsgewichtung durch ihre Individualitaumlt verschieden zum Tragen
kommt
Da aber jedes Lernen immer individuumsbezogen dh vom Kind abhaumlngig ist hat dieser Umstand
auch fuumlr die geplant-initiierten Lernangebote Geltung sofern derartige von auszligen angestoszligene
Lernangebote uumlberhaupt in den lernenden Kindern auf Resonanz stoszligen
Es duumlrfte kaum anzuzweifeln sein dass wie im Beispiel des spontanen von den Kindern selbst initi-
ierten Rollenspiels Rollenhandeln und soziale Empathie eingeuumlbt und fuumlr eigenes Handeln erprobt
werden Ebenso werden durch Symbol- oder Rollenspiele die Phantasie und Kreativitaumlt vielfaumlltig
angeregt die Beobachtungsgabe und das Vorstellungsvermoumlgen ausgepraumlgt Daraus kann sich wie-
20
derum das Abstraktionsvermoumlgen entwickeln und die Kinder bilden mit zunehmenden Perspekti-
venwechseln eigene Vorstellungen und Uumlberzeugungen aus Indem naumlmlich Spielende in ihre selbst
konstruierte bdquoScheinweltldquo gaumlnzlich bdquoeintauchenldquo nehmen sie auf zuvor vielfaumlltig beobachtete und
erlebte Situationen Bezug Erst spielen sie das Erlebte nach und bdquodurchlebenldquo es dabei spielerisch
immer wieder bis sich ein tiefgruumlndiges Verstaumlndnis uumlber die erlebte Situation gebildet hat Allmaumlh-
lich wird dann durch die eigene Ausgestaltung des Rollen- oder Symbolspiels das wahrgenommene
Phaumlnomen zunehmend abstrahiert und Kinder beginnen vielfaumlltige eigene Vorstellungen dazu zu
entwickeln Freies Spiel entspricht also eigentaumltiger Lebenswelterfahrung und -aneignung und ihr
Bildungsgehalt scheint dabei fast unermesslich groszlig zu sein (vgl ders S 7-17 und S 135-137)
Es wuumlrden sich also durch freies Kinderspiel ganz unterschiedliche und auch bdquoneueldquo Kompetenzen
mit ganz individuellen Auspraumlgungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten bilden Diese Aspekte ma-
chen aber eine vergleichende Leistungserhebung quasi unaussagekraumlftig bzw koumlnnten einen deter-
minierten bdquoBildungsstandardldquo insofern bdquogefaumlhrdenldquo als dass das Spiel als kreative geistig-emotio-
nale Weltzuwendung immer einen offenen bdquoAusgangldquo hat dh nicht vorhersagbar ist Das Zulassen
von freiem Spiel steht somit im Interessenskonflikt mit den oben genannten politischen Absichten
weshalb dem freien Spiel ein generelles Misstrauen gegenuumlber gebracht wird Dies fuumlhrt letztlich
konzeptionell dh durch die Einfuumlhrung und Umsetzung von bdquoBildungsstandardsldquo zur zunehmen-
den Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
Inwiefern die angenommene Verdraumlngung von freiem Kinderspiel auch paumldagogisch motiviert sein
kann soll im folgenden Abschnitt untersucht werden
24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Die Autorinnen und Autoren sehen Kinder einerseits als kompetente selbstbestimmt taumltig werdende
Wesen an und deuten die Bildung und das Lernen zwar als soziale Prozesse die sich im Dialog zwi-
schen Kind und Erwachsenem vollziehen koumlnnen Andererseits verweisen sie aber darauf dass die
Qualitaumlt dieser Prozesse wiederum von auszligen dh von einem Erwachsenen gesteuert und mode-
riert werden sollen (vgl Hessisches Sozialministerium Hessisches Kultusministerium 2007 S 20-
21) Die Steuerung der Bildungs- und Lernprozesse wird versucht zu rechtfertigen indem auf aktu-
elle neurowissenschaftliche Befunde verwiesen wird die dem kindlichen Gehirn ein enormes Ent-
wicklungs- und Lernleistungsvermoumlgen zuschreiben welches wenn es nicht genuumltzt wuumlrde einem
bdquoBildungsversaumlumnisldquo gleichkaumlme und nur schwer wieder aufzuholen sei (vgl dies S 20- 24)
bdquoJe reichhaltiger aumluszligere Lernreize sind desto mehr effiziente neuronale Netzwerke
21
(Synapsen) bilden sich heraus die fuumlr die Verarbeitungskapazitaumlt des Gehirns und seineLernfaumlhigkeit im spaumlteren Leben bedeutsam sind Im Entwicklungsverlauf eines jedenKindes gibt es optimale Zeitraumlume fuumlr grundlegende Lernschritte (zB ZweitspracheRaumorientierung elementares mathematisches Denken Interesse an Naturwissen-schaften aumlsthetisches Verstaumlndnis Entwicklung der Musikalitaumlt) Solche Zeitfenstergibt es auch noch im Laufe der weiteren Bildungsbiografie Dennoch gilt es diese sen-siblen Phasen bereits durch fruumlhe Bildung offensiv zu nutzen [sic] Je solider und brei-ter die Basis aus jener Zeit desto houmlher ist die Wahrscheinlichkeit dass das Kind danachaktiver und leichter lernt Fruumlhe Bildungsversaumlumnisse sind nur schwer aufholbarldquo(dies S 24)
Die programmatische Paumldagogisierung von Spiel die die bdquoGrenzen zwischen der herkoumlmmlichen
Trennung von Freispielprozessen und geplanten Bildungsprozessen zunehmendldquo (dies S 30) ver-
wischen soll ist vor dem Hintergrund Bildung als Produkt einer offensiven Nutzung der sensiblen
Lernzeitfenster anzusehen (vgl dies S 23-24) und wiederum von seiner politischen Motivation
mit dem Wettlauf um Konkurrenzfaumlhigkeit sowie der Weiterfuumlhrung einer in der Gesellschaft durch-
gesetzten und der Wirtschaft dienlichen Wissenshierarchie in Verbindung zu bringen Folglich fuumlhrt
die im Bildungs- und Erziehungsplan programmatisch angewiesene Funktionalisierung des Spiels
zum bdquospielerischen Lernenldquo letztlich paumldagogisch motiviert zur zunehmenden Verdraumlngung des frei-
en (Kinder)Spiels denn dieses wird als zu zeitintensive Taumltigkeit angesehen Freispiel darf zwar
laut Plan auch enthalten sein es bdquomuss jedoch im angemessenen Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlten ste-
henldquo (dies S 31) weshalb es wegen des bdquoLernfensterdrucksldquo (vgl Dies S 23-24) zum bdquospielen-
den Lernenldquo umfunktionalisiert werden soll (vgl dies S 30-31) um wegen seiner bildenden Po-
tenzen dann als Lernbeschleunigung dem Lernziel (bdquoBildungserfolgldquo) dienbar gemacht zu werden
Das Freispiel soll konzeptionell auf zwei Wegen zu bdquospielendem Lernenldquo qualitativ aufgewertet
werden Zum einen indem aus Spielprozessen Projekte hervor gehen mit der Bedingung dass das
Spielgeschehen zunehmend von der Projekttaumltigkeit durchdrungen wird Und zum anderen koumlnnen
bdquo[]im Rahmen von Projekten [hellip] Freispielphasen enthalten sein in denen sich dieKinder weiterhin mit dem Projektthema allein oder mit anderen auseinandersetzen DieQualitaumlt der Freispielprozesse laumlsst sich durch gezielte Unterstuumltzungsmaszlignahmen erhouml-henldquo (dies S 30 Herv MG)
Wenn also Freispielphasen eingeplant werden dann unter der Bedingung dass im bdquoSpielldquo die Pro-
jektthemen wieder aufgegriffen werden In beiden Varianten wird aber die Qualitaumlt des Spiels zu-
mindest im Bezug auf das Erreichen des Lernzieles angezweifelt weshalb ein gezieltes Einwirken
der Paumldagogen kontinuierlich angedacht ist
bdquoDie Houmlhergewichtung des elementaren Bildungsauftrags hat zur Konsequenz dasssich das beilaumlufige Lernen der Kinder im Spiel zum spielerischen Lernen hin entwickeltDem Spiel wird mehr systematische Begleitung und didaktische Aufbereitung
22
zuteilldquo(dies S31 Herv MG)
Das demnach angedachte bdquoFreispielldquo soll folglich auch kein freies natuumlrliches Spielen sein selbst
wenn sich Kinder angetan von den Projektinhalten im freien Spiel beginnen selbsttaumltig im Rah-
men dessen auseinanderzusetzen Solches Geschehen wuumlrde durch paumldagogisches Einwirken auf
das Lernziel hin gelenkte Taumltigkeit werden es soll durch Erwachsene zum bdquospielerischen Lernenldquo
hin entwickelt werden Ebenso kann auch ein anfaumlngliches Spiel nie als solches bestehen bleiben
Die Houmlhergewichtung des institutionellen bdquoBildungsauftragsldquo bewirkt in beiden Faumlllen dass der
scheinbar gewaumlhrte bdquoSpielraumldquo zur zielorientierten Lerntaumltigkeit wird weshalb (freies) Spiel ver-
draumlngt wird und zunehmend in Projekttaumltigkeit muumlndet Erst dann hat Spiel einen qualitativen Nut-
zen im Sinne des Bildungs- und Erziehungsplans Deshalb haben Spielen und Lernen auch nach An-
sicht und Position des Bildungsplanvorhabens in einem besonderen Verhaumlltnis zueinander zu stehen
welches Paumldagogen zu sichern haben
bdquoFreispiel ist wichtig muss jedoch im angemessenem Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlt stehendie die Erwachsenen planen und initiieren[]ldquo (ebd Herv MG)
Denn Lernaktivitaumlt sollte nach Meinung der Autorinnen und Autoren wenn sie vom Kind ausgeht
letztlich durch Erwachsene zielfuumlhrend gelenkt werden
Diese Qualitaumlt steigernden Unterstuumltzungsmaszlignahmen und das angestrebte Verhaumlltnis von Spielen
und Lernen stehen im einzelnen mit den Wesensmomenten des freien Spiels in Widerspruch Im
freien Spiel sind die Spielinhalte die sich spielende Kinder selbst auswaumlhlen vorwiegend alltagsbe-
zogen und als diese individuell meist sehr unterschiedlich Kinder begegnen im Spiel also Themen
die ihr Interesse durch erlebte oder beobachtete Situationen geweckt haben Diese eigens initiierten
Spielideen koumlnnen wie oben skizziert diverse Funktionen (zB bildendes Erproben) als Nebenef-
fekt haben Aber im Sinne des Spiels als bdquofreie Zeitgestaltungldquo draumlngt das Kind eher nach sinnvoll
erfuumllltem Leben durch erstrebtes lustvolles Spielen mit ganzheitlichem Lebensweltbezug als nach
einer von auszligen das Spiel deformierenden oder domestizierenden Systematik und Didaktik Es ist
anzunehmen dass diese fehlende bdquoBe-friedigungldquo des Spielbeduumlrfnisses ihre praumlgenden Anpas-
sungsspuren in den Kindern hinterlaumlsst und sie wahrscheinlich unzufrieden macht Zusaumltzlich duumlrf-
ten diese Umstaumlnde dem Lernen allgemein auch eher abtraumlglich sein
Es besteht also ein ganzheitlicher Bezug zum eigenen Leben wenn durch die Freiheit zum Spiel
ganz individuelle Themen zur Spielidee werden und bdquoihren Laufldquo nehmen Das heiszligt die jeweilige
Initialidee wird im weiteren Spielverlauf staumlndig veraumlndert werden und folgt dabei gerade eben
nicht der bdquoLogikldquo der buumlrgerlichen Erwachsenenwelt Diese bdquoLogikldquo wird aber im Bildungsplan fo-
23
kussiert In ihm ist die Annahme enthalten dass Kinder wie Forscher ihre Umwelt erkunden und
nun im Zuge der Aufwertung des Spiels zum bdquospielerischen Lernenldquo durch paumldagogisches Hinwir-
ken sich das bdquospielendeldquo Kind in reflektierender Betrachtungsweise Kausalzusammenhaumlnge und
Gesetzmaumlszligigkeiten des zu untersuchenden bdquoGegenstandesldquo erschlieszligen bzw davon ableiten soll
(vgl dies S 20 27-28 30-31) Spiel ist aber nur dann Spiel wenn es ein eigenes fortwaumlhrendes
kreatives und spontanes Eingehen auf die Anregungen der aumluszligeren Spielszenerie ermoumlglicht (vgl
Kapitel bdquo14 Das Moment der Ambivalenzldquo S 11ff sowie Rittelmeyer 2007 S 136) Innerhalb
dessen orientiert sich die Spiel gestaltende Taumltigkeit des Kindes hauptsaumlchlich an den eigenen Be-
duumlrfnissen und nicht an Vorgaben von auszligen Deswegen kann auch nicht alles Spiel sein das waumlre
Willkuumlr und nicht Geschlossenheit (vgl Kapitel bdquo15 das Moment der inneren Geschlossenheitldquo S
13) Und um seiner inneren Zweckmaumlszligigkeit moumlglichst dienlich zu sein bleibt es auch stets unver-
fuumlgbar Darin gibt es keine absolute Eindeutigkeit (zB ein Lernziel) mit zielgerichtetem Streben
nach zukuumlnftiger Befriedigung Spiel ist jetzt ist gegenwaumlrtig angestrebtes erfuumlllendes Erleben von
frei gestalteter Zeit Nur so koumlnnen sich alle weiteren Wesensmomente und ihre ua auch hoch ef-
fektiv bildenden Potenziale ergeben und individuell entfalten Solches Spiel waumlre aber von Vielfalt
Spontanitaumlt Uumlberfluss Instabilitaumlt Kreativitaumlt oder auch vom ihm eigenen Unsinn gepraumlgt Sicher-
lich erschlieszligen sich dem Kind dabei diverse Kausalzusammenhaumlnge und aus Einzelphaumlnomenen
wird es ableitend Gesetzmaumlszligigkeiten erfahren die sich in diesem informellen Lernprozess dann als
Wissen Kenntnisse Fertigkeiten oder auch Kompetenzen verinnerlichen Aber diese (Neben)Effek-
te wuumlrden nie zielfuumlhrend oder leitend das Spielgeschehen formen bzw antreiben
Dem natuumlrlichen freien Spiel steht das bdquospielerische Lernenldquo auch im Bezug auf die im Spiel er-
schaffene Phantasiewelt (vgl Kapitel bdquo13 Das Moment der Scheinhaftigkeitldquo S 10) entgegen
Denn diese zeichnet sich gerade dadurch aus dass sie sich von den bdquoObjektenldquo der Umwelt loumlst
vom Faktischen enthoben ist und durch Phantasie zu bdquoNeuemldquo zu Symbolischem werden laumlsst Und
somit das symbolische bdquoAls-obldquo Spielgeschehen ermoumlglicht Das Spiel wuumlrde sich also notwendi-
gerweise von der Projekttaumltigkeit oder ihren faktischen Inhalten loumlsen muumlssen um sich in dieser
Phantasiewelt mit seiner Spielhandlung zwischen Zufaumllligem und Notwendigem bewegen zu koumln-
nen Mit der daraus entstehenden Gegenwaumlrtigkeit schloumlssen sich alle weiteren Momente zu ihrer
bdquofunktionalenldquo Kette zusammen Auch der zeitliche Rahmen in dem sich das freie Spiel nun bewe-
gen wuumlrde ist unvorhersehbar Es ist also wahrscheinlich dass das Spielgeschehen uumlber den von
Erziehern eingeplanten bdquoFreispielzeitraumldquo hinweg andauern koumlnnte und deshalb von auszligen durch
die Paumldagogen abgebrochen werden wuumlrde Der bdquoinneren Unendlichkeitldquo des Spiels wuumlrde dies so-
mit ein abruptes Ende bereiten Dem zirkulaumlrem Charakter des Spiels steht noch ein weiterer Aspekt
24
entgegen Naumlmlich dass die Wiederholungen der Spielhandlung nicht aus systematischer oder di-
daktischen bdquoAufbereitungldquo erzeugt werden koumlnnen sondern dass sie wie Rolf Oerter in bdquoZur Psy-
chlogie des Spielsldquo beschreibt mit lustvollem Erleben in Verbindung zu bringen sind und demnach
eher dem Lustprinzip folgen als dem rationellem Realitaumltsprinzip (vgl Oerter 2007 S 9 12 14f
18-21)
Einzelne Momente fuumlr bdquospielerisches Lernenldquo zu erzeugen bzw sie diesbezuumlglich abzuwandeln
kann also nicht mehr mit dem natuumlrlichen freiem Spiel in Verbindung gebracht geschweige denn
damit gleichgesetzt werden Das daraus resultierende bdquoSpielenldquo kann demnach auch nicht dem Be-
duumlrfnis oder Drang nach Spiel entsprechen welches Kinder ganz offenkundig haben Das Spiel im
Sinne des Bildungsplanes gleicht in seiner angedachten Form eher bdquodomestiziertenldquo Spiels das in
einzelne Wesensmomente zerrissen ist um als didaktische bdquoListldquo geplant initiiert zu werden Somit
wird durch die verkuumlrzte Auffassung von Spiel als Mittel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo bei
gleichzeitiger Verkuumlrzung echter Spielzeit die zunehmende Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels
im Bildungsplan programmatisch angegangen bzw angeordnet wodurch die dieser Arbeit zugrunde
liegende Annahme bestaumltigt wird
3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
Die Reformpaumldagogik hat zB durch Ellen Key Johann Heinrich Pestalozzi oder Maria Monterssori
Konzepte wie Jena-Plan das der Sudberry Valley School oder der Freien Demokratischen Schulen
inspiriert Innerhalb deren Konzeptionen findet auch die kindliche Lebenswelt ohne sie romantisch
zu verklaumlren ihren anerkennenden Platz und wird als vollwertiger Lebensabschnitt beachtet Ihre
aumlhnlichen Bildungsansaumltze enthalten vielfaumlltigste Anreize und Formen vernuumlnftiger Bildungsideen
mit ganzheitlichem Menschenbild und echtem Lebensweltbezug Das bedeutet auch fuumlr eine Institu-
tion um mit Ellen Key zu sprechen Bildung vom Kind aus zu denken
Exemplarisch moumlchte ich im Folgenden diese Bildungsvorhaben und ihre fuumlr die Kinder bereiteten
Entwicklungsspielraumlume an Hand der Freien Demokratischen Schulen skizzieren Der Ausgangs-
punkt dieser Schulen ist der Kerngedanke dass sich durch Eigeninitiative selbstverantwortete Bil-
dung und freies Spiel nicht abstoszligend gegenuumlber stehen sondern dass beide den Beduumlrfnissen des
Kindes entspringen und das Kind deshalb je nach seiner Beduumlrfnislage seine Aktivitaumlten diesbezuumlg-
lich selbstorganisiert Zwar sind auch Freie Demokratische Schulen als Institution leider kein wirk-
licher bdquoorganischerldquo Teil der Lebenswelt von Kindern sondern immer nur von auszligen angebotene in-
tentionale Konstrukte die aber in diesem Fall den individuellen Entwicklungsspielraum der Kinder
25
versuchen zu schuumltzen bzw bereitzuhalten Somit wird jedem Kind sein eigener Freiraum der ihm
spontanes freies Spiel ermoumlglicht bereitet ohne es in irgendeiner Form zu verzwecken oder zu ka-
nalisieren Einige Konzepte solcher Schulen greifen auch die Kindheit als gesellschaftlichen Status
hervorbringende Begebenheit auf naumlmlich dass durch die alltaumlgliche Erwerbstaumltigkeit der Erwach-
senen die Kindheit entsteht und zwar als davon getrennter Lebensbereich Verschiedene Versuche
zB durch (Land)Schulheime oder selbst initiierten Lernvereinbarungen zielen darauf ab die ge-
trennten Lebensrealitaumlten von Kindern und Erwachsenen wieder mehr zur Uumlberschneidung zu brin-
gen Die daraus entstehenden freiwilligen Erfahrungspartnerschaften werden eigenverantwortlich
von den Beteiligten (Schuumller und Lehrer) nach ihren Beduumlrfnissen Vorstellungen und Wuumlnschen
gemeinsam gestaltet Es kann also keinen einheitlichen Lehrplan geben und es kann auch keinen
bdquoMethodenkofferldquo als Handreichung des Ministeriums geben der Anwendung finden soll Aber
falls es von den Schuumllern gewuumlnscht wird bzw falls es von ihnen als vernuumlnftig fuumlr die Umsetzung
des Vorhabens angesehen wird kann sich der Lehrer sinnvollerweise durch methodische oder di-
daktische bzw besser mathetische Aufbereitung unterstuumltzend einbringen Die Schuumller entwickeln
also selbst wie sie lernen und was sie lernen Dabei treffen sie nicht maszliggeblich ihre Auswahl aus
bereits bestehenden Angeboten sondern sie koumlnnen ihre Beschaumlftigungs- bzw Lerngebiete voumlllig
frei waumlhlen und initiieren Jede Beschaumlftigung wird dabei als wertvoll und lehrreich erachtet sei es
das Lesen das Experimentieren das freie Spielen oder das Teilnehmen an einem Unterrichtskurs
Die Schuumller entscheiden auch wann sie lernen Sie legen damit den gesamten zeitlichen Rahmen
fest innerhalb dessen sie sich mit ihrem eigenem Lerngebiet beschaumlftigen wollen Dies betrifft die
Tageszeit und den Gesamtzeitraum der Taumltigkeit aber vor allem auch das Alter in dem sie sich ent-
schlieszligen sich mit einer Thematik zu befassen So entschlieszligt sich zB ein neunjaumlhriges Kind Lesen
zu lernen wo ein fuumlnfjaumlhriges bereits damit begonnen hat Dabei waumlre es nicht ungewoumlhnlich dass
diese beiden Leseinteressierten sich zusammenschlieszligen und eine Lerngruppe initiieren um sich
gemeinsam dem Lesen lernen zu widmen Auch liegt es in der Verantwortung der Kinder wie inten-
siv sie sich mit dem gewaumlhlten Thema auseinandersetzen wollen Um all dies zu planen und umset-
zen zu koumlnnen sind die Lehrer wie beratende Helfer kontinuierlich fuumlr die Kinder da und die Kin-
der sind sich nie selbst uumlberlassen Somit schafft das Vertrauen der Lehrer in die Schuumller Vertrauens-
wuumlrdigkeit und die Kinder koumlnnen sich sicher und geborgen fuumlhlen um sich moumlglichst ohne Angst
in dieser Freiheit ganz nach ihren Beduumlrfnissen der Welt zuzuwenden Diesen Freiraum zum Entde-
cken und Spielen bezeichnen die Sudberry- bzw die Demokratischen Schulen als Lernfreiheit und
er ist eine der beiden Grundsaumlulen des Bildungskonzepts Die zweite Saumlule ist von organisatorischer
Natur und konstatiert den Lernort als egalitaumlres System in dem Schuumller und Lehrer in verschiede-
nen Gremien Komitees und Aumlmtern gleiche Einflussmoumlglichkeiten Pflichten sowie Rechte besit-
26
zen (vgl Schiffner 2007 S 8-15)
Peter Gray emeritierter Professor fuumlr Psychologie des Boston College erklaumlrte in einem Vortrag in
Berlin 3122012 die Grundlagen dieses bdquoErziehungsldquo Ansatzes18 Er nennt ihn Vertrauensvolle Er-
ziehung (Trustful Parenting) bdquoVertrauensvolle Erziehung basiert auf der Annahme dass Kinder von
Natur aus widerstandsfaumlhig kompetent sozial und selbstgesteuert sindldquo (Gray 2012 S 1) Daraus
ergibt sich dass Kinder ihrem Beduumlrfnis nach selbst entscheidend entdecken und spielen Es obliegt
ihrer Entscheidung Risiken einzugehen und dabei auch evtl eigene Fehler zu machen Entwick-
lungsvergleiche (auch keine Lernleistungsvergleiche) liegen dieser Ansicht fern Erziehung versucht
demnach Entwicklung nicht zu lenken sondern zu unterstuumltzen sodass Kinder ihre eigenen Ziele
verwirklichen koumlnnen Sie entwickeln dabei Eigeninitiative und uumlbernehmen Selbstverantwortung
in der Gemeinschaft Die Erwachsenen stellen dazu lediglich den aumluszligeren bdquoRahmenldquo her der fuumlr ein
gesundes Heranwachsen erforderlich ist (vgl Grey 2012 S1 ff) Deshalb ist dieser Ansatz auch
nicht als eine vernachlaumlssigende Haltung zum Kind anzusehen sondern ganz im Gegenteil die
bdquoErziehendenldquo senden den Kindern folgende Botschaft
bdquoDu bist kompetent Du hast Augen und ein Gehirn und du bist in der Lage Dinge her-auszufinden Du kennst deine eigenen Faumlhigkeiten und Grenzen Durch Spielen und Er-forschen wirst du dir aneignen was du wissen musst Deine Beduumlrfnisse werden gewuumlr-digt Deine Meinung zaumlhlt Du bist fuumlr deine Fehler selbst verantwortlich und man kanndarauf vertrauen dass du aus ihnen lernst Das Sozialleben zeichnet sich nicht durchWillenskaumlmpfe aus sondern vielmehr dadurch einander so beizustehen dass alle dasbekommen was sie brauchen und sich am meisten wuumlnschen Wir sind auf deiner Seitenicht gegen dichldquo (ders S1)
Interessant finde ich Peter Grays historischen Bezug den er zur Vertrauensvollen Erziehung her-
stellt Er belegt naumlmlich mit verschiedenen wissenschaftlichen Studien zu Jaumlger- und Sammlerkultu-
ren dass dieser Erziehungsstil bis zum Einsetzen der Landwirtschaft (vor ca 10000 Jahren in Asi-
en) der vorherrschende war und dass die Menschheit zu 99 Prozent ihrer gesamten Geschichte (ca 1
Millionen Jahre) Jaumlger und Sammler waren (vgl ders S 1-3)
4 Zusammenfassende Gedanken
Die anfaumlngliche Spielbegriffseingrenzung im ersten Teil dieser Arbeit verdeutlichte dass das Spiel
nicht nur von elementarer Bedeutung fuumlr ein gesundes Aufwachsen fuumlr Koumlrper und Psyche der Kin-
der ist obwohl das freie (Kinder)Spiel die dafuumlr wohl geeignetste Lebenstaumltigkeit darstellt Dem
18 Vgl Gray Peter (2012) Trustful Parenting May Require an Alternative to Conventional Schooling (Vertrauensvol-le Erziehung macht unter Umstaumlnden eine Alternative zum konventionellen Schulsystem noumltig) httpwwwting-schuledeindex_htm_filesPeter20Gray20_20Trustful20parentingpdf (Zugriff 260315)
27
natuumlrlichen (Kinder)Spiel als geistig-kreative Weltzuwendung liegen viel urspruumlnglichere Wurzeln
zu Grunde weshalb sich durch freies Spiel die Sinne der Koumlrper und auch der Geist als bdquoNebenef-
fektldquo beilaumlufig bilden und entwickeln Naumlmlich wie das bdquoMenschsein kein Zweck etwa des Lebens
sondern das Leben selbst istldquo (Kamper 1976 S 141) ist das (Kinder)Spiel auch kein findiger
Zweck des Lebendigen sondern gelebte Lebendigkeit und damit zwecklos (vgl ebd) bdquoDarauf und
nur darauf bezieht sich Schillers Wort dass der Mensch nur spielt wo er in voller Bedeutung des
Wortes Mensch ist und nur da ganz Mensch ist wo er spieltldquo (ebd) Somit stellt das Spiel das Prin-
zip des Lebendigen dar dies herauszuarbeiten und phaumlnomenologisch be-greifbar zu machen war
Ziel des ersten Teils dieser Arbeit Ich beabsichtigte darin ein Verstaumlndnis dafuumlr zu bilden dass das
(Kinder)Spiel als Modus von Freiheit im bdquoSpannungsfeld Lebenldquo die Wesenskraumlfte der Evolution
den Zufall die Spontanitaumlt und die Kreativitaumlt als eigene Triebkraumlfte in sich traumlgt und im freien
selbst initiierten Spielgeschehen zur Entfaltung bringt Als dieses Urprinzip ist das freie natuumlrliche
Spiel dem Menschen - homo ludens - und deshalb auch den Kindern ein Beduumlrfnis Deshalb fuumlhrt
durch Spiel gestaltete Zeit als erstrebte wesensgemaumlszlige Taumltigkeit zu Lebenszufriedenheit Und nur
dann traumlgt es seine Potenziale der Sinnesbildung Koumlrperbildung und geistig-seelischen Bildung so-
wie die Moumlglichkeit unvorhersehbarer Emergenzen in sich Und als solcher freier Ausdruck von Le-
bendigkeit ist deshalb Spiel fuumlr ein Kind innerhalb eines erfuumlllten Daseins grundlegend und zu ach-
ten bzw anzuerkennen
Im zweiten Teil wurde einsteigend die im derzeitigen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
vertretene Auffassung von Spiel erlaumlutert und der Plan wurde auf seine moumlgliche politisch- und paumld-
agogisch motivierte Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel untersucht Es konnte dargelegt werden
dass der Spiel(zeit)raum aufgrund des Interessengegensatzes von Kind und Staat kontinuierlich ein-
gekuumlrzt wird und zur zunehmenden Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel fuumlhrt um die politischen
Programme bdquoVerbesserung der Bildungschancenldquo und bdquoChancengleichheitldquo durchzusetzen Die da-
mit verwirklichten politischen Ziele und die Umsetzung einheitlicher Bildungsstandards haben da-
bei einerseits den Zweck die fuumlr die Wirtschaft dienliche und in der Gesellschaft mit Schule durch-
gesetzte Wissenshierachie fortzufuumlhren Und andererseits sollen diese Jahrgangssortierungen durch
internationale Tests wie PISA uauml als Standortfaktor im Wettkampf um Konkurrenzfaumlhigkeit auf ei-
nem globalisierten Markt Wirtschaftsstandort sichernd eingesetzt werden
Die Annahme dass es durch die Einuumlbung von vermeintlichen also dem Zeitgeist entsprechenden
bdquoGrundkompetenzenldquo bzw bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (als Bildungsstandards) zur zunehmenden
Verdraumlngung von freiem Spiel kommt konnte dadurch bestaumlrkt werden dass auf Grundlage eines
verkuumlrzten Spielbegriffes das freie (Kinder)Spiel durch paumldagogisches Einwirken in bdquospielerisches
28
Lernenldquo umfunktionalisiert und dadurch echte Spielzeit zunehmend eingekuumlrzt wird Der Zweck ist
dabei das (Kinder)Spiel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo als bdquoLernmotorldquo der Kinder innerhalb
des bdquoLernfensterdrucksldquo dem Lehrapparat dienstbar zu machen
Im dritten Teil dieser Arbeit wurde anhand der Demokratischen Schulen kurz skizziert wie institu-
tionelle Bildung die freies Spielen wirklich gewaumlhrleistet gelingen kann Leider stehen die Schulen
in freier Traumlgerschaft zu denen die Freien Demokratischen Schulen zaumlhlen in Deutschland vor be-
sonderen behoumlrdlichen Genehmigungsbarrieren und unzureichender oumlffentlicher Finanzierung was
ihre Realisierung maszliggeblich erschwert oder ganz verhindert Auch darin kann eine Verdraumlngung
bzw Verhinderung des freien Spiels gesehen werden
Die Verdraumlngung des freien Kinderspiels ist aus zweierlei Gruumlnden nicht gut zu heiszligen ja sogar ab-
zulehnen ist Erstens ist die im Spiel als Nebenerscheinung enthaltene Einuumlbung von Grund-
kompetenzen von groumlszligter Komplexitaumlt und Vielfalt die selbst neue nicht vorhersagbare Qualitaumlten
hervorbringt die mit den Triebkraumlften der Evolution in Verbindung zu bringen sind (Emergenz)
Deshalb ist es fuumlr einen ganzheitlichen Entwicklungsspielraum der Kinder und im Sinne der Evolu-
tion unvernuumlnftig das Spiel wie im Bildungsplan beschrieben bdquoqualitativ aufzuwertenldquo um ver-
meintliche fuumlr das derzeitige Leben als unverzichtbar angenommene bdquoGrundkompetenzenldquo durch
bdquospielerisches Lernenldquo einzuuumlben Und zweitens ist das Spiel als kreative geistig-emotionale Welt-
zuwendung und damit als wesensgemaumlszlige kreatuumlrliche Taumltigkeit des Menschen den Kindern ein Be-
duumlrfnis und grundlegend fuumlr ihr gesundes Aufwachsen und Lebensgeborgenheit (Lebenszufrieden-
heit) in einem sie wahrhaft erfuumlllenden menschlichen Dasein
Bedenke ich nun die Lebenszeit die auch meine Kinder teilweise schon vor dem ersten Lebensjahr
mit haumlufig acht Stunden taumlglich in Kindertageseinrichtungen (leider nicht in einer Freien Demokra-
tischen Schule mit Primarbereich) verbrachten derzeit verbringen und spaumlter in der Schule bis min-
destens zur Erfuumlllung der Schulpflicht mit etwa 15 Jahren in der Schule verbringen muumlssen bin ich
erschrocken-besorgt und wuumltend wie dem Phaumlnomen des freien natuumlrlichen Kinderspiels und der
Bildung insgesamt im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan begegnet wird Bildung als vorran-
gig politisch-oumlkonomisches Arrangement zu sehen darin das Spiel als List zu benutzen um standar-
disiertes Lernen zu erzielen echte Spielzeit zunehmend zu verkuumlrzen ndash dieses planvolle Vorgehen
der Politik und der beteiligten Paumldagogen stellt eine Missachtung der ihnen anvertrauten Kinder mit
ihren individuellen Wuumlnschen Vorstellungen Beduumlrfnissen und ihrer ganz persoumlnlichen Lebenswelt
dar und ist ein lebensentfremdendes Vorhaben das junge Menschen von einem sie erfuumlllenden gu-
ten Leben trennt
29
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31
Eidesstattliche Erklaumlrung
Ich erklaumlre hiermit an Eides Statt durch eigenhaumlndige Unterschrift dass ich die vorliegende Arbeit
selbstaumlndig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe die aus
fremden Quellen (einschlieszliglich elektronischer Quellen und dem Internet) direkt oder indirekt uumlber-
nommenen Gedanken sind ausnahmslos als solche kenntlich gemacht
Ich weiszlig dass bei Abgabe einer falschen Versicherung die Arbeit als nicht bestanden zu gelten hat
Herold 10042015
32
- Die zunehmende Verdraumlngung des freien Kinderspiels
- im Hessischen Bildungsplan
- Einleitung
- 1 Freies Kinderspiel - Wesensmerkmale
-
- 11 Das Moment der Freiheit
- 12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
- 13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
- 14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
- 15 Das Moment der Geschlossenheit
- 16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
- 17 Zusammenfassung
-
- 2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
-
- 21 Das Spielverstaumlndnis
- 22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
- 23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
- 24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
-
- 3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
- 4 Zusammenfassende Gedanken
- Literaturverzeichnis
- Internetquellen
-
einem lebendigen Teil dessen Naturwissenschaftliche Forschungen uumlber die Evolution haben seit
fast einem Jahrhundert die dazu grundlegenden Wesenskraumlfte im Evolutionsprozess definiert Diese
Wesensmerkmale sind Kreativitaumlt und Zufall (vgl dies S 281-285) Elfriede Maria Bonet fuumlhrt in
ihrem Aufsatz zum Spiel bdquoVon Autonomie und Spontanitaumlt Eine Naturgeschichte des Spielsldquo11 aus
dass Selbstorganisation eine relative Unabhaumlngigkeit von aumluszligeren Reizen bewirkt (Autonomie)
weshalb Spontanitaumlt als Strategie zur Selbststeuerung entsteht Diese Entwicklung von Selbstorga-
nisation mit Spontanitaumlt zur Selbststeuerung bildet ihr zufolge das kreative Moment im Evolutions-
prozess welches fuumlr das Auftreten neuer nicht voraussagbarer Qualitaumlten bzw neuer bdquoFormenldquo
oder Variationen aus dem Vorhandenen entstehen laumlsst (Emergenz12) Das daraus entstehende neue
Ganze waumlre bildlich gesprochen demnach mehr als die Summe seiner einzelnen Teile (frei nach Ari-
stoteles) Da es fuumlr menschliches aber auch tierisches Verhalten charakteristisch ist dass aufgrund
von Autonomie Spontanitaumlt entsteht erkennt Bonet darin die systemische Wesensverwandheit von
Spiel und Evolution (vgl Bonet S35ff) Diese Annahme deckt sich insofern auch mit dem Stand-
punkt derzeitiger Evolutionsforschung denn darin bdquowird die Evolution der materiellen und biologi-
schen Welt als einheitlicher Prozess angesehen der nicht determiniert ist und nicht deterministisch
ndash oder im alten Sinne mechanisch ndash ablaumluft Er spieltʻ wie es heiszligt [hellip]ldquo (Miller-Kipp 2005 S
280 Herv i Orig) Daraus folgt dass die bdquonatuumlrliche ndash physikalische und biologische ndash und kultu-
relle Evolution strukturell miteinander gekoppelt [sind] laufen also weder unabhaumlngig voneinander
noch in determinierender Kausalitaumlt zueinander abldquo (ebd Herv i Orig) Das schlieszligt somit das
Spiel des Menschen als bdquoKulturfaktorldquo13 und bdquoUrprinzipldquo (Huizinga) in diesen offenen Prozess ein
denn bdquoes [das Spiel MG] wurzelt in der Natur als der natuumlrlichen (der materiellen und der biologi-
schen) Evolution und traumlgt deren Momente in sich auch im Kulturprozessldquo (Miller-Kipp 2005 S
281) Auf dieser Grundlage wird derzeit die kreative Selbststeuerung auch als ursaumlchlich fuumlr den ge-
waltigen Formen- und Artenreichtum der Natur angesehen (vgl dies S 273-285 vgl dazu auch
Bonet 1993 S 35 ff) Auf das bdquonatuumlrlicheldquo (Kinder)Spiel bezogen bedeutet dies dass auch aus
dem Spiel in seinen Formen und Funktionen heraus Emergenzen entstehen Diese neuen unvorher-
11 Bonet Elfriede Maria Von Autonomie und Spontanitaumlt Eine Naturgeschichte des Spiels In Baatz U Muumlller-Funk W (Hg) Vom Ernst des Spiels uumlber Spiel und Spieltheorie Berlin Dietrich Reimer Verlag 1993 S35- 47
12 bdquoEmergent So bezeichnet man systemische Eigenschaften die nicht aus den Komponenten eines Systems abgelei-tet oder vorhergesagt werden koumlnnen Systeme sind in erster Linie relationale Tatsachen Dinge die auf den Bezie-hungen beruhen welche die Elemente des Systems zueinander einnehmen Als solche besitzen sie Eigenschaftendie gegenuumlber den Eigenschaften ihrer Komponenten oder Elemente emergent sind Nach Luhmann ist das Sozialeeine emergente Eigenschaft und als solches nicht aus den Eigenschaften seiner Elemente der psychischen Systemeableitbar Sozialitaumlt ist eine houmlherstufige Eigenschaft die auf den Beziehungen zwischen Menschen beruht In derBewusstseinsphilosophie behauptet der so genannte Emergentismus die Emergenz von Bewusstsein Hat die Kom-plexitaumlt bestimmter biologischer Systeme einen bestimmten Grad erreicht stehen insbesondere Nervenzellen aufvielfaumlltige Weise miteinander in Beziehung so tritt in der Geschichte der Evolution Bewusstsein als emergente Ei-genschaft dieser biologischen Systeme aufldquo (bdquoemergentldquo In UTB-Online-Woumlrterbuch Philosophie)
13 Huizinga geht davon aus dass Kultur (Sprache Gemeinschaftsleben Brauchtum Essen Sitten Kunst ReligionRechtsleben etc) in Form von Spiel entsteht (vgl Huizinga 2004 S7-13 56-58)
12
sagbaren Erscheinungen (Qualitaumlten) sind so vielfaumlltig dass sie dem von der Natur hervorgebrach-
ten Artenreichtum gleichen und in ihrer Qualitaumlt fuumlr das Individuum die vielfaumlltigsten und komple-
xesten Funktionen und Nutzen bereithalten
Nach meiner Auffassung werden die beschriebenen Wesenszusammenhaumlnge von Spiel und Evoluti-
on besonders in dem Modus von Freiheit als Ambivalenz im Spiel ersichtlich da die grundlegenden
evolutiven Momente naumlmlich Kreativitaumlt Selbstorganisation und Spontanitaumlt auch die wesentlichen
Schaffenskraumlfte menschlichen Handelns und des erlaumluterten Spannungsverhaumlltnisses im Spiel sind
In Anlehnung an Miller-Kippacutes und Bonetacutes Deutungsversuche zum Spiel ist das freie im obigen
Sinne natuumlrliche Kinderspiel als Modus von selbstregulierter Freiheit eine wesensgemaumlszlige kreatuumlrli-
che bdquoTaumltigkeitldquo des Menschen die sich ereignet bzw die geschieht und nicht verrichtet oder erzeugt
werden kann Die diesem bdquoSpielgeschehenldquo (Scheuerl) innewohnenden unverfuumlgbaren wesentli-
chen Momente sind demnach sowohl die Grundbedingung fuumlr das Spiel selbst als auch Vorausset-
zung fuumlr die Vielfaumlltigkeit im Spielprozess Fraglich ist an dieser Stelle ob ein intentional geplantes
Erziehungs- und Bildungsvorhaben diesen Entwicklungsspielraum mit vielfaumlltigsten Erfahrungs-
moumlglichkeiten fuumlr Kinder schuumltzend bereithaumllt Und ob dann das freie natuumlrliche Spiel abgewartet
wird oder ob das (Kinder)Spiel mit funktionalen Absichten durch Paumldagogisierung in das planende
Joch von Erziehungs- und Bildungsbestrebungen eingespannt wird und seine wesentlichen Poten-
ziale damit verspielt werden
15 Das Moment der Geschlossenheit
Die freie Spieltaumltigkeit eines Kindes ist insofern geschlossen als dass die oben genannten Momente
wie einzelne ineinander greifende Glieder eine bdquogeschlossene Ketteldquo bilden muumlssen damit sich
freies bdquonatuumlrlichesldquo Spiel einstellt Die sich daraus bildenden oder aufgenommenen Spiele werden
haumlufig von da an als auftretendes Phaumlnomen augenscheinlich Denn das Spiel beginnt sich als frei
gestaltete Zeit mit seinem entstehenden bdquoKosmosldquo von Regeln Zufaumlllen Absprachen Bedingun-
gen Offenheiten Bestrebungen Kontexten Unverfuumlgbarkeiten Themen etc klar zu definieren und
vom gewoumlhnlichen Leben bdquoabzusetzenldquo Es wird dabei ersichtlich dass freies Spiel seine eigene in-
nere Regelhaftigkeit (im weitesten Sinne) sein bdquoSpielfeldldquo hat und eher als das Gegenteil von Will-
kuumlr oder Anomie anzusehen ist (Vgl Scheuerl 1990 S 91-95)
16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
Das Spiel verfolgt keinen auszligerhalb seiner selbst liegenden Zweck (Zweckfreiheit) und das Spielge-
13
schehen ist eine bdquopendelnde Suchbewegungldquo (Scheuerl Ambivalenz) die bestrebt ist innerhalb ih-
rer konstruierten bdquoScheinweltldquo (Scheuerl Scheinhaftigkeit) endlos in sich selbst zuruumlckzulaufen
um kein Ende zu finden (innere Unendlichkeit) Spielende sind von ihrem lustvollen Erleben im
Spiel voumlllig durchdrungen und gestalten spielend spontan mit groszliger Ernsthaftigkeit und in voumllli-
ger Selbst- und Weltvergessenheit ihr bdquoewigesldquo Spiel Und wie entgegen aller Vergessenheit ist es
dennoch ein Zustand houmlchster Wachheit und Konzentration Spielende sind in jedem gegenwaumlrtigen
Moment voumlllig praumlsent dh im bdquoHier und Jetztldquo aumlhnlich einem meditierenden Menschen Spielende
befinden sich also im Zustand tiefer Kontemplation aber nur im Bezug auf ihr Spiel weshalb sie
auch das eigene Gefuumlhl fuumlr Zeit im Moment des Spielens nicht oder kaum wahrnehmen Spielende
Kinder koumlnnen uumlber Stunden bdquowie gefesseltldquo ihrem Spiel nachgehen ohne dass ihnen die Zeitspan-
ne wirklich bewusst waumlre oder dass es ihnen hinterher moumlglich waumlre den fuumlr das Spiel aufgebrach-
ten Zeitraum zu schaumltzen (Vgl Scheuerl 1990 S 95-96 100-102)
17 Zusammenfassung
Das dieser Arbeit zugrunde liegende Verstaumlndnis des Begriffes bdquofreies Kinderspielldquo kann wie folgt
zusammengefasst werden Freies (Kinder)Spiel wird als ein Geschehen von komplexer geistig-
kreativer Weltzuwendung verstanden das sich innerhalb eines Freiraumes ereignet Einerseits ist
die sich innerhalb dessen ereignende Spieltaumltigkeit frei von Zielen Zwecken oder Nutzen die au-
szligerhalb seiner selbst liegen und andererseits sind die Spielenden innerhalb des Spielzeitraums frei
von ihrer unmittelbaren Lebensfuumlrsorge Als solche freie Zeit gestaltende Taumltigkeit ist das Spielen
fuumlr geistig emotional erlebende Wesen wie den Menschen oder houmlher entwickelte Tiere fuumlr eine
hohe Lebensqualitaumlt innerhalb eines erfuumlllenden Lebens grundlegend Aus diesem Umstand ergibt
sich dass freies natuumlrliches Spiel als grundsaumltzliches Beduumlrfnis angesehen werden kann weshalb
Spielende auch einen Drang (bdquoTriebldquo) zum Spiel aufweisen Doch ist der Charakter dieser
(Spiel)Taumltigkeit an sich von anderer bdquoNaturldquo als gewoumlhnliche Beduumlrfnisse befriedigende
(Trieb)Handlungen Als diese triebhafte Tendenz zum Spiel zielt die Spieltaumltigkeit nicht auf das Be-
duumlrfnis stillende Ende ab sondern auf ihren dauerhaften Fortgang Dieser zirkulaumlre Charakter und
das geistig erfuumlllende Erleben werden dabei durch den Umstand ermoumlglicht dass sich das Spieler-
eignis aufgrund seiner zuvor beschriebenen Autonomie in einem Spannungsverhaumlltnis ereignet Die-
ses ergibt sich zwischen Zufall und Notwendigkeit und wird durch den Spielenden bestaumlndig in
Waage gehalten Dieses selbst initiierte Geschehen reguliert sich somit auf der Handlungsebene
selbst es ist selbstorganisiert Diese Selbststeuerung nutzt Phantasie und Spontanitaumlt als Strategie
weshalb das Spielgeschehen trotz seines zirkulaumlren Charakters als prozessoffen bezeichnet werden
14
kann Besonders das Kinderspiel taucht dazu im gegenwaumlrtigen Spielmoment mit seinen spielenden
Subjekten im besonderen Bewusstsein uumlber seine paradoxe Als-ob-Realitaumlt in ihre eigens gestaltete
geistige Scheinwelt ein Die Spielenden sind waumlhrenddessen voumlllig selbst- und weltvergessen mit
groszliger Ernsthaftigkeit und im groumlszligten Eifer voumlllig in ihr bdquogebanntldquo Fuumlr ein bdquosich Ereignenldquo dieses
beschriebenen spontanen natuumlrlichen Spiels hat es nun als letztes Merkmal noch zur Voraussetzung
dass einzelne Momente nicht fuumlr sich isoliert initiiert oder planmaumlszligig ersetzt weggelassen oauml wer-
den koumlnnen so dass jedes einzelne der sechs Wesensmomente im Spielgeschehen quasi jeweils ein
bdquoGliedldquo in einer ineinander greifenden bdquofunktionalenldquo Kette darstellt ohne dass die Kette nicht
funktionstuumlchtig waumlre und sich freies natuumlrliches Spiel nicht ereignen koumlnnte
Inwiefern sich freies Kinderspiel nach dieser Auffassung im Hessischen Bildungs- und Erziehungs-
plan widerspiegelt soll im folgenden Kapitel untersucht werden
2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
21 Das Spielverstaumlndnis
Im Kapitel bdquoGrundsaumltze und Prinzipienldquo des Hessischen Bildungsplanes kommt dessen bdquoeigenesldquo
Verstaumlndnis zum bdquoKinderspielldquo ebenso zum Ausdruck wie eine Anleitung dazu wie mit dem Spiel-
phaumlnomen planvoll umzugehen ist (vgl Hessisches Sozialministerium Hessisches Kultusministeri-
um (2007) S 30-31) Im Folgenden werden diese Positionen zusammenfassend darstellt und erlaumlu-
tert
Spiel wird darin als Mittel in der ureigenen Ausdrucksform des Kindes angesehen womit es in der
Zeit des Heranwachsens seine Entwicklungsaufgaben und Lebensrealitaumlt bewaumlltigt Nach dieser
Auffassung kennzeichnen das Spiel drei Merkmale Das ist erstens die Zweckfreiheit der Spielhand-
lung die ausschlieszliglich durch das von ihr ausgehende Anregungspotentials ausgefuumlhrt wird Zwei-
tens dass im Spiel eine eigene Realitaumlt konstruiert wird und drittens dass Spielhandlungen wie im
Ritual wiederholt werden Die weitere Betrachtung des Spiels ist dann maszliggeblich auf Zwecke Zie-
le und den Sinn des Spiels im Bezug auf seine Wirkungen beschraumlnkt Somit sollen sich Kinder
zwar bdquoin ihren Spielhandlungen lustvoll versenken und dabei in einen intensiven Austausch mit ih-
rer Umwelt tretenldquo (dies S 30) Dies diene dann aber lediglich der Verarbeitung und Bewaumlltigung
von noch nicht zuordenbaren Erfahrungen (Problemen) Diese vom Kind zu bewaumlltigenden Proble-
me betraumlfen einerseits Entwicklungsthematiken wie bdquodas Ausspielen von Macht und Kontrolle von
Allmachtsphantasien [hellip] oder Herrschaft uumlber Leben und Tod [] sowie der Wunsch nach Heraus-
bildung eines Selbst bzw einer Identitaumltldquo (ebd) und andererseits Beziehungsthematiken zwischen
15
Erwachsenen und Gleichaltrigen
An die Beschreibung der drei Merkmale von Spiel anschlieszligend wird der Lern- und Entwicklungs-
charakter des Spiel dargestellt bdquoFreie Spielprozesse sind immer auch Lernprozesse denn Kinder
lernen zumindest beilaumlufig durch Spielenldquo (ebd)
Weiter heiszligt es im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan dass die Qualitaumlt dieser Lernprozesse
die im freien Kinderspiel stattfinden durch bdquogezielte Unterstuumltzungsmaszlignahmenldquo zu erhoumlhen sei In
dieser Aussage wird deutlich dass das freie Kinderspiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungs-
plan lediglich als Mittel aufgefasst wird welches die Entwicklungs- und Lernprozesse waumlhrend des
Heranwachsens beschleunigend wie ein Motor vorantreiben soll Warum sonst soll die bdquoQualitaumltldquo
des freien Kinderspiels bdquoerhoumlhtldquo werden Kinder sollen in erster Linie nicht spielen um ihrem Be-
duumlrfnis nach Spiel nachzukommen sondern um etwas zu lernen Dies legt den Verdacht nahe dass
das Spielen als solches auch nur aus diesem Grunde naumlmlich weil Kinder im Spiel etwas lernen
dh Kompetenzen erwerben Bestandteil des Bildungsplanes ist
Zusammenfassend kann festgestellt werden dass das Spiel im Hessischen Bildungs- und Erzie-
hungsplan auf eine Art Voruumlbung fuumlr das bdquorichtigeldquo Leben bei gleichzeitiger Lebensbewaumlltigung
verkuumlrzt wird Gleichzeitig findet durch die bdquoAufwertungldquo des freien Spiels zum bdquospielerischen Ler-
nenldquo eine Funktionalisierung und Paumldagogisierung des freien Spiels statt Die dem Spiel von Lern-
und Entwicklungspsychologie attestierten Potenzen (vgl Oerter 2007) sollen fuumlr die Realisierung
der Bildungs- und Erziehungsziele nutzbar gemacht werden dh das Spiel an sich dient vorrangig
dem Erwerb gewisser Kompetenzen und nicht der Erfuumlllung kindlicher Spielbeduumlrfnisse
Im folgenden Abschnitt werden die Hintergruumlnde eines solchen Spielverstaumlndnisses untersucht
Politische Motivationen spielen dabei ebenso eine Rolle wie die sich daraus ergebenden Ziele des
aktuellen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplans
22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
Im Vorwort des Hessischen Bildungs- und Erziehungsplans benennen die ehemaligen Hessischen
Ministerinnen14 fuumlr Kultus Karin Wolf und fuumlr Soziales Silke Lautenschlaumlger das zentrale politi-
sche Ziel naumlmlich die bdquoOptimierung der Bildungschancenldquo und die Entwicklung von bdquoChancen-
gleichheitldquo (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S 18) fuumlr die heranwachsende
Generation Bereits diese Formulierung laumlsst erkennen dass es im Bereich Bildung und Erziehung
politisch gesehen um Effizienz und um einheitliche bdquoQualitaumlts-ldquo und bdquoBildungsstandardsldquo geht die
14 unver uumlbern v aktuellem Kultusminister Herr Lorz von Herr Gruumlttner fuumlr Soziales und Integration
16
auf maximale Leistungen in der nationalen und internationalen Wissenskonkurrenz zielen
Wie ist also bdquoOptimierung der Bildungschancenldquo zu verstehen Konzeptionell ist diese bdquoOptimie-
rung der Bildungschancenldquo darauf angelegt dass bis zum Uumlbergang in die Sekundarstufe die Kin-
dertageseinrichtungen und Grundschulen allen Kindern eines Jahrgangs als Grundlagen die gleichen
bdquoBasiskompetenzenldquo15 vermitteln sollen Das Erreichen dieser bdquoBildungsstandardsldquo bis zur vierten
Klasse sei wiederum die Herstellung von bdquoChancengleichheitldquo so die Schlussfolgerung (vgl dies
S 18)
Dabei besteht die Chance darin dass die Kinder des gesamten Jahrgangs in gleichen Leistungstests
an diesen einheitlichen bdquoBasiskompetenzenldquo in Abhaumlngigkeit gemessen und in Konkurrenz zueinan-
der nach ihren Lernleistungsdifferenzen (Leistungsabstaumlnden) eingeordnet werden koumlnnen (vgl
Nuumlberlin 2002 S 117-127) Die dabei entstehende Jahrgangssortierung dh die Platzierung im
Leistungsvergleich innerhalb eines Jahrganges entscheidet dann daruumlber welche Kinder eine
bdquoChanceldquo auf houmlhere Bildung erhalten und welche nicht welche also das Gymnasium besuchen
duumlrfen und fuumlr welche der Besuch der Realschule vorgesehen ist Somit werden mit dem politischen
Programm bdquoChancengleichheitldquo bzw bdquoOptimierung der Bildungschanceldquo die jungen Generationen
(Kinder und Jugendliche) gemaumlszlig der in der Gesellschaft durchgesetzten Wissenshierarchie bzw Fauml-
higkeitshierarchie kontinuierlich eingeordnet (vgl Nuumlberlin 2002 S 127-129)
Deshalb soll bdquoChancengleichheitldquo auch bdquoBildungschancenldquo eroumlffnen weshalb im Bildungsplan Paumld-
agogen dazu aufgerufen sind die Kinder von fruumlhester Kindheit an individuell zu staumlrken um ihre
unterschiedlichen Voraussetzungen zumindest in gleichen bdquoBasiskompetenzenldquo vermeintlich einan-
der anzugleichen und somit die Vergleichbarkeit in der Notenkonkurrenz chancengleich im Sinne
von voraussetzungsgleich zu gestalten (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S
5-6 und S 17-18) Gerda Nuumlberlin weiszligt darauf hin dass aber diese Voraussetzungsgleichheit die
Institution Schule gerade nicht leistet Und dass Schule statt dessen durch Lernen auf Zeit die Schuuml-
ler innerhalb eines Jahrgangs mit einheitlichen Tests kontinuierlich einem Sortierungsverfahren un-
terzieht das eher gemaumlszlig den Bildungsschichten die Wissensunterschiede der Kinder hervorhebt
und sogar mit produziert statt sie mit dem Ziel der bestmoumlglichen Wissengleichheit zu bdquobeseitigenldquo
(vgl Nuumlberlin 2002 S 104-142)
Die auf gleiche Basiskompetenzen vorbereitenden Lernangebote und Fruumlhfoumlrderungen sollen nach
Aumluszligerung der Ministerinnen im Vorwort intensiver und fruumlher initiiert werden als in den vorange-
gangenen Jahren (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S 5-6) Zur Sicherung
15 bzw auch als bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (vgl dies S 41) bezeichnet daraus resultieren sollen die besonders vonder Wirtschaft geforderten bdquoMetakompetenzenldquo (vgl dies S 17)
17
der bdquoBildungsqualitaumltldquo und Umsetzung einheitlicher Standards soll der Bildungs- und Erziehungs-
plan das institutionenuumlbergreifende Steuerungsinstrument sein (vgl dies S 19) Die Herausgeber
des Bildungsplanes heben in der Einfuumlhrung besonders hervor dass es sich erstmals um einen Bil-
dungs- und Erziehungsplan handelt der durch seine stufenlose Konzeption von 0 bis 10 Jahren ein
kontinuierliches Lernen vorsieht Alle paumldagogisch wirkenden Personen und Institutionen sollen
durch einheitliche Bildungs- und Erziehungsziele moumlglichst an bdquoeinem Strang ziehenldquo koumlnnen (vgl
dies S 5-19)
Leitziel ist es fuumlr das bdquolebenslange Lernenldquo mit dem Erwerb von bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo die
bereits erwaumlhnte gemeinsame Grundlage (bdquoBasiskompetenzenldquo 16) der Kinder zu erzeugen (vgl
dies S 41f)
Veranlasst sehen sich die Ministerien zur bdquoneuenldquo konzeptionellen Bildungssteuerung durch den
tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel der sich von der demografischen Entwicklung uumlber viel-
faumlltige kulturelle Kontexte die Wirtschafts- und Arbeitswelt bis hin zu familialen Wandlungsprozes-
sen vollzieht und generell durch Schnelllebigkeit gekennzeichnet ist und von den Menschen ein ho-
hes Maszlig an Flexibilitaumlt und Mobilitaumlt fordert Hierzu werden auch die Ergebnisse der Schuumllerleis-
tungsvergleiche wie PISA TIMSS oder IGLU und denen entsprechende wissenschaftliche For-
schungsbefunde genannt denen der bdquo(neue) Bildungs- und Erziehungsplanldquo Rechnung tragen
moumlchte (vgl dies S 16-19)
Denn die Platzierung bei national und international vergleichbaren Leistungserhebungen ist letztlich
die Bemessungsgrundlage fuumlr bdquoBildungserfolgldquo oder bdquoBildungsversaumlumnisldquo Die attestierte bdquoBil-
dungsqualitaumltldquo ist deshalb von politischem Interesse weil die Politik die durch ihr Bildungssystem
erreichte Platzierung im vorderen Bereich als Standortfaktor fuumlr ihren Wirtschaftsstandort in
Deutschland nutzen moumlchte um vor allem auf dem globalem Markt konkurrenzfaumlhig zu bleiben
Im Folgenden wird zu zeigen sein ob und inwiefern diese Zielsetzungen mit dem dafuumlr entwickel-
ten Bildungskonzept zur angenommenen Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels fuumlhren
16 Im Einzelnen werden folgende Kompetenzen genannt als Basiskompetenzen werden bdquoindividuumsbezogeneKompetenzenldquo bdquoKompetenzen zum Handeln im sozialen Kontextldquo bdquoLernen und lernmethodische Kompetenzldquo undbdquokompetenter Umgang mit Veraumlnderung und Belastung Widerstandsfaumlhigkeit (Resilienz)ldquo genannt (vgl dies S 25-26 und S 41-44) Zum anderen werden darauf aufbauende konkrete Bildungs- und Erziehungsziele genannt (ent-sprechend der geforderten bdquoMetakompetenzenldquo) bdquostarke Kinderldquo bdquokommunikationsfreudige Kinder und medien-kompetente Kinderldquo bdquoKreative fantasievolle und kuumlnstlerische Kinderldquo bdquoLernende forschende und entdeckungs-freudige Kinderldquo und bdquoverantwortungsvoll und werteorientiert handelnde Kinderldquo (vgl dies S 13)
18
23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Wie kann das politische Ziel naumlmlich alle Kinder mit den gleichen Grundkompetenzen auszustatten
und deren bdquoErfolgldquo mindestens ab der vierten Klasse an regelmaumlszligigen Leistungserhebungen zu be-
messen durch freies Spiel erreicht werden Die Vermittlung bzw der Erwerb standardisierter Inhal-
te (Wissen Faumlhigkeiten Fertigkeiten Kompetenzen) und die Verfuumlgung daruumlber (Pruumlfungstermin)
steht im Widerspruch zum freien Spiel als offenem Prozess den die Spielenden selbst initiieren und
gestalten und bei dem keine Voraussagen daruumlber getroffen werden koumlnnen wann sich welche
Kenntnisse und Fertigkeiten einstellen
Diese erlangt man einerseits durch die Freiheit als Freiraum zum Spiel die eine gewisse Qualitaumlt an
Sorgefreiheit bedingt Zur Sorgefreiheit zaumlhlt beispielsweise auch das Freisein von Lerndruck der
jedoch unter anderem durch festgelegte Leistungserhebungen und Entwicklungsdokumentationen
bei den Kindern erzeugt wird Und andererseits erwirbt man Kenntnisse und Faumlhigkeiten nur dann
wenn das Spiel frei ist wenn es sich also um seiner selbst Willen ereignet und eben nicht bdquokanali -
siertldquo wird es also keinen aumluszligeren Zielen Zwecken oder Absichten unterliegt wie es jedoch bei
festgelegten bdquoBasiskompetenzenldquo (bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo) eines bdquoBildungsstandardsldquo der Fall
waumlre17 Hinzu kommt der weitere Aspekt von Freiheit im Spiel wonach das Spiel ein selbstgesteuer-
ter Prozess mit offenem bdquoAusgangldquo ist dessen Wirkungen eben nicht planbar oder voraussagbar
also nicht standardisierbar und determinierbar sind Diese Qualitaumlt von Freiheit im Spiel ergibt sich
nun aus den unverfuumlgbaren Momenten des freien Spiels wie dem Augenblick der Instabilitaumlt der
Kreativitaumlt und Phantasie der Spontanitaumlt und Unordnung dem Unsinn und Zufall Diese zugleich
auch wesentlichen Antriebskraumlfte des Spiels koumlnnen sich wie bereits im Kapitel bdquo14 Moment der
Ambivalenzldquo (S 11-13) naumlher beschrieben nur in einem Entwicklungsspielraum mit reichhaltigen
Erfahrungsmoumlglichkeiten und mit dem erlaumluterten Spannungsverhaumlltnis ergeben Sie tragen dann
aber auch die unermesslichen Potentiale fuumlr Emergenz mit dem Prinzip des Lebendigen in sich
woraus sich seine Offenheit fuumlr Neues im Sinne der Weiterentwicklung von Leben ergibt
An dieser Stelle moumlchte ich ergaumlnzend zu meiner eher phaumlnomenologischen Wesensauffassung von
freiem Spiel einige Beispiele skizzieren wie sich die Einuumlbung von Kompetenzen durch freies Spiel
aus psychologischer Sicht vollzieht
Die im Hessischen Bildungsplan intentional geplanten Basiskompetenzen und Lernziele wie bei-
spielsweise Kreativitaumlt Abstraktionsvermoumlgen Empathie oder Flexibilitaumlt in Denk- und Vorstel-
17 Vgl dazu Kapitel bdquo11 Das Moment der Freiheitldquo in dieser Arbeit S 7f
19
lungsvermoumlgen ergeben sich im Spiel als bdquoNebeneffektldquo Das Kind vollzieht naumlmlich im Spiel fuumlr
seine Entwicklung entscheidende Bildungsprozesse selbsttaumltig intrinsisch motiviert und in der bdquoDo-
sisldquo die es bedarf Dabei von groszliger Bedeutung ist der vom Kind entwickelte eigene Lernmodus
der sich maszliggeblich an der individuellen Leistungsfaumlhigkeit und den persoumlnlichen Beduumlrfnissen ori-
entiert Hierfuumlr benoumltigt jedes Kind einen eigenen Entwicklungsspielraum
bdquo[Der] sollte Heranwachsenden die vielfaumlltigsten auch selbsttaumltig inszenierten Erfah-rungsraumlume bieten um sich - wie es Johann Heinrich Pestalozzi nannte - an Kopf Herzund Hand bilden zu koumlnnen moumlglichst frei von Furcht und Zwang Sinnesbildung Koumlr-perbildung und geistig-seelische Bildung sollten dabei gleichermaszligen zur Entfaltungkommenldquo (Rittelmeyer 2007 S 7)
So initiieren Kinder beispielsweise in ihren Rollenspielen eigentaumltige Bildungsprozesse indem sie
sich im spontanen Spiel in die Perspektive anderer Menschen versetzen und eigenes Handeln fuumlr
aumlhnliche Lebenssituationen uumlben Oder sie erproben sich im Spiel mit verschiedenen sozialen Rol-
len zB im Rahmen gesellschaftlicher Verhaltensstandards indem ein von Geschichten aufgenom-
menes oder durch elterliche Kommentare an die Kinder herangetragenes Ideal (bdquoTapferkeitldquo bdquoGe-
schwisterliebeldquo bdquoFreundschaftldquo bdquoHilfsbereitschaftldquo etc) mit der persoumlnlichen Wirklichkeit vertraut
gemacht wird Dieses Erproben entspricht zB einer Bewusstseinsbildung im Hinblick auf (solche)
gesellschaftlichen Rollenerwartungen
bdquo[Oder] im Symbolspiel das ein Houmllzchen zur Mutterʻ oder zum Autoʻ werden laumlsstuumlben Kinder die Faumlhigkeit im Hinblick auf gegebene Phaumlnomene verschiedene Per-spektiven entwickeln zu koumlnnen also mit Kreativitaumlt oder Phantasie auf Erscheinungender aumluszligeren Welt zu reagierenldquo (ders S 17)
Es ist schwierig zu sagen welche Kompetenzen genau aus eigentaumltigen Bildungsprozessen im Spiel
entstehen da Resultate aus diesen Erfahrungen wiederum von diversen Faktoren abhaumlngig sind
Maszliggebliche Faktoren sind dabei die uumlberaus verschiedenen biografischen Erfahrungen der Kinder
und dass die letztliche Erfahrungsgewichtung durch ihre Individualitaumlt verschieden zum Tragen
kommt
Da aber jedes Lernen immer individuumsbezogen dh vom Kind abhaumlngig ist hat dieser Umstand
auch fuumlr die geplant-initiierten Lernangebote Geltung sofern derartige von auszligen angestoszligene
Lernangebote uumlberhaupt in den lernenden Kindern auf Resonanz stoszligen
Es duumlrfte kaum anzuzweifeln sein dass wie im Beispiel des spontanen von den Kindern selbst initi-
ierten Rollenspiels Rollenhandeln und soziale Empathie eingeuumlbt und fuumlr eigenes Handeln erprobt
werden Ebenso werden durch Symbol- oder Rollenspiele die Phantasie und Kreativitaumlt vielfaumlltig
angeregt die Beobachtungsgabe und das Vorstellungsvermoumlgen ausgepraumlgt Daraus kann sich wie-
20
derum das Abstraktionsvermoumlgen entwickeln und die Kinder bilden mit zunehmenden Perspekti-
venwechseln eigene Vorstellungen und Uumlberzeugungen aus Indem naumlmlich Spielende in ihre selbst
konstruierte bdquoScheinweltldquo gaumlnzlich bdquoeintauchenldquo nehmen sie auf zuvor vielfaumlltig beobachtete und
erlebte Situationen Bezug Erst spielen sie das Erlebte nach und bdquodurchlebenldquo es dabei spielerisch
immer wieder bis sich ein tiefgruumlndiges Verstaumlndnis uumlber die erlebte Situation gebildet hat Allmaumlh-
lich wird dann durch die eigene Ausgestaltung des Rollen- oder Symbolspiels das wahrgenommene
Phaumlnomen zunehmend abstrahiert und Kinder beginnen vielfaumlltige eigene Vorstellungen dazu zu
entwickeln Freies Spiel entspricht also eigentaumltiger Lebenswelterfahrung und -aneignung und ihr
Bildungsgehalt scheint dabei fast unermesslich groszlig zu sein (vgl ders S 7-17 und S 135-137)
Es wuumlrden sich also durch freies Kinderspiel ganz unterschiedliche und auch bdquoneueldquo Kompetenzen
mit ganz individuellen Auspraumlgungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten bilden Diese Aspekte ma-
chen aber eine vergleichende Leistungserhebung quasi unaussagekraumlftig bzw koumlnnten einen deter-
minierten bdquoBildungsstandardldquo insofern bdquogefaumlhrdenldquo als dass das Spiel als kreative geistig-emotio-
nale Weltzuwendung immer einen offenen bdquoAusgangldquo hat dh nicht vorhersagbar ist Das Zulassen
von freiem Spiel steht somit im Interessenskonflikt mit den oben genannten politischen Absichten
weshalb dem freien Spiel ein generelles Misstrauen gegenuumlber gebracht wird Dies fuumlhrt letztlich
konzeptionell dh durch die Einfuumlhrung und Umsetzung von bdquoBildungsstandardsldquo zur zunehmen-
den Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
Inwiefern die angenommene Verdraumlngung von freiem Kinderspiel auch paumldagogisch motiviert sein
kann soll im folgenden Abschnitt untersucht werden
24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Die Autorinnen und Autoren sehen Kinder einerseits als kompetente selbstbestimmt taumltig werdende
Wesen an und deuten die Bildung und das Lernen zwar als soziale Prozesse die sich im Dialog zwi-
schen Kind und Erwachsenem vollziehen koumlnnen Andererseits verweisen sie aber darauf dass die
Qualitaumlt dieser Prozesse wiederum von auszligen dh von einem Erwachsenen gesteuert und mode-
riert werden sollen (vgl Hessisches Sozialministerium Hessisches Kultusministerium 2007 S 20-
21) Die Steuerung der Bildungs- und Lernprozesse wird versucht zu rechtfertigen indem auf aktu-
elle neurowissenschaftliche Befunde verwiesen wird die dem kindlichen Gehirn ein enormes Ent-
wicklungs- und Lernleistungsvermoumlgen zuschreiben welches wenn es nicht genuumltzt wuumlrde einem
bdquoBildungsversaumlumnisldquo gleichkaumlme und nur schwer wieder aufzuholen sei (vgl dies S 20- 24)
bdquoJe reichhaltiger aumluszligere Lernreize sind desto mehr effiziente neuronale Netzwerke
21
(Synapsen) bilden sich heraus die fuumlr die Verarbeitungskapazitaumlt des Gehirns und seineLernfaumlhigkeit im spaumlteren Leben bedeutsam sind Im Entwicklungsverlauf eines jedenKindes gibt es optimale Zeitraumlume fuumlr grundlegende Lernschritte (zB ZweitspracheRaumorientierung elementares mathematisches Denken Interesse an Naturwissen-schaften aumlsthetisches Verstaumlndnis Entwicklung der Musikalitaumlt) Solche Zeitfenstergibt es auch noch im Laufe der weiteren Bildungsbiografie Dennoch gilt es diese sen-siblen Phasen bereits durch fruumlhe Bildung offensiv zu nutzen [sic] Je solider und brei-ter die Basis aus jener Zeit desto houmlher ist die Wahrscheinlichkeit dass das Kind danachaktiver und leichter lernt Fruumlhe Bildungsversaumlumnisse sind nur schwer aufholbarldquo(dies S 24)
Die programmatische Paumldagogisierung von Spiel die die bdquoGrenzen zwischen der herkoumlmmlichen
Trennung von Freispielprozessen und geplanten Bildungsprozessen zunehmendldquo (dies S 30) ver-
wischen soll ist vor dem Hintergrund Bildung als Produkt einer offensiven Nutzung der sensiblen
Lernzeitfenster anzusehen (vgl dies S 23-24) und wiederum von seiner politischen Motivation
mit dem Wettlauf um Konkurrenzfaumlhigkeit sowie der Weiterfuumlhrung einer in der Gesellschaft durch-
gesetzten und der Wirtschaft dienlichen Wissenshierarchie in Verbindung zu bringen Folglich fuumlhrt
die im Bildungs- und Erziehungsplan programmatisch angewiesene Funktionalisierung des Spiels
zum bdquospielerischen Lernenldquo letztlich paumldagogisch motiviert zur zunehmenden Verdraumlngung des frei-
en (Kinder)Spiels denn dieses wird als zu zeitintensive Taumltigkeit angesehen Freispiel darf zwar
laut Plan auch enthalten sein es bdquomuss jedoch im angemessenen Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlten ste-
henldquo (dies S 31) weshalb es wegen des bdquoLernfensterdrucksldquo (vgl Dies S 23-24) zum bdquospielen-
den Lernenldquo umfunktionalisiert werden soll (vgl dies S 30-31) um wegen seiner bildenden Po-
tenzen dann als Lernbeschleunigung dem Lernziel (bdquoBildungserfolgldquo) dienbar gemacht zu werden
Das Freispiel soll konzeptionell auf zwei Wegen zu bdquospielendem Lernenldquo qualitativ aufgewertet
werden Zum einen indem aus Spielprozessen Projekte hervor gehen mit der Bedingung dass das
Spielgeschehen zunehmend von der Projekttaumltigkeit durchdrungen wird Und zum anderen koumlnnen
bdquo[]im Rahmen von Projekten [hellip] Freispielphasen enthalten sein in denen sich dieKinder weiterhin mit dem Projektthema allein oder mit anderen auseinandersetzen DieQualitaumlt der Freispielprozesse laumlsst sich durch gezielte Unterstuumltzungsmaszlignahmen erhouml-henldquo (dies S 30 Herv MG)
Wenn also Freispielphasen eingeplant werden dann unter der Bedingung dass im bdquoSpielldquo die Pro-
jektthemen wieder aufgegriffen werden In beiden Varianten wird aber die Qualitaumlt des Spiels zu-
mindest im Bezug auf das Erreichen des Lernzieles angezweifelt weshalb ein gezieltes Einwirken
der Paumldagogen kontinuierlich angedacht ist
bdquoDie Houmlhergewichtung des elementaren Bildungsauftrags hat zur Konsequenz dasssich das beilaumlufige Lernen der Kinder im Spiel zum spielerischen Lernen hin entwickeltDem Spiel wird mehr systematische Begleitung und didaktische Aufbereitung
22
zuteilldquo(dies S31 Herv MG)
Das demnach angedachte bdquoFreispielldquo soll folglich auch kein freies natuumlrliches Spielen sein selbst
wenn sich Kinder angetan von den Projektinhalten im freien Spiel beginnen selbsttaumltig im Rah-
men dessen auseinanderzusetzen Solches Geschehen wuumlrde durch paumldagogisches Einwirken auf
das Lernziel hin gelenkte Taumltigkeit werden es soll durch Erwachsene zum bdquospielerischen Lernenldquo
hin entwickelt werden Ebenso kann auch ein anfaumlngliches Spiel nie als solches bestehen bleiben
Die Houmlhergewichtung des institutionellen bdquoBildungsauftragsldquo bewirkt in beiden Faumlllen dass der
scheinbar gewaumlhrte bdquoSpielraumldquo zur zielorientierten Lerntaumltigkeit wird weshalb (freies) Spiel ver-
draumlngt wird und zunehmend in Projekttaumltigkeit muumlndet Erst dann hat Spiel einen qualitativen Nut-
zen im Sinne des Bildungs- und Erziehungsplans Deshalb haben Spielen und Lernen auch nach An-
sicht und Position des Bildungsplanvorhabens in einem besonderen Verhaumlltnis zueinander zu stehen
welches Paumldagogen zu sichern haben
bdquoFreispiel ist wichtig muss jedoch im angemessenem Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlt stehendie die Erwachsenen planen und initiieren[]ldquo (ebd Herv MG)
Denn Lernaktivitaumlt sollte nach Meinung der Autorinnen und Autoren wenn sie vom Kind ausgeht
letztlich durch Erwachsene zielfuumlhrend gelenkt werden
Diese Qualitaumlt steigernden Unterstuumltzungsmaszlignahmen und das angestrebte Verhaumlltnis von Spielen
und Lernen stehen im einzelnen mit den Wesensmomenten des freien Spiels in Widerspruch Im
freien Spiel sind die Spielinhalte die sich spielende Kinder selbst auswaumlhlen vorwiegend alltagsbe-
zogen und als diese individuell meist sehr unterschiedlich Kinder begegnen im Spiel also Themen
die ihr Interesse durch erlebte oder beobachtete Situationen geweckt haben Diese eigens initiierten
Spielideen koumlnnen wie oben skizziert diverse Funktionen (zB bildendes Erproben) als Nebenef-
fekt haben Aber im Sinne des Spiels als bdquofreie Zeitgestaltungldquo draumlngt das Kind eher nach sinnvoll
erfuumllltem Leben durch erstrebtes lustvolles Spielen mit ganzheitlichem Lebensweltbezug als nach
einer von auszligen das Spiel deformierenden oder domestizierenden Systematik und Didaktik Es ist
anzunehmen dass diese fehlende bdquoBe-friedigungldquo des Spielbeduumlrfnisses ihre praumlgenden Anpas-
sungsspuren in den Kindern hinterlaumlsst und sie wahrscheinlich unzufrieden macht Zusaumltzlich duumlrf-
ten diese Umstaumlnde dem Lernen allgemein auch eher abtraumlglich sein
Es besteht also ein ganzheitlicher Bezug zum eigenen Leben wenn durch die Freiheit zum Spiel
ganz individuelle Themen zur Spielidee werden und bdquoihren Laufldquo nehmen Das heiszligt die jeweilige
Initialidee wird im weiteren Spielverlauf staumlndig veraumlndert werden und folgt dabei gerade eben
nicht der bdquoLogikldquo der buumlrgerlichen Erwachsenenwelt Diese bdquoLogikldquo wird aber im Bildungsplan fo-
23
kussiert In ihm ist die Annahme enthalten dass Kinder wie Forscher ihre Umwelt erkunden und
nun im Zuge der Aufwertung des Spiels zum bdquospielerischen Lernenldquo durch paumldagogisches Hinwir-
ken sich das bdquospielendeldquo Kind in reflektierender Betrachtungsweise Kausalzusammenhaumlnge und
Gesetzmaumlszligigkeiten des zu untersuchenden bdquoGegenstandesldquo erschlieszligen bzw davon ableiten soll
(vgl dies S 20 27-28 30-31) Spiel ist aber nur dann Spiel wenn es ein eigenes fortwaumlhrendes
kreatives und spontanes Eingehen auf die Anregungen der aumluszligeren Spielszenerie ermoumlglicht (vgl
Kapitel bdquo14 Das Moment der Ambivalenzldquo S 11ff sowie Rittelmeyer 2007 S 136) Innerhalb
dessen orientiert sich die Spiel gestaltende Taumltigkeit des Kindes hauptsaumlchlich an den eigenen Be-
duumlrfnissen und nicht an Vorgaben von auszligen Deswegen kann auch nicht alles Spiel sein das waumlre
Willkuumlr und nicht Geschlossenheit (vgl Kapitel bdquo15 das Moment der inneren Geschlossenheitldquo S
13) Und um seiner inneren Zweckmaumlszligigkeit moumlglichst dienlich zu sein bleibt es auch stets unver-
fuumlgbar Darin gibt es keine absolute Eindeutigkeit (zB ein Lernziel) mit zielgerichtetem Streben
nach zukuumlnftiger Befriedigung Spiel ist jetzt ist gegenwaumlrtig angestrebtes erfuumlllendes Erleben von
frei gestalteter Zeit Nur so koumlnnen sich alle weiteren Wesensmomente und ihre ua auch hoch ef-
fektiv bildenden Potenziale ergeben und individuell entfalten Solches Spiel waumlre aber von Vielfalt
Spontanitaumlt Uumlberfluss Instabilitaumlt Kreativitaumlt oder auch vom ihm eigenen Unsinn gepraumlgt Sicher-
lich erschlieszligen sich dem Kind dabei diverse Kausalzusammenhaumlnge und aus Einzelphaumlnomenen
wird es ableitend Gesetzmaumlszligigkeiten erfahren die sich in diesem informellen Lernprozess dann als
Wissen Kenntnisse Fertigkeiten oder auch Kompetenzen verinnerlichen Aber diese (Neben)Effek-
te wuumlrden nie zielfuumlhrend oder leitend das Spielgeschehen formen bzw antreiben
Dem natuumlrlichen freien Spiel steht das bdquospielerische Lernenldquo auch im Bezug auf die im Spiel er-
schaffene Phantasiewelt (vgl Kapitel bdquo13 Das Moment der Scheinhaftigkeitldquo S 10) entgegen
Denn diese zeichnet sich gerade dadurch aus dass sie sich von den bdquoObjektenldquo der Umwelt loumlst
vom Faktischen enthoben ist und durch Phantasie zu bdquoNeuemldquo zu Symbolischem werden laumlsst Und
somit das symbolische bdquoAls-obldquo Spielgeschehen ermoumlglicht Das Spiel wuumlrde sich also notwendi-
gerweise von der Projekttaumltigkeit oder ihren faktischen Inhalten loumlsen muumlssen um sich in dieser
Phantasiewelt mit seiner Spielhandlung zwischen Zufaumllligem und Notwendigem bewegen zu koumln-
nen Mit der daraus entstehenden Gegenwaumlrtigkeit schloumlssen sich alle weiteren Momente zu ihrer
bdquofunktionalenldquo Kette zusammen Auch der zeitliche Rahmen in dem sich das freie Spiel nun bewe-
gen wuumlrde ist unvorhersehbar Es ist also wahrscheinlich dass das Spielgeschehen uumlber den von
Erziehern eingeplanten bdquoFreispielzeitraumldquo hinweg andauern koumlnnte und deshalb von auszligen durch
die Paumldagogen abgebrochen werden wuumlrde Der bdquoinneren Unendlichkeitldquo des Spiels wuumlrde dies so-
mit ein abruptes Ende bereiten Dem zirkulaumlrem Charakter des Spiels steht noch ein weiterer Aspekt
24
entgegen Naumlmlich dass die Wiederholungen der Spielhandlung nicht aus systematischer oder di-
daktischen bdquoAufbereitungldquo erzeugt werden koumlnnen sondern dass sie wie Rolf Oerter in bdquoZur Psy-
chlogie des Spielsldquo beschreibt mit lustvollem Erleben in Verbindung zu bringen sind und demnach
eher dem Lustprinzip folgen als dem rationellem Realitaumltsprinzip (vgl Oerter 2007 S 9 12 14f
18-21)
Einzelne Momente fuumlr bdquospielerisches Lernenldquo zu erzeugen bzw sie diesbezuumlglich abzuwandeln
kann also nicht mehr mit dem natuumlrlichen freiem Spiel in Verbindung gebracht geschweige denn
damit gleichgesetzt werden Das daraus resultierende bdquoSpielenldquo kann demnach auch nicht dem Be-
duumlrfnis oder Drang nach Spiel entsprechen welches Kinder ganz offenkundig haben Das Spiel im
Sinne des Bildungsplanes gleicht in seiner angedachten Form eher bdquodomestiziertenldquo Spiels das in
einzelne Wesensmomente zerrissen ist um als didaktische bdquoListldquo geplant initiiert zu werden Somit
wird durch die verkuumlrzte Auffassung von Spiel als Mittel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo bei
gleichzeitiger Verkuumlrzung echter Spielzeit die zunehmende Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels
im Bildungsplan programmatisch angegangen bzw angeordnet wodurch die dieser Arbeit zugrunde
liegende Annahme bestaumltigt wird
3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
Die Reformpaumldagogik hat zB durch Ellen Key Johann Heinrich Pestalozzi oder Maria Monterssori
Konzepte wie Jena-Plan das der Sudberry Valley School oder der Freien Demokratischen Schulen
inspiriert Innerhalb deren Konzeptionen findet auch die kindliche Lebenswelt ohne sie romantisch
zu verklaumlren ihren anerkennenden Platz und wird als vollwertiger Lebensabschnitt beachtet Ihre
aumlhnlichen Bildungsansaumltze enthalten vielfaumlltigste Anreize und Formen vernuumlnftiger Bildungsideen
mit ganzheitlichem Menschenbild und echtem Lebensweltbezug Das bedeutet auch fuumlr eine Institu-
tion um mit Ellen Key zu sprechen Bildung vom Kind aus zu denken
Exemplarisch moumlchte ich im Folgenden diese Bildungsvorhaben und ihre fuumlr die Kinder bereiteten
Entwicklungsspielraumlume an Hand der Freien Demokratischen Schulen skizzieren Der Ausgangs-
punkt dieser Schulen ist der Kerngedanke dass sich durch Eigeninitiative selbstverantwortete Bil-
dung und freies Spiel nicht abstoszligend gegenuumlber stehen sondern dass beide den Beduumlrfnissen des
Kindes entspringen und das Kind deshalb je nach seiner Beduumlrfnislage seine Aktivitaumlten diesbezuumlg-
lich selbstorganisiert Zwar sind auch Freie Demokratische Schulen als Institution leider kein wirk-
licher bdquoorganischerldquo Teil der Lebenswelt von Kindern sondern immer nur von auszligen angebotene in-
tentionale Konstrukte die aber in diesem Fall den individuellen Entwicklungsspielraum der Kinder
25
versuchen zu schuumltzen bzw bereitzuhalten Somit wird jedem Kind sein eigener Freiraum der ihm
spontanes freies Spiel ermoumlglicht bereitet ohne es in irgendeiner Form zu verzwecken oder zu ka-
nalisieren Einige Konzepte solcher Schulen greifen auch die Kindheit als gesellschaftlichen Status
hervorbringende Begebenheit auf naumlmlich dass durch die alltaumlgliche Erwerbstaumltigkeit der Erwach-
senen die Kindheit entsteht und zwar als davon getrennter Lebensbereich Verschiedene Versuche
zB durch (Land)Schulheime oder selbst initiierten Lernvereinbarungen zielen darauf ab die ge-
trennten Lebensrealitaumlten von Kindern und Erwachsenen wieder mehr zur Uumlberschneidung zu brin-
gen Die daraus entstehenden freiwilligen Erfahrungspartnerschaften werden eigenverantwortlich
von den Beteiligten (Schuumller und Lehrer) nach ihren Beduumlrfnissen Vorstellungen und Wuumlnschen
gemeinsam gestaltet Es kann also keinen einheitlichen Lehrplan geben und es kann auch keinen
bdquoMethodenkofferldquo als Handreichung des Ministeriums geben der Anwendung finden soll Aber
falls es von den Schuumllern gewuumlnscht wird bzw falls es von ihnen als vernuumlnftig fuumlr die Umsetzung
des Vorhabens angesehen wird kann sich der Lehrer sinnvollerweise durch methodische oder di-
daktische bzw besser mathetische Aufbereitung unterstuumltzend einbringen Die Schuumller entwickeln
also selbst wie sie lernen und was sie lernen Dabei treffen sie nicht maszliggeblich ihre Auswahl aus
bereits bestehenden Angeboten sondern sie koumlnnen ihre Beschaumlftigungs- bzw Lerngebiete voumlllig
frei waumlhlen und initiieren Jede Beschaumlftigung wird dabei als wertvoll und lehrreich erachtet sei es
das Lesen das Experimentieren das freie Spielen oder das Teilnehmen an einem Unterrichtskurs
Die Schuumller entscheiden auch wann sie lernen Sie legen damit den gesamten zeitlichen Rahmen
fest innerhalb dessen sie sich mit ihrem eigenem Lerngebiet beschaumlftigen wollen Dies betrifft die
Tageszeit und den Gesamtzeitraum der Taumltigkeit aber vor allem auch das Alter in dem sie sich ent-
schlieszligen sich mit einer Thematik zu befassen So entschlieszligt sich zB ein neunjaumlhriges Kind Lesen
zu lernen wo ein fuumlnfjaumlhriges bereits damit begonnen hat Dabei waumlre es nicht ungewoumlhnlich dass
diese beiden Leseinteressierten sich zusammenschlieszligen und eine Lerngruppe initiieren um sich
gemeinsam dem Lesen lernen zu widmen Auch liegt es in der Verantwortung der Kinder wie inten-
siv sie sich mit dem gewaumlhlten Thema auseinandersetzen wollen Um all dies zu planen und umset-
zen zu koumlnnen sind die Lehrer wie beratende Helfer kontinuierlich fuumlr die Kinder da und die Kin-
der sind sich nie selbst uumlberlassen Somit schafft das Vertrauen der Lehrer in die Schuumller Vertrauens-
wuumlrdigkeit und die Kinder koumlnnen sich sicher und geborgen fuumlhlen um sich moumlglichst ohne Angst
in dieser Freiheit ganz nach ihren Beduumlrfnissen der Welt zuzuwenden Diesen Freiraum zum Entde-
cken und Spielen bezeichnen die Sudberry- bzw die Demokratischen Schulen als Lernfreiheit und
er ist eine der beiden Grundsaumlulen des Bildungskonzepts Die zweite Saumlule ist von organisatorischer
Natur und konstatiert den Lernort als egalitaumlres System in dem Schuumller und Lehrer in verschiede-
nen Gremien Komitees und Aumlmtern gleiche Einflussmoumlglichkeiten Pflichten sowie Rechte besit-
26
zen (vgl Schiffner 2007 S 8-15)
Peter Gray emeritierter Professor fuumlr Psychologie des Boston College erklaumlrte in einem Vortrag in
Berlin 3122012 die Grundlagen dieses bdquoErziehungsldquo Ansatzes18 Er nennt ihn Vertrauensvolle Er-
ziehung (Trustful Parenting) bdquoVertrauensvolle Erziehung basiert auf der Annahme dass Kinder von
Natur aus widerstandsfaumlhig kompetent sozial und selbstgesteuert sindldquo (Gray 2012 S 1) Daraus
ergibt sich dass Kinder ihrem Beduumlrfnis nach selbst entscheidend entdecken und spielen Es obliegt
ihrer Entscheidung Risiken einzugehen und dabei auch evtl eigene Fehler zu machen Entwick-
lungsvergleiche (auch keine Lernleistungsvergleiche) liegen dieser Ansicht fern Erziehung versucht
demnach Entwicklung nicht zu lenken sondern zu unterstuumltzen sodass Kinder ihre eigenen Ziele
verwirklichen koumlnnen Sie entwickeln dabei Eigeninitiative und uumlbernehmen Selbstverantwortung
in der Gemeinschaft Die Erwachsenen stellen dazu lediglich den aumluszligeren bdquoRahmenldquo her der fuumlr ein
gesundes Heranwachsen erforderlich ist (vgl Grey 2012 S1 ff) Deshalb ist dieser Ansatz auch
nicht als eine vernachlaumlssigende Haltung zum Kind anzusehen sondern ganz im Gegenteil die
bdquoErziehendenldquo senden den Kindern folgende Botschaft
bdquoDu bist kompetent Du hast Augen und ein Gehirn und du bist in der Lage Dinge her-auszufinden Du kennst deine eigenen Faumlhigkeiten und Grenzen Durch Spielen und Er-forschen wirst du dir aneignen was du wissen musst Deine Beduumlrfnisse werden gewuumlr-digt Deine Meinung zaumlhlt Du bist fuumlr deine Fehler selbst verantwortlich und man kanndarauf vertrauen dass du aus ihnen lernst Das Sozialleben zeichnet sich nicht durchWillenskaumlmpfe aus sondern vielmehr dadurch einander so beizustehen dass alle dasbekommen was sie brauchen und sich am meisten wuumlnschen Wir sind auf deiner Seitenicht gegen dichldquo (ders S1)
Interessant finde ich Peter Grays historischen Bezug den er zur Vertrauensvollen Erziehung her-
stellt Er belegt naumlmlich mit verschiedenen wissenschaftlichen Studien zu Jaumlger- und Sammlerkultu-
ren dass dieser Erziehungsstil bis zum Einsetzen der Landwirtschaft (vor ca 10000 Jahren in Asi-
en) der vorherrschende war und dass die Menschheit zu 99 Prozent ihrer gesamten Geschichte (ca 1
Millionen Jahre) Jaumlger und Sammler waren (vgl ders S 1-3)
4 Zusammenfassende Gedanken
Die anfaumlngliche Spielbegriffseingrenzung im ersten Teil dieser Arbeit verdeutlichte dass das Spiel
nicht nur von elementarer Bedeutung fuumlr ein gesundes Aufwachsen fuumlr Koumlrper und Psyche der Kin-
der ist obwohl das freie (Kinder)Spiel die dafuumlr wohl geeignetste Lebenstaumltigkeit darstellt Dem
18 Vgl Gray Peter (2012) Trustful Parenting May Require an Alternative to Conventional Schooling (Vertrauensvol-le Erziehung macht unter Umstaumlnden eine Alternative zum konventionellen Schulsystem noumltig) httpwwwting-schuledeindex_htm_filesPeter20Gray20_20Trustful20parentingpdf (Zugriff 260315)
27
natuumlrlichen (Kinder)Spiel als geistig-kreative Weltzuwendung liegen viel urspruumlnglichere Wurzeln
zu Grunde weshalb sich durch freies Spiel die Sinne der Koumlrper und auch der Geist als bdquoNebenef-
fektldquo beilaumlufig bilden und entwickeln Naumlmlich wie das bdquoMenschsein kein Zweck etwa des Lebens
sondern das Leben selbst istldquo (Kamper 1976 S 141) ist das (Kinder)Spiel auch kein findiger
Zweck des Lebendigen sondern gelebte Lebendigkeit und damit zwecklos (vgl ebd) bdquoDarauf und
nur darauf bezieht sich Schillers Wort dass der Mensch nur spielt wo er in voller Bedeutung des
Wortes Mensch ist und nur da ganz Mensch ist wo er spieltldquo (ebd) Somit stellt das Spiel das Prin-
zip des Lebendigen dar dies herauszuarbeiten und phaumlnomenologisch be-greifbar zu machen war
Ziel des ersten Teils dieser Arbeit Ich beabsichtigte darin ein Verstaumlndnis dafuumlr zu bilden dass das
(Kinder)Spiel als Modus von Freiheit im bdquoSpannungsfeld Lebenldquo die Wesenskraumlfte der Evolution
den Zufall die Spontanitaumlt und die Kreativitaumlt als eigene Triebkraumlfte in sich traumlgt und im freien
selbst initiierten Spielgeschehen zur Entfaltung bringt Als dieses Urprinzip ist das freie natuumlrliche
Spiel dem Menschen - homo ludens - und deshalb auch den Kindern ein Beduumlrfnis Deshalb fuumlhrt
durch Spiel gestaltete Zeit als erstrebte wesensgemaumlszlige Taumltigkeit zu Lebenszufriedenheit Und nur
dann traumlgt es seine Potenziale der Sinnesbildung Koumlrperbildung und geistig-seelischen Bildung so-
wie die Moumlglichkeit unvorhersehbarer Emergenzen in sich Und als solcher freier Ausdruck von Le-
bendigkeit ist deshalb Spiel fuumlr ein Kind innerhalb eines erfuumlllten Daseins grundlegend und zu ach-
ten bzw anzuerkennen
Im zweiten Teil wurde einsteigend die im derzeitigen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
vertretene Auffassung von Spiel erlaumlutert und der Plan wurde auf seine moumlgliche politisch- und paumld-
agogisch motivierte Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel untersucht Es konnte dargelegt werden
dass der Spiel(zeit)raum aufgrund des Interessengegensatzes von Kind und Staat kontinuierlich ein-
gekuumlrzt wird und zur zunehmenden Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel fuumlhrt um die politischen
Programme bdquoVerbesserung der Bildungschancenldquo und bdquoChancengleichheitldquo durchzusetzen Die da-
mit verwirklichten politischen Ziele und die Umsetzung einheitlicher Bildungsstandards haben da-
bei einerseits den Zweck die fuumlr die Wirtschaft dienliche und in der Gesellschaft mit Schule durch-
gesetzte Wissenshierachie fortzufuumlhren Und andererseits sollen diese Jahrgangssortierungen durch
internationale Tests wie PISA uauml als Standortfaktor im Wettkampf um Konkurrenzfaumlhigkeit auf ei-
nem globalisierten Markt Wirtschaftsstandort sichernd eingesetzt werden
Die Annahme dass es durch die Einuumlbung von vermeintlichen also dem Zeitgeist entsprechenden
bdquoGrundkompetenzenldquo bzw bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (als Bildungsstandards) zur zunehmenden
Verdraumlngung von freiem Spiel kommt konnte dadurch bestaumlrkt werden dass auf Grundlage eines
verkuumlrzten Spielbegriffes das freie (Kinder)Spiel durch paumldagogisches Einwirken in bdquospielerisches
28
Lernenldquo umfunktionalisiert und dadurch echte Spielzeit zunehmend eingekuumlrzt wird Der Zweck ist
dabei das (Kinder)Spiel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo als bdquoLernmotorldquo der Kinder innerhalb
des bdquoLernfensterdrucksldquo dem Lehrapparat dienstbar zu machen
Im dritten Teil dieser Arbeit wurde anhand der Demokratischen Schulen kurz skizziert wie institu-
tionelle Bildung die freies Spielen wirklich gewaumlhrleistet gelingen kann Leider stehen die Schulen
in freier Traumlgerschaft zu denen die Freien Demokratischen Schulen zaumlhlen in Deutschland vor be-
sonderen behoumlrdlichen Genehmigungsbarrieren und unzureichender oumlffentlicher Finanzierung was
ihre Realisierung maszliggeblich erschwert oder ganz verhindert Auch darin kann eine Verdraumlngung
bzw Verhinderung des freien Spiels gesehen werden
Die Verdraumlngung des freien Kinderspiels ist aus zweierlei Gruumlnden nicht gut zu heiszligen ja sogar ab-
zulehnen ist Erstens ist die im Spiel als Nebenerscheinung enthaltene Einuumlbung von Grund-
kompetenzen von groumlszligter Komplexitaumlt und Vielfalt die selbst neue nicht vorhersagbare Qualitaumlten
hervorbringt die mit den Triebkraumlften der Evolution in Verbindung zu bringen sind (Emergenz)
Deshalb ist es fuumlr einen ganzheitlichen Entwicklungsspielraum der Kinder und im Sinne der Evolu-
tion unvernuumlnftig das Spiel wie im Bildungsplan beschrieben bdquoqualitativ aufzuwertenldquo um ver-
meintliche fuumlr das derzeitige Leben als unverzichtbar angenommene bdquoGrundkompetenzenldquo durch
bdquospielerisches Lernenldquo einzuuumlben Und zweitens ist das Spiel als kreative geistig-emotionale Welt-
zuwendung und damit als wesensgemaumlszlige kreatuumlrliche Taumltigkeit des Menschen den Kindern ein Be-
duumlrfnis und grundlegend fuumlr ihr gesundes Aufwachsen und Lebensgeborgenheit (Lebenszufrieden-
heit) in einem sie wahrhaft erfuumlllenden menschlichen Dasein
Bedenke ich nun die Lebenszeit die auch meine Kinder teilweise schon vor dem ersten Lebensjahr
mit haumlufig acht Stunden taumlglich in Kindertageseinrichtungen (leider nicht in einer Freien Demokra-
tischen Schule mit Primarbereich) verbrachten derzeit verbringen und spaumlter in der Schule bis min-
destens zur Erfuumlllung der Schulpflicht mit etwa 15 Jahren in der Schule verbringen muumlssen bin ich
erschrocken-besorgt und wuumltend wie dem Phaumlnomen des freien natuumlrlichen Kinderspiels und der
Bildung insgesamt im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan begegnet wird Bildung als vorran-
gig politisch-oumlkonomisches Arrangement zu sehen darin das Spiel als List zu benutzen um standar-
disiertes Lernen zu erzielen echte Spielzeit zunehmend zu verkuumlrzen ndash dieses planvolle Vorgehen
der Politik und der beteiligten Paumldagogen stellt eine Missachtung der ihnen anvertrauten Kinder mit
ihren individuellen Wuumlnschen Vorstellungen Beduumlrfnissen und ihrer ganz persoumlnlichen Lebenswelt
dar und ist ein lebensentfremdendes Vorhaben das junge Menschen von einem sie erfuumlllenden gu-
ten Leben trennt
29
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31
Eidesstattliche Erklaumlrung
Ich erklaumlre hiermit an Eides Statt durch eigenhaumlndige Unterschrift dass ich die vorliegende Arbeit
selbstaumlndig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe die aus
fremden Quellen (einschlieszliglich elektronischer Quellen und dem Internet) direkt oder indirekt uumlber-
nommenen Gedanken sind ausnahmslos als solche kenntlich gemacht
Ich weiszlig dass bei Abgabe einer falschen Versicherung die Arbeit als nicht bestanden zu gelten hat
Herold 10042015
32
- Die zunehmende Verdraumlngung des freien Kinderspiels
- im Hessischen Bildungsplan
- Einleitung
- 1 Freies Kinderspiel - Wesensmerkmale
-
- 11 Das Moment der Freiheit
- 12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
- 13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
- 14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
- 15 Das Moment der Geschlossenheit
- 16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
- 17 Zusammenfassung
-
- 2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
-
- 21 Das Spielverstaumlndnis
- 22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
- 23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
- 24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
-
- 3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
- 4 Zusammenfassende Gedanken
- Literaturverzeichnis
- Internetquellen
-
sagbaren Erscheinungen (Qualitaumlten) sind so vielfaumlltig dass sie dem von der Natur hervorgebrach-
ten Artenreichtum gleichen und in ihrer Qualitaumlt fuumlr das Individuum die vielfaumlltigsten und komple-
xesten Funktionen und Nutzen bereithalten
Nach meiner Auffassung werden die beschriebenen Wesenszusammenhaumlnge von Spiel und Evoluti-
on besonders in dem Modus von Freiheit als Ambivalenz im Spiel ersichtlich da die grundlegenden
evolutiven Momente naumlmlich Kreativitaumlt Selbstorganisation und Spontanitaumlt auch die wesentlichen
Schaffenskraumlfte menschlichen Handelns und des erlaumluterten Spannungsverhaumlltnisses im Spiel sind
In Anlehnung an Miller-Kippacutes und Bonetacutes Deutungsversuche zum Spiel ist das freie im obigen
Sinne natuumlrliche Kinderspiel als Modus von selbstregulierter Freiheit eine wesensgemaumlszlige kreatuumlrli-
che bdquoTaumltigkeitldquo des Menschen die sich ereignet bzw die geschieht und nicht verrichtet oder erzeugt
werden kann Die diesem bdquoSpielgeschehenldquo (Scheuerl) innewohnenden unverfuumlgbaren wesentli-
chen Momente sind demnach sowohl die Grundbedingung fuumlr das Spiel selbst als auch Vorausset-
zung fuumlr die Vielfaumlltigkeit im Spielprozess Fraglich ist an dieser Stelle ob ein intentional geplantes
Erziehungs- und Bildungsvorhaben diesen Entwicklungsspielraum mit vielfaumlltigsten Erfahrungs-
moumlglichkeiten fuumlr Kinder schuumltzend bereithaumllt Und ob dann das freie natuumlrliche Spiel abgewartet
wird oder ob das (Kinder)Spiel mit funktionalen Absichten durch Paumldagogisierung in das planende
Joch von Erziehungs- und Bildungsbestrebungen eingespannt wird und seine wesentlichen Poten-
ziale damit verspielt werden
15 Das Moment der Geschlossenheit
Die freie Spieltaumltigkeit eines Kindes ist insofern geschlossen als dass die oben genannten Momente
wie einzelne ineinander greifende Glieder eine bdquogeschlossene Ketteldquo bilden muumlssen damit sich
freies bdquonatuumlrlichesldquo Spiel einstellt Die sich daraus bildenden oder aufgenommenen Spiele werden
haumlufig von da an als auftretendes Phaumlnomen augenscheinlich Denn das Spiel beginnt sich als frei
gestaltete Zeit mit seinem entstehenden bdquoKosmosldquo von Regeln Zufaumlllen Absprachen Bedingun-
gen Offenheiten Bestrebungen Kontexten Unverfuumlgbarkeiten Themen etc klar zu definieren und
vom gewoumlhnlichen Leben bdquoabzusetzenldquo Es wird dabei ersichtlich dass freies Spiel seine eigene in-
nere Regelhaftigkeit (im weitesten Sinne) sein bdquoSpielfeldldquo hat und eher als das Gegenteil von Will-
kuumlr oder Anomie anzusehen ist (Vgl Scheuerl 1990 S 91-95)
16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
Das Spiel verfolgt keinen auszligerhalb seiner selbst liegenden Zweck (Zweckfreiheit) und das Spielge-
13
schehen ist eine bdquopendelnde Suchbewegungldquo (Scheuerl Ambivalenz) die bestrebt ist innerhalb ih-
rer konstruierten bdquoScheinweltldquo (Scheuerl Scheinhaftigkeit) endlos in sich selbst zuruumlckzulaufen
um kein Ende zu finden (innere Unendlichkeit) Spielende sind von ihrem lustvollen Erleben im
Spiel voumlllig durchdrungen und gestalten spielend spontan mit groszliger Ernsthaftigkeit und in voumllli-
ger Selbst- und Weltvergessenheit ihr bdquoewigesldquo Spiel Und wie entgegen aller Vergessenheit ist es
dennoch ein Zustand houmlchster Wachheit und Konzentration Spielende sind in jedem gegenwaumlrtigen
Moment voumlllig praumlsent dh im bdquoHier und Jetztldquo aumlhnlich einem meditierenden Menschen Spielende
befinden sich also im Zustand tiefer Kontemplation aber nur im Bezug auf ihr Spiel weshalb sie
auch das eigene Gefuumlhl fuumlr Zeit im Moment des Spielens nicht oder kaum wahrnehmen Spielende
Kinder koumlnnen uumlber Stunden bdquowie gefesseltldquo ihrem Spiel nachgehen ohne dass ihnen die Zeitspan-
ne wirklich bewusst waumlre oder dass es ihnen hinterher moumlglich waumlre den fuumlr das Spiel aufgebrach-
ten Zeitraum zu schaumltzen (Vgl Scheuerl 1990 S 95-96 100-102)
17 Zusammenfassung
Das dieser Arbeit zugrunde liegende Verstaumlndnis des Begriffes bdquofreies Kinderspielldquo kann wie folgt
zusammengefasst werden Freies (Kinder)Spiel wird als ein Geschehen von komplexer geistig-
kreativer Weltzuwendung verstanden das sich innerhalb eines Freiraumes ereignet Einerseits ist
die sich innerhalb dessen ereignende Spieltaumltigkeit frei von Zielen Zwecken oder Nutzen die au-
szligerhalb seiner selbst liegen und andererseits sind die Spielenden innerhalb des Spielzeitraums frei
von ihrer unmittelbaren Lebensfuumlrsorge Als solche freie Zeit gestaltende Taumltigkeit ist das Spielen
fuumlr geistig emotional erlebende Wesen wie den Menschen oder houmlher entwickelte Tiere fuumlr eine
hohe Lebensqualitaumlt innerhalb eines erfuumlllenden Lebens grundlegend Aus diesem Umstand ergibt
sich dass freies natuumlrliches Spiel als grundsaumltzliches Beduumlrfnis angesehen werden kann weshalb
Spielende auch einen Drang (bdquoTriebldquo) zum Spiel aufweisen Doch ist der Charakter dieser
(Spiel)Taumltigkeit an sich von anderer bdquoNaturldquo als gewoumlhnliche Beduumlrfnisse befriedigende
(Trieb)Handlungen Als diese triebhafte Tendenz zum Spiel zielt die Spieltaumltigkeit nicht auf das Be-
duumlrfnis stillende Ende ab sondern auf ihren dauerhaften Fortgang Dieser zirkulaumlre Charakter und
das geistig erfuumlllende Erleben werden dabei durch den Umstand ermoumlglicht dass sich das Spieler-
eignis aufgrund seiner zuvor beschriebenen Autonomie in einem Spannungsverhaumlltnis ereignet Die-
ses ergibt sich zwischen Zufall und Notwendigkeit und wird durch den Spielenden bestaumlndig in
Waage gehalten Dieses selbst initiierte Geschehen reguliert sich somit auf der Handlungsebene
selbst es ist selbstorganisiert Diese Selbststeuerung nutzt Phantasie und Spontanitaumlt als Strategie
weshalb das Spielgeschehen trotz seines zirkulaumlren Charakters als prozessoffen bezeichnet werden
14
kann Besonders das Kinderspiel taucht dazu im gegenwaumlrtigen Spielmoment mit seinen spielenden
Subjekten im besonderen Bewusstsein uumlber seine paradoxe Als-ob-Realitaumlt in ihre eigens gestaltete
geistige Scheinwelt ein Die Spielenden sind waumlhrenddessen voumlllig selbst- und weltvergessen mit
groszliger Ernsthaftigkeit und im groumlszligten Eifer voumlllig in ihr bdquogebanntldquo Fuumlr ein bdquosich Ereignenldquo dieses
beschriebenen spontanen natuumlrlichen Spiels hat es nun als letztes Merkmal noch zur Voraussetzung
dass einzelne Momente nicht fuumlr sich isoliert initiiert oder planmaumlszligig ersetzt weggelassen oauml wer-
den koumlnnen so dass jedes einzelne der sechs Wesensmomente im Spielgeschehen quasi jeweils ein
bdquoGliedldquo in einer ineinander greifenden bdquofunktionalenldquo Kette darstellt ohne dass die Kette nicht
funktionstuumlchtig waumlre und sich freies natuumlrliches Spiel nicht ereignen koumlnnte
Inwiefern sich freies Kinderspiel nach dieser Auffassung im Hessischen Bildungs- und Erziehungs-
plan widerspiegelt soll im folgenden Kapitel untersucht werden
2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
21 Das Spielverstaumlndnis
Im Kapitel bdquoGrundsaumltze und Prinzipienldquo des Hessischen Bildungsplanes kommt dessen bdquoeigenesldquo
Verstaumlndnis zum bdquoKinderspielldquo ebenso zum Ausdruck wie eine Anleitung dazu wie mit dem Spiel-
phaumlnomen planvoll umzugehen ist (vgl Hessisches Sozialministerium Hessisches Kultusministeri-
um (2007) S 30-31) Im Folgenden werden diese Positionen zusammenfassend darstellt und erlaumlu-
tert
Spiel wird darin als Mittel in der ureigenen Ausdrucksform des Kindes angesehen womit es in der
Zeit des Heranwachsens seine Entwicklungsaufgaben und Lebensrealitaumlt bewaumlltigt Nach dieser
Auffassung kennzeichnen das Spiel drei Merkmale Das ist erstens die Zweckfreiheit der Spielhand-
lung die ausschlieszliglich durch das von ihr ausgehende Anregungspotentials ausgefuumlhrt wird Zwei-
tens dass im Spiel eine eigene Realitaumlt konstruiert wird und drittens dass Spielhandlungen wie im
Ritual wiederholt werden Die weitere Betrachtung des Spiels ist dann maszliggeblich auf Zwecke Zie-
le und den Sinn des Spiels im Bezug auf seine Wirkungen beschraumlnkt Somit sollen sich Kinder
zwar bdquoin ihren Spielhandlungen lustvoll versenken und dabei in einen intensiven Austausch mit ih-
rer Umwelt tretenldquo (dies S 30) Dies diene dann aber lediglich der Verarbeitung und Bewaumlltigung
von noch nicht zuordenbaren Erfahrungen (Problemen) Diese vom Kind zu bewaumlltigenden Proble-
me betraumlfen einerseits Entwicklungsthematiken wie bdquodas Ausspielen von Macht und Kontrolle von
Allmachtsphantasien [hellip] oder Herrschaft uumlber Leben und Tod [] sowie der Wunsch nach Heraus-
bildung eines Selbst bzw einer Identitaumltldquo (ebd) und andererseits Beziehungsthematiken zwischen
15
Erwachsenen und Gleichaltrigen
An die Beschreibung der drei Merkmale von Spiel anschlieszligend wird der Lern- und Entwicklungs-
charakter des Spiel dargestellt bdquoFreie Spielprozesse sind immer auch Lernprozesse denn Kinder
lernen zumindest beilaumlufig durch Spielenldquo (ebd)
Weiter heiszligt es im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan dass die Qualitaumlt dieser Lernprozesse
die im freien Kinderspiel stattfinden durch bdquogezielte Unterstuumltzungsmaszlignahmenldquo zu erhoumlhen sei In
dieser Aussage wird deutlich dass das freie Kinderspiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungs-
plan lediglich als Mittel aufgefasst wird welches die Entwicklungs- und Lernprozesse waumlhrend des
Heranwachsens beschleunigend wie ein Motor vorantreiben soll Warum sonst soll die bdquoQualitaumltldquo
des freien Kinderspiels bdquoerhoumlhtldquo werden Kinder sollen in erster Linie nicht spielen um ihrem Be-
duumlrfnis nach Spiel nachzukommen sondern um etwas zu lernen Dies legt den Verdacht nahe dass
das Spielen als solches auch nur aus diesem Grunde naumlmlich weil Kinder im Spiel etwas lernen
dh Kompetenzen erwerben Bestandteil des Bildungsplanes ist
Zusammenfassend kann festgestellt werden dass das Spiel im Hessischen Bildungs- und Erzie-
hungsplan auf eine Art Voruumlbung fuumlr das bdquorichtigeldquo Leben bei gleichzeitiger Lebensbewaumlltigung
verkuumlrzt wird Gleichzeitig findet durch die bdquoAufwertungldquo des freien Spiels zum bdquospielerischen Ler-
nenldquo eine Funktionalisierung und Paumldagogisierung des freien Spiels statt Die dem Spiel von Lern-
und Entwicklungspsychologie attestierten Potenzen (vgl Oerter 2007) sollen fuumlr die Realisierung
der Bildungs- und Erziehungsziele nutzbar gemacht werden dh das Spiel an sich dient vorrangig
dem Erwerb gewisser Kompetenzen und nicht der Erfuumlllung kindlicher Spielbeduumlrfnisse
Im folgenden Abschnitt werden die Hintergruumlnde eines solchen Spielverstaumlndnisses untersucht
Politische Motivationen spielen dabei ebenso eine Rolle wie die sich daraus ergebenden Ziele des
aktuellen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplans
22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
Im Vorwort des Hessischen Bildungs- und Erziehungsplans benennen die ehemaligen Hessischen
Ministerinnen14 fuumlr Kultus Karin Wolf und fuumlr Soziales Silke Lautenschlaumlger das zentrale politi-
sche Ziel naumlmlich die bdquoOptimierung der Bildungschancenldquo und die Entwicklung von bdquoChancen-
gleichheitldquo (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S 18) fuumlr die heranwachsende
Generation Bereits diese Formulierung laumlsst erkennen dass es im Bereich Bildung und Erziehung
politisch gesehen um Effizienz und um einheitliche bdquoQualitaumlts-ldquo und bdquoBildungsstandardsldquo geht die
14 unver uumlbern v aktuellem Kultusminister Herr Lorz von Herr Gruumlttner fuumlr Soziales und Integration
16
auf maximale Leistungen in der nationalen und internationalen Wissenskonkurrenz zielen
Wie ist also bdquoOptimierung der Bildungschancenldquo zu verstehen Konzeptionell ist diese bdquoOptimie-
rung der Bildungschancenldquo darauf angelegt dass bis zum Uumlbergang in die Sekundarstufe die Kin-
dertageseinrichtungen und Grundschulen allen Kindern eines Jahrgangs als Grundlagen die gleichen
bdquoBasiskompetenzenldquo15 vermitteln sollen Das Erreichen dieser bdquoBildungsstandardsldquo bis zur vierten
Klasse sei wiederum die Herstellung von bdquoChancengleichheitldquo so die Schlussfolgerung (vgl dies
S 18)
Dabei besteht die Chance darin dass die Kinder des gesamten Jahrgangs in gleichen Leistungstests
an diesen einheitlichen bdquoBasiskompetenzenldquo in Abhaumlngigkeit gemessen und in Konkurrenz zueinan-
der nach ihren Lernleistungsdifferenzen (Leistungsabstaumlnden) eingeordnet werden koumlnnen (vgl
Nuumlberlin 2002 S 117-127) Die dabei entstehende Jahrgangssortierung dh die Platzierung im
Leistungsvergleich innerhalb eines Jahrganges entscheidet dann daruumlber welche Kinder eine
bdquoChanceldquo auf houmlhere Bildung erhalten und welche nicht welche also das Gymnasium besuchen
duumlrfen und fuumlr welche der Besuch der Realschule vorgesehen ist Somit werden mit dem politischen
Programm bdquoChancengleichheitldquo bzw bdquoOptimierung der Bildungschanceldquo die jungen Generationen
(Kinder und Jugendliche) gemaumlszlig der in der Gesellschaft durchgesetzten Wissenshierarchie bzw Fauml-
higkeitshierarchie kontinuierlich eingeordnet (vgl Nuumlberlin 2002 S 127-129)
Deshalb soll bdquoChancengleichheitldquo auch bdquoBildungschancenldquo eroumlffnen weshalb im Bildungsplan Paumld-
agogen dazu aufgerufen sind die Kinder von fruumlhester Kindheit an individuell zu staumlrken um ihre
unterschiedlichen Voraussetzungen zumindest in gleichen bdquoBasiskompetenzenldquo vermeintlich einan-
der anzugleichen und somit die Vergleichbarkeit in der Notenkonkurrenz chancengleich im Sinne
von voraussetzungsgleich zu gestalten (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S
5-6 und S 17-18) Gerda Nuumlberlin weiszligt darauf hin dass aber diese Voraussetzungsgleichheit die
Institution Schule gerade nicht leistet Und dass Schule statt dessen durch Lernen auf Zeit die Schuuml-
ler innerhalb eines Jahrgangs mit einheitlichen Tests kontinuierlich einem Sortierungsverfahren un-
terzieht das eher gemaumlszlig den Bildungsschichten die Wissensunterschiede der Kinder hervorhebt
und sogar mit produziert statt sie mit dem Ziel der bestmoumlglichen Wissengleichheit zu bdquobeseitigenldquo
(vgl Nuumlberlin 2002 S 104-142)
Die auf gleiche Basiskompetenzen vorbereitenden Lernangebote und Fruumlhfoumlrderungen sollen nach
Aumluszligerung der Ministerinnen im Vorwort intensiver und fruumlher initiiert werden als in den vorange-
gangenen Jahren (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S 5-6) Zur Sicherung
15 bzw auch als bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (vgl dies S 41) bezeichnet daraus resultieren sollen die besonders vonder Wirtschaft geforderten bdquoMetakompetenzenldquo (vgl dies S 17)
17
der bdquoBildungsqualitaumltldquo und Umsetzung einheitlicher Standards soll der Bildungs- und Erziehungs-
plan das institutionenuumlbergreifende Steuerungsinstrument sein (vgl dies S 19) Die Herausgeber
des Bildungsplanes heben in der Einfuumlhrung besonders hervor dass es sich erstmals um einen Bil-
dungs- und Erziehungsplan handelt der durch seine stufenlose Konzeption von 0 bis 10 Jahren ein
kontinuierliches Lernen vorsieht Alle paumldagogisch wirkenden Personen und Institutionen sollen
durch einheitliche Bildungs- und Erziehungsziele moumlglichst an bdquoeinem Strang ziehenldquo koumlnnen (vgl
dies S 5-19)
Leitziel ist es fuumlr das bdquolebenslange Lernenldquo mit dem Erwerb von bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo die
bereits erwaumlhnte gemeinsame Grundlage (bdquoBasiskompetenzenldquo 16) der Kinder zu erzeugen (vgl
dies S 41f)
Veranlasst sehen sich die Ministerien zur bdquoneuenldquo konzeptionellen Bildungssteuerung durch den
tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel der sich von der demografischen Entwicklung uumlber viel-
faumlltige kulturelle Kontexte die Wirtschafts- und Arbeitswelt bis hin zu familialen Wandlungsprozes-
sen vollzieht und generell durch Schnelllebigkeit gekennzeichnet ist und von den Menschen ein ho-
hes Maszlig an Flexibilitaumlt und Mobilitaumlt fordert Hierzu werden auch die Ergebnisse der Schuumllerleis-
tungsvergleiche wie PISA TIMSS oder IGLU und denen entsprechende wissenschaftliche For-
schungsbefunde genannt denen der bdquo(neue) Bildungs- und Erziehungsplanldquo Rechnung tragen
moumlchte (vgl dies S 16-19)
Denn die Platzierung bei national und international vergleichbaren Leistungserhebungen ist letztlich
die Bemessungsgrundlage fuumlr bdquoBildungserfolgldquo oder bdquoBildungsversaumlumnisldquo Die attestierte bdquoBil-
dungsqualitaumltldquo ist deshalb von politischem Interesse weil die Politik die durch ihr Bildungssystem
erreichte Platzierung im vorderen Bereich als Standortfaktor fuumlr ihren Wirtschaftsstandort in
Deutschland nutzen moumlchte um vor allem auf dem globalem Markt konkurrenzfaumlhig zu bleiben
Im Folgenden wird zu zeigen sein ob und inwiefern diese Zielsetzungen mit dem dafuumlr entwickel-
ten Bildungskonzept zur angenommenen Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels fuumlhren
16 Im Einzelnen werden folgende Kompetenzen genannt als Basiskompetenzen werden bdquoindividuumsbezogeneKompetenzenldquo bdquoKompetenzen zum Handeln im sozialen Kontextldquo bdquoLernen und lernmethodische Kompetenzldquo undbdquokompetenter Umgang mit Veraumlnderung und Belastung Widerstandsfaumlhigkeit (Resilienz)ldquo genannt (vgl dies S 25-26 und S 41-44) Zum anderen werden darauf aufbauende konkrete Bildungs- und Erziehungsziele genannt (ent-sprechend der geforderten bdquoMetakompetenzenldquo) bdquostarke Kinderldquo bdquokommunikationsfreudige Kinder und medien-kompetente Kinderldquo bdquoKreative fantasievolle und kuumlnstlerische Kinderldquo bdquoLernende forschende und entdeckungs-freudige Kinderldquo und bdquoverantwortungsvoll und werteorientiert handelnde Kinderldquo (vgl dies S 13)
18
23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Wie kann das politische Ziel naumlmlich alle Kinder mit den gleichen Grundkompetenzen auszustatten
und deren bdquoErfolgldquo mindestens ab der vierten Klasse an regelmaumlszligigen Leistungserhebungen zu be-
messen durch freies Spiel erreicht werden Die Vermittlung bzw der Erwerb standardisierter Inhal-
te (Wissen Faumlhigkeiten Fertigkeiten Kompetenzen) und die Verfuumlgung daruumlber (Pruumlfungstermin)
steht im Widerspruch zum freien Spiel als offenem Prozess den die Spielenden selbst initiieren und
gestalten und bei dem keine Voraussagen daruumlber getroffen werden koumlnnen wann sich welche
Kenntnisse und Fertigkeiten einstellen
Diese erlangt man einerseits durch die Freiheit als Freiraum zum Spiel die eine gewisse Qualitaumlt an
Sorgefreiheit bedingt Zur Sorgefreiheit zaumlhlt beispielsweise auch das Freisein von Lerndruck der
jedoch unter anderem durch festgelegte Leistungserhebungen und Entwicklungsdokumentationen
bei den Kindern erzeugt wird Und andererseits erwirbt man Kenntnisse und Faumlhigkeiten nur dann
wenn das Spiel frei ist wenn es sich also um seiner selbst Willen ereignet und eben nicht bdquokanali -
siertldquo wird es also keinen aumluszligeren Zielen Zwecken oder Absichten unterliegt wie es jedoch bei
festgelegten bdquoBasiskompetenzenldquo (bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo) eines bdquoBildungsstandardsldquo der Fall
waumlre17 Hinzu kommt der weitere Aspekt von Freiheit im Spiel wonach das Spiel ein selbstgesteuer-
ter Prozess mit offenem bdquoAusgangldquo ist dessen Wirkungen eben nicht planbar oder voraussagbar
also nicht standardisierbar und determinierbar sind Diese Qualitaumlt von Freiheit im Spiel ergibt sich
nun aus den unverfuumlgbaren Momenten des freien Spiels wie dem Augenblick der Instabilitaumlt der
Kreativitaumlt und Phantasie der Spontanitaumlt und Unordnung dem Unsinn und Zufall Diese zugleich
auch wesentlichen Antriebskraumlfte des Spiels koumlnnen sich wie bereits im Kapitel bdquo14 Moment der
Ambivalenzldquo (S 11-13) naumlher beschrieben nur in einem Entwicklungsspielraum mit reichhaltigen
Erfahrungsmoumlglichkeiten und mit dem erlaumluterten Spannungsverhaumlltnis ergeben Sie tragen dann
aber auch die unermesslichen Potentiale fuumlr Emergenz mit dem Prinzip des Lebendigen in sich
woraus sich seine Offenheit fuumlr Neues im Sinne der Weiterentwicklung von Leben ergibt
An dieser Stelle moumlchte ich ergaumlnzend zu meiner eher phaumlnomenologischen Wesensauffassung von
freiem Spiel einige Beispiele skizzieren wie sich die Einuumlbung von Kompetenzen durch freies Spiel
aus psychologischer Sicht vollzieht
Die im Hessischen Bildungsplan intentional geplanten Basiskompetenzen und Lernziele wie bei-
spielsweise Kreativitaumlt Abstraktionsvermoumlgen Empathie oder Flexibilitaumlt in Denk- und Vorstel-
17 Vgl dazu Kapitel bdquo11 Das Moment der Freiheitldquo in dieser Arbeit S 7f
19
lungsvermoumlgen ergeben sich im Spiel als bdquoNebeneffektldquo Das Kind vollzieht naumlmlich im Spiel fuumlr
seine Entwicklung entscheidende Bildungsprozesse selbsttaumltig intrinsisch motiviert und in der bdquoDo-
sisldquo die es bedarf Dabei von groszliger Bedeutung ist der vom Kind entwickelte eigene Lernmodus
der sich maszliggeblich an der individuellen Leistungsfaumlhigkeit und den persoumlnlichen Beduumlrfnissen ori-
entiert Hierfuumlr benoumltigt jedes Kind einen eigenen Entwicklungsspielraum
bdquo[Der] sollte Heranwachsenden die vielfaumlltigsten auch selbsttaumltig inszenierten Erfah-rungsraumlume bieten um sich - wie es Johann Heinrich Pestalozzi nannte - an Kopf Herzund Hand bilden zu koumlnnen moumlglichst frei von Furcht und Zwang Sinnesbildung Koumlr-perbildung und geistig-seelische Bildung sollten dabei gleichermaszligen zur Entfaltungkommenldquo (Rittelmeyer 2007 S 7)
So initiieren Kinder beispielsweise in ihren Rollenspielen eigentaumltige Bildungsprozesse indem sie
sich im spontanen Spiel in die Perspektive anderer Menschen versetzen und eigenes Handeln fuumlr
aumlhnliche Lebenssituationen uumlben Oder sie erproben sich im Spiel mit verschiedenen sozialen Rol-
len zB im Rahmen gesellschaftlicher Verhaltensstandards indem ein von Geschichten aufgenom-
menes oder durch elterliche Kommentare an die Kinder herangetragenes Ideal (bdquoTapferkeitldquo bdquoGe-
schwisterliebeldquo bdquoFreundschaftldquo bdquoHilfsbereitschaftldquo etc) mit der persoumlnlichen Wirklichkeit vertraut
gemacht wird Dieses Erproben entspricht zB einer Bewusstseinsbildung im Hinblick auf (solche)
gesellschaftlichen Rollenerwartungen
bdquo[Oder] im Symbolspiel das ein Houmllzchen zur Mutterʻ oder zum Autoʻ werden laumlsstuumlben Kinder die Faumlhigkeit im Hinblick auf gegebene Phaumlnomene verschiedene Per-spektiven entwickeln zu koumlnnen also mit Kreativitaumlt oder Phantasie auf Erscheinungender aumluszligeren Welt zu reagierenldquo (ders S 17)
Es ist schwierig zu sagen welche Kompetenzen genau aus eigentaumltigen Bildungsprozessen im Spiel
entstehen da Resultate aus diesen Erfahrungen wiederum von diversen Faktoren abhaumlngig sind
Maszliggebliche Faktoren sind dabei die uumlberaus verschiedenen biografischen Erfahrungen der Kinder
und dass die letztliche Erfahrungsgewichtung durch ihre Individualitaumlt verschieden zum Tragen
kommt
Da aber jedes Lernen immer individuumsbezogen dh vom Kind abhaumlngig ist hat dieser Umstand
auch fuumlr die geplant-initiierten Lernangebote Geltung sofern derartige von auszligen angestoszligene
Lernangebote uumlberhaupt in den lernenden Kindern auf Resonanz stoszligen
Es duumlrfte kaum anzuzweifeln sein dass wie im Beispiel des spontanen von den Kindern selbst initi-
ierten Rollenspiels Rollenhandeln und soziale Empathie eingeuumlbt und fuumlr eigenes Handeln erprobt
werden Ebenso werden durch Symbol- oder Rollenspiele die Phantasie und Kreativitaumlt vielfaumlltig
angeregt die Beobachtungsgabe und das Vorstellungsvermoumlgen ausgepraumlgt Daraus kann sich wie-
20
derum das Abstraktionsvermoumlgen entwickeln und die Kinder bilden mit zunehmenden Perspekti-
venwechseln eigene Vorstellungen und Uumlberzeugungen aus Indem naumlmlich Spielende in ihre selbst
konstruierte bdquoScheinweltldquo gaumlnzlich bdquoeintauchenldquo nehmen sie auf zuvor vielfaumlltig beobachtete und
erlebte Situationen Bezug Erst spielen sie das Erlebte nach und bdquodurchlebenldquo es dabei spielerisch
immer wieder bis sich ein tiefgruumlndiges Verstaumlndnis uumlber die erlebte Situation gebildet hat Allmaumlh-
lich wird dann durch die eigene Ausgestaltung des Rollen- oder Symbolspiels das wahrgenommene
Phaumlnomen zunehmend abstrahiert und Kinder beginnen vielfaumlltige eigene Vorstellungen dazu zu
entwickeln Freies Spiel entspricht also eigentaumltiger Lebenswelterfahrung und -aneignung und ihr
Bildungsgehalt scheint dabei fast unermesslich groszlig zu sein (vgl ders S 7-17 und S 135-137)
Es wuumlrden sich also durch freies Kinderspiel ganz unterschiedliche und auch bdquoneueldquo Kompetenzen
mit ganz individuellen Auspraumlgungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten bilden Diese Aspekte ma-
chen aber eine vergleichende Leistungserhebung quasi unaussagekraumlftig bzw koumlnnten einen deter-
minierten bdquoBildungsstandardldquo insofern bdquogefaumlhrdenldquo als dass das Spiel als kreative geistig-emotio-
nale Weltzuwendung immer einen offenen bdquoAusgangldquo hat dh nicht vorhersagbar ist Das Zulassen
von freiem Spiel steht somit im Interessenskonflikt mit den oben genannten politischen Absichten
weshalb dem freien Spiel ein generelles Misstrauen gegenuumlber gebracht wird Dies fuumlhrt letztlich
konzeptionell dh durch die Einfuumlhrung und Umsetzung von bdquoBildungsstandardsldquo zur zunehmen-
den Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
Inwiefern die angenommene Verdraumlngung von freiem Kinderspiel auch paumldagogisch motiviert sein
kann soll im folgenden Abschnitt untersucht werden
24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Die Autorinnen und Autoren sehen Kinder einerseits als kompetente selbstbestimmt taumltig werdende
Wesen an und deuten die Bildung und das Lernen zwar als soziale Prozesse die sich im Dialog zwi-
schen Kind und Erwachsenem vollziehen koumlnnen Andererseits verweisen sie aber darauf dass die
Qualitaumlt dieser Prozesse wiederum von auszligen dh von einem Erwachsenen gesteuert und mode-
riert werden sollen (vgl Hessisches Sozialministerium Hessisches Kultusministerium 2007 S 20-
21) Die Steuerung der Bildungs- und Lernprozesse wird versucht zu rechtfertigen indem auf aktu-
elle neurowissenschaftliche Befunde verwiesen wird die dem kindlichen Gehirn ein enormes Ent-
wicklungs- und Lernleistungsvermoumlgen zuschreiben welches wenn es nicht genuumltzt wuumlrde einem
bdquoBildungsversaumlumnisldquo gleichkaumlme und nur schwer wieder aufzuholen sei (vgl dies S 20- 24)
bdquoJe reichhaltiger aumluszligere Lernreize sind desto mehr effiziente neuronale Netzwerke
21
(Synapsen) bilden sich heraus die fuumlr die Verarbeitungskapazitaumlt des Gehirns und seineLernfaumlhigkeit im spaumlteren Leben bedeutsam sind Im Entwicklungsverlauf eines jedenKindes gibt es optimale Zeitraumlume fuumlr grundlegende Lernschritte (zB ZweitspracheRaumorientierung elementares mathematisches Denken Interesse an Naturwissen-schaften aumlsthetisches Verstaumlndnis Entwicklung der Musikalitaumlt) Solche Zeitfenstergibt es auch noch im Laufe der weiteren Bildungsbiografie Dennoch gilt es diese sen-siblen Phasen bereits durch fruumlhe Bildung offensiv zu nutzen [sic] Je solider und brei-ter die Basis aus jener Zeit desto houmlher ist die Wahrscheinlichkeit dass das Kind danachaktiver und leichter lernt Fruumlhe Bildungsversaumlumnisse sind nur schwer aufholbarldquo(dies S 24)
Die programmatische Paumldagogisierung von Spiel die die bdquoGrenzen zwischen der herkoumlmmlichen
Trennung von Freispielprozessen und geplanten Bildungsprozessen zunehmendldquo (dies S 30) ver-
wischen soll ist vor dem Hintergrund Bildung als Produkt einer offensiven Nutzung der sensiblen
Lernzeitfenster anzusehen (vgl dies S 23-24) und wiederum von seiner politischen Motivation
mit dem Wettlauf um Konkurrenzfaumlhigkeit sowie der Weiterfuumlhrung einer in der Gesellschaft durch-
gesetzten und der Wirtschaft dienlichen Wissenshierarchie in Verbindung zu bringen Folglich fuumlhrt
die im Bildungs- und Erziehungsplan programmatisch angewiesene Funktionalisierung des Spiels
zum bdquospielerischen Lernenldquo letztlich paumldagogisch motiviert zur zunehmenden Verdraumlngung des frei-
en (Kinder)Spiels denn dieses wird als zu zeitintensive Taumltigkeit angesehen Freispiel darf zwar
laut Plan auch enthalten sein es bdquomuss jedoch im angemessenen Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlten ste-
henldquo (dies S 31) weshalb es wegen des bdquoLernfensterdrucksldquo (vgl Dies S 23-24) zum bdquospielen-
den Lernenldquo umfunktionalisiert werden soll (vgl dies S 30-31) um wegen seiner bildenden Po-
tenzen dann als Lernbeschleunigung dem Lernziel (bdquoBildungserfolgldquo) dienbar gemacht zu werden
Das Freispiel soll konzeptionell auf zwei Wegen zu bdquospielendem Lernenldquo qualitativ aufgewertet
werden Zum einen indem aus Spielprozessen Projekte hervor gehen mit der Bedingung dass das
Spielgeschehen zunehmend von der Projekttaumltigkeit durchdrungen wird Und zum anderen koumlnnen
bdquo[]im Rahmen von Projekten [hellip] Freispielphasen enthalten sein in denen sich dieKinder weiterhin mit dem Projektthema allein oder mit anderen auseinandersetzen DieQualitaumlt der Freispielprozesse laumlsst sich durch gezielte Unterstuumltzungsmaszlignahmen erhouml-henldquo (dies S 30 Herv MG)
Wenn also Freispielphasen eingeplant werden dann unter der Bedingung dass im bdquoSpielldquo die Pro-
jektthemen wieder aufgegriffen werden In beiden Varianten wird aber die Qualitaumlt des Spiels zu-
mindest im Bezug auf das Erreichen des Lernzieles angezweifelt weshalb ein gezieltes Einwirken
der Paumldagogen kontinuierlich angedacht ist
bdquoDie Houmlhergewichtung des elementaren Bildungsauftrags hat zur Konsequenz dasssich das beilaumlufige Lernen der Kinder im Spiel zum spielerischen Lernen hin entwickeltDem Spiel wird mehr systematische Begleitung und didaktische Aufbereitung
22
zuteilldquo(dies S31 Herv MG)
Das demnach angedachte bdquoFreispielldquo soll folglich auch kein freies natuumlrliches Spielen sein selbst
wenn sich Kinder angetan von den Projektinhalten im freien Spiel beginnen selbsttaumltig im Rah-
men dessen auseinanderzusetzen Solches Geschehen wuumlrde durch paumldagogisches Einwirken auf
das Lernziel hin gelenkte Taumltigkeit werden es soll durch Erwachsene zum bdquospielerischen Lernenldquo
hin entwickelt werden Ebenso kann auch ein anfaumlngliches Spiel nie als solches bestehen bleiben
Die Houmlhergewichtung des institutionellen bdquoBildungsauftragsldquo bewirkt in beiden Faumlllen dass der
scheinbar gewaumlhrte bdquoSpielraumldquo zur zielorientierten Lerntaumltigkeit wird weshalb (freies) Spiel ver-
draumlngt wird und zunehmend in Projekttaumltigkeit muumlndet Erst dann hat Spiel einen qualitativen Nut-
zen im Sinne des Bildungs- und Erziehungsplans Deshalb haben Spielen und Lernen auch nach An-
sicht und Position des Bildungsplanvorhabens in einem besonderen Verhaumlltnis zueinander zu stehen
welches Paumldagogen zu sichern haben
bdquoFreispiel ist wichtig muss jedoch im angemessenem Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlt stehendie die Erwachsenen planen und initiieren[]ldquo (ebd Herv MG)
Denn Lernaktivitaumlt sollte nach Meinung der Autorinnen und Autoren wenn sie vom Kind ausgeht
letztlich durch Erwachsene zielfuumlhrend gelenkt werden
Diese Qualitaumlt steigernden Unterstuumltzungsmaszlignahmen und das angestrebte Verhaumlltnis von Spielen
und Lernen stehen im einzelnen mit den Wesensmomenten des freien Spiels in Widerspruch Im
freien Spiel sind die Spielinhalte die sich spielende Kinder selbst auswaumlhlen vorwiegend alltagsbe-
zogen und als diese individuell meist sehr unterschiedlich Kinder begegnen im Spiel also Themen
die ihr Interesse durch erlebte oder beobachtete Situationen geweckt haben Diese eigens initiierten
Spielideen koumlnnen wie oben skizziert diverse Funktionen (zB bildendes Erproben) als Nebenef-
fekt haben Aber im Sinne des Spiels als bdquofreie Zeitgestaltungldquo draumlngt das Kind eher nach sinnvoll
erfuumllltem Leben durch erstrebtes lustvolles Spielen mit ganzheitlichem Lebensweltbezug als nach
einer von auszligen das Spiel deformierenden oder domestizierenden Systematik und Didaktik Es ist
anzunehmen dass diese fehlende bdquoBe-friedigungldquo des Spielbeduumlrfnisses ihre praumlgenden Anpas-
sungsspuren in den Kindern hinterlaumlsst und sie wahrscheinlich unzufrieden macht Zusaumltzlich duumlrf-
ten diese Umstaumlnde dem Lernen allgemein auch eher abtraumlglich sein
Es besteht also ein ganzheitlicher Bezug zum eigenen Leben wenn durch die Freiheit zum Spiel
ganz individuelle Themen zur Spielidee werden und bdquoihren Laufldquo nehmen Das heiszligt die jeweilige
Initialidee wird im weiteren Spielverlauf staumlndig veraumlndert werden und folgt dabei gerade eben
nicht der bdquoLogikldquo der buumlrgerlichen Erwachsenenwelt Diese bdquoLogikldquo wird aber im Bildungsplan fo-
23
kussiert In ihm ist die Annahme enthalten dass Kinder wie Forscher ihre Umwelt erkunden und
nun im Zuge der Aufwertung des Spiels zum bdquospielerischen Lernenldquo durch paumldagogisches Hinwir-
ken sich das bdquospielendeldquo Kind in reflektierender Betrachtungsweise Kausalzusammenhaumlnge und
Gesetzmaumlszligigkeiten des zu untersuchenden bdquoGegenstandesldquo erschlieszligen bzw davon ableiten soll
(vgl dies S 20 27-28 30-31) Spiel ist aber nur dann Spiel wenn es ein eigenes fortwaumlhrendes
kreatives und spontanes Eingehen auf die Anregungen der aumluszligeren Spielszenerie ermoumlglicht (vgl
Kapitel bdquo14 Das Moment der Ambivalenzldquo S 11ff sowie Rittelmeyer 2007 S 136) Innerhalb
dessen orientiert sich die Spiel gestaltende Taumltigkeit des Kindes hauptsaumlchlich an den eigenen Be-
duumlrfnissen und nicht an Vorgaben von auszligen Deswegen kann auch nicht alles Spiel sein das waumlre
Willkuumlr und nicht Geschlossenheit (vgl Kapitel bdquo15 das Moment der inneren Geschlossenheitldquo S
13) Und um seiner inneren Zweckmaumlszligigkeit moumlglichst dienlich zu sein bleibt es auch stets unver-
fuumlgbar Darin gibt es keine absolute Eindeutigkeit (zB ein Lernziel) mit zielgerichtetem Streben
nach zukuumlnftiger Befriedigung Spiel ist jetzt ist gegenwaumlrtig angestrebtes erfuumlllendes Erleben von
frei gestalteter Zeit Nur so koumlnnen sich alle weiteren Wesensmomente und ihre ua auch hoch ef-
fektiv bildenden Potenziale ergeben und individuell entfalten Solches Spiel waumlre aber von Vielfalt
Spontanitaumlt Uumlberfluss Instabilitaumlt Kreativitaumlt oder auch vom ihm eigenen Unsinn gepraumlgt Sicher-
lich erschlieszligen sich dem Kind dabei diverse Kausalzusammenhaumlnge und aus Einzelphaumlnomenen
wird es ableitend Gesetzmaumlszligigkeiten erfahren die sich in diesem informellen Lernprozess dann als
Wissen Kenntnisse Fertigkeiten oder auch Kompetenzen verinnerlichen Aber diese (Neben)Effek-
te wuumlrden nie zielfuumlhrend oder leitend das Spielgeschehen formen bzw antreiben
Dem natuumlrlichen freien Spiel steht das bdquospielerische Lernenldquo auch im Bezug auf die im Spiel er-
schaffene Phantasiewelt (vgl Kapitel bdquo13 Das Moment der Scheinhaftigkeitldquo S 10) entgegen
Denn diese zeichnet sich gerade dadurch aus dass sie sich von den bdquoObjektenldquo der Umwelt loumlst
vom Faktischen enthoben ist und durch Phantasie zu bdquoNeuemldquo zu Symbolischem werden laumlsst Und
somit das symbolische bdquoAls-obldquo Spielgeschehen ermoumlglicht Das Spiel wuumlrde sich also notwendi-
gerweise von der Projekttaumltigkeit oder ihren faktischen Inhalten loumlsen muumlssen um sich in dieser
Phantasiewelt mit seiner Spielhandlung zwischen Zufaumllligem und Notwendigem bewegen zu koumln-
nen Mit der daraus entstehenden Gegenwaumlrtigkeit schloumlssen sich alle weiteren Momente zu ihrer
bdquofunktionalenldquo Kette zusammen Auch der zeitliche Rahmen in dem sich das freie Spiel nun bewe-
gen wuumlrde ist unvorhersehbar Es ist also wahrscheinlich dass das Spielgeschehen uumlber den von
Erziehern eingeplanten bdquoFreispielzeitraumldquo hinweg andauern koumlnnte und deshalb von auszligen durch
die Paumldagogen abgebrochen werden wuumlrde Der bdquoinneren Unendlichkeitldquo des Spiels wuumlrde dies so-
mit ein abruptes Ende bereiten Dem zirkulaumlrem Charakter des Spiels steht noch ein weiterer Aspekt
24
entgegen Naumlmlich dass die Wiederholungen der Spielhandlung nicht aus systematischer oder di-
daktischen bdquoAufbereitungldquo erzeugt werden koumlnnen sondern dass sie wie Rolf Oerter in bdquoZur Psy-
chlogie des Spielsldquo beschreibt mit lustvollem Erleben in Verbindung zu bringen sind und demnach
eher dem Lustprinzip folgen als dem rationellem Realitaumltsprinzip (vgl Oerter 2007 S 9 12 14f
18-21)
Einzelne Momente fuumlr bdquospielerisches Lernenldquo zu erzeugen bzw sie diesbezuumlglich abzuwandeln
kann also nicht mehr mit dem natuumlrlichen freiem Spiel in Verbindung gebracht geschweige denn
damit gleichgesetzt werden Das daraus resultierende bdquoSpielenldquo kann demnach auch nicht dem Be-
duumlrfnis oder Drang nach Spiel entsprechen welches Kinder ganz offenkundig haben Das Spiel im
Sinne des Bildungsplanes gleicht in seiner angedachten Form eher bdquodomestiziertenldquo Spiels das in
einzelne Wesensmomente zerrissen ist um als didaktische bdquoListldquo geplant initiiert zu werden Somit
wird durch die verkuumlrzte Auffassung von Spiel als Mittel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo bei
gleichzeitiger Verkuumlrzung echter Spielzeit die zunehmende Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels
im Bildungsplan programmatisch angegangen bzw angeordnet wodurch die dieser Arbeit zugrunde
liegende Annahme bestaumltigt wird
3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
Die Reformpaumldagogik hat zB durch Ellen Key Johann Heinrich Pestalozzi oder Maria Monterssori
Konzepte wie Jena-Plan das der Sudberry Valley School oder der Freien Demokratischen Schulen
inspiriert Innerhalb deren Konzeptionen findet auch die kindliche Lebenswelt ohne sie romantisch
zu verklaumlren ihren anerkennenden Platz und wird als vollwertiger Lebensabschnitt beachtet Ihre
aumlhnlichen Bildungsansaumltze enthalten vielfaumlltigste Anreize und Formen vernuumlnftiger Bildungsideen
mit ganzheitlichem Menschenbild und echtem Lebensweltbezug Das bedeutet auch fuumlr eine Institu-
tion um mit Ellen Key zu sprechen Bildung vom Kind aus zu denken
Exemplarisch moumlchte ich im Folgenden diese Bildungsvorhaben und ihre fuumlr die Kinder bereiteten
Entwicklungsspielraumlume an Hand der Freien Demokratischen Schulen skizzieren Der Ausgangs-
punkt dieser Schulen ist der Kerngedanke dass sich durch Eigeninitiative selbstverantwortete Bil-
dung und freies Spiel nicht abstoszligend gegenuumlber stehen sondern dass beide den Beduumlrfnissen des
Kindes entspringen und das Kind deshalb je nach seiner Beduumlrfnislage seine Aktivitaumlten diesbezuumlg-
lich selbstorganisiert Zwar sind auch Freie Demokratische Schulen als Institution leider kein wirk-
licher bdquoorganischerldquo Teil der Lebenswelt von Kindern sondern immer nur von auszligen angebotene in-
tentionale Konstrukte die aber in diesem Fall den individuellen Entwicklungsspielraum der Kinder
25
versuchen zu schuumltzen bzw bereitzuhalten Somit wird jedem Kind sein eigener Freiraum der ihm
spontanes freies Spiel ermoumlglicht bereitet ohne es in irgendeiner Form zu verzwecken oder zu ka-
nalisieren Einige Konzepte solcher Schulen greifen auch die Kindheit als gesellschaftlichen Status
hervorbringende Begebenheit auf naumlmlich dass durch die alltaumlgliche Erwerbstaumltigkeit der Erwach-
senen die Kindheit entsteht und zwar als davon getrennter Lebensbereich Verschiedene Versuche
zB durch (Land)Schulheime oder selbst initiierten Lernvereinbarungen zielen darauf ab die ge-
trennten Lebensrealitaumlten von Kindern und Erwachsenen wieder mehr zur Uumlberschneidung zu brin-
gen Die daraus entstehenden freiwilligen Erfahrungspartnerschaften werden eigenverantwortlich
von den Beteiligten (Schuumller und Lehrer) nach ihren Beduumlrfnissen Vorstellungen und Wuumlnschen
gemeinsam gestaltet Es kann also keinen einheitlichen Lehrplan geben und es kann auch keinen
bdquoMethodenkofferldquo als Handreichung des Ministeriums geben der Anwendung finden soll Aber
falls es von den Schuumllern gewuumlnscht wird bzw falls es von ihnen als vernuumlnftig fuumlr die Umsetzung
des Vorhabens angesehen wird kann sich der Lehrer sinnvollerweise durch methodische oder di-
daktische bzw besser mathetische Aufbereitung unterstuumltzend einbringen Die Schuumller entwickeln
also selbst wie sie lernen und was sie lernen Dabei treffen sie nicht maszliggeblich ihre Auswahl aus
bereits bestehenden Angeboten sondern sie koumlnnen ihre Beschaumlftigungs- bzw Lerngebiete voumlllig
frei waumlhlen und initiieren Jede Beschaumlftigung wird dabei als wertvoll und lehrreich erachtet sei es
das Lesen das Experimentieren das freie Spielen oder das Teilnehmen an einem Unterrichtskurs
Die Schuumller entscheiden auch wann sie lernen Sie legen damit den gesamten zeitlichen Rahmen
fest innerhalb dessen sie sich mit ihrem eigenem Lerngebiet beschaumlftigen wollen Dies betrifft die
Tageszeit und den Gesamtzeitraum der Taumltigkeit aber vor allem auch das Alter in dem sie sich ent-
schlieszligen sich mit einer Thematik zu befassen So entschlieszligt sich zB ein neunjaumlhriges Kind Lesen
zu lernen wo ein fuumlnfjaumlhriges bereits damit begonnen hat Dabei waumlre es nicht ungewoumlhnlich dass
diese beiden Leseinteressierten sich zusammenschlieszligen und eine Lerngruppe initiieren um sich
gemeinsam dem Lesen lernen zu widmen Auch liegt es in der Verantwortung der Kinder wie inten-
siv sie sich mit dem gewaumlhlten Thema auseinandersetzen wollen Um all dies zu planen und umset-
zen zu koumlnnen sind die Lehrer wie beratende Helfer kontinuierlich fuumlr die Kinder da und die Kin-
der sind sich nie selbst uumlberlassen Somit schafft das Vertrauen der Lehrer in die Schuumller Vertrauens-
wuumlrdigkeit und die Kinder koumlnnen sich sicher und geborgen fuumlhlen um sich moumlglichst ohne Angst
in dieser Freiheit ganz nach ihren Beduumlrfnissen der Welt zuzuwenden Diesen Freiraum zum Entde-
cken und Spielen bezeichnen die Sudberry- bzw die Demokratischen Schulen als Lernfreiheit und
er ist eine der beiden Grundsaumlulen des Bildungskonzepts Die zweite Saumlule ist von organisatorischer
Natur und konstatiert den Lernort als egalitaumlres System in dem Schuumller und Lehrer in verschiede-
nen Gremien Komitees und Aumlmtern gleiche Einflussmoumlglichkeiten Pflichten sowie Rechte besit-
26
zen (vgl Schiffner 2007 S 8-15)
Peter Gray emeritierter Professor fuumlr Psychologie des Boston College erklaumlrte in einem Vortrag in
Berlin 3122012 die Grundlagen dieses bdquoErziehungsldquo Ansatzes18 Er nennt ihn Vertrauensvolle Er-
ziehung (Trustful Parenting) bdquoVertrauensvolle Erziehung basiert auf der Annahme dass Kinder von
Natur aus widerstandsfaumlhig kompetent sozial und selbstgesteuert sindldquo (Gray 2012 S 1) Daraus
ergibt sich dass Kinder ihrem Beduumlrfnis nach selbst entscheidend entdecken und spielen Es obliegt
ihrer Entscheidung Risiken einzugehen und dabei auch evtl eigene Fehler zu machen Entwick-
lungsvergleiche (auch keine Lernleistungsvergleiche) liegen dieser Ansicht fern Erziehung versucht
demnach Entwicklung nicht zu lenken sondern zu unterstuumltzen sodass Kinder ihre eigenen Ziele
verwirklichen koumlnnen Sie entwickeln dabei Eigeninitiative und uumlbernehmen Selbstverantwortung
in der Gemeinschaft Die Erwachsenen stellen dazu lediglich den aumluszligeren bdquoRahmenldquo her der fuumlr ein
gesundes Heranwachsen erforderlich ist (vgl Grey 2012 S1 ff) Deshalb ist dieser Ansatz auch
nicht als eine vernachlaumlssigende Haltung zum Kind anzusehen sondern ganz im Gegenteil die
bdquoErziehendenldquo senden den Kindern folgende Botschaft
bdquoDu bist kompetent Du hast Augen und ein Gehirn und du bist in der Lage Dinge her-auszufinden Du kennst deine eigenen Faumlhigkeiten und Grenzen Durch Spielen und Er-forschen wirst du dir aneignen was du wissen musst Deine Beduumlrfnisse werden gewuumlr-digt Deine Meinung zaumlhlt Du bist fuumlr deine Fehler selbst verantwortlich und man kanndarauf vertrauen dass du aus ihnen lernst Das Sozialleben zeichnet sich nicht durchWillenskaumlmpfe aus sondern vielmehr dadurch einander so beizustehen dass alle dasbekommen was sie brauchen und sich am meisten wuumlnschen Wir sind auf deiner Seitenicht gegen dichldquo (ders S1)
Interessant finde ich Peter Grays historischen Bezug den er zur Vertrauensvollen Erziehung her-
stellt Er belegt naumlmlich mit verschiedenen wissenschaftlichen Studien zu Jaumlger- und Sammlerkultu-
ren dass dieser Erziehungsstil bis zum Einsetzen der Landwirtschaft (vor ca 10000 Jahren in Asi-
en) der vorherrschende war und dass die Menschheit zu 99 Prozent ihrer gesamten Geschichte (ca 1
Millionen Jahre) Jaumlger und Sammler waren (vgl ders S 1-3)
4 Zusammenfassende Gedanken
Die anfaumlngliche Spielbegriffseingrenzung im ersten Teil dieser Arbeit verdeutlichte dass das Spiel
nicht nur von elementarer Bedeutung fuumlr ein gesundes Aufwachsen fuumlr Koumlrper und Psyche der Kin-
der ist obwohl das freie (Kinder)Spiel die dafuumlr wohl geeignetste Lebenstaumltigkeit darstellt Dem
18 Vgl Gray Peter (2012) Trustful Parenting May Require an Alternative to Conventional Schooling (Vertrauensvol-le Erziehung macht unter Umstaumlnden eine Alternative zum konventionellen Schulsystem noumltig) httpwwwting-schuledeindex_htm_filesPeter20Gray20_20Trustful20parentingpdf (Zugriff 260315)
27
natuumlrlichen (Kinder)Spiel als geistig-kreative Weltzuwendung liegen viel urspruumlnglichere Wurzeln
zu Grunde weshalb sich durch freies Spiel die Sinne der Koumlrper und auch der Geist als bdquoNebenef-
fektldquo beilaumlufig bilden und entwickeln Naumlmlich wie das bdquoMenschsein kein Zweck etwa des Lebens
sondern das Leben selbst istldquo (Kamper 1976 S 141) ist das (Kinder)Spiel auch kein findiger
Zweck des Lebendigen sondern gelebte Lebendigkeit und damit zwecklos (vgl ebd) bdquoDarauf und
nur darauf bezieht sich Schillers Wort dass der Mensch nur spielt wo er in voller Bedeutung des
Wortes Mensch ist und nur da ganz Mensch ist wo er spieltldquo (ebd) Somit stellt das Spiel das Prin-
zip des Lebendigen dar dies herauszuarbeiten und phaumlnomenologisch be-greifbar zu machen war
Ziel des ersten Teils dieser Arbeit Ich beabsichtigte darin ein Verstaumlndnis dafuumlr zu bilden dass das
(Kinder)Spiel als Modus von Freiheit im bdquoSpannungsfeld Lebenldquo die Wesenskraumlfte der Evolution
den Zufall die Spontanitaumlt und die Kreativitaumlt als eigene Triebkraumlfte in sich traumlgt und im freien
selbst initiierten Spielgeschehen zur Entfaltung bringt Als dieses Urprinzip ist das freie natuumlrliche
Spiel dem Menschen - homo ludens - und deshalb auch den Kindern ein Beduumlrfnis Deshalb fuumlhrt
durch Spiel gestaltete Zeit als erstrebte wesensgemaumlszlige Taumltigkeit zu Lebenszufriedenheit Und nur
dann traumlgt es seine Potenziale der Sinnesbildung Koumlrperbildung und geistig-seelischen Bildung so-
wie die Moumlglichkeit unvorhersehbarer Emergenzen in sich Und als solcher freier Ausdruck von Le-
bendigkeit ist deshalb Spiel fuumlr ein Kind innerhalb eines erfuumlllten Daseins grundlegend und zu ach-
ten bzw anzuerkennen
Im zweiten Teil wurde einsteigend die im derzeitigen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
vertretene Auffassung von Spiel erlaumlutert und der Plan wurde auf seine moumlgliche politisch- und paumld-
agogisch motivierte Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel untersucht Es konnte dargelegt werden
dass der Spiel(zeit)raum aufgrund des Interessengegensatzes von Kind und Staat kontinuierlich ein-
gekuumlrzt wird und zur zunehmenden Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel fuumlhrt um die politischen
Programme bdquoVerbesserung der Bildungschancenldquo und bdquoChancengleichheitldquo durchzusetzen Die da-
mit verwirklichten politischen Ziele und die Umsetzung einheitlicher Bildungsstandards haben da-
bei einerseits den Zweck die fuumlr die Wirtschaft dienliche und in der Gesellschaft mit Schule durch-
gesetzte Wissenshierachie fortzufuumlhren Und andererseits sollen diese Jahrgangssortierungen durch
internationale Tests wie PISA uauml als Standortfaktor im Wettkampf um Konkurrenzfaumlhigkeit auf ei-
nem globalisierten Markt Wirtschaftsstandort sichernd eingesetzt werden
Die Annahme dass es durch die Einuumlbung von vermeintlichen also dem Zeitgeist entsprechenden
bdquoGrundkompetenzenldquo bzw bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (als Bildungsstandards) zur zunehmenden
Verdraumlngung von freiem Spiel kommt konnte dadurch bestaumlrkt werden dass auf Grundlage eines
verkuumlrzten Spielbegriffes das freie (Kinder)Spiel durch paumldagogisches Einwirken in bdquospielerisches
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Lernenldquo umfunktionalisiert und dadurch echte Spielzeit zunehmend eingekuumlrzt wird Der Zweck ist
dabei das (Kinder)Spiel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo als bdquoLernmotorldquo der Kinder innerhalb
des bdquoLernfensterdrucksldquo dem Lehrapparat dienstbar zu machen
Im dritten Teil dieser Arbeit wurde anhand der Demokratischen Schulen kurz skizziert wie institu-
tionelle Bildung die freies Spielen wirklich gewaumlhrleistet gelingen kann Leider stehen die Schulen
in freier Traumlgerschaft zu denen die Freien Demokratischen Schulen zaumlhlen in Deutschland vor be-
sonderen behoumlrdlichen Genehmigungsbarrieren und unzureichender oumlffentlicher Finanzierung was
ihre Realisierung maszliggeblich erschwert oder ganz verhindert Auch darin kann eine Verdraumlngung
bzw Verhinderung des freien Spiels gesehen werden
Die Verdraumlngung des freien Kinderspiels ist aus zweierlei Gruumlnden nicht gut zu heiszligen ja sogar ab-
zulehnen ist Erstens ist die im Spiel als Nebenerscheinung enthaltene Einuumlbung von Grund-
kompetenzen von groumlszligter Komplexitaumlt und Vielfalt die selbst neue nicht vorhersagbare Qualitaumlten
hervorbringt die mit den Triebkraumlften der Evolution in Verbindung zu bringen sind (Emergenz)
Deshalb ist es fuumlr einen ganzheitlichen Entwicklungsspielraum der Kinder und im Sinne der Evolu-
tion unvernuumlnftig das Spiel wie im Bildungsplan beschrieben bdquoqualitativ aufzuwertenldquo um ver-
meintliche fuumlr das derzeitige Leben als unverzichtbar angenommene bdquoGrundkompetenzenldquo durch
bdquospielerisches Lernenldquo einzuuumlben Und zweitens ist das Spiel als kreative geistig-emotionale Welt-
zuwendung und damit als wesensgemaumlszlige kreatuumlrliche Taumltigkeit des Menschen den Kindern ein Be-
duumlrfnis und grundlegend fuumlr ihr gesundes Aufwachsen und Lebensgeborgenheit (Lebenszufrieden-
heit) in einem sie wahrhaft erfuumlllenden menschlichen Dasein
Bedenke ich nun die Lebenszeit die auch meine Kinder teilweise schon vor dem ersten Lebensjahr
mit haumlufig acht Stunden taumlglich in Kindertageseinrichtungen (leider nicht in einer Freien Demokra-
tischen Schule mit Primarbereich) verbrachten derzeit verbringen und spaumlter in der Schule bis min-
destens zur Erfuumlllung der Schulpflicht mit etwa 15 Jahren in der Schule verbringen muumlssen bin ich
erschrocken-besorgt und wuumltend wie dem Phaumlnomen des freien natuumlrlichen Kinderspiels und der
Bildung insgesamt im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan begegnet wird Bildung als vorran-
gig politisch-oumlkonomisches Arrangement zu sehen darin das Spiel als List zu benutzen um standar-
disiertes Lernen zu erzielen echte Spielzeit zunehmend zu verkuumlrzen ndash dieses planvolle Vorgehen
der Politik und der beteiligten Paumldagogen stellt eine Missachtung der ihnen anvertrauten Kinder mit
ihren individuellen Wuumlnschen Vorstellungen Beduumlrfnissen und ihrer ganz persoumlnlichen Lebenswelt
dar und ist ein lebensentfremdendes Vorhaben das junge Menschen von einem sie erfuumlllenden gu-
ten Leben trennt
29
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31
Eidesstattliche Erklaumlrung
Ich erklaumlre hiermit an Eides Statt durch eigenhaumlndige Unterschrift dass ich die vorliegende Arbeit
selbstaumlndig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe die aus
fremden Quellen (einschlieszliglich elektronischer Quellen und dem Internet) direkt oder indirekt uumlber-
nommenen Gedanken sind ausnahmslos als solche kenntlich gemacht
Ich weiszlig dass bei Abgabe einer falschen Versicherung die Arbeit als nicht bestanden zu gelten hat
Herold 10042015
32
- Die zunehmende Verdraumlngung des freien Kinderspiels
- im Hessischen Bildungsplan
- Einleitung
- 1 Freies Kinderspiel - Wesensmerkmale
-
- 11 Das Moment der Freiheit
- 12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
- 13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
- 14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
- 15 Das Moment der Geschlossenheit
- 16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
- 17 Zusammenfassung
-
- 2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
-
- 21 Das Spielverstaumlndnis
- 22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
- 23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
- 24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
-
- 3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
- 4 Zusammenfassende Gedanken
- Literaturverzeichnis
- Internetquellen
-
schehen ist eine bdquopendelnde Suchbewegungldquo (Scheuerl Ambivalenz) die bestrebt ist innerhalb ih-
rer konstruierten bdquoScheinweltldquo (Scheuerl Scheinhaftigkeit) endlos in sich selbst zuruumlckzulaufen
um kein Ende zu finden (innere Unendlichkeit) Spielende sind von ihrem lustvollen Erleben im
Spiel voumlllig durchdrungen und gestalten spielend spontan mit groszliger Ernsthaftigkeit und in voumllli-
ger Selbst- und Weltvergessenheit ihr bdquoewigesldquo Spiel Und wie entgegen aller Vergessenheit ist es
dennoch ein Zustand houmlchster Wachheit und Konzentration Spielende sind in jedem gegenwaumlrtigen
Moment voumlllig praumlsent dh im bdquoHier und Jetztldquo aumlhnlich einem meditierenden Menschen Spielende
befinden sich also im Zustand tiefer Kontemplation aber nur im Bezug auf ihr Spiel weshalb sie
auch das eigene Gefuumlhl fuumlr Zeit im Moment des Spielens nicht oder kaum wahrnehmen Spielende
Kinder koumlnnen uumlber Stunden bdquowie gefesseltldquo ihrem Spiel nachgehen ohne dass ihnen die Zeitspan-
ne wirklich bewusst waumlre oder dass es ihnen hinterher moumlglich waumlre den fuumlr das Spiel aufgebrach-
ten Zeitraum zu schaumltzen (Vgl Scheuerl 1990 S 95-96 100-102)
17 Zusammenfassung
Das dieser Arbeit zugrunde liegende Verstaumlndnis des Begriffes bdquofreies Kinderspielldquo kann wie folgt
zusammengefasst werden Freies (Kinder)Spiel wird als ein Geschehen von komplexer geistig-
kreativer Weltzuwendung verstanden das sich innerhalb eines Freiraumes ereignet Einerseits ist
die sich innerhalb dessen ereignende Spieltaumltigkeit frei von Zielen Zwecken oder Nutzen die au-
szligerhalb seiner selbst liegen und andererseits sind die Spielenden innerhalb des Spielzeitraums frei
von ihrer unmittelbaren Lebensfuumlrsorge Als solche freie Zeit gestaltende Taumltigkeit ist das Spielen
fuumlr geistig emotional erlebende Wesen wie den Menschen oder houmlher entwickelte Tiere fuumlr eine
hohe Lebensqualitaumlt innerhalb eines erfuumlllenden Lebens grundlegend Aus diesem Umstand ergibt
sich dass freies natuumlrliches Spiel als grundsaumltzliches Beduumlrfnis angesehen werden kann weshalb
Spielende auch einen Drang (bdquoTriebldquo) zum Spiel aufweisen Doch ist der Charakter dieser
(Spiel)Taumltigkeit an sich von anderer bdquoNaturldquo als gewoumlhnliche Beduumlrfnisse befriedigende
(Trieb)Handlungen Als diese triebhafte Tendenz zum Spiel zielt die Spieltaumltigkeit nicht auf das Be-
duumlrfnis stillende Ende ab sondern auf ihren dauerhaften Fortgang Dieser zirkulaumlre Charakter und
das geistig erfuumlllende Erleben werden dabei durch den Umstand ermoumlglicht dass sich das Spieler-
eignis aufgrund seiner zuvor beschriebenen Autonomie in einem Spannungsverhaumlltnis ereignet Die-
ses ergibt sich zwischen Zufall und Notwendigkeit und wird durch den Spielenden bestaumlndig in
Waage gehalten Dieses selbst initiierte Geschehen reguliert sich somit auf der Handlungsebene
selbst es ist selbstorganisiert Diese Selbststeuerung nutzt Phantasie und Spontanitaumlt als Strategie
weshalb das Spielgeschehen trotz seines zirkulaumlren Charakters als prozessoffen bezeichnet werden
14
kann Besonders das Kinderspiel taucht dazu im gegenwaumlrtigen Spielmoment mit seinen spielenden
Subjekten im besonderen Bewusstsein uumlber seine paradoxe Als-ob-Realitaumlt in ihre eigens gestaltete
geistige Scheinwelt ein Die Spielenden sind waumlhrenddessen voumlllig selbst- und weltvergessen mit
groszliger Ernsthaftigkeit und im groumlszligten Eifer voumlllig in ihr bdquogebanntldquo Fuumlr ein bdquosich Ereignenldquo dieses
beschriebenen spontanen natuumlrlichen Spiels hat es nun als letztes Merkmal noch zur Voraussetzung
dass einzelne Momente nicht fuumlr sich isoliert initiiert oder planmaumlszligig ersetzt weggelassen oauml wer-
den koumlnnen so dass jedes einzelne der sechs Wesensmomente im Spielgeschehen quasi jeweils ein
bdquoGliedldquo in einer ineinander greifenden bdquofunktionalenldquo Kette darstellt ohne dass die Kette nicht
funktionstuumlchtig waumlre und sich freies natuumlrliches Spiel nicht ereignen koumlnnte
Inwiefern sich freies Kinderspiel nach dieser Auffassung im Hessischen Bildungs- und Erziehungs-
plan widerspiegelt soll im folgenden Kapitel untersucht werden
2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
21 Das Spielverstaumlndnis
Im Kapitel bdquoGrundsaumltze und Prinzipienldquo des Hessischen Bildungsplanes kommt dessen bdquoeigenesldquo
Verstaumlndnis zum bdquoKinderspielldquo ebenso zum Ausdruck wie eine Anleitung dazu wie mit dem Spiel-
phaumlnomen planvoll umzugehen ist (vgl Hessisches Sozialministerium Hessisches Kultusministeri-
um (2007) S 30-31) Im Folgenden werden diese Positionen zusammenfassend darstellt und erlaumlu-
tert
Spiel wird darin als Mittel in der ureigenen Ausdrucksform des Kindes angesehen womit es in der
Zeit des Heranwachsens seine Entwicklungsaufgaben und Lebensrealitaumlt bewaumlltigt Nach dieser
Auffassung kennzeichnen das Spiel drei Merkmale Das ist erstens die Zweckfreiheit der Spielhand-
lung die ausschlieszliglich durch das von ihr ausgehende Anregungspotentials ausgefuumlhrt wird Zwei-
tens dass im Spiel eine eigene Realitaumlt konstruiert wird und drittens dass Spielhandlungen wie im
Ritual wiederholt werden Die weitere Betrachtung des Spiels ist dann maszliggeblich auf Zwecke Zie-
le und den Sinn des Spiels im Bezug auf seine Wirkungen beschraumlnkt Somit sollen sich Kinder
zwar bdquoin ihren Spielhandlungen lustvoll versenken und dabei in einen intensiven Austausch mit ih-
rer Umwelt tretenldquo (dies S 30) Dies diene dann aber lediglich der Verarbeitung und Bewaumlltigung
von noch nicht zuordenbaren Erfahrungen (Problemen) Diese vom Kind zu bewaumlltigenden Proble-
me betraumlfen einerseits Entwicklungsthematiken wie bdquodas Ausspielen von Macht und Kontrolle von
Allmachtsphantasien [hellip] oder Herrschaft uumlber Leben und Tod [] sowie der Wunsch nach Heraus-
bildung eines Selbst bzw einer Identitaumltldquo (ebd) und andererseits Beziehungsthematiken zwischen
15
Erwachsenen und Gleichaltrigen
An die Beschreibung der drei Merkmale von Spiel anschlieszligend wird der Lern- und Entwicklungs-
charakter des Spiel dargestellt bdquoFreie Spielprozesse sind immer auch Lernprozesse denn Kinder
lernen zumindest beilaumlufig durch Spielenldquo (ebd)
Weiter heiszligt es im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan dass die Qualitaumlt dieser Lernprozesse
die im freien Kinderspiel stattfinden durch bdquogezielte Unterstuumltzungsmaszlignahmenldquo zu erhoumlhen sei In
dieser Aussage wird deutlich dass das freie Kinderspiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungs-
plan lediglich als Mittel aufgefasst wird welches die Entwicklungs- und Lernprozesse waumlhrend des
Heranwachsens beschleunigend wie ein Motor vorantreiben soll Warum sonst soll die bdquoQualitaumltldquo
des freien Kinderspiels bdquoerhoumlhtldquo werden Kinder sollen in erster Linie nicht spielen um ihrem Be-
duumlrfnis nach Spiel nachzukommen sondern um etwas zu lernen Dies legt den Verdacht nahe dass
das Spielen als solches auch nur aus diesem Grunde naumlmlich weil Kinder im Spiel etwas lernen
dh Kompetenzen erwerben Bestandteil des Bildungsplanes ist
Zusammenfassend kann festgestellt werden dass das Spiel im Hessischen Bildungs- und Erzie-
hungsplan auf eine Art Voruumlbung fuumlr das bdquorichtigeldquo Leben bei gleichzeitiger Lebensbewaumlltigung
verkuumlrzt wird Gleichzeitig findet durch die bdquoAufwertungldquo des freien Spiels zum bdquospielerischen Ler-
nenldquo eine Funktionalisierung und Paumldagogisierung des freien Spiels statt Die dem Spiel von Lern-
und Entwicklungspsychologie attestierten Potenzen (vgl Oerter 2007) sollen fuumlr die Realisierung
der Bildungs- und Erziehungsziele nutzbar gemacht werden dh das Spiel an sich dient vorrangig
dem Erwerb gewisser Kompetenzen und nicht der Erfuumlllung kindlicher Spielbeduumlrfnisse
Im folgenden Abschnitt werden die Hintergruumlnde eines solchen Spielverstaumlndnisses untersucht
Politische Motivationen spielen dabei ebenso eine Rolle wie die sich daraus ergebenden Ziele des
aktuellen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplans
22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
Im Vorwort des Hessischen Bildungs- und Erziehungsplans benennen die ehemaligen Hessischen
Ministerinnen14 fuumlr Kultus Karin Wolf und fuumlr Soziales Silke Lautenschlaumlger das zentrale politi-
sche Ziel naumlmlich die bdquoOptimierung der Bildungschancenldquo und die Entwicklung von bdquoChancen-
gleichheitldquo (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S 18) fuumlr die heranwachsende
Generation Bereits diese Formulierung laumlsst erkennen dass es im Bereich Bildung und Erziehung
politisch gesehen um Effizienz und um einheitliche bdquoQualitaumlts-ldquo und bdquoBildungsstandardsldquo geht die
14 unver uumlbern v aktuellem Kultusminister Herr Lorz von Herr Gruumlttner fuumlr Soziales und Integration
16
auf maximale Leistungen in der nationalen und internationalen Wissenskonkurrenz zielen
Wie ist also bdquoOptimierung der Bildungschancenldquo zu verstehen Konzeptionell ist diese bdquoOptimie-
rung der Bildungschancenldquo darauf angelegt dass bis zum Uumlbergang in die Sekundarstufe die Kin-
dertageseinrichtungen und Grundschulen allen Kindern eines Jahrgangs als Grundlagen die gleichen
bdquoBasiskompetenzenldquo15 vermitteln sollen Das Erreichen dieser bdquoBildungsstandardsldquo bis zur vierten
Klasse sei wiederum die Herstellung von bdquoChancengleichheitldquo so die Schlussfolgerung (vgl dies
S 18)
Dabei besteht die Chance darin dass die Kinder des gesamten Jahrgangs in gleichen Leistungstests
an diesen einheitlichen bdquoBasiskompetenzenldquo in Abhaumlngigkeit gemessen und in Konkurrenz zueinan-
der nach ihren Lernleistungsdifferenzen (Leistungsabstaumlnden) eingeordnet werden koumlnnen (vgl
Nuumlberlin 2002 S 117-127) Die dabei entstehende Jahrgangssortierung dh die Platzierung im
Leistungsvergleich innerhalb eines Jahrganges entscheidet dann daruumlber welche Kinder eine
bdquoChanceldquo auf houmlhere Bildung erhalten und welche nicht welche also das Gymnasium besuchen
duumlrfen und fuumlr welche der Besuch der Realschule vorgesehen ist Somit werden mit dem politischen
Programm bdquoChancengleichheitldquo bzw bdquoOptimierung der Bildungschanceldquo die jungen Generationen
(Kinder und Jugendliche) gemaumlszlig der in der Gesellschaft durchgesetzten Wissenshierarchie bzw Fauml-
higkeitshierarchie kontinuierlich eingeordnet (vgl Nuumlberlin 2002 S 127-129)
Deshalb soll bdquoChancengleichheitldquo auch bdquoBildungschancenldquo eroumlffnen weshalb im Bildungsplan Paumld-
agogen dazu aufgerufen sind die Kinder von fruumlhester Kindheit an individuell zu staumlrken um ihre
unterschiedlichen Voraussetzungen zumindest in gleichen bdquoBasiskompetenzenldquo vermeintlich einan-
der anzugleichen und somit die Vergleichbarkeit in der Notenkonkurrenz chancengleich im Sinne
von voraussetzungsgleich zu gestalten (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S
5-6 und S 17-18) Gerda Nuumlberlin weiszligt darauf hin dass aber diese Voraussetzungsgleichheit die
Institution Schule gerade nicht leistet Und dass Schule statt dessen durch Lernen auf Zeit die Schuuml-
ler innerhalb eines Jahrgangs mit einheitlichen Tests kontinuierlich einem Sortierungsverfahren un-
terzieht das eher gemaumlszlig den Bildungsschichten die Wissensunterschiede der Kinder hervorhebt
und sogar mit produziert statt sie mit dem Ziel der bestmoumlglichen Wissengleichheit zu bdquobeseitigenldquo
(vgl Nuumlberlin 2002 S 104-142)
Die auf gleiche Basiskompetenzen vorbereitenden Lernangebote und Fruumlhfoumlrderungen sollen nach
Aumluszligerung der Ministerinnen im Vorwort intensiver und fruumlher initiiert werden als in den vorange-
gangenen Jahren (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S 5-6) Zur Sicherung
15 bzw auch als bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (vgl dies S 41) bezeichnet daraus resultieren sollen die besonders vonder Wirtschaft geforderten bdquoMetakompetenzenldquo (vgl dies S 17)
17
der bdquoBildungsqualitaumltldquo und Umsetzung einheitlicher Standards soll der Bildungs- und Erziehungs-
plan das institutionenuumlbergreifende Steuerungsinstrument sein (vgl dies S 19) Die Herausgeber
des Bildungsplanes heben in der Einfuumlhrung besonders hervor dass es sich erstmals um einen Bil-
dungs- und Erziehungsplan handelt der durch seine stufenlose Konzeption von 0 bis 10 Jahren ein
kontinuierliches Lernen vorsieht Alle paumldagogisch wirkenden Personen und Institutionen sollen
durch einheitliche Bildungs- und Erziehungsziele moumlglichst an bdquoeinem Strang ziehenldquo koumlnnen (vgl
dies S 5-19)
Leitziel ist es fuumlr das bdquolebenslange Lernenldquo mit dem Erwerb von bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo die
bereits erwaumlhnte gemeinsame Grundlage (bdquoBasiskompetenzenldquo 16) der Kinder zu erzeugen (vgl
dies S 41f)
Veranlasst sehen sich die Ministerien zur bdquoneuenldquo konzeptionellen Bildungssteuerung durch den
tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel der sich von der demografischen Entwicklung uumlber viel-
faumlltige kulturelle Kontexte die Wirtschafts- und Arbeitswelt bis hin zu familialen Wandlungsprozes-
sen vollzieht und generell durch Schnelllebigkeit gekennzeichnet ist und von den Menschen ein ho-
hes Maszlig an Flexibilitaumlt und Mobilitaumlt fordert Hierzu werden auch die Ergebnisse der Schuumllerleis-
tungsvergleiche wie PISA TIMSS oder IGLU und denen entsprechende wissenschaftliche For-
schungsbefunde genannt denen der bdquo(neue) Bildungs- und Erziehungsplanldquo Rechnung tragen
moumlchte (vgl dies S 16-19)
Denn die Platzierung bei national und international vergleichbaren Leistungserhebungen ist letztlich
die Bemessungsgrundlage fuumlr bdquoBildungserfolgldquo oder bdquoBildungsversaumlumnisldquo Die attestierte bdquoBil-
dungsqualitaumltldquo ist deshalb von politischem Interesse weil die Politik die durch ihr Bildungssystem
erreichte Platzierung im vorderen Bereich als Standortfaktor fuumlr ihren Wirtschaftsstandort in
Deutschland nutzen moumlchte um vor allem auf dem globalem Markt konkurrenzfaumlhig zu bleiben
Im Folgenden wird zu zeigen sein ob und inwiefern diese Zielsetzungen mit dem dafuumlr entwickel-
ten Bildungskonzept zur angenommenen Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels fuumlhren
16 Im Einzelnen werden folgende Kompetenzen genannt als Basiskompetenzen werden bdquoindividuumsbezogeneKompetenzenldquo bdquoKompetenzen zum Handeln im sozialen Kontextldquo bdquoLernen und lernmethodische Kompetenzldquo undbdquokompetenter Umgang mit Veraumlnderung und Belastung Widerstandsfaumlhigkeit (Resilienz)ldquo genannt (vgl dies S 25-26 und S 41-44) Zum anderen werden darauf aufbauende konkrete Bildungs- und Erziehungsziele genannt (ent-sprechend der geforderten bdquoMetakompetenzenldquo) bdquostarke Kinderldquo bdquokommunikationsfreudige Kinder und medien-kompetente Kinderldquo bdquoKreative fantasievolle und kuumlnstlerische Kinderldquo bdquoLernende forschende und entdeckungs-freudige Kinderldquo und bdquoverantwortungsvoll und werteorientiert handelnde Kinderldquo (vgl dies S 13)
18
23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Wie kann das politische Ziel naumlmlich alle Kinder mit den gleichen Grundkompetenzen auszustatten
und deren bdquoErfolgldquo mindestens ab der vierten Klasse an regelmaumlszligigen Leistungserhebungen zu be-
messen durch freies Spiel erreicht werden Die Vermittlung bzw der Erwerb standardisierter Inhal-
te (Wissen Faumlhigkeiten Fertigkeiten Kompetenzen) und die Verfuumlgung daruumlber (Pruumlfungstermin)
steht im Widerspruch zum freien Spiel als offenem Prozess den die Spielenden selbst initiieren und
gestalten und bei dem keine Voraussagen daruumlber getroffen werden koumlnnen wann sich welche
Kenntnisse und Fertigkeiten einstellen
Diese erlangt man einerseits durch die Freiheit als Freiraum zum Spiel die eine gewisse Qualitaumlt an
Sorgefreiheit bedingt Zur Sorgefreiheit zaumlhlt beispielsweise auch das Freisein von Lerndruck der
jedoch unter anderem durch festgelegte Leistungserhebungen und Entwicklungsdokumentationen
bei den Kindern erzeugt wird Und andererseits erwirbt man Kenntnisse und Faumlhigkeiten nur dann
wenn das Spiel frei ist wenn es sich also um seiner selbst Willen ereignet und eben nicht bdquokanali -
siertldquo wird es also keinen aumluszligeren Zielen Zwecken oder Absichten unterliegt wie es jedoch bei
festgelegten bdquoBasiskompetenzenldquo (bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo) eines bdquoBildungsstandardsldquo der Fall
waumlre17 Hinzu kommt der weitere Aspekt von Freiheit im Spiel wonach das Spiel ein selbstgesteuer-
ter Prozess mit offenem bdquoAusgangldquo ist dessen Wirkungen eben nicht planbar oder voraussagbar
also nicht standardisierbar und determinierbar sind Diese Qualitaumlt von Freiheit im Spiel ergibt sich
nun aus den unverfuumlgbaren Momenten des freien Spiels wie dem Augenblick der Instabilitaumlt der
Kreativitaumlt und Phantasie der Spontanitaumlt und Unordnung dem Unsinn und Zufall Diese zugleich
auch wesentlichen Antriebskraumlfte des Spiels koumlnnen sich wie bereits im Kapitel bdquo14 Moment der
Ambivalenzldquo (S 11-13) naumlher beschrieben nur in einem Entwicklungsspielraum mit reichhaltigen
Erfahrungsmoumlglichkeiten und mit dem erlaumluterten Spannungsverhaumlltnis ergeben Sie tragen dann
aber auch die unermesslichen Potentiale fuumlr Emergenz mit dem Prinzip des Lebendigen in sich
woraus sich seine Offenheit fuumlr Neues im Sinne der Weiterentwicklung von Leben ergibt
An dieser Stelle moumlchte ich ergaumlnzend zu meiner eher phaumlnomenologischen Wesensauffassung von
freiem Spiel einige Beispiele skizzieren wie sich die Einuumlbung von Kompetenzen durch freies Spiel
aus psychologischer Sicht vollzieht
Die im Hessischen Bildungsplan intentional geplanten Basiskompetenzen und Lernziele wie bei-
spielsweise Kreativitaumlt Abstraktionsvermoumlgen Empathie oder Flexibilitaumlt in Denk- und Vorstel-
17 Vgl dazu Kapitel bdquo11 Das Moment der Freiheitldquo in dieser Arbeit S 7f
19
lungsvermoumlgen ergeben sich im Spiel als bdquoNebeneffektldquo Das Kind vollzieht naumlmlich im Spiel fuumlr
seine Entwicklung entscheidende Bildungsprozesse selbsttaumltig intrinsisch motiviert und in der bdquoDo-
sisldquo die es bedarf Dabei von groszliger Bedeutung ist der vom Kind entwickelte eigene Lernmodus
der sich maszliggeblich an der individuellen Leistungsfaumlhigkeit und den persoumlnlichen Beduumlrfnissen ori-
entiert Hierfuumlr benoumltigt jedes Kind einen eigenen Entwicklungsspielraum
bdquo[Der] sollte Heranwachsenden die vielfaumlltigsten auch selbsttaumltig inszenierten Erfah-rungsraumlume bieten um sich - wie es Johann Heinrich Pestalozzi nannte - an Kopf Herzund Hand bilden zu koumlnnen moumlglichst frei von Furcht und Zwang Sinnesbildung Koumlr-perbildung und geistig-seelische Bildung sollten dabei gleichermaszligen zur Entfaltungkommenldquo (Rittelmeyer 2007 S 7)
So initiieren Kinder beispielsweise in ihren Rollenspielen eigentaumltige Bildungsprozesse indem sie
sich im spontanen Spiel in die Perspektive anderer Menschen versetzen und eigenes Handeln fuumlr
aumlhnliche Lebenssituationen uumlben Oder sie erproben sich im Spiel mit verschiedenen sozialen Rol-
len zB im Rahmen gesellschaftlicher Verhaltensstandards indem ein von Geschichten aufgenom-
menes oder durch elterliche Kommentare an die Kinder herangetragenes Ideal (bdquoTapferkeitldquo bdquoGe-
schwisterliebeldquo bdquoFreundschaftldquo bdquoHilfsbereitschaftldquo etc) mit der persoumlnlichen Wirklichkeit vertraut
gemacht wird Dieses Erproben entspricht zB einer Bewusstseinsbildung im Hinblick auf (solche)
gesellschaftlichen Rollenerwartungen
bdquo[Oder] im Symbolspiel das ein Houmllzchen zur Mutterʻ oder zum Autoʻ werden laumlsstuumlben Kinder die Faumlhigkeit im Hinblick auf gegebene Phaumlnomene verschiedene Per-spektiven entwickeln zu koumlnnen also mit Kreativitaumlt oder Phantasie auf Erscheinungender aumluszligeren Welt zu reagierenldquo (ders S 17)
Es ist schwierig zu sagen welche Kompetenzen genau aus eigentaumltigen Bildungsprozessen im Spiel
entstehen da Resultate aus diesen Erfahrungen wiederum von diversen Faktoren abhaumlngig sind
Maszliggebliche Faktoren sind dabei die uumlberaus verschiedenen biografischen Erfahrungen der Kinder
und dass die letztliche Erfahrungsgewichtung durch ihre Individualitaumlt verschieden zum Tragen
kommt
Da aber jedes Lernen immer individuumsbezogen dh vom Kind abhaumlngig ist hat dieser Umstand
auch fuumlr die geplant-initiierten Lernangebote Geltung sofern derartige von auszligen angestoszligene
Lernangebote uumlberhaupt in den lernenden Kindern auf Resonanz stoszligen
Es duumlrfte kaum anzuzweifeln sein dass wie im Beispiel des spontanen von den Kindern selbst initi-
ierten Rollenspiels Rollenhandeln und soziale Empathie eingeuumlbt und fuumlr eigenes Handeln erprobt
werden Ebenso werden durch Symbol- oder Rollenspiele die Phantasie und Kreativitaumlt vielfaumlltig
angeregt die Beobachtungsgabe und das Vorstellungsvermoumlgen ausgepraumlgt Daraus kann sich wie-
20
derum das Abstraktionsvermoumlgen entwickeln und die Kinder bilden mit zunehmenden Perspekti-
venwechseln eigene Vorstellungen und Uumlberzeugungen aus Indem naumlmlich Spielende in ihre selbst
konstruierte bdquoScheinweltldquo gaumlnzlich bdquoeintauchenldquo nehmen sie auf zuvor vielfaumlltig beobachtete und
erlebte Situationen Bezug Erst spielen sie das Erlebte nach und bdquodurchlebenldquo es dabei spielerisch
immer wieder bis sich ein tiefgruumlndiges Verstaumlndnis uumlber die erlebte Situation gebildet hat Allmaumlh-
lich wird dann durch die eigene Ausgestaltung des Rollen- oder Symbolspiels das wahrgenommene
Phaumlnomen zunehmend abstrahiert und Kinder beginnen vielfaumlltige eigene Vorstellungen dazu zu
entwickeln Freies Spiel entspricht also eigentaumltiger Lebenswelterfahrung und -aneignung und ihr
Bildungsgehalt scheint dabei fast unermesslich groszlig zu sein (vgl ders S 7-17 und S 135-137)
Es wuumlrden sich also durch freies Kinderspiel ganz unterschiedliche und auch bdquoneueldquo Kompetenzen
mit ganz individuellen Auspraumlgungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten bilden Diese Aspekte ma-
chen aber eine vergleichende Leistungserhebung quasi unaussagekraumlftig bzw koumlnnten einen deter-
minierten bdquoBildungsstandardldquo insofern bdquogefaumlhrdenldquo als dass das Spiel als kreative geistig-emotio-
nale Weltzuwendung immer einen offenen bdquoAusgangldquo hat dh nicht vorhersagbar ist Das Zulassen
von freiem Spiel steht somit im Interessenskonflikt mit den oben genannten politischen Absichten
weshalb dem freien Spiel ein generelles Misstrauen gegenuumlber gebracht wird Dies fuumlhrt letztlich
konzeptionell dh durch die Einfuumlhrung und Umsetzung von bdquoBildungsstandardsldquo zur zunehmen-
den Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
Inwiefern die angenommene Verdraumlngung von freiem Kinderspiel auch paumldagogisch motiviert sein
kann soll im folgenden Abschnitt untersucht werden
24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Die Autorinnen und Autoren sehen Kinder einerseits als kompetente selbstbestimmt taumltig werdende
Wesen an und deuten die Bildung und das Lernen zwar als soziale Prozesse die sich im Dialog zwi-
schen Kind und Erwachsenem vollziehen koumlnnen Andererseits verweisen sie aber darauf dass die
Qualitaumlt dieser Prozesse wiederum von auszligen dh von einem Erwachsenen gesteuert und mode-
riert werden sollen (vgl Hessisches Sozialministerium Hessisches Kultusministerium 2007 S 20-
21) Die Steuerung der Bildungs- und Lernprozesse wird versucht zu rechtfertigen indem auf aktu-
elle neurowissenschaftliche Befunde verwiesen wird die dem kindlichen Gehirn ein enormes Ent-
wicklungs- und Lernleistungsvermoumlgen zuschreiben welches wenn es nicht genuumltzt wuumlrde einem
bdquoBildungsversaumlumnisldquo gleichkaumlme und nur schwer wieder aufzuholen sei (vgl dies S 20- 24)
bdquoJe reichhaltiger aumluszligere Lernreize sind desto mehr effiziente neuronale Netzwerke
21
(Synapsen) bilden sich heraus die fuumlr die Verarbeitungskapazitaumlt des Gehirns und seineLernfaumlhigkeit im spaumlteren Leben bedeutsam sind Im Entwicklungsverlauf eines jedenKindes gibt es optimale Zeitraumlume fuumlr grundlegende Lernschritte (zB ZweitspracheRaumorientierung elementares mathematisches Denken Interesse an Naturwissen-schaften aumlsthetisches Verstaumlndnis Entwicklung der Musikalitaumlt) Solche Zeitfenstergibt es auch noch im Laufe der weiteren Bildungsbiografie Dennoch gilt es diese sen-siblen Phasen bereits durch fruumlhe Bildung offensiv zu nutzen [sic] Je solider und brei-ter die Basis aus jener Zeit desto houmlher ist die Wahrscheinlichkeit dass das Kind danachaktiver und leichter lernt Fruumlhe Bildungsversaumlumnisse sind nur schwer aufholbarldquo(dies S 24)
Die programmatische Paumldagogisierung von Spiel die die bdquoGrenzen zwischen der herkoumlmmlichen
Trennung von Freispielprozessen und geplanten Bildungsprozessen zunehmendldquo (dies S 30) ver-
wischen soll ist vor dem Hintergrund Bildung als Produkt einer offensiven Nutzung der sensiblen
Lernzeitfenster anzusehen (vgl dies S 23-24) und wiederum von seiner politischen Motivation
mit dem Wettlauf um Konkurrenzfaumlhigkeit sowie der Weiterfuumlhrung einer in der Gesellschaft durch-
gesetzten und der Wirtschaft dienlichen Wissenshierarchie in Verbindung zu bringen Folglich fuumlhrt
die im Bildungs- und Erziehungsplan programmatisch angewiesene Funktionalisierung des Spiels
zum bdquospielerischen Lernenldquo letztlich paumldagogisch motiviert zur zunehmenden Verdraumlngung des frei-
en (Kinder)Spiels denn dieses wird als zu zeitintensive Taumltigkeit angesehen Freispiel darf zwar
laut Plan auch enthalten sein es bdquomuss jedoch im angemessenen Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlten ste-
henldquo (dies S 31) weshalb es wegen des bdquoLernfensterdrucksldquo (vgl Dies S 23-24) zum bdquospielen-
den Lernenldquo umfunktionalisiert werden soll (vgl dies S 30-31) um wegen seiner bildenden Po-
tenzen dann als Lernbeschleunigung dem Lernziel (bdquoBildungserfolgldquo) dienbar gemacht zu werden
Das Freispiel soll konzeptionell auf zwei Wegen zu bdquospielendem Lernenldquo qualitativ aufgewertet
werden Zum einen indem aus Spielprozessen Projekte hervor gehen mit der Bedingung dass das
Spielgeschehen zunehmend von der Projekttaumltigkeit durchdrungen wird Und zum anderen koumlnnen
bdquo[]im Rahmen von Projekten [hellip] Freispielphasen enthalten sein in denen sich dieKinder weiterhin mit dem Projektthema allein oder mit anderen auseinandersetzen DieQualitaumlt der Freispielprozesse laumlsst sich durch gezielte Unterstuumltzungsmaszlignahmen erhouml-henldquo (dies S 30 Herv MG)
Wenn also Freispielphasen eingeplant werden dann unter der Bedingung dass im bdquoSpielldquo die Pro-
jektthemen wieder aufgegriffen werden In beiden Varianten wird aber die Qualitaumlt des Spiels zu-
mindest im Bezug auf das Erreichen des Lernzieles angezweifelt weshalb ein gezieltes Einwirken
der Paumldagogen kontinuierlich angedacht ist
bdquoDie Houmlhergewichtung des elementaren Bildungsauftrags hat zur Konsequenz dasssich das beilaumlufige Lernen der Kinder im Spiel zum spielerischen Lernen hin entwickeltDem Spiel wird mehr systematische Begleitung und didaktische Aufbereitung
22
zuteilldquo(dies S31 Herv MG)
Das demnach angedachte bdquoFreispielldquo soll folglich auch kein freies natuumlrliches Spielen sein selbst
wenn sich Kinder angetan von den Projektinhalten im freien Spiel beginnen selbsttaumltig im Rah-
men dessen auseinanderzusetzen Solches Geschehen wuumlrde durch paumldagogisches Einwirken auf
das Lernziel hin gelenkte Taumltigkeit werden es soll durch Erwachsene zum bdquospielerischen Lernenldquo
hin entwickelt werden Ebenso kann auch ein anfaumlngliches Spiel nie als solches bestehen bleiben
Die Houmlhergewichtung des institutionellen bdquoBildungsauftragsldquo bewirkt in beiden Faumlllen dass der
scheinbar gewaumlhrte bdquoSpielraumldquo zur zielorientierten Lerntaumltigkeit wird weshalb (freies) Spiel ver-
draumlngt wird und zunehmend in Projekttaumltigkeit muumlndet Erst dann hat Spiel einen qualitativen Nut-
zen im Sinne des Bildungs- und Erziehungsplans Deshalb haben Spielen und Lernen auch nach An-
sicht und Position des Bildungsplanvorhabens in einem besonderen Verhaumlltnis zueinander zu stehen
welches Paumldagogen zu sichern haben
bdquoFreispiel ist wichtig muss jedoch im angemessenem Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlt stehendie die Erwachsenen planen und initiieren[]ldquo (ebd Herv MG)
Denn Lernaktivitaumlt sollte nach Meinung der Autorinnen und Autoren wenn sie vom Kind ausgeht
letztlich durch Erwachsene zielfuumlhrend gelenkt werden
Diese Qualitaumlt steigernden Unterstuumltzungsmaszlignahmen und das angestrebte Verhaumlltnis von Spielen
und Lernen stehen im einzelnen mit den Wesensmomenten des freien Spiels in Widerspruch Im
freien Spiel sind die Spielinhalte die sich spielende Kinder selbst auswaumlhlen vorwiegend alltagsbe-
zogen und als diese individuell meist sehr unterschiedlich Kinder begegnen im Spiel also Themen
die ihr Interesse durch erlebte oder beobachtete Situationen geweckt haben Diese eigens initiierten
Spielideen koumlnnen wie oben skizziert diverse Funktionen (zB bildendes Erproben) als Nebenef-
fekt haben Aber im Sinne des Spiels als bdquofreie Zeitgestaltungldquo draumlngt das Kind eher nach sinnvoll
erfuumllltem Leben durch erstrebtes lustvolles Spielen mit ganzheitlichem Lebensweltbezug als nach
einer von auszligen das Spiel deformierenden oder domestizierenden Systematik und Didaktik Es ist
anzunehmen dass diese fehlende bdquoBe-friedigungldquo des Spielbeduumlrfnisses ihre praumlgenden Anpas-
sungsspuren in den Kindern hinterlaumlsst und sie wahrscheinlich unzufrieden macht Zusaumltzlich duumlrf-
ten diese Umstaumlnde dem Lernen allgemein auch eher abtraumlglich sein
Es besteht also ein ganzheitlicher Bezug zum eigenen Leben wenn durch die Freiheit zum Spiel
ganz individuelle Themen zur Spielidee werden und bdquoihren Laufldquo nehmen Das heiszligt die jeweilige
Initialidee wird im weiteren Spielverlauf staumlndig veraumlndert werden und folgt dabei gerade eben
nicht der bdquoLogikldquo der buumlrgerlichen Erwachsenenwelt Diese bdquoLogikldquo wird aber im Bildungsplan fo-
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kussiert In ihm ist die Annahme enthalten dass Kinder wie Forscher ihre Umwelt erkunden und
nun im Zuge der Aufwertung des Spiels zum bdquospielerischen Lernenldquo durch paumldagogisches Hinwir-
ken sich das bdquospielendeldquo Kind in reflektierender Betrachtungsweise Kausalzusammenhaumlnge und
Gesetzmaumlszligigkeiten des zu untersuchenden bdquoGegenstandesldquo erschlieszligen bzw davon ableiten soll
(vgl dies S 20 27-28 30-31) Spiel ist aber nur dann Spiel wenn es ein eigenes fortwaumlhrendes
kreatives und spontanes Eingehen auf die Anregungen der aumluszligeren Spielszenerie ermoumlglicht (vgl
Kapitel bdquo14 Das Moment der Ambivalenzldquo S 11ff sowie Rittelmeyer 2007 S 136) Innerhalb
dessen orientiert sich die Spiel gestaltende Taumltigkeit des Kindes hauptsaumlchlich an den eigenen Be-
duumlrfnissen und nicht an Vorgaben von auszligen Deswegen kann auch nicht alles Spiel sein das waumlre
Willkuumlr und nicht Geschlossenheit (vgl Kapitel bdquo15 das Moment der inneren Geschlossenheitldquo S
13) Und um seiner inneren Zweckmaumlszligigkeit moumlglichst dienlich zu sein bleibt es auch stets unver-
fuumlgbar Darin gibt es keine absolute Eindeutigkeit (zB ein Lernziel) mit zielgerichtetem Streben
nach zukuumlnftiger Befriedigung Spiel ist jetzt ist gegenwaumlrtig angestrebtes erfuumlllendes Erleben von
frei gestalteter Zeit Nur so koumlnnen sich alle weiteren Wesensmomente und ihre ua auch hoch ef-
fektiv bildenden Potenziale ergeben und individuell entfalten Solches Spiel waumlre aber von Vielfalt
Spontanitaumlt Uumlberfluss Instabilitaumlt Kreativitaumlt oder auch vom ihm eigenen Unsinn gepraumlgt Sicher-
lich erschlieszligen sich dem Kind dabei diverse Kausalzusammenhaumlnge und aus Einzelphaumlnomenen
wird es ableitend Gesetzmaumlszligigkeiten erfahren die sich in diesem informellen Lernprozess dann als
Wissen Kenntnisse Fertigkeiten oder auch Kompetenzen verinnerlichen Aber diese (Neben)Effek-
te wuumlrden nie zielfuumlhrend oder leitend das Spielgeschehen formen bzw antreiben
Dem natuumlrlichen freien Spiel steht das bdquospielerische Lernenldquo auch im Bezug auf die im Spiel er-
schaffene Phantasiewelt (vgl Kapitel bdquo13 Das Moment der Scheinhaftigkeitldquo S 10) entgegen
Denn diese zeichnet sich gerade dadurch aus dass sie sich von den bdquoObjektenldquo der Umwelt loumlst
vom Faktischen enthoben ist und durch Phantasie zu bdquoNeuemldquo zu Symbolischem werden laumlsst Und
somit das symbolische bdquoAls-obldquo Spielgeschehen ermoumlglicht Das Spiel wuumlrde sich also notwendi-
gerweise von der Projekttaumltigkeit oder ihren faktischen Inhalten loumlsen muumlssen um sich in dieser
Phantasiewelt mit seiner Spielhandlung zwischen Zufaumllligem und Notwendigem bewegen zu koumln-
nen Mit der daraus entstehenden Gegenwaumlrtigkeit schloumlssen sich alle weiteren Momente zu ihrer
bdquofunktionalenldquo Kette zusammen Auch der zeitliche Rahmen in dem sich das freie Spiel nun bewe-
gen wuumlrde ist unvorhersehbar Es ist also wahrscheinlich dass das Spielgeschehen uumlber den von
Erziehern eingeplanten bdquoFreispielzeitraumldquo hinweg andauern koumlnnte und deshalb von auszligen durch
die Paumldagogen abgebrochen werden wuumlrde Der bdquoinneren Unendlichkeitldquo des Spiels wuumlrde dies so-
mit ein abruptes Ende bereiten Dem zirkulaumlrem Charakter des Spiels steht noch ein weiterer Aspekt
24
entgegen Naumlmlich dass die Wiederholungen der Spielhandlung nicht aus systematischer oder di-
daktischen bdquoAufbereitungldquo erzeugt werden koumlnnen sondern dass sie wie Rolf Oerter in bdquoZur Psy-
chlogie des Spielsldquo beschreibt mit lustvollem Erleben in Verbindung zu bringen sind und demnach
eher dem Lustprinzip folgen als dem rationellem Realitaumltsprinzip (vgl Oerter 2007 S 9 12 14f
18-21)
Einzelne Momente fuumlr bdquospielerisches Lernenldquo zu erzeugen bzw sie diesbezuumlglich abzuwandeln
kann also nicht mehr mit dem natuumlrlichen freiem Spiel in Verbindung gebracht geschweige denn
damit gleichgesetzt werden Das daraus resultierende bdquoSpielenldquo kann demnach auch nicht dem Be-
duumlrfnis oder Drang nach Spiel entsprechen welches Kinder ganz offenkundig haben Das Spiel im
Sinne des Bildungsplanes gleicht in seiner angedachten Form eher bdquodomestiziertenldquo Spiels das in
einzelne Wesensmomente zerrissen ist um als didaktische bdquoListldquo geplant initiiert zu werden Somit
wird durch die verkuumlrzte Auffassung von Spiel als Mittel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo bei
gleichzeitiger Verkuumlrzung echter Spielzeit die zunehmende Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels
im Bildungsplan programmatisch angegangen bzw angeordnet wodurch die dieser Arbeit zugrunde
liegende Annahme bestaumltigt wird
3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
Die Reformpaumldagogik hat zB durch Ellen Key Johann Heinrich Pestalozzi oder Maria Monterssori
Konzepte wie Jena-Plan das der Sudberry Valley School oder der Freien Demokratischen Schulen
inspiriert Innerhalb deren Konzeptionen findet auch die kindliche Lebenswelt ohne sie romantisch
zu verklaumlren ihren anerkennenden Platz und wird als vollwertiger Lebensabschnitt beachtet Ihre
aumlhnlichen Bildungsansaumltze enthalten vielfaumlltigste Anreize und Formen vernuumlnftiger Bildungsideen
mit ganzheitlichem Menschenbild und echtem Lebensweltbezug Das bedeutet auch fuumlr eine Institu-
tion um mit Ellen Key zu sprechen Bildung vom Kind aus zu denken
Exemplarisch moumlchte ich im Folgenden diese Bildungsvorhaben und ihre fuumlr die Kinder bereiteten
Entwicklungsspielraumlume an Hand der Freien Demokratischen Schulen skizzieren Der Ausgangs-
punkt dieser Schulen ist der Kerngedanke dass sich durch Eigeninitiative selbstverantwortete Bil-
dung und freies Spiel nicht abstoszligend gegenuumlber stehen sondern dass beide den Beduumlrfnissen des
Kindes entspringen und das Kind deshalb je nach seiner Beduumlrfnislage seine Aktivitaumlten diesbezuumlg-
lich selbstorganisiert Zwar sind auch Freie Demokratische Schulen als Institution leider kein wirk-
licher bdquoorganischerldquo Teil der Lebenswelt von Kindern sondern immer nur von auszligen angebotene in-
tentionale Konstrukte die aber in diesem Fall den individuellen Entwicklungsspielraum der Kinder
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versuchen zu schuumltzen bzw bereitzuhalten Somit wird jedem Kind sein eigener Freiraum der ihm
spontanes freies Spiel ermoumlglicht bereitet ohne es in irgendeiner Form zu verzwecken oder zu ka-
nalisieren Einige Konzepte solcher Schulen greifen auch die Kindheit als gesellschaftlichen Status
hervorbringende Begebenheit auf naumlmlich dass durch die alltaumlgliche Erwerbstaumltigkeit der Erwach-
senen die Kindheit entsteht und zwar als davon getrennter Lebensbereich Verschiedene Versuche
zB durch (Land)Schulheime oder selbst initiierten Lernvereinbarungen zielen darauf ab die ge-
trennten Lebensrealitaumlten von Kindern und Erwachsenen wieder mehr zur Uumlberschneidung zu brin-
gen Die daraus entstehenden freiwilligen Erfahrungspartnerschaften werden eigenverantwortlich
von den Beteiligten (Schuumller und Lehrer) nach ihren Beduumlrfnissen Vorstellungen und Wuumlnschen
gemeinsam gestaltet Es kann also keinen einheitlichen Lehrplan geben und es kann auch keinen
bdquoMethodenkofferldquo als Handreichung des Ministeriums geben der Anwendung finden soll Aber
falls es von den Schuumllern gewuumlnscht wird bzw falls es von ihnen als vernuumlnftig fuumlr die Umsetzung
des Vorhabens angesehen wird kann sich der Lehrer sinnvollerweise durch methodische oder di-
daktische bzw besser mathetische Aufbereitung unterstuumltzend einbringen Die Schuumller entwickeln
also selbst wie sie lernen und was sie lernen Dabei treffen sie nicht maszliggeblich ihre Auswahl aus
bereits bestehenden Angeboten sondern sie koumlnnen ihre Beschaumlftigungs- bzw Lerngebiete voumlllig
frei waumlhlen und initiieren Jede Beschaumlftigung wird dabei als wertvoll und lehrreich erachtet sei es
das Lesen das Experimentieren das freie Spielen oder das Teilnehmen an einem Unterrichtskurs
Die Schuumller entscheiden auch wann sie lernen Sie legen damit den gesamten zeitlichen Rahmen
fest innerhalb dessen sie sich mit ihrem eigenem Lerngebiet beschaumlftigen wollen Dies betrifft die
Tageszeit und den Gesamtzeitraum der Taumltigkeit aber vor allem auch das Alter in dem sie sich ent-
schlieszligen sich mit einer Thematik zu befassen So entschlieszligt sich zB ein neunjaumlhriges Kind Lesen
zu lernen wo ein fuumlnfjaumlhriges bereits damit begonnen hat Dabei waumlre es nicht ungewoumlhnlich dass
diese beiden Leseinteressierten sich zusammenschlieszligen und eine Lerngruppe initiieren um sich
gemeinsam dem Lesen lernen zu widmen Auch liegt es in der Verantwortung der Kinder wie inten-
siv sie sich mit dem gewaumlhlten Thema auseinandersetzen wollen Um all dies zu planen und umset-
zen zu koumlnnen sind die Lehrer wie beratende Helfer kontinuierlich fuumlr die Kinder da und die Kin-
der sind sich nie selbst uumlberlassen Somit schafft das Vertrauen der Lehrer in die Schuumller Vertrauens-
wuumlrdigkeit und die Kinder koumlnnen sich sicher und geborgen fuumlhlen um sich moumlglichst ohne Angst
in dieser Freiheit ganz nach ihren Beduumlrfnissen der Welt zuzuwenden Diesen Freiraum zum Entde-
cken und Spielen bezeichnen die Sudberry- bzw die Demokratischen Schulen als Lernfreiheit und
er ist eine der beiden Grundsaumlulen des Bildungskonzepts Die zweite Saumlule ist von organisatorischer
Natur und konstatiert den Lernort als egalitaumlres System in dem Schuumller und Lehrer in verschiede-
nen Gremien Komitees und Aumlmtern gleiche Einflussmoumlglichkeiten Pflichten sowie Rechte besit-
26
zen (vgl Schiffner 2007 S 8-15)
Peter Gray emeritierter Professor fuumlr Psychologie des Boston College erklaumlrte in einem Vortrag in
Berlin 3122012 die Grundlagen dieses bdquoErziehungsldquo Ansatzes18 Er nennt ihn Vertrauensvolle Er-
ziehung (Trustful Parenting) bdquoVertrauensvolle Erziehung basiert auf der Annahme dass Kinder von
Natur aus widerstandsfaumlhig kompetent sozial und selbstgesteuert sindldquo (Gray 2012 S 1) Daraus
ergibt sich dass Kinder ihrem Beduumlrfnis nach selbst entscheidend entdecken und spielen Es obliegt
ihrer Entscheidung Risiken einzugehen und dabei auch evtl eigene Fehler zu machen Entwick-
lungsvergleiche (auch keine Lernleistungsvergleiche) liegen dieser Ansicht fern Erziehung versucht
demnach Entwicklung nicht zu lenken sondern zu unterstuumltzen sodass Kinder ihre eigenen Ziele
verwirklichen koumlnnen Sie entwickeln dabei Eigeninitiative und uumlbernehmen Selbstverantwortung
in der Gemeinschaft Die Erwachsenen stellen dazu lediglich den aumluszligeren bdquoRahmenldquo her der fuumlr ein
gesundes Heranwachsen erforderlich ist (vgl Grey 2012 S1 ff) Deshalb ist dieser Ansatz auch
nicht als eine vernachlaumlssigende Haltung zum Kind anzusehen sondern ganz im Gegenteil die
bdquoErziehendenldquo senden den Kindern folgende Botschaft
bdquoDu bist kompetent Du hast Augen und ein Gehirn und du bist in der Lage Dinge her-auszufinden Du kennst deine eigenen Faumlhigkeiten und Grenzen Durch Spielen und Er-forschen wirst du dir aneignen was du wissen musst Deine Beduumlrfnisse werden gewuumlr-digt Deine Meinung zaumlhlt Du bist fuumlr deine Fehler selbst verantwortlich und man kanndarauf vertrauen dass du aus ihnen lernst Das Sozialleben zeichnet sich nicht durchWillenskaumlmpfe aus sondern vielmehr dadurch einander so beizustehen dass alle dasbekommen was sie brauchen und sich am meisten wuumlnschen Wir sind auf deiner Seitenicht gegen dichldquo (ders S1)
Interessant finde ich Peter Grays historischen Bezug den er zur Vertrauensvollen Erziehung her-
stellt Er belegt naumlmlich mit verschiedenen wissenschaftlichen Studien zu Jaumlger- und Sammlerkultu-
ren dass dieser Erziehungsstil bis zum Einsetzen der Landwirtschaft (vor ca 10000 Jahren in Asi-
en) der vorherrschende war und dass die Menschheit zu 99 Prozent ihrer gesamten Geschichte (ca 1
Millionen Jahre) Jaumlger und Sammler waren (vgl ders S 1-3)
4 Zusammenfassende Gedanken
Die anfaumlngliche Spielbegriffseingrenzung im ersten Teil dieser Arbeit verdeutlichte dass das Spiel
nicht nur von elementarer Bedeutung fuumlr ein gesundes Aufwachsen fuumlr Koumlrper und Psyche der Kin-
der ist obwohl das freie (Kinder)Spiel die dafuumlr wohl geeignetste Lebenstaumltigkeit darstellt Dem
18 Vgl Gray Peter (2012) Trustful Parenting May Require an Alternative to Conventional Schooling (Vertrauensvol-le Erziehung macht unter Umstaumlnden eine Alternative zum konventionellen Schulsystem noumltig) httpwwwting-schuledeindex_htm_filesPeter20Gray20_20Trustful20parentingpdf (Zugriff 260315)
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natuumlrlichen (Kinder)Spiel als geistig-kreative Weltzuwendung liegen viel urspruumlnglichere Wurzeln
zu Grunde weshalb sich durch freies Spiel die Sinne der Koumlrper und auch der Geist als bdquoNebenef-
fektldquo beilaumlufig bilden und entwickeln Naumlmlich wie das bdquoMenschsein kein Zweck etwa des Lebens
sondern das Leben selbst istldquo (Kamper 1976 S 141) ist das (Kinder)Spiel auch kein findiger
Zweck des Lebendigen sondern gelebte Lebendigkeit und damit zwecklos (vgl ebd) bdquoDarauf und
nur darauf bezieht sich Schillers Wort dass der Mensch nur spielt wo er in voller Bedeutung des
Wortes Mensch ist und nur da ganz Mensch ist wo er spieltldquo (ebd) Somit stellt das Spiel das Prin-
zip des Lebendigen dar dies herauszuarbeiten und phaumlnomenologisch be-greifbar zu machen war
Ziel des ersten Teils dieser Arbeit Ich beabsichtigte darin ein Verstaumlndnis dafuumlr zu bilden dass das
(Kinder)Spiel als Modus von Freiheit im bdquoSpannungsfeld Lebenldquo die Wesenskraumlfte der Evolution
den Zufall die Spontanitaumlt und die Kreativitaumlt als eigene Triebkraumlfte in sich traumlgt und im freien
selbst initiierten Spielgeschehen zur Entfaltung bringt Als dieses Urprinzip ist das freie natuumlrliche
Spiel dem Menschen - homo ludens - und deshalb auch den Kindern ein Beduumlrfnis Deshalb fuumlhrt
durch Spiel gestaltete Zeit als erstrebte wesensgemaumlszlige Taumltigkeit zu Lebenszufriedenheit Und nur
dann traumlgt es seine Potenziale der Sinnesbildung Koumlrperbildung und geistig-seelischen Bildung so-
wie die Moumlglichkeit unvorhersehbarer Emergenzen in sich Und als solcher freier Ausdruck von Le-
bendigkeit ist deshalb Spiel fuumlr ein Kind innerhalb eines erfuumlllten Daseins grundlegend und zu ach-
ten bzw anzuerkennen
Im zweiten Teil wurde einsteigend die im derzeitigen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
vertretene Auffassung von Spiel erlaumlutert und der Plan wurde auf seine moumlgliche politisch- und paumld-
agogisch motivierte Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel untersucht Es konnte dargelegt werden
dass der Spiel(zeit)raum aufgrund des Interessengegensatzes von Kind und Staat kontinuierlich ein-
gekuumlrzt wird und zur zunehmenden Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel fuumlhrt um die politischen
Programme bdquoVerbesserung der Bildungschancenldquo und bdquoChancengleichheitldquo durchzusetzen Die da-
mit verwirklichten politischen Ziele und die Umsetzung einheitlicher Bildungsstandards haben da-
bei einerseits den Zweck die fuumlr die Wirtschaft dienliche und in der Gesellschaft mit Schule durch-
gesetzte Wissenshierachie fortzufuumlhren Und andererseits sollen diese Jahrgangssortierungen durch
internationale Tests wie PISA uauml als Standortfaktor im Wettkampf um Konkurrenzfaumlhigkeit auf ei-
nem globalisierten Markt Wirtschaftsstandort sichernd eingesetzt werden
Die Annahme dass es durch die Einuumlbung von vermeintlichen also dem Zeitgeist entsprechenden
bdquoGrundkompetenzenldquo bzw bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (als Bildungsstandards) zur zunehmenden
Verdraumlngung von freiem Spiel kommt konnte dadurch bestaumlrkt werden dass auf Grundlage eines
verkuumlrzten Spielbegriffes das freie (Kinder)Spiel durch paumldagogisches Einwirken in bdquospielerisches
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Lernenldquo umfunktionalisiert und dadurch echte Spielzeit zunehmend eingekuumlrzt wird Der Zweck ist
dabei das (Kinder)Spiel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo als bdquoLernmotorldquo der Kinder innerhalb
des bdquoLernfensterdrucksldquo dem Lehrapparat dienstbar zu machen
Im dritten Teil dieser Arbeit wurde anhand der Demokratischen Schulen kurz skizziert wie institu-
tionelle Bildung die freies Spielen wirklich gewaumlhrleistet gelingen kann Leider stehen die Schulen
in freier Traumlgerschaft zu denen die Freien Demokratischen Schulen zaumlhlen in Deutschland vor be-
sonderen behoumlrdlichen Genehmigungsbarrieren und unzureichender oumlffentlicher Finanzierung was
ihre Realisierung maszliggeblich erschwert oder ganz verhindert Auch darin kann eine Verdraumlngung
bzw Verhinderung des freien Spiels gesehen werden
Die Verdraumlngung des freien Kinderspiels ist aus zweierlei Gruumlnden nicht gut zu heiszligen ja sogar ab-
zulehnen ist Erstens ist die im Spiel als Nebenerscheinung enthaltene Einuumlbung von Grund-
kompetenzen von groumlszligter Komplexitaumlt und Vielfalt die selbst neue nicht vorhersagbare Qualitaumlten
hervorbringt die mit den Triebkraumlften der Evolution in Verbindung zu bringen sind (Emergenz)
Deshalb ist es fuumlr einen ganzheitlichen Entwicklungsspielraum der Kinder und im Sinne der Evolu-
tion unvernuumlnftig das Spiel wie im Bildungsplan beschrieben bdquoqualitativ aufzuwertenldquo um ver-
meintliche fuumlr das derzeitige Leben als unverzichtbar angenommene bdquoGrundkompetenzenldquo durch
bdquospielerisches Lernenldquo einzuuumlben Und zweitens ist das Spiel als kreative geistig-emotionale Welt-
zuwendung und damit als wesensgemaumlszlige kreatuumlrliche Taumltigkeit des Menschen den Kindern ein Be-
duumlrfnis und grundlegend fuumlr ihr gesundes Aufwachsen und Lebensgeborgenheit (Lebenszufrieden-
heit) in einem sie wahrhaft erfuumlllenden menschlichen Dasein
Bedenke ich nun die Lebenszeit die auch meine Kinder teilweise schon vor dem ersten Lebensjahr
mit haumlufig acht Stunden taumlglich in Kindertageseinrichtungen (leider nicht in einer Freien Demokra-
tischen Schule mit Primarbereich) verbrachten derzeit verbringen und spaumlter in der Schule bis min-
destens zur Erfuumlllung der Schulpflicht mit etwa 15 Jahren in der Schule verbringen muumlssen bin ich
erschrocken-besorgt und wuumltend wie dem Phaumlnomen des freien natuumlrlichen Kinderspiels und der
Bildung insgesamt im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan begegnet wird Bildung als vorran-
gig politisch-oumlkonomisches Arrangement zu sehen darin das Spiel als List zu benutzen um standar-
disiertes Lernen zu erzielen echte Spielzeit zunehmend zu verkuumlrzen ndash dieses planvolle Vorgehen
der Politik und der beteiligten Paumldagogen stellt eine Missachtung der ihnen anvertrauten Kinder mit
ihren individuellen Wuumlnschen Vorstellungen Beduumlrfnissen und ihrer ganz persoumlnlichen Lebenswelt
dar und ist ein lebensentfremdendes Vorhaben das junge Menschen von einem sie erfuumlllenden gu-
ten Leben trennt
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31
Eidesstattliche Erklaumlrung
Ich erklaumlre hiermit an Eides Statt durch eigenhaumlndige Unterschrift dass ich die vorliegende Arbeit
selbstaumlndig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe die aus
fremden Quellen (einschlieszliglich elektronischer Quellen und dem Internet) direkt oder indirekt uumlber-
nommenen Gedanken sind ausnahmslos als solche kenntlich gemacht
Ich weiszlig dass bei Abgabe einer falschen Versicherung die Arbeit als nicht bestanden zu gelten hat
Herold 10042015
32
- Die zunehmende Verdraumlngung des freien Kinderspiels
- im Hessischen Bildungsplan
- Einleitung
- 1 Freies Kinderspiel - Wesensmerkmale
-
- 11 Das Moment der Freiheit
- 12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
- 13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
- 14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
- 15 Das Moment der Geschlossenheit
- 16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
- 17 Zusammenfassung
-
- 2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
-
- 21 Das Spielverstaumlndnis
- 22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
- 23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
- 24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
-
- 3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
- 4 Zusammenfassende Gedanken
- Literaturverzeichnis
- Internetquellen
-
kann Besonders das Kinderspiel taucht dazu im gegenwaumlrtigen Spielmoment mit seinen spielenden
Subjekten im besonderen Bewusstsein uumlber seine paradoxe Als-ob-Realitaumlt in ihre eigens gestaltete
geistige Scheinwelt ein Die Spielenden sind waumlhrenddessen voumlllig selbst- und weltvergessen mit
groszliger Ernsthaftigkeit und im groumlszligten Eifer voumlllig in ihr bdquogebanntldquo Fuumlr ein bdquosich Ereignenldquo dieses
beschriebenen spontanen natuumlrlichen Spiels hat es nun als letztes Merkmal noch zur Voraussetzung
dass einzelne Momente nicht fuumlr sich isoliert initiiert oder planmaumlszligig ersetzt weggelassen oauml wer-
den koumlnnen so dass jedes einzelne der sechs Wesensmomente im Spielgeschehen quasi jeweils ein
bdquoGliedldquo in einer ineinander greifenden bdquofunktionalenldquo Kette darstellt ohne dass die Kette nicht
funktionstuumlchtig waumlre und sich freies natuumlrliches Spiel nicht ereignen koumlnnte
Inwiefern sich freies Kinderspiel nach dieser Auffassung im Hessischen Bildungs- und Erziehungs-
plan widerspiegelt soll im folgenden Kapitel untersucht werden
2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
21 Das Spielverstaumlndnis
Im Kapitel bdquoGrundsaumltze und Prinzipienldquo des Hessischen Bildungsplanes kommt dessen bdquoeigenesldquo
Verstaumlndnis zum bdquoKinderspielldquo ebenso zum Ausdruck wie eine Anleitung dazu wie mit dem Spiel-
phaumlnomen planvoll umzugehen ist (vgl Hessisches Sozialministerium Hessisches Kultusministeri-
um (2007) S 30-31) Im Folgenden werden diese Positionen zusammenfassend darstellt und erlaumlu-
tert
Spiel wird darin als Mittel in der ureigenen Ausdrucksform des Kindes angesehen womit es in der
Zeit des Heranwachsens seine Entwicklungsaufgaben und Lebensrealitaumlt bewaumlltigt Nach dieser
Auffassung kennzeichnen das Spiel drei Merkmale Das ist erstens die Zweckfreiheit der Spielhand-
lung die ausschlieszliglich durch das von ihr ausgehende Anregungspotentials ausgefuumlhrt wird Zwei-
tens dass im Spiel eine eigene Realitaumlt konstruiert wird und drittens dass Spielhandlungen wie im
Ritual wiederholt werden Die weitere Betrachtung des Spiels ist dann maszliggeblich auf Zwecke Zie-
le und den Sinn des Spiels im Bezug auf seine Wirkungen beschraumlnkt Somit sollen sich Kinder
zwar bdquoin ihren Spielhandlungen lustvoll versenken und dabei in einen intensiven Austausch mit ih-
rer Umwelt tretenldquo (dies S 30) Dies diene dann aber lediglich der Verarbeitung und Bewaumlltigung
von noch nicht zuordenbaren Erfahrungen (Problemen) Diese vom Kind zu bewaumlltigenden Proble-
me betraumlfen einerseits Entwicklungsthematiken wie bdquodas Ausspielen von Macht und Kontrolle von
Allmachtsphantasien [hellip] oder Herrschaft uumlber Leben und Tod [] sowie der Wunsch nach Heraus-
bildung eines Selbst bzw einer Identitaumltldquo (ebd) und andererseits Beziehungsthematiken zwischen
15
Erwachsenen und Gleichaltrigen
An die Beschreibung der drei Merkmale von Spiel anschlieszligend wird der Lern- und Entwicklungs-
charakter des Spiel dargestellt bdquoFreie Spielprozesse sind immer auch Lernprozesse denn Kinder
lernen zumindest beilaumlufig durch Spielenldquo (ebd)
Weiter heiszligt es im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan dass die Qualitaumlt dieser Lernprozesse
die im freien Kinderspiel stattfinden durch bdquogezielte Unterstuumltzungsmaszlignahmenldquo zu erhoumlhen sei In
dieser Aussage wird deutlich dass das freie Kinderspiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungs-
plan lediglich als Mittel aufgefasst wird welches die Entwicklungs- und Lernprozesse waumlhrend des
Heranwachsens beschleunigend wie ein Motor vorantreiben soll Warum sonst soll die bdquoQualitaumltldquo
des freien Kinderspiels bdquoerhoumlhtldquo werden Kinder sollen in erster Linie nicht spielen um ihrem Be-
duumlrfnis nach Spiel nachzukommen sondern um etwas zu lernen Dies legt den Verdacht nahe dass
das Spielen als solches auch nur aus diesem Grunde naumlmlich weil Kinder im Spiel etwas lernen
dh Kompetenzen erwerben Bestandteil des Bildungsplanes ist
Zusammenfassend kann festgestellt werden dass das Spiel im Hessischen Bildungs- und Erzie-
hungsplan auf eine Art Voruumlbung fuumlr das bdquorichtigeldquo Leben bei gleichzeitiger Lebensbewaumlltigung
verkuumlrzt wird Gleichzeitig findet durch die bdquoAufwertungldquo des freien Spiels zum bdquospielerischen Ler-
nenldquo eine Funktionalisierung und Paumldagogisierung des freien Spiels statt Die dem Spiel von Lern-
und Entwicklungspsychologie attestierten Potenzen (vgl Oerter 2007) sollen fuumlr die Realisierung
der Bildungs- und Erziehungsziele nutzbar gemacht werden dh das Spiel an sich dient vorrangig
dem Erwerb gewisser Kompetenzen und nicht der Erfuumlllung kindlicher Spielbeduumlrfnisse
Im folgenden Abschnitt werden die Hintergruumlnde eines solchen Spielverstaumlndnisses untersucht
Politische Motivationen spielen dabei ebenso eine Rolle wie die sich daraus ergebenden Ziele des
aktuellen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplans
22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
Im Vorwort des Hessischen Bildungs- und Erziehungsplans benennen die ehemaligen Hessischen
Ministerinnen14 fuumlr Kultus Karin Wolf und fuumlr Soziales Silke Lautenschlaumlger das zentrale politi-
sche Ziel naumlmlich die bdquoOptimierung der Bildungschancenldquo und die Entwicklung von bdquoChancen-
gleichheitldquo (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S 18) fuumlr die heranwachsende
Generation Bereits diese Formulierung laumlsst erkennen dass es im Bereich Bildung und Erziehung
politisch gesehen um Effizienz und um einheitliche bdquoQualitaumlts-ldquo und bdquoBildungsstandardsldquo geht die
14 unver uumlbern v aktuellem Kultusminister Herr Lorz von Herr Gruumlttner fuumlr Soziales und Integration
16
auf maximale Leistungen in der nationalen und internationalen Wissenskonkurrenz zielen
Wie ist also bdquoOptimierung der Bildungschancenldquo zu verstehen Konzeptionell ist diese bdquoOptimie-
rung der Bildungschancenldquo darauf angelegt dass bis zum Uumlbergang in die Sekundarstufe die Kin-
dertageseinrichtungen und Grundschulen allen Kindern eines Jahrgangs als Grundlagen die gleichen
bdquoBasiskompetenzenldquo15 vermitteln sollen Das Erreichen dieser bdquoBildungsstandardsldquo bis zur vierten
Klasse sei wiederum die Herstellung von bdquoChancengleichheitldquo so die Schlussfolgerung (vgl dies
S 18)
Dabei besteht die Chance darin dass die Kinder des gesamten Jahrgangs in gleichen Leistungstests
an diesen einheitlichen bdquoBasiskompetenzenldquo in Abhaumlngigkeit gemessen und in Konkurrenz zueinan-
der nach ihren Lernleistungsdifferenzen (Leistungsabstaumlnden) eingeordnet werden koumlnnen (vgl
Nuumlberlin 2002 S 117-127) Die dabei entstehende Jahrgangssortierung dh die Platzierung im
Leistungsvergleich innerhalb eines Jahrganges entscheidet dann daruumlber welche Kinder eine
bdquoChanceldquo auf houmlhere Bildung erhalten und welche nicht welche also das Gymnasium besuchen
duumlrfen und fuumlr welche der Besuch der Realschule vorgesehen ist Somit werden mit dem politischen
Programm bdquoChancengleichheitldquo bzw bdquoOptimierung der Bildungschanceldquo die jungen Generationen
(Kinder und Jugendliche) gemaumlszlig der in der Gesellschaft durchgesetzten Wissenshierarchie bzw Fauml-
higkeitshierarchie kontinuierlich eingeordnet (vgl Nuumlberlin 2002 S 127-129)
Deshalb soll bdquoChancengleichheitldquo auch bdquoBildungschancenldquo eroumlffnen weshalb im Bildungsplan Paumld-
agogen dazu aufgerufen sind die Kinder von fruumlhester Kindheit an individuell zu staumlrken um ihre
unterschiedlichen Voraussetzungen zumindest in gleichen bdquoBasiskompetenzenldquo vermeintlich einan-
der anzugleichen und somit die Vergleichbarkeit in der Notenkonkurrenz chancengleich im Sinne
von voraussetzungsgleich zu gestalten (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S
5-6 und S 17-18) Gerda Nuumlberlin weiszligt darauf hin dass aber diese Voraussetzungsgleichheit die
Institution Schule gerade nicht leistet Und dass Schule statt dessen durch Lernen auf Zeit die Schuuml-
ler innerhalb eines Jahrgangs mit einheitlichen Tests kontinuierlich einem Sortierungsverfahren un-
terzieht das eher gemaumlszlig den Bildungsschichten die Wissensunterschiede der Kinder hervorhebt
und sogar mit produziert statt sie mit dem Ziel der bestmoumlglichen Wissengleichheit zu bdquobeseitigenldquo
(vgl Nuumlberlin 2002 S 104-142)
Die auf gleiche Basiskompetenzen vorbereitenden Lernangebote und Fruumlhfoumlrderungen sollen nach
Aumluszligerung der Ministerinnen im Vorwort intensiver und fruumlher initiiert werden als in den vorange-
gangenen Jahren (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S 5-6) Zur Sicherung
15 bzw auch als bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (vgl dies S 41) bezeichnet daraus resultieren sollen die besonders vonder Wirtschaft geforderten bdquoMetakompetenzenldquo (vgl dies S 17)
17
der bdquoBildungsqualitaumltldquo und Umsetzung einheitlicher Standards soll der Bildungs- und Erziehungs-
plan das institutionenuumlbergreifende Steuerungsinstrument sein (vgl dies S 19) Die Herausgeber
des Bildungsplanes heben in der Einfuumlhrung besonders hervor dass es sich erstmals um einen Bil-
dungs- und Erziehungsplan handelt der durch seine stufenlose Konzeption von 0 bis 10 Jahren ein
kontinuierliches Lernen vorsieht Alle paumldagogisch wirkenden Personen und Institutionen sollen
durch einheitliche Bildungs- und Erziehungsziele moumlglichst an bdquoeinem Strang ziehenldquo koumlnnen (vgl
dies S 5-19)
Leitziel ist es fuumlr das bdquolebenslange Lernenldquo mit dem Erwerb von bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo die
bereits erwaumlhnte gemeinsame Grundlage (bdquoBasiskompetenzenldquo 16) der Kinder zu erzeugen (vgl
dies S 41f)
Veranlasst sehen sich die Ministerien zur bdquoneuenldquo konzeptionellen Bildungssteuerung durch den
tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel der sich von der demografischen Entwicklung uumlber viel-
faumlltige kulturelle Kontexte die Wirtschafts- und Arbeitswelt bis hin zu familialen Wandlungsprozes-
sen vollzieht und generell durch Schnelllebigkeit gekennzeichnet ist und von den Menschen ein ho-
hes Maszlig an Flexibilitaumlt und Mobilitaumlt fordert Hierzu werden auch die Ergebnisse der Schuumllerleis-
tungsvergleiche wie PISA TIMSS oder IGLU und denen entsprechende wissenschaftliche For-
schungsbefunde genannt denen der bdquo(neue) Bildungs- und Erziehungsplanldquo Rechnung tragen
moumlchte (vgl dies S 16-19)
Denn die Platzierung bei national und international vergleichbaren Leistungserhebungen ist letztlich
die Bemessungsgrundlage fuumlr bdquoBildungserfolgldquo oder bdquoBildungsversaumlumnisldquo Die attestierte bdquoBil-
dungsqualitaumltldquo ist deshalb von politischem Interesse weil die Politik die durch ihr Bildungssystem
erreichte Platzierung im vorderen Bereich als Standortfaktor fuumlr ihren Wirtschaftsstandort in
Deutschland nutzen moumlchte um vor allem auf dem globalem Markt konkurrenzfaumlhig zu bleiben
Im Folgenden wird zu zeigen sein ob und inwiefern diese Zielsetzungen mit dem dafuumlr entwickel-
ten Bildungskonzept zur angenommenen Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels fuumlhren
16 Im Einzelnen werden folgende Kompetenzen genannt als Basiskompetenzen werden bdquoindividuumsbezogeneKompetenzenldquo bdquoKompetenzen zum Handeln im sozialen Kontextldquo bdquoLernen und lernmethodische Kompetenzldquo undbdquokompetenter Umgang mit Veraumlnderung und Belastung Widerstandsfaumlhigkeit (Resilienz)ldquo genannt (vgl dies S 25-26 und S 41-44) Zum anderen werden darauf aufbauende konkrete Bildungs- und Erziehungsziele genannt (ent-sprechend der geforderten bdquoMetakompetenzenldquo) bdquostarke Kinderldquo bdquokommunikationsfreudige Kinder und medien-kompetente Kinderldquo bdquoKreative fantasievolle und kuumlnstlerische Kinderldquo bdquoLernende forschende und entdeckungs-freudige Kinderldquo und bdquoverantwortungsvoll und werteorientiert handelnde Kinderldquo (vgl dies S 13)
18
23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Wie kann das politische Ziel naumlmlich alle Kinder mit den gleichen Grundkompetenzen auszustatten
und deren bdquoErfolgldquo mindestens ab der vierten Klasse an regelmaumlszligigen Leistungserhebungen zu be-
messen durch freies Spiel erreicht werden Die Vermittlung bzw der Erwerb standardisierter Inhal-
te (Wissen Faumlhigkeiten Fertigkeiten Kompetenzen) und die Verfuumlgung daruumlber (Pruumlfungstermin)
steht im Widerspruch zum freien Spiel als offenem Prozess den die Spielenden selbst initiieren und
gestalten und bei dem keine Voraussagen daruumlber getroffen werden koumlnnen wann sich welche
Kenntnisse und Fertigkeiten einstellen
Diese erlangt man einerseits durch die Freiheit als Freiraum zum Spiel die eine gewisse Qualitaumlt an
Sorgefreiheit bedingt Zur Sorgefreiheit zaumlhlt beispielsweise auch das Freisein von Lerndruck der
jedoch unter anderem durch festgelegte Leistungserhebungen und Entwicklungsdokumentationen
bei den Kindern erzeugt wird Und andererseits erwirbt man Kenntnisse und Faumlhigkeiten nur dann
wenn das Spiel frei ist wenn es sich also um seiner selbst Willen ereignet und eben nicht bdquokanali -
siertldquo wird es also keinen aumluszligeren Zielen Zwecken oder Absichten unterliegt wie es jedoch bei
festgelegten bdquoBasiskompetenzenldquo (bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo) eines bdquoBildungsstandardsldquo der Fall
waumlre17 Hinzu kommt der weitere Aspekt von Freiheit im Spiel wonach das Spiel ein selbstgesteuer-
ter Prozess mit offenem bdquoAusgangldquo ist dessen Wirkungen eben nicht planbar oder voraussagbar
also nicht standardisierbar und determinierbar sind Diese Qualitaumlt von Freiheit im Spiel ergibt sich
nun aus den unverfuumlgbaren Momenten des freien Spiels wie dem Augenblick der Instabilitaumlt der
Kreativitaumlt und Phantasie der Spontanitaumlt und Unordnung dem Unsinn und Zufall Diese zugleich
auch wesentlichen Antriebskraumlfte des Spiels koumlnnen sich wie bereits im Kapitel bdquo14 Moment der
Ambivalenzldquo (S 11-13) naumlher beschrieben nur in einem Entwicklungsspielraum mit reichhaltigen
Erfahrungsmoumlglichkeiten und mit dem erlaumluterten Spannungsverhaumlltnis ergeben Sie tragen dann
aber auch die unermesslichen Potentiale fuumlr Emergenz mit dem Prinzip des Lebendigen in sich
woraus sich seine Offenheit fuumlr Neues im Sinne der Weiterentwicklung von Leben ergibt
An dieser Stelle moumlchte ich ergaumlnzend zu meiner eher phaumlnomenologischen Wesensauffassung von
freiem Spiel einige Beispiele skizzieren wie sich die Einuumlbung von Kompetenzen durch freies Spiel
aus psychologischer Sicht vollzieht
Die im Hessischen Bildungsplan intentional geplanten Basiskompetenzen und Lernziele wie bei-
spielsweise Kreativitaumlt Abstraktionsvermoumlgen Empathie oder Flexibilitaumlt in Denk- und Vorstel-
17 Vgl dazu Kapitel bdquo11 Das Moment der Freiheitldquo in dieser Arbeit S 7f
19
lungsvermoumlgen ergeben sich im Spiel als bdquoNebeneffektldquo Das Kind vollzieht naumlmlich im Spiel fuumlr
seine Entwicklung entscheidende Bildungsprozesse selbsttaumltig intrinsisch motiviert und in der bdquoDo-
sisldquo die es bedarf Dabei von groszliger Bedeutung ist der vom Kind entwickelte eigene Lernmodus
der sich maszliggeblich an der individuellen Leistungsfaumlhigkeit und den persoumlnlichen Beduumlrfnissen ori-
entiert Hierfuumlr benoumltigt jedes Kind einen eigenen Entwicklungsspielraum
bdquo[Der] sollte Heranwachsenden die vielfaumlltigsten auch selbsttaumltig inszenierten Erfah-rungsraumlume bieten um sich - wie es Johann Heinrich Pestalozzi nannte - an Kopf Herzund Hand bilden zu koumlnnen moumlglichst frei von Furcht und Zwang Sinnesbildung Koumlr-perbildung und geistig-seelische Bildung sollten dabei gleichermaszligen zur Entfaltungkommenldquo (Rittelmeyer 2007 S 7)
So initiieren Kinder beispielsweise in ihren Rollenspielen eigentaumltige Bildungsprozesse indem sie
sich im spontanen Spiel in die Perspektive anderer Menschen versetzen und eigenes Handeln fuumlr
aumlhnliche Lebenssituationen uumlben Oder sie erproben sich im Spiel mit verschiedenen sozialen Rol-
len zB im Rahmen gesellschaftlicher Verhaltensstandards indem ein von Geschichten aufgenom-
menes oder durch elterliche Kommentare an die Kinder herangetragenes Ideal (bdquoTapferkeitldquo bdquoGe-
schwisterliebeldquo bdquoFreundschaftldquo bdquoHilfsbereitschaftldquo etc) mit der persoumlnlichen Wirklichkeit vertraut
gemacht wird Dieses Erproben entspricht zB einer Bewusstseinsbildung im Hinblick auf (solche)
gesellschaftlichen Rollenerwartungen
bdquo[Oder] im Symbolspiel das ein Houmllzchen zur Mutterʻ oder zum Autoʻ werden laumlsstuumlben Kinder die Faumlhigkeit im Hinblick auf gegebene Phaumlnomene verschiedene Per-spektiven entwickeln zu koumlnnen also mit Kreativitaumlt oder Phantasie auf Erscheinungender aumluszligeren Welt zu reagierenldquo (ders S 17)
Es ist schwierig zu sagen welche Kompetenzen genau aus eigentaumltigen Bildungsprozessen im Spiel
entstehen da Resultate aus diesen Erfahrungen wiederum von diversen Faktoren abhaumlngig sind
Maszliggebliche Faktoren sind dabei die uumlberaus verschiedenen biografischen Erfahrungen der Kinder
und dass die letztliche Erfahrungsgewichtung durch ihre Individualitaumlt verschieden zum Tragen
kommt
Da aber jedes Lernen immer individuumsbezogen dh vom Kind abhaumlngig ist hat dieser Umstand
auch fuumlr die geplant-initiierten Lernangebote Geltung sofern derartige von auszligen angestoszligene
Lernangebote uumlberhaupt in den lernenden Kindern auf Resonanz stoszligen
Es duumlrfte kaum anzuzweifeln sein dass wie im Beispiel des spontanen von den Kindern selbst initi-
ierten Rollenspiels Rollenhandeln und soziale Empathie eingeuumlbt und fuumlr eigenes Handeln erprobt
werden Ebenso werden durch Symbol- oder Rollenspiele die Phantasie und Kreativitaumlt vielfaumlltig
angeregt die Beobachtungsgabe und das Vorstellungsvermoumlgen ausgepraumlgt Daraus kann sich wie-
20
derum das Abstraktionsvermoumlgen entwickeln und die Kinder bilden mit zunehmenden Perspekti-
venwechseln eigene Vorstellungen und Uumlberzeugungen aus Indem naumlmlich Spielende in ihre selbst
konstruierte bdquoScheinweltldquo gaumlnzlich bdquoeintauchenldquo nehmen sie auf zuvor vielfaumlltig beobachtete und
erlebte Situationen Bezug Erst spielen sie das Erlebte nach und bdquodurchlebenldquo es dabei spielerisch
immer wieder bis sich ein tiefgruumlndiges Verstaumlndnis uumlber die erlebte Situation gebildet hat Allmaumlh-
lich wird dann durch die eigene Ausgestaltung des Rollen- oder Symbolspiels das wahrgenommene
Phaumlnomen zunehmend abstrahiert und Kinder beginnen vielfaumlltige eigene Vorstellungen dazu zu
entwickeln Freies Spiel entspricht also eigentaumltiger Lebenswelterfahrung und -aneignung und ihr
Bildungsgehalt scheint dabei fast unermesslich groszlig zu sein (vgl ders S 7-17 und S 135-137)
Es wuumlrden sich also durch freies Kinderspiel ganz unterschiedliche und auch bdquoneueldquo Kompetenzen
mit ganz individuellen Auspraumlgungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten bilden Diese Aspekte ma-
chen aber eine vergleichende Leistungserhebung quasi unaussagekraumlftig bzw koumlnnten einen deter-
minierten bdquoBildungsstandardldquo insofern bdquogefaumlhrdenldquo als dass das Spiel als kreative geistig-emotio-
nale Weltzuwendung immer einen offenen bdquoAusgangldquo hat dh nicht vorhersagbar ist Das Zulassen
von freiem Spiel steht somit im Interessenskonflikt mit den oben genannten politischen Absichten
weshalb dem freien Spiel ein generelles Misstrauen gegenuumlber gebracht wird Dies fuumlhrt letztlich
konzeptionell dh durch die Einfuumlhrung und Umsetzung von bdquoBildungsstandardsldquo zur zunehmen-
den Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
Inwiefern die angenommene Verdraumlngung von freiem Kinderspiel auch paumldagogisch motiviert sein
kann soll im folgenden Abschnitt untersucht werden
24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Die Autorinnen und Autoren sehen Kinder einerseits als kompetente selbstbestimmt taumltig werdende
Wesen an und deuten die Bildung und das Lernen zwar als soziale Prozesse die sich im Dialog zwi-
schen Kind und Erwachsenem vollziehen koumlnnen Andererseits verweisen sie aber darauf dass die
Qualitaumlt dieser Prozesse wiederum von auszligen dh von einem Erwachsenen gesteuert und mode-
riert werden sollen (vgl Hessisches Sozialministerium Hessisches Kultusministerium 2007 S 20-
21) Die Steuerung der Bildungs- und Lernprozesse wird versucht zu rechtfertigen indem auf aktu-
elle neurowissenschaftliche Befunde verwiesen wird die dem kindlichen Gehirn ein enormes Ent-
wicklungs- und Lernleistungsvermoumlgen zuschreiben welches wenn es nicht genuumltzt wuumlrde einem
bdquoBildungsversaumlumnisldquo gleichkaumlme und nur schwer wieder aufzuholen sei (vgl dies S 20- 24)
bdquoJe reichhaltiger aumluszligere Lernreize sind desto mehr effiziente neuronale Netzwerke
21
(Synapsen) bilden sich heraus die fuumlr die Verarbeitungskapazitaumlt des Gehirns und seineLernfaumlhigkeit im spaumlteren Leben bedeutsam sind Im Entwicklungsverlauf eines jedenKindes gibt es optimale Zeitraumlume fuumlr grundlegende Lernschritte (zB ZweitspracheRaumorientierung elementares mathematisches Denken Interesse an Naturwissen-schaften aumlsthetisches Verstaumlndnis Entwicklung der Musikalitaumlt) Solche Zeitfenstergibt es auch noch im Laufe der weiteren Bildungsbiografie Dennoch gilt es diese sen-siblen Phasen bereits durch fruumlhe Bildung offensiv zu nutzen [sic] Je solider und brei-ter die Basis aus jener Zeit desto houmlher ist die Wahrscheinlichkeit dass das Kind danachaktiver und leichter lernt Fruumlhe Bildungsversaumlumnisse sind nur schwer aufholbarldquo(dies S 24)
Die programmatische Paumldagogisierung von Spiel die die bdquoGrenzen zwischen der herkoumlmmlichen
Trennung von Freispielprozessen und geplanten Bildungsprozessen zunehmendldquo (dies S 30) ver-
wischen soll ist vor dem Hintergrund Bildung als Produkt einer offensiven Nutzung der sensiblen
Lernzeitfenster anzusehen (vgl dies S 23-24) und wiederum von seiner politischen Motivation
mit dem Wettlauf um Konkurrenzfaumlhigkeit sowie der Weiterfuumlhrung einer in der Gesellschaft durch-
gesetzten und der Wirtschaft dienlichen Wissenshierarchie in Verbindung zu bringen Folglich fuumlhrt
die im Bildungs- und Erziehungsplan programmatisch angewiesene Funktionalisierung des Spiels
zum bdquospielerischen Lernenldquo letztlich paumldagogisch motiviert zur zunehmenden Verdraumlngung des frei-
en (Kinder)Spiels denn dieses wird als zu zeitintensive Taumltigkeit angesehen Freispiel darf zwar
laut Plan auch enthalten sein es bdquomuss jedoch im angemessenen Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlten ste-
henldquo (dies S 31) weshalb es wegen des bdquoLernfensterdrucksldquo (vgl Dies S 23-24) zum bdquospielen-
den Lernenldquo umfunktionalisiert werden soll (vgl dies S 30-31) um wegen seiner bildenden Po-
tenzen dann als Lernbeschleunigung dem Lernziel (bdquoBildungserfolgldquo) dienbar gemacht zu werden
Das Freispiel soll konzeptionell auf zwei Wegen zu bdquospielendem Lernenldquo qualitativ aufgewertet
werden Zum einen indem aus Spielprozessen Projekte hervor gehen mit der Bedingung dass das
Spielgeschehen zunehmend von der Projekttaumltigkeit durchdrungen wird Und zum anderen koumlnnen
bdquo[]im Rahmen von Projekten [hellip] Freispielphasen enthalten sein in denen sich dieKinder weiterhin mit dem Projektthema allein oder mit anderen auseinandersetzen DieQualitaumlt der Freispielprozesse laumlsst sich durch gezielte Unterstuumltzungsmaszlignahmen erhouml-henldquo (dies S 30 Herv MG)
Wenn also Freispielphasen eingeplant werden dann unter der Bedingung dass im bdquoSpielldquo die Pro-
jektthemen wieder aufgegriffen werden In beiden Varianten wird aber die Qualitaumlt des Spiels zu-
mindest im Bezug auf das Erreichen des Lernzieles angezweifelt weshalb ein gezieltes Einwirken
der Paumldagogen kontinuierlich angedacht ist
bdquoDie Houmlhergewichtung des elementaren Bildungsauftrags hat zur Konsequenz dasssich das beilaumlufige Lernen der Kinder im Spiel zum spielerischen Lernen hin entwickeltDem Spiel wird mehr systematische Begleitung und didaktische Aufbereitung
22
zuteilldquo(dies S31 Herv MG)
Das demnach angedachte bdquoFreispielldquo soll folglich auch kein freies natuumlrliches Spielen sein selbst
wenn sich Kinder angetan von den Projektinhalten im freien Spiel beginnen selbsttaumltig im Rah-
men dessen auseinanderzusetzen Solches Geschehen wuumlrde durch paumldagogisches Einwirken auf
das Lernziel hin gelenkte Taumltigkeit werden es soll durch Erwachsene zum bdquospielerischen Lernenldquo
hin entwickelt werden Ebenso kann auch ein anfaumlngliches Spiel nie als solches bestehen bleiben
Die Houmlhergewichtung des institutionellen bdquoBildungsauftragsldquo bewirkt in beiden Faumlllen dass der
scheinbar gewaumlhrte bdquoSpielraumldquo zur zielorientierten Lerntaumltigkeit wird weshalb (freies) Spiel ver-
draumlngt wird und zunehmend in Projekttaumltigkeit muumlndet Erst dann hat Spiel einen qualitativen Nut-
zen im Sinne des Bildungs- und Erziehungsplans Deshalb haben Spielen und Lernen auch nach An-
sicht und Position des Bildungsplanvorhabens in einem besonderen Verhaumlltnis zueinander zu stehen
welches Paumldagogen zu sichern haben
bdquoFreispiel ist wichtig muss jedoch im angemessenem Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlt stehendie die Erwachsenen planen und initiieren[]ldquo (ebd Herv MG)
Denn Lernaktivitaumlt sollte nach Meinung der Autorinnen und Autoren wenn sie vom Kind ausgeht
letztlich durch Erwachsene zielfuumlhrend gelenkt werden
Diese Qualitaumlt steigernden Unterstuumltzungsmaszlignahmen und das angestrebte Verhaumlltnis von Spielen
und Lernen stehen im einzelnen mit den Wesensmomenten des freien Spiels in Widerspruch Im
freien Spiel sind die Spielinhalte die sich spielende Kinder selbst auswaumlhlen vorwiegend alltagsbe-
zogen und als diese individuell meist sehr unterschiedlich Kinder begegnen im Spiel also Themen
die ihr Interesse durch erlebte oder beobachtete Situationen geweckt haben Diese eigens initiierten
Spielideen koumlnnen wie oben skizziert diverse Funktionen (zB bildendes Erproben) als Nebenef-
fekt haben Aber im Sinne des Spiels als bdquofreie Zeitgestaltungldquo draumlngt das Kind eher nach sinnvoll
erfuumllltem Leben durch erstrebtes lustvolles Spielen mit ganzheitlichem Lebensweltbezug als nach
einer von auszligen das Spiel deformierenden oder domestizierenden Systematik und Didaktik Es ist
anzunehmen dass diese fehlende bdquoBe-friedigungldquo des Spielbeduumlrfnisses ihre praumlgenden Anpas-
sungsspuren in den Kindern hinterlaumlsst und sie wahrscheinlich unzufrieden macht Zusaumltzlich duumlrf-
ten diese Umstaumlnde dem Lernen allgemein auch eher abtraumlglich sein
Es besteht also ein ganzheitlicher Bezug zum eigenen Leben wenn durch die Freiheit zum Spiel
ganz individuelle Themen zur Spielidee werden und bdquoihren Laufldquo nehmen Das heiszligt die jeweilige
Initialidee wird im weiteren Spielverlauf staumlndig veraumlndert werden und folgt dabei gerade eben
nicht der bdquoLogikldquo der buumlrgerlichen Erwachsenenwelt Diese bdquoLogikldquo wird aber im Bildungsplan fo-
23
kussiert In ihm ist die Annahme enthalten dass Kinder wie Forscher ihre Umwelt erkunden und
nun im Zuge der Aufwertung des Spiels zum bdquospielerischen Lernenldquo durch paumldagogisches Hinwir-
ken sich das bdquospielendeldquo Kind in reflektierender Betrachtungsweise Kausalzusammenhaumlnge und
Gesetzmaumlszligigkeiten des zu untersuchenden bdquoGegenstandesldquo erschlieszligen bzw davon ableiten soll
(vgl dies S 20 27-28 30-31) Spiel ist aber nur dann Spiel wenn es ein eigenes fortwaumlhrendes
kreatives und spontanes Eingehen auf die Anregungen der aumluszligeren Spielszenerie ermoumlglicht (vgl
Kapitel bdquo14 Das Moment der Ambivalenzldquo S 11ff sowie Rittelmeyer 2007 S 136) Innerhalb
dessen orientiert sich die Spiel gestaltende Taumltigkeit des Kindes hauptsaumlchlich an den eigenen Be-
duumlrfnissen und nicht an Vorgaben von auszligen Deswegen kann auch nicht alles Spiel sein das waumlre
Willkuumlr und nicht Geschlossenheit (vgl Kapitel bdquo15 das Moment der inneren Geschlossenheitldquo S
13) Und um seiner inneren Zweckmaumlszligigkeit moumlglichst dienlich zu sein bleibt es auch stets unver-
fuumlgbar Darin gibt es keine absolute Eindeutigkeit (zB ein Lernziel) mit zielgerichtetem Streben
nach zukuumlnftiger Befriedigung Spiel ist jetzt ist gegenwaumlrtig angestrebtes erfuumlllendes Erleben von
frei gestalteter Zeit Nur so koumlnnen sich alle weiteren Wesensmomente und ihre ua auch hoch ef-
fektiv bildenden Potenziale ergeben und individuell entfalten Solches Spiel waumlre aber von Vielfalt
Spontanitaumlt Uumlberfluss Instabilitaumlt Kreativitaumlt oder auch vom ihm eigenen Unsinn gepraumlgt Sicher-
lich erschlieszligen sich dem Kind dabei diverse Kausalzusammenhaumlnge und aus Einzelphaumlnomenen
wird es ableitend Gesetzmaumlszligigkeiten erfahren die sich in diesem informellen Lernprozess dann als
Wissen Kenntnisse Fertigkeiten oder auch Kompetenzen verinnerlichen Aber diese (Neben)Effek-
te wuumlrden nie zielfuumlhrend oder leitend das Spielgeschehen formen bzw antreiben
Dem natuumlrlichen freien Spiel steht das bdquospielerische Lernenldquo auch im Bezug auf die im Spiel er-
schaffene Phantasiewelt (vgl Kapitel bdquo13 Das Moment der Scheinhaftigkeitldquo S 10) entgegen
Denn diese zeichnet sich gerade dadurch aus dass sie sich von den bdquoObjektenldquo der Umwelt loumlst
vom Faktischen enthoben ist und durch Phantasie zu bdquoNeuemldquo zu Symbolischem werden laumlsst Und
somit das symbolische bdquoAls-obldquo Spielgeschehen ermoumlglicht Das Spiel wuumlrde sich also notwendi-
gerweise von der Projekttaumltigkeit oder ihren faktischen Inhalten loumlsen muumlssen um sich in dieser
Phantasiewelt mit seiner Spielhandlung zwischen Zufaumllligem und Notwendigem bewegen zu koumln-
nen Mit der daraus entstehenden Gegenwaumlrtigkeit schloumlssen sich alle weiteren Momente zu ihrer
bdquofunktionalenldquo Kette zusammen Auch der zeitliche Rahmen in dem sich das freie Spiel nun bewe-
gen wuumlrde ist unvorhersehbar Es ist also wahrscheinlich dass das Spielgeschehen uumlber den von
Erziehern eingeplanten bdquoFreispielzeitraumldquo hinweg andauern koumlnnte und deshalb von auszligen durch
die Paumldagogen abgebrochen werden wuumlrde Der bdquoinneren Unendlichkeitldquo des Spiels wuumlrde dies so-
mit ein abruptes Ende bereiten Dem zirkulaumlrem Charakter des Spiels steht noch ein weiterer Aspekt
24
entgegen Naumlmlich dass die Wiederholungen der Spielhandlung nicht aus systematischer oder di-
daktischen bdquoAufbereitungldquo erzeugt werden koumlnnen sondern dass sie wie Rolf Oerter in bdquoZur Psy-
chlogie des Spielsldquo beschreibt mit lustvollem Erleben in Verbindung zu bringen sind und demnach
eher dem Lustprinzip folgen als dem rationellem Realitaumltsprinzip (vgl Oerter 2007 S 9 12 14f
18-21)
Einzelne Momente fuumlr bdquospielerisches Lernenldquo zu erzeugen bzw sie diesbezuumlglich abzuwandeln
kann also nicht mehr mit dem natuumlrlichen freiem Spiel in Verbindung gebracht geschweige denn
damit gleichgesetzt werden Das daraus resultierende bdquoSpielenldquo kann demnach auch nicht dem Be-
duumlrfnis oder Drang nach Spiel entsprechen welches Kinder ganz offenkundig haben Das Spiel im
Sinne des Bildungsplanes gleicht in seiner angedachten Form eher bdquodomestiziertenldquo Spiels das in
einzelne Wesensmomente zerrissen ist um als didaktische bdquoListldquo geplant initiiert zu werden Somit
wird durch die verkuumlrzte Auffassung von Spiel als Mittel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo bei
gleichzeitiger Verkuumlrzung echter Spielzeit die zunehmende Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels
im Bildungsplan programmatisch angegangen bzw angeordnet wodurch die dieser Arbeit zugrunde
liegende Annahme bestaumltigt wird
3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
Die Reformpaumldagogik hat zB durch Ellen Key Johann Heinrich Pestalozzi oder Maria Monterssori
Konzepte wie Jena-Plan das der Sudberry Valley School oder der Freien Demokratischen Schulen
inspiriert Innerhalb deren Konzeptionen findet auch die kindliche Lebenswelt ohne sie romantisch
zu verklaumlren ihren anerkennenden Platz und wird als vollwertiger Lebensabschnitt beachtet Ihre
aumlhnlichen Bildungsansaumltze enthalten vielfaumlltigste Anreize und Formen vernuumlnftiger Bildungsideen
mit ganzheitlichem Menschenbild und echtem Lebensweltbezug Das bedeutet auch fuumlr eine Institu-
tion um mit Ellen Key zu sprechen Bildung vom Kind aus zu denken
Exemplarisch moumlchte ich im Folgenden diese Bildungsvorhaben und ihre fuumlr die Kinder bereiteten
Entwicklungsspielraumlume an Hand der Freien Demokratischen Schulen skizzieren Der Ausgangs-
punkt dieser Schulen ist der Kerngedanke dass sich durch Eigeninitiative selbstverantwortete Bil-
dung und freies Spiel nicht abstoszligend gegenuumlber stehen sondern dass beide den Beduumlrfnissen des
Kindes entspringen und das Kind deshalb je nach seiner Beduumlrfnislage seine Aktivitaumlten diesbezuumlg-
lich selbstorganisiert Zwar sind auch Freie Demokratische Schulen als Institution leider kein wirk-
licher bdquoorganischerldquo Teil der Lebenswelt von Kindern sondern immer nur von auszligen angebotene in-
tentionale Konstrukte die aber in diesem Fall den individuellen Entwicklungsspielraum der Kinder
25
versuchen zu schuumltzen bzw bereitzuhalten Somit wird jedem Kind sein eigener Freiraum der ihm
spontanes freies Spiel ermoumlglicht bereitet ohne es in irgendeiner Form zu verzwecken oder zu ka-
nalisieren Einige Konzepte solcher Schulen greifen auch die Kindheit als gesellschaftlichen Status
hervorbringende Begebenheit auf naumlmlich dass durch die alltaumlgliche Erwerbstaumltigkeit der Erwach-
senen die Kindheit entsteht und zwar als davon getrennter Lebensbereich Verschiedene Versuche
zB durch (Land)Schulheime oder selbst initiierten Lernvereinbarungen zielen darauf ab die ge-
trennten Lebensrealitaumlten von Kindern und Erwachsenen wieder mehr zur Uumlberschneidung zu brin-
gen Die daraus entstehenden freiwilligen Erfahrungspartnerschaften werden eigenverantwortlich
von den Beteiligten (Schuumller und Lehrer) nach ihren Beduumlrfnissen Vorstellungen und Wuumlnschen
gemeinsam gestaltet Es kann also keinen einheitlichen Lehrplan geben und es kann auch keinen
bdquoMethodenkofferldquo als Handreichung des Ministeriums geben der Anwendung finden soll Aber
falls es von den Schuumllern gewuumlnscht wird bzw falls es von ihnen als vernuumlnftig fuumlr die Umsetzung
des Vorhabens angesehen wird kann sich der Lehrer sinnvollerweise durch methodische oder di-
daktische bzw besser mathetische Aufbereitung unterstuumltzend einbringen Die Schuumller entwickeln
also selbst wie sie lernen und was sie lernen Dabei treffen sie nicht maszliggeblich ihre Auswahl aus
bereits bestehenden Angeboten sondern sie koumlnnen ihre Beschaumlftigungs- bzw Lerngebiete voumlllig
frei waumlhlen und initiieren Jede Beschaumlftigung wird dabei als wertvoll und lehrreich erachtet sei es
das Lesen das Experimentieren das freie Spielen oder das Teilnehmen an einem Unterrichtskurs
Die Schuumller entscheiden auch wann sie lernen Sie legen damit den gesamten zeitlichen Rahmen
fest innerhalb dessen sie sich mit ihrem eigenem Lerngebiet beschaumlftigen wollen Dies betrifft die
Tageszeit und den Gesamtzeitraum der Taumltigkeit aber vor allem auch das Alter in dem sie sich ent-
schlieszligen sich mit einer Thematik zu befassen So entschlieszligt sich zB ein neunjaumlhriges Kind Lesen
zu lernen wo ein fuumlnfjaumlhriges bereits damit begonnen hat Dabei waumlre es nicht ungewoumlhnlich dass
diese beiden Leseinteressierten sich zusammenschlieszligen und eine Lerngruppe initiieren um sich
gemeinsam dem Lesen lernen zu widmen Auch liegt es in der Verantwortung der Kinder wie inten-
siv sie sich mit dem gewaumlhlten Thema auseinandersetzen wollen Um all dies zu planen und umset-
zen zu koumlnnen sind die Lehrer wie beratende Helfer kontinuierlich fuumlr die Kinder da und die Kin-
der sind sich nie selbst uumlberlassen Somit schafft das Vertrauen der Lehrer in die Schuumller Vertrauens-
wuumlrdigkeit und die Kinder koumlnnen sich sicher und geborgen fuumlhlen um sich moumlglichst ohne Angst
in dieser Freiheit ganz nach ihren Beduumlrfnissen der Welt zuzuwenden Diesen Freiraum zum Entde-
cken und Spielen bezeichnen die Sudberry- bzw die Demokratischen Schulen als Lernfreiheit und
er ist eine der beiden Grundsaumlulen des Bildungskonzepts Die zweite Saumlule ist von organisatorischer
Natur und konstatiert den Lernort als egalitaumlres System in dem Schuumller und Lehrer in verschiede-
nen Gremien Komitees und Aumlmtern gleiche Einflussmoumlglichkeiten Pflichten sowie Rechte besit-
26
zen (vgl Schiffner 2007 S 8-15)
Peter Gray emeritierter Professor fuumlr Psychologie des Boston College erklaumlrte in einem Vortrag in
Berlin 3122012 die Grundlagen dieses bdquoErziehungsldquo Ansatzes18 Er nennt ihn Vertrauensvolle Er-
ziehung (Trustful Parenting) bdquoVertrauensvolle Erziehung basiert auf der Annahme dass Kinder von
Natur aus widerstandsfaumlhig kompetent sozial und selbstgesteuert sindldquo (Gray 2012 S 1) Daraus
ergibt sich dass Kinder ihrem Beduumlrfnis nach selbst entscheidend entdecken und spielen Es obliegt
ihrer Entscheidung Risiken einzugehen und dabei auch evtl eigene Fehler zu machen Entwick-
lungsvergleiche (auch keine Lernleistungsvergleiche) liegen dieser Ansicht fern Erziehung versucht
demnach Entwicklung nicht zu lenken sondern zu unterstuumltzen sodass Kinder ihre eigenen Ziele
verwirklichen koumlnnen Sie entwickeln dabei Eigeninitiative und uumlbernehmen Selbstverantwortung
in der Gemeinschaft Die Erwachsenen stellen dazu lediglich den aumluszligeren bdquoRahmenldquo her der fuumlr ein
gesundes Heranwachsen erforderlich ist (vgl Grey 2012 S1 ff) Deshalb ist dieser Ansatz auch
nicht als eine vernachlaumlssigende Haltung zum Kind anzusehen sondern ganz im Gegenteil die
bdquoErziehendenldquo senden den Kindern folgende Botschaft
bdquoDu bist kompetent Du hast Augen und ein Gehirn und du bist in der Lage Dinge her-auszufinden Du kennst deine eigenen Faumlhigkeiten und Grenzen Durch Spielen und Er-forschen wirst du dir aneignen was du wissen musst Deine Beduumlrfnisse werden gewuumlr-digt Deine Meinung zaumlhlt Du bist fuumlr deine Fehler selbst verantwortlich und man kanndarauf vertrauen dass du aus ihnen lernst Das Sozialleben zeichnet sich nicht durchWillenskaumlmpfe aus sondern vielmehr dadurch einander so beizustehen dass alle dasbekommen was sie brauchen und sich am meisten wuumlnschen Wir sind auf deiner Seitenicht gegen dichldquo (ders S1)
Interessant finde ich Peter Grays historischen Bezug den er zur Vertrauensvollen Erziehung her-
stellt Er belegt naumlmlich mit verschiedenen wissenschaftlichen Studien zu Jaumlger- und Sammlerkultu-
ren dass dieser Erziehungsstil bis zum Einsetzen der Landwirtschaft (vor ca 10000 Jahren in Asi-
en) der vorherrschende war und dass die Menschheit zu 99 Prozent ihrer gesamten Geschichte (ca 1
Millionen Jahre) Jaumlger und Sammler waren (vgl ders S 1-3)
4 Zusammenfassende Gedanken
Die anfaumlngliche Spielbegriffseingrenzung im ersten Teil dieser Arbeit verdeutlichte dass das Spiel
nicht nur von elementarer Bedeutung fuumlr ein gesundes Aufwachsen fuumlr Koumlrper und Psyche der Kin-
der ist obwohl das freie (Kinder)Spiel die dafuumlr wohl geeignetste Lebenstaumltigkeit darstellt Dem
18 Vgl Gray Peter (2012) Trustful Parenting May Require an Alternative to Conventional Schooling (Vertrauensvol-le Erziehung macht unter Umstaumlnden eine Alternative zum konventionellen Schulsystem noumltig) httpwwwting-schuledeindex_htm_filesPeter20Gray20_20Trustful20parentingpdf (Zugriff 260315)
27
natuumlrlichen (Kinder)Spiel als geistig-kreative Weltzuwendung liegen viel urspruumlnglichere Wurzeln
zu Grunde weshalb sich durch freies Spiel die Sinne der Koumlrper und auch der Geist als bdquoNebenef-
fektldquo beilaumlufig bilden und entwickeln Naumlmlich wie das bdquoMenschsein kein Zweck etwa des Lebens
sondern das Leben selbst istldquo (Kamper 1976 S 141) ist das (Kinder)Spiel auch kein findiger
Zweck des Lebendigen sondern gelebte Lebendigkeit und damit zwecklos (vgl ebd) bdquoDarauf und
nur darauf bezieht sich Schillers Wort dass der Mensch nur spielt wo er in voller Bedeutung des
Wortes Mensch ist und nur da ganz Mensch ist wo er spieltldquo (ebd) Somit stellt das Spiel das Prin-
zip des Lebendigen dar dies herauszuarbeiten und phaumlnomenologisch be-greifbar zu machen war
Ziel des ersten Teils dieser Arbeit Ich beabsichtigte darin ein Verstaumlndnis dafuumlr zu bilden dass das
(Kinder)Spiel als Modus von Freiheit im bdquoSpannungsfeld Lebenldquo die Wesenskraumlfte der Evolution
den Zufall die Spontanitaumlt und die Kreativitaumlt als eigene Triebkraumlfte in sich traumlgt und im freien
selbst initiierten Spielgeschehen zur Entfaltung bringt Als dieses Urprinzip ist das freie natuumlrliche
Spiel dem Menschen - homo ludens - und deshalb auch den Kindern ein Beduumlrfnis Deshalb fuumlhrt
durch Spiel gestaltete Zeit als erstrebte wesensgemaumlszlige Taumltigkeit zu Lebenszufriedenheit Und nur
dann traumlgt es seine Potenziale der Sinnesbildung Koumlrperbildung und geistig-seelischen Bildung so-
wie die Moumlglichkeit unvorhersehbarer Emergenzen in sich Und als solcher freier Ausdruck von Le-
bendigkeit ist deshalb Spiel fuumlr ein Kind innerhalb eines erfuumlllten Daseins grundlegend und zu ach-
ten bzw anzuerkennen
Im zweiten Teil wurde einsteigend die im derzeitigen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
vertretene Auffassung von Spiel erlaumlutert und der Plan wurde auf seine moumlgliche politisch- und paumld-
agogisch motivierte Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel untersucht Es konnte dargelegt werden
dass der Spiel(zeit)raum aufgrund des Interessengegensatzes von Kind und Staat kontinuierlich ein-
gekuumlrzt wird und zur zunehmenden Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel fuumlhrt um die politischen
Programme bdquoVerbesserung der Bildungschancenldquo und bdquoChancengleichheitldquo durchzusetzen Die da-
mit verwirklichten politischen Ziele und die Umsetzung einheitlicher Bildungsstandards haben da-
bei einerseits den Zweck die fuumlr die Wirtschaft dienliche und in der Gesellschaft mit Schule durch-
gesetzte Wissenshierachie fortzufuumlhren Und andererseits sollen diese Jahrgangssortierungen durch
internationale Tests wie PISA uauml als Standortfaktor im Wettkampf um Konkurrenzfaumlhigkeit auf ei-
nem globalisierten Markt Wirtschaftsstandort sichernd eingesetzt werden
Die Annahme dass es durch die Einuumlbung von vermeintlichen also dem Zeitgeist entsprechenden
bdquoGrundkompetenzenldquo bzw bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (als Bildungsstandards) zur zunehmenden
Verdraumlngung von freiem Spiel kommt konnte dadurch bestaumlrkt werden dass auf Grundlage eines
verkuumlrzten Spielbegriffes das freie (Kinder)Spiel durch paumldagogisches Einwirken in bdquospielerisches
28
Lernenldquo umfunktionalisiert und dadurch echte Spielzeit zunehmend eingekuumlrzt wird Der Zweck ist
dabei das (Kinder)Spiel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo als bdquoLernmotorldquo der Kinder innerhalb
des bdquoLernfensterdrucksldquo dem Lehrapparat dienstbar zu machen
Im dritten Teil dieser Arbeit wurde anhand der Demokratischen Schulen kurz skizziert wie institu-
tionelle Bildung die freies Spielen wirklich gewaumlhrleistet gelingen kann Leider stehen die Schulen
in freier Traumlgerschaft zu denen die Freien Demokratischen Schulen zaumlhlen in Deutschland vor be-
sonderen behoumlrdlichen Genehmigungsbarrieren und unzureichender oumlffentlicher Finanzierung was
ihre Realisierung maszliggeblich erschwert oder ganz verhindert Auch darin kann eine Verdraumlngung
bzw Verhinderung des freien Spiels gesehen werden
Die Verdraumlngung des freien Kinderspiels ist aus zweierlei Gruumlnden nicht gut zu heiszligen ja sogar ab-
zulehnen ist Erstens ist die im Spiel als Nebenerscheinung enthaltene Einuumlbung von Grund-
kompetenzen von groumlszligter Komplexitaumlt und Vielfalt die selbst neue nicht vorhersagbare Qualitaumlten
hervorbringt die mit den Triebkraumlften der Evolution in Verbindung zu bringen sind (Emergenz)
Deshalb ist es fuumlr einen ganzheitlichen Entwicklungsspielraum der Kinder und im Sinne der Evolu-
tion unvernuumlnftig das Spiel wie im Bildungsplan beschrieben bdquoqualitativ aufzuwertenldquo um ver-
meintliche fuumlr das derzeitige Leben als unverzichtbar angenommene bdquoGrundkompetenzenldquo durch
bdquospielerisches Lernenldquo einzuuumlben Und zweitens ist das Spiel als kreative geistig-emotionale Welt-
zuwendung und damit als wesensgemaumlszlige kreatuumlrliche Taumltigkeit des Menschen den Kindern ein Be-
duumlrfnis und grundlegend fuumlr ihr gesundes Aufwachsen und Lebensgeborgenheit (Lebenszufrieden-
heit) in einem sie wahrhaft erfuumlllenden menschlichen Dasein
Bedenke ich nun die Lebenszeit die auch meine Kinder teilweise schon vor dem ersten Lebensjahr
mit haumlufig acht Stunden taumlglich in Kindertageseinrichtungen (leider nicht in einer Freien Demokra-
tischen Schule mit Primarbereich) verbrachten derzeit verbringen und spaumlter in der Schule bis min-
destens zur Erfuumlllung der Schulpflicht mit etwa 15 Jahren in der Schule verbringen muumlssen bin ich
erschrocken-besorgt und wuumltend wie dem Phaumlnomen des freien natuumlrlichen Kinderspiels und der
Bildung insgesamt im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan begegnet wird Bildung als vorran-
gig politisch-oumlkonomisches Arrangement zu sehen darin das Spiel als List zu benutzen um standar-
disiertes Lernen zu erzielen echte Spielzeit zunehmend zu verkuumlrzen ndash dieses planvolle Vorgehen
der Politik und der beteiligten Paumldagogen stellt eine Missachtung der ihnen anvertrauten Kinder mit
ihren individuellen Wuumlnschen Vorstellungen Beduumlrfnissen und ihrer ganz persoumlnlichen Lebenswelt
dar und ist ein lebensentfremdendes Vorhaben das junge Menschen von einem sie erfuumlllenden gu-
ten Leben trennt
29
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31
Eidesstattliche Erklaumlrung
Ich erklaumlre hiermit an Eides Statt durch eigenhaumlndige Unterschrift dass ich die vorliegende Arbeit
selbstaumlndig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe die aus
fremden Quellen (einschlieszliglich elektronischer Quellen und dem Internet) direkt oder indirekt uumlber-
nommenen Gedanken sind ausnahmslos als solche kenntlich gemacht
Ich weiszlig dass bei Abgabe einer falschen Versicherung die Arbeit als nicht bestanden zu gelten hat
Herold 10042015
32
- Die zunehmende Verdraumlngung des freien Kinderspiels
- im Hessischen Bildungsplan
- Einleitung
- 1 Freies Kinderspiel - Wesensmerkmale
-
- 11 Das Moment der Freiheit
- 12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
- 13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
- 14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
- 15 Das Moment der Geschlossenheit
- 16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
- 17 Zusammenfassung
-
- 2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
-
- 21 Das Spielverstaumlndnis
- 22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
- 23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
- 24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
-
- 3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
- 4 Zusammenfassende Gedanken
- Literaturverzeichnis
- Internetquellen
-
Erwachsenen und Gleichaltrigen
An die Beschreibung der drei Merkmale von Spiel anschlieszligend wird der Lern- und Entwicklungs-
charakter des Spiel dargestellt bdquoFreie Spielprozesse sind immer auch Lernprozesse denn Kinder
lernen zumindest beilaumlufig durch Spielenldquo (ebd)
Weiter heiszligt es im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan dass die Qualitaumlt dieser Lernprozesse
die im freien Kinderspiel stattfinden durch bdquogezielte Unterstuumltzungsmaszlignahmenldquo zu erhoumlhen sei In
dieser Aussage wird deutlich dass das freie Kinderspiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungs-
plan lediglich als Mittel aufgefasst wird welches die Entwicklungs- und Lernprozesse waumlhrend des
Heranwachsens beschleunigend wie ein Motor vorantreiben soll Warum sonst soll die bdquoQualitaumltldquo
des freien Kinderspiels bdquoerhoumlhtldquo werden Kinder sollen in erster Linie nicht spielen um ihrem Be-
duumlrfnis nach Spiel nachzukommen sondern um etwas zu lernen Dies legt den Verdacht nahe dass
das Spielen als solches auch nur aus diesem Grunde naumlmlich weil Kinder im Spiel etwas lernen
dh Kompetenzen erwerben Bestandteil des Bildungsplanes ist
Zusammenfassend kann festgestellt werden dass das Spiel im Hessischen Bildungs- und Erzie-
hungsplan auf eine Art Voruumlbung fuumlr das bdquorichtigeldquo Leben bei gleichzeitiger Lebensbewaumlltigung
verkuumlrzt wird Gleichzeitig findet durch die bdquoAufwertungldquo des freien Spiels zum bdquospielerischen Ler-
nenldquo eine Funktionalisierung und Paumldagogisierung des freien Spiels statt Die dem Spiel von Lern-
und Entwicklungspsychologie attestierten Potenzen (vgl Oerter 2007) sollen fuumlr die Realisierung
der Bildungs- und Erziehungsziele nutzbar gemacht werden dh das Spiel an sich dient vorrangig
dem Erwerb gewisser Kompetenzen und nicht der Erfuumlllung kindlicher Spielbeduumlrfnisse
Im folgenden Abschnitt werden die Hintergruumlnde eines solchen Spielverstaumlndnisses untersucht
Politische Motivationen spielen dabei ebenso eine Rolle wie die sich daraus ergebenden Ziele des
aktuellen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplans
22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
Im Vorwort des Hessischen Bildungs- und Erziehungsplans benennen die ehemaligen Hessischen
Ministerinnen14 fuumlr Kultus Karin Wolf und fuumlr Soziales Silke Lautenschlaumlger das zentrale politi-
sche Ziel naumlmlich die bdquoOptimierung der Bildungschancenldquo und die Entwicklung von bdquoChancen-
gleichheitldquo (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S 18) fuumlr die heranwachsende
Generation Bereits diese Formulierung laumlsst erkennen dass es im Bereich Bildung und Erziehung
politisch gesehen um Effizienz und um einheitliche bdquoQualitaumlts-ldquo und bdquoBildungsstandardsldquo geht die
14 unver uumlbern v aktuellem Kultusminister Herr Lorz von Herr Gruumlttner fuumlr Soziales und Integration
16
auf maximale Leistungen in der nationalen und internationalen Wissenskonkurrenz zielen
Wie ist also bdquoOptimierung der Bildungschancenldquo zu verstehen Konzeptionell ist diese bdquoOptimie-
rung der Bildungschancenldquo darauf angelegt dass bis zum Uumlbergang in die Sekundarstufe die Kin-
dertageseinrichtungen und Grundschulen allen Kindern eines Jahrgangs als Grundlagen die gleichen
bdquoBasiskompetenzenldquo15 vermitteln sollen Das Erreichen dieser bdquoBildungsstandardsldquo bis zur vierten
Klasse sei wiederum die Herstellung von bdquoChancengleichheitldquo so die Schlussfolgerung (vgl dies
S 18)
Dabei besteht die Chance darin dass die Kinder des gesamten Jahrgangs in gleichen Leistungstests
an diesen einheitlichen bdquoBasiskompetenzenldquo in Abhaumlngigkeit gemessen und in Konkurrenz zueinan-
der nach ihren Lernleistungsdifferenzen (Leistungsabstaumlnden) eingeordnet werden koumlnnen (vgl
Nuumlberlin 2002 S 117-127) Die dabei entstehende Jahrgangssortierung dh die Platzierung im
Leistungsvergleich innerhalb eines Jahrganges entscheidet dann daruumlber welche Kinder eine
bdquoChanceldquo auf houmlhere Bildung erhalten und welche nicht welche also das Gymnasium besuchen
duumlrfen und fuumlr welche der Besuch der Realschule vorgesehen ist Somit werden mit dem politischen
Programm bdquoChancengleichheitldquo bzw bdquoOptimierung der Bildungschanceldquo die jungen Generationen
(Kinder und Jugendliche) gemaumlszlig der in der Gesellschaft durchgesetzten Wissenshierarchie bzw Fauml-
higkeitshierarchie kontinuierlich eingeordnet (vgl Nuumlberlin 2002 S 127-129)
Deshalb soll bdquoChancengleichheitldquo auch bdquoBildungschancenldquo eroumlffnen weshalb im Bildungsplan Paumld-
agogen dazu aufgerufen sind die Kinder von fruumlhester Kindheit an individuell zu staumlrken um ihre
unterschiedlichen Voraussetzungen zumindest in gleichen bdquoBasiskompetenzenldquo vermeintlich einan-
der anzugleichen und somit die Vergleichbarkeit in der Notenkonkurrenz chancengleich im Sinne
von voraussetzungsgleich zu gestalten (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S
5-6 und S 17-18) Gerda Nuumlberlin weiszligt darauf hin dass aber diese Voraussetzungsgleichheit die
Institution Schule gerade nicht leistet Und dass Schule statt dessen durch Lernen auf Zeit die Schuuml-
ler innerhalb eines Jahrgangs mit einheitlichen Tests kontinuierlich einem Sortierungsverfahren un-
terzieht das eher gemaumlszlig den Bildungsschichten die Wissensunterschiede der Kinder hervorhebt
und sogar mit produziert statt sie mit dem Ziel der bestmoumlglichen Wissengleichheit zu bdquobeseitigenldquo
(vgl Nuumlberlin 2002 S 104-142)
Die auf gleiche Basiskompetenzen vorbereitenden Lernangebote und Fruumlhfoumlrderungen sollen nach
Aumluszligerung der Ministerinnen im Vorwort intensiver und fruumlher initiiert werden als in den vorange-
gangenen Jahren (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S 5-6) Zur Sicherung
15 bzw auch als bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (vgl dies S 41) bezeichnet daraus resultieren sollen die besonders vonder Wirtschaft geforderten bdquoMetakompetenzenldquo (vgl dies S 17)
17
der bdquoBildungsqualitaumltldquo und Umsetzung einheitlicher Standards soll der Bildungs- und Erziehungs-
plan das institutionenuumlbergreifende Steuerungsinstrument sein (vgl dies S 19) Die Herausgeber
des Bildungsplanes heben in der Einfuumlhrung besonders hervor dass es sich erstmals um einen Bil-
dungs- und Erziehungsplan handelt der durch seine stufenlose Konzeption von 0 bis 10 Jahren ein
kontinuierliches Lernen vorsieht Alle paumldagogisch wirkenden Personen und Institutionen sollen
durch einheitliche Bildungs- und Erziehungsziele moumlglichst an bdquoeinem Strang ziehenldquo koumlnnen (vgl
dies S 5-19)
Leitziel ist es fuumlr das bdquolebenslange Lernenldquo mit dem Erwerb von bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo die
bereits erwaumlhnte gemeinsame Grundlage (bdquoBasiskompetenzenldquo 16) der Kinder zu erzeugen (vgl
dies S 41f)
Veranlasst sehen sich die Ministerien zur bdquoneuenldquo konzeptionellen Bildungssteuerung durch den
tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel der sich von der demografischen Entwicklung uumlber viel-
faumlltige kulturelle Kontexte die Wirtschafts- und Arbeitswelt bis hin zu familialen Wandlungsprozes-
sen vollzieht und generell durch Schnelllebigkeit gekennzeichnet ist und von den Menschen ein ho-
hes Maszlig an Flexibilitaumlt und Mobilitaumlt fordert Hierzu werden auch die Ergebnisse der Schuumllerleis-
tungsvergleiche wie PISA TIMSS oder IGLU und denen entsprechende wissenschaftliche For-
schungsbefunde genannt denen der bdquo(neue) Bildungs- und Erziehungsplanldquo Rechnung tragen
moumlchte (vgl dies S 16-19)
Denn die Platzierung bei national und international vergleichbaren Leistungserhebungen ist letztlich
die Bemessungsgrundlage fuumlr bdquoBildungserfolgldquo oder bdquoBildungsversaumlumnisldquo Die attestierte bdquoBil-
dungsqualitaumltldquo ist deshalb von politischem Interesse weil die Politik die durch ihr Bildungssystem
erreichte Platzierung im vorderen Bereich als Standortfaktor fuumlr ihren Wirtschaftsstandort in
Deutschland nutzen moumlchte um vor allem auf dem globalem Markt konkurrenzfaumlhig zu bleiben
Im Folgenden wird zu zeigen sein ob und inwiefern diese Zielsetzungen mit dem dafuumlr entwickel-
ten Bildungskonzept zur angenommenen Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels fuumlhren
16 Im Einzelnen werden folgende Kompetenzen genannt als Basiskompetenzen werden bdquoindividuumsbezogeneKompetenzenldquo bdquoKompetenzen zum Handeln im sozialen Kontextldquo bdquoLernen und lernmethodische Kompetenzldquo undbdquokompetenter Umgang mit Veraumlnderung und Belastung Widerstandsfaumlhigkeit (Resilienz)ldquo genannt (vgl dies S 25-26 und S 41-44) Zum anderen werden darauf aufbauende konkrete Bildungs- und Erziehungsziele genannt (ent-sprechend der geforderten bdquoMetakompetenzenldquo) bdquostarke Kinderldquo bdquokommunikationsfreudige Kinder und medien-kompetente Kinderldquo bdquoKreative fantasievolle und kuumlnstlerische Kinderldquo bdquoLernende forschende und entdeckungs-freudige Kinderldquo und bdquoverantwortungsvoll und werteorientiert handelnde Kinderldquo (vgl dies S 13)
18
23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Wie kann das politische Ziel naumlmlich alle Kinder mit den gleichen Grundkompetenzen auszustatten
und deren bdquoErfolgldquo mindestens ab der vierten Klasse an regelmaumlszligigen Leistungserhebungen zu be-
messen durch freies Spiel erreicht werden Die Vermittlung bzw der Erwerb standardisierter Inhal-
te (Wissen Faumlhigkeiten Fertigkeiten Kompetenzen) und die Verfuumlgung daruumlber (Pruumlfungstermin)
steht im Widerspruch zum freien Spiel als offenem Prozess den die Spielenden selbst initiieren und
gestalten und bei dem keine Voraussagen daruumlber getroffen werden koumlnnen wann sich welche
Kenntnisse und Fertigkeiten einstellen
Diese erlangt man einerseits durch die Freiheit als Freiraum zum Spiel die eine gewisse Qualitaumlt an
Sorgefreiheit bedingt Zur Sorgefreiheit zaumlhlt beispielsweise auch das Freisein von Lerndruck der
jedoch unter anderem durch festgelegte Leistungserhebungen und Entwicklungsdokumentationen
bei den Kindern erzeugt wird Und andererseits erwirbt man Kenntnisse und Faumlhigkeiten nur dann
wenn das Spiel frei ist wenn es sich also um seiner selbst Willen ereignet und eben nicht bdquokanali -
siertldquo wird es also keinen aumluszligeren Zielen Zwecken oder Absichten unterliegt wie es jedoch bei
festgelegten bdquoBasiskompetenzenldquo (bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo) eines bdquoBildungsstandardsldquo der Fall
waumlre17 Hinzu kommt der weitere Aspekt von Freiheit im Spiel wonach das Spiel ein selbstgesteuer-
ter Prozess mit offenem bdquoAusgangldquo ist dessen Wirkungen eben nicht planbar oder voraussagbar
also nicht standardisierbar und determinierbar sind Diese Qualitaumlt von Freiheit im Spiel ergibt sich
nun aus den unverfuumlgbaren Momenten des freien Spiels wie dem Augenblick der Instabilitaumlt der
Kreativitaumlt und Phantasie der Spontanitaumlt und Unordnung dem Unsinn und Zufall Diese zugleich
auch wesentlichen Antriebskraumlfte des Spiels koumlnnen sich wie bereits im Kapitel bdquo14 Moment der
Ambivalenzldquo (S 11-13) naumlher beschrieben nur in einem Entwicklungsspielraum mit reichhaltigen
Erfahrungsmoumlglichkeiten und mit dem erlaumluterten Spannungsverhaumlltnis ergeben Sie tragen dann
aber auch die unermesslichen Potentiale fuumlr Emergenz mit dem Prinzip des Lebendigen in sich
woraus sich seine Offenheit fuumlr Neues im Sinne der Weiterentwicklung von Leben ergibt
An dieser Stelle moumlchte ich ergaumlnzend zu meiner eher phaumlnomenologischen Wesensauffassung von
freiem Spiel einige Beispiele skizzieren wie sich die Einuumlbung von Kompetenzen durch freies Spiel
aus psychologischer Sicht vollzieht
Die im Hessischen Bildungsplan intentional geplanten Basiskompetenzen und Lernziele wie bei-
spielsweise Kreativitaumlt Abstraktionsvermoumlgen Empathie oder Flexibilitaumlt in Denk- und Vorstel-
17 Vgl dazu Kapitel bdquo11 Das Moment der Freiheitldquo in dieser Arbeit S 7f
19
lungsvermoumlgen ergeben sich im Spiel als bdquoNebeneffektldquo Das Kind vollzieht naumlmlich im Spiel fuumlr
seine Entwicklung entscheidende Bildungsprozesse selbsttaumltig intrinsisch motiviert und in der bdquoDo-
sisldquo die es bedarf Dabei von groszliger Bedeutung ist der vom Kind entwickelte eigene Lernmodus
der sich maszliggeblich an der individuellen Leistungsfaumlhigkeit und den persoumlnlichen Beduumlrfnissen ori-
entiert Hierfuumlr benoumltigt jedes Kind einen eigenen Entwicklungsspielraum
bdquo[Der] sollte Heranwachsenden die vielfaumlltigsten auch selbsttaumltig inszenierten Erfah-rungsraumlume bieten um sich - wie es Johann Heinrich Pestalozzi nannte - an Kopf Herzund Hand bilden zu koumlnnen moumlglichst frei von Furcht und Zwang Sinnesbildung Koumlr-perbildung und geistig-seelische Bildung sollten dabei gleichermaszligen zur Entfaltungkommenldquo (Rittelmeyer 2007 S 7)
So initiieren Kinder beispielsweise in ihren Rollenspielen eigentaumltige Bildungsprozesse indem sie
sich im spontanen Spiel in die Perspektive anderer Menschen versetzen und eigenes Handeln fuumlr
aumlhnliche Lebenssituationen uumlben Oder sie erproben sich im Spiel mit verschiedenen sozialen Rol-
len zB im Rahmen gesellschaftlicher Verhaltensstandards indem ein von Geschichten aufgenom-
menes oder durch elterliche Kommentare an die Kinder herangetragenes Ideal (bdquoTapferkeitldquo bdquoGe-
schwisterliebeldquo bdquoFreundschaftldquo bdquoHilfsbereitschaftldquo etc) mit der persoumlnlichen Wirklichkeit vertraut
gemacht wird Dieses Erproben entspricht zB einer Bewusstseinsbildung im Hinblick auf (solche)
gesellschaftlichen Rollenerwartungen
bdquo[Oder] im Symbolspiel das ein Houmllzchen zur Mutterʻ oder zum Autoʻ werden laumlsstuumlben Kinder die Faumlhigkeit im Hinblick auf gegebene Phaumlnomene verschiedene Per-spektiven entwickeln zu koumlnnen also mit Kreativitaumlt oder Phantasie auf Erscheinungender aumluszligeren Welt zu reagierenldquo (ders S 17)
Es ist schwierig zu sagen welche Kompetenzen genau aus eigentaumltigen Bildungsprozessen im Spiel
entstehen da Resultate aus diesen Erfahrungen wiederum von diversen Faktoren abhaumlngig sind
Maszliggebliche Faktoren sind dabei die uumlberaus verschiedenen biografischen Erfahrungen der Kinder
und dass die letztliche Erfahrungsgewichtung durch ihre Individualitaumlt verschieden zum Tragen
kommt
Da aber jedes Lernen immer individuumsbezogen dh vom Kind abhaumlngig ist hat dieser Umstand
auch fuumlr die geplant-initiierten Lernangebote Geltung sofern derartige von auszligen angestoszligene
Lernangebote uumlberhaupt in den lernenden Kindern auf Resonanz stoszligen
Es duumlrfte kaum anzuzweifeln sein dass wie im Beispiel des spontanen von den Kindern selbst initi-
ierten Rollenspiels Rollenhandeln und soziale Empathie eingeuumlbt und fuumlr eigenes Handeln erprobt
werden Ebenso werden durch Symbol- oder Rollenspiele die Phantasie und Kreativitaumlt vielfaumlltig
angeregt die Beobachtungsgabe und das Vorstellungsvermoumlgen ausgepraumlgt Daraus kann sich wie-
20
derum das Abstraktionsvermoumlgen entwickeln und die Kinder bilden mit zunehmenden Perspekti-
venwechseln eigene Vorstellungen und Uumlberzeugungen aus Indem naumlmlich Spielende in ihre selbst
konstruierte bdquoScheinweltldquo gaumlnzlich bdquoeintauchenldquo nehmen sie auf zuvor vielfaumlltig beobachtete und
erlebte Situationen Bezug Erst spielen sie das Erlebte nach und bdquodurchlebenldquo es dabei spielerisch
immer wieder bis sich ein tiefgruumlndiges Verstaumlndnis uumlber die erlebte Situation gebildet hat Allmaumlh-
lich wird dann durch die eigene Ausgestaltung des Rollen- oder Symbolspiels das wahrgenommene
Phaumlnomen zunehmend abstrahiert und Kinder beginnen vielfaumlltige eigene Vorstellungen dazu zu
entwickeln Freies Spiel entspricht also eigentaumltiger Lebenswelterfahrung und -aneignung und ihr
Bildungsgehalt scheint dabei fast unermesslich groszlig zu sein (vgl ders S 7-17 und S 135-137)
Es wuumlrden sich also durch freies Kinderspiel ganz unterschiedliche und auch bdquoneueldquo Kompetenzen
mit ganz individuellen Auspraumlgungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten bilden Diese Aspekte ma-
chen aber eine vergleichende Leistungserhebung quasi unaussagekraumlftig bzw koumlnnten einen deter-
minierten bdquoBildungsstandardldquo insofern bdquogefaumlhrdenldquo als dass das Spiel als kreative geistig-emotio-
nale Weltzuwendung immer einen offenen bdquoAusgangldquo hat dh nicht vorhersagbar ist Das Zulassen
von freiem Spiel steht somit im Interessenskonflikt mit den oben genannten politischen Absichten
weshalb dem freien Spiel ein generelles Misstrauen gegenuumlber gebracht wird Dies fuumlhrt letztlich
konzeptionell dh durch die Einfuumlhrung und Umsetzung von bdquoBildungsstandardsldquo zur zunehmen-
den Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
Inwiefern die angenommene Verdraumlngung von freiem Kinderspiel auch paumldagogisch motiviert sein
kann soll im folgenden Abschnitt untersucht werden
24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Die Autorinnen und Autoren sehen Kinder einerseits als kompetente selbstbestimmt taumltig werdende
Wesen an und deuten die Bildung und das Lernen zwar als soziale Prozesse die sich im Dialog zwi-
schen Kind und Erwachsenem vollziehen koumlnnen Andererseits verweisen sie aber darauf dass die
Qualitaumlt dieser Prozesse wiederum von auszligen dh von einem Erwachsenen gesteuert und mode-
riert werden sollen (vgl Hessisches Sozialministerium Hessisches Kultusministerium 2007 S 20-
21) Die Steuerung der Bildungs- und Lernprozesse wird versucht zu rechtfertigen indem auf aktu-
elle neurowissenschaftliche Befunde verwiesen wird die dem kindlichen Gehirn ein enormes Ent-
wicklungs- und Lernleistungsvermoumlgen zuschreiben welches wenn es nicht genuumltzt wuumlrde einem
bdquoBildungsversaumlumnisldquo gleichkaumlme und nur schwer wieder aufzuholen sei (vgl dies S 20- 24)
bdquoJe reichhaltiger aumluszligere Lernreize sind desto mehr effiziente neuronale Netzwerke
21
(Synapsen) bilden sich heraus die fuumlr die Verarbeitungskapazitaumlt des Gehirns und seineLernfaumlhigkeit im spaumlteren Leben bedeutsam sind Im Entwicklungsverlauf eines jedenKindes gibt es optimale Zeitraumlume fuumlr grundlegende Lernschritte (zB ZweitspracheRaumorientierung elementares mathematisches Denken Interesse an Naturwissen-schaften aumlsthetisches Verstaumlndnis Entwicklung der Musikalitaumlt) Solche Zeitfenstergibt es auch noch im Laufe der weiteren Bildungsbiografie Dennoch gilt es diese sen-siblen Phasen bereits durch fruumlhe Bildung offensiv zu nutzen [sic] Je solider und brei-ter die Basis aus jener Zeit desto houmlher ist die Wahrscheinlichkeit dass das Kind danachaktiver und leichter lernt Fruumlhe Bildungsversaumlumnisse sind nur schwer aufholbarldquo(dies S 24)
Die programmatische Paumldagogisierung von Spiel die die bdquoGrenzen zwischen der herkoumlmmlichen
Trennung von Freispielprozessen und geplanten Bildungsprozessen zunehmendldquo (dies S 30) ver-
wischen soll ist vor dem Hintergrund Bildung als Produkt einer offensiven Nutzung der sensiblen
Lernzeitfenster anzusehen (vgl dies S 23-24) und wiederum von seiner politischen Motivation
mit dem Wettlauf um Konkurrenzfaumlhigkeit sowie der Weiterfuumlhrung einer in der Gesellschaft durch-
gesetzten und der Wirtschaft dienlichen Wissenshierarchie in Verbindung zu bringen Folglich fuumlhrt
die im Bildungs- und Erziehungsplan programmatisch angewiesene Funktionalisierung des Spiels
zum bdquospielerischen Lernenldquo letztlich paumldagogisch motiviert zur zunehmenden Verdraumlngung des frei-
en (Kinder)Spiels denn dieses wird als zu zeitintensive Taumltigkeit angesehen Freispiel darf zwar
laut Plan auch enthalten sein es bdquomuss jedoch im angemessenen Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlten ste-
henldquo (dies S 31) weshalb es wegen des bdquoLernfensterdrucksldquo (vgl Dies S 23-24) zum bdquospielen-
den Lernenldquo umfunktionalisiert werden soll (vgl dies S 30-31) um wegen seiner bildenden Po-
tenzen dann als Lernbeschleunigung dem Lernziel (bdquoBildungserfolgldquo) dienbar gemacht zu werden
Das Freispiel soll konzeptionell auf zwei Wegen zu bdquospielendem Lernenldquo qualitativ aufgewertet
werden Zum einen indem aus Spielprozessen Projekte hervor gehen mit der Bedingung dass das
Spielgeschehen zunehmend von der Projekttaumltigkeit durchdrungen wird Und zum anderen koumlnnen
bdquo[]im Rahmen von Projekten [hellip] Freispielphasen enthalten sein in denen sich dieKinder weiterhin mit dem Projektthema allein oder mit anderen auseinandersetzen DieQualitaumlt der Freispielprozesse laumlsst sich durch gezielte Unterstuumltzungsmaszlignahmen erhouml-henldquo (dies S 30 Herv MG)
Wenn also Freispielphasen eingeplant werden dann unter der Bedingung dass im bdquoSpielldquo die Pro-
jektthemen wieder aufgegriffen werden In beiden Varianten wird aber die Qualitaumlt des Spiels zu-
mindest im Bezug auf das Erreichen des Lernzieles angezweifelt weshalb ein gezieltes Einwirken
der Paumldagogen kontinuierlich angedacht ist
bdquoDie Houmlhergewichtung des elementaren Bildungsauftrags hat zur Konsequenz dasssich das beilaumlufige Lernen der Kinder im Spiel zum spielerischen Lernen hin entwickeltDem Spiel wird mehr systematische Begleitung und didaktische Aufbereitung
22
zuteilldquo(dies S31 Herv MG)
Das demnach angedachte bdquoFreispielldquo soll folglich auch kein freies natuumlrliches Spielen sein selbst
wenn sich Kinder angetan von den Projektinhalten im freien Spiel beginnen selbsttaumltig im Rah-
men dessen auseinanderzusetzen Solches Geschehen wuumlrde durch paumldagogisches Einwirken auf
das Lernziel hin gelenkte Taumltigkeit werden es soll durch Erwachsene zum bdquospielerischen Lernenldquo
hin entwickelt werden Ebenso kann auch ein anfaumlngliches Spiel nie als solches bestehen bleiben
Die Houmlhergewichtung des institutionellen bdquoBildungsauftragsldquo bewirkt in beiden Faumlllen dass der
scheinbar gewaumlhrte bdquoSpielraumldquo zur zielorientierten Lerntaumltigkeit wird weshalb (freies) Spiel ver-
draumlngt wird und zunehmend in Projekttaumltigkeit muumlndet Erst dann hat Spiel einen qualitativen Nut-
zen im Sinne des Bildungs- und Erziehungsplans Deshalb haben Spielen und Lernen auch nach An-
sicht und Position des Bildungsplanvorhabens in einem besonderen Verhaumlltnis zueinander zu stehen
welches Paumldagogen zu sichern haben
bdquoFreispiel ist wichtig muss jedoch im angemessenem Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlt stehendie die Erwachsenen planen und initiieren[]ldquo (ebd Herv MG)
Denn Lernaktivitaumlt sollte nach Meinung der Autorinnen und Autoren wenn sie vom Kind ausgeht
letztlich durch Erwachsene zielfuumlhrend gelenkt werden
Diese Qualitaumlt steigernden Unterstuumltzungsmaszlignahmen und das angestrebte Verhaumlltnis von Spielen
und Lernen stehen im einzelnen mit den Wesensmomenten des freien Spiels in Widerspruch Im
freien Spiel sind die Spielinhalte die sich spielende Kinder selbst auswaumlhlen vorwiegend alltagsbe-
zogen und als diese individuell meist sehr unterschiedlich Kinder begegnen im Spiel also Themen
die ihr Interesse durch erlebte oder beobachtete Situationen geweckt haben Diese eigens initiierten
Spielideen koumlnnen wie oben skizziert diverse Funktionen (zB bildendes Erproben) als Nebenef-
fekt haben Aber im Sinne des Spiels als bdquofreie Zeitgestaltungldquo draumlngt das Kind eher nach sinnvoll
erfuumllltem Leben durch erstrebtes lustvolles Spielen mit ganzheitlichem Lebensweltbezug als nach
einer von auszligen das Spiel deformierenden oder domestizierenden Systematik und Didaktik Es ist
anzunehmen dass diese fehlende bdquoBe-friedigungldquo des Spielbeduumlrfnisses ihre praumlgenden Anpas-
sungsspuren in den Kindern hinterlaumlsst und sie wahrscheinlich unzufrieden macht Zusaumltzlich duumlrf-
ten diese Umstaumlnde dem Lernen allgemein auch eher abtraumlglich sein
Es besteht also ein ganzheitlicher Bezug zum eigenen Leben wenn durch die Freiheit zum Spiel
ganz individuelle Themen zur Spielidee werden und bdquoihren Laufldquo nehmen Das heiszligt die jeweilige
Initialidee wird im weiteren Spielverlauf staumlndig veraumlndert werden und folgt dabei gerade eben
nicht der bdquoLogikldquo der buumlrgerlichen Erwachsenenwelt Diese bdquoLogikldquo wird aber im Bildungsplan fo-
23
kussiert In ihm ist die Annahme enthalten dass Kinder wie Forscher ihre Umwelt erkunden und
nun im Zuge der Aufwertung des Spiels zum bdquospielerischen Lernenldquo durch paumldagogisches Hinwir-
ken sich das bdquospielendeldquo Kind in reflektierender Betrachtungsweise Kausalzusammenhaumlnge und
Gesetzmaumlszligigkeiten des zu untersuchenden bdquoGegenstandesldquo erschlieszligen bzw davon ableiten soll
(vgl dies S 20 27-28 30-31) Spiel ist aber nur dann Spiel wenn es ein eigenes fortwaumlhrendes
kreatives und spontanes Eingehen auf die Anregungen der aumluszligeren Spielszenerie ermoumlglicht (vgl
Kapitel bdquo14 Das Moment der Ambivalenzldquo S 11ff sowie Rittelmeyer 2007 S 136) Innerhalb
dessen orientiert sich die Spiel gestaltende Taumltigkeit des Kindes hauptsaumlchlich an den eigenen Be-
duumlrfnissen und nicht an Vorgaben von auszligen Deswegen kann auch nicht alles Spiel sein das waumlre
Willkuumlr und nicht Geschlossenheit (vgl Kapitel bdquo15 das Moment der inneren Geschlossenheitldquo S
13) Und um seiner inneren Zweckmaumlszligigkeit moumlglichst dienlich zu sein bleibt es auch stets unver-
fuumlgbar Darin gibt es keine absolute Eindeutigkeit (zB ein Lernziel) mit zielgerichtetem Streben
nach zukuumlnftiger Befriedigung Spiel ist jetzt ist gegenwaumlrtig angestrebtes erfuumlllendes Erleben von
frei gestalteter Zeit Nur so koumlnnen sich alle weiteren Wesensmomente und ihre ua auch hoch ef-
fektiv bildenden Potenziale ergeben und individuell entfalten Solches Spiel waumlre aber von Vielfalt
Spontanitaumlt Uumlberfluss Instabilitaumlt Kreativitaumlt oder auch vom ihm eigenen Unsinn gepraumlgt Sicher-
lich erschlieszligen sich dem Kind dabei diverse Kausalzusammenhaumlnge und aus Einzelphaumlnomenen
wird es ableitend Gesetzmaumlszligigkeiten erfahren die sich in diesem informellen Lernprozess dann als
Wissen Kenntnisse Fertigkeiten oder auch Kompetenzen verinnerlichen Aber diese (Neben)Effek-
te wuumlrden nie zielfuumlhrend oder leitend das Spielgeschehen formen bzw antreiben
Dem natuumlrlichen freien Spiel steht das bdquospielerische Lernenldquo auch im Bezug auf die im Spiel er-
schaffene Phantasiewelt (vgl Kapitel bdquo13 Das Moment der Scheinhaftigkeitldquo S 10) entgegen
Denn diese zeichnet sich gerade dadurch aus dass sie sich von den bdquoObjektenldquo der Umwelt loumlst
vom Faktischen enthoben ist und durch Phantasie zu bdquoNeuemldquo zu Symbolischem werden laumlsst Und
somit das symbolische bdquoAls-obldquo Spielgeschehen ermoumlglicht Das Spiel wuumlrde sich also notwendi-
gerweise von der Projekttaumltigkeit oder ihren faktischen Inhalten loumlsen muumlssen um sich in dieser
Phantasiewelt mit seiner Spielhandlung zwischen Zufaumllligem und Notwendigem bewegen zu koumln-
nen Mit der daraus entstehenden Gegenwaumlrtigkeit schloumlssen sich alle weiteren Momente zu ihrer
bdquofunktionalenldquo Kette zusammen Auch der zeitliche Rahmen in dem sich das freie Spiel nun bewe-
gen wuumlrde ist unvorhersehbar Es ist also wahrscheinlich dass das Spielgeschehen uumlber den von
Erziehern eingeplanten bdquoFreispielzeitraumldquo hinweg andauern koumlnnte und deshalb von auszligen durch
die Paumldagogen abgebrochen werden wuumlrde Der bdquoinneren Unendlichkeitldquo des Spiels wuumlrde dies so-
mit ein abruptes Ende bereiten Dem zirkulaumlrem Charakter des Spiels steht noch ein weiterer Aspekt
24
entgegen Naumlmlich dass die Wiederholungen der Spielhandlung nicht aus systematischer oder di-
daktischen bdquoAufbereitungldquo erzeugt werden koumlnnen sondern dass sie wie Rolf Oerter in bdquoZur Psy-
chlogie des Spielsldquo beschreibt mit lustvollem Erleben in Verbindung zu bringen sind und demnach
eher dem Lustprinzip folgen als dem rationellem Realitaumltsprinzip (vgl Oerter 2007 S 9 12 14f
18-21)
Einzelne Momente fuumlr bdquospielerisches Lernenldquo zu erzeugen bzw sie diesbezuumlglich abzuwandeln
kann also nicht mehr mit dem natuumlrlichen freiem Spiel in Verbindung gebracht geschweige denn
damit gleichgesetzt werden Das daraus resultierende bdquoSpielenldquo kann demnach auch nicht dem Be-
duumlrfnis oder Drang nach Spiel entsprechen welches Kinder ganz offenkundig haben Das Spiel im
Sinne des Bildungsplanes gleicht in seiner angedachten Form eher bdquodomestiziertenldquo Spiels das in
einzelne Wesensmomente zerrissen ist um als didaktische bdquoListldquo geplant initiiert zu werden Somit
wird durch die verkuumlrzte Auffassung von Spiel als Mittel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo bei
gleichzeitiger Verkuumlrzung echter Spielzeit die zunehmende Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels
im Bildungsplan programmatisch angegangen bzw angeordnet wodurch die dieser Arbeit zugrunde
liegende Annahme bestaumltigt wird
3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
Die Reformpaumldagogik hat zB durch Ellen Key Johann Heinrich Pestalozzi oder Maria Monterssori
Konzepte wie Jena-Plan das der Sudberry Valley School oder der Freien Demokratischen Schulen
inspiriert Innerhalb deren Konzeptionen findet auch die kindliche Lebenswelt ohne sie romantisch
zu verklaumlren ihren anerkennenden Platz und wird als vollwertiger Lebensabschnitt beachtet Ihre
aumlhnlichen Bildungsansaumltze enthalten vielfaumlltigste Anreize und Formen vernuumlnftiger Bildungsideen
mit ganzheitlichem Menschenbild und echtem Lebensweltbezug Das bedeutet auch fuumlr eine Institu-
tion um mit Ellen Key zu sprechen Bildung vom Kind aus zu denken
Exemplarisch moumlchte ich im Folgenden diese Bildungsvorhaben und ihre fuumlr die Kinder bereiteten
Entwicklungsspielraumlume an Hand der Freien Demokratischen Schulen skizzieren Der Ausgangs-
punkt dieser Schulen ist der Kerngedanke dass sich durch Eigeninitiative selbstverantwortete Bil-
dung und freies Spiel nicht abstoszligend gegenuumlber stehen sondern dass beide den Beduumlrfnissen des
Kindes entspringen und das Kind deshalb je nach seiner Beduumlrfnislage seine Aktivitaumlten diesbezuumlg-
lich selbstorganisiert Zwar sind auch Freie Demokratische Schulen als Institution leider kein wirk-
licher bdquoorganischerldquo Teil der Lebenswelt von Kindern sondern immer nur von auszligen angebotene in-
tentionale Konstrukte die aber in diesem Fall den individuellen Entwicklungsspielraum der Kinder
25
versuchen zu schuumltzen bzw bereitzuhalten Somit wird jedem Kind sein eigener Freiraum der ihm
spontanes freies Spiel ermoumlglicht bereitet ohne es in irgendeiner Form zu verzwecken oder zu ka-
nalisieren Einige Konzepte solcher Schulen greifen auch die Kindheit als gesellschaftlichen Status
hervorbringende Begebenheit auf naumlmlich dass durch die alltaumlgliche Erwerbstaumltigkeit der Erwach-
senen die Kindheit entsteht und zwar als davon getrennter Lebensbereich Verschiedene Versuche
zB durch (Land)Schulheime oder selbst initiierten Lernvereinbarungen zielen darauf ab die ge-
trennten Lebensrealitaumlten von Kindern und Erwachsenen wieder mehr zur Uumlberschneidung zu brin-
gen Die daraus entstehenden freiwilligen Erfahrungspartnerschaften werden eigenverantwortlich
von den Beteiligten (Schuumller und Lehrer) nach ihren Beduumlrfnissen Vorstellungen und Wuumlnschen
gemeinsam gestaltet Es kann also keinen einheitlichen Lehrplan geben und es kann auch keinen
bdquoMethodenkofferldquo als Handreichung des Ministeriums geben der Anwendung finden soll Aber
falls es von den Schuumllern gewuumlnscht wird bzw falls es von ihnen als vernuumlnftig fuumlr die Umsetzung
des Vorhabens angesehen wird kann sich der Lehrer sinnvollerweise durch methodische oder di-
daktische bzw besser mathetische Aufbereitung unterstuumltzend einbringen Die Schuumller entwickeln
also selbst wie sie lernen und was sie lernen Dabei treffen sie nicht maszliggeblich ihre Auswahl aus
bereits bestehenden Angeboten sondern sie koumlnnen ihre Beschaumlftigungs- bzw Lerngebiete voumlllig
frei waumlhlen und initiieren Jede Beschaumlftigung wird dabei als wertvoll und lehrreich erachtet sei es
das Lesen das Experimentieren das freie Spielen oder das Teilnehmen an einem Unterrichtskurs
Die Schuumller entscheiden auch wann sie lernen Sie legen damit den gesamten zeitlichen Rahmen
fest innerhalb dessen sie sich mit ihrem eigenem Lerngebiet beschaumlftigen wollen Dies betrifft die
Tageszeit und den Gesamtzeitraum der Taumltigkeit aber vor allem auch das Alter in dem sie sich ent-
schlieszligen sich mit einer Thematik zu befassen So entschlieszligt sich zB ein neunjaumlhriges Kind Lesen
zu lernen wo ein fuumlnfjaumlhriges bereits damit begonnen hat Dabei waumlre es nicht ungewoumlhnlich dass
diese beiden Leseinteressierten sich zusammenschlieszligen und eine Lerngruppe initiieren um sich
gemeinsam dem Lesen lernen zu widmen Auch liegt es in der Verantwortung der Kinder wie inten-
siv sie sich mit dem gewaumlhlten Thema auseinandersetzen wollen Um all dies zu planen und umset-
zen zu koumlnnen sind die Lehrer wie beratende Helfer kontinuierlich fuumlr die Kinder da und die Kin-
der sind sich nie selbst uumlberlassen Somit schafft das Vertrauen der Lehrer in die Schuumller Vertrauens-
wuumlrdigkeit und die Kinder koumlnnen sich sicher und geborgen fuumlhlen um sich moumlglichst ohne Angst
in dieser Freiheit ganz nach ihren Beduumlrfnissen der Welt zuzuwenden Diesen Freiraum zum Entde-
cken und Spielen bezeichnen die Sudberry- bzw die Demokratischen Schulen als Lernfreiheit und
er ist eine der beiden Grundsaumlulen des Bildungskonzepts Die zweite Saumlule ist von organisatorischer
Natur und konstatiert den Lernort als egalitaumlres System in dem Schuumller und Lehrer in verschiede-
nen Gremien Komitees und Aumlmtern gleiche Einflussmoumlglichkeiten Pflichten sowie Rechte besit-
26
zen (vgl Schiffner 2007 S 8-15)
Peter Gray emeritierter Professor fuumlr Psychologie des Boston College erklaumlrte in einem Vortrag in
Berlin 3122012 die Grundlagen dieses bdquoErziehungsldquo Ansatzes18 Er nennt ihn Vertrauensvolle Er-
ziehung (Trustful Parenting) bdquoVertrauensvolle Erziehung basiert auf der Annahme dass Kinder von
Natur aus widerstandsfaumlhig kompetent sozial und selbstgesteuert sindldquo (Gray 2012 S 1) Daraus
ergibt sich dass Kinder ihrem Beduumlrfnis nach selbst entscheidend entdecken und spielen Es obliegt
ihrer Entscheidung Risiken einzugehen und dabei auch evtl eigene Fehler zu machen Entwick-
lungsvergleiche (auch keine Lernleistungsvergleiche) liegen dieser Ansicht fern Erziehung versucht
demnach Entwicklung nicht zu lenken sondern zu unterstuumltzen sodass Kinder ihre eigenen Ziele
verwirklichen koumlnnen Sie entwickeln dabei Eigeninitiative und uumlbernehmen Selbstverantwortung
in der Gemeinschaft Die Erwachsenen stellen dazu lediglich den aumluszligeren bdquoRahmenldquo her der fuumlr ein
gesundes Heranwachsen erforderlich ist (vgl Grey 2012 S1 ff) Deshalb ist dieser Ansatz auch
nicht als eine vernachlaumlssigende Haltung zum Kind anzusehen sondern ganz im Gegenteil die
bdquoErziehendenldquo senden den Kindern folgende Botschaft
bdquoDu bist kompetent Du hast Augen und ein Gehirn und du bist in der Lage Dinge her-auszufinden Du kennst deine eigenen Faumlhigkeiten und Grenzen Durch Spielen und Er-forschen wirst du dir aneignen was du wissen musst Deine Beduumlrfnisse werden gewuumlr-digt Deine Meinung zaumlhlt Du bist fuumlr deine Fehler selbst verantwortlich und man kanndarauf vertrauen dass du aus ihnen lernst Das Sozialleben zeichnet sich nicht durchWillenskaumlmpfe aus sondern vielmehr dadurch einander so beizustehen dass alle dasbekommen was sie brauchen und sich am meisten wuumlnschen Wir sind auf deiner Seitenicht gegen dichldquo (ders S1)
Interessant finde ich Peter Grays historischen Bezug den er zur Vertrauensvollen Erziehung her-
stellt Er belegt naumlmlich mit verschiedenen wissenschaftlichen Studien zu Jaumlger- und Sammlerkultu-
ren dass dieser Erziehungsstil bis zum Einsetzen der Landwirtschaft (vor ca 10000 Jahren in Asi-
en) der vorherrschende war und dass die Menschheit zu 99 Prozent ihrer gesamten Geschichte (ca 1
Millionen Jahre) Jaumlger und Sammler waren (vgl ders S 1-3)
4 Zusammenfassende Gedanken
Die anfaumlngliche Spielbegriffseingrenzung im ersten Teil dieser Arbeit verdeutlichte dass das Spiel
nicht nur von elementarer Bedeutung fuumlr ein gesundes Aufwachsen fuumlr Koumlrper und Psyche der Kin-
der ist obwohl das freie (Kinder)Spiel die dafuumlr wohl geeignetste Lebenstaumltigkeit darstellt Dem
18 Vgl Gray Peter (2012) Trustful Parenting May Require an Alternative to Conventional Schooling (Vertrauensvol-le Erziehung macht unter Umstaumlnden eine Alternative zum konventionellen Schulsystem noumltig) httpwwwting-schuledeindex_htm_filesPeter20Gray20_20Trustful20parentingpdf (Zugriff 260315)
27
natuumlrlichen (Kinder)Spiel als geistig-kreative Weltzuwendung liegen viel urspruumlnglichere Wurzeln
zu Grunde weshalb sich durch freies Spiel die Sinne der Koumlrper und auch der Geist als bdquoNebenef-
fektldquo beilaumlufig bilden und entwickeln Naumlmlich wie das bdquoMenschsein kein Zweck etwa des Lebens
sondern das Leben selbst istldquo (Kamper 1976 S 141) ist das (Kinder)Spiel auch kein findiger
Zweck des Lebendigen sondern gelebte Lebendigkeit und damit zwecklos (vgl ebd) bdquoDarauf und
nur darauf bezieht sich Schillers Wort dass der Mensch nur spielt wo er in voller Bedeutung des
Wortes Mensch ist und nur da ganz Mensch ist wo er spieltldquo (ebd) Somit stellt das Spiel das Prin-
zip des Lebendigen dar dies herauszuarbeiten und phaumlnomenologisch be-greifbar zu machen war
Ziel des ersten Teils dieser Arbeit Ich beabsichtigte darin ein Verstaumlndnis dafuumlr zu bilden dass das
(Kinder)Spiel als Modus von Freiheit im bdquoSpannungsfeld Lebenldquo die Wesenskraumlfte der Evolution
den Zufall die Spontanitaumlt und die Kreativitaumlt als eigene Triebkraumlfte in sich traumlgt und im freien
selbst initiierten Spielgeschehen zur Entfaltung bringt Als dieses Urprinzip ist das freie natuumlrliche
Spiel dem Menschen - homo ludens - und deshalb auch den Kindern ein Beduumlrfnis Deshalb fuumlhrt
durch Spiel gestaltete Zeit als erstrebte wesensgemaumlszlige Taumltigkeit zu Lebenszufriedenheit Und nur
dann traumlgt es seine Potenziale der Sinnesbildung Koumlrperbildung und geistig-seelischen Bildung so-
wie die Moumlglichkeit unvorhersehbarer Emergenzen in sich Und als solcher freier Ausdruck von Le-
bendigkeit ist deshalb Spiel fuumlr ein Kind innerhalb eines erfuumlllten Daseins grundlegend und zu ach-
ten bzw anzuerkennen
Im zweiten Teil wurde einsteigend die im derzeitigen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
vertretene Auffassung von Spiel erlaumlutert und der Plan wurde auf seine moumlgliche politisch- und paumld-
agogisch motivierte Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel untersucht Es konnte dargelegt werden
dass der Spiel(zeit)raum aufgrund des Interessengegensatzes von Kind und Staat kontinuierlich ein-
gekuumlrzt wird und zur zunehmenden Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel fuumlhrt um die politischen
Programme bdquoVerbesserung der Bildungschancenldquo und bdquoChancengleichheitldquo durchzusetzen Die da-
mit verwirklichten politischen Ziele und die Umsetzung einheitlicher Bildungsstandards haben da-
bei einerseits den Zweck die fuumlr die Wirtschaft dienliche und in der Gesellschaft mit Schule durch-
gesetzte Wissenshierachie fortzufuumlhren Und andererseits sollen diese Jahrgangssortierungen durch
internationale Tests wie PISA uauml als Standortfaktor im Wettkampf um Konkurrenzfaumlhigkeit auf ei-
nem globalisierten Markt Wirtschaftsstandort sichernd eingesetzt werden
Die Annahme dass es durch die Einuumlbung von vermeintlichen also dem Zeitgeist entsprechenden
bdquoGrundkompetenzenldquo bzw bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (als Bildungsstandards) zur zunehmenden
Verdraumlngung von freiem Spiel kommt konnte dadurch bestaumlrkt werden dass auf Grundlage eines
verkuumlrzten Spielbegriffes das freie (Kinder)Spiel durch paumldagogisches Einwirken in bdquospielerisches
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Lernenldquo umfunktionalisiert und dadurch echte Spielzeit zunehmend eingekuumlrzt wird Der Zweck ist
dabei das (Kinder)Spiel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo als bdquoLernmotorldquo der Kinder innerhalb
des bdquoLernfensterdrucksldquo dem Lehrapparat dienstbar zu machen
Im dritten Teil dieser Arbeit wurde anhand der Demokratischen Schulen kurz skizziert wie institu-
tionelle Bildung die freies Spielen wirklich gewaumlhrleistet gelingen kann Leider stehen die Schulen
in freier Traumlgerschaft zu denen die Freien Demokratischen Schulen zaumlhlen in Deutschland vor be-
sonderen behoumlrdlichen Genehmigungsbarrieren und unzureichender oumlffentlicher Finanzierung was
ihre Realisierung maszliggeblich erschwert oder ganz verhindert Auch darin kann eine Verdraumlngung
bzw Verhinderung des freien Spiels gesehen werden
Die Verdraumlngung des freien Kinderspiels ist aus zweierlei Gruumlnden nicht gut zu heiszligen ja sogar ab-
zulehnen ist Erstens ist die im Spiel als Nebenerscheinung enthaltene Einuumlbung von Grund-
kompetenzen von groumlszligter Komplexitaumlt und Vielfalt die selbst neue nicht vorhersagbare Qualitaumlten
hervorbringt die mit den Triebkraumlften der Evolution in Verbindung zu bringen sind (Emergenz)
Deshalb ist es fuumlr einen ganzheitlichen Entwicklungsspielraum der Kinder und im Sinne der Evolu-
tion unvernuumlnftig das Spiel wie im Bildungsplan beschrieben bdquoqualitativ aufzuwertenldquo um ver-
meintliche fuumlr das derzeitige Leben als unverzichtbar angenommene bdquoGrundkompetenzenldquo durch
bdquospielerisches Lernenldquo einzuuumlben Und zweitens ist das Spiel als kreative geistig-emotionale Welt-
zuwendung und damit als wesensgemaumlszlige kreatuumlrliche Taumltigkeit des Menschen den Kindern ein Be-
duumlrfnis und grundlegend fuumlr ihr gesundes Aufwachsen und Lebensgeborgenheit (Lebenszufrieden-
heit) in einem sie wahrhaft erfuumlllenden menschlichen Dasein
Bedenke ich nun die Lebenszeit die auch meine Kinder teilweise schon vor dem ersten Lebensjahr
mit haumlufig acht Stunden taumlglich in Kindertageseinrichtungen (leider nicht in einer Freien Demokra-
tischen Schule mit Primarbereich) verbrachten derzeit verbringen und spaumlter in der Schule bis min-
destens zur Erfuumlllung der Schulpflicht mit etwa 15 Jahren in der Schule verbringen muumlssen bin ich
erschrocken-besorgt und wuumltend wie dem Phaumlnomen des freien natuumlrlichen Kinderspiels und der
Bildung insgesamt im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan begegnet wird Bildung als vorran-
gig politisch-oumlkonomisches Arrangement zu sehen darin das Spiel als List zu benutzen um standar-
disiertes Lernen zu erzielen echte Spielzeit zunehmend zu verkuumlrzen ndash dieses planvolle Vorgehen
der Politik und der beteiligten Paumldagogen stellt eine Missachtung der ihnen anvertrauten Kinder mit
ihren individuellen Wuumlnschen Vorstellungen Beduumlrfnissen und ihrer ganz persoumlnlichen Lebenswelt
dar und ist ein lebensentfremdendes Vorhaben das junge Menschen von einem sie erfuumlllenden gu-
ten Leben trennt
29
Literaturverzeichnis
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Eidesstattliche Erklaumlrung
Ich erklaumlre hiermit an Eides Statt durch eigenhaumlndige Unterschrift dass ich die vorliegende Arbeit
selbstaumlndig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe die aus
fremden Quellen (einschlieszliglich elektronischer Quellen und dem Internet) direkt oder indirekt uumlber-
nommenen Gedanken sind ausnahmslos als solche kenntlich gemacht
Ich weiszlig dass bei Abgabe einer falschen Versicherung die Arbeit als nicht bestanden zu gelten hat
Herold 10042015
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- Die zunehmende Verdraumlngung des freien Kinderspiels
- im Hessischen Bildungsplan
- Einleitung
- 1 Freies Kinderspiel - Wesensmerkmale
-
- 11 Das Moment der Freiheit
- 12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
- 13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
- 14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
- 15 Das Moment der Geschlossenheit
- 16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
- 17 Zusammenfassung
-
- 2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
-
- 21 Das Spielverstaumlndnis
- 22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
- 23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
- 24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
-
- 3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
- 4 Zusammenfassende Gedanken
- Literaturverzeichnis
- Internetquellen
-
auf maximale Leistungen in der nationalen und internationalen Wissenskonkurrenz zielen
Wie ist also bdquoOptimierung der Bildungschancenldquo zu verstehen Konzeptionell ist diese bdquoOptimie-
rung der Bildungschancenldquo darauf angelegt dass bis zum Uumlbergang in die Sekundarstufe die Kin-
dertageseinrichtungen und Grundschulen allen Kindern eines Jahrgangs als Grundlagen die gleichen
bdquoBasiskompetenzenldquo15 vermitteln sollen Das Erreichen dieser bdquoBildungsstandardsldquo bis zur vierten
Klasse sei wiederum die Herstellung von bdquoChancengleichheitldquo so die Schlussfolgerung (vgl dies
S 18)
Dabei besteht die Chance darin dass die Kinder des gesamten Jahrgangs in gleichen Leistungstests
an diesen einheitlichen bdquoBasiskompetenzenldquo in Abhaumlngigkeit gemessen und in Konkurrenz zueinan-
der nach ihren Lernleistungsdifferenzen (Leistungsabstaumlnden) eingeordnet werden koumlnnen (vgl
Nuumlberlin 2002 S 117-127) Die dabei entstehende Jahrgangssortierung dh die Platzierung im
Leistungsvergleich innerhalb eines Jahrganges entscheidet dann daruumlber welche Kinder eine
bdquoChanceldquo auf houmlhere Bildung erhalten und welche nicht welche also das Gymnasium besuchen
duumlrfen und fuumlr welche der Besuch der Realschule vorgesehen ist Somit werden mit dem politischen
Programm bdquoChancengleichheitldquo bzw bdquoOptimierung der Bildungschanceldquo die jungen Generationen
(Kinder und Jugendliche) gemaumlszlig der in der Gesellschaft durchgesetzten Wissenshierarchie bzw Fauml-
higkeitshierarchie kontinuierlich eingeordnet (vgl Nuumlberlin 2002 S 127-129)
Deshalb soll bdquoChancengleichheitldquo auch bdquoBildungschancenldquo eroumlffnen weshalb im Bildungsplan Paumld-
agogen dazu aufgerufen sind die Kinder von fruumlhester Kindheit an individuell zu staumlrken um ihre
unterschiedlichen Voraussetzungen zumindest in gleichen bdquoBasiskompetenzenldquo vermeintlich einan-
der anzugleichen und somit die Vergleichbarkeit in der Notenkonkurrenz chancengleich im Sinne
von voraussetzungsgleich zu gestalten (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S
5-6 und S 17-18) Gerda Nuumlberlin weiszligt darauf hin dass aber diese Voraussetzungsgleichheit die
Institution Schule gerade nicht leistet Und dass Schule statt dessen durch Lernen auf Zeit die Schuuml-
ler innerhalb eines Jahrgangs mit einheitlichen Tests kontinuierlich einem Sortierungsverfahren un-
terzieht das eher gemaumlszlig den Bildungsschichten die Wissensunterschiede der Kinder hervorhebt
und sogar mit produziert statt sie mit dem Ziel der bestmoumlglichen Wissengleichheit zu bdquobeseitigenldquo
(vgl Nuumlberlin 2002 S 104-142)
Die auf gleiche Basiskompetenzen vorbereitenden Lernangebote und Fruumlhfoumlrderungen sollen nach
Aumluszligerung der Ministerinnen im Vorwort intensiver und fruumlher initiiert werden als in den vorange-
gangenen Jahren (vgl Hess Sozialministerium Hess Kultusministerium S 5-6) Zur Sicherung
15 bzw auch als bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (vgl dies S 41) bezeichnet daraus resultieren sollen die besonders vonder Wirtschaft geforderten bdquoMetakompetenzenldquo (vgl dies S 17)
17
der bdquoBildungsqualitaumltldquo und Umsetzung einheitlicher Standards soll der Bildungs- und Erziehungs-
plan das institutionenuumlbergreifende Steuerungsinstrument sein (vgl dies S 19) Die Herausgeber
des Bildungsplanes heben in der Einfuumlhrung besonders hervor dass es sich erstmals um einen Bil-
dungs- und Erziehungsplan handelt der durch seine stufenlose Konzeption von 0 bis 10 Jahren ein
kontinuierliches Lernen vorsieht Alle paumldagogisch wirkenden Personen und Institutionen sollen
durch einheitliche Bildungs- und Erziehungsziele moumlglichst an bdquoeinem Strang ziehenldquo koumlnnen (vgl
dies S 5-19)
Leitziel ist es fuumlr das bdquolebenslange Lernenldquo mit dem Erwerb von bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo die
bereits erwaumlhnte gemeinsame Grundlage (bdquoBasiskompetenzenldquo 16) der Kinder zu erzeugen (vgl
dies S 41f)
Veranlasst sehen sich die Ministerien zur bdquoneuenldquo konzeptionellen Bildungssteuerung durch den
tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel der sich von der demografischen Entwicklung uumlber viel-
faumlltige kulturelle Kontexte die Wirtschafts- und Arbeitswelt bis hin zu familialen Wandlungsprozes-
sen vollzieht und generell durch Schnelllebigkeit gekennzeichnet ist und von den Menschen ein ho-
hes Maszlig an Flexibilitaumlt und Mobilitaumlt fordert Hierzu werden auch die Ergebnisse der Schuumllerleis-
tungsvergleiche wie PISA TIMSS oder IGLU und denen entsprechende wissenschaftliche For-
schungsbefunde genannt denen der bdquo(neue) Bildungs- und Erziehungsplanldquo Rechnung tragen
moumlchte (vgl dies S 16-19)
Denn die Platzierung bei national und international vergleichbaren Leistungserhebungen ist letztlich
die Bemessungsgrundlage fuumlr bdquoBildungserfolgldquo oder bdquoBildungsversaumlumnisldquo Die attestierte bdquoBil-
dungsqualitaumltldquo ist deshalb von politischem Interesse weil die Politik die durch ihr Bildungssystem
erreichte Platzierung im vorderen Bereich als Standortfaktor fuumlr ihren Wirtschaftsstandort in
Deutschland nutzen moumlchte um vor allem auf dem globalem Markt konkurrenzfaumlhig zu bleiben
Im Folgenden wird zu zeigen sein ob und inwiefern diese Zielsetzungen mit dem dafuumlr entwickel-
ten Bildungskonzept zur angenommenen Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels fuumlhren
16 Im Einzelnen werden folgende Kompetenzen genannt als Basiskompetenzen werden bdquoindividuumsbezogeneKompetenzenldquo bdquoKompetenzen zum Handeln im sozialen Kontextldquo bdquoLernen und lernmethodische Kompetenzldquo undbdquokompetenter Umgang mit Veraumlnderung und Belastung Widerstandsfaumlhigkeit (Resilienz)ldquo genannt (vgl dies S 25-26 und S 41-44) Zum anderen werden darauf aufbauende konkrete Bildungs- und Erziehungsziele genannt (ent-sprechend der geforderten bdquoMetakompetenzenldquo) bdquostarke Kinderldquo bdquokommunikationsfreudige Kinder und medien-kompetente Kinderldquo bdquoKreative fantasievolle und kuumlnstlerische Kinderldquo bdquoLernende forschende und entdeckungs-freudige Kinderldquo und bdquoverantwortungsvoll und werteorientiert handelnde Kinderldquo (vgl dies S 13)
18
23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Wie kann das politische Ziel naumlmlich alle Kinder mit den gleichen Grundkompetenzen auszustatten
und deren bdquoErfolgldquo mindestens ab der vierten Klasse an regelmaumlszligigen Leistungserhebungen zu be-
messen durch freies Spiel erreicht werden Die Vermittlung bzw der Erwerb standardisierter Inhal-
te (Wissen Faumlhigkeiten Fertigkeiten Kompetenzen) und die Verfuumlgung daruumlber (Pruumlfungstermin)
steht im Widerspruch zum freien Spiel als offenem Prozess den die Spielenden selbst initiieren und
gestalten und bei dem keine Voraussagen daruumlber getroffen werden koumlnnen wann sich welche
Kenntnisse und Fertigkeiten einstellen
Diese erlangt man einerseits durch die Freiheit als Freiraum zum Spiel die eine gewisse Qualitaumlt an
Sorgefreiheit bedingt Zur Sorgefreiheit zaumlhlt beispielsweise auch das Freisein von Lerndruck der
jedoch unter anderem durch festgelegte Leistungserhebungen und Entwicklungsdokumentationen
bei den Kindern erzeugt wird Und andererseits erwirbt man Kenntnisse und Faumlhigkeiten nur dann
wenn das Spiel frei ist wenn es sich also um seiner selbst Willen ereignet und eben nicht bdquokanali -
siertldquo wird es also keinen aumluszligeren Zielen Zwecken oder Absichten unterliegt wie es jedoch bei
festgelegten bdquoBasiskompetenzenldquo (bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo) eines bdquoBildungsstandardsldquo der Fall
waumlre17 Hinzu kommt der weitere Aspekt von Freiheit im Spiel wonach das Spiel ein selbstgesteuer-
ter Prozess mit offenem bdquoAusgangldquo ist dessen Wirkungen eben nicht planbar oder voraussagbar
also nicht standardisierbar und determinierbar sind Diese Qualitaumlt von Freiheit im Spiel ergibt sich
nun aus den unverfuumlgbaren Momenten des freien Spiels wie dem Augenblick der Instabilitaumlt der
Kreativitaumlt und Phantasie der Spontanitaumlt und Unordnung dem Unsinn und Zufall Diese zugleich
auch wesentlichen Antriebskraumlfte des Spiels koumlnnen sich wie bereits im Kapitel bdquo14 Moment der
Ambivalenzldquo (S 11-13) naumlher beschrieben nur in einem Entwicklungsspielraum mit reichhaltigen
Erfahrungsmoumlglichkeiten und mit dem erlaumluterten Spannungsverhaumlltnis ergeben Sie tragen dann
aber auch die unermesslichen Potentiale fuumlr Emergenz mit dem Prinzip des Lebendigen in sich
woraus sich seine Offenheit fuumlr Neues im Sinne der Weiterentwicklung von Leben ergibt
An dieser Stelle moumlchte ich ergaumlnzend zu meiner eher phaumlnomenologischen Wesensauffassung von
freiem Spiel einige Beispiele skizzieren wie sich die Einuumlbung von Kompetenzen durch freies Spiel
aus psychologischer Sicht vollzieht
Die im Hessischen Bildungsplan intentional geplanten Basiskompetenzen und Lernziele wie bei-
spielsweise Kreativitaumlt Abstraktionsvermoumlgen Empathie oder Flexibilitaumlt in Denk- und Vorstel-
17 Vgl dazu Kapitel bdquo11 Das Moment der Freiheitldquo in dieser Arbeit S 7f
19
lungsvermoumlgen ergeben sich im Spiel als bdquoNebeneffektldquo Das Kind vollzieht naumlmlich im Spiel fuumlr
seine Entwicklung entscheidende Bildungsprozesse selbsttaumltig intrinsisch motiviert und in der bdquoDo-
sisldquo die es bedarf Dabei von groszliger Bedeutung ist der vom Kind entwickelte eigene Lernmodus
der sich maszliggeblich an der individuellen Leistungsfaumlhigkeit und den persoumlnlichen Beduumlrfnissen ori-
entiert Hierfuumlr benoumltigt jedes Kind einen eigenen Entwicklungsspielraum
bdquo[Der] sollte Heranwachsenden die vielfaumlltigsten auch selbsttaumltig inszenierten Erfah-rungsraumlume bieten um sich - wie es Johann Heinrich Pestalozzi nannte - an Kopf Herzund Hand bilden zu koumlnnen moumlglichst frei von Furcht und Zwang Sinnesbildung Koumlr-perbildung und geistig-seelische Bildung sollten dabei gleichermaszligen zur Entfaltungkommenldquo (Rittelmeyer 2007 S 7)
So initiieren Kinder beispielsweise in ihren Rollenspielen eigentaumltige Bildungsprozesse indem sie
sich im spontanen Spiel in die Perspektive anderer Menschen versetzen und eigenes Handeln fuumlr
aumlhnliche Lebenssituationen uumlben Oder sie erproben sich im Spiel mit verschiedenen sozialen Rol-
len zB im Rahmen gesellschaftlicher Verhaltensstandards indem ein von Geschichten aufgenom-
menes oder durch elterliche Kommentare an die Kinder herangetragenes Ideal (bdquoTapferkeitldquo bdquoGe-
schwisterliebeldquo bdquoFreundschaftldquo bdquoHilfsbereitschaftldquo etc) mit der persoumlnlichen Wirklichkeit vertraut
gemacht wird Dieses Erproben entspricht zB einer Bewusstseinsbildung im Hinblick auf (solche)
gesellschaftlichen Rollenerwartungen
bdquo[Oder] im Symbolspiel das ein Houmllzchen zur Mutterʻ oder zum Autoʻ werden laumlsstuumlben Kinder die Faumlhigkeit im Hinblick auf gegebene Phaumlnomene verschiedene Per-spektiven entwickeln zu koumlnnen also mit Kreativitaumlt oder Phantasie auf Erscheinungender aumluszligeren Welt zu reagierenldquo (ders S 17)
Es ist schwierig zu sagen welche Kompetenzen genau aus eigentaumltigen Bildungsprozessen im Spiel
entstehen da Resultate aus diesen Erfahrungen wiederum von diversen Faktoren abhaumlngig sind
Maszliggebliche Faktoren sind dabei die uumlberaus verschiedenen biografischen Erfahrungen der Kinder
und dass die letztliche Erfahrungsgewichtung durch ihre Individualitaumlt verschieden zum Tragen
kommt
Da aber jedes Lernen immer individuumsbezogen dh vom Kind abhaumlngig ist hat dieser Umstand
auch fuumlr die geplant-initiierten Lernangebote Geltung sofern derartige von auszligen angestoszligene
Lernangebote uumlberhaupt in den lernenden Kindern auf Resonanz stoszligen
Es duumlrfte kaum anzuzweifeln sein dass wie im Beispiel des spontanen von den Kindern selbst initi-
ierten Rollenspiels Rollenhandeln und soziale Empathie eingeuumlbt und fuumlr eigenes Handeln erprobt
werden Ebenso werden durch Symbol- oder Rollenspiele die Phantasie und Kreativitaumlt vielfaumlltig
angeregt die Beobachtungsgabe und das Vorstellungsvermoumlgen ausgepraumlgt Daraus kann sich wie-
20
derum das Abstraktionsvermoumlgen entwickeln und die Kinder bilden mit zunehmenden Perspekti-
venwechseln eigene Vorstellungen und Uumlberzeugungen aus Indem naumlmlich Spielende in ihre selbst
konstruierte bdquoScheinweltldquo gaumlnzlich bdquoeintauchenldquo nehmen sie auf zuvor vielfaumlltig beobachtete und
erlebte Situationen Bezug Erst spielen sie das Erlebte nach und bdquodurchlebenldquo es dabei spielerisch
immer wieder bis sich ein tiefgruumlndiges Verstaumlndnis uumlber die erlebte Situation gebildet hat Allmaumlh-
lich wird dann durch die eigene Ausgestaltung des Rollen- oder Symbolspiels das wahrgenommene
Phaumlnomen zunehmend abstrahiert und Kinder beginnen vielfaumlltige eigene Vorstellungen dazu zu
entwickeln Freies Spiel entspricht also eigentaumltiger Lebenswelterfahrung und -aneignung und ihr
Bildungsgehalt scheint dabei fast unermesslich groszlig zu sein (vgl ders S 7-17 und S 135-137)
Es wuumlrden sich also durch freies Kinderspiel ganz unterschiedliche und auch bdquoneueldquo Kompetenzen
mit ganz individuellen Auspraumlgungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten bilden Diese Aspekte ma-
chen aber eine vergleichende Leistungserhebung quasi unaussagekraumlftig bzw koumlnnten einen deter-
minierten bdquoBildungsstandardldquo insofern bdquogefaumlhrdenldquo als dass das Spiel als kreative geistig-emotio-
nale Weltzuwendung immer einen offenen bdquoAusgangldquo hat dh nicht vorhersagbar ist Das Zulassen
von freiem Spiel steht somit im Interessenskonflikt mit den oben genannten politischen Absichten
weshalb dem freien Spiel ein generelles Misstrauen gegenuumlber gebracht wird Dies fuumlhrt letztlich
konzeptionell dh durch die Einfuumlhrung und Umsetzung von bdquoBildungsstandardsldquo zur zunehmen-
den Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
Inwiefern die angenommene Verdraumlngung von freiem Kinderspiel auch paumldagogisch motiviert sein
kann soll im folgenden Abschnitt untersucht werden
24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Die Autorinnen und Autoren sehen Kinder einerseits als kompetente selbstbestimmt taumltig werdende
Wesen an und deuten die Bildung und das Lernen zwar als soziale Prozesse die sich im Dialog zwi-
schen Kind und Erwachsenem vollziehen koumlnnen Andererseits verweisen sie aber darauf dass die
Qualitaumlt dieser Prozesse wiederum von auszligen dh von einem Erwachsenen gesteuert und mode-
riert werden sollen (vgl Hessisches Sozialministerium Hessisches Kultusministerium 2007 S 20-
21) Die Steuerung der Bildungs- und Lernprozesse wird versucht zu rechtfertigen indem auf aktu-
elle neurowissenschaftliche Befunde verwiesen wird die dem kindlichen Gehirn ein enormes Ent-
wicklungs- und Lernleistungsvermoumlgen zuschreiben welches wenn es nicht genuumltzt wuumlrde einem
bdquoBildungsversaumlumnisldquo gleichkaumlme und nur schwer wieder aufzuholen sei (vgl dies S 20- 24)
bdquoJe reichhaltiger aumluszligere Lernreize sind desto mehr effiziente neuronale Netzwerke
21
(Synapsen) bilden sich heraus die fuumlr die Verarbeitungskapazitaumlt des Gehirns und seineLernfaumlhigkeit im spaumlteren Leben bedeutsam sind Im Entwicklungsverlauf eines jedenKindes gibt es optimale Zeitraumlume fuumlr grundlegende Lernschritte (zB ZweitspracheRaumorientierung elementares mathematisches Denken Interesse an Naturwissen-schaften aumlsthetisches Verstaumlndnis Entwicklung der Musikalitaumlt) Solche Zeitfenstergibt es auch noch im Laufe der weiteren Bildungsbiografie Dennoch gilt es diese sen-siblen Phasen bereits durch fruumlhe Bildung offensiv zu nutzen [sic] Je solider und brei-ter die Basis aus jener Zeit desto houmlher ist die Wahrscheinlichkeit dass das Kind danachaktiver und leichter lernt Fruumlhe Bildungsversaumlumnisse sind nur schwer aufholbarldquo(dies S 24)
Die programmatische Paumldagogisierung von Spiel die die bdquoGrenzen zwischen der herkoumlmmlichen
Trennung von Freispielprozessen und geplanten Bildungsprozessen zunehmendldquo (dies S 30) ver-
wischen soll ist vor dem Hintergrund Bildung als Produkt einer offensiven Nutzung der sensiblen
Lernzeitfenster anzusehen (vgl dies S 23-24) und wiederum von seiner politischen Motivation
mit dem Wettlauf um Konkurrenzfaumlhigkeit sowie der Weiterfuumlhrung einer in der Gesellschaft durch-
gesetzten und der Wirtschaft dienlichen Wissenshierarchie in Verbindung zu bringen Folglich fuumlhrt
die im Bildungs- und Erziehungsplan programmatisch angewiesene Funktionalisierung des Spiels
zum bdquospielerischen Lernenldquo letztlich paumldagogisch motiviert zur zunehmenden Verdraumlngung des frei-
en (Kinder)Spiels denn dieses wird als zu zeitintensive Taumltigkeit angesehen Freispiel darf zwar
laut Plan auch enthalten sein es bdquomuss jedoch im angemessenen Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlten ste-
henldquo (dies S 31) weshalb es wegen des bdquoLernfensterdrucksldquo (vgl Dies S 23-24) zum bdquospielen-
den Lernenldquo umfunktionalisiert werden soll (vgl dies S 30-31) um wegen seiner bildenden Po-
tenzen dann als Lernbeschleunigung dem Lernziel (bdquoBildungserfolgldquo) dienbar gemacht zu werden
Das Freispiel soll konzeptionell auf zwei Wegen zu bdquospielendem Lernenldquo qualitativ aufgewertet
werden Zum einen indem aus Spielprozessen Projekte hervor gehen mit der Bedingung dass das
Spielgeschehen zunehmend von der Projekttaumltigkeit durchdrungen wird Und zum anderen koumlnnen
bdquo[]im Rahmen von Projekten [hellip] Freispielphasen enthalten sein in denen sich dieKinder weiterhin mit dem Projektthema allein oder mit anderen auseinandersetzen DieQualitaumlt der Freispielprozesse laumlsst sich durch gezielte Unterstuumltzungsmaszlignahmen erhouml-henldquo (dies S 30 Herv MG)
Wenn also Freispielphasen eingeplant werden dann unter der Bedingung dass im bdquoSpielldquo die Pro-
jektthemen wieder aufgegriffen werden In beiden Varianten wird aber die Qualitaumlt des Spiels zu-
mindest im Bezug auf das Erreichen des Lernzieles angezweifelt weshalb ein gezieltes Einwirken
der Paumldagogen kontinuierlich angedacht ist
bdquoDie Houmlhergewichtung des elementaren Bildungsauftrags hat zur Konsequenz dasssich das beilaumlufige Lernen der Kinder im Spiel zum spielerischen Lernen hin entwickeltDem Spiel wird mehr systematische Begleitung und didaktische Aufbereitung
22
zuteilldquo(dies S31 Herv MG)
Das demnach angedachte bdquoFreispielldquo soll folglich auch kein freies natuumlrliches Spielen sein selbst
wenn sich Kinder angetan von den Projektinhalten im freien Spiel beginnen selbsttaumltig im Rah-
men dessen auseinanderzusetzen Solches Geschehen wuumlrde durch paumldagogisches Einwirken auf
das Lernziel hin gelenkte Taumltigkeit werden es soll durch Erwachsene zum bdquospielerischen Lernenldquo
hin entwickelt werden Ebenso kann auch ein anfaumlngliches Spiel nie als solches bestehen bleiben
Die Houmlhergewichtung des institutionellen bdquoBildungsauftragsldquo bewirkt in beiden Faumlllen dass der
scheinbar gewaumlhrte bdquoSpielraumldquo zur zielorientierten Lerntaumltigkeit wird weshalb (freies) Spiel ver-
draumlngt wird und zunehmend in Projekttaumltigkeit muumlndet Erst dann hat Spiel einen qualitativen Nut-
zen im Sinne des Bildungs- und Erziehungsplans Deshalb haben Spielen und Lernen auch nach An-
sicht und Position des Bildungsplanvorhabens in einem besonderen Verhaumlltnis zueinander zu stehen
welches Paumldagogen zu sichern haben
bdquoFreispiel ist wichtig muss jedoch im angemessenem Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlt stehendie die Erwachsenen planen und initiieren[]ldquo (ebd Herv MG)
Denn Lernaktivitaumlt sollte nach Meinung der Autorinnen und Autoren wenn sie vom Kind ausgeht
letztlich durch Erwachsene zielfuumlhrend gelenkt werden
Diese Qualitaumlt steigernden Unterstuumltzungsmaszlignahmen und das angestrebte Verhaumlltnis von Spielen
und Lernen stehen im einzelnen mit den Wesensmomenten des freien Spiels in Widerspruch Im
freien Spiel sind die Spielinhalte die sich spielende Kinder selbst auswaumlhlen vorwiegend alltagsbe-
zogen und als diese individuell meist sehr unterschiedlich Kinder begegnen im Spiel also Themen
die ihr Interesse durch erlebte oder beobachtete Situationen geweckt haben Diese eigens initiierten
Spielideen koumlnnen wie oben skizziert diverse Funktionen (zB bildendes Erproben) als Nebenef-
fekt haben Aber im Sinne des Spiels als bdquofreie Zeitgestaltungldquo draumlngt das Kind eher nach sinnvoll
erfuumllltem Leben durch erstrebtes lustvolles Spielen mit ganzheitlichem Lebensweltbezug als nach
einer von auszligen das Spiel deformierenden oder domestizierenden Systematik und Didaktik Es ist
anzunehmen dass diese fehlende bdquoBe-friedigungldquo des Spielbeduumlrfnisses ihre praumlgenden Anpas-
sungsspuren in den Kindern hinterlaumlsst und sie wahrscheinlich unzufrieden macht Zusaumltzlich duumlrf-
ten diese Umstaumlnde dem Lernen allgemein auch eher abtraumlglich sein
Es besteht also ein ganzheitlicher Bezug zum eigenen Leben wenn durch die Freiheit zum Spiel
ganz individuelle Themen zur Spielidee werden und bdquoihren Laufldquo nehmen Das heiszligt die jeweilige
Initialidee wird im weiteren Spielverlauf staumlndig veraumlndert werden und folgt dabei gerade eben
nicht der bdquoLogikldquo der buumlrgerlichen Erwachsenenwelt Diese bdquoLogikldquo wird aber im Bildungsplan fo-
23
kussiert In ihm ist die Annahme enthalten dass Kinder wie Forscher ihre Umwelt erkunden und
nun im Zuge der Aufwertung des Spiels zum bdquospielerischen Lernenldquo durch paumldagogisches Hinwir-
ken sich das bdquospielendeldquo Kind in reflektierender Betrachtungsweise Kausalzusammenhaumlnge und
Gesetzmaumlszligigkeiten des zu untersuchenden bdquoGegenstandesldquo erschlieszligen bzw davon ableiten soll
(vgl dies S 20 27-28 30-31) Spiel ist aber nur dann Spiel wenn es ein eigenes fortwaumlhrendes
kreatives und spontanes Eingehen auf die Anregungen der aumluszligeren Spielszenerie ermoumlglicht (vgl
Kapitel bdquo14 Das Moment der Ambivalenzldquo S 11ff sowie Rittelmeyer 2007 S 136) Innerhalb
dessen orientiert sich die Spiel gestaltende Taumltigkeit des Kindes hauptsaumlchlich an den eigenen Be-
duumlrfnissen und nicht an Vorgaben von auszligen Deswegen kann auch nicht alles Spiel sein das waumlre
Willkuumlr und nicht Geschlossenheit (vgl Kapitel bdquo15 das Moment der inneren Geschlossenheitldquo S
13) Und um seiner inneren Zweckmaumlszligigkeit moumlglichst dienlich zu sein bleibt es auch stets unver-
fuumlgbar Darin gibt es keine absolute Eindeutigkeit (zB ein Lernziel) mit zielgerichtetem Streben
nach zukuumlnftiger Befriedigung Spiel ist jetzt ist gegenwaumlrtig angestrebtes erfuumlllendes Erleben von
frei gestalteter Zeit Nur so koumlnnen sich alle weiteren Wesensmomente und ihre ua auch hoch ef-
fektiv bildenden Potenziale ergeben und individuell entfalten Solches Spiel waumlre aber von Vielfalt
Spontanitaumlt Uumlberfluss Instabilitaumlt Kreativitaumlt oder auch vom ihm eigenen Unsinn gepraumlgt Sicher-
lich erschlieszligen sich dem Kind dabei diverse Kausalzusammenhaumlnge und aus Einzelphaumlnomenen
wird es ableitend Gesetzmaumlszligigkeiten erfahren die sich in diesem informellen Lernprozess dann als
Wissen Kenntnisse Fertigkeiten oder auch Kompetenzen verinnerlichen Aber diese (Neben)Effek-
te wuumlrden nie zielfuumlhrend oder leitend das Spielgeschehen formen bzw antreiben
Dem natuumlrlichen freien Spiel steht das bdquospielerische Lernenldquo auch im Bezug auf die im Spiel er-
schaffene Phantasiewelt (vgl Kapitel bdquo13 Das Moment der Scheinhaftigkeitldquo S 10) entgegen
Denn diese zeichnet sich gerade dadurch aus dass sie sich von den bdquoObjektenldquo der Umwelt loumlst
vom Faktischen enthoben ist und durch Phantasie zu bdquoNeuemldquo zu Symbolischem werden laumlsst Und
somit das symbolische bdquoAls-obldquo Spielgeschehen ermoumlglicht Das Spiel wuumlrde sich also notwendi-
gerweise von der Projekttaumltigkeit oder ihren faktischen Inhalten loumlsen muumlssen um sich in dieser
Phantasiewelt mit seiner Spielhandlung zwischen Zufaumllligem und Notwendigem bewegen zu koumln-
nen Mit der daraus entstehenden Gegenwaumlrtigkeit schloumlssen sich alle weiteren Momente zu ihrer
bdquofunktionalenldquo Kette zusammen Auch der zeitliche Rahmen in dem sich das freie Spiel nun bewe-
gen wuumlrde ist unvorhersehbar Es ist also wahrscheinlich dass das Spielgeschehen uumlber den von
Erziehern eingeplanten bdquoFreispielzeitraumldquo hinweg andauern koumlnnte und deshalb von auszligen durch
die Paumldagogen abgebrochen werden wuumlrde Der bdquoinneren Unendlichkeitldquo des Spiels wuumlrde dies so-
mit ein abruptes Ende bereiten Dem zirkulaumlrem Charakter des Spiels steht noch ein weiterer Aspekt
24
entgegen Naumlmlich dass die Wiederholungen der Spielhandlung nicht aus systematischer oder di-
daktischen bdquoAufbereitungldquo erzeugt werden koumlnnen sondern dass sie wie Rolf Oerter in bdquoZur Psy-
chlogie des Spielsldquo beschreibt mit lustvollem Erleben in Verbindung zu bringen sind und demnach
eher dem Lustprinzip folgen als dem rationellem Realitaumltsprinzip (vgl Oerter 2007 S 9 12 14f
18-21)
Einzelne Momente fuumlr bdquospielerisches Lernenldquo zu erzeugen bzw sie diesbezuumlglich abzuwandeln
kann also nicht mehr mit dem natuumlrlichen freiem Spiel in Verbindung gebracht geschweige denn
damit gleichgesetzt werden Das daraus resultierende bdquoSpielenldquo kann demnach auch nicht dem Be-
duumlrfnis oder Drang nach Spiel entsprechen welches Kinder ganz offenkundig haben Das Spiel im
Sinne des Bildungsplanes gleicht in seiner angedachten Form eher bdquodomestiziertenldquo Spiels das in
einzelne Wesensmomente zerrissen ist um als didaktische bdquoListldquo geplant initiiert zu werden Somit
wird durch die verkuumlrzte Auffassung von Spiel als Mittel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo bei
gleichzeitiger Verkuumlrzung echter Spielzeit die zunehmende Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels
im Bildungsplan programmatisch angegangen bzw angeordnet wodurch die dieser Arbeit zugrunde
liegende Annahme bestaumltigt wird
3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
Die Reformpaumldagogik hat zB durch Ellen Key Johann Heinrich Pestalozzi oder Maria Monterssori
Konzepte wie Jena-Plan das der Sudberry Valley School oder der Freien Demokratischen Schulen
inspiriert Innerhalb deren Konzeptionen findet auch die kindliche Lebenswelt ohne sie romantisch
zu verklaumlren ihren anerkennenden Platz und wird als vollwertiger Lebensabschnitt beachtet Ihre
aumlhnlichen Bildungsansaumltze enthalten vielfaumlltigste Anreize und Formen vernuumlnftiger Bildungsideen
mit ganzheitlichem Menschenbild und echtem Lebensweltbezug Das bedeutet auch fuumlr eine Institu-
tion um mit Ellen Key zu sprechen Bildung vom Kind aus zu denken
Exemplarisch moumlchte ich im Folgenden diese Bildungsvorhaben und ihre fuumlr die Kinder bereiteten
Entwicklungsspielraumlume an Hand der Freien Demokratischen Schulen skizzieren Der Ausgangs-
punkt dieser Schulen ist der Kerngedanke dass sich durch Eigeninitiative selbstverantwortete Bil-
dung und freies Spiel nicht abstoszligend gegenuumlber stehen sondern dass beide den Beduumlrfnissen des
Kindes entspringen und das Kind deshalb je nach seiner Beduumlrfnislage seine Aktivitaumlten diesbezuumlg-
lich selbstorganisiert Zwar sind auch Freie Demokratische Schulen als Institution leider kein wirk-
licher bdquoorganischerldquo Teil der Lebenswelt von Kindern sondern immer nur von auszligen angebotene in-
tentionale Konstrukte die aber in diesem Fall den individuellen Entwicklungsspielraum der Kinder
25
versuchen zu schuumltzen bzw bereitzuhalten Somit wird jedem Kind sein eigener Freiraum der ihm
spontanes freies Spiel ermoumlglicht bereitet ohne es in irgendeiner Form zu verzwecken oder zu ka-
nalisieren Einige Konzepte solcher Schulen greifen auch die Kindheit als gesellschaftlichen Status
hervorbringende Begebenheit auf naumlmlich dass durch die alltaumlgliche Erwerbstaumltigkeit der Erwach-
senen die Kindheit entsteht und zwar als davon getrennter Lebensbereich Verschiedene Versuche
zB durch (Land)Schulheime oder selbst initiierten Lernvereinbarungen zielen darauf ab die ge-
trennten Lebensrealitaumlten von Kindern und Erwachsenen wieder mehr zur Uumlberschneidung zu brin-
gen Die daraus entstehenden freiwilligen Erfahrungspartnerschaften werden eigenverantwortlich
von den Beteiligten (Schuumller und Lehrer) nach ihren Beduumlrfnissen Vorstellungen und Wuumlnschen
gemeinsam gestaltet Es kann also keinen einheitlichen Lehrplan geben und es kann auch keinen
bdquoMethodenkofferldquo als Handreichung des Ministeriums geben der Anwendung finden soll Aber
falls es von den Schuumllern gewuumlnscht wird bzw falls es von ihnen als vernuumlnftig fuumlr die Umsetzung
des Vorhabens angesehen wird kann sich der Lehrer sinnvollerweise durch methodische oder di-
daktische bzw besser mathetische Aufbereitung unterstuumltzend einbringen Die Schuumller entwickeln
also selbst wie sie lernen und was sie lernen Dabei treffen sie nicht maszliggeblich ihre Auswahl aus
bereits bestehenden Angeboten sondern sie koumlnnen ihre Beschaumlftigungs- bzw Lerngebiete voumlllig
frei waumlhlen und initiieren Jede Beschaumlftigung wird dabei als wertvoll und lehrreich erachtet sei es
das Lesen das Experimentieren das freie Spielen oder das Teilnehmen an einem Unterrichtskurs
Die Schuumller entscheiden auch wann sie lernen Sie legen damit den gesamten zeitlichen Rahmen
fest innerhalb dessen sie sich mit ihrem eigenem Lerngebiet beschaumlftigen wollen Dies betrifft die
Tageszeit und den Gesamtzeitraum der Taumltigkeit aber vor allem auch das Alter in dem sie sich ent-
schlieszligen sich mit einer Thematik zu befassen So entschlieszligt sich zB ein neunjaumlhriges Kind Lesen
zu lernen wo ein fuumlnfjaumlhriges bereits damit begonnen hat Dabei waumlre es nicht ungewoumlhnlich dass
diese beiden Leseinteressierten sich zusammenschlieszligen und eine Lerngruppe initiieren um sich
gemeinsam dem Lesen lernen zu widmen Auch liegt es in der Verantwortung der Kinder wie inten-
siv sie sich mit dem gewaumlhlten Thema auseinandersetzen wollen Um all dies zu planen und umset-
zen zu koumlnnen sind die Lehrer wie beratende Helfer kontinuierlich fuumlr die Kinder da und die Kin-
der sind sich nie selbst uumlberlassen Somit schafft das Vertrauen der Lehrer in die Schuumller Vertrauens-
wuumlrdigkeit und die Kinder koumlnnen sich sicher und geborgen fuumlhlen um sich moumlglichst ohne Angst
in dieser Freiheit ganz nach ihren Beduumlrfnissen der Welt zuzuwenden Diesen Freiraum zum Entde-
cken und Spielen bezeichnen die Sudberry- bzw die Demokratischen Schulen als Lernfreiheit und
er ist eine der beiden Grundsaumlulen des Bildungskonzepts Die zweite Saumlule ist von organisatorischer
Natur und konstatiert den Lernort als egalitaumlres System in dem Schuumller und Lehrer in verschiede-
nen Gremien Komitees und Aumlmtern gleiche Einflussmoumlglichkeiten Pflichten sowie Rechte besit-
26
zen (vgl Schiffner 2007 S 8-15)
Peter Gray emeritierter Professor fuumlr Psychologie des Boston College erklaumlrte in einem Vortrag in
Berlin 3122012 die Grundlagen dieses bdquoErziehungsldquo Ansatzes18 Er nennt ihn Vertrauensvolle Er-
ziehung (Trustful Parenting) bdquoVertrauensvolle Erziehung basiert auf der Annahme dass Kinder von
Natur aus widerstandsfaumlhig kompetent sozial und selbstgesteuert sindldquo (Gray 2012 S 1) Daraus
ergibt sich dass Kinder ihrem Beduumlrfnis nach selbst entscheidend entdecken und spielen Es obliegt
ihrer Entscheidung Risiken einzugehen und dabei auch evtl eigene Fehler zu machen Entwick-
lungsvergleiche (auch keine Lernleistungsvergleiche) liegen dieser Ansicht fern Erziehung versucht
demnach Entwicklung nicht zu lenken sondern zu unterstuumltzen sodass Kinder ihre eigenen Ziele
verwirklichen koumlnnen Sie entwickeln dabei Eigeninitiative und uumlbernehmen Selbstverantwortung
in der Gemeinschaft Die Erwachsenen stellen dazu lediglich den aumluszligeren bdquoRahmenldquo her der fuumlr ein
gesundes Heranwachsen erforderlich ist (vgl Grey 2012 S1 ff) Deshalb ist dieser Ansatz auch
nicht als eine vernachlaumlssigende Haltung zum Kind anzusehen sondern ganz im Gegenteil die
bdquoErziehendenldquo senden den Kindern folgende Botschaft
bdquoDu bist kompetent Du hast Augen und ein Gehirn und du bist in der Lage Dinge her-auszufinden Du kennst deine eigenen Faumlhigkeiten und Grenzen Durch Spielen und Er-forschen wirst du dir aneignen was du wissen musst Deine Beduumlrfnisse werden gewuumlr-digt Deine Meinung zaumlhlt Du bist fuumlr deine Fehler selbst verantwortlich und man kanndarauf vertrauen dass du aus ihnen lernst Das Sozialleben zeichnet sich nicht durchWillenskaumlmpfe aus sondern vielmehr dadurch einander so beizustehen dass alle dasbekommen was sie brauchen und sich am meisten wuumlnschen Wir sind auf deiner Seitenicht gegen dichldquo (ders S1)
Interessant finde ich Peter Grays historischen Bezug den er zur Vertrauensvollen Erziehung her-
stellt Er belegt naumlmlich mit verschiedenen wissenschaftlichen Studien zu Jaumlger- und Sammlerkultu-
ren dass dieser Erziehungsstil bis zum Einsetzen der Landwirtschaft (vor ca 10000 Jahren in Asi-
en) der vorherrschende war und dass die Menschheit zu 99 Prozent ihrer gesamten Geschichte (ca 1
Millionen Jahre) Jaumlger und Sammler waren (vgl ders S 1-3)
4 Zusammenfassende Gedanken
Die anfaumlngliche Spielbegriffseingrenzung im ersten Teil dieser Arbeit verdeutlichte dass das Spiel
nicht nur von elementarer Bedeutung fuumlr ein gesundes Aufwachsen fuumlr Koumlrper und Psyche der Kin-
der ist obwohl das freie (Kinder)Spiel die dafuumlr wohl geeignetste Lebenstaumltigkeit darstellt Dem
18 Vgl Gray Peter (2012) Trustful Parenting May Require an Alternative to Conventional Schooling (Vertrauensvol-le Erziehung macht unter Umstaumlnden eine Alternative zum konventionellen Schulsystem noumltig) httpwwwting-schuledeindex_htm_filesPeter20Gray20_20Trustful20parentingpdf (Zugriff 260315)
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natuumlrlichen (Kinder)Spiel als geistig-kreative Weltzuwendung liegen viel urspruumlnglichere Wurzeln
zu Grunde weshalb sich durch freies Spiel die Sinne der Koumlrper und auch der Geist als bdquoNebenef-
fektldquo beilaumlufig bilden und entwickeln Naumlmlich wie das bdquoMenschsein kein Zweck etwa des Lebens
sondern das Leben selbst istldquo (Kamper 1976 S 141) ist das (Kinder)Spiel auch kein findiger
Zweck des Lebendigen sondern gelebte Lebendigkeit und damit zwecklos (vgl ebd) bdquoDarauf und
nur darauf bezieht sich Schillers Wort dass der Mensch nur spielt wo er in voller Bedeutung des
Wortes Mensch ist und nur da ganz Mensch ist wo er spieltldquo (ebd) Somit stellt das Spiel das Prin-
zip des Lebendigen dar dies herauszuarbeiten und phaumlnomenologisch be-greifbar zu machen war
Ziel des ersten Teils dieser Arbeit Ich beabsichtigte darin ein Verstaumlndnis dafuumlr zu bilden dass das
(Kinder)Spiel als Modus von Freiheit im bdquoSpannungsfeld Lebenldquo die Wesenskraumlfte der Evolution
den Zufall die Spontanitaumlt und die Kreativitaumlt als eigene Triebkraumlfte in sich traumlgt und im freien
selbst initiierten Spielgeschehen zur Entfaltung bringt Als dieses Urprinzip ist das freie natuumlrliche
Spiel dem Menschen - homo ludens - und deshalb auch den Kindern ein Beduumlrfnis Deshalb fuumlhrt
durch Spiel gestaltete Zeit als erstrebte wesensgemaumlszlige Taumltigkeit zu Lebenszufriedenheit Und nur
dann traumlgt es seine Potenziale der Sinnesbildung Koumlrperbildung und geistig-seelischen Bildung so-
wie die Moumlglichkeit unvorhersehbarer Emergenzen in sich Und als solcher freier Ausdruck von Le-
bendigkeit ist deshalb Spiel fuumlr ein Kind innerhalb eines erfuumlllten Daseins grundlegend und zu ach-
ten bzw anzuerkennen
Im zweiten Teil wurde einsteigend die im derzeitigen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
vertretene Auffassung von Spiel erlaumlutert und der Plan wurde auf seine moumlgliche politisch- und paumld-
agogisch motivierte Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel untersucht Es konnte dargelegt werden
dass der Spiel(zeit)raum aufgrund des Interessengegensatzes von Kind und Staat kontinuierlich ein-
gekuumlrzt wird und zur zunehmenden Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel fuumlhrt um die politischen
Programme bdquoVerbesserung der Bildungschancenldquo und bdquoChancengleichheitldquo durchzusetzen Die da-
mit verwirklichten politischen Ziele und die Umsetzung einheitlicher Bildungsstandards haben da-
bei einerseits den Zweck die fuumlr die Wirtschaft dienliche und in der Gesellschaft mit Schule durch-
gesetzte Wissenshierachie fortzufuumlhren Und andererseits sollen diese Jahrgangssortierungen durch
internationale Tests wie PISA uauml als Standortfaktor im Wettkampf um Konkurrenzfaumlhigkeit auf ei-
nem globalisierten Markt Wirtschaftsstandort sichernd eingesetzt werden
Die Annahme dass es durch die Einuumlbung von vermeintlichen also dem Zeitgeist entsprechenden
bdquoGrundkompetenzenldquo bzw bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (als Bildungsstandards) zur zunehmenden
Verdraumlngung von freiem Spiel kommt konnte dadurch bestaumlrkt werden dass auf Grundlage eines
verkuumlrzten Spielbegriffes das freie (Kinder)Spiel durch paumldagogisches Einwirken in bdquospielerisches
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Lernenldquo umfunktionalisiert und dadurch echte Spielzeit zunehmend eingekuumlrzt wird Der Zweck ist
dabei das (Kinder)Spiel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo als bdquoLernmotorldquo der Kinder innerhalb
des bdquoLernfensterdrucksldquo dem Lehrapparat dienstbar zu machen
Im dritten Teil dieser Arbeit wurde anhand der Demokratischen Schulen kurz skizziert wie institu-
tionelle Bildung die freies Spielen wirklich gewaumlhrleistet gelingen kann Leider stehen die Schulen
in freier Traumlgerschaft zu denen die Freien Demokratischen Schulen zaumlhlen in Deutschland vor be-
sonderen behoumlrdlichen Genehmigungsbarrieren und unzureichender oumlffentlicher Finanzierung was
ihre Realisierung maszliggeblich erschwert oder ganz verhindert Auch darin kann eine Verdraumlngung
bzw Verhinderung des freien Spiels gesehen werden
Die Verdraumlngung des freien Kinderspiels ist aus zweierlei Gruumlnden nicht gut zu heiszligen ja sogar ab-
zulehnen ist Erstens ist die im Spiel als Nebenerscheinung enthaltene Einuumlbung von Grund-
kompetenzen von groumlszligter Komplexitaumlt und Vielfalt die selbst neue nicht vorhersagbare Qualitaumlten
hervorbringt die mit den Triebkraumlften der Evolution in Verbindung zu bringen sind (Emergenz)
Deshalb ist es fuumlr einen ganzheitlichen Entwicklungsspielraum der Kinder und im Sinne der Evolu-
tion unvernuumlnftig das Spiel wie im Bildungsplan beschrieben bdquoqualitativ aufzuwertenldquo um ver-
meintliche fuumlr das derzeitige Leben als unverzichtbar angenommene bdquoGrundkompetenzenldquo durch
bdquospielerisches Lernenldquo einzuuumlben Und zweitens ist das Spiel als kreative geistig-emotionale Welt-
zuwendung und damit als wesensgemaumlszlige kreatuumlrliche Taumltigkeit des Menschen den Kindern ein Be-
duumlrfnis und grundlegend fuumlr ihr gesundes Aufwachsen und Lebensgeborgenheit (Lebenszufrieden-
heit) in einem sie wahrhaft erfuumlllenden menschlichen Dasein
Bedenke ich nun die Lebenszeit die auch meine Kinder teilweise schon vor dem ersten Lebensjahr
mit haumlufig acht Stunden taumlglich in Kindertageseinrichtungen (leider nicht in einer Freien Demokra-
tischen Schule mit Primarbereich) verbrachten derzeit verbringen und spaumlter in der Schule bis min-
destens zur Erfuumlllung der Schulpflicht mit etwa 15 Jahren in der Schule verbringen muumlssen bin ich
erschrocken-besorgt und wuumltend wie dem Phaumlnomen des freien natuumlrlichen Kinderspiels und der
Bildung insgesamt im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan begegnet wird Bildung als vorran-
gig politisch-oumlkonomisches Arrangement zu sehen darin das Spiel als List zu benutzen um standar-
disiertes Lernen zu erzielen echte Spielzeit zunehmend zu verkuumlrzen ndash dieses planvolle Vorgehen
der Politik und der beteiligten Paumldagogen stellt eine Missachtung der ihnen anvertrauten Kinder mit
ihren individuellen Wuumlnschen Vorstellungen Beduumlrfnissen und ihrer ganz persoumlnlichen Lebenswelt
dar und ist ein lebensentfremdendes Vorhaben das junge Menschen von einem sie erfuumlllenden gu-
ten Leben trennt
29
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31
Eidesstattliche Erklaumlrung
Ich erklaumlre hiermit an Eides Statt durch eigenhaumlndige Unterschrift dass ich die vorliegende Arbeit
selbstaumlndig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe die aus
fremden Quellen (einschlieszliglich elektronischer Quellen und dem Internet) direkt oder indirekt uumlber-
nommenen Gedanken sind ausnahmslos als solche kenntlich gemacht
Ich weiszlig dass bei Abgabe einer falschen Versicherung die Arbeit als nicht bestanden zu gelten hat
Herold 10042015
32
- Die zunehmende Verdraumlngung des freien Kinderspiels
- im Hessischen Bildungsplan
- Einleitung
- 1 Freies Kinderspiel - Wesensmerkmale
-
- 11 Das Moment der Freiheit
- 12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
- 13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
- 14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
- 15 Das Moment der Geschlossenheit
- 16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
- 17 Zusammenfassung
-
- 2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
-
- 21 Das Spielverstaumlndnis
- 22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
- 23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
- 24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
-
- 3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
- 4 Zusammenfassende Gedanken
- Literaturverzeichnis
- Internetquellen
-
der bdquoBildungsqualitaumltldquo und Umsetzung einheitlicher Standards soll der Bildungs- und Erziehungs-
plan das institutionenuumlbergreifende Steuerungsinstrument sein (vgl dies S 19) Die Herausgeber
des Bildungsplanes heben in der Einfuumlhrung besonders hervor dass es sich erstmals um einen Bil-
dungs- und Erziehungsplan handelt der durch seine stufenlose Konzeption von 0 bis 10 Jahren ein
kontinuierliches Lernen vorsieht Alle paumldagogisch wirkenden Personen und Institutionen sollen
durch einheitliche Bildungs- und Erziehungsziele moumlglichst an bdquoeinem Strang ziehenldquo koumlnnen (vgl
dies S 5-19)
Leitziel ist es fuumlr das bdquolebenslange Lernenldquo mit dem Erwerb von bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo die
bereits erwaumlhnte gemeinsame Grundlage (bdquoBasiskompetenzenldquo 16) der Kinder zu erzeugen (vgl
dies S 41f)
Veranlasst sehen sich die Ministerien zur bdquoneuenldquo konzeptionellen Bildungssteuerung durch den
tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel der sich von der demografischen Entwicklung uumlber viel-
faumlltige kulturelle Kontexte die Wirtschafts- und Arbeitswelt bis hin zu familialen Wandlungsprozes-
sen vollzieht und generell durch Schnelllebigkeit gekennzeichnet ist und von den Menschen ein ho-
hes Maszlig an Flexibilitaumlt und Mobilitaumlt fordert Hierzu werden auch die Ergebnisse der Schuumllerleis-
tungsvergleiche wie PISA TIMSS oder IGLU und denen entsprechende wissenschaftliche For-
schungsbefunde genannt denen der bdquo(neue) Bildungs- und Erziehungsplanldquo Rechnung tragen
moumlchte (vgl dies S 16-19)
Denn die Platzierung bei national und international vergleichbaren Leistungserhebungen ist letztlich
die Bemessungsgrundlage fuumlr bdquoBildungserfolgldquo oder bdquoBildungsversaumlumnisldquo Die attestierte bdquoBil-
dungsqualitaumltldquo ist deshalb von politischem Interesse weil die Politik die durch ihr Bildungssystem
erreichte Platzierung im vorderen Bereich als Standortfaktor fuumlr ihren Wirtschaftsstandort in
Deutschland nutzen moumlchte um vor allem auf dem globalem Markt konkurrenzfaumlhig zu bleiben
Im Folgenden wird zu zeigen sein ob und inwiefern diese Zielsetzungen mit dem dafuumlr entwickel-
ten Bildungskonzept zur angenommenen Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels fuumlhren
16 Im Einzelnen werden folgende Kompetenzen genannt als Basiskompetenzen werden bdquoindividuumsbezogeneKompetenzenldquo bdquoKompetenzen zum Handeln im sozialen Kontextldquo bdquoLernen und lernmethodische Kompetenzldquo undbdquokompetenter Umgang mit Veraumlnderung und Belastung Widerstandsfaumlhigkeit (Resilienz)ldquo genannt (vgl dies S 25-26 und S 41-44) Zum anderen werden darauf aufbauende konkrete Bildungs- und Erziehungsziele genannt (ent-sprechend der geforderten bdquoMetakompetenzenldquo) bdquostarke Kinderldquo bdquokommunikationsfreudige Kinder und medien-kompetente Kinderldquo bdquoKreative fantasievolle und kuumlnstlerische Kinderldquo bdquoLernende forschende und entdeckungs-freudige Kinderldquo und bdquoverantwortungsvoll und werteorientiert handelnde Kinderldquo (vgl dies S 13)
18
23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Wie kann das politische Ziel naumlmlich alle Kinder mit den gleichen Grundkompetenzen auszustatten
und deren bdquoErfolgldquo mindestens ab der vierten Klasse an regelmaumlszligigen Leistungserhebungen zu be-
messen durch freies Spiel erreicht werden Die Vermittlung bzw der Erwerb standardisierter Inhal-
te (Wissen Faumlhigkeiten Fertigkeiten Kompetenzen) und die Verfuumlgung daruumlber (Pruumlfungstermin)
steht im Widerspruch zum freien Spiel als offenem Prozess den die Spielenden selbst initiieren und
gestalten und bei dem keine Voraussagen daruumlber getroffen werden koumlnnen wann sich welche
Kenntnisse und Fertigkeiten einstellen
Diese erlangt man einerseits durch die Freiheit als Freiraum zum Spiel die eine gewisse Qualitaumlt an
Sorgefreiheit bedingt Zur Sorgefreiheit zaumlhlt beispielsweise auch das Freisein von Lerndruck der
jedoch unter anderem durch festgelegte Leistungserhebungen und Entwicklungsdokumentationen
bei den Kindern erzeugt wird Und andererseits erwirbt man Kenntnisse und Faumlhigkeiten nur dann
wenn das Spiel frei ist wenn es sich also um seiner selbst Willen ereignet und eben nicht bdquokanali -
siertldquo wird es also keinen aumluszligeren Zielen Zwecken oder Absichten unterliegt wie es jedoch bei
festgelegten bdquoBasiskompetenzenldquo (bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo) eines bdquoBildungsstandardsldquo der Fall
waumlre17 Hinzu kommt der weitere Aspekt von Freiheit im Spiel wonach das Spiel ein selbstgesteuer-
ter Prozess mit offenem bdquoAusgangldquo ist dessen Wirkungen eben nicht planbar oder voraussagbar
also nicht standardisierbar und determinierbar sind Diese Qualitaumlt von Freiheit im Spiel ergibt sich
nun aus den unverfuumlgbaren Momenten des freien Spiels wie dem Augenblick der Instabilitaumlt der
Kreativitaumlt und Phantasie der Spontanitaumlt und Unordnung dem Unsinn und Zufall Diese zugleich
auch wesentlichen Antriebskraumlfte des Spiels koumlnnen sich wie bereits im Kapitel bdquo14 Moment der
Ambivalenzldquo (S 11-13) naumlher beschrieben nur in einem Entwicklungsspielraum mit reichhaltigen
Erfahrungsmoumlglichkeiten und mit dem erlaumluterten Spannungsverhaumlltnis ergeben Sie tragen dann
aber auch die unermesslichen Potentiale fuumlr Emergenz mit dem Prinzip des Lebendigen in sich
woraus sich seine Offenheit fuumlr Neues im Sinne der Weiterentwicklung von Leben ergibt
An dieser Stelle moumlchte ich ergaumlnzend zu meiner eher phaumlnomenologischen Wesensauffassung von
freiem Spiel einige Beispiele skizzieren wie sich die Einuumlbung von Kompetenzen durch freies Spiel
aus psychologischer Sicht vollzieht
Die im Hessischen Bildungsplan intentional geplanten Basiskompetenzen und Lernziele wie bei-
spielsweise Kreativitaumlt Abstraktionsvermoumlgen Empathie oder Flexibilitaumlt in Denk- und Vorstel-
17 Vgl dazu Kapitel bdquo11 Das Moment der Freiheitldquo in dieser Arbeit S 7f
19
lungsvermoumlgen ergeben sich im Spiel als bdquoNebeneffektldquo Das Kind vollzieht naumlmlich im Spiel fuumlr
seine Entwicklung entscheidende Bildungsprozesse selbsttaumltig intrinsisch motiviert und in der bdquoDo-
sisldquo die es bedarf Dabei von groszliger Bedeutung ist der vom Kind entwickelte eigene Lernmodus
der sich maszliggeblich an der individuellen Leistungsfaumlhigkeit und den persoumlnlichen Beduumlrfnissen ori-
entiert Hierfuumlr benoumltigt jedes Kind einen eigenen Entwicklungsspielraum
bdquo[Der] sollte Heranwachsenden die vielfaumlltigsten auch selbsttaumltig inszenierten Erfah-rungsraumlume bieten um sich - wie es Johann Heinrich Pestalozzi nannte - an Kopf Herzund Hand bilden zu koumlnnen moumlglichst frei von Furcht und Zwang Sinnesbildung Koumlr-perbildung und geistig-seelische Bildung sollten dabei gleichermaszligen zur Entfaltungkommenldquo (Rittelmeyer 2007 S 7)
So initiieren Kinder beispielsweise in ihren Rollenspielen eigentaumltige Bildungsprozesse indem sie
sich im spontanen Spiel in die Perspektive anderer Menschen versetzen und eigenes Handeln fuumlr
aumlhnliche Lebenssituationen uumlben Oder sie erproben sich im Spiel mit verschiedenen sozialen Rol-
len zB im Rahmen gesellschaftlicher Verhaltensstandards indem ein von Geschichten aufgenom-
menes oder durch elterliche Kommentare an die Kinder herangetragenes Ideal (bdquoTapferkeitldquo bdquoGe-
schwisterliebeldquo bdquoFreundschaftldquo bdquoHilfsbereitschaftldquo etc) mit der persoumlnlichen Wirklichkeit vertraut
gemacht wird Dieses Erproben entspricht zB einer Bewusstseinsbildung im Hinblick auf (solche)
gesellschaftlichen Rollenerwartungen
bdquo[Oder] im Symbolspiel das ein Houmllzchen zur Mutterʻ oder zum Autoʻ werden laumlsstuumlben Kinder die Faumlhigkeit im Hinblick auf gegebene Phaumlnomene verschiedene Per-spektiven entwickeln zu koumlnnen also mit Kreativitaumlt oder Phantasie auf Erscheinungender aumluszligeren Welt zu reagierenldquo (ders S 17)
Es ist schwierig zu sagen welche Kompetenzen genau aus eigentaumltigen Bildungsprozessen im Spiel
entstehen da Resultate aus diesen Erfahrungen wiederum von diversen Faktoren abhaumlngig sind
Maszliggebliche Faktoren sind dabei die uumlberaus verschiedenen biografischen Erfahrungen der Kinder
und dass die letztliche Erfahrungsgewichtung durch ihre Individualitaumlt verschieden zum Tragen
kommt
Da aber jedes Lernen immer individuumsbezogen dh vom Kind abhaumlngig ist hat dieser Umstand
auch fuumlr die geplant-initiierten Lernangebote Geltung sofern derartige von auszligen angestoszligene
Lernangebote uumlberhaupt in den lernenden Kindern auf Resonanz stoszligen
Es duumlrfte kaum anzuzweifeln sein dass wie im Beispiel des spontanen von den Kindern selbst initi-
ierten Rollenspiels Rollenhandeln und soziale Empathie eingeuumlbt und fuumlr eigenes Handeln erprobt
werden Ebenso werden durch Symbol- oder Rollenspiele die Phantasie und Kreativitaumlt vielfaumlltig
angeregt die Beobachtungsgabe und das Vorstellungsvermoumlgen ausgepraumlgt Daraus kann sich wie-
20
derum das Abstraktionsvermoumlgen entwickeln und die Kinder bilden mit zunehmenden Perspekti-
venwechseln eigene Vorstellungen und Uumlberzeugungen aus Indem naumlmlich Spielende in ihre selbst
konstruierte bdquoScheinweltldquo gaumlnzlich bdquoeintauchenldquo nehmen sie auf zuvor vielfaumlltig beobachtete und
erlebte Situationen Bezug Erst spielen sie das Erlebte nach und bdquodurchlebenldquo es dabei spielerisch
immer wieder bis sich ein tiefgruumlndiges Verstaumlndnis uumlber die erlebte Situation gebildet hat Allmaumlh-
lich wird dann durch die eigene Ausgestaltung des Rollen- oder Symbolspiels das wahrgenommene
Phaumlnomen zunehmend abstrahiert und Kinder beginnen vielfaumlltige eigene Vorstellungen dazu zu
entwickeln Freies Spiel entspricht also eigentaumltiger Lebenswelterfahrung und -aneignung und ihr
Bildungsgehalt scheint dabei fast unermesslich groszlig zu sein (vgl ders S 7-17 und S 135-137)
Es wuumlrden sich also durch freies Kinderspiel ganz unterschiedliche und auch bdquoneueldquo Kompetenzen
mit ganz individuellen Auspraumlgungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten bilden Diese Aspekte ma-
chen aber eine vergleichende Leistungserhebung quasi unaussagekraumlftig bzw koumlnnten einen deter-
minierten bdquoBildungsstandardldquo insofern bdquogefaumlhrdenldquo als dass das Spiel als kreative geistig-emotio-
nale Weltzuwendung immer einen offenen bdquoAusgangldquo hat dh nicht vorhersagbar ist Das Zulassen
von freiem Spiel steht somit im Interessenskonflikt mit den oben genannten politischen Absichten
weshalb dem freien Spiel ein generelles Misstrauen gegenuumlber gebracht wird Dies fuumlhrt letztlich
konzeptionell dh durch die Einfuumlhrung und Umsetzung von bdquoBildungsstandardsldquo zur zunehmen-
den Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
Inwiefern die angenommene Verdraumlngung von freiem Kinderspiel auch paumldagogisch motiviert sein
kann soll im folgenden Abschnitt untersucht werden
24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Die Autorinnen und Autoren sehen Kinder einerseits als kompetente selbstbestimmt taumltig werdende
Wesen an und deuten die Bildung und das Lernen zwar als soziale Prozesse die sich im Dialog zwi-
schen Kind und Erwachsenem vollziehen koumlnnen Andererseits verweisen sie aber darauf dass die
Qualitaumlt dieser Prozesse wiederum von auszligen dh von einem Erwachsenen gesteuert und mode-
riert werden sollen (vgl Hessisches Sozialministerium Hessisches Kultusministerium 2007 S 20-
21) Die Steuerung der Bildungs- und Lernprozesse wird versucht zu rechtfertigen indem auf aktu-
elle neurowissenschaftliche Befunde verwiesen wird die dem kindlichen Gehirn ein enormes Ent-
wicklungs- und Lernleistungsvermoumlgen zuschreiben welches wenn es nicht genuumltzt wuumlrde einem
bdquoBildungsversaumlumnisldquo gleichkaumlme und nur schwer wieder aufzuholen sei (vgl dies S 20- 24)
bdquoJe reichhaltiger aumluszligere Lernreize sind desto mehr effiziente neuronale Netzwerke
21
(Synapsen) bilden sich heraus die fuumlr die Verarbeitungskapazitaumlt des Gehirns und seineLernfaumlhigkeit im spaumlteren Leben bedeutsam sind Im Entwicklungsverlauf eines jedenKindes gibt es optimale Zeitraumlume fuumlr grundlegende Lernschritte (zB ZweitspracheRaumorientierung elementares mathematisches Denken Interesse an Naturwissen-schaften aumlsthetisches Verstaumlndnis Entwicklung der Musikalitaumlt) Solche Zeitfenstergibt es auch noch im Laufe der weiteren Bildungsbiografie Dennoch gilt es diese sen-siblen Phasen bereits durch fruumlhe Bildung offensiv zu nutzen [sic] Je solider und brei-ter die Basis aus jener Zeit desto houmlher ist die Wahrscheinlichkeit dass das Kind danachaktiver und leichter lernt Fruumlhe Bildungsversaumlumnisse sind nur schwer aufholbarldquo(dies S 24)
Die programmatische Paumldagogisierung von Spiel die die bdquoGrenzen zwischen der herkoumlmmlichen
Trennung von Freispielprozessen und geplanten Bildungsprozessen zunehmendldquo (dies S 30) ver-
wischen soll ist vor dem Hintergrund Bildung als Produkt einer offensiven Nutzung der sensiblen
Lernzeitfenster anzusehen (vgl dies S 23-24) und wiederum von seiner politischen Motivation
mit dem Wettlauf um Konkurrenzfaumlhigkeit sowie der Weiterfuumlhrung einer in der Gesellschaft durch-
gesetzten und der Wirtschaft dienlichen Wissenshierarchie in Verbindung zu bringen Folglich fuumlhrt
die im Bildungs- und Erziehungsplan programmatisch angewiesene Funktionalisierung des Spiels
zum bdquospielerischen Lernenldquo letztlich paumldagogisch motiviert zur zunehmenden Verdraumlngung des frei-
en (Kinder)Spiels denn dieses wird als zu zeitintensive Taumltigkeit angesehen Freispiel darf zwar
laut Plan auch enthalten sein es bdquomuss jedoch im angemessenen Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlten ste-
henldquo (dies S 31) weshalb es wegen des bdquoLernfensterdrucksldquo (vgl Dies S 23-24) zum bdquospielen-
den Lernenldquo umfunktionalisiert werden soll (vgl dies S 30-31) um wegen seiner bildenden Po-
tenzen dann als Lernbeschleunigung dem Lernziel (bdquoBildungserfolgldquo) dienbar gemacht zu werden
Das Freispiel soll konzeptionell auf zwei Wegen zu bdquospielendem Lernenldquo qualitativ aufgewertet
werden Zum einen indem aus Spielprozessen Projekte hervor gehen mit der Bedingung dass das
Spielgeschehen zunehmend von der Projekttaumltigkeit durchdrungen wird Und zum anderen koumlnnen
bdquo[]im Rahmen von Projekten [hellip] Freispielphasen enthalten sein in denen sich dieKinder weiterhin mit dem Projektthema allein oder mit anderen auseinandersetzen DieQualitaumlt der Freispielprozesse laumlsst sich durch gezielte Unterstuumltzungsmaszlignahmen erhouml-henldquo (dies S 30 Herv MG)
Wenn also Freispielphasen eingeplant werden dann unter der Bedingung dass im bdquoSpielldquo die Pro-
jektthemen wieder aufgegriffen werden In beiden Varianten wird aber die Qualitaumlt des Spiels zu-
mindest im Bezug auf das Erreichen des Lernzieles angezweifelt weshalb ein gezieltes Einwirken
der Paumldagogen kontinuierlich angedacht ist
bdquoDie Houmlhergewichtung des elementaren Bildungsauftrags hat zur Konsequenz dasssich das beilaumlufige Lernen der Kinder im Spiel zum spielerischen Lernen hin entwickeltDem Spiel wird mehr systematische Begleitung und didaktische Aufbereitung
22
zuteilldquo(dies S31 Herv MG)
Das demnach angedachte bdquoFreispielldquo soll folglich auch kein freies natuumlrliches Spielen sein selbst
wenn sich Kinder angetan von den Projektinhalten im freien Spiel beginnen selbsttaumltig im Rah-
men dessen auseinanderzusetzen Solches Geschehen wuumlrde durch paumldagogisches Einwirken auf
das Lernziel hin gelenkte Taumltigkeit werden es soll durch Erwachsene zum bdquospielerischen Lernenldquo
hin entwickelt werden Ebenso kann auch ein anfaumlngliches Spiel nie als solches bestehen bleiben
Die Houmlhergewichtung des institutionellen bdquoBildungsauftragsldquo bewirkt in beiden Faumlllen dass der
scheinbar gewaumlhrte bdquoSpielraumldquo zur zielorientierten Lerntaumltigkeit wird weshalb (freies) Spiel ver-
draumlngt wird und zunehmend in Projekttaumltigkeit muumlndet Erst dann hat Spiel einen qualitativen Nut-
zen im Sinne des Bildungs- und Erziehungsplans Deshalb haben Spielen und Lernen auch nach An-
sicht und Position des Bildungsplanvorhabens in einem besonderen Verhaumlltnis zueinander zu stehen
welches Paumldagogen zu sichern haben
bdquoFreispiel ist wichtig muss jedoch im angemessenem Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlt stehendie die Erwachsenen planen und initiieren[]ldquo (ebd Herv MG)
Denn Lernaktivitaumlt sollte nach Meinung der Autorinnen und Autoren wenn sie vom Kind ausgeht
letztlich durch Erwachsene zielfuumlhrend gelenkt werden
Diese Qualitaumlt steigernden Unterstuumltzungsmaszlignahmen und das angestrebte Verhaumlltnis von Spielen
und Lernen stehen im einzelnen mit den Wesensmomenten des freien Spiels in Widerspruch Im
freien Spiel sind die Spielinhalte die sich spielende Kinder selbst auswaumlhlen vorwiegend alltagsbe-
zogen und als diese individuell meist sehr unterschiedlich Kinder begegnen im Spiel also Themen
die ihr Interesse durch erlebte oder beobachtete Situationen geweckt haben Diese eigens initiierten
Spielideen koumlnnen wie oben skizziert diverse Funktionen (zB bildendes Erproben) als Nebenef-
fekt haben Aber im Sinne des Spiels als bdquofreie Zeitgestaltungldquo draumlngt das Kind eher nach sinnvoll
erfuumllltem Leben durch erstrebtes lustvolles Spielen mit ganzheitlichem Lebensweltbezug als nach
einer von auszligen das Spiel deformierenden oder domestizierenden Systematik und Didaktik Es ist
anzunehmen dass diese fehlende bdquoBe-friedigungldquo des Spielbeduumlrfnisses ihre praumlgenden Anpas-
sungsspuren in den Kindern hinterlaumlsst und sie wahrscheinlich unzufrieden macht Zusaumltzlich duumlrf-
ten diese Umstaumlnde dem Lernen allgemein auch eher abtraumlglich sein
Es besteht also ein ganzheitlicher Bezug zum eigenen Leben wenn durch die Freiheit zum Spiel
ganz individuelle Themen zur Spielidee werden und bdquoihren Laufldquo nehmen Das heiszligt die jeweilige
Initialidee wird im weiteren Spielverlauf staumlndig veraumlndert werden und folgt dabei gerade eben
nicht der bdquoLogikldquo der buumlrgerlichen Erwachsenenwelt Diese bdquoLogikldquo wird aber im Bildungsplan fo-
23
kussiert In ihm ist die Annahme enthalten dass Kinder wie Forscher ihre Umwelt erkunden und
nun im Zuge der Aufwertung des Spiels zum bdquospielerischen Lernenldquo durch paumldagogisches Hinwir-
ken sich das bdquospielendeldquo Kind in reflektierender Betrachtungsweise Kausalzusammenhaumlnge und
Gesetzmaumlszligigkeiten des zu untersuchenden bdquoGegenstandesldquo erschlieszligen bzw davon ableiten soll
(vgl dies S 20 27-28 30-31) Spiel ist aber nur dann Spiel wenn es ein eigenes fortwaumlhrendes
kreatives und spontanes Eingehen auf die Anregungen der aumluszligeren Spielszenerie ermoumlglicht (vgl
Kapitel bdquo14 Das Moment der Ambivalenzldquo S 11ff sowie Rittelmeyer 2007 S 136) Innerhalb
dessen orientiert sich die Spiel gestaltende Taumltigkeit des Kindes hauptsaumlchlich an den eigenen Be-
duumlrfnissen und nicht an Vorgaben von auszligen Deswegen kann auch nicht alles Spiel sein das waumlre
Willkuumlr und nicht Geschlossenheit (vgl Kapitel bdquo15 das Moment der inneren Geschlossenheitldquo S
13) Und um seiner inneren Zweckmaumlszligigkeit moumlglichst dienlich zu sein bleibt es auch stets unver-
fuumlgbar Darin gibt es keine absolute Eindeutigkeit (zB ein Lernziel) mit zielgerichtetem Streben
nach zukuumlnftiger Befriedigung Spiel ist jetzt ist gegenwaumlrtig angestrebtes erfuumlllendes Erleben von
frei gestalteter Zeit Nur so koumlnnen sich alle weiteren Wesensmomente und ihre ua auch hoch ef-
fektiv bildenden Potenziale ergeben und individuell entfalten Solches Spiel waumlre aber von Vielfalt
Spontanitaumlt Uumlberfluss Instabilitaumlt Kreativitaumlt oder auch vom ihm eigenen Unsinn gepraumlgt Sicher-
lich erschlieszligen sich dem Kind dabei diverse Kausalzusammenhaumlnge und aus Einzelphaumlnomenen
wird es ableitend Gesetzmaumlszligigkeiten erfahren die sich in diesem informellen Lernprozess dann als
Wissen Kenntnisse Fertigkeiten oder auch Kompetenzen verinnerlichen Aber diese (Neben)Effek-
te wuumlrden nie zielfuumlhrend oder leitend das Spielgeschehen formen bzw antreiben
Dem natuumlrlichen freien Spiel steht das bdquospielerische Lernenldquo auch im Bezug auf die im Spiel er-
schaffene Phantasiewelt (vgl Kapitel bdquo13 Das Moment der Scheinhaftigkeitldquo S 10) entgegen
Denn diese zeichnet sich gerade dadurch aus dass sie sich von den bdquoObjektenldquo der Umwelt loumlst
vom Faktischen enthoben ist und durch Phantasie zu bdquoNeuemldquo zu Symbolischem werden laumlsst Und
somit das symbolische bdquoAls-obldquo Spielgeschehen ermoumlglicht Das Spiel wuumlrde sich also notwendi-
gerweise von der Projekttaumltigkeit oder ihren faktischen Inhalten loumlsen muumlssen um sich in dieser
Phantasiewelt mit seiner Spielhandlung zwischen Zufaumllligem und Notwendigem bewegen zu koumln-
nen Mit der daraus entstehenden Gegenwaumlrtigkeit schloumlssen sich alle weiteren Momente zu ihrer
bdquofunktionalenldquo Kette zusammen Auch der zeitliche Rahmen in dem sich das freie Spiel nun bewe-
gen wuumlrde ist unvorhersehbar Es ist also wahrscheinlich dass das Spielgeschehen uumlber den von
Erziehern eingeplanten bdquoFreispielzeitraumldquo hinweg andauern koumlnnte und deshalb von auszligen durch
die Paumldagogen abgebrochen werden wuumlrde Der bdquoinneren Unendlichkeitldquo des Spiels wuumlrde dies so-
mit ein abruptes Ende bereiten Dem zirkulaumlrem Charakter des Spiels steht noch ein weiterer Aspekt
24
entgegen Naumlmlich dass die Wiederholungen der Spielhandlung nicht aus systematischer oder di-
daktischen bdquoAufbereitungldquo erzeugt werden koumlnnen sondern dass sie wie Rolf Oerter in bdquoZur Psy-
chlogie des Spielsldquo beschreibt mit lustvollem Erleben in Verbindung zu bringen sind und demnach
eher dem Lustprinzip folgen als dem rationellem Realitaumltsprinzip (vgl Oerter 2007 S 9 12 14f
18-21)
Einzelne Momente fuumlr bdquospielerisches Lernenldquo zu erzeugen bzw sie diesbezuumlglich abzuwandeln
kann also nicht mehr mit dem natuumlrlichen freiem Spiel in Verbindung gebracht geschweige denn
damit gleichgesetzt werden Das daraus resultierende bdquoSpielenldquo kann demnach auch nicht dem Be-
duumlrfnis oder Drang nach Spiel entsprechen welches Kinder ganz offenkundig haben Das Spiel im
Sinne des Bildungsplanes gleicht in seiner angedachten Form eher bdquodomestiziertenldquo Spiels das in
einzelne Wesensmomente zerrissen ist um als didaktische bdquoListldquo geplant initiiert zu werden Somit
wird durch die verkuumlrzte Auffassung von Spiel als Mittel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo bei
gleichzeitiger Verkuumlrzung echter Spielzeit die zunehmende Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels
im Bildungsplan programmatisch angegangen bzw angeordnet wodurch die dieser Arbeit zugrunde
liegende Annahme bestaumltigt wird
3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
Die Reformpaumldagogik hat zB durch Ellen Key Johann Heinrich Pestalozzi oder Maria Monterssori
Konzepte wie Jena-Plan das der Sudberry Valley School oder der Freien Demokratischen Schulen
inspiriert Innerhalb deren Konzeptionen findet auch die kindliche Lebenswelt ohne sie romantisch
zu verklaumlren ihren anerkennenden Platz und wird als vollwertiger Lebensabschnitt beachtet Ihre
aumlhnlichen Bildungsansaumltze enthalten vielfaumlltigste Anreize und Formen vernuumlnftiger Bildungsideen
mit ganzheitlichem Menschenbild und echtem Lebensweltbezug Das bedeutet auch fuumlr eine Institu-
tion um mit Ellen Key zu sprechen Bildung vom Kind aus zu denken
Exemplarisch moumlchte ich im Folgenden diese Bildungsvorhaben und ihre fuumlr die Kinder bereiteten
Entwicklungsspielraumlume an Hand der Freien Demokratischen Schulen skizzieren Der Ausgangs-
punkt dieser Schulen ist der Kerngedanke dass sich durch Eigeninitiative selbstverantwortete Bil-
dung und freies Spiel nicht abstoszligend gegenuumlber stehen sondern dass beide den Beduumlrfnissen des
Kindes entspringen und das Kind deshalb je nach seiner Beduumlrfnislage seine Aktivitaumlten diesbezuumlg-
lich selbstorganisiert Zwar sind auch Freie Demokratische Schulen als Institution leider kein wirk-
licher bdquoorganischerldquo Teil der Lebenswelt von Kindern sondern immer nur von auszligen angebotene in-
tentionale Konstrukte die aber in diesem Fall den individuellen Entwicklungsspielraum der Kinder
25
versuchen zu schuumltzen bzw bereitzuhalten Somit wird jedem Kind sein eigener Freiraum der ihm
spontanes freies Spiel ermoumlglicht bereitet ohne es in irgendeiner Form zu verzwecken oder zu ka-
nalisieren Einige Konzepte solcher Schulen greifen auch die Kindheit als gesellschaftlichen Status
hervorbringende Begebenheit auf naumlmlich dass durch die alltaumlgliche Erwerbstaumltigkeit der Erwach-
senen die Kindheit entsteht und zwar als davon getrennter Lebensbereich Verschiedene Versuche
zB durch (Land)Schulheime oder selbst initiierten Lernvereinbarungen zielen darauf ab die ge-
trennten Lebensrealitaumlten von Kindern und Erwachsenen wieder mehr zur Uumlberschneidung zu brin-
gen Die daraus entstehenden freiwilligen Erfahrungspartnerschaften werden eigenverantwortlich
von den Beteiligten (Schuumller und Lehrer) nach ihren Beduumlrfnissen Vorstellungen und Wuumlnschen
gemeinsam gestaltet Es kann also keinen einheitlichen Lehrplan geben und es kann auch keinen
bdquoMethodenkofferldquo als Handreichung des Ministeriums geben der Anwendung finden soll Aber
falls es von den Schuumllern gewuumlnscht wird bzw falls es von ihnen als vernuumlnftig fuumlr die Umsetzung
des Vorhabens angesehen wird kann sich der Lehrer sinnvollerweise durch methodische oder di-
daktische bzw besser mathetische Aufbereitung unterstuumltzend einbringen Die Schuumller entwickeln
also selbst wie sie lernen und was sie lernen Dabei treffen sie nicht maszliggeblich ihre Auswahl aus
bereits bestehenden Angeboten sondern sie koumlnnen ihre Beschaumlftigungs- bzw Lerngebiete voumlllig
frei waumlhlen und initiieren Jede Beschaumlftigung wird dabei als wertvoll und lehrreich erachtet sei es
das Lesen das Experimentieren das freie Spielen oder das Teilnehmen an einem Unterrichtskurs
Die Schuumller entscheiden auch wann sie lernen Sie legen damit den gesamten zeitlichen Rahmen
fest innerhalb dessen sie sich mit ihrem eigenem Lerngebiet beschaumlftigen wollen Dies betrifft die
Tageszeit und den Gesamtzeitraum der Taumltigkeit aber vor allem auch das Alter in dem sie sich ent-
schlieszligen sich mit einer Thematik zu befassen So entschlieszligt sich zB ein neunjaumlhriges Kind Lesen
zu lernen wo ein fuumlnfjaumlhriges bereits damit begonnen hat Dabei waumlre es nicht ungewoumlhnlich dass
diese beiden Leseinteressierten sich zusammenschlieszligen und eine Lerngruppe initiieren um sich
gemeinsam dem Lesen lernen zu widmen Auch liegt es in der Verantwortung der Kinder wie inten-
siv sie sich mit dem gewaumlhlten Thema auseinandersetzen wollen Um all dies zu planen und umset-
zen zu koumlnnen sind die Lehrer wie beratende Helfer kontinuierlich fuumlr die Kinder da und die Kin-
der sind sich nie selbst uumlberlassen Somit schafft das Vertrauen der Lehrer in die Schuumller Vertrauens-
wuumlrdigkeit und die Kinder koumlnnen sich sicher und geborgen fuumlhlen um sich moumlglichst ohne Angst
in dieser Freiheit ganz nach ihren Beduumlrfnissen der Welt zuzuwenden Diesen Freiraum zum Entde-
cken und Spielen bezeichnen die Sudberry- bzw die Demokratischen Schulen als Lernfreiheit und
er ist eine der beiden Grundsaumlulen des Bildungskonzepts Die zweite Saumlule ist von organisatorischer
Natur und konstatiert den Lernort als egalitaumlres System in dem Schuumller und Lehrer in verschiede-
nen Gremien Komitees und Aumlmtern gleiche Einflussmoumlglichkeiten Pflichten sowie Rechte besit-
26
zen (vgl Schiffner 2007 S 8-15)
Peter Gray emeritierter Professor fuumlr Psychologie des Boston College erklaumlrte in einem Vortrag in
Berlin 3122012 die Grundlagen dieses bdquoErziehungsldquo Ansatzes18 Er nennt ihn Vertrauensvolle Er-
ziehung (Trustful Parenting) bdquoVertrauensvolle Erziehung basiert auf der Annahme dass Kinder von
Natur aus widerstandsfaumlhig kompetent sozial und selbstgesteuert sindldquo (Gray 2012 S 1) Daraus
ergibt sich dass Kinder ihrem Beduumlrfnis nach selbst entscheidend entdecken und spielen Es obliegt
ihrer Entscheidung Risiken einzugehen und dabei auch evtl eigene Fehler zu machen Entwick-
lungsvergleiche (auch keine Lernleistungsvergleiche) liegen dieser Ansicht fern Erziehung versucht
demnach Entwicklung nicht zu lenken sondern zu unterstuumltzen sodass Kinder ihre eigenen Ziele
verwirklichen koumlnnen Sie entwickeln dabei Eigeninitiative und uumlbernehmen Selbstverantwortung
in der Gemeinschaft Die Erwachsenen stellen dazu lediglich den aumluszligeren bdquoRahmenldquo her der fuumlr ein
gesundes Heranwachsen erforderlich ist (vgl Grey 2012 S1 ff) Deshalb ist dieser Ansatz auch
nicht als eine vernachlaumlssigende Haltung zum Kind anzusehen sondern ganz im Gegenteil die
bdquoErziehendenldquo senden den Kindern folgende Botschaft
bdquoDu bist kompetent Du hast Augen und ein Gehirn und du bist in der Lage Dinge her-auszufinden Du kennst deine eigenen Faumlhigkeiten und Grenzen Durch Spielen und Er-forschen wirst du dir aneignen was du wissen musst Deine Beduumlrfnisse werden gewuumlr-digt Deine Meinung zaumlhlt Du bist fuumlr deine Fehler selbst verantwortlich und man kanndarauf vertrauen dass du aus ihnen lernst Das Sozialleben zeichnet sich nicht durchWillenskaumlmpfe aus sondern vielmehr dadurch einander so beizustehen dass alle dasbekommen was sie brauchen und sich am meisten wuumlnschen Wir sind auf deiner Seitenicht gegen dichldquo (ders S1)
Interessant finde ich Peter Grays historischen Bezug den er zur Vertrauensvollen Erziehung her-
stellt Er belegt naumlmlich mit verschiedenen wissenschaftlichen Studien zu Jaumlger- und Sammlerkultu-
ren dass dieser Erziehungsstil bis zum Einsetzen der Landwirtschaft (vor ca 10000 Jahren in Asi-
en) der vorherrschende war und dass die Menschheit zu 99 Prozent ihrer gesamten Geschichte (ca 1
Millionen Jahre) Jaumlger und Sammler waren (vgl ders S 1-3)
4 Zusammenfassende Gedanken
Die anfaumlngliche Spielbegriffseingrenzung im ersten Teil dieser Arbeit verdeutlichte dass das Spiel
nicht nur von elementarer Bedeutung fuumlr ein gesundes Aufwachsen fuumlr Koumlrper und Psyche der Kin-
der ist obwohl das freie (Kinder)Spiel die dafuumlr wohl geeignetste Lebenstaumltigkeit darstellt Dem
18 Vgl Gray Peter (2012) Trustful Parenting May Require an Alternative to Conventional Schooling (Vertrauensvol-le Erziehung macht unter Umstaumlnden eine Alternative zum konventionellen Schulsystem noumltig) httpwwwting-schuledeindex_htm_filesPeter20Gray20_20Trustful20parentingpdf (Zugriff 260315)
27
natuumlrlichen (Kinder)Spiel als geistig-kreative Weltzuwendung liegen viel urspruumlnglichere Wurzeln
zu Grunde weshalb sich durch freies Spiel die Sinne der Koumlrper und auch der Geist als bdquoNebenef-
fektldquo beilaumlufig bilden und entwickeln Naumlmlich wie das bdquoMenschsein kein Zweck etwa des Lebens
sondern das Leben selbst istldquo (Kamper 1976 S 141) ist das (Kinder)Spiel auch kein findiger
Zweck des Lebendigen sondern gelebte Lebendigkeit und damit zwecklos (vgl ebd) bdquoDarauf und
nur darauf bezieht sich Schillers Wort dass der Mensch nur spielt wo er in voller Bedeutung des
Wortes Mensch ist und nur da ganz Mensch ist wo er spieltldquo (ebd) Somit stellt das Spiel das Prin-
zip des Lebendigen dar dies herauszuarbeiten und phaumlnomenologisch be-greifbar zu machen war
Ziel des ersten Teils dieser Arbeit Ich beabsichtigte darin ein Verstaumlndnis dafuumlr zu bilden dass das
(Kinder)Spiel als Modus von Freiheit im bdquoSpannungsfeld Lebenldquo die Wesenskraumlfte der Evolution
den Zufall die Spontanitaumlt und die Kreativitaumlt als eigene Triebkraumlfte in sich traumlgt und im freien
selbst initiierten Spielgeschehen zur Entfaltung bringt Als dieses Urprinzip ist das freie natuumlrliche
Spiel dem Menschen - homo ludens - und deshalb auch den Kindern ein Beduumlrfnis Deshalb fuumlhrt
durch Spiel gestaltete Zeit als erstrebte wesensgemaumlszlige Taumltigkeit zu Lebenszufriedenheit Und nur
dann traumlgt es seine Potenziale der Sinnesbildung Koumlrperbildung und geistig-seelischen Bildung so-
wie die Moumlglichkeit unvorhersehbarer Emergenzen in sich Und als solcher freier Ausdruck von Le-
bendigkeit ist deshalb Spiel fuumlr ein Kind innerhalb eines erfuumlllten Daseins grundlegend und zu ach-
ten bzw anzuerkennen
Im zweiten Teil wurde einsteigend die im derzeitigen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
vertretene Auffassung von Spiel erlaumlutert und der Plan wurde auf seine moumlgliche politisch- und paumld-
agogisch motivierte Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel untersucht Es konnte dargelegt werden
dass der Spiel(zeit)raum aufgrund des Interessengegensatzes von Kind und Staat kontinuierlich ein-
gekuumlrzt wird und zur zunehmenden Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel fuumlhrt um die politischen
Programme bdquoVerbesserung der Bildungschancenldquo und bdquoChancengleichheitldquo durchzusetzen Die da-
mit verwirklichten politischen Ziele und die Umsetzung einheitlicher Bildungsstandards haben da-
bei einerseits den Zweck die fuumlr die Wirtschaft dienliche und in der Gesellschaft mit Schule durch-
gesetzte Wissenshierachie fortzufuumlhren Und andererseits sollen diese Jahrgangssortierungen durch
internationale Tests wie PISA uauml als Standortfaktor im Wettkampf um Konkurrenzfaumlhigkeit auf ei-
nem globalisierten Markt Wirtschaftsstandort sichernd eingesetzt werden
Die Annahme dass es durch die Einuumlbung von vermeintlichen also dem Zeitgeist entsprechenden
bdquoGrundkompetenzenldquo bzw bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (als Bildungsstandards) zur zunehmenden
Verdraumlngung von freiem Spiel kommt konnte dadurch bestaumlrkt werden dass auf Grundlage eines
verkuumlrzten Spielbegriffes das freie (Kinder)Spiel durch paumldagogisches Einwirken in bdquospielerisches
28
Lernenldquo umfunktionalisiert und dadurch echte Spielzeit zunehmend eingekuumlrzt wird Der Zweck ist
dabei das (Kinder)Spiel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo als bdquoLernmotorldquo der Kinder innerhalb
des bdquoLernfensterdrucksldquo dem Lehrapparat dienstbar zu machen
Im dritten Teil dieser Arbeit wurde anhand der Demokratischen Schulen kurz skizziert wie institu-
tionelle Bildung die freies Spielen wirklich gewaumlhrleistet gelingen kann Leider stehen die Schulen
in freier Traumlgerschaft zu denen die Freien Demokratischen Schulen zaumlhlen in Deutschland vor be-
sonderen behoumlrdlichen Genehmigungsbarrieren und unzureichender oumlffentlicher Finanzierung was
ihre Realisierung maszliggeblich erschwert oder ganz verhindert Auch darin kann eine Verdraumlngung
bzw Verhinderung des freien Spiels gesehen werden
Die Verdraumlngung des freien Kinderspiels ist aus zweierlei Gruumlnden nicht gut zu heiszligen ja sogar ab-
zulehnen ist Erstens ist die im Spiel als Nebenerscheinung enthaltene Einuumlbung von Grund-
kompetenzen von groumlszligter Komplexitaumlt und Vielfalt die selbst neue nicht vorhersagbare Qualitaumlten
hervorbringt die mit den Triebkraumlften der Evolution in Verbindung zu bringen sind (Emergenz)
Deshalb ist es fuumlr einen ganzheitlichen Entwicklungsspielraum der Kinder und im Sinne der Evolu-
tion unvernuumlnftig das Spiel wie im Bildungsplan beschrieben bdquoqualitativ aufzuwertenldquo um ver-
meintliche fuumlr das derzeitige Leben als unverzichtbar angenommene bdquoGrundkompetenzenldquo durch
bdquospielerisches Lernenldquo einzuuumlben Und zweitens ist das Spiel als kreative geistig-emotionale Welt-
zuwendung und damit als wesensgemaumlszlige kreatuumlrliche Taumltigkeit des Menschen den Kindern ein Be-
duumlrfnis und grundlegend fuumlr ihr gesundes Aufwachsen und Lebensgeborgenheit (Lebenszufrieden-
heit) in einem sie wahrhaft erfuumlllenden menschlichen Dasein
Bedenke ich nun die Lebenszeit die auch meine Kinder teilweise schon vor dem ersten Lebensjahr
mit haumlufig acht Stunden taumlglich in Kindertageseinrichtungen (leider nicht in einer Freien Demokra-
tischen Schule mit Primarbereich) verbrachten derzeit verbringen und spaumlter in der Schule bis min-
destens zur Erfuumlllung der Schulpflicht mit etwa 15 Jahren in der Schule verbringen muumlssen bin ich
erschrocken-besorgt und wuumltend wie dem Phaumlnomen des freien natuumlrlichen Kinderspiels und der
Bildung insgesamt im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan begegnet wird Bildung als vorran-
gig politisch-oumlkonomisches Arrangement zu sehen darin das Spiel als List zu benutzen um standar-
disiertes Lernen zu erzielen echte Spielzeit zunehmend zu verkuumlrzen ndash dieses planvolle Vorgehen
der Politik und der beteiligten Paumldagogen stellt eine Missachtung der ihnen anvertrauten Kinder mit
ihren individuellen Wuumlnschen Vorstellungen Beduumlrfnissen und ihrer ganz persoumlnlichen Lebenswelt
dar und ist ein lebensentfremdendes Vorhaben das junge Menschen von einem sie erfuumlllenden gu-
ten Leben trennt
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31
Eidesstattliche Erklaumlrung
Ich erklaumlre hiermit an Eides Statt durch eigenhaumlndige Unterschrift dass ich die vorliegende Arbeit
selbstaumlndig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe die aus
fremden Quellen (einschlieszliglich elektronischer Quellen und dem Internet) direkt oder indirekt uumlber-
nommenen Gedanken sind ausnahmslos als solche kenntlich gemacht
Ich weiszlig dass bei Abgabe einer falschen Versicherung die Arbeit als nicht bestanden zu gelten hat
Herold 10042015
32
- Die zunehmende Verdraumlngung des freien Kinderspiels
- im Hessischen Bildungsplan
- Einleitung
- 1 Freies Kinderspiel - Wesensmerkmale
-
- 11 Das Moment der Freiheit
- 12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
- 13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
- 14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
- 15 Das Moment der Geschlossenheit
- 16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
- 17 Zusammenfassung
-
- 2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
-
- 21 Das Spielverstaumlndnis
- 22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
- 23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
- 24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
-
- 3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
- 4 Zusammenfassende Gedanken
- Literaturverzeichnis
- Internetquellen
-
23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Wie kann das politische Ziel naumlmlich alle Kinder mit den gleichen Grundkompetenzen auszustatten
und deren bdquoErfolgldquo mindestens ab der vierten Klasse an regelmaumlszligigen Leistungserhebungen zu be-
messen durch freies Spiel erreicht werden Die Vermittlung bzw der Erwerb standardisierter Inhal-
te (Wissen Faumlhigkeiten Fertigkeiten Kompetenzen) und die Verfuumlgung daruumlber (Pruumlfungstermin)
steht im Widerspruch zum freien Spiel als offenem Prozess den die Spielenden selbst initiieren und
gestalten und bei dem keine Voraussagen daruumlber getroffen werden koumlnnen wann sich welche
Kenntnisse und Fertigkeiten einstellen
Diese erlangt man einerseits durch die Freiheit als Freiraum zum Spiel die eine gewisse Qualitaumlt an
Sorgefreiheit bedingt Zur Sorgefreiheit zaumlhlt beispielsweise auch das Freisein von Lerndruck der
jedoch unter anderem durch festgelegte Leistungserhebungen und Entwicklungsdokumentationen
bei den Kindern erzeugt wird Und andererseits erwirbt man Kenntnisse und Faumlhigkeiten nur dann
wenn das Spiel frei ist wenn es sich also um seiner selbst Willen ereignet und eben nicht bdquokanali -
siertldquo wird es also keinen aumluszligeren Zielen Zwecken oder Absichten unterliegt wie es jedoch bei
festgelegten bdquoBasiskompetenzenldquo (bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo) eines bdquoBildungsstandardsldquo der Fall
waumlre17 Hinzu kommt der weitere Aspekt von Freiheit im Spiel wonach das Spiel ein selbstgesteuer-
ter Prozess mit offenem bdquoAusgangldquo ist dessen Wirkungen eben nicht planbar oder voraussagbar
also nicht standardisierbar und determinierbar sind Diese Qualitaumlt von Freiheit im Spiel ergibt sich
nun aus den unverfuumlgbaren Momenten des freien Spiels wie dem Augenblick der Instabilitaumlt der
Kreativitaumlt und Phantasie der Spontanitaumlt und Unordnung dem Unsinn und Zufall Diese zugleich
auch wesentlichen Antriebskraumlfte des Spiels koumlnnen sich wie bereits im Kapitel bdquo14 Moment der
Ambivalenzldquo (S 11-13) naumlher beschrieben nur in einem Entwicklungsspielraum mit reichhaltigen
Erfahrungsmoumlglichkeiten und mit dem erlaumluterten Spannungsverhaumlltnis ergeben Sie tragen dann
aber auch die unermesslichen Potentiale fuumlr Emergenz mit dem Prinzip des Lebendigen in sich
woraus sich seine Offenheit fuumlr Neues im Sinne der Weiterentwicklung von Leben ergibt
An dieser Stelle moumlchte ich ergaumlnzend zu meiner eher phaumlnomenologischen Wesensauffassung von
freiem Spiel einige Beispiele skizzieren wie sich die Einuumlbung von Kompetenzen durch freies Spiel
aus psychologischer Sicht vollzieht
Die im Hessischen Bildungsplan intentional geplanten Basiskompetenzen und Lernziele wie bei-
spielsweise Kreativitaumlt Abstraktionsvermoumlgen Empathie oder Flexibilitaumlt in Denk- und Vorstel-
17 Vgl dazu Kapitel bdquo11 Das Moment der Freiheitldquo in dieser Arbeit S 7f
19
lungsvermoumlgen ergeben sich im Spiel als bdquoNebeneffektldquo Das Kind vollzieht naumlmlich im Spiel fuumlr
seine Entwicklung entscheidende Bildungsprozesse selbsttaumltig intrinsisch motiviert und in der bdquoDo-
sisldquo die es bedarf Dabei von groszliger Bedeutung ist der vom Kind entwickelte eigene Lernmodus
der sich maszliggeblich an der individuellen Leistungsfaumlhigkeit und den persoumlnlichen Beduumlrfnissen ori-
entiert Hierfuumlr benoumltigt jedes Kind einen eigenen Entwicklungsspielraum
bdquo[Der] sollte Heranwachsenden die vielfaumlltigsten auch selbsttaumltig inszenierten Erfah-rungsraumlume bieten um sich - wie es Johann Heinrich Pestalozzi nannte - an Kopf Herzund Hand bilden zu koumlnnen moumlglichst frei von Furcht und Zwang Sinnesbildung Koumlr-perbildung und geistig-seelische Bildung sollten dabei gleichermaszligen zur Entfaltungkommenldquo (Rittelmeyer 2007 S 7)
So initiieren Kinder beispielsweise in ihren Rollenspielen eigentaumltige Bildungsprozesse indem sie
sich im spontanen Spiel in die Perspektive anderer Menschen versetzen und eigenes Handeln fuumlr
aumlhnliche Lebenssituationen uumlben Oder sie erproben sich im Spiel mit verschiedenen sozialen Rol-
len zB im Rahmen gesellschaftlicher Verhaltensstandards indem ein von Geschichten aufgenom-
menes oder durch elterliche Kommentare an die Kinder herangetragenes Ideal (bdquoTapferkeitldquo bdquoGe-
schwisterliebeldquo bdquoFreundschaftldquo bdquoHilfsbereitschaftldquo etc) mit der persoumlnlichen Wirklichkeit vertraut
gemacht wird Dieses Erproben entspricht zB einer Bewusstseinsbildung im Hinblick auf (solche)
gesellschaftlichen Rollenerwartungen
bdquo[Oder] im Symbolspiel das ein Houmllzchen zur Mutterʻ oder zum Autoʻ werden laumlsstuumlben Kinder die Faumlhigkeit im Hinblick auf gegebene Phaumlnomene verschiedene Per-spektiven entwickeln zu koumlnnen also mit Kreativitaumlt oder Phantasie auf Erscheinungender aumluszligeren Welt zu reagierenldquo (ders S 17)
Es ist schwierig zu sagen welche Kompetenzen genau aus eigentaumltigen Bildungsprozessen im Spiel
entstehen da Resultate aus diesen Erfahrungen wiederum von diversen Faktoren abhaumlngig sind
Maszliggebliche Faktoren sind dabei die uumlberaus verschiedenen biografischen Erfahrungen der Kinder
und dass die letztliche Erfahrungsgewichtung durch ihre Individualitaumlt verschieden zum Tragen
kommt
Da aber jedes Lernen immer individuumsbezogen dh vom Kind abhaumlngig ist hat dieser Umstand
auch fuumlr die geplant-initiierten Lernangebote Geltung sofern derartige von auszligen angestoszligene
Lernangebote uumlberhaupt in den lernenden Kindern auf Resonanz stoszligen
Es duumlrfte kaum anzuzweifeln sein dass wie im Beispiel des spontanen von den Kindern selbst initi-
ierten Rollenspiels Rollenhandeln und soziale Empathie eingeuumlbt und fuumlr eigenes Handeln erprobt
werden Ebenso werden durch Symbol- oder Rollenspiele die Phantasie und Kreativitaumlt vielfaumlltig
angeregt die Beobachtungsgabe und das Vorstellungsvermoumlgen ausgepraumlgt Daraus kann sich wie-
20
derum das Abstraktionsvermoumlgen entwickeln und die Kinder bilden mit zunehmenden Perspekti-
venwechseln eigene Vorstellungen und Uumlberzeugungen aus Indem naumlmlich Spielende in ihre selbst
konstruierte bdquoScheinweltldquo gaumlnzlich bdquoeintauchenldquo nehmen sie auf zuvor vielfaumlltig beobachtete und
erlebte Situationen Bezug Erst spielen sie das Erlebte nach und bdquodurchlebenldquo es dabei spielerisch
immer wieder bis sich ein tiefgruumlndiges Verstaumlndnis uumlber die erlebte Situation gebildet hat Allmaumlh-
lich wird dann durch die eigene Ausgestaltung des Rollen- oder Symbolspiels das wahrgenommene
Phaumlnomen zunehmend abstrahiert und Kinder beginnen vielfaumlltige eigene Vorstellungen dazu zu
entwickeln Freies Spiel entspricht also eigentaumltiger Lebenswelterfahrung und -aneignung und ihr
Bildungsgehalt scheint dabei fast unermesslich groszlig zu sein (vgl ders S 7-17 und S 135-137)
Es wuumlrden sich also durch freies Kinderspiel ganz unterschiedliche und auch bdquoneueldquo Kompetenzen
mit ganz individuellen Auspraumlgungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten bilden Diese Aspekte ma-
chen aber eine vergleichende Leistungserhebung quasi unaussagekraumlftig bzw koumlnnten einen deter-
minierten bdquoBildungsstandardldquo insofern bdquogefaumlhrdenldquo als dass das Spiel als kreative geistig-emotio-
nale Weltzuwendung immer einen offenen bdquoAusgangldquo hat dh nicht vorhersagbar ist Das Zulassen
von freiem Spiel steht somit im Interessenskonflikt mit den oben genannten politischen Absichten
weshalb dem freien Spiel ein generelles Misstrauen gegenuumlber gebracht wird Dies fuumlhrt letztlich
konzeptionell dh durch die Einfuumlhrung und Umsetzung von bdquoBildungsstandardsldquo zur zunehmen-
den Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
Inwiefern die angenommene Verdraumlngung von freiem Kinderspiel auch paumldagogisch motiviert sein
kann soll im folgenden Abschnitt untersucht werden
24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Die Autorinnen und Autoren sehen Kinder einerseits als kompetente selbstbestimmt taumltig werdende
Wesen an und deuten die Bildung und das Lernen zwar als soziale Prozesse die sich im Dialog zwi-
schen Kind und Erwachsenem vollziehen koumlnnen Andererseits verweisen sie aber darauf dass die
Qualitaumlt dieser Prozesse wiederum von auszligen dh von einem Erwachsenen gesteuert und mode-
riert werden sollen (vgl Hessisches Sozialministerium Hessisches Kultusministerium 2007 S 20-
21) Die Steuerung der Bildungs- und Lernprozesse wird versucht zu rechtfertigen indem auf aktu-
elle neurowissenschaftliche Befunde verwiesen wird die dem kindlichen Gehirn ein enormes Ent-
wicklungs- und Lernleistungsvermoumlgen zuschreiben welches wenn es nicht genuumltzt wuumlrde einem
bdquoBildungsversaumlumnisldquo gleichkaumlme und nur schwer wieder aufzuholen sei (vgl dies S 20- 24)
bdquoJe reichhaltiger aumluszligere Lernreize sind desto mehr effiziente neuronale Netzwerke
21
(Synapsen) bilden sich heraus die fuumlr die Verarbeitungskapazitaumlt des Gehirns und seineLernfaumlhigkeit im spaumlteren Leben bedeutsam sind Im Entwicklungsverlauf eines jedenKindes gibt es optimale Zeitraumlume fuumlr grundlegende Lernschritte (zB ZweitspracheRaumorientierung elementares mathematisches Denken Interesse an Naturwissen-schaften aumlsthetisches Verstaumlndnis Entwicklung der Musikalitaumlt) Solche Zeitfenstergibt es auch noch im Laufe der weiteren Bildungsbiografie Dennoch gilt es diese sen-siblen Phasen bereits durch fruumlhe Bildung offensiv zu nutzen [sic] Je solider und brei-ter die Basis aus jener Zeit desto houmlher ist die Wahrscheinlichkeit dass das Kind danachaktiver und leichter lernt Fruumlhe Bildungsversaumlumnisse sind nur schwer aufholbarldquo(dies S 24)
Die programmatische Paumldagogisierung von Spiel die die bdquoGrenzen zwischen der herkoumlmmlichen
Trennung von Freispielprozessen und geplanten Bildungsprozessen zunehmendldquo (dies S 30) ver-
wischen soll ist vor dem Hintergrund Bildung als Produkt einer offensiven Nutzung der sensiblen
Lernzeitfenster anzusehen (vgl dies S 23-24) und wiederum von seiner politischen Motivation
mit dem Wettlauf um Konkurrenzfaumlhigkeit sowie der Weiterfuumlhrung einer in der Gesellschaft durch-
gesetzten und der Wirtschaft dienlichen Wissenshierarchie in Verbindung zu bringen Folglich fuumlhrt
die im Bildungs- und Erziehungsplan programmatisch angewiesene Funktionalisierung des Spiels
zum bdquospielerischen Lernenldquo letztlich paumldagogisch motiviert zur zunehmenden Verdraumlngung des frei-
en (Kinder)Spiels denn dieses wird als zu zeitintensive Taumltigkeit angesehen Freispiel darf zwar
laut Plan auch enthalten sein es bdquomuss jedoch im angemessenen Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlten ste-
henldquo (dies S 31) weshalb es wegen des bdquoLernfensterdrucksldquo (vgl Dies S 23-24) zum bdquospielen-
den Lernenldquo umfunktionalisiert werden soll (vgl dies S 30-31) um wegen seiner bildenden Po-
tenzen dann als Lernbeschleunigung dem Lernziel (bdquoBildungserfolgldquo) dienbar gemacht zu werden
Das Freispiel soll konzeptionell auf zwei Wegen zu bdquospielendem Lernenldquo qualitativ aufgewertet
werden Zum einen indem aus Spielprozessen Projekte hervor gehen mit der Bedingung dass das
Spielgeschehen zunehmend von der Projekttaumltigkeit durchdrungen wird Und zum anderen koumlnnen
bdquo[]im Rahmen von Projekten [hellip] Freispielphasen enthalten sein in denen sich dieKinder weiterhin mit dem Projektthema allein oder mit anderen auseinandersetzen DieQualitaumlt der Freispielprozesse laumlsst sich durch gezielte Unterstuumltzungsmaszlignahmen erhouml-henldquo (dies S 30 Herv MG)
Wenn also Freispielphasen eingeplant werden dann unter der Bedingung dass im bdquoSpielldquo die Pro-
jektthemen wieder aufgegriffen werden In beiden Varianten wird aber die Qualitaumlt des Spiels zu-
mindest im Bezug auf das Erreichen des Lernzieles angezweifelt weshalb ein gezieltes Einwirken
der Paumldagogen kontinuierlich angedacht ist
bdquoDie Houmlhergewichtung des elementaren Bildungsauftrags hat zur Konsequenz dasssich das beilaumlufige Lernen der Kinder im Spiel zum spielerischen Lernen hin entwickeltDem Spiel wird mehr systematische Begleitung und didaktische Aufbereitung
22
zuteilldquo(dies S31 Herv MG)
Das demnach angedachte bdquoFreispielldquo soll folglich auch kein freies natuumlrliches Spielen sein selbst
wenn sich Kinder angetan von den Projektinhalten im freien Spiel beginnen selbsttaumltig im Rah-
men dessen auseinanderzusetzen Solches Geschehen wuumlrde durch paumldagogisches Einwirken auf
das Lernziel hin gelenkte Taumltigkeit werden es soll durch Erwachsene zum bdquospielerischen Lernenldquo
hin entwickelt werden Ebenso kann auch ein anfaumlngliches Spiel nie als solches bestehen bleiben
Die Houmlhergewichtung des institutionellen bdquoBildungsauftragsldquo bewirkt in beiden Faumlllen dass der
scheinbar gewaumlhrte bdquoSpielraumldquo zur zielorientierten Lerntaumltigkeit wird weshalb (freies) Spiel ver-
draumlngt wird und zunehmend in Projekttaumltigkeit muumlndet Erst dann hat Spiel einen qualitativen Nut-
zen im Sinne des Bildungs- und Erziehungsplans Deshalb haben Spielen und Lernen auch nach An-
sicht und Position des Bildungsplanvorhabens in einem besonderen Verhaumlltnis zueinander zu stehen
welches Paumldagogen zu sichern haben
bdquoFreispiel ist wichtig muss jedoch im angemessenem Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlt stehendie die Erwachsenen planen und initiieren[]ldquo (ebd Herv MG)
Denn Lernaktivitaumlt sollte nach Meinung der Autorinnen und Autoren wenn sie vom Kind ausgeht
letztlich durch Erwachsene zielfuumlhrend gelenkt werden
Diese Qualitaumlt steigernden Unterstuumltzungsmaszlignahmen und das angestrebte Verhaumlltnis von Spielen
und Lernen stehen im einzelnen mit den Wesensmomenten des freien Spiels in Widerspruch Im
freien Spiel sind die Spielinhalte die sich spielende Kinder selbst auswaumlhlen vorwiegend alltagsbe-
zogen und als diese individuell meist sehr unterschiedlich Kinder begegnen im Spiel also Themen
die ihr Interesse durch erlebte oder beobachtete Situationen geweckt haben Diese eigens initiierten
Spielideen koumlnnen wie oben skizziert diverse Funktionen (zB bildendes Erproben) als Nebenef-
fekt haben Aber im Sinne des Spiels als bdquofreie Zeitgestaltungldquo draumlngt das Kind eher nach sinnvoll
erfuumllltem Leben durch erstrebtes lustvolles Spielen mit ganzheitlichem Lebensweltbezug als nach
einer von auszligen das Spiel deformierenden oder domestizierenden Systematik und Didaktik Es ist
anzunehmen dass diese fehlende bdquoBe-friedigungldquo des Spielbeduumlrfnisses ihre praumlgenden Anpas-
sungsspuren in den Kindern hinterlaumlsst und sie wahrscheinlich unzufrieden macht Zusaumltzlich duumlrf-
ten diese Umstaumlnde dem Lernen allgemein auch eher abtraumlglich sein
Es besteht also ein ganzheitlicher Bezug zum eigenen Leben wenn durch die Freiheit zum Spiel
ganz individuelle Themen zur Spielidee werden und bdquoihren Laufldquo nehmen Das heiszligt die jeweilige
Initialidee wird im weiteren Spielverlauf staumlndig veraumlndert werden und folgt dabei gerade eben
nicht der bdquoLogikldquo der buumlrgerlichen Erwachsenenwelt Diese bdquoLogikldquo wird aber im Bildungsplan fo-
23
kussiert In ihm ist die Annahme enthalten dass Kinder wie Forscher ihre Umwelt erkunden und
nun im Zuge der Aufwertung des Spiels zum bdquospielerischen Lernenldquo durch paumldagogisches Hinwir-
ken sich das bdquospielendeldquo Kind in reflektierender Betrachtungsweise Kausalzusammenhaumlnge und
Gesetzmaumlszligigkeiten des zu untersuchenden bdquoGegenstandesldquo erschlieszligen bzw davon ableiten soll
(vgl dies S 20 27-28 30-31) Spiel ist aber nur dann Spiel wenn es ein eigenes fortwaumlhrendes
kreatives und spontanes Eingehen auf die Anregungen der aumluszligeren Spielszenerie ermoumlglicht (vgl
Kapitel bdquo14 Das Moment der Ambivalenzldquo S 11ff sowie Rittelmeyer 2007 S 136) Innerhalb
dessen orientiert sich die Spiel gestaltende Taumltigkeit des Kindes hauptsaumlchlich an den eigenen Be-
duumlrfnissen und nicht an Vorgaben von auszligen Deswegen kann auch nicht alles Spiel sein das waumlre
Willkuumlr und nicht Geschlossenheit (vgl Kapitel bdquo15 das Moment der inneren Geschlossenheitldquo S
13) Und um seiner inneren Zweckmaumlszligigkeit moumlglichst dienlich zu sein bleibt es auch stets unver-
fuumlgbar Darin gibt es keine absolute Eindeutigkeit (zB ein Lernziel) mit zielgerichtetem Streben
nach zukuumlnftiger Befriedigung Spiel ist jetzt ist gegenwaumlrtig angestrebtes erfuumlllendes Erleben von
frei gestalteter Zeit Nur so koumlnnen sich alle weiteren Wesensmomente und ihre ua auch hoch ef-
fektiv bildenden Potenziale ergeben und individuell entfalten Solches Spiel waumlre aber von Vielfalt
Spontanitaumlt Uumlberfluss Instabilitaumlt Kreativitaumlt oder auch vom ihm eigenen Unsinn gepraumlgt Sicher-
lich erschlieszligen sich dem Kind dabei diverse Kausalzusammenhaumlnge und aus Einzelphaumlnomenen
wird es ableitend Gesetzmaumlszligigkeiten erfahren die sich in diesem informellen Lernprozess dann als
Wissen Kenntnisse Fertigkeiten oder auch Kompetenzen verinnerlichen Aber diese (Neben)Effek-
te wuumlrden nie zielfuumlhrend oder leitend das Spielgeschehen formen bzw antreiben
Dem natuumlrlichen freien Spiel steht das bdquospielerische Lernenldquo auch im Bezug auf die im Spiel er-
schaffene Phantasiewelt (vgl Kapitel bdquo13 Das Moment der Scheinhaftigkeitldquo S 10) entgegen
Denn diese zeichnet sich gerade dadurch aus dass sie sich von den bdquoObjektenldquo der Umwelt loumlst
vom Faktischen enthoben ist und durch Phantasie zu bdquoNeuemldquo zu Symbolischem werden laumlsst Und
somit das symbolische bdquoAls-obldquo Spielgeschehen ermoumlglicht Das Spiel wuumlrde sich also notwendi-
gerweise von der Projekttaumltigkeit oder ihren faktischen Inhalten loumlsen muumlssen um sich in dieser
Phantasiewelt mit seiner Spielhandlung zwischen Zufaumllligem und Notwendigem bewegen zu koumln-
nen Mit der daraus entstehenden Gegenwaumlrtigkeit schloumlssen sich alle weiteren Momente zu ihrer
bdquofunktionalenldquo Kette zusammen Auch der zeitliche Rahmen in dem sich das freie Spiel nun bewe-
gen wuumlrde ist unvorhersehbar Es ist also wahrscheinlich dass das Spielgeschehen uumlber den von
Erziehern eingeplanten bdquoFreispielzeitraumldquo hinweg andauern koumlnnte und deshalb von auszligen durch
die Paumldagogen abgebrochen werden wuumlrde Der bdquoinneren Unendlichkeitldquo des Spiels wuumlrde dies so-
mit ein abruptes Ende bereiten Dem zirkulaumlrem Charakter des Spiels steht noch ein weiterer Aspekt
24
entgegen Naumlmlich dass die Wiederholungen der Spielhandlung nicht aus systematischer oder di-
daktischen bdquoAufbereitungldquo erzeugt werden koumlnnen sondern dass sie wie Rolf Oerter in bdquoZur Psy-
chlogie des Spielsldquo beschreibt mit lustvollem Erleben in Verbindung zu bringen sind und demnach
eher dem Lustprinzip folgen als dem rationellem Realitaumltsprinzip (vgl Oerter 2007 S 9 12 14f
18-21)
Einzelne Momente fuumlr bdquospielerisches Lernenldquo zu erzeugen bzw sie diesbezuumlglich abzuwandeln
kann also nicht mehr mit dem natuumlrlichen freiem Spiel in Verbindung gebracht geschweige denn
damit gleichgesetzt werden Das daraus resultierende bdquoSpielenldquo kann demnach auch nicht dem Be-
duumlrfnis oder Drang nach Spiel entsprechen welches Kinder ganz offenkundig haben Das Spiel im
Sinne des Bildungsplanes gleicht in seiner angedachten Form eher bdquodomestiziertenldquo Spiels das in
einzelne Wesensmomente zerrissen ist um als didaktische bdquoListldquo geplant initiiert zu werden Somit
wird durch die verkuumlrzte Auffassung von Spiel als Mittel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo bei
gleichzeitiger Verkuumlrzung echter Spielzeit die zunehmende Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels
im Bildungsplan programmatisch angegangen bzw angeordnet wodurch die dieser Arbeit zugrunde
liegende Annahme bestaumltigt wird
3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
Die Reformpaumldagogik hat zB durch Ellen Key Johann Heinrich Pestalozzi oder Maria Monterssori
Konzepte wie Jena-Plan das der Sudberry Valley School oder der Freien Demokratischen Schulen
inspiriert Innerhalb deren Konzeptionen findet auch die kindliche Lebenswelt ohne sie romantisch
zu verklaumlren ihren anerkennenden Platz und wird als vollwertiger Lebensabschnitt beachtet Ihre
aumlhnlichen Bildungsansaumltze enthalten vielfaumlltigste Anreize und Formen vernuumlnftiger Bildungsideen
mit ganzheitlichem Menschenbild und echtem Lebensweltbezug Das bedeutet auch fuumlr eine Institu-
tion um mit Ellen Key zu sprechen Bildung vom Kind aus zu denken
Exemplarisch moumlchte ich im Folgenden diese Bildungsvorhaben und ihre fuumlr die Kinder bereiteten
Entwicklungsspielraumlume an Hand der Freien Demokratischen Schulen skizzieren Der Ausgangs-
punkt dieser Schulen ist der Kerngedanke dass sich durch Eigeninitiative selbstverantwortete Bil-
dung und freies Spiel nicht abstoszligend gegenuumlber stehen sondern dass beide den Beduumlrfnissen des
Kindes entspringen und das Kind deshalb je nach seiner Beduumlrfnislage seine Aktivitaumlten diesbezuumlg-
lich selbstorganisiert Zwar sind auch Freie Demokratische Schulen als Institution leider kein wirk-
licher bdquoorganischerldquo Teil der Lebenswelt von Kindern sondern immer nur von auszligen angebotene in-
tentionale Konstrukte die aber in diesem Fall den individuellen Entwicklungsspielraum der Kinder
25
versuchen zu schuumltzen bzw bereitzuhalten Somit wird jedem Kind sein eigener Freiraum der ihm
spontanes freies Spiel ermoumlglicht bereitet ohne es in irgendeiner Form zu verzwecken oder zu ka-
nalisieren Einige Konzepte solcher Schulen greifen auch die Kindheit als gesellschaftlichen Status
hervorbringende Begebenheit auf naumlmlich dass durch die alltaumlgliche Erwerbstaumltigkeit der Erwach-
senen die Kindheit entsteht und zwar als davon getrennter Lebensbereich Verschiedene Versuche
zB durch (Land)Schulheime oder selbst initiierten Lernvereinbarungen zielen darauf ab die ge-
trennten Lebensrealitaumlten von Kindern und Erwachsenen wieder mehr zur Uumlberschneidung zu brin-
gen Die daraus entstehenden freiwilligen Erfahrungspartnerschaften werden eigenverantwortlich
von den Beteiligten (Schuumller und Lehrer) nach ihren Beduumlrfnissen Vorstellungen und Wuumlnschen
gemeinsam gestaltet Es kann also keinen einheitlichen Lehrplan geben und es kann auch keinen
bdquoMethodenkofferldquo als Handreichung des Ministeriums geben der Anwendung finden soll Aber
falls es von den Schuumllern gewuumlnscht wird bzw falls es von ihnen als vernuumlnftig fuumlr die Umsetzung
des Vorhabens angesehen wird kann sich der Lehrer sinnvollerweise durch methodische oder di-
daktische bzw besser mathetische Aufbereitung unterstuumltzend einbringen Die Schuumller entwickeln
also selbst wie sie lernen und was sie lernen Dabei treffen sie nicht maszliggeblich ihre Auswahl aus
bereits bestehenden Angeboten sondern sie koumlnnen ihre Beschaumlftigungs- bzw Lerngebiete voumlllig
frei waumlhlen und initiieren Jede Beschaumlftigung wird dabei als wertvoll und lehrreich erachtet sei es
das Lesen das Experimentieren das freie Spielen oder das Teilnehmen an einem Unterrichtskurs
Die Schuumller entscheiden auch wann sie lernen Sie legen damit den gesamten zeitlichen Rahmen
fest innerhalb dessen sie sich mit ihrem eigenem Lerngebiet beschaumlftigen wollen Dies betrifft die
Tageszeit und den Gesamtzeitraum der Taumltigkeit aber vor allem auch das Alter in dem sie sich ent-
schlieszligen sich mit einer Thematik zu befassen So entschlieszligt sich zB ein neunjaumlhriges Kind Lesen
zu lernen wo ein fuumlnfjaumlhriges bereits damit begonnen hat Dabei waumlre es nicht ungewoumlhnlich dass
diese beiden Leseinteressierten sich zusammenschlieszligen und eine Lerngruppe initiieren um sich
gemeinsam dem Lesen lernen zu widmen Auch liegt es in der Verantwortung der Kinder wie inten-
siv sie sich mit dem gewaumlhlten Thema auseinandersetzen wollen Um all dies zu planen und umset-
zen zu koumlnnen sind die Lehrer wie beratende Helfer kontinuierlich fuumlr die Kinder da und die Kin-
der sind sich nie selbst uumlberlassen Somit schafft das Vertrauen der Lehrer in die Schuumller Vertrauens-
wuumlrdigkeit und die Kinder koumlnnen sich sicher und geborgen fuumlhlen um sich moumlglichst ohne Angst
in dieser Freiheit ganz nach ihren Beduumlrfnissen der Welt zuzuwenden Diesen Freiraum zum Entde-
cken und Spielen bezeichnen die Sudberry- bzw die Demokratischen Schulen als Lernfreiheit und
er ist eine der beiden Grundsaumlulen des Bildungskonzepts Die zweite Saumlule ist von organisatorischer
Natur und konstatiert den Lernort als egalitaumlres System in dem Schuumller und Lehrer in verschiede-
nen Gremien Komitees und Aumlmtern gleiche Einflussmoumlglichkeiten Pflichten sowie Rechte besit-
26
zen (vgl Schiffner 2007 S 8-15)
Peter Gray emeritierter Professor fuumlr Psychologie des Boston College erklaumlrte in einem Vortrag in
Berlin 3122012 die Grundlagen dieses bdquoErziehungsldquo Ansatzes18 Er nennt ihn Vertrauensvolle Er-
ziehung (Trustful Parenting) bdquoVertrauensvolle Erziehung basiert auf der Annahme dass Kinder von
Natur aus widerstandsfaumlhig kompetent sozial und selbstgesteuert sindldquo (Gray 2012 S 1) Daraus
ergibt sich dass Kinder ihrem Beduumlrfnis nach selbst entscheidend entdecken und spielen Es obliegt
ihrer Entscheidung Risiken einzugehen und dabei auch evtl eigene Fehler zu machen Entwick-
lungsvergleiche (auch keine Lernleistungsvergleiche) liegen dieser Ansicht fern Erziehung versucht
demnach Entwicklung nicht zu lenken sondern zu unterstuumltzen sodass Kinder ihre eigenen Ziele
verwirklichen koumlnnen Sie entwickeln dabei Eigeninitiative und uumlbernehmen Selbstverantwortung
in der Gemeinschaft Die Erwachsenen stellen dazu lediglich den aumluszligeren bdquoRahmenldquo her der fuumlr ein
gesundes Heranwachsen erforderlich ist (vgl Grey 2012 S1 ff) Deshalb ist dieser Ansatz auch
nicht als eine vernachlaumlssigende Haltung zum Kind anzusehen sondern ganz im Gegenteil die
bdquoErziehendenldquo senden den Kindern folgende Botschaft
bdquoDu bist kompetent Du hast Augen und ein Gehirn und du bist in der Lage Dinge her-auszufinden Du kennst deine eigenen Faumlhigkeiten und Grenzen Durch Spielen und Er-forschen wirst du dir aneignen was du wissen musst Deine Beduumlrfnisse werden gewuumlr-digt Deine Meinung zaumlhlt Du bist fuumlr deine Fehler selbst verantwortlich und man kanndarauf vertrauen dass du aus ihnen lernst Das Sozialleben zeichnet sich nicht durchWillenskaumlmpfe aus sondern vielmehr dadurch einander so beizustehen dass alle dasbekommen was sie brauchen und sich am meisten wuumlnschen Wir sind auf deiner Seitenicht gegen dichldquo (ders S1)
Interessant finde ich Peter Grays historischen Bezug den er zur Vertrauensvollen Erziehung her-
stellt Er belegt naumlmlich mit verschiedenen wissenschaftlichen Studien zu Jaumlger- und Sammlerkultu-
ren dass dieser Erziehungsstil bis zum Einsetzen der Landwirtschaft (vor ca 10000 Jahren in Asi-
en) der vorherrschende war und dass die Menschheit zu 99 Prozent ihrer gesamten Geschichte (ca 1
Millionen Jahre) Jaumlger und Sammler waren (vgl ders S 1-3)
4 Zusammenfassende Gedanken
Die anfaumlngliche Spielbegriffseingrenzung im ersten Teil dieser Arbeit verdeutlichte dass das Spiel
nicht nur von elementarer Bedeutung fuumlr ein gesundes Aufwachsen fuumlr Koumlrper und Psyche der Kin-
der ist obwohl das freie (Kinder)Spiel die dafuumlr wohl geeignetste Lebenstaumltigkeit darstellt Dem
18 Vgl Gray Peter (2012) Trustful Parenting May Require an Alternative to Conventional Schooling (Vertrauensvol-le Erziehung macht unter Umstaumlnden eine Alternative zum konventionellen Schulsystem noumltig) httpwwwting-schuledeindex_htm_filesPeter20Gray20_20Trustful20parentingpdf (Zugriff 260315)
27
natuumlrlichen (Kinder)Spiel als geistig-kreative Weltzuwendung liegen viel urspruumlnglichere Wurzeln
zu Grunde weshalb sich durch freies Spiel die Sinne der Koumlrper und auch der Geist als bdquoNebenef-
fektldquo beilaumlufig bilden und entwickeln Naumlmlich wie das bdquoMenschsein kein Zweck etwa des Lebens
sondern das Leben selbst istldquo (Kamper 1976 S 141) ist das (Kinder)Spiel auch kein findiger
Zweck des Lebendigen sondern gelebte Lebendigkeit und damit zwecklos (vgl ebd) bdquoDarauf und
nur darauf bezieht sich Schillers Wort dass der Mensch nur spielt wo er in voller Bedeutung des
Wortes Mensch ist und nur da ganz Mensch ist wo er spieltldquo (ebd) Somit stellt das Spiel das Prin-
zip des Lebendigen dar dies herauszuarbeiten und phaumlnomenologisch be-greifbar zu machen war
Ziel des ersten Teils dieser Arbeit Ich beabsichtigte darin ein Verstaumlndnis dafuumlr zu bilden dass das
(Kinder)Spiel als Modus von Freiheit im bdquoSpannungsfeld Lebenldquo die Wesenskraumlfte der Evolution
den Zufall die Spontanitaumlt und die Kreativitaumlt als eigene Triebkraumlfte in sich traumlgt und im freien
selbst initiierten Spielgeschehen zur Entfaltung bringt Als dieses Urprinzip ist das freie natuumlrliche
Spiel dem Menschen - homo ludens - und deshalb auch den Kindern ein Beduumlrfnis Deshalb fuumlhrt
durch Spiel gestaltete Zeit als erstrebte wesensgemaumlszlige Taumltigkeit zu Lebenszufriedenheit Und nur
dann traumlgt es seine Potenziale der Sinnesbildung Koumlrperbildung und geistig-seelischen Bildung so-
wie die Moumlglichkeit unvorhersehbarer Emergenzen in sich Und als solcher freier Ausdruck von Le-
bendigkeit ist deshalb Spiel fuumlr ein Kind innerhalb eines erfuumlllten Daseins grundlegend und zu ach-
ten bzw anzuerkennen
Im zweiten Teil wurde einsteigend die im derzeitigen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
vertretene Auffassung von Spiel erlaumlutert und der Plan wurde auf seine moumlgliche politisch- und paumld-
agogisch motivierte Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel untersucht Es konnte dargelegt werden
dass der Spiel(zeit)raum aufgrund des Interessengegensatzes von Kind und Staat kontinuierlich ein-
gekuumlrzt wird und zur zunehmenden Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel fuumlhrt um die politischen
Programme bdquoVerbesserung der Bildungschancenldquo und bdquoChancengleichheitldquo durchzusetzen Die da-
mit verwirklichten politischen Ziele und die Umsetzung einheitlicher Bildungsstandards haben da-
bei einerseits den Zweck die fuumlr die Wirtschaft dienliche und in der Gesellschaft mit Schule durch-
gesetzte Wissenshierachie fortzufuumlhren Und andererseits sollen diese Jahrgangssortierungen durch
internationale Tests wie PISA uauml als Standortfaktor im Wettkampf um Konkurrenzfaumlhigkeit auf ei-
nem globalisierten Markt Wirtschaftsstandort sichernd eingesetzt werden
Die Annahme dass es durch die Einuumlbung von vermeintlichen also dem Zeitgeist entsprechenden
bdquoGrundkompetenzenldquo bzw bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (als Bildungsstandards) zur zunehmenden
Verdraumlngung von freiem Spiel kommt konnte dadurch bestaumlrkt werden dass auf Grundlage eines
verkuumlrzten Spielbegriffes das freie (Kinder)Spiel durch paumldagogisches Einwirken in bdquospielerisches
28
Lernenldquo umfunktionalisiert und dadurch echte Spielzeit zunehmend eingekuumlrzt wird Der Zweck ist
dabei das (Kinder)Spiel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo als bdquoLernmotorldquo der Kinder innerhalb
des bdquoLernfensterdrucksldquo dem Lehrapparat dienstbar zu machen
Im dritten Teil dieser Arbeit wurde anhand der Demokratischen Schulen kurz skizziert wie institu-
tionelle Bildung die freies Spielen wirklich gewaumlhrleistet gelingen kann Leider stehen die Schulen
in freier Traumlgerschaft zu denen die Freien Demokratischen Schulen zaumlhlen in Deutschland vor be-
sonderen behoumlrdlichen Genehmigungsbarrieren und unzureichender oumlffentlicher Finanzierung was
ihre Realisierung maszliggeblich erschwert oder ganz verhindert Auch darin kann eine Verdraumlngung
bzw Verhinderung des freien Spiels gesehen werden
Die Verdraumlngung des freien Kinderspiels ist aus zweierlei Gruumlnden nicht gut zu heiszligen ja sogar ab-
zulehnen ist Erstens ist die im Spiel als Nebenerscheinung enthaltene Einuumlbung von Grund-
kompetenzen von groumlszligter Komplexitaumlt und Vielfalt die selbst neue nicht vorhersagbare Qualitaumlten
hervorbringt die mit den Triebkraumlften der Evolution in Verbindung zu bringen sind (Emergenz)
Deshalb ist es fuumlr einen ganzheitlichen Entwicklungsspielraum der Kinder und im Sinne der Evolu-
tion unvernuumlnftig das Spiel wie im Bildungsplan beschrieben bdquoqualitativ aufzuwertenldquo um ver-
meintliche fuumlr das derzeitige Leben als unverzichtbar angenommene bdquoGrundkompetenzenldquo durch
bdquospielerisches Lernenldquo einzuuumlben Und zweitens ist das Spiel als kreative geistig-emotionale Welt-
zuwendung und damit als wesensgemaumlszlige kreatuumlrliche Taumltigkeit des Menschen den Kindern ein Be-
duumlrfnis und grundlegend fuumlr ihr gesundes Aufwachsen und Lebensgeborgenheit (Lebenszufrieden-
heit) in einem sie wahrhaft erfuumlllenden menschlichen Dasein
Bedenke ich nun die Lebenszeit die auch meine Kinder teilweise schon vor dem ersten Lebensjahr
mit haumlufig acht Stunden taumlglich in Kindertageseinrichtungen (leider nicht in einer Freien Demokra-
tischen Schule mit Primarbereich) verbrachten derzeit verbringen und spaumlter in der Schule bis min-
destens zur Erfuumlllung der Schulpflicht mit etwa 15 Jahren in der Schule verbringen muumlssen bin ich
erschrocken-besorgt und wuumltend wie dem Phaumlnomen des freien natuumlrlichen Kinderspiels und der
Bildung insgesamt im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan begegnet wird Bildung als vorran-
gig politisch-oumlkonomisches Arrangement zu sehen darin das Spiel als List zu benutzen um standar-
disiertes Lernen zu erzielen echte Spielzeit zunehmend zu verkuumlrzen ndash dieses planvolle Vorgehen
der Politik und der beteiligten Paumldagogen stellt eine Missachtung der ihnen anvertrauten Kinder mit
ihren individuellen Wuumlnschen Vorstellungen Beduumlrfnissen und ihrer ganz persoumlnlichen Lebenswelt
dar und ist ein lebensentfremdendes Vorhaben das junge Menschen von einem sie erfuumlllenden gu-
ten Leben trennt
29
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31
Eidesstattliche Erklaumlrung
Ich erklaumlre hiermit an Eides Statt durch eigenhaumlndige Unterschrift dass ich die vorliegende Arbeit
selbstaumlndig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe die aus
fremden Quellen (einschlieszliglich elektronischer Quellen und dem Internet) direkt oder indirekt uumlber-
nommenen Gedanken sind ausnahmslos als solche kenntlich gemacht
Ich weiszlig dass bei Abgabe einer falschen Versicherung die Arbeit als nicht bestanden zu gelten hat
Herold 10042015
32
- Die zunehmende Verdraumlngung des freien Kinderspiels
- im Hessischen Bildungsplan
- Einleitung
- 1 Freies Kinderspiel - Wesensmerkmale
-
- 11 Das Moment der Freiheit
- 12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
- 13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
- 14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
- 15 Das Moment der Geschlossenheit
- 16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
- 17 Zusammenfassung
-
- 2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
-
- 21 Das Spielverstaumlndnis
- 22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
- 23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
- 24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
-
- 3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
- 4 Zusammenfassende Gedanken
- Literaturverzeichnis
- Internetquellen
-
lungsvermoumlgen ergeben sich im Spiel als bdquoNebeneffektldquo Das Kind vollzieht naumlmlich im Spiel fuumlr
seine Entwicklung entscheidende Bildungsprozesse selbsttaumltig intrinsisch motiviert und in der bdquoDo-
sisldquo die es bedarf Dabei von groszliger Bedeutung ist der vom Kind entwickelte eigene Lernmodus
der sich maszliggeblich an der individuellen Leistungsfaumlhigkeit und den persoumlnlichen Beduumlrfnissen ori-
entiert Hierfuumlr benoumltigt jedes Kind einen eigenen Entwicklungsspielraum
bdquo[Der] sollte Heranwachsenden die vielfaumlltigsten auch selbsttaumltig inszenierten Erfah-rungsraumlume bieten um sich - wie es Johann Heinrich Pestalozzi nannte - an Kopf Herzund Hand bilden zu koumlnnen moumlglichst frei von Furcht und Zwang Sinnesbildung Koumlr-perbildung und geistig-seelische Bildung sollten dabei gleichermaszligen zur Entfaltungkommenldquo (Rittelmeyer 2007 S 7)
So initiieren Kinder beispielsweise in ihren Rollenspielen eigentaumltige Bildungsprozesse indem sie
sich im spontanen Spiel in die Perspektive anderer Menschen versetzen und eigenes Handeln fuumlr
aumlhnliche Lebenssituationen uumlben Oder sie erproben sich im Spiel mit verschiedenen sozialen Rol-
len zB im Rahmen gesellschaftlicher Verhaltensstandards indem ein von Geschichten aufgenom-
menes oder durch elterliche Kommentare an die Kinder herangetragenes Ideal (bdquoTapferkeitldquo bdquoGe-
schwisterliebeldquo bdquoFreundschaftldquo bdquoHilfsbereitschaftldquo etc) mit der persoumlnlichen Wirklichkeit vertraut
gemacht wird Dieses Erproben entspricht zB einer Bewusstseinsbildung im Hinblick auf (solche)
gesellschaftlichen Rollenerwartungen
bdquo[Oder] im Symbolspiel das ein Houmllzchen zur Mutterʻ oder zum Autoʻ werden laumlsstuumlben Kinder die Faumlhigkeit im Hinblick auf gegebene Phaumlnomene verschiedene Per-spektiven entwickeln zu koumlnnen also mit Kreativitaumlt oder Phantasie auf Erscheinungender aumluszligeren Welt zu reagierenldquo (ders S 17)
Es ist schwierig zu sagen welche Kompetenzen genau aus eigentaumltigen Bildungsprozessen im Spiel
entstehen da Resultate aus diesen Erfahrungen wiederum von diversen Faktoren abhaumlngig sind
Maszliggebliche Faktoren sind dabei die uumlberaus verschiedenen biografischen Erfahrungen der Kinder
und dass die letztliche Erfahrungsgewichtung durch ihre Individualitaumlt verschieden zum Tragen
kommt
Da aber jedes Lernen immer individuumsbezogen dh vom Kind abhaumlngig ist hat dieser Umstand
auch fuumlr die geplant-initiierten Lernangebote Geltung sofern derartige von auszligen angestoszligene
Lernangebote uumlberhaupt in den lernenden Kindern auf Resonanz stoszligen
Es duumlrfte kaum anzuzweifeln sein dass wie im Beispiel des spontanen von den Kindern selbst initi-
ierten Rollenspiels Rollenhandeln und soziale Empathie eingeuumlbt und fuumlr eigenes Handeln erprobt
werden Ebenso werden durch Symbol- oder Rollenspiele die Phantasie und Kreativitaumlt vielfaumlltig
angeregt die Beobachtungsgabe und das Vorstellungsvermoumlgen ausgepraumlgt Daraus kann sich wie-
20
derum das Abstraktionsvermoumlgen entwickeln und die Kinder bilden mit zunehmenden Perspekti-
venwechseln eigene Vorstellungen und Uumlberzeugungen aus Indem naumlmlich Spielende in ihre selbst
konstruierte bdquoScheinweltldquo gaumlnzlich bdquoeintauchenldquo nehmen sie auf zuvor vielfaumlltig beobachtete und
erlebte Situationen Bezug Erst spielen sie das Erlebte nach und bdquodurchlebenldquo es dabei spielerisch
immer wieder bis sich ein tiefgruumlndiges Verstaumlndnis uumlber die erlebte Situation gebildet hat Allmaumlh-
lich wird dann durch die eigene Ausgestaltung des Rollen- oder Symbolspiels das wahrgenommene
Phaumlnomen zunehmend abstrahiert und Kinder beginnen vielfaumlltige eigene Vorstellungen dazu zu
entwickeln Freies Spiel entspricht also eigentaumltiger Lebenswelterfahrung und -aneignung und ihr
Bildungsgehalt scheint dabei fast unermesslich groszlig zu sein (vgl ders S 7-17 und S 135-137)
Es wuumlrden sich also durch freies Kinderspiel ganz unterschiedliche und auch bdquoneueldquo Kompetenzen
mit ganz individuellen Auspraumlgungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten bilden Diese Aspekte ma-
chen aber eine vergleichende Leistungserhebung quasi unaussagekraumlftig bzw koumlnnten einen deter-
minierten bdquoBildungsstandardldquo insofern bdquogefaumlhrdenldquo als dass das Spiel als kreative geistig-emotio-
nale Weltzuwendung immer einen offenen bdquoAusgangldquo hat dh nicht vorhersagbar ist Das Zulassen
von freiem Spiel steht somit im Interessenskonflikt mit den oben genannten politischen Absichten
weshalb dem freien Spiel ein generelles Misstrauen gegenuumlber gebracht wird Dies fuumlhrt letztlich
konzeptionell dh durch die Einfuumlhrung und Umsetzung von bdquoBildungsstandardsldquo zur zunehmen-
den Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
Inwiefern die angenommene Verdraumlngung von freiem Kinderspiel auch paumldagogisch motiviert sein
kann soll im folgenden Abschnitt untersucht werden
24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Die Autorinnen und Autoren sehen Kinder einerseits als kompetente selbstbestimmt taumltig werdende
Wesen an und deuten die Bildung und das Lernen zwar als soziale Prozesse die sich im Dialog zwi-
schen Kind und Erwachsenem vollziehen koumlnnen Andererseits verweisen sie aber darauf dass die
Qualitaumlt dieser Prozesse wiederum von auszligen dh von einem Erwachsenen gesteuert und mode-
riert werden sollen (vgl Hessisches Sozialministerium Hessisches Kultusministerium 2007 S 20-
21) Die Steuerung der Bildungs- und Lernprozesse wird versucht zu rechtfertigen indem auf aktu-
elle neurowissenschaftliche Befunde verwiesen wird die dem kindlichen Gehirn ein enormes Ent-
wicklungs- und Lernleistungsvermoumlgen zuschreiben welches wenn es nicht genuumltzt wuumlrde einem
bdquoBildungsversaumlumnisldquo gleichkaumlme und nur schwer wieder aufzuholen sei (vgl dies S 20- 24)
bdquoJe reichhaltiger aumluszligere Lernreize sind desto mehr effiziente neuronale Netzwerke
21
(Synapsen) bilden sich heraus die fuumlr die Verarbeitungskapazitaumlt des Gehirns und seineLernfaumlhigkeit im spaumlteren Leben bedeutsam sind Im Entwicklungsverlauf eines jedenKindes gibt es optimale Zeitraumlume fuumlr grundlegende Lernschritte (zB ZweitspracheRaumorientierung elementares mathematisches Denken Interesse an Naturwissen-schaften aumlsthetisches Verstaumlndnis Entwicklung der Musikalitaumlt) Solche Zeitfenstergibt es auch noch im Laufe der weiteren Bildungsbiografie Dennoch gilt es diese sen-siblen Phasen bereits durch fruumlhe Bildung offensiv zu nutzen [sic] Je solider und brei-ter die Basis aus jener Zeit desto houmlher ist die Wahrscheinlichkeit dass das Kind danachaktiver und leichter lernt Fruumlhe Bildungsversaumlumnisse sind nur schwer aufholbarldquo(dies S 24)
Die programmatische Paumldagogisierung von Spiel die die bdquoGrenzen zwischen der herkoumlmmlichen
Trennung von Freispielprozessen und geplanten Bildungsprozessen zunehmendldquo (dies S 30) ver-
wischen soll ist vor dem Hintergrund Bildung als Produkt einer offensiven Nutzung der sensiblen
Lernzeitfenster anzusehen (vgl dies S 23-24) und wiederum von seiner politischen Motivation
mit dem Wettlauf um Konkurrenzfaumlhigkeit sowie der Weiterfuumlhrung einer in der Gesellschaft durch-
gesetzten und der Wirtschaft dienlichen Wissenshierarchie in Verbindung zu bringen Folglich fuumlhrt
die im Bildungs- und Erziehungsplan programmatisch angewiesene Funktionalisierung des Spiels
zum bdquospielerischen Lernenldquo letztlich paumldagogisch motiviert zur zunehmenden Verdraumlngung des frei-
en (Kinder)Spiels denn dieses wird als zu zeitintensive Taumltigkeit angesehen Freispiel darf zwar
laut Plan auch enthalten sein es bdquomuss jedoch im angemessenen Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlten ste-
henldquo (dies S 31) weshalb es wegen des bdquoLernfensterdrucksldquo (vgl Dies S 23-24) zum bdquospielen-
den Lernenldquo umfunktionalisiert werden soll (vgl dies S 30-31) um wegen seiner bildenden Po-
tenzen dann als Lernbeschleunigung dem Lernziel (bdquoBildungserfolgldquo) dienbar gemacht zu werden
Das Freispiel soll konzeptionell auf zwei Wegen zu bdquospielendem Lernenldquo qualitativ aufgewertet
werden Zum einen indem aus Spielprozessen Projekte hervor gehen mit der Bedingung dass das
Spielgeschehen zunehmend von der Projekttaumltigkeit durchdrungen wird Und zum anderen koumlnnen
bdquo[]im Rahmen von Projekten [hellip] Freispielphasen enthalten sein in denen sich dieKinder weiterhin mit dem Projektthema allein oder mit anderen auseinandersetzen DieQualitaumlt der Freispielprozesse laumlsst sich durch gezielte Unterstuumltzungsmaszlignahmen erhouml-henldquo (dies S 30 Herv MG)
Wenn also Freispielphasen eingeplant werden dann unter der Bedingung dass im bdquoSpielldquo die Pro-
jektthemen wieder aufgegriffen werden In beiden Varianten wird aber die Qualitaumlt des Spiels zu-
mindest im Bezug auf das Erreichen des Lernzieles angezweifelt weshalb ein gezieltes Einwirken
der Paumldagogen kontinuierlich angedacht ist
bdquoDie Houmlhergewichtung des elementaren Bildungsauftrags hat zur Konsequenz dasssich das beilaumlufige Lernen der Kinder im Spiel zum spielerischen Lernen hin entwickeltDem Spiel wird mehr systematische Begleitung und didaktische Aufbereitung
22
zuteilldquo(dies S31 Herv MG)
Das demnach angedachte bdquoFreispielldquo soll folglich auch kein freies natuumlrliches Spielen sein selbst
wenn sich Kinder angetan von den Projektinhalten im freien Spiel beginnen selbsttaumltig im Rah-
men dessen auseinanderzusetzen Solches Geschehen wuumlrde durch paumldagogisches Einwirken auf
das Lernziel hin gelenkte Taumltigkeit werden es soll durch Erwachsene zum bdquospielerischen Lernenldquo
hin entwickelt werden Ebenso kann auch ein anfaumlngliches Spiel nie als solches bestehen bleiben
Die Houmlhergewichtung des institutionellen bdquoBildungsauftragsldquo bewirkt in beiden Faumlllen dass der
scheinbar gewaumlhrte bdquoSpielraumldquo zur zielorientierten Lerntaumltigkeit wird weshalb (freies) Spiel ver-
draumlngt wird und zunehmend in Projekttaumltigkeit muumlndet Erst dann hat Spiel einen qualitativen Nut-
zen im Sinne des Bildungs- und Erziehungsplans Deshalb haben Spielen und Lernen auch nach An-
sicht und Position des Bildungsplanvorhabens in einem besonderen Verhaumlltnis zueinander zu stehen
welches Paumldagogen zu sichern haben
bdquoFreispiel ist wichtig muss jedoch im angemessenem Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlt stehendie die Erwachsenen planen und initiieren[]ldquo (ebd Herv MG)
Denn Lernaktivitaumlt sollte nach Meinung der Autorinnen und Autoren wenn sie vom Kind ausgeht
letztlich durch Erwachsene zielfuumlhrend gelenkt werden
Diese Qualitaumlt steigernden Unterstuumltzungsmaszlignahmen und das angestrebte Verhaumlltnis von Spielen
und Lernen stehen im einzelnen mit den Wesensmomenten des freien Spiels in Widerspruch Im
freien Spiel sind die Spielinhalte die sich spielende Kinder selbst auswaumlhlen vorwiegend alltagsbe-
zogen und als diese individuell meist sehr unterschiedlich Kinder begegnen im Spiel also Themen
die ihr Interesse durch erlebte oder beobachtete Situationen geweckt haben Diese eigens initiierten
Spielideen koumlnnen wie oben skizziert diverse Funktionen (zB bildendes Erproben) als Nebenef-
fekt haben Aber im Sinne des Spiels als bdquofreie Zeitgestaltungldquo draumlngt das Kind eher nach sinnvoll
erfuumllltem Leben durch erstrebtes lustvolles Spielen mit ganzheitlichem Lebensweltbezug als nach
einer von auszligen das Spiel deformierenden oder domestizierenden Systematik und Didaktik Es ist
anzunehmen dass diese fehlende bdquoBe-friedigungldquo des Spielbeduumlrfnisses ihre praumlgenden Anpas-
sungsspuren in den Kindern hinterlaumlsst und sie wahrscheinlich unzufrieden macht Zusaumltzlich duumlrf-
ten diese Umstaumlnde dem Lernen allgemein auch eher abtraumlglich sein
Es besteht also ein ganzheitlicher Bezug zum eigenen Leben wenn durch die Freiheit zum Spiel
ganz individuelle Themen zur Spielidee werden und bdquoihren Laufldquo nehmen Das heiszligt die jeweilige
Initialidee wird im weiteren Spielverlauf staumlndig veraumlndert werden und folgt dabei gerade eben
nicht der bdquoLogikldquo der buumlrgerlichen Erwachsenenwelt Diese bdquoLogikldquo wird aber im Bildungsplan fo-
23
kussiert In ihm ist die Annahme enthalten dass Kinder wie Forscher ihre Umwelt erkunden und
nun im Zuge der Aufwertung des Spiels zum bdquospielerischen Lernenldquo durch paumldagogisches Hinwir-
ken sich das bdquospielendeldquo Kind in reflektierender Betrachtungsweise Kausalzusammenhaumlnge und
Gesetzmaumlszligigkeiten des zu untersuchenden bdquoGegenstandesldquo erschlieszligen bzw davon ableiten soll
(vgl dies S 20 27-28 30-31) Spiel ist aber nur dann Spiel wenn es ein eigenes fortwaumlhrendes
kreatives und spontanes Eingehen auf die Anregungen der aumluszligeren Spielszenerie ermoumlglicht (vgl
Kapitel bdquo14 Das Moment der Ambivalenzldquo S 11ff sowie Rittelmeyer 2007 S 136) Innerhalb
dessen orientiert sich die Spiel gestaltende Taumltigkeit des Kindes hauptsaumlchlich an den eigenen Be-
duumlrfnissen und nicht an Vorgaben von auszligen Deswegen kann auch nicht alles Spiel sein das waumlre
Willkuumlr und nicht Geschlossenheit (vgl Kapitel bdquo15 das Moment der inneren Geschlossenheitldquo S
13) Und um seiner inneren Zweckmaumlszligigkeit moumlglichst dienlich zu sein bleibt es auch stets unver-
fuumlgbar Darin gibt es keine absolute Eindeutigkeit (zB ein Lernziel) mit zielgerichtetem Streben
nach zukuumlnftiger Befriedigung Spiel ist jetzt ist gegenwaumlrtig angestrebtes erfuumlllendes Erleben von
frei gestalteter Zeit Nur so koumlnnen sich alle weiteren Wesensmomente und ihre ua auch hoch ef-
fektiv bildenden Potenziale ergeben und individuell entfalten Solches Spiel waumlre aber von Vielfalt
Spontanitaumlt Uumlberfluss Instabilitaumlt Kreativitaumlt oder auch vom ihm eigenen Unsinn gepraumlgt Sicher-
lich erschlieszligen sich dem Kind dabei diverse Kausalzusammenhaumlnge und aus Einzelphaumlnomenen
wird es ableitend Gesetzmaumlszligigkeiten erfahren die sich in diesem informellen Lernprozess dann als
Wissen Kenntnisse Fertigkeiten oder auch Kompetenzen verinnerlichen Aber diese (Neben)Effek-
te wuumlrden nie zielfuumlhrend oder leitend das Spielgeschehen formen bzw antreiben
Dem natuumlrlichen freien Spiel steht das bdquospielerische Lernenldquo auch im Bezug auf die im Spiel er-
schaffene Phantasiewelt (vgl Kapitel bdquo13 Das Moment der Scheinhaftigkeitldquo S 10) entgegen
Denn diese zeichnet sich gerade dadurch aus dass sie sich von den bdquoObjektenldquo der Umwelt loumlst
vom Faktischen enthoben ist und durch Phantasie zu bdquoNeuemldquo zu Symbolischem werden laumlsst Und
somit das symbolische bdquoAls-obldquo Spielgeschehen ermoumlglicht Das Spiel wuumlrde sich also notwendi-
gerweise von der Projekttaumltigkeit oder ihren faktischen Inhalten loumlsen muumlssen um sich in dieser
Phantasiewelt mit seiner Spielhandlung zwischen Zufaumllligem und Notwendigem bewegen zu koumln-
nen Mit der daraus entstehenden Gegenwaumlrtigkeit schloumlssen sich alle weiteren Momente zu ihrer
bdquofunktionalenldquo Kette zusammen Auch der zeitliche Rahmen in dem sich das freie Spiel nun bewe-
gen wuumlrde ist unvorhersehbar Es ist also wahrscheinlich dass das Spielgeschehen uumlber den von
Erziehern eingeplanten bdquoFreispielzeitraumldquo hinweg andauern koumlnnte und deshalb von auszligen durch
die Paumldagogen abgebrochen werden wuumlrde Der bdquoinneren Unendlichkeitldquo des Spiels wuumlrde dies so-
mit ein abruptes Ende bereiten Dem zirkulaumlrem Charakter des Spiels steht noch ein weiterer Aspekt
24
entgegen Naumlmlich dass die Wiederholungen der Spielhandlung nicht aus systematischer oder di-
daktischen bdquoAufbereitungldquo erzeugt werden koumlnnen sondern dass sie wie Rolf Oerter in bdquoZur Psy-
chlogie des Spielsldquo beschreibt mit lustvollem Erleben in Verbindung zu bringen sind und demnach
eher dem Lustprinzip folgen als dem rationellem Realitaumltsprinzip (vgl Oerter 2007 S 9 12 14f
18-21)
Einzelne Momente fuumlr bdquospielerisches Lernenldquo zu erzeugen bzw sie diesbezuumlglich abzuwandeln
kann also nicht mehr mit dem natuumlrlichen freiem Spiel in Verbindung gebracht geschweige denn
damit gleichgesetzt werden Das daraus resultierende bdquoSpielenldquo kann demnach auch nicht dem Be-
duumlrfnis oder Drang nach Spiel entsprechen welches Kinder ganz offenkundig haben Das Spiel im
Sinne des Bildungsplanes gleicht in seiner angedachten Form eher bdquodomestiziertenldquo Spiels das in
einzelne Wesensmomente zerrissen ist um als didaktische bdquoListldquo geplant initiiert zu werden Somit
wird durch die verkuumlrzte Auffassung von Spiel als Mittel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo bei
gleichzeitiger Verkuumlrzung echter Spielzeit die zunehmende Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels
im Bildungsplan programmatisch angegangen bzw angeordnet wodurch die dieser Arbeit zugrunde
liegende Annahme bestaumltigt wird
3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
Die Reformpaumldagogik hat zB durch Ellen Key Johann Heinrich Pestalozzi oder Maria Monterssori
Konzepte wie Jena-Plan das der Sudberry Valley School oder der Freien Demokratischen Schulen
inspiriert Innerhalb deren Konzeptionen findet auch die kindliche Lebenswelt ohne sie romantisch
zu verklaumlren ihren anerkennenden Platz und wird als vollwertiger Lebensabschnitt beachtet Ihre
aumlhnlichen Bildungsansaumltze enthalten vielfaumlltigste Anreize und Formen vernuumlnftiger Bildungsideen
mit ganzheitlichem Menschenbild und echtem Lebensweltbezug Das bedeutet auch fuumlr eine Institu-
tion um mit Ellen Key zu sprechen Bildung vom Kind aus zu denken
Exemplarisch moumlchte ich im Folgenden diese Bildungsvorhaben und ihre fuumlr die Kinder bereiteten
Entwicklungsspielraumlume an Hand der Freien Demokratischen Schulen skizzieren Der Ausgangs-
punkt dieser Schulen ist der Kerngedanke dass sich durch Eigeninitiative selbstverantwortete Bil-
dung und freies Spiel nicht abstoszligend gegenuumlber stehen sondern dass beide den Beduumlrfnissen des
Kindes entspringen und das Kind deshalb je nach seiner Beduumlrfnislage seine Aktivitaumlten diesbezuumlg-
lich selbstorganisiert Zwar sind auch Freie Demokratische Schulen als Institution leider kein wirk-
licher bdquoorganischerldquo Teil der Lebenswelt von Kindern sondern immer nur von auszligen angebotene in-
tentionale Konstrukte die aber in diesem Fall den individuellen Entwicklungsspielraum der Kinder
25
versuchen zu schuumltzen bzw bereitzuhalten Somit wird jedem Kind sein eigener Freiraum der ihm
spontanes freies Spiel ermoumlglicht bereitet ohne es in irgendeiner Form zu verzwecken oder zu ka-
nalisieren Einige Konzepte solcher Schulen greifen auch die Kindheit als gesellschaftlichen Status
hervorbringende Begebenheit auf naumlmlich dass durch die alltaumlgliche Erwerbstaumltigkeit der Erwach-
senen die Kindheit entsteht und zwar als davon getrennter Lebensbereich Verschiedene Versuche
zB durch (Land)Schulheime oder selbst initiierten Lernvereinbarungen zielen darauf ab die ge-
trennten Lebensrealitaumlten von Kindern und Erwachsenen wieder mehr zur Uumlberschneidung zu brin-
gen Die daraus entstehenden freiwilligen Erfahrungspartnerschaften werden eigenverantwortlich
von den Beteiligten (Schuumller und Lehrer) nach ihren Beduumlrfnissen Vorstellungen und Wuumlnschen
gemeinsam gestaltet Es kann also keinen einheitlichen Lehrplan geben und es kann auch keinen
bdquoMethodenkofferldquo als Handreichung des Ministeriums geben der Anwendung finden soll Aber
falls es von den Schuumllern gewuumlnscht wird bzw falls es von ihnen als vernuumlnftig fuumlr die Umsetzung
des Vorhabens angesehen wird kann sich der Lehrer sinnvollerweise durch methodische oder di-
daktische bzw besser mathetische Aufbereitung unterstuumltzend einbringen Die Schuumller entwickeln
also selbst wie sie lernen und was sie lernen Dabei treffen sie nicht maszliggeblich ihre Auswahl aus
bereits bestehenden Angeboten sondern sie koumlnnen ihre Beschaumlftigungs- bzw Lerngebiete voumlllig
frei waumlhlen und initiieren Jede Beschaumlftigung wird dabei als wertvoll und lehrreich erachtet sei es
das Lesen das Experimentieren das freie Spielen oder das Teilnehmen an einem Unterrichtskurs
Die Schuumller entscheiden auch wann sie lernen Sie legen damit den gesamten zeitlichen Rahmen
fest innerhalb dessen sie sich mit ihrem eigenem Lerngebiet beschaumlftigen wollen Dies betrifft die
Tageszeit und den Gesamtzeitraum der Taumltigkeit aber vor allem auch das Alter in dem sie sich ent-
schlieszligen sich mit einer Thematik zu befassen So entschlieszligt sich zB ein neunjaumlhriges Kind Lesen
zu lernen wo ein fuumlnfjaumlhriges bereits damit begonnen hat Dabei waumlre es nicht ungewoumlhnlich dass
diese beiden Leseinteressierten sich zusammenschlieszligen und eine Lerngruppe initiieren um sich
gemeinsam dem Lesen lernen zu widmen Auch liegt es in der Verantwortung der Kinder wie inten-
siv sie sich mit dem gewaumlhlten Thema auseinandersetzen wollen Um all dies zu planen und umset-
zen zu koumlnnen sind die Lehrer wie beratende Helfer kontinuierlich fuumlr die Kinder da und die Kin-
der sind sich nie selbst uumlberlassen Somit schafft das Vertrauen der Lehrer in die Schuumller Vertrauens-
wuumlrdigkeit und die Kinder koumlnnen sich sicher und geborgen fuumlhlen um sich moumlglichst ohne Angst
in dieser Freiheit ganz nach ihren Beduumlrfnissen der Welt zuzuwenden Diesen Freiraum zum Entde-
cken und Spielen bezeichnen die Sudberry- bzw die Demokratischen Schulen als Lernfreiheit und
er ist eine der beiden Grundsaumlulen des Bildungskonzepts Die zweite Saumlule ist von organisatorischer
Natur und konstatiert den Lernort als egalitaumlres System in dem Schuumller und Lehrer in verschiede-
nen Gremien Komitees und Aumlmtern gleiche Einflussmoumlglichkeiten Pflichten sowie Rechte besit-
26
zen (vgl Schiffner 2007 S 8-15)
Peter Gray emeritierter Professor fuumlr Psychologie des Boston College erklaumlrte in einem Vortrag in
Berlin 3122012 die Grundlagen dieses bdquoErziehungsldquo Ansatzes18 Er nennt ihn Vertrauensvolle Er-
ziehung (Trustful Parenting) bdquoVertrauensvolle Erziehung basiert auf der Annahme dass Kinder von
Natur aus widerstandsfaumlhig kompetent sozial und selbstgesteuert sindldquo (Gray 2012 S 1) Daraus
ergibt sich dass Kinder ihrem Beduumlrfnis nach selbst entscheidend entdecken und spielen Es obliegt
ihrer Entscheidung Risiken einzugehen und dabei auch evtl eigene Fehler zu machen Entwick-
lungsvergleiche (auch keine Lernleistungsvergleiche) liegen dieser Ansicht fern Erziehung versucht
demnach Entwicklung nicht zu lenken sondern zu unterstuumltzen sodass Kinder ihre eigenen Ziele
verwirklichen koumlnnen Sie entwickeln dabei Eigeninitiative und uumlbernehmen Selbstverantwortung
in der Gemeinschaft Die Erwachsenen stellen dazu lediglich den aumluszligeren bdquoRahmenldquo her der fuumlr ein
gesundes Heranwachsen erforderlich ist (vgl Grey 2012 S1 ff) Deshalb ist dieser Ansatz auch
nicht als eine vernachlaumlssigende Haltung zum Kind anzusehen sondern ganz im Gegenteil die
bdquoErziehendenldquo senden den Kindern folgende Botschaft
bdquoDu bist kompetent Du hast Augen und ein Gehirn und du bist in der Lage Dinge her-auszufinden Du kennst deine eigenen Faumlhigkeiten und Grenzen Durch Spielen und Er-forschen wirst du dir aneignen was du wissen musst Deine Beduumlrfnisse werden gewuumlr-digt Deine Meinung zaumlhlt Du bist fuumlr deine Fehler selbst verantwortlich und man kanndarauf vertrauen dass du aus ihnen lernst Das Sozialleben zeichnet sich nicht durchWillenskaumlmpfe aus sondern vielmehr dadurch einander so beizustehen dass alle dasbekommen was sie brauchen und sich am meisten wuumlnschen Wir sind auf deiner Seitenicht gegen dichldquo (ders S1)
Interessant finde ich Peter Grays historischen Bezug den er zur Vertrauensvollen Erziehung her-
stellt Er belegt naumlmlich mit verschiedenen wissenschaftlichen Studien zu Jaumlger- und Sammlerkultu-
ren dass dieser Erziehungsstil bis zum Einsetzen der Landwirtschaft (vor ca 10000 Jahren in Asi-
en) der vorherrschende war und dass die Menschheit zu 99 Prozent ihrer gesamten Geschichte (ca 1
Millionen Jahre) Jaumlger und Sammler waren (vgl ders S 1-3)
4 Zusammenfassende Gedanken
Die anfaumlngliche Spielbegriffseingrenzung im ersten Teil dieser Arbeit verdeutlichte dass das Spiel
nicht nur von elementarer Bedeutung fuumlr ein gesundes Aufwachsen fuumlr Koumlrper und Psyche der Kin-
der ist obwohl das freie (Kinder)Spiel die dafuumlr wohl geeignetste Lebenstaumltigkeit darstellt Dem
18 Vgl Gray Peter (2012) Trustful Parenting May Require an Alternative to Conventional Schooling (Vertrauensvol-le Erziehung macht unter Umstaumlnden eine Alternative zum konventionellen Schulsystem noumltig) httpwwwting-schuledeindex_htm_filesPeter20Gray20_20Trustful20parentingpdf (Zugriff 260315)
27
natuumlrlichen (Kinder)Spiel als geistig-kreative Weltzuwendung liegen viel urspruumlnglichere Wurzeln
zu Grunde weshalb sich durch freies Spiel die Sinne der Koumlrper und auch der Geist als bdquoNebenef-
fektldquo beilaumlufig bilden und entwickeln Naumlmlich wie das bdquoMenschsein kein Zweck etwa des Lebens
sondern das Leben selbst istldquo (Kamper 1976 S 141) ist das (Kinder)Spiel auch kein findiger
Zweck des Lebendigen sondern gelebte Lebendigkeit und damit zwecklos (vgl ebd) bdquoDarauf und
nur darauf bezieht sich Schillers Wort dass der Mensch nur spielt wo er in voller Bedeutung des
Wortes Mensch ist und nur da ganz Mensch ist wo er spieltldquo (ebd) Somit stellt das Spiel das Prin-
zip des Lebendigen dar dies herauszuarbeiten und phaumlnomenologisch be-greifbar zu machen war
Ziel des ersten Teils dieser Arbeit Ich beabsichtigte darin ein Verstaumlndnis dafuumlr zu bilden dass das
(Kinder)Spiel als Modus von Freiheit im bdquoSpannungsfeld Lebenldquo die Wesenskraumlfte der Evolution
den Zufall die Spontanitaumlt und die Kreativitaumlt als eigene Triebkraumlfte in sich traumlgt und im freien
selbst initiierten Spielgeschehen zur Entfaltung bringt Als dieses Urprinzip ist das freie natuumlrliche
Spiel dem Menschen - homo ludens - und deshalb auch den Kindern ein Beduumlrfnis Deshalb fuumlhrt
durch Spiel gestaltete Zeit als erstrebte wesensgemaumlszlige Taumltigkeit zu Lebenszufriedenheit Und nur
dann traumlgt es seine Potenziale der Sinnesbildung Koumlrperbildung und geistig-seelischen Bildung so-
wie die Moumlglichkeit unvorhersehbarer Emergenzen in sich Und als solcher freier Ausdruck von Le-
bendigkeit ist deshalb Spiel fuumlr ein Kind innerhalb eines erfuumlllten Daseins grundlegend und zu ach-
ten bzw anzuerkennen
Im zweiten Teil wurde einsteigend die im derzeitigen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
vertretene Auffassung von Spiel erlaumlutert und der Plan wurde auf seine moumlgliche politisch- und paumld-
agogisch motivierte Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel untersucht Es konnte dargelegt werden
dass der Spiel(zeit)raum aufgrund des Interessengegensatzes von Kind und Staat kontinuierlich ein-
gekuumlrzt wird und zur zunehmenden Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel fuumlhrt um die politischen
Programme bdquoVerbesserung der Bildungschancenldquo und bdquoChancengleichheitldquo durchzusetzen Die da-
mit verwirklichten politischen Ziele und die Umsetzung einheitlicher Bildungsstandards haben da-
bei einerseits den Zweck die fuumlr die Wirtschaft dienliche und in der Gesellschaft mit Schule durch-
gesetzte Wissenshierachie fortzufuumlhren Und andererseits sollen diese Jahrgangssortierungen durch
internationale Tests wie PISA uauml als Standortfaktor im Wettkampf um Konkurrenzfaumlhigkeit auf ei-
nem globalisierten Markt Wirtschaftsstandort sichernd eingesetzt werden
Die Annahme dass es durch die Einuumlbung von vermeintlichen also dem Zeitgeist entsprechenden
bdquoGrundkompetenzenldquo bzw bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (als Bildungsstandards) zur zunehmenden
Verdraumlngung von freiem Spiel kommt konnte dadurch bestaumlrkt werden dass auf Grundlage eines
verkuumlrzten Spielbegriffes das freie (Kinder)Spiel durch paumldagogisches Einwirken in bdquospielerisches
28
Lernenldquo umfunktionalisiert und dadurch echte Spielzeit zunehmend eingekuumlrzt wird Der Zweck ist
dabei das (Kinder)Spiel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo als bdquoLernmotorldquo der Kinder innerhalb
des bdquoLernfensterdrucksldquo dem Lehrapparat dienstbar zu machen
Im dritten Teil dieser Arbeit wurde anhand der Demokratischen Schulen kurz skizziert wie institu-
tionelle Bildung die freies Spielen wirklich gewaumlhrleistet gelingen kann Leider stehen die Schulen
in freier Traumlgerschaft zu denen die Freien Demokratischen Schulen zaumlhlen in Deutschland vor be-
sonderen behoumlrdlichen Genehmigungsbarrieren und unzureichender oumlffentlicher Finanzierung was
ihre Realisierung maszliggeblich erschwert oder ganz verhindert Auch darin kann eine Verdraumlngung
bzw Verhinderung des freien Spiels gesehen werden
Die Verdraumlngung des freien Kinderspiels ist aus zweierlei Gruumlnden nicht gut zu heiszligen ja sogar ab-
zulehnen ist Erstens ist die im Spiel als Nebenerscheinung enthaltene Einuumlbung von Grund-
kompetenzen von groumlszligter Komplexitaumlt und Vielfalt die selbst neue nicht vorhersagbare Qualitaumlten
hervorbringt die mit den Triebkraumlften der Evolution in Verbindung zu bringen sind (Emergenz)
Deshalb ist es fuumlr einen ganzheitlichen Entwicklungsspielraum der Kinder und im Sinne der Evolu-
tion unvernuumlnftig das Spiel wie im Bildungsplan beschrieben bdquoqualitativ aufzuwertenldquo um ver-
meintliche fuumlr das derzeitige Leben als unverzichtbar angenommene bdquoGrundkompetenzenldquo durch
bdquospielerisches Lernenldquo einzuuumlben Und zweitens ist das Spiel als kreative geistig-emotionale Welt-
zuwendung und damit als wesensgemaumlszlige kreatuumlrliche Taumltigkeit des Menschen den Kindern ein Be-
duumlrfnis und grundlegend fuumlr ihr gesundes Aufwachsen und Lebensgeborgenheit (Lebenszufrieden-
heit) in einem sie wahrhaft erfuumlllenden menschlichen Dasein
Bedenke ich nun die Lebenszeit die auch meine Kinder teilweise schon vor dem ersten Lebensjahr
mit haumlufig acht Stunden taumlglich in Kindertageseinrichtungen (leider nicht in einer Freien Demokra-
tischen Schule mit Primarbereich) verbrachten derzeit verbringen und spaumlter in der Schule bis min-
destens zur Erfuumlllung der Schulpflicht mit etwa 15 Jahren in der Schule verbringen muumlssen bin ich
erschrocken-besorgt und wuumltend wie dem Phaumlnomen des freien natuumlrlichen Kinderspiels und der
Bildung insgesamt im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan begegnet wird Bildung als vorran-
gig politisch-oumlkonomisches Arrangement zu sehen darin das Spiel als List zu benutzen um standar-
disiertes Lernen zu erzielen echte Spielzeit zunehmend zu verkuumlrzen ndash dieses planvolle Vorgehen
der Politik und der beteiligten Paumldagogen stellt eine Missachtung der ihnen anvertrauten Kinder mit
ihren individuellen Wuumlnschen Vorstellungen Beduumlrfnissen und ihrer ganz persoumlnlichen Lebenswelt
dar und ist ein lebensentfremdendes Vorhaben das junge Menschen von einem sie erfuumlllenden gu-
ten Leben trennt
29
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31
Eidesstattliche Erklaumlrung
Ich erklaumlre hiermit an Eides Statt durch eigenhaumlndige Unterschrift dass ich die vorliegende Arbeit
selbstaumlndig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe die aus
fremden Quellen (einschlieszliglich elektronischer Quellen und dem Internet) direkt oder indirekt uumlber-
nommenen Gedanken sind ausnahmslos als solche kenntlich gemacht
Ich weiszlig dass bei Abgabe einer falschen Versicherung die Arbeit als nicht bestanden zu gelten hat
Herold 10042015
32
- Die zunehmende Verdraumlngung des freien Kinderspiels
- im Hessischen Bildungsplan
- Einleitung
- 1 Freies Kinderspiel - Wesensmerkmale
-
- 11 Das Moment der Freiheit
- 12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
- 13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
- 14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
- 15 Das Moment der Geschlossenheit
- 16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
- 17 Zusammenfassung
-
- 2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
-
- 21 Das Spielverstaumlndnis
- 22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
- 23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
- 24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
-
- 3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
- 4 Zusammenfassende Gedanken
- Literaturverzeichnis
- Internetquellen
-
derum das Abstraktionsvermoumlgen entwickeln und die Kinder bilden mit zunehmenden Perspekti-
venwechseln eigene Vorstellungen und Uumlberzeugungen aus Indem naumlmlich Spielende in ihre selbst
konstruierte bdquoScheinweltldquo gaumlnzlich bdquoeintauchenldquo nehmen sie auf zuvor vielfaumlltig beobachtete und
erlebte Situationen Bezug Erst spielen sie das Erlebte nach und bdquodurchlebenldquo es dabei spielerisch
immer wieder bis sich ein tiefgruumlndiges Verstaumlndnis uumlber die erlebte Situation gebildet hat Allmaumlh-
lich wird dann durch die eigene Ausgestaltung des Rollen- oder Symbolspiels das wahrgenommene
Phaumlnomen zunehmend abstrahiert und Kinder beginnen vielfaumlltige eigene Vorstellungen dazu zu
entwickeln Freies Spiel entspricht also eigentaumltiger Lebenswelterfahrung und -aneignung und ihr
Bildungsgehalt scheint dabei fast unermesslich groszlig zu sein (vgl ders S 7-17 und S 135-137)
Es wuumlrden sich also durch freies Kinderspiel ganz unterschiedliche und auch bdquoneueldquo Kompetenzen
mit ganz individuellen Auspraumlgungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten bilden Diese Aspekte ma-
chen aber eine vergleichende Leistungserhebung quasi unaussagekraumlftig bzw koumlnnten einen deter-
minierten bdquoBildungsstandardldquo insofern bdquogefaumlhrdenldquo als dass das Spiel als kreative geistig-emotio-
nale Weltzuwendung immer einen offenen bdquoAusgangldquo hat dh nicht vorhersagbar ist Das Zulassen
von freiem Spiel steht somit im Interessenskonflikt mit den oben genannten politischen Absichten
weshalb dem freien Spiel ein generelles Misstrauen gegenuumlber gebracht wird Dies fuumlhrt letztlich
konzeptionell dh durch die Einfuumlhrung und Umsetzung von bdquoBildungsstandardsldquo zur zunehmen-
den Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
Inwiefern die angenommene Verdraumlngung von freiem Kinderspiel auch paumldagogisch motiviert sein
kann soll im folgenden Abschnitt untersucht werden
24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
Die Autorinnen und Autoren sehen Kinder einerseits als kompetente selbstbestimmt taumltig werdende
Wesen an und deuten die Bildung und das Lernen zwar als soziale Prozesse die sich im Dialog zwi-
schen Kind und Erwachsenem vollziehen koumlnnen Andererseits verweisen sie aber darauf dass die
Qualitaumlt dieser Prozesse wiederum von auszligen dh von einem Erwachsenen gesteuert und mode-
riert werden sollen (vgl Hessisches Sozialministerium Hessisches Kultusministerium 2007 S 20-
21) Die Steuerung der Bildungs- und Lernprozesse wird versucht zu rechtfertigen indem auf aktu-
elle neurowissenschaftliche Befunde verwiesen wird die dem kindlichen Gehirn ein enormes Ent-
wicklungs- und Lernleistungsvermoumlgen zuschreiben welches wenn es nicht genuumltzt wuumlrde einem
bdquoBildungsversaumlumnisldquo gleichkaumlme und nur schwer wieder aufzuholen sei (vgl dies S 20- 24)
bdquoJe reichhaltiger aumluszligere Lernreize sind desto mehr effiziente neuronale Netzwerke
21
(Synapsen) bilden sich heraus die fuumlr die Verarbeitungskapazitaumlt des Gehirns und seineLernfaumlhigkeit im spaumlteren Leben bedeutsam sind Im Entwicklungsverlauf eines jedenKindes gibt es optimale Zeitraumlume fuumlr grundlegende Lernschritte (zB ZweitspracheRaumorientierung elementares mathematisches Denken Interesse an Naturwissen-schaften aumlsthetisches Verstaumlndnis Entwicklung der Musikalitaumlt) Solche Zeitfenstergibt es auch noch im Laufe der weiteren Bildungsbiografie Dennoch gilt es diese sen-siblen Phasen bereits durch fruumlhe Bildung offensiv zu nutzen [sic] Je solider und brei-ter die Basis aus jener Zeit desto houmlher ist die Wahrscheinlichkeit dass das Kind danachaktiver und leichter lernt Fruumlhe Bildungsversaumlumnisse sind nur schwer aufholbarldquo(dies S 24)
Die programmatische Paumldagogisierung von Spiel die die bdquoGrenzen zwischen der herkoumlmmlichen
Trennung von Freispielprozessen und geplanten Bildungsprozessen zunehmendldquo (dies S 30) ver-
wischen soll ist vor dem Hintergrund Bildung als Produkt einer offensiven Nutzung der sensiblen
Lernzeitfenster anzusehen (vgl dies S 23-24) und wiederum von seiner politischen Motivation
mit dem Wettlauf um Konkurrenzfaumlhigkeit sowie der Weiterfuumlhrung einer in der Gesellschaft durch-
gesetzten und der Wirtschaft dienlichen Wissenshierarchie in Verbindung zu bringen Folglich fuumlhrt
die im Bildungs- und Erziehungsplan programmatisch angewiesene Funktionalisierung des Spiels
zum bdquospielerischen Lernenldquo letztlich paumldagogisch motiviert zur zunehmenden Verdraumlngung des frei-
en (Kinder)Spiels denn dieses wird als zu zeitintensive Taumltigkeit angesehen Freispiel darf zwar
laut Plan auch enthalten sein es bdquomuss jedoch im angemessenen Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlten ste-
henldquo (dies S 31) weshalb es wegen des bdquoLernfensterdrucksldquo (vgl Dies S 23-24) zum bdquospielen-
den Lernenldquo umfunktionalisiert werden soll (vgl dies S 30-31) um wegen seiner bildenden Po-
tenzen dann als Lernbeschleunigung dem Lernziel (bdquoBildungserfolgldquo) dienbar gemacht zu werden
Das Freispiel soll konzeptionell auf zwei Wegen zu bdquospielendem Lernenldquo qualitativ aufgewertet
werden Zum einen indem aus Spielprozessen Projekte hervor gehen mit der Bedingung dass das
Spielgeschehen zunehmend von der Projekttaumltigkeit durchdrungen wird Und zum anderen koumlnnen
bdquo[]im Rahmen von Projekten [hellip] Freispielphasen enthalten sein in denen sich dieKinder weiterhin mit dem Projektthema allein oder mit anderen auseinandersetzen DieQualitaumlt der Freispielprozesse laumlsst sich durch gezielte Unterstuumltzungsmaszlignahmen erhouml-henldquo (dies S 30 Herv MG)
Wenn also Freispielphasen eingeplant werden dann unter der Bedingung dass im bdquoSpielldquo die Pro-
jektthemen wieder aufgegriffen werden In beiden Varianten wird aber die Qualitaumlt des Spiels zu-
mindest im Bezug auf das Erreichen des Lernzieles angezweifelt weshalb ein gezieltes Einwirken
der Paumldagogen kontinuierlich angedacht ist
bdquoDie Houmlhergewichtung des elementaren Bildungsauftrags hat zur Konsequenz dasssich das beilaumlufige Lernen der Kinder im Spiel zum spielerischen Lernen hin entwickeltDem Spiel wird mehr systematische Begleitung und didaktische Aufbereitung
22
zuteilldquo(dies S31 Herv MG)
Das demnach angedachte bdquoFreispielldquo soll folglich auch kein freies natuumlrliches Spielen sein selbst
wenn sich Kinder angetan von den Projektinhalten im freien Spiel beginnen selbsttaumltig im Rah-
men dessen auseinanderzusetzen Solches Geschehen wuumlrde durch paumldagogisches Einwirken auf
das Lernziel hin gelenkte Taumltigkeit werden es soll durch Erwachsene zum bdquospielerischen Lernenldquo
hin entwickelt werden Ebenso kann auch ein anfaumlngliches Spiel nie als solches bestehen bleiben
Die Houmlhergewichtung des institutionellen bdquoBildungsauftragsldquo bewirkt in beiden Faumlllen dass der
scheinbar gewaumlhrte bdquoSpielraumldquo zur zielorientierten Lerntaumltigkeit wird weshalb (freies) Spiel ver-
draumlngt wird und zunehmend in Projekttaumltigkeit muumlndet Erst dann hat Spiel einen qualitativen Nut-
zen im Sinne des Bildungs- und Erziehungsplans Deshalb haben Spielen und Lernen auch nach An-
sicht und Position des Bildungsplanvorhabens in einem besonderen Verhaumlltnis zueinander zu stehen
welches Paumldagogen zu sichern haben
bdquoFreispiel ist wichtig muss jedoch im angemessenem Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlt stehendie die Erwachsenen planen und initiieren[]ldquo (ebd Herv MG)
Denn Lernaktivitaumlt sollte nach Meinung der Autorinnen und Autoren wenn sie vom Kind ausgeht
letztlich durch Erwachsene zielfuumlhrend gelenkt werden
Diese Qualitaumlt steigernden Unterstuumltzungsmaszlignahmen und das angestrebte Verhaumlltnis von Spielen
und Lernen stehen im einzelnen mit den Wesensmomenten des freien Spiels in Widerspruch Im
freien Spiel sind die Spielinhalte die sich spielende Kinder selbst auswaumlhlen vorwiegend alltagsbe-
zogen und als diese individuell meist sehr unterschiedlich Kinder begegnen im Spiel also Themen
die ihr Interesse durch erlebte oder beobachtete Situationen geweckt haben Diese eigens initiierten
Spielideen koumlnnen wie oben skizziert diverse Funktionen (zB bildendes Erproben) als Nebenef-
fekt haben Aber im Sinne des Spiels als bdquofreie Zeitgestaltungldquo draumlngt das Kind eher nach sinnvoll
erfuumllltem Leben durch erstrebtes lustvolles Spielen mit ganzheitlichem Lebensweltbezug als nach
einer von auszligen das Spiel deformierenden oder domestizierenden Systematik und Didaktik Es ist
anzunehmen dass diese fehlende bdquoBe-friedigungldquo des Spielbeduumlrfnisses ihre praumlgenden Anpas-
sungsspuren in den Kindern hinterlaumlsst und sie wahrscheinlich unzufrieden macht Zusaumltzlich duumlrf-
ten diese Umstaumlnde dem Lernen allgemein auch eher abtraumlglich sein
Es besteht also ein ganzheitlicher Bezug zum eigenen Leben wenn durch die Freiheit zum Spiel
ganz individuelle Themen zur Spielidee werden und bdquoihren Laufldquo nehmen Das heiszligt die jeweilige
Initialidee wird im weiteren Spielverlauf staumlndig veraumlndert werden und folgt dabei gerade eben
nicht der bdquoLogikldquo der buumlrgerlichen Erwachsenenwelt Diese bdquoLogikldquo wird aber im Bildungsplan fo-
23
kussiert In ihm ist die Annahme enthalten dass Kinder wie Forscher ihre Umwelt erkunden und
nun im Zuge der Aufwertung des Spiels zum bdquospielerischen Lernenldquo durch paumldagogisches Hinwir-
ken sich das bdquospielendeldquo Kind in reflektierender Betrachtungsweise Kausalzusammenhaumlnge und
Gesetzmaumlszligigkeiten des zu untersuchenden bdquoGegenstandesldquo erschlieszligen bzw davon ableiten soll
(vgl dies S 20 27-28 30-31) Spiel ist aber nur dann Spiel wenn es ein eigenes fortwaumlhrendes
kreatives und spontanes Eingehen auf die Anregungen der aumluszligeren Spielszenerie ermoumlglicht (vgl
Kapitel bdquo14 Das Moment der Ambivalenzldquo S 11ff sowie Rittelmeyer 2007 S 136) Innerhalb
dessen orientiert sich die Spiel gestaltende Taumltigkeit des Kindes hauptsaumlchlich an den eigenen Be-
duumlrfnissen und nicht an Vorgaben von auszligen Deswegen kann auch nicht alles Spiel sein das waumlre
Willkuumlr und nicht Geschlossenheit (vgl Kapitel bdquo15 das Moment der inneren Geschlossenheitldquo S
13) Und um seiner inneren Zweckmaumlszligigkeit moumlglichst dienlich zu sein bleibt es auch stets unver-
fuumlgbar Darin gibt es keine absolute Eindeutigkeit (zB ein Lernziel) mit zielgerichtetem Streben
nach zukuumlnftiger Befriedigung Spiel ist jetzt ist gegenwaumlrtig angestrebtes erfuumlllendes Erleben von
frei gestalteter Zeit Nur so koumlnnen sich alle weiteren Wesensmomente und ihre ua auch hoch ef-
fektiv bildenden Potenziale ergeben und individuell entfalten Solches Spiel waumlre aber von Vielfalt
Spontanitaumlt Uumlberfluss Instabilitaumlt Kreativitaumlt oder auch vom ihm eigenen Unsinn gepraumlgt Sicher-
lich erschlieszligen sich dem Kind dabei diverse Kausalzusammenhaumlnge und aus Einzelphaumlnomenen
wird es ableitend Gesetzmaumlszligigkeiten erfahren die sich in diesem informellen Lernprozess dann als
Wissen Kenntnisse Fertigkeiten oder auch Kompetenzen verinnerlichen Aber diese (Neben)Effek-
te wuumlrden nie zielfuumlhrend oder leitend das Spielgeschehen formen bzw antreiben
Dem natuumlrlichen freien Spiel steht das bdquospielerische Lernenldquo auch im Bezug auf die im Spiel er-
schaffene Phantasiewelt (vgl Kapitel bdquo13 Das Moment der Scheinhaftigkeitldquo S 10) entgegen
Denn diese zeichnet sich gerade dadurch aus dass sie sich von den bdquoObjektenldquo der Umwelt loumlst
vom Faktischen enthoben ist und durch Phantasie zu bdquoNeuemldquo zu Symbolischem werden laumlsst Und
somit das symbolische bdquoAls-obldquo Spielgeschehen ermoumlglicht Das Spiel wuumlrde sich also notwendi-
gerweise von der Projekttaumltigkeit oder ihren faktischen Inhalten loumlsen muumlssen um sich in dieser
Phantasiewelt mit seiner Spielhandlung zwischen Zufaumllligem und Notwendigem bewegen zu koumln-
nen Mit der daraus entstehenden Gegenwaumlrtigkeit schloumlssen sich alle weiteren Momente zu ihrer
bdquofunktionalenldquo Kette zusammen Auch der zeitliche Rahmen in dem sich das freie Spiel nun bewe-
gen wuumlrde ist unvorhersehbar Es ist also wahrscheinlich dass das Spielgeschehen uumlber den von
Erziehern eingeplanten bdquoFreispielzeitraumldquo hinweg andauern koumlnnte und deshalb von auszligen durch
die Paumldagogen abgebrochen werden wuumlrde Der bdquoinneren Unendlichkeitldquo des Spiels wuumlrde dies so-
mit ein abruptes Ende bereiten Dem zirkulaumlrem Charakter des Spiels steht noch ein weiterer Aspekt
24
entgegen Naumlmlich dass die Wiederholungen der Spielhandlung nicht aus systematischer oder di-
daktischen bdquoAufbereitungldquo erzeugt werden koumlnnen sondern dass sie wie Rolf Oerter in bdquoZur Psy-
chlogie des Spielsldquo beschreibt mit lustvollem Erleben in Verbindung zu bringen sind und demnach
eher dem Lustprinzip folgen als dem rationellem Realitaumltsprinzip (vgl Oerter 2007 S 9 12 14f
18-21)
Einzelne Momente fuumlr bdquospielerisches Lernenldquo zu erzeugen bzw sie diesbezuumlglich abzuwandeln
kann also nicht mehr mit dem natuumlrlichen freiem Spiel in Verbindung gebracht geschweige denn
damit gleichgesetzt werden Das daraus resultierende bdquoSpielenldquo kann demnach auch nicht dem Be-
duumlrfnis oder Drang nach Spiel entsprechen welches Kinder ganz offenkundig haben Das Spiel im
Sinne des Bildungsplanes gleicht in seiner angedachten Form eher bdquodomestiziertenldquo Spiels das in
einzelne Wesensmomente zerrissen ist um als didaktische bdquoListldquo geplant initiiert zu werden Somit
wird durch die verkuumlrzte Auffassung von Spiel als Mittel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo bei
gleichzeitiger Verkuumlrzung echter Spielzeit die zunehmende Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels
im Bildungsplan programmatisch angegangen bzw angeordnet wodurch die dieser Arbeit zugrunde
liegende Annahme bestaumltigt wird
3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
Die Reformpaumldagogik hat zB durch Ellen Key Johann Heinrich Pestalozzi oder Maria Monterssori
Konzepte wie Jena-Plan das der Sudberry Valley School oder der Freien Demokratischen Schulen
inspiriert Innerhalb deren Konzeptionen findet auch die kindliche Lebenswelt ohne sie romantisch
zu verklaumlren ihren anerkennenden Platz und wird als vollwertiger Lebensabschnitt beachtet Ihre
aumlhnlichen Bildungsansaumltze enthalten vielfaumlltigste Anreize und Formen vernuumlnftiger Bildungsideen
mit ganzheitlichem Menschenbild und echtem Lebensweltbezug Das bedeutet auch fuumlr eine Institu-
tion um mit Ellen Key zu sprechen Bildung vom Kind aus zu denken
Exemplarisch moumlchte ich im Folgenden diese Bildungsvorhaben und ihre fuumlr die Kinder bereiteten
Entwicklungsspielraumlume an Hand der Freien Demokratischen Schulen skizzieren Der Ausgangs-
punkt dieser Schulen ist der Kerngedanke dass sich durch Eigeninitiative selbstverantwortete Bil-
dung und freies Spiel nicht abstoszligend gegenuumlber stehen sondern dass beide den Beduumlrfnissen des
Kindes entspringen und das Kind deshalb je nach seiner Beduumlrfnislage seine Aktivitaumlten diesbezuumlg-
lich selbstorganisiert Zwar sind auch Freie Demokratische Schulen als Institution leider kein wirk-
licher bdquoorganischerldquo Teil der Lebenswelt von Kindern sondern immer nur von auszligen angebotene in-
tentionale Konstrukte die aber in diesem Fall den individuellen Entwicklungsspielraum der Kinder
25
versuchen zu schuumltzen bzw bereitzuhalten Somit wird jedem Kind sein eigener Freiraum der ihm
spontanes freies Spiel ermoumlglicht bereitet ohne es in irgendeiner Form zu verzwecken oder zu ka-
nalisieren Einige Konzepte solcher Schulen greifen auch die Kindheit als gesellschaftlichen Status
hervorbringende Begebenheit auf naumlmlich dass durch die alltaumlgliche Erwerbstaumltigkeit der Erwach-
senen die Kindheit entsteht und zwar als davon getrennter Lebensbereich Verschiedene Versuche
zB durch (Land)Schulheime oder selbst initiierten Lernvereinbarungen zielen darauf ab die ge-
trennten Lebensrealitaumlten von Kindern und Erwachsenen wieder mehr zur Uumlberschneidung zu brin-
gen Die daraus entstehenden freiwilligen Erfahrungspartnerschaften werden eigenverantwortlich
von den Beteiligten (Schuumller und Lehrer) nach ihren Beduumlrfnissen Vorstellungen und Wuumlnschen
gemeinsam gestaltet Es kann also keinen einheitlichen Lehrplan geben und es kann auch keinen
bdquoMethodenkofferldquo als Handreichung des Ministeriums geben der Anwendung finden soll Aber
falls es von den Schuumllern gewuumlnscht wird bzw falls es von ihnen als vernuumlnftig fuumlr die Umsetzung
des Vorhabens angesehen wird kann sich der Lehrer sinnvollerweise durch methodische oder di-
daktische bzw besser mathetische Aufbereitung unterstuumltzend einbringen Die Schuumller entwickeln
also selbst wie sie lernen und was sie lernen Dabei treffen sie nicht maszliggeblich ihre Auswahl aus
bereits bestehenden Angeboten sondern sie koumlnnen ihre Beschaumlftigungs- bzw Lerngebiete voumlllig
frei waumlhlen und initiieren Jede Beschaumlftigung wird dabei als wertvoll und lehrreich erachtet sei es
das Lesen das Experimentieren das freie Spielen oder das Teilnehmen an einem Unterrichtskurs
Die Schuumller entscheiden auch wann sie lernen Sie legen damit den gesamten zeitlichen Rahmen
fest innerhalb dessen sie sich mit ihrem eigenem Lerngebiet beschaumlftigen wollen Dies betrifft die
Tageszeit und den Gesamtzeitraum der Taumltigkeit aber vor allem auch das Alter in dem sie sich ent-
schlieszligen sich mit einer Thematik zu befassen So entschlieszligt sich zB ein neunjaumlhriges Kind Lesen
zu lernen wo ein fuumlnfjaumlhriges bereits damit begonnen hat Dabei waumlre es nicht ungewoumlhnlich dass
diese beiden Leseinteressierten sich zusammenschlieszligen und eine Lerngruppe initiieren um sich
gemeinsam dem Lesen lernen zu widmen Auch liegt es in der Verantwortung der Kinder wie inten-
siv sie sich mit dem gewaumlhlten Thema auseinandersetzen wollen Um all dies zu planen und umset-
zen zu koumlnnen sind die Lehrer wie beratende Helfer kontinuierlich fuumlr die Kinder da und die Kin-
der sind sich nie selbst uumlberlassen Somit schafft das Vertrauen der Lehrer in die Schuumller Vertrauens-
wuumlrdigkeit und die Kinder koumlnnen sich sicher und geborgen fuumlhlen um sich moumlglichst ohne Angst
in dieser Freiheit ganz nach ihren Beduumlrfnissen der Welt zuzuwenden Diesen Freiraum zum Entde-
cken und Spielen bezeichnen die Sudberry- bzw die Demokratischen Schulen als Lernfreiheit und
er ist eine der beiden Grundsaumlulen des Bildungskonzepts Die zweite Saumlule ist von organisatorischer
Natur und konstatiert den Lernort als egalitaumlres System in dem Schuumller und Lehrer in verschiede-
nen Gremien Komitees und Aumlmtern gleiche Einflussmoumlglichkeiten Pflichten sowie Rechte besit-
26
zen (vgl Schiffner 2007 S 8-15)
Peter Gray emeritierter Professor fuumlr Psychologie des Boston College erklaumlrte in einem Vortrag in
Berlin 3122012 die Grundlagen dieses bdquoErziehungsldquo Ansatzes18 Er nennt ihn Vertrauensvolle Er-
ziehung (Trustful Parenting) bdquoVertrauensvolle Erziehung basiert auf der Annahme dass Kinder von
Natur aus widerstandsfaumlhig kompetent sozial und selbstgesteuert sindldquo (Gray 2012 S 1) Daraus
ergibt sich dass Kinder ihrem Beduumlrfnis nach selbst entscheidend entdecken und spielen Es obliegt
ihrer Entscheidung Risiken einzugehen und dabei auch evtl eigene Fehler zu machen Entwick-
lungsvergleiche (auch keine Lernleistungsvergleiche) liegen dieser Ansicht fern Erziehung versucht
demnach Entwicklung nicht zu lenken sondern zu unterstuumltzen sodass Kinder ihre eigenen Ziele
verwirklichen koumlnnen Sie entwickeln dabei Eigeninitiative und uumlbernehmen Selbstverantwortung
in der Gemeinschaft Die Erwachsenen stellen dazu lediglich den aumluszligeren bdquoRahmenldquo her der fuumlr ein
gesundes Heranwachsen erforderlich ist (vgl Grey 2012 S1 ff) Deshalb ist dieser Ansatz auch
nicht als eine vernachlaumlssigende Haltung zum Kind anzusehen sondern ganz im Gegenteil die
bdquoErziehendenldquo senden den Kindern folgende Botschaft
bdquoDu bist kompetent Du hast Augen und ein Gehirn und du bist in der Lage Dinge her-auszufinden Du kennst deine eigenen Faumlhigkeiten und Grenzen Durch Spielen und Er-forschen wirst du dir aneignen was du wissen musst Deine Beduumlrfnisse werden gewuumlr-digt Deine Meinung zaumlhlt Du bist fuumlr deine Fehler selbst verantwortlich und man kanndarauf vertrauen dass du aus ihnen lernst Das Sozialleben zeichnet sich nicht durchWillenskaumlmpfe aus sondern vielmehr dadurch einander so beizustehen dass alle dasbekommen was sie brauchen und sich am meisten wuumlnschen Wir sind auf deiner Seitenicht gegen dichldquo (ders S1)
Interessant finde ich Peter Grays historischen Bezug den er zur Vertrauensvollen Erziehung her-
stellt Er belegt naumlmlich mit verschiedenen wissenschaftlichen Studien zu Jaumlger- und Sammlerkultu-
ren dass dieser Erziehungsstil bis zum Einsetzen der Landwirtschaft (vor ca 10000 Jahren in Asi-
en) der vorherrschende war und dass die Menschheit zu 99 Prozent ihrer gesamten Geschichte (ca 1
Millionen Jahre) Jaumlger und Sammler waren (vgl ders S 1-3)
4 Zusammenfassende Gedanken
Die anfaumlngliche Spielbegriffseingrenzung im ersten Teil dieser Arbeit verdeutlichte dass das Spiel
nicht nur von elementarer Bedeutung fuumlr ein gesundes Aufwachsen fuumlr Koumlrper und Psyche der Kin-
der ist obwohl das freie (Kinder)Spiel die dafuumlr wohl geeignetste Lebenstaumltigkeit darstellt Dem
18 Vgl Gray Peter (2012) Trustful Parenting May Require an Alternative to Conventional Schooling (Vertrauensvol-le Erziehung macht unter Umstaumlnden eine Alternative zum konventionellen Schulsystem noumltig) httpwwwting-schuledeindex_htm_filesPeter20Gray20_20Trustful20parentingpdf (Zugriff 260315)
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natuumlrlichen (Kinder)Spiel als geistig-kreative Weltzuwendung liegen viel urspruumlnglichere Wurzeln
zu Grunde weshalb sich durch freies Spiel die Sinne der Koumlrper und auch der Geist als bdquoNebenef-
fektldquo beilaumlufig bilden und entwickeln Naumlmlich wie das bdquoMenschsein kein Zweck etwa des Lebens
sondern das Leben selbst istldquo (Kamper 1976 S 141) ist das (Kinder)Spiel auch kein findiger
Zweck des Lebendigen sondern gelebte Lebendigkeit und damit zwecklos (vgl ebd) bdquoDarauf und
nur darauf bezieht sich Schillers Wort dass der Mensch nur spielt wo er in voller Bedeutung des
Wortes Mensch ist und nur da ganz Mensch ist wo er spieltldquo (ebd) Somit stellt das Spiel das Prin-
zip des Lebendigen dar dies herauszuarbeiten und phaumlnomenologisch be-greifbar zu machen war
Ziel des ersten Teils dieser Arbeit Ich beabsichtigte darin ein Verstaumlndnis dafuumlr zu bilden dass das
(Kinder)Spiel als Modus von Freiheit im bdquoSpannungsfeld Lebenldquo die Wesenskraumlfte der Evolution
den Zufall die Spontanitaumlt und die Kreativitaumlt als eigene Triebkraumlfte in sich traumlgt und im freien
selbst initiierten Spielgeschehen zur Entfaltung bringt Als dieses Urprinzip ist das freie natuumlrliche
Spiel dem Menschen - homo ludens - und deshalb auch den Kindern ein Beduumlrfnis Deshalb fuumlhrt
durch Spiel gestaltete Zeit als erstrebte wesensgemaumlszlige Taumltigkeit zu Lebenszufriedenheit Und nur
dann traumlgt es seine Potenziale der Sinnesbildung Koumlrperbildung und geistig-seelischen Bildung so-
wie die Moumlglichkeit unvorhersehbarer Emergenzen in sich Und als solcher freier Ausdruck von Le-
bendigkeit ist deshalb Spiel fuumlr ein Kind innerhalb eines erfuumlllten Daseins grundlegend und zu ach-
ten bzw anzuerkennen
Im zweiten Teil wurde einsteigend die im derzeitigen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
vertretene Auffassung von Spiel erlaumlutert und der Plan wurde auf seine moumlgliche politisch- und paumld-
agogisch motivierte Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel untersucht Es konnte dargelegt werden
dass der Spiel(zeit)raum aufgrund des Interessengegensatzes von Kind und Staat kontinuierlich ein-
gekuumlrzt wird und zur zunehmenden Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel fuumlhrt um die politischen
Programme bdquoVerbesserung der Bildungschancenldquo und bdquoChancengleichheitldquo durchzusetzen Die da-
mit verwirklichten politischen Ziele und die Umsetzung einheitlicher Bildungsstandards haben da-
bei einerseits den Zweck die fuumlr die Wirtschaft dienliche und in der Gesellschaft mit Schule durch-
gesetzte Wissenshierachie fortzufuumlhren Und andererseits sollen diese Jahrgangssortierungen durch
internationale Tests wie PISA uauml als Standortfaktor im Wettkampf um Konkurrenzfaumlhigkeit auf ei-
nem globalisierten Markt Wirtschaftsstandort sichernd eingesetzt werden
Die Annahme dass es durch die Einuumlbung von vermeintlichen also dem Zeitgeist entsprechenden
bdquoGrundkompetenzenldquo bzw bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (als Bildungsstandards) zur zunehmenden
Verdraumlngung von freiem Spiel kommt konnte dadurch bestaumlrkt werden dass auf Grundlage eines
verkuumlrzten Spielbegriffes das freie (Kinder)Spiel durch paumldagogisches Einwirken in bdquospielerisches
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Lernenldquo umfunktionalisiert und dadurch echte Spielzeit zunehmend eingekuumlrzt wird Der Zweck ist
dabei das (Kinder)Spiel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo als bdquoLernmotorldquo der Kinder innerhalb
des bdquoLernfensterdrucksldquo dem Lehrapparat dienstbar zu machen
Im dritten Teil dieser Arbeit wurde anhand der Demokratischen Schulen kurz skizziert wie institu-
tionelle Bildung die freies Spielen wirklich gewaumlhrleistet gelingen kann Leider stehen die Schulen
in freier Traumlgerschaft zu denen die Freien Demokratischen Schulen zaumlhlen in Deutschland vor be-
sonderen behoumlrdlichen Genehmigungsbarrieren und unzureichender oumlffentlicher Finanzierung was
ihre Realisierung maszliggeblich erschwert oder ganz verhindert Auch darin kann eine Verdraumlngung
bzw Verhinderung des freien Spiels gesehen werden
Die Verdraumlngung des freien Kinderspiels ist aus zweierlei Gruumlnden nicht gut zu heiszligen ja sogar ab-
zulehnen ist Erstens ist die im Spiel als Nebenerscheinung enthaltene Einuumlbung von Grund-
kompetenzen von groumlszligter Komplexitaumlt und Vielfalt die selbst neue nicht vorhersagbare Qualitaumlten
hervorbringt die mit den Triebkraumlften der Evolution in Verbindung zu bringen sind (Emergenz)
Deshalb ist es fuumlr einen ganzheitlichen Entwicklungsspielraum der Kinder und im Sinne der Evolu-
tion unvernuumlnftig das Spiel wie im Bildungsplan beschrieben bdquoqualitativ aufzuwertenldquo um ver-
meintliche fuumlr das derzeitige Leben als unverzichtbar angenommene bdquoGrundkompetenzenldquo durch
bdquospielerisches Lernenldquo einzuuumlben Und zweitens ist das Spiel als kreative geistig-emotionale Welt-
zuwendung und damit als wesensgemaumlszlige kreatuumlrliche Taumltigkeit des Menschen den Kindern ein Be-
duumlrfnis und grundlegend fuumlr ihr gesundes Aufwachsen und Lebensgeborgenheit (Lebenszufrieden-
heit) in einem sie wahrhaft erfuumlllenden menschlichen Dasein
Bedenke ich nun die Lebenszeit die auch meine Kinder teilweise schon vor dem ersten Lebensjahr
mit haumlufig acht Stunden taumlglich in Kindertageseinrichtungen (leider nicht in einer Freien Demokra-
tischen Schule mit Primarbereich) verbrachten derzeit verbringen und spaumlter in der Schule bis min-
destens zur Erfuumlllung der Schulpflicht mit etwa 15 Jahren in der Schule verbringen muumlssen bin ich
erschrocken-besorgt und wuumltend wie dem Phaumlnomen des freien natuumlrlichen Kinderspiels und der
Bildung insgesamt im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan begegnet wird Bildung als vorran-
gig politisch-oumlkonomisches Arrangement zu sehen darin das Spiel als List zu benutzen um standar-
disiertes Lernen zu erzielen echte Spielzeit zunehmend zu verkuumlrzen ndash dieses planvolle Vorgehen
der Politik und der beteiligten Paumldagogen stellt eine Missachtung der ihnen anvertrauten Kinder mit
ihren individuellen Wuumlnschen Vorstellungen Beduumlrfnissen und ihrer ganz persoumlnlichen Lebenswelt
dar und ist ein lebensentfremdendes Vorhaben das junge Menschen von einem sie erfuumlllenden gu-
ten Leben trennt
29
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31
Eidesstattliche Erklaumlrung
Ich erklaumlre hiermit an Eides Statt durch eigenhaumlndige Unterschrift dass ich die vorliegende Arbeit
selbstaumlndig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe die aus
fremden Quellen (einschlieszliglich elektronischer Quellen und dem Internet) direkt oder indirekt uumlber-
nommenen Gedanken sind ausnahmslos als solche kenntlich gemacht
Ich weiszlig dass bei Abgabe einer falschen Versicherung die Arbeit als nicht bestanden zu gelten hat
Herold 10042015
32
- Die zunehmende Verdraumlngung des freien Kinderspiels
- im Hessischen Bildungsplan
- Einleitung
- 1 Freies Kinderspiel - Wesensmerkmale
-
- 11 Das Moment der Freiheit
- 12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
- 13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
- 14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
- 15 Das Moment der Geschlossenheit
- 16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
- 17 Zusammenfassung
-
- 2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
-
- 21 Das Spielverstaumlndnis
- 22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
- 23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
- 24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
-
- 3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
- 4 Zusammenfassende Gedanken
- Literaturverzeichnis
- Internetquellen
-
(Synapsen) bilden sich heraus die fuumlr die Verarbeitungskapazitaumlt des Gehirns und seineLernfaumlhigkeit im spaumlteren Leben bedeutsam sind Im Entwicklungsverlauf eines jedenKindes gibt es optimale Zeitraumlume fuumlr grundlegende Lernschritte (zB ZweitspracheRaumorientierung elementares mathematisches Denken Interesse an Naturwissen-schaften aumlsthetisches Verstaumlndnis Entwicklung der Musikalitaumlt) Solche Zeitfenstergibt es auch noch im Laufe der weiteren Bildungsbiografie Dennoch gilt es diese sen-siblen Phasen bereits durch fruumlhe Bildung offensiv zu nutzen [sic] Je solider und brei-ter die Basis aus jener Zeit desto houmlher ist die Wahrscheinlichkeit dass das Kind danachaktiver und leichter lernt Fruumlhe Bildungsversaumlumnisse sind nur schwer aufholbarldquo(dies S 24)
Die programmatische Paumldagogisierung von Spiel die die bdquoGrenzen zwischen der herkoumlmmlichen
Trennung von Freispielprozessen und geplanten Bildungsprozessen zunehmendldquo (dies S 30) ver-
wischen soll ist vor dem Hintergrund Bildung als Produkt einer offensiven Nutzung der sensiblen
Lernzeitfenster anzusehen (vgl dies S 23-24) und wiederum von seiner politischen Motivation
mit dem Wettlauf um Konkurrenzfaumlhigkeit sowie der Weiterfuumlhrung einer in der Gesellschaft durch-
gesetzten und der Wirtschaft dienlichen Wissenshierarchie in Verbindung zu bringen Folglich fuumlhrt
die im Bildungs- und Erziehungsplan programmatisch angewiesene Funktionalisierung des Spiels
zum bdquospielerischen Lernenldquo letztlich paumldagogisch motiviert zur zunehmenden Verdraumlngung des frei-
en (Kinder)Spiels denn dieses wird als zu zeitintensive Taumltigkeit angesehen Freispiel darf zwar
laut Plan auch enthalten sein es bdquomuss jedoch im angemessenen Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlten ste-
henldquo (dies S 31) weshalb es wegen des bdquoLernfensterdrucksldquo (vgl Dies S 23-24) zum bdquospielen-
den Lernenldquo umfunktionalisiert werden soll (vgl dies S 30-31) um wegen seiner bildenden Po-
tenzen dann als Lernbeschleunigung dem Lernziel (bdquoBildungserfolgldquo) dienbar gemacht zu werden
Das Freispiel soll konzeptionell auf zwei Wegen zu bdquospielendem Lernenldquo qualitativ aufgewertet
werden Zum einen indem aus Spielprozessen Projekte hervor gehen mit der Bedingung dass das
Spielgeschehen zunehmend von der Projekttaumltigkeit durchdrungen wird Und zum anderen koumlnnen
bdquo[]im Rahmen von Projekten [hellip] Freispielphasen enthalten sein in denen sich dieKinder weiterhin mit dem Projektthema allein oder mit anderen auseinandersetzen DieQualitaumlt der Freispielprozesse laumlsst sich durch gezielte Unterstuumltzungsmaszlignahmen erhouml-henldquo (dies S 30 Herv MG)
Wenn also Freispielphasen eingeplant werden dann unter der Bedingung dass im bdquoSpielldquo die Pro-
jektthemen wieder aufgegriffen werden In beiden Varianten wird aber die Qualitaumlt des Spiels zu-
mindest im Bezug auf das Erreichen des Lernzieles angezweifelt weshalb ein gezieltes Einwirken
der Paumldagogen kontinuierlich angedacht ist
bdquoDie Houmlhergewichtung des elementaren Bildungsauftrags hat zur Konsequenz dasssich das beilaumlufige Lernen der Kinder im Spiel zum spielerischen Lernen hin entwickeltDem Spiel wird mehr systematische Begleitung und didaktische Aufbereitung
22
zuteilldquo(dies S31 Herv MG)
Das demnach angedachte bdquoFreispielldquo soll folglich auch kein freies natuumlrliches Spielen sein selbst
wenn sich Kinder angetan von den Projektinhalten im freien Spiel beginnen selbsttaumltig im Rah-
men dessen auseinanderzusetzen Solches Geschehen wuumlrde durch paumldagogisches Einwirken auf
das Lernziel hin gelenkte Taumltigkeit werden es soll durch Erwachsene zum bdquospielerischen Lernenldquo
hin entwickelt werden Ebenso kann auch ein anfaumlngliches Spiel nie als solches bestehen bleiben
Die Houmlhergewichtung des institutionellen bdquoBildungsauftragsldquo bewirkt in beiden Faumlllen dass der
scheinbar gewaumlhrte bdquoSpielraumldquo zur zielorientierten Lerntaumltigkeit wird weshalb (freies) Spiel ver-
draumlngt wird und zunehmend in Projekttaumltigkeit muumlndet Erst dann hat Spiel einen qualitativen Nut-
zen im Sinne des Bildungs- und Erziehungsplans Deshalb haben Spielen und Lernen auch nach An-
sicht und Position des Bildungsplanvorhabens in einem besonderen Verhaumlltnis zueinander zu stehen
welches Paumldagogen zu sichern haben
bdquoFreispiel ist wichtig muss jedoch im angemessenem Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlt stehendie die Erwachsenen planen und initiieren[]ldquo (ebd Herv MG)
Denn Lernaktivitaumlt sollte nach Meinung der Autorinnen und Autoren wenn sie vom Kind ausgeht
letztlich durch Erwachsene zielfuumlhrend gelenkt werden
Diese Qualitaumlt steigernden Unterstuumltzungsmaszlignahmen und das angestrebte Verhaumlltnis von Spielen
und Lernen stehen im einzelnen mit den Wesensmomenten des freien Spiels in Widerspruch Im
freien Spiel sind die Spielinhalte die sich spielende Kinder selbst auswaumlhlen vorwiegend alltagsbe-
zogen und als diese individuell meist sehr unterschiedlich Kinder begegnen im Spiel also Themen
die ihr Interesse durch erlebte oder beobachtete Situationen geweckt haben Diese eigens initiierten
Spielideen koumlnnen wie oben skizziert diverse Funktionen (zB bildendes Erproben) als Nebenef-
fekt haben Aber im Sinne des Spiels als bdquofreie Zeitgestaltungldquo draumlngt das Kind eher nach sinnvoll
erfuumllltem Leben durch erstrebtes lustvolles Spielen mit ganzheitlichem Lebensweltbezug als nach
einer von auszligen das Spiel deformierenden oder domestizierenden Systematik und Didaktik Es ist
anzunehmen dass diese fehlende bdquoBe-friedigungldquo des Spielbeduumlrfnisses ihre praumlgenden Anpas-
sungsspuren in den Kindern hinterlaumlsst und sie wahrscheinlich unzufrieden macht Zusaumltzlich duumlrf-
ten diese Umstaumlnde dem Lernen allgemein auch eher abtraumlglich sein
Es besteht also ein ganzheitlicher Bezug zum eigenen Leben wenn durch die Freiheit zum Spiel
ganz individuelle Themen zur Spielidee werden und bdquoihren Laufldquo nehmen Das heiszligt die jeweilige
Initialidee wird im weiteren Spielverlauf staumlndig veraumlndert werden und folgt dabei gerade eben
nicht der bdquoLogikldquo der buumlrgerlichen Erwachsenenwelt Diese bdquoLogikldquo wird aber im Bildungsplan fo-
23
kussiert In ihm ist die Annahme enthalten dass Kinder wie Forscher ihre Umwelt erkunden und
nun im Zuge der Aufwertung des Spiels zum bdquospielerischen Lernenldquo durch paumldagogisches Hinwir-
ken sich das bdquospielendeldquo Kind in reflektierender Betrachtungsweise Kausalzusammenhaumlnge und
Gesetzmaumlszligigkeiten des zu untersuchenden bdquoGegenstandesldquo erschlieszligen bzw davon ableiten soll
(vgl dies S 20 27-28 30-31) Spiel ist aber nur dann Spiel wenn es ein eigenes fortwaumlhrendes
kreatives und spontanes Eingehen auf die Anregungen der aumluszligeren Spielszenerie ermoumlglicht (vgl
Kapitel bdquo14 Das Moment der Ambivalenzldquo S 11ff sowie Rittelmeyer 2007 S 136) Innerhalb
dessen orientiert sich die Spiel gestaltende Taumltigkeit des Kindes hauptsaumlchlich an den eigenen Be-
duumlrfnissen und nicht an Vorgaben von auszligen Deswegen kann auch nicht alles Spiel sein das waumlre
Willkuumlr und nicht Geschlossenheit (vgl Kapitel bdquo15 das Moment der inneren Geschlossenheitldquo S
13) Und um seiner inneren Zweckmaumlszligigkeit moumlglichst dienlich zu sein bleibt es auch stets unver-
fuumlgbar Darin gibt es keine absolute Eindeutigkeit (zB ein Lernziel) mit zielgerichtetem Streben
nach zukuumlnftiger Befriedigung Spiel ist jetzt ist gegenwaumlrtig angestrebtes erfuumlllendes Erleben von
frei gestalteter Zeit Nur so koumlnnen sich alle weiteren Wesensmomente und ihre ua auch hoch ef-
fektiv bildenden Potenziale ergeben und individuell entfalten Solches Spiel waumlre aber von Vielfalt
Spontanitaumlt Uumlberfluss Instabilitaumlt Kreativitaumlt oder auch vom ihm eigenen Unsinn gepraumlgt Sicher-
lich erschlieszligen sich dem Kind dabei diverse Kausalzusammenhaumlnge und aus Einzelphaumlnomenen
wird es ableitend Gesetzmaumlszligigkeiten erfahren die sich in diesem informellen Lernprozess dann als
Wissen Kenntnisse Fertigkeiten oder auch Kompetenzen verinnerlichen Aber diese (Neben)Effek-
te wuumlrden nie zielfuumlhrend oder leitend das Spielgeschehen formen bzw antreiben
Dem natuumlrlichen freien Spiel steht das bdquospielerische Lernenldquo auch im Bezug auf die im Spiel er-
schaffene Phantasiewelt (vgl Kapitel bdquo13 Das Moment der Scheinhaftigkeitldquo S 10) entgegen
Denn diese zeichnet sich gerade dadurch aus dass sie sich von den bdquoObjektenldquo der Umwelt loumlst
vom Faktischen enthoben ist und durch Phantasie zu bdquoNeuemldquo zu Symbolischem werden laumlsst Und
somit das symbolische bdquoAls-obldquo Spielgeschehen ermoumlglicht Das Spiel wuumlrde sich also notwendi-
gerweise von der Projekttaumltigkeit oder ihren faktischen Inhalten loumlsen muumlssen um sich in dieser
Phantasiewelt mit seiner Spielhandlung zwischen Zufaumllligem und Notwendigem bewegen zu koumln-
nen Mit der daraus entstehenden Gegenwaumlrtigkeit schloumlssen sich alle weiteren Momente zu ihrer
bdquofunktionalenldquo Kette zusammen Auch der zeitliche Rahmen in dem sich das freie Spiel nun bewe-
gen wuumlrde ist unvorhersehbar Es ist also wahrscheinlich dass das Spielgeschehen uumlber den von
Erziehern eingeplanten bdquoFreispielzeitraumldquo hinweg andauern koumlnnte und deshalb von auszligen durch
die Paumldagogen abgebrochen werden wuumlrde Der bdquoinneren Unendlichkeitldquo des Spiels wuumlrde dies so-
mit ein abruptes Ende bereiten Dem zirkulaumlrem Charakter des Spiels steht noch ein weiterer Aspekt
24
entgegen Naumlmlich dass die Wiederholungen der Spielhandlung nicht aus systematischer oder di-
daktischen bdquoAufbereitungldquo erzeugt werden koumlnnen sondern dass sie wie Rolf Oerter in bdquoZur Psy-
chlogie des Spielsldquo beschreibt mit lustvollem Erleben in Verbindung zu bringen sind und demnach
eher dem Lustprinzip folgen als dem rationellem Realitaumltsprinzip (vgl Oerter 2007 S 9 12 14f
18-21)
Einzelne Momente fuumlr bdquospielerisches Lernenldquo zu erzeugen bzw sie diesbezuumlglich abzuwandeln
kann also nicht mehr mit dem natuumlrlichen freiem Spiel in Verbindung gebracht geschweige denn
damit gleichgesetzt werden Das daraus resultierende bdquoSpielenldquo kann demnach auch nicht dem Be-
duumlrfnis oder Drang nach Spiel entsprechen welches Kinder ganz offenkundig haben Das Spiel im
Sinne des Bildungsplanes gleicht in seiner angedachten Form eher bdquodomestiziertenldquo Spiels das in
einzelne Wesensmomente zerrissen ist um als didaktische bdquoListldquo geplant initiiert zu werden Somit
wird durch die verkuumlrzte Auffassung von Spiel als Mittel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo bei
gleichzeitiger Verkuumlrzung echter Spielzeit die zunehmende Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels
im Bildungsplan programmatisch angegangen bzw angeordnet wodurch die dieser Arbeit zugrunde
liegende Annahme bestaumltigt wird
3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
Die Reformpaumldagogik hat zB durch Ellen Key Johann Heinrich Pestalozzi oder Maria Monterssori
Konzepte wie Jena-Plan das der Sudberry Valley School oder der Freien Demokratischen Schulen
inspiriert Innerhalb deren Konzeptionen findet auch die kindliche Lebenswelt ohne sie romantisch
zu verklaumlren ihren anerkennenden Platz und wird als vollwertiger Lebensabschnitt beachtet Ihre
aumlhnlichen Bildungsansaumltze enthalten vielfaumlltigste Anreize und Formen vernuumlnftiger Bildungsideen
mit ganzheitlichem Menschenbild und echtem Lebensweltbezug Das bedeutet auch fuumlr eine Institu-
tion um mit Ellen Key zu sprechen Bildung vom Kind aus zu denken
Exemplarisch moumlchte ich im Folgenden diese Bildungsvorhaben und ihre fuumlr die Kinder bereiteten
Entwicklungsspielraumlume an Hand der Freien Demokratischen Schulen skizzieren Der Ausgangs-
punkt dieser Schulen ist der Kerngedanke dass sich durch Eigeninitiative selbstverantwortete Bil-
dung und freies Spiel nicht abstoszligend gegenuumlber stehen sondern dass beide den Beduumlrfnissen des
Kindes entspringen und das Kind deshalb je nach seiner Beduumlrfnislage seine Aktivitaumlten diesbezuumlg-
lich selbstorganisiert Zwar sind auch Freie Demokratische Schulen als Institution leider kein wirk-
licher bdquoorganischerldquo Teil der Lebenswelt von Kindern sondern immer nur von auszligen angebotene in-
tentionale Konstrukte die aber in diesem Fall den individuellen Entwicklungsspielraum der Kinder
25
versuchen zu schuumltzen bzw bereitzuhalten Somit wird jedem Kind sein eigener Freiraum der ihm
spontanes freies Spiel ermoumlglicht bereitet ohne es in irgendeiner Form zu verzwecken oder zu ka-
nalisieren Einige Konzepte solcher Schulen greifen auch die Kindheit als gesellschaftlichen Status
hervorbringende Begebenheit auf naumlmlich dass durch die alltaumlgliche Erwerbstaumltigkeit der Erwach-
senen die Kindheit entsteht und zwar als davon getrennter Lebensbereich Verschiedene Versuche
zB durch (Land)Schulheime oder selbst initiierten Lernvereinbarungen zielen darauf ab die ge-
trennten Lebensrealitaumlten von Kindern und Erwachsenen wieder mehr zur Uumlberschneidung zu brin-
gen Die daraus entstehenden freiwilligen Erfahrungspartnerschaften werden eigenverantwortlich
von den Beteiligten (Schuumller und Lehrer) nach ihren Beduumlrfnissen Vorstellungen und Wuumlnschen
gemeinsam gestaltet Es kann also keinen einheitlichen Lehrplan geben und es kann auch keinen
bdquoMethodenkofferldquo als Handreichung des Ministeriums geben der Anwendung finden soll Aber
falls es von den Schuumllern gewuumlnscht wird bzw falls es von ihnen als vernuumlnftig fuumlr die Umsetzung
des Vorhabens angesehen wird kann sich der Lehrer sinnvollerweise durch methodische oder di-
daktische bzw besser mathetische Aufbereitung unterstuumltzend einbringen Die Schuumller entwickeln
also selbst wie sie lernen und was sie lernen Dabei treffen sie nicht maszliggeblich ihre Auswahl aus
bereits bestehenden Angeboten sondern sie koumlnnen ihre Beschaumlftigungs- bzw Lerngebiete voumlllig
frei waumlhlen und initiieren Jede Beschaumlftigung wird dabei als wertvoll und lehrreich erachtet sei es
das Lesen das Experimentieren das freie Spielen oder das Teilnehmen an einem Unterrichtskurs
Die Schuumller entscheiden auch wann sie lernen Sie legen damit den gesamten zeitlichen Rahmen
fest innerhalb dessen sie sich mit ihrem eigenem Lerngebiet beschaumlftigen wollen Dies betrifft die
Tageszeit und den Gesamtzeitraum der Taumltigkeit aber vor allem auch das Alter in dem sie sich ent-
schlieszligen sich mit einer Thematik zu befassen So entschlieszligt sich zB ein neunjaumlhriges Kind Lesen
zu lernen wo ein fuumlnfjaumlhriges bereits damit begonnen hat Dabei waumlre es nicht ungewoumlhnlich dass
diese beiden Leseinteressierten sich zusammenschlieszligen und eine Lerngruppe initiieren um sich
gemeinsam dem Lesen lernen zu widmen Auch liegt es in der Verantwortung der Kinder wie inten-
siv sie sich mit dem gewaumlhlten Thema auseinandersetzen wollen Um all dies zu planen und umset-
zen zu koumlnnen sind die Lehrer wie beratende Helfer kontinuierlich fuumlr die Kinder da und die Kin-
der sind sich nie selbst uumlberlassen Somit schafft das Vertrauen der Lehrer in die Schuumller Vertrauens-
wuumlrdigkeit und die Kinder koumlnnen sich sicher und geborgen fuumlhlen um sich moumlglichst ohne Angst
in dieser Freiheit ganz nach ihren Beduumlrfnissen der Welt zuzuwenden Diesen Freiraum zum Entde-
cken und Spielen bezeichnen die Sudberry- bzw die Demokratischen Schulen als Lernfreiheit und
er ist eine der beiden Grundsaumlulen des Bildungskonzepts Die zweite Saumlule ist von organisatorischer
Natur und konstatiert den Lernort als egalitaumlres System in dem Schuumller und Lehrer in verschiede-
nen Gremien Komitees und Aumlmtern gleiche Einflussmoumlglichkeiten Pflichten sowie Rechte besit-
26
zen (vgl Schiffner 2007 S 8-15)
Peter Gray emeritierter Professor fuumlr Psychologie des Boston College erklaumlrte in einem Vortrag in
Berlin 3122012 die Grundlagen dieses bdquoErziehungsldquo Ansatzes18 Er nennt ihn Vertrauensvolle Er-
ziehung (Trustful Parenting) bdquoVertrauensvolle Erziehung basiert auf der Annahme dass Kinder von
Natur aus widerstandsfaumlhig kompetent sozial und selbstgesteuert sindldquo (Gray 2012 S 1) Daraus
ergibt sich dass Kinder ihrem Beduumlrfnis nach selbst entscheidend entdecken und spielen Es obliegt
ihrer Entscheidung Risiken einzugehen und dabei auch evtl eigene Fehler zu machen Entwick-
lungsvergleiche (auch keine Lernleistungsvergleiche) liegen dieser Ansicht fern Erziehung versucht
demnach Entwicklung nicht zu lenken sondern zu unterstuumltzen sodass Kinder ihre eigenen Ziele
verwirklichen koumlnnen Sie entwickeln dabei Eigeninitiative und uumlbernehmen Selbstverantwortung
in der Gemeinschaft Die Erwachsenen stellen dazu lediglich den aumluszligeren bdquoRahmenldquo her der fuumlr ein
gesundes Heranwachsen erforderlich ist (vgl Grey 2012 S1 ff) Deshalb ist dieser Ansatz auch
nicht als eine vernachlaumlssigende Haltung zum Kind anzusehen sondern ganz im Gegenteil die
bdquoErziehendenldquo senden den Kindern folgende Botschaft
bdquoDu bist kompetent Du hast Augen und ein Gehirn und du bist in der Lage Dinge her-auszufinden Du kennst deine eigenen Faumlhigkeiten und Grenzen Durch Spielen und Er-forschen wirst du dir aneignen was du wissen musst Deine Beduumlrfnisse werden gewuumlr-digt Deine Meinung zaumlhlt Du bist fuumlr deine Fehler selbst verantwortlich und man kanndarauf vertrauen dass du aus ihnen lernst Das Sozialleben zeichnet sich nicht durchWillenskaumlmpfe aus sondern vielmehr dadurch einander so beizustehen dass alle dasbekommen was sie brauchen und sich am meisten wuumlnschen Wir sind auf deiner Seitenicht gegen dichldquo (ders S1)
Interessant finde ich Peter Grays historischen Bezug den er zur Vertrauensvollen Erziehung her-
stellt Er belegt naumlmlich mit verschiedenen wissenschaftlichen Studien zu Jaumlger- und Sammlerkultu-
ren dass dieser Erziehungsstil bis zum Einsetzen der Landwirtschaft (vor ca 10000 Jahren in Asi-
en) der vorherrschende war und dass die Menschheit zu 99 Prozent ihrer gesamten Geschichte (ca 1
Millionen Jahre) Jaumlger und Sammler waren (vgl ders S 1-3)
4 Zusammenfassende Gedanken
Die anfaumlngliche Spielbegriffseingrenzung im ersten Teil dieser Arbeit verdeutlichte dass das Spiel
nicht nur von elementarer Bedeutung fuumlr ein gesundes Aufwachsen fuumlr Koumlrper und Psyche der Kin-
der ist obwohl das freie (Kinder)Spiel die dafuumlr wohl geeignetste Lebenstaumltigkeit darstellt Dem
18 Vgl Gray Peter (2012) Trustful Parenting May Require an Alternative to Conventional Schooling (Vertrauensvol-le Erziehung macht unter Umstaumlnden eine Alternative zum konventionellen Schulsystem noumltig) httpwwwting-schuledeindex_htm_filesPeter20Gray20_20Trustful20parentingpdf (Zugriff 260315)
27
natuumlrlichen (Kinder)Spiel als geistig-kreative Weltzuwendung liegen viel urspruumlnglichere Wurzeln
zu Grunde weshalb sich durch freies Spiel die Sinne der Koumlrper und auch der Geist als bdquoNebenef-
fektldquo beilaumlufig bilden und entwickeln Naumlmlich wie das bdquoMenschsein kein Zweck etwa des Lebens
sondern das Leben selbst istldquo (Kamper 1976 S 141) ist das (Kinder)Spiel auch kein findiger
Zweck des Lebendigen sondern gelebte Lebendigkeit und damit zwecklos (vgl ebd) bdquoDarauf und
nur darauf bezieht sich Schillers Wort dass der Mensch nur spielt wo er in voller Bedeutung des
Wortes Mensch ist und nur da ganz Mensch ist wo er spieltldquo (ebd) Somit stellt das Spiel das Prin-
zip des Lebendigen dar dies herauszuarbeiten und phaumlnomenologisch be-greifbar zu machen war
Ziel des ersten Teils dieser Arbeit Ich beabsichtigte darin ein Verstaumlndnis dafuumlr zu bilden dass das
(Kinder)Spiel als Modus von Freiheit im bdquoSpannungsfeld Lebenldquo die Wesenskraumlfte der Evolution
den Zufall die Spontanitaumlt und die Kreativitaumlt als eigene Triebkraumlfte in sich traumlgt und im freien
selbst initiierten Spielgeschehen zur Entfaltung bringt Als dieses Urprinzip ist das freie natuumlrliche
Spiel dem Menschen - homo ludens - und deshalb auch den Kindern ein Beduumlrfnis Deshalb fuumlhrt
durch Spiel gestaltete Zeit als erstrebte wesensgemaumlszlige Taumltigkeit zu Lebenszufriedenheit Und nur
dann traumlgt es seine Potenziale der Sinnesbildung Koumlrperbildung und geistig-seelischen Bildung so-
wie die Moumlglichkeit unvorhersehbarer Emergenzen in sich Und als solcher freier Ausdruck von Le-
bendigkeit ist deshalb Spiel fuumlr ein Kind innerhalb eines erfuumlllten Daseins grundlegend und zu ach-
ten bzw anzuerkennen
Im zweiten Teil wurde einsteigend die im derzeitigen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
vertretene Auffassung von Spiel erlaumlutert und der Plan wurde auf seine moumlgliche politisch- und paumld-
agogisch motivierte Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel untersucht Es konnte dargelegt werden
dass der Spiel(zeit)raum aufgrund des Interessengegensatzes von Kind und Staat kontinuierlich ein-
gekuumlrzt wird und zur zunehmenden Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel fuumlhrt um die politischen
Programme bdquoVerbesserung der Bildungschancenldquo und bdquoChancengleichheitldquo durchzusetzen Die da-
mit verwirklichten politischen Ziele und die Umsetzung einheitlicher Bildungsstandards haben da-
bei einerseits den Zweck die fuumlr die Wirtschaft dienliche und in der Gesellschaft mit Schule durch-
gesetzte Wissenshierachie fortzufuumlhren Und andererseits sollen diese Jahrgangssortierungen durch
internationale Tests wie PISA uauml als Standortfaktor im Wettkampf um Konkurrenzfaumlhigkeit auf ei-
nem globalisierten Markt Wirtschaftsstandort sichernd eingesetzt werden
Die Annahme dass es durch die Einuumlbung von vermeintlichen also dem Zeitgeist entsprechenden
bdquoGrundkompetenzenldquo bzw bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (als Bildungsstandards) zur zunehmenden
Verdraumlngung von freiem Spiel kommt konnte dadurch bestaumlrkt werden dass auf Grundlage eines
verkuumlrzten Spielbegriffes das freie (Kinder)Spiel durch paumldagogisches Einwirken in bdquospielerisches
28
Lernenldquo umfunktionalisiert und dadurch echte Spielzeit zunehmend eingekuumlrzt wird Der Zweck ist
dabei das (Kinder)Spiel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo als bdquoLernmotorldquo der Kinder innerhalb
des bdquoLernfensterdrucksldquo dem Lehrapparat dienstbar zu machen
Im dritten Teil dieser Arbeit wurde anhand der Demokratischen Schulen kurz skizziert wie institu-
tionelle Bildung die freies Spielen wirklich gewaumlhrleistet gelingen kann Leider stehen die Schulen
in freier Traumlgerschaft zu denen die Freien Demokratischen Schulen zaumlhlen in Deutschland vor be-
sonderen behoumlrdlichen Genehmigungsbarrieren und unzureichender oumlffentlicher Finanzierung was
ihre Realisierung maszliggeblich erschwert oder ganz verhindert Auch darin kann eine Verdraumlngung
bzw Verhinderung des freien Spiels gesehen werden
Die Verdraumlngung des freien Kinderspiels ist aus zweierlei Gruumlnden nicht gut zu heiszligen ja sogar ab-
zulehnen ist Erstens ist die im Spiel als Nebenerscheinung enthaltene Einuumlbung von Grund-
kompetenzen von groumlszligter Komplexitaumlt und Vielfalt die selbst neue nicht vorhersagbare Qualitaumlten
hervorbringt die mit den Triebkraumlften der Evolution in Verbindung zu bringen sind (Emergenz)
Deshalb ist es fuumlr einen ganzheitlichen Entwicklungsspielraum der Kinder und im Sinne der Evolu-
tion unvernuumlnftig das Spiel wie im Bildungsplan beschrieben bdquoqualitativ aufzuwertenldquo um ver-
meintliche fuumlr das derzeitige Leben als unverzichtbar angenommene bdquoGrundkompetenzenldquo durch
bdquospielerisches Lernenldquo einzuuumlben Und zweitens ist das Spiel als kreative geistig-emotionale Welt-
zuwendung und damit als wesensgemaumlszlige kreatuumlrliche Taumltigkeit des Menschen den Kindern ein Be-
duumlrfnis und grundlegend fuumlr ihr gesundes Aufwachsen und Lebensgeborgenheit (Lebenszufrieden-
heit) in einem sie wahrhaft erfuumlllenden menschlichen Dasein
Bedenke ich nun die Lebenszeit die auch meine Kinder teilweise schon vor dem ersten Lebensjahr
mit haumlufig acht Stunden taumlglich in Kindertageseinrichtungen (leider nicht in einer Freien Demokra-
tischen Schule mit Primarbereich) verbrachten derzeit verbringen und spaumlter in der Schule bis min-
destens zur Erfuumlllung der Schulpflicht mit etwa 15 Jahren in der Schule verbringen muumlssen bin ich
erschrocken-besorgt und wuumltend wie dem Phaumlnomen des freien natuumlrlichen Kinderspiels und der
Bildung insgesamt im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan begegnet wird Bildung als vorran-
gig politisch-oumlkonomisches Arrangement zu sehen darin das Spiel als List zu benutzen um standar-
disiertes Lernen zu erzielen echte Spielzeit zunehmend zu verkuumlrzen ndash dieses planvolle Vorgehen
der Politik und der beteiligten Paumldagogen stellt eine Missachtung der ihnen anvertrauten Kinder mit
ihren individuellen Wuumlnschen Vorstellungen Beduumlrfnissen und ihrer ganz persoumlnlichen Lebenswelt
dar und ist ein lebensentfremdendes Vorhaben das junge Menschen von einem sie erfuumlllenden gu-
ten Leben trennt
29
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31
Eidesstattliche Erklaumlrung
Ich erklaumlre hiermit an Eides Statt durch eigenhaumlndige Unterschrift dass ich die vorliegende Arbeit
selbstaumlndig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe die aus
fremden Quellen (einschlieszliglich elektronischer Quellen und dem Internet) direkt oder indirekt uumlber-
nommenen Gedanken sind ausnahmslos als solche kenntlich gemacht
Ich weiszlig dass bei Abgabe einer falschen Versicherung die Arbeit als nicht bestanden zu gelten hat
Herold 10042015
32
- Die zunehmende Verdraumlngung des freien Kinderspiels
- im Hessischen Bildungsplan
- Einleitung
- 1 Freies Kinderspiel - Wesensmerkmale
-
- 11 Das Moment der Freiheit
- 12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
- 13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
- 14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
- 15 Das Moment der Geschlossenheit
- 16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
- 17 Zusammenfassung
-
- 2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
-
- 21 Das Spielverstaumlndnis
- 22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
- 23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
- 24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
-
- 3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
- 4 Zusammenfassende Gedanken
- Literaturverzeichnis
- Internetquellen
-
zuteilldquo(dies S31 Herv MG)
Das demnach angedachte bdquoFreispielldquo soll folglich auch kein freies natuumlrliches Spielen sein selbst
wenn sich Kinder angetan von den Projektinhalten im freien Spiel beginnen selbsttaumltig im Rah-
men dessen auseinanderzusetzen Solches Geschehen wuumlrde durch paumldagogisches Einwirken auf
das Lernziel hin gelenkte Taumltigkeit werden es soll durch Erwachsene zum bdquospielerischen Lernenldquo
hin entwickelt werden Ebenso kann auch ein anfaumlngliches Spiel nie als solches bestehen bleiben
Die Houmlhergewichtung des institutionellen bdquoBildungsauftragsldquo bewirkt in beiden Faumlllen dass der
scheinbar gewaumlhrte bdquoSpielraumldquo zur zielorientierten Lerntaumltigkeit wird weshalb (freies) Spiel ver-
draumlngt wird und zunehmend in Projekttaumltigkeit muumlndet Erst dann hat Spiel einen qualitativen Nut-
zen im Sinne des Bildungs- und Erziehungsplans Deshalb haben Spielen und Lernen auch nach An-
sicht und Position des Bildungsplanvorhabens in einem besonderen Verhaumlltnis zueinander zu stehen
welches Paumldagogen zu sichern haben
bdquoFreispiel ist wichtig muss jedoch im angemessenem Verhaumlltnis zu Lernaktivitaumlt stehendie die Erwachsenen planen und initiieren[]ldquo (ebd Herv MG)
Denn Lernaktivitaumlt sollte nach Meinung der Autorinnen und Autoren wenn sie vom Kind ausgeht
letztlich durch Erwachsene zielfuumlhrend gelenkt werden
Diese Qualitaumlt steigernden Unterstuumltzungsmaszlignahmen und das angestrebte Verhaumlltnis von Spielen
und Lernen stehen im einzelnen mit den Wesensmomenten des freien Spiels in Widerspruch Im
freien Spiel sind die Spielinhalte die sich spielende Kinder selbst auswaumlhlen vorwiegend alltagsbe-
zogen und als diese individuell meist sehr unterschiedlich Kinder begegnen im Spiel also Themen
die ihr Interesse durch erlebte oder beobachtete Situationen geweckt haben Diese eigens initiierten
Spielideen koumlnnen wie oben skizziert diverse Funktionen (zB bildendes Erproben) als Nebenef-
fekt haben Aber im Sinne des Spiels als bdquofreie Zeitgestaltungldquo draumlngt das Kind eher nach sinnvoll
erfuumllltem Leben durch erstrebtes lustvolles Spielen mit ganzheitlichem Lebensweltbezug als nach
einer von auszligen das Spiel deformierenden oder domestizierenden Systematik und Didaktik Es ist
anzunehmen dass diese fehlende bdquoBe-friedigungldquo des Spielbeduumlrfnisses ihre praumlgenden Anpas-
sungsspuren in den Kindern hinterlaumlsst und sie wahrscheinlich unzufrieden macht Zusaumltzlich duumlrf-
ten diese Umstaumlnde dem Lernen allgemein auch eher abtraumlglich sein
Es besteht also ein ganzheitlicher Bezug zum eigenen Leben wenn durch die Freiheit zum Spiel
ganz individuelle Themen zur Spielidee werden und bdquoihren Laufldquo nehmen Das heiszligt die jeweilige
Initialidee wird im weiteren Spielverlauf staumlndig veraumlndert werden und folgt dabei gerade eben
nicht der bdquoLogikldquo der buumlrgerlichen Erwachsenenwelt Diese bdquoLogikldquo wird aber im Bildungsplan fo-
23
kussiert In ihm ist die Annahme enthalten dass Kinder wie Forscher ihre Umwelt erkunden und
nun im Zuge der Aufwertung des Spiels zum bdquospielerischen Lernenldquo durch paumldagogisches Hinwir-
ken sich das bdquospielendeldquo Kind in reflektierender Betrachtungsweise Kausalzusammenhaumlnge und
Gesetzmaumlszligigkeiten des zu untersuchenden bdquoGegenstandesldquo erschlieszligen bzw davon ableiten soll
(vgl dies S 20 27-28 30-31) Spiel ist aber nur dann Spiel wenn es ein eigenes fortwaumlhrendes
kreatives und spontanes Eingehen auf die Anregungen der aumluszligeren Spielszenerie ermoumlglicht (vgl
Kapitel bdquo14 Das Moment der Ambivalenzldquo S 11ff sowie Rittelmeyer 2007 S 136) Innerhalb
dessen orientiert sich die Spiel gestaltende Taumltigkeit des Kindes hauptsaumlchlich an den eigenen Be-
duumlrfnissen und nicht an Vorgaben von auszligen Deswegen kann auch nicht alles Spiel sein das waumlre
Willkuumlr und nicht Geschlossenheit (vgl Kapitel bdquo15 das Moment der inneren Geschlossenheitldquo S
13) Und um seiner inneren Zweckmaumlszligigkeit moumlglichst dienlich zu sein bleibt es auch stets unver-
fuumlgbar Darin gibt es keine absolute Eindeutigkeit (zB ein Lernziel) mit zielgerichtetem Streben
nach zukuumlnftiger Befriedigung Spiel ist jetzt ist gegenwaumlrtig angestrebtes erfuumlllendes Erleben von
frei gestalteter Zeit Nur so koumlnnen sich alle weiteren Wesensmomente und ihre ua auch hoch ef-
fektiv bildenden Potenziale ergeben und individuell entfalten Solches Spiel waumlre aber von Vielfalt
Spontanitaumlt Uumlberfluss Instabilitaumlt Kreativitaumlt oder auch vom ihm eigenen Unsinn gepraumlgt Sicher-
lich erschlieszligen sich dem Kind dabei diverse Kausalzusammenhaumlnge und aus Einzelphaumlnomenen
wird es ableitend Gesetzmaumlszligigkeiten erfahren die sich in diesem informellen Lernprozess dann als
Wissen Kenntnisse Fertigkeiten oder auch Kompetenzen verinnerlichen Aber diese (Neben)Effek-
te wuumlrden nie zielfuumlhrend oder leitend das Spielgeschehen formen bzw antreiben
Dem natuumlrlichen freien Spiel steht das bdquospielerische Lernenldquo auch im Bezug auf die im Spiel er-
schaffene Phantasiewelt (vgl Kapitel bdquo13 Das Moment der Scheinhaftigkeitldquo S 10) entgegen
Denn diese zeichnet sich gerade dadurch aus dass sie sich von den bdquoObjektenldquo der Umwelt loumlst
vom Faktischen enthoben ist und durch Phantasie zu bdquoNeuemldquo zu Symbolischem werden laumlsst Und
somit das symbolische bdquoAls-obldquo Spielgeschehen ermoumlglicht Das Spiel wuumlrde sich also notwendi-
gerweise von der Projekttaumltigkeit oder ihren faktischen Inhalten loumlsen muumlssen um sich in dieser
Phantasiewelt mit seiner Spielhandlung zwischen Zufaumllligem und Notwendigem bewegen zu koumln-
nen Mit der daraus entstehenden Gegenwaumlrtigkeit schloumlssen sich alle weiteren Momente zu ihrer
bdquofunktionalenldquo Kette zusammen Auch der zeitliche Rahmen in dem sich das freie Spiel nun bewe-
gen wuumlrde ist unvorhersehbar Es ist also wahrscheinlich dass das Spielgeschehen uumlber den von
Erziehern eingeplanten bdquoFreispielzeitraumldquo hinweg andauern koumlnnte und deshalb von auszligen durch
die Paumldagogen abgebrochen werden wuumlrde Der bdquoinneren Unendlichkeitldquo des Spiels wuumlrde dies so-
mit ein abruptes Ende bereiten Dem zirkulaumlrem Charakter des Spiels steht noch ein weiterer Aspekt
24
entgegen Naumlmlich dass die Wiederholungen der Spielhandlung nicht aus systematischer oder di-
daktischen bdquoAufbereitungldquo erzeugt werden koumlnnen sondern dass sie wie Rolf Oerter in bdquoZur Psy-
chlogie des Spielsldquo beschreibt mit lustvollem Erleben in Verbindung zu bringen sind und demnach
eher dem Lustprinzip folgen als dem rationellem Realitaumltsprinzip (vgl Oerter 2007 S 9 12 14f
18-21)
Einzelne Momente fuumlr bdquospielerisches Lernenldquo zu erzeugen bzw sie diesbezuumlglich abzuwandeln
kann also nicht mehr mit dem natuumlrlichen freiem Spiel in Verbindung gebracht geschweige denn
damit gleichgesetzt werden Das daraus resultierende bdquoSpielenldquo kann demnach auch nicht dem Be-
duumlrfnis oder Drang nach Spiel entsprechen welches Kinder ganz offenkundig haben Das Spiel im
Sinne des Bildungsplanes gleicht in seiner angedachten Form eher bdquodomestiziertenldquo Spiels das in
einzelne Wesensmomente zerrissen ist um als didaktische bdquoListldquo geplant initiiert zu werden Somit
wird durch die verkuumlrzte Auffassung von Spiel als Mittel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo bei
gleichzeitiger Verkuumlrzung echter Spielzeit die zunehmende Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels
im Bildungsplan programmatisch angegangen bzw angeordnet wodurch die dieser Arbeit zugrunde
liegende Annahme bestaumltigt wird
3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
Die Reformpaumldagogik hat zB durch Ellen Key Johann Heinrich Pestalozzi oder Maria Monterssori
Konzepte wie Jena-Plan das der Sudberry Valley School oder der Freien Demokratischen Schulen
inspiriert Innerhalb deren Konzeptionen findet auch die kindliche Lebenswelt ohne sie romantisch
zu verklaumlren ihren anerkennenden Platz und wird als vollwertiger Lebensabschnitt beachtet Ihre
aumlhnlichen Bildungsansaumltze enthalten vielfaumlltigste Anreize und Formen vernuumlnftiger Bildungsideen
mit ganzheitlichem Menschenbild und echtem Lebensweltbezug Das bedeutet auch fuumlr eine Institu-
tion um mit Ellen Key zu sprechen Bildung vom Kind aus zu denken
Exemplarisch moumlchte ich im Folgenden diese Bildungsvorhaben und ihre fuumlr die Kinder bereiteten
Entwicklungsspielraumlume an Hand der Freien Demokratischen Schulen skizzieren Der Ausgangs-
punkt dieser Schulen ist der Kerngedanke dass sich durch Eigeninitiative selbstverantwortete Bil-
dung und freies Spiel nicht abstoszligend gegenuumlber stehen sondern dass beide den Beduumlrfnissen des
Kindes entspringen und das Kind deshalb je nach seiner Beduumlrfnislage seine Aktivitaumlten diesbezuumlg-
lich selbstorganisiert Zwar sind auch Freie Demokratische Schulen als Institution leider kein wirk-
licher bdquoorganischerldquo Teil der Lebenswelt von Kindern sondern immer nur von auszligen angebotene in-
tentionale Konstrukte die aber in diesem Fall den individuellen Entwicklungsspielraum der Kinder
25
versuchen zu schuumltzen bzw bereitzuhalten Somit wird jedem Kind sein eigener Freiraum der ihm
spontanes freies Spiel ermoumlglicht bereitet ohne es in irgendeiner Form zu verzwecken oder zu ka-
nalisieren Einige Konzepte solcher Schulen greifen auch die Kindheit als gesellschaftlichen Status
hervorbringende Begebenheit auf naumlmlich dass durch die alltaumlgliche Erwerbstaumltigkeit der Erwach-
senen die Kindheit entsteht und zwar als davon getrennter Lebensbereich Verschiedene Versuche
zB durch (Land)Schulheime oder selbst initiierten Lernvereinbarungen zielen darauf ab die ge-
trennten Lebensrealitaumlten von Kindern und Erwachsenen wieder mehr zur Uumlberschneidung zu brin-
gen Die daraus entstehenden freiwilligen Erfahrungspartnerschaften werden eigenverantwortlich
von den Beteiligten (Schuumller und Lehrer) nach ihren Beduumlrfnissen Vorstellungen und Wuumlnschen
gemeinsam gestaltet Es kann also keinen einheitlichen Lehrplan geben und es kann auch keinen
bdquoMethodenkofferldquo als Handreichung des Ministeriums geben der Anwendung finden soll Aber
falls es von den Schuumllern gewuumlnscht wird bzw falls es von ihnen als vernuumlnftig fuumlr die Umsetzung
des Vorhabens angesehen wird kann sich der Lehrer sinnvollerweise durch methodische oder di-
daktische bzw besser mathetische Aufbereitung unterstuumltzend einbringen Die Schuumller entwickeln
also selbst wie sie lernen und was sie lernen Dabei treffen sie nicht maszliggeblich ihre Auswahl aus
bereits bestehenden Angeboten sondern sie koumlnnen ihre Beschaumlftigungs- bzw Lerngebiete voumlllig
frei waumlhlen und initiieren Jede Beschaumlftigung wird dabei als wertvoll und lehrreich erachtet sei es
das Lesen das Experimentieren das freie Spielen oder das Teilnehmen an einem Unterrichtskurs
Die Schuumller entscheiden auch wann sie lernen Sie legen damit den gesamten zeitlichen Rahmen
fest innerhalb dessen sie sich mit ihrem eigenem Lerngebiet beschaumlftigen wollen Dies betrifft die
Tageszeit und den Gesamtzeitraum der Taumltigkeit aber vor allem auch das Alter in dem sie sich ent-
schlieszligen sich mit einer Thematik zu befassen So entschlieszligt sich zB ein neunjaumlhriges Kind Lesen
zu lernen wo ein fuumlnfjaumlhriges bereits damit begonnen hat Dabei waumlre es nicht ungewoumlhnlich dass
diese beiden Leseinteressierten sich zusammenschlieszligen und eine Lerngruppe initiieren um sich
gemeinsam dem Lesen lernen zu widmen Auch liegt es in der Verantwortung der Kinder wie inten-
siv sie sich mit dem gewaumlhlten Thema auseinandersetzen wollen Um all dies zu planen und umset-
zen zu koumlnnen sind die Lehrer wie beratende Helfer kontinuierlich fuumlr die Kinder da und die Kin-
der sind sich nie selbst uumlberlassen Somit schafft das Vertrauen der Lehrer in die Schuumller Vertrauens-
wuumlrdigkeit und die Kinder koumlnnen sich sicher und geborgen fuumlhlen um sich moumlglichst ohne Angst
in dieser Freiheit ganz nach ihren Beduumlrfnissen der Welt zuzuwenden Diesen Freiraum zum Entde-
cken und Spielen bezeichnen die Sudberry- bzw die Demokratischen Schulen als Lernfreiheit und
er ist eine der beiden Grundsaumlulen des Bildungskonzepts Die zweite Saumlule ist von organisatorischer
Natur und konstatiert den Lernort als egalitaumlres System in dem Schuumller und Lehrer in verschiede-
nen Gremien Komitees und Aumlmtern gleiche Einflussmoumlglichkeiten Pflichten sowie Rechte besit-
26
zen (vgl Schiffner 2007 S 8-15)
Peter Gray emeritierter Professor fuumlr Psychologie des Boston College erklaumlrte in einem Vortrag in
Berlin 3122012 die Grundlagen dieses bdquoErziehungsldquo Ansatzes18 Er nennt ihn Vertrauensvolle Er-
ziehung (Trustful Parenting) bdquoVertrauensvolle Erziehung basiert auf der Annahme dass Kinder von
Natur aus widerstandsfaumlhig kompetent sozial und selbstgesteuert sindldquo (Gray 2012 S 1) Daraus
ergibt sich dass Kinder ihrem Beduumlrfnis nach selbst entscheidend entdecken und spielen Es obliegt
ihrer Entscheidung Risiken einzugehen und dabei auch evtl eigene Fehler zu machen Entwick-
lungsvergleiche (auch keine Lernleistungsvergleiche) liegen dieser Ansicht fern Erziehung versucht
demnach Entwicklung nicht zu lenken sondern zu unterstuumltzen sodass Kinder ihre eigenen Ziele
verwirklichen koumlnnen Sie entwickeln dabei Eigeninitiative und uumlbernehmen Selbstverantwortung
in der Gemeinschaft Die Erwachsenen stellen dazu lediglich den aumluszligeren bdquoRahmenldquo her der fuumlr ein
gesundes Heranwachsen erforderlich ist (vgl Grey 2012 S1 ff) Deshalb ist dieser Ansatz auch
nicht als eine vernachlaumlssigende Haltung zum Kind anzusehen sondern ganz im Gegenteil die
bdquoErziehendenldquo senden den Kindern folgende Botschaft
bdquoDu bist kompetent Du hast Augen und ein Gehirn und du bist in der Lage Dinge her-auszufinden Du kennst deine eigenen Faumlhigkeiten und Grenzen Durch Spielen und Er-forschen wirst du dir aneignen was du wissen musst Deine Beduumlrfnisse werden gewuumlr-digt Deine Meinung zaumlhlt Du bist fuumlr deine Fehler selbst verantwortlich und man kanndarauf vertrauen dass du aus ihnen lernst Das Sozialleben zeichnet sich nicht durchWillenskaumlmpfe aus sondern vielmehr dadurch einander so beizustehen dass alle dasbekommen was sie brauchen und sich am meisten wuumlnschen Wir sind auf deiner Seitenicht gegen dichldquo (ders S1)
Interessant finde ich Peter Grays historischen Bezug den er zur Vertrauensvollen Erziehung her-
stellt Er belegt naumlmlich mit verschiedenen wissenschaftlichen Studien zu Jaumlger- und Sammlerkultu-
ren dass dieser Erziehungsstil bis zum Einsetzen der Landwirtschaft (vor ca 10000 Jahren in Asi-
en) der vorherrschende war und dass die Menschheit zu 99 Prozent ihrer gesamten Geschichte (ca 1
Millionen Jahre) Jaumlger und Sammler waren (vgl ders S 1-3)
4 Zusammenfassende Gedanken
Die anfaumlngliche Spielbegriffseingrenzung im ersten Teil dieser Arbeit verdeutlichte dass das Spiel
nicht nur von elementarer Bedeutung fuumlr ein gesundes Aufwachsen fuumlr Koumlrper und Psyche der Kin-
der ist obwohl das freie (Kinder)Spiel die dafuumlr wohl geeignetste Lebenstaumltigkeit darstellt Dem
18 Vgl Gray Peter (2012) Trustful Parenting May Require an Alternative to Conventional Schooling (Vertrauensvol-le Erziehung macht unter Umstaumlnden eine Alternative zum konventionellen Schulsystem noumltig) httpwwwting-schuledeindex_htm_filesPeter20Gray20_20Trustful20parentingpdf (Zugriff 260315)
27
natuumlrlichen (Kinder)Spiel als geistig-kreative Weltzuwendung liegen viel urspruumlnglichere Wurzeln
zu Grunde weshalb sich durch freies Spiel die Sinne der Koumlrper und auch der Geist als bdquoNebenef-
fektldquo beilaumlufig bilden und entwickeln Naumlmlich wie das bdquoMenschsein kein Zweck etwa des Lebens
sondern das Leben selbst istldquo (Kamper 1976 S 141) ist das (Kinder)Spiel auch kein findiger
Zweck des Lebendigen sondern gelebte Lebendigkeit und damit zwecklos (vgl ebd) bdquoDarauf und
nur darauf bezieht sich Schillers Wort dass der Mensch nur spielt wo er in voller Bedeutung des
Wortes Mensch ist und nur da ganz Mensch ist wo er spieltldquo (ebd) Somit stellt das Spiel das Prin-
zip des Lebendigen dar dies herauszuarbeiten und phaumlnomenologisch be-greifbar zu machen war
Ziel des ersten Teils dieser Arbeit Ich beabsichtigte darin ein Verstaumlndnis dafuumlr zu bilden dass das
(Kinder)Spiel als Modus von Freiheit im bdquoSpannungsfeld Lebenldquo die Wesenskraumlfte der Evolution
den Zufall die Spontanitaumlt und die Kreativitaumlt als eigene Triebkraumlfte in sich traumlgt und im freien
selbst initiierten Spielgeschehen zur Entfaltung bringt Als dieses Urprinzip ist das freie natuumlrliche
Spiel dem Menschen - homo ludens - und deshalb auch den Kindern ein Beduumlrfnis Deshalb fuumlhrt
durch Spiel gestaltete Zeit als erstrebte wesensgemaumlszlige Taumltigkeit zu Lebenszufriedenheit Und nur
dann traumlgt es seine Potenziale der Sinnesbildung Koumlrperbildung und geistig-seelischen Bildung so-
wie die Moumlglichkeit unvorhersehbarer Emergenzen in sich Und als solcher freier Ausdruck von Le-
bendigkeit ist deshalb Spiel fuumlr ein Kind innerhalb eines erfuumlllten Daseins grundlegend und zu ach-
ten bzw anzuerkennen
Im zweiten Teil wurde einsteigend die im derzeitigen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
vertretene Auffassung von Spiel erlaumlutert und der Plan wurde auf seine moumlgliche politisch- und paumld-
agogisch motivierte Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel untersucht Es konnte dargelegt werden
dass der Spiel(zeit)raum aufgrund des Interessengegensatzes von Kind und Staat kontinuierlich ein-
gekuumlrzt wird und zur zunehmenden Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel fuumlhrt um die politischen
Programme bdquoVerbesserung der Bildungschancenldquo und bdquoChancengleichheitldquo durchzusetzen Die da-
mit verwirklichten politischen Ziele und die Umsetzung einheitlicher Bildungsstandards haben da-
bei einerseits den Zweck die fuumlr die Wirtschaft dienliche und in der Gesellschaft mit Schule durch-
gesetzte Wissenshierachie fortzufuumlhren Und andererseits sollen diese Jahrgangssortierungen durch
internationale Tests wie PISA uauml als Standortfaktor im Wettkampf um Konkurrenzfaumlhigkeit auf ei-
nem globalisierten Markt Wirtschaftsstandort sichernd eingesetzt werden
Die Annahme dass es durch die Einuumlbung von vermeintlichen also dem Zeitgeist entsprechenden
bdquoGrundkompetenzenldquo bzw bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (als Bildungsstandards) zur zunehmenden
Verdraumlngung von freiem Spiel kommt konnte dadurch bestaumlrkt werden dass auf Grundlage eines
verkuumlrzten Spielbegriffes das freie (Kinder)Spiel durch paumldagogisches Einwirken in bdquospielerisches
28
Lernenldquo umfunktionalisiert und dadurch echte Spielzeit zunehmend eingekuumlrzt wird Der Zweck ist
dabei das (Kinder)Spiel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo als bdquoLernmotorldquo der Kinder innerhalb
des bdquoLernfensterdrucksldquo dem Lehrapparat dienstbar zu machen
Im dritten Teil dieser Arbeit wurde anhand der Demokratischen Schulen kurz skizziert wie institu-
tionelle Bildung die freies Spielen wirklich gewaumlhrleistet gelingen kann Leider stehen die Schulen
in freier Traumlgerschaft zu denen die Freien Demokratischen Schulen zaumlhlen in Deutschland vor be-
sonderen behoumlrdlichen Genehmigungsbarrieren und unzureichender oumlffentlicher Finanzierung was
ihre Realisierung maszliggeblich erschwert oder ganz verhindert Auch darin kann eine Verdraumlngung
bzw Verhinderung des freien Spiels gesehen werden
Die Verdraumlngung des freien Kinderspiels ist aus zweierlei Gruumlnden nicht gut zu heiszligen ja sogar ab-
zulehnen ist Erstens ist die im Spiel als Nebenerscheinung enthaltene Einuumlbung von Grund-
kompetenzen von groumlszligter Komplexitaumlt und Vielfalt die selbst neue nicht vorhersagbare Qualitaumlten
hervorbringt die mit den Triebkraumlften der Evolution in Verbindung zu bringen sind (Emergenz)
Deshalb ist es fuumlr einen ganzheitlichen Entwicklungsspielraum der Kinder und im Sinne der Evolu-
tion unvernuumlnftig das Spiel wie im Bildungsplan beschrieben bdquoqualitativ aufzuwertenldquo um ver-
meintliche fuumlr das derzeitige Leben als unverzichtbar angenommene bdquoGrundkompetenzenldquo durch
bdquospielerisches Lernenldquo einzuuumlben Und zweitens ist das Spiel als kreative geistig-emotionale Welt-
zuwendung und damit als wesensgemaumlszlige kreatuumlrliche Taumltigkeit des Menschen den Kindern ein Be-
duumlrfnis und grundlegend fuumlr ihr gesundes Aufwachsen und Lebensgeborgenheit (Lebenszufrieden-
heit) in einem sie wahrhaft erfuumlllenden menschlichen Dasein
Bedenke ich nun die Lebenszeit die auch meine Kinder teilweise schon vor dem ersten Lebensjahr
mit haumlufig acht Stunden taumlglich in Kindertageseinrichtungen (leider nicht in einer Freien Demokra-
tischen Schule mit Primarbereich) verbrachten derzeit verbringen und spaumlter in der Schule bis min-
destens zur Erfuumlllung der Schulpflicht mit etwa 15 Jahren in der Schule verbringen muumlssen bin ich
erschrocken-besorgt und wuumltend wie dem Phaumlnomen des freien natuumlrlichen Kinderspiels und der
Bildung insgesamt im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan begegnet wird Bildung als vorran-
gig politisch-oumlkonomisches Arrangement zu sehen darin das Spiel als List zu benutzen um standar-
disiertes Lernen zu erzielen echte Spielzeit zunehmend zu verkuumlrzen ndash dieses planvolle Vorgehen
der Politik und der beteiligten Paumldagogen stellt eine Missachtung der ihnen anvertrauten Kinder mit
ihren individuellen Wuumlnschen Vorstellungen Beduumlrfnissen und ihrer ganz persoumlnlichen Lebenswelt
dar und ist ein lebensentfremdendes Vorhaben das junge Menschen von einem sie erfuumlllenden gu-
ten Leben trennt
29
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30
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31
Eidesstattliche Erklaumlrung
Ich erklaumlre hiermit an Eides Statt durch eigenhaumlndige Unterschrift dass ich die vorliegende Arbeit
selbstaumlndig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe die aus
fremden Quellen (einschlieszliglich elektronischer Quellen und dem Internet) direkt oder indirekt uumlber-
nommenen Gedanken sind ausnahmslos als solche kenntlich gemacht
Ich weiszlig dass bei Abgabe einer falschen Versicherung die Arbeit als nicht bestanden zu gelten hat
Herold 10042015
32
- Die zunehmende Verdraumlngung des freien Kinderspiels
- im Hessischen Bildungsplan
- Einleitung
- 1 Freies Kinderspiel - Wesensmerkmale
-
- 11 Das Moment der Freiheit
- 12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
- 13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
- 14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
- 15 Das Moment der Geschlossenheit
- 16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
- 17 Zusammenfassung
-
- 2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
-
- 21 Das Spielverstaumlndnis
- 22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
- 23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
- 24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
-
- 3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
- 4 Zusammenfassende Gedanken
- Literaturverzeichnis
- Internetquellen
-
kussiert In ihm ist die Annahme enthalten dass Kinder wie Forscher ihre Umwelt erkunden und
nun im Zuge der Aufwertung des Spiels zum bdquospielerischen Lernenldquo durch paumldagogisches Hinwir-
ken sich das bdquospielendeldquo Kind in reflektierender Betrachtungsweise Kausalzusammenhaumlnge und
Gesetzmaumlszligigkeiten des zu untersuchenden bdquoGegenstandesldquo erschlieszligen bzw davon ableiten soll
(vgl dies S 20 27-28 30-31) Spiel ist aber nur dann Spiel wenn es ein eigenes fortwaumlhrendes
kreatives und spontanes Eingehen auf die Anregungen der aumluszligeren Spielszenerie ermoumlglicht (vgl
Kapitel bdquo14 Das Moment der Ambivalenzldquo S 11ff sowie Rittelmeyer 2007 S 136) Innerhalb
dessen orientiert sich die Spiel gestaltende Taumltigkeit des Kindes hauptsaumlchlich an den eigenen Be-
duumlrfnissen und nicht an Vorgaben von auszligen Deswegen kann auch nicht alles Spiel sein das waumlre
Willkuumlr und nicht Geschlossenheit (vgl Kapitel bdquo15 das Moment der inneren Geschlossenheitldquo S
13) Und um seiner inneren Zweckmaumlszligigkeit moumlglichst dienlich zu sein bleibt es auch stets unver-
fuumlgbar Darin gibt es keine absolute Eindeutigkeit (zB ein Lernziel) mit zielgerichtetem Streben
nach zukuumlnftiger Befriedigung Spiel ist jetzt ist gegenwaumlrtig angestrebtes erfuumlllendes Erleben von
frei gestalteter Zeit Nur so koumlnnen sich alle weiteren Wesensmomente und ihre ua auch hoch ef-
fektiv bildenden Potenziale ergeben und individuell entfalten Solches Spiel waumlre aber von Vielfalt
Spontanitaumlt Uumlberfluss Instabilitaumlt Kreativitaumlt oder auch vom ihm eigenen Unsinn gepraumlgt Sicher-
lich erschlieszligen sich dem Kind dabei diverse Kausalzusammenhaumlnge und aus Einzelphaumlnomenen
wird es ableitend Gesetzmaumlszligigkeiten erfahren die sich in diesem informellen Lernprozess dann als
Wissen Kenntnisse Fertigkeiten oder auch Kompetenzen verinnerlichen Aber diese (Neben)Effek-
te wuumlrden nie zielfuumlhrend oder leitend das Spielgeschehen formen bzw antreiben
Dem natuumlrlichen freien Spiel steht das bdquospielerische Lernenldquo auch im Bezug auf die im Spiel er-
schaffene Phantasiewelt (vgl Kapitel bdquo13 Das Moment der Scheinhaftigkeitldquo S 10) entgegen
Denn diese zeichnet sich gerade dadurch aus dass sie sich von den bdquoObjektenldquo der Umwelt loumlst
vom Faktischen enthoben ist und durch Phantasie zu bdquoNeuemldquo zu Symbolischem werden laumlsst Und
somit das symbolische bdquoAls-obldquo Spielgeschehen ermoumlglicht Das Spiel wuumlrde sich also notwendi-
gerweise von der Projekttaumltigkeit oder ihren faktischen Inhalten loumlsen muumlssen um sich in dieser
Phantasiewelt mit seiner Spielhandlung zwischen Zufaumllligem und Notwendigem bewegen zu koumln-
nen Mit der daraus entstehenden Gegenwaumlrtigkeit schloumlssen sich alle weiteren Momente zu ihrer
bdquofunktionalenldquo Kette zusammen Auch der zeitliche Rahmen in dem sich das freie Spiel nun bewe-
gen wuumlrde ist unvorhersehbar Es ist also wahrscheinlich dass das Spielgeschehen uumlber den von
Erziehern eingeplanten bdquoFreispielzeitraumldquo hinweg andauern koumlnnte und deshalb von auszligen durch
die Paumldagogen abgebrochen werden wuumlrde Der bdquoinneren Unendlichkeitldquo des Spiels wuumlrde dies so-
mit ein abruptes Ende bereiten Dem zirkulaumlrem Charakter des Spiels steht noch ein weiterer Aspekt
24
entgegen Naumlmlich dass die Wiederholungen der Spielhandlung nicht aus systematischer oder di-
daktischen bdquoAufbereitungldquo erzeugt werden koumlnnen sondern dass sie wie Rolf Oerter in bdquoZur Psy-
chlogie des Spielsldquo beschreibt mit lustvollem Erleben in Verbindung zu bringen sind und demnach
eher dem Lustprinzip folgen als dem rationellem Realitaumltsprinzip (vgl Oerter 2007 S 9 12 14f
18-21)
Einzelne Momente fuumlr bdquospielerisches Lernenldquo zu erzeugen bzw sie diesbezuumlglich abzuwandeln
kann also nicht mehr mit dem natuumlrlichen freiem Spiel in Verbindung gebracht geschweige denn
damit gleichgesetzt werden Das daraus resultierende bdquoSpielenldquo kann demnach auch nicht dem Be-
duumlrfnis oder Drang nach Spiel entsprechen welches Kinder ganz offenkundig haben Das Spiel im
Sinne des Bildungsplanes gleicht in seiner angedachten Form eher bdquodomestiziertenldquo Spiels das in
einzelne Wesensmomente zerrissen ist um als didaktische bdquoListldquo geplant initiiert zu werden Somit
wird durch die verkuumlrzte Auffassung von Spiel als Mittel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo bei
gleichzeitiger Verkuumlrzung echter Spielzeit die zunehmende Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels
im Bildungsplan programmatisch angegangen bzw angeordnet wodurch die dieser Arbeit zugrunde
liegende Annahme bestaumltigt wird
3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
Die Reformpaumldagogik hat zB durch Ellen Key Johann Heinrich Pestalozzi oder Maria Monterssori
Konzepte wie Jena-Plan das der Sudberry Valley School oder der Freien Demokratischen Schulen
inspiriert Innerhalb deren Konzeptionen findet auch die kindliche Lebenswelt ohne sie romantisch
zu verklaumlren ihren anerkennenden Platz und wird als vollwertiger Lebensabschnitt beachtet Ihre
aumlhnlichen Bildungsansaumltze enthalten vielfaumlltigste Anreize und Formen vernuumlnftiger Bildungsideen
mit ganzheitlichem Menschenbild und echtem Lebensweltbezug Das bedeutet auch fuumlr eine Institu-
tion um mit Ellen Key zu sprechen Bildung vom Kind aus zu denken
Exemplarisch moumlchte ich im Folgenden diese Bildungsvorhaben und ihre fuumlr die Kinder bereiteten
Entwicklungsspielraumlume an Hand der Freien Demokratischen Schulen skizzieren Der Ausgangs-
punkt dieser Schulen ist der Kerngedanke dass sich durch Eigeninitiative selbstverantwortete Bil-
dung und freies Spiel nicht abstoszligend gegenuumlber stehen sondern dass beide den Beduumlrfnissen des
Kindes entspringen und das Kind deshalb je nach seiner Beduumlrfnislage seine Aktivitaumlten diesbezuumlg-
lich selbstorganisiert Zwar sind auch Freie Demokratische Schulen als Institution leider kein wirk-
licher bdquoorganischerldquo Teil der Lebenswelt von Kindern sondern immer nur von auszligen angebotene in-
tentionale Konstrukte die aber in diesem Fall den individuellen Entwicklungsspielraum der Kinder
25
versuchen zu schuumltzen bzw bereitzuhalten Somit wird jedem Kind sein eigener Freiraum der ihm
spontanes freies Spiel ermoumlglicht bereitet ohne es in irgendeiner Form zu verzwecken oder zu ka-
nalisieren Einige Konzepte solcher Schulen greifen auch die Kindheit als gesellschaftlichen Status
hervorbringende Begebenheit auf naumlmlich dass durch die alltaumlgliche Erwerbstaumltigkeit der Erwach-
senen die Kindheit entsteht und zwar als davon getrennter Lebensbereich Verschiedene Versuche
zB durch (Land)Schulheime oder selbst initiierten Lernvereinbarungen zielen darauf ab die ge-
trennten Lebensrealitaumlten von Kindern und Erwachsenen wieder mehr zur Uumlberschneidung zu brin-
gen Die daraus entstehenden freiwilligen Erfahrungspartnerschaften werden eigenverantwortlich
von den Beteiligten (Schuumller und Lehrer) nach ihren Beduumlrfnissen Vorstellungen und Wuumlnschen
gemeinsam gestaltet Es kann also keinen einheitlichen Lehrplan geben und es kann auch keinen
bdquoMethodenkofferldquo als Handreichung des Ministeriums geben der Anwendung finden soll Aber
falls es von den Schuumllern gewuumlnscht wird bzw falls es von ihnen als vernuumlnftig fuumlr die Umsetzung
des Vorhabens angesehen wird kann sich der Lehrer sinnvollerweise durch methodische oder di-
daktische bzw besser mathetische Aufbereitung unterstuumltzend einbringen Die Schuumller entwickeln
also selbst wie sie lernen und was sie lernen Dabei treffen sie nicht maszliggeblich ihre Auswahl aus
bereits bestehenden Angeboten sondern sie koumlnnen ihre Beschaumlftigungs- bzw Lerngebiete voumlllig
frei waumlhlen und initiieren Jede Beschaumlftigung wird dabei als wertvoll und lehrreich erachtet sei es
das Lesen das Experimentieren das freie Spielen oder das Teilnehmen an einem Unterrichtskurs
Die Schuumller entscheiden auch wann sie lernen Sie legen damit den gesamten zeitlichen Rahmen
fest innerhalb dessen sie sich mit ihrem eigenem Lerngebiet beschaumlftigen wollen Dies betrifft die
Tageszeit und den Gesamtzeitraum der Taumltigkeit aber vor allem auch das Alter in dem sie sich ent-
schlieszligen sich mit einer Thematik zu befassen So entschlieszligt sich zB ein neunjaumlhriges Kind Lesen
zu lernen wo ein fuumlnfjaumlhriges bereits damit begonnen hat Dabei waumlre es nicht ungewoumlhnlich dass
diese beiden Leseinteressierten sich zusammenschlieszligen und eine Lerngruppe initiieren um sich
gemeinsam dem Lesen lernen zu widmen Auch liegt es in der Verantwortung der Kinder wie inten-
siv sie sich mit dem gewaumlhlten Thema auseinandersetzen wollen Um all dies zu planen und umset-
zen zu koumlnnen sind die Lehrer wie beratende Helfer kontinuierlich fuumlr die Kinder da und die Kin-
der sind sich nie selbst uumlberlassen Somit schafft das Vertrauen der Lehrer in die Schuumller Vertrauens-
wuumlrdigkeit und die Kinder koumlnnen sich sicher und geborgen fuumlhlen um sich moumlglichst ohne Angst
in dieser Freiheit ganz nach ihren Beduumlrfnissen der Welt zuzuwenden Diesen Freiraum zum Entde-
cken und Spielen bezeichnen die Sudberry- bzw die Demokratischen Schulen als Lernfreiheit und
er ist eine der beiden Grundsaumlulen des Bildungskonzepts Die zweite Saumlule ist von organisatorischer
Natur und konstatiert den Lernort als egalitaumlres System in dem Schuumller und Lehrer in verschiede-
nen Gremien Komitees und Aumlmtern gleiche Einflussmoumlglichkeiten Pflichten sowie Rechte besit-
26
zen (vgl Schiffner 2007 S 8-15)
Peter Gray emeritierter Professor fuumlr Psychologie des Boston College erklaumlrte in einem Vortrag in
Berlin 3122012 die Grundlagen dieses bdquoErziehungsldquo Ansatzes18 Er nennt ihn Vertrauensvolle Er-
ziehung (Trustful Parenting) bdquoVertrauensvolle Erziehung basiert auf der Annahme dass Kinder von
Natur aus widerstandsfaumlhig kompetent sozial und selbstgesteuert sindldquo (Gray 2012 S 1) Daraus
ergibt sich dass Kinder ihrem Beduumlrfnis nach selbst entscheidend entdecken und spielen Es obliegt
ihrer Entscheidung Risiken einzugehen und dabei auch evtl eigene Fehler zu machen Entwick-
lungsvergleiche (auch keine Lernleistungsvergleiche) liegen dieser Ansicht fern Erziehung versucht
demnach Entwicklung nicht zu lenken sondern zu unterstuumltzen sodass Kinder ihre eigenen Ziele
verwirklichen koumlnnen Sie entwickeln dabei Eigeninitiative und uumlbernehmen Selbstverantwortung
in der Gemeinschaft Die Erwachsenen stellen dazu lediglich den aumluszligeren bdquoRahmenldquo her der fuumlr ein
gesundes Heranwachsen erforderlich ist (vgl Grey 2012 S1 ff) Deshalb ist dieser Ansatz auch
nicht als eine vernachlaumlssigende Haltung zum Kind anzusehen sondern ganz im Gegenteil die
bdquoErziehendenldquo senden den Kindern folgende Botschaft
bdquoDu bist kompetent Du hast Augen und ein Gehirn und du bist in der Lage Dinge her-auszufinden Du kennst deine eigenen Faumlhigkeiten und Grenzen Durch Spielen und Er-forschen wirst du dir aneignen was du wissen musst Deine Beduumlrfnisse werden gewuumlr-digt Deine Meinung zaumlhlt Du bist fuumlr deine Fehler selbst verantwortlich und man kanndarauf vertrauen dass du aus ihnen lernst Das Sozialleben zeichnet sich nicht durchWillenskaumlmpfe aus sondern vielmehr dadurch einander so beizustehen dass alle dasbekommen was sie brauchen und sich am meisten wuumlnschen Wir sind auf deiner Seitenicht gegen dichldquo (ders S1)
Interessant finde ich Peter Grays historischen Bezug den er zur Vertrauensvollen Erziehung her-
stellt Er belegt naumlmlich mit verschiedenen wissenschaftlichen Studien zu Jaumlger- und Sammlerkultu-
ren dass dieser Erziehungsstil bis zum Einsetzen der Landwirtschaft (vor ca 10000 Jahren in Asi-
en) der vorherrschende war und dass die Menschheit zu 99 Prozent ihrer gesamten Geschichte (ca 1
Millionen Jahre) Jaumlger und Sammler waren (vgl ders S 1-3)
4 Zusammenfassende Gedanken
Die anfaumlngliche Spielbegriffseingrenzung im ersten Teil dieser Arbeit verdeutlichte dass das Spiel
nicht nur von elementarer Bedeutung fuumlr ein gesundes Aufwachsen fuumlr Koumlrper und Psyche der Kin-
der ist obwohl das freie (Kinder)Spiel die dafuumlr wohl geeignetste Lebenstaumltigkeit darstellt Dem
18 Vgl Gray Peter (2012) Trustful Parenting May Require an Alternative to Conventional Schooling (Vertrauensvol-le Erziehung macht unter Umstaumlnden eine Alternative zum konventionellen Schulsystem noumltig) httpwwwting-schuledeindex_htm_filesPeter20Gray20_20Trustful20parentingpdf (Zugriff 260315)
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natuumlrlichen (Kinder)Spiel als geistig-kreative Weltzuwendung liegen viel urspruumlnglichere Wurzeln
zu Grunde weshalb sich durch freies Spiel die Sinne der Koumlrper und auch der Geist als bdquoNebenef-
fektldquo beilaumlufig bilden und entwickeln Naumlmlich wie das bdquoMenschsein kein Zweck etwa des Lebens
sondern das Leben selbst istldquo (Kamper 1976 S 141) ist das (Kinder)Spiel auch kein findiger
Zweck des Lebendigen sondern gelebte Lebendigkeit und damit zwecklos (vgl ebd) bdquoDarauf und
nur darauf bezieht sich Schillers Wort dass der Mensch nur spielt wo er in voller Bedeutung des
Wortes Mensch ist und nur da ganz Mensch ist wo er spieltldquo (ebd) Somit stellt das Spiel das Prin-
zip des Lebendigen dar dies herauszuarbeiten und phaumlnomenologisch be-greifbar zu machen war
Ziel des ersten Teils dieser Arbeit Ich beabsichtigte darin ein Verstaumlndnis dafuumlr zu bilden dass das
(Kinder)Spiel als Modus von Freiheit im bdquoSpannungsfeld Lebenldquo die Wesenskraumlfte der Evolution
den Zufall die Spontanitaumlt und die Kreativitaumlt als eigene Triebkraumlfte in sich traumlgt und im freien
selbst initiierten Spielgeschehen zur Entfaltung bringt Als dieses Urprinzip ist das freie natuumlrliche
Spiel dem Menschen - homo ludens - und deshalb auch den Kindern ein Beduumlrfnis Deshalb fuumlhrt
durch Spiel gestaltete Zeit als erstrebte wesensgemaumlszlige Taumltigkeit zu Lebenszufriedenheit Und nur
dann traumlgt es seine Potenziale der Sinnesbildung Koumlrperbildung und geistig-seelischen Bildung so-
wie die Moumlglichkeit unvorhersehbarer Emergenzen in sich Und als solcher freier Ausdruck von Le-
bendigkeit ist deshalb Spiel fuumlr ein Kind innerhalb eines erfuumlllten Daseins grundlegend und zu ach-
ten bzw anzuerkennen
Im zweiten Teil wurde einsteigend die im derzeitigen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
vertretene Auffassung von Spiel erlaumlutert und der Plan wurde auf seine moumlgliche politisch- und paumld-
agogisch motivierte Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel untersucht Es konnte dargelegt werden
dass der Spiel(zeit)raum aufgrund des Interessengegensatzes von Kind und Staat kontinuierlich ein-
gekuumlrzt wird und zur zunehmenden Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel fuumlhrt um die politischen
Programme bdquoVerbesserung der Bildungschancenldquo und bdquoChancengleichheitldquo durchzusetzen Die da-
mit verwirklichten politischen Ziele und die Umsetzung einheitlicher Bildungsstandards haben da-
bei einerseits den Zweck die fuumlr die Wirtschaft dienliche und in der Gesellschaft mit Schule durch-
gesetzte Wissenshierachie fortzufuumlhren Und andererseits sollen diese Jahrgangssortierungen durch
internationale Tests wie PISA uauml als Standortfaktor im Wettkampf um Konkurrenzfaumlhigkeit auf ei-
nem globalisierten Markt Wirtschaftsstandort sichernd eingesetzt werden
Die Annahme dass es durch die Einuumlbung von vermeintlichen also dem Zeitgeist entsprechenden
bdquoGrundkompetenzenldquo bzw bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (als Bildungsstandards) zur zunehmenden
Verdraumlngung von freiem Spiel kommt konnte dadurch bestaumlrkt werden dass auf Grundlage eines
verkuumlrzten Spielbegriffes das freie (Kinder)Spiel durch paumldagogisches Einwirken in bdquospielerisches
28
Lernenldquo umfunktionalisiert und dadurch echte Spielzeit zunehmend eingekuumlrzt wird Der Zweck ist
dabei das (Kinder)Spiel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo als bdquoLernmotorldquo der Kinder innerhalb
des bdquoLernfensterdrucksldquo dem Lehrapparat dienstbar zu machen
Im dritten Teil dieser Arbeit wurde anhand der Demokratischen Schulen kurz skizziert wie institu-
tionelle Bildung die freies Spielen wirklich gewaumlhrleistet gelingen kann Leider stehen die Schulen
in freier Traumlgerschaft zu denen die Freien Demokratischen Schulen zaumlhlen in Deutschland vor be-
sonderen behoumlrdlichen Genehmigungsbarrieren und unzureichender oumlffentlicher Finanzierung was
ihre Realisierung maszliggeblich erschwert oder ganz verhindert Auch darin kann eine Verdraumlngung
bzw Verhinderung des freien Spiels gesehen werden
Die Verdraumlngung des freien Kinderspiels ist aus zweierlei Gruumlnden nicht gut zu heiszligen ja sogar ab-
zulehnen ist Erstens ist die im Spiel als Nebenerscheinung enthaltene Einuumlbung von Grund-
kompetenzen von groumlszligter Komplexitaumlt und Vielfalt die selbst neue nicht vorhersagbare Qualitaumlten
hervorbringt die mit den Triebkraumlften der Evolution in Verbindung zu bringen sind (Emergenz)
Deshalb ist es fuumlr einen ganzheitlichen Entwicklungsspielraum der Kinder und im Sinne der Evolu-
tion unvernuumlnftig das Spiel wie im Bildungsplan beschrieben bdquoqualitativ aufzuwertenldquo um ver-
meintliche fuumlr das derzeitige Leben als unverzichtbar angenommene bdquoGrundkompetenzenldquo durch
bdquospielerisches Lernenldquo einzuuumlben Und zweitens ist das Spiel als kreative geistig-emotionale Welt-
zuwendung und damit als wesensgemaumlszlige kreatuumlrliche Taumltigkeit des Menschen den Kindern ein Be-
duumlrfnis und grundlegend fuumlr ihr gesundes Aufwachsen und Lebensgeborgenheit (Lebenszufrieden-
heit) in einem sie wahrhaft erfuumlllenden menschlichen Dasein
Bedenke ich nun die Lebenszeit die auch meine Kinder teilweise schon vor dem ersten Lebensjahr
mit haumlufig acht Stunden taumlglich in Kindertageseinrichtungen (leider nicht in einer Freien Demokra-
tischen Schule mit Primarbereich) verbrachten derzeit verbringen und spaumlter in der Schule bis min-
destens zur Erfuumlllung der Schulpflicht mit etwa 15 Jahren in der Schule verbringen muumlssen bin ich
erschrocken-besorgt und wuumltend wie dem Phaumlnomen des freien natuumlrlichen Kinderspiels und der
Bildung insgesamt im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan begegnet wird Bildung als vorran-
gig politisch-oumlkonomisches Arrangement zu sehen darin das Spiel als List zu benutzen um standar-
disiertes Lernen zu erzielen echte Spielzeit zunehmend zu verkuumlrzen ndash dieses planvolle Vorgehen
der Politik und der beteiligten Paumldagogen stellt eine Missachtung der ihnen anvertrauten Kinder mit
ihren individuellen Wuumlnschen Vorstellungen Beduumlrfnissen und ihrer ganz persoumlnlichen Lebenswelt
dar und ist ein lebensentfremdendes Vorhaben das junge Menschen von einem sie erfuumlllenden gu-
ten Leben trennt
29
Literaturverzeichnis
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Oerter Rolf (2007) Zur Psychologie des Spiels In Psychologie und Gesellschaftskritik 31 4 pp7-32 Online verfuumlgbar URN httpnbn-resolvingdeurnnbnde0168-ssoar-292301
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30
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Internetquellen
emergent In Handwoumlrterbuch Philosophie Hg v Wulff D Rehfus 1 Aufl Vandenhoeck ampRuprecht 2003 Vandenhoeck amp Ruprecht GmbH amp Co KG Goumlttingen Oakville onlineverfuumlgbar UTB-Online-Woumlrterbuch Philosophiehttpwwwphilosophie-woerterbuchdeonline-woerterbuchtx_gbwbphilosophie_main[entry]=269amptx_gbwbphilosophie_main[action]=showamptx_gbwbphilosophie_main[controller]=LexiconampcHash=6a95ca98f823d10266c067f0cde92d51(Zugriff 17215)
Gray Peter (2012) Trustful Parenting May Require an Alternative to Conventional Schooling (Ver-trauensvolle Erziehung macht unter Umstaumlnden eine Alternative zum konventionellenSchulsystem noumltig) Berlin 3122012 httpwwwting-schuledeindex_htm_filesPeter20Gray20_20Trustful20parentingpdf (Zugriff 030215)
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Schiffner Maria (2007) Das Sudbury-Schulen-Konzept Kritik und Chance fuumlr das deutsche Bil-dungssystem Staatsexamensarbeithttpwwwting-schuledeindex_htm_filesStaatsexamensarbeit_M_Schiffner_2007pdf(Zugriff 260315)
31
Eidesstattliche Erklaumlrung
Ich erklaumlre hiermit an Eides Statt durch eigenhaumlndige Unterschrift dass ich die vorliegende Arbeit
selbstaumlndig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe die aus
fremden Quellen (einschlieszliglich elektronischer Quellen und dem Internet) direkt oder indirekt uumlber-
nommenen Gedanken sind ausnahmslos als solche kenntlich gemacht
Ich weiszlig dass bei Abgabe einer falschen Versicherung die Arbeit als nicht bestanden zu gelten hat
Herold 10042015
32
- Die zunehmende Verdraumlngung des freien Kinderspiels
- im Hessischen Bildungsplan
- Einleitung
- 1 Freies Kinderspiel - Wesensmerkmale
-
- 11 Das Moment der Freiheit
- 12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
- 13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
- 14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
- 15 Das Moment der Geschlossenheit
- 16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
- 17 Zusammenfassung
-
- 2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
-
- 21 Das Spielverstaumlndnis
- 22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
- 23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
- 24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
-
- 3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
- 4 Zusammenfassende Gedanken
- Literaturverzeichnis
- Internetquellen
-
entgegen Naumlmlich dass die Wiederholungen der Spielhandlung nicht aus systematischer oder di-
daktischen bdquoAufbereitungldquo erzeugt werden koumlnnen sondern dass sie wie Rolf Oerter in bdquoZur Psy-
chlogie des Spielsldquo beschreibt mit lustvollem Erleben in Verbindung zu bringen sind und demnach
eher dem Lustprinzip folgen als dem rationellem Realitaumltsprinzip (vgl Oerter 2007 S 9 12 14f
18-21)
Einzelne Momente fuumlr bdquospielerisches Lernenldquo zu erzeugen bzw sie diesbezuumlglich abzuwandeln
kann also nicht mehr mit dem natuumlrlichen freiem Spiel in Verbindung gebracht geschweige denn
damit gleichgesetzt werden Das daraus resultierende bdquoSpielenldquo kann demnach auch nicht dem Be-
duumlrfnis oder Drang nach Spiel entsprechen welches Kinder ganz offenkundig haben Das Spiel im
Sinne des Bildungsplanes gleicht in seiner angedachten Form eher bdquodomestiziertenldquo Spiels das in
einzelne Wesensmomente zerrissen ist um als didaktische bdquoListldquo geplant initiiert zu werden Somit
wird durch die verkuumlrzte Auffassung von Spiel als Mittel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo bei
gleichzeitiger Verkuumlrzung echter Spielzeit die zunehmende Verdraumlngung des freien (Kinder)Spiels
im Bildungsplan programmatisch angegangen bzw angeordnet wodurch die dieser Arbeit zugrunde
liegende Annahme bestaumltigt wird
3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
Die Reformpaumldagogik hat zB durch Ellen Key Johann Heinrich Pestalozzi oder Maria Monterssori
Konzepte wie Jena-Plan das der Sudberry Valley School oder der Freien Demokratischen Schulen
inspiriert Innerhalb deren Konzeptionen findet auch die kindliche Lebenswelt ohne sie romantisch
zu verklaumlren ihren anerkennenden Platz und wird als vollwertiger Lebensabschnitt beachtet Ihre
aumlhnlichen Bildungsansaumltze enthalten vielfaumlltigste Anreize und Formen vernuumlnftiger Bildungsideen
mit ganzheitlichem Menschenbild und echtem Lebensweltbezug Das bedeutet auch fuumlr eine Institu-
tion um mit Ellen Key zu sprechen Bildung vom Kind aus zu denken
Exemplarisch moumlchte ich im Folgenden diese Bildungsvorhaben und ihre fuumlr die Kinder bereiteten
Entwicklungsspielraumlume an Hand der Freien Demokratischen Schulen skizzieren Der Ausgangs-
punkt dieser Schulen ist der Kerngedanke dass sich durch Eigeninitiative selbstverantwortete Bil-
dung und freies Spiel nicht abstoszligend gegenuumlber stehen sondern dass beide den Beduumlrfnissen des
Kindes entspringen und das Kind deshalb je nach seiner Beduumlrfnislage seine Aktivitaumlten diesbezuumlg-
lich selbstorganisiert Zwar sind auch Freie Demokratische Schulen als Institution leider kein wirk-
licher bdquoorganischerldquo Teil der Lebenswelt von Kindern sondern immer nur von auszligen angebotene in-
tentionale Konstrukte die aber in diesem Fall den individuellen Entwicklungsspielraum der Kinder
25
versuchen zu schuumltzen bzw bereitzuhalten Somit wird jedem Kind sein eigener Freiraum der ihm
spontanes freies Spiel ermoumlglicht bereitet ohne es in irgendeiner Form zu verzwecken oder zu ka-
nalisieren Einige Konzepte solcher Schulen greifen auch die Kindheit als gesellschaftlichen Status
hervorbringende Begebenheit auf naumlmlich dass durch die alltaumlgliche Erwerbstaumltigkeit der Erwach-
senen die Kindheit entsteht und zwar als davon getrennter Lebensbereich Verschiedene Versuche
zB durch (Land)Schulheime oder selbst initiierten Lernvereinbarungen zielen darauf ab die ge-
trennten Lebensrealitaumlten von Kindern und Erwachsenen wieder mehr zur Uumlberschneidung zu brin-
gen Die daraus entstehenden freiwilligen Erfahrungspartnerschaften werden eigenverantwortlich
von den Beteiligten (Schuumller und Lehrer) nach ihren Beduumlrfnissen Vorstellungen und Wuumlnschen
gemeinsam gestaltet Es kann also keinen einheitlichen Lehrplan geben und es kann auch keinen
bdquoMethodenkofferldquo als Handreichung des Ministeriums geben der Anwendung finden soll Aber
falls es von den Schuumllern gewuumlnscht wird bzw falls es von ihnen als vernuumlnftig fuumlr die Umsetzung
des Vorhabens angesehen wird kann sich der Lehrer sinnvollerweise durch methodische oder di-
daktische bzw besser mathetische Aufbereitung unterstuumltzend einbringen Die Schuumller entwickeln
also selbst wie sie lernen und was sie lernen Dabei treffen sie nicht maszliggeblich ihre Auswahl aus
bereits bestehenden Angeboten sondern sie koumlnnen ihre Beschaumlftigungs- bzw Lerngebiete voumlllig
frei waumlhlen und initiieren Jede Beschaumlftigung wird dabei als wertvoll und lehrreich erachtet sei es
das Lesen das Experimentieren das freie Spielen oder das Teilnehmen an einem Unterrichtskurs
Die Schuumller entscheiden auch wann sie lernen Sie legen damit den gesamten zeitlichen Rahmen
fest innerhalb dessen sie sich mit ihrem eigenem Lerngebiet beschaumlftigen wollen Dies betrifft die
Tageszeit und den Gesamtzeitraum der Taumltigkeit aber vor allem auch das Alter in dem sie sich ent-
schlieszligen sich mit einer Thematik zu befassen So entschlieszligt sich zB ein neunjaumlhriges Kind Lesen
zu lernen wo ein fuumlnfjaumlhriges bereits damit begonnen hat Dabei waumlre es nicht ungewoumlhnlich dass
diese beiden Leseinteressierten sich zusammenschlieszligen und eine Lerngruppe initiieren um sich
gemeinsam dem Lesen lernen zu widmen Auch liegt es in der Verantwortung der Kinder wie inten-
siv sie sich mit dem gewaumlhlten Thema auseinandersetzen wollen Um all dies zu planen und umset-
zen zu koumlnnen sind die Lehrer wie beratende Helfer kontinuierlich fuumlr die Kinder da und die Kin-
der sind sich nie selbst uumlberlassen Somit schafft das Vertrauen der Lehrer in die Schuumller Vertrauens-
wuumlrdigkeit und die Kinder koumlnnen sich sicher und geborgen fuumlhlen um sich moumlglichst ohne Angst
in dieser Freiheit ganz nach ihren Beduumlrfnissen der Welt zuzuwenden Diesen Freiraum zum Entde-
cken und Spielen bezeichnen die Sudberry- bzw die Demokratischen Schulen als Lernfreiheit und
er ist eine der beiden Grundsaumlulen des Bildungskonzepts Die zweite Saumlule ist von organisatorischer
Natur und konstatiert den Lernort als egalitaumlres System in dem Schuumller und Lehrer in verschiede-
nen Gremien Komitees und Aumlmtern gleiche Einflussmoumlglichkeiten Pflichten sowie Rechte besit-
26
zen (vgl Schiffner 2007 S 8-15)
Peter Gray emeritierter Professor fuumlr Psychologie des Boston College erklaumlrte in einem Vortrag in
Berlin 3122012 die Grundlagen dieses bdquoErziehungsldquo Ansatzes18 Er nennt ihn Vertrauensvolle Er-
ziehung (Trustful Parenting) bdquoVertrauensvolle Erziehung basiert auf der Annahme dass Kinder von
Natur aus widerstandsfaumlhig kompetent sozial und selbstgesteuert sindldquo (Gray 2012 S 1) Daraus
ergibt sich dass Kinder ihrem Beduumlrfnis nach selbst entscheidend entdecken und spielen Es obliegt
ihrer Entscheidung Risiken einzugehen und dabei auch evtl eigene Fehler zu machen Entwick-
lungsvergleiche (auch keine Lernleistungsvergleiche) liegen dieser Ansicht fern Erziehung versucht
demnach Entwicklung nicht zu lenken sondern zu unterstuumltzen sodass Kinder ihre eigenen Ziele
verwirklichen koumlnnen Sie entwickeln dabei Eigeninitiative und uumlbernehmen Selbstverantwortung
in der Gemeinschaft Die Erwachsenen stellen dazu lediglich den aumluszligeren bdquoRahmenldquo her der fuumlr ein
gesundes Heranwachsen erforderlich ist (vgl Grey 2012 S1 ff) Deshalb ist dieser Ansatz auch
nicht als eine vernachlaumlssigende Haltung zum Kind anzusehen sondern ganz im Gegenteil die
bdquoErziehendenldquo senden den Kindern folgende Botschaft
bdquoDu bist kompetent Du hast Augen und ein Gehirn und du bist in der Lage Dinge her-auszufinden Du kennst deine eigenen Faumlhigkeiten und Grenzen Durch Spielen und Er-forschen wirst du dir aneignen was du wissen musst Deine Beduumlrfnisse werden gewuumlr-digt Deine Meinung zaumlhlt Du bist fuumlr deine Fehler selbst verantwortlich und man kanndarauf vertrauen dass du aus ihnen lernst Das Sozialleben zeichnet sich nicht durchWillenskaumlmpfe aus sondern vielmehr dadurch einander so beizustehen dass alle dasbekommen was sie brauchen und sich am meisten wuumlnschen Wir sind auf deiner Seitenicht gegen dichldquo (ders S1)
Interessant finde ich Peter Grays historischen Bezug den er zur Vertrauensvollen Erziehung her-
stellt Er belegt naumlmlich mit verschiedenen wissenschaftlichen Studien zu Jaumlger- und Sammlerkultu-
ren dass dieser Erziehungsstil bis zum Einsetzen der Landwirtschaft (vor ca 10000 Jahren in Asi-
en) der vorherrschende war und dass die Menschheit zu 99 Prozent ihrer gesamten Geschichte (ca 1
Millionen Jahre) Jaumlger und Sammler waren (vgl ders S 1-3)
4 Zusammenfassende Gedanken
Die anfaumlngliche Spielbegriffseingrenzung im ersten Teil dieser Arbeit verdeutlichte dass das Spiel
nicht nur von elementarer Bedeutung fuumlr ein gesundes Aufwachsen fuumlr Koumlrper und Psyche der Kin-
der ist obwohl das freie (Kinder)Spiel die dafuumlr wohl geeignetste Lebenstaumltigkeit darstellt Dem
18 Vgl Gray Peter (2012) Trustful Parenting May Require an Alternative to Conventional Schooling (Vertrauensvol-le Erziehung macht unter Umstaumlnden eine Alternative zum konventionellen Schulsystem noumltig) httpwwwting-schuledeindex_htm_filesPeter20Gray20_20Trustful20parentingpdf (Zugriff 260315)
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natuumlrlichen (Kinder)Spiel als geistig-kreative Weltzuwendung liegen viel urspruumlnglichere Wurzeln
zu Grunde weshalb sich durch freies Spiel die Sinne der Koumlrper und auch der Geist als bdquoNebenef-
fektldquo beilaumlufig bilden und entwickeln Naumlmlich wie das bdquoMenschsein kein Zweck etwa des Lebens
sondern das Leben selbst istldquo (Kamper 1976 S 141) ist das (Kinder)Spiel auch kein findiger
Zweck des Lebendigen sondern gelebte Lebendigkeit und damit zwecklos (vgl ebd) bdquoDarauf und
nur darauf bezieht sich Schillers Wort dass der Mensch nur spielt wo er in voller Bedeutung des
Wortes Mensch ist und nur da ganz Mensch ist wo er spieltldquo (ebd) Somit stellt das Spiel das Prin-
zip des Lebendigen dar dies herauszuarbeiten und phaumlnomenologisch be-greifbar zu machen war
Ziel des ersten Teils dieser Arbeit Ich beabsichtigte darin ein Verstaumlndnis dafuumlr zu bilden dass das
(Kinder)Spiel als Modus von Freiheit im bdquoSpannungsfeld Lebenldquo die Wesenskraumlfte der Evolution
den Zufall die Spontanitaumlt und die Kreativitaumlt als eigene Triebkraumlfte in sich traumlgt und im freien
selbst initiierten Spielgeschehen zur Entfaltung bringt Als dieses Urprinzip ist das freie natuumlrliche
Spiel dem Menschen - homo ludens - und deshalb auch den Kindern ein Beduumlrfnis Deshalb fuumlhrt
durch Spiel gestaltete Zeit als erstrebte wesensgemaumlszlige Taumltigkeit zu Lebenszufriedenheit Und nur
dann traumlgt es seine Potenziale der Sinnesbildung Koumlrperbildung und geistig-seelischen Bildung so-
wie die Moumlglichkeit unvorhersehbarer Emergenzen in sich Und als solcher freier Ausdruck von Le-
bendigkeit ist deshalb Spiel fuumlr ein Kind innerhalb eines erfuumlllten Daseins grundlegend und zu ach-
ten bzw anzuerkennen
Im zweiten Teil wurde einsteigend die im derzeitigen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
vertretene Auffassung von Spiel erlaumlutert und der Plan wurde auf seine moumlgliche politisch- und paumld-
agogisch motivierte Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel untersucht Es konnte dargelegt werden
dass der Spiel(zeit)raum aufgrund des Interessengegensatzes von Kind und Staat kontinuierlich ein-
gekuumlrzt wird und zur zunehmenden Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel fuumlhrt um die politischen
Programme bdquoVerbesserung der Bildungschancenldquo und bdquoChancengleichheitldquo durchzusetzen Die da-
mit verwirklichten politischen Ziele und die Umsetzung einheitlicher Bildungsstandards haben da-
bei einerseits den Zweck die fuumlr die Wirtschaft dienliche und in der Gesellschaft mit Schule durch-
gesetzte Wissenshierachie fortzufuumlhren Und andererseits sollen diese Jahrgangssortierungen durch
internationale Tests wie PISA uauml als Standortfaktor im Wettkampf um Konkurrenzfaumlhigkeit auf ei-
nem globalisierten Markt Wirtschaftsstandort sichernd eingesetzt werden
Die Annahme dass es durch die Einuumlbung von vermeintlichen also dem Zeitgeist entsprechenden
bdquoGrundkompetenzenldquo bzw bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (als Bildungsstandards) zur zunehmenden
Verdraumlngung von freiem Spiel kommt konnte dadurch bestaumlrkt werden dass auf Grundlage eines
verkuumlrzten Spielbegriffes das freie (Kinder)Spiel durch paumldagogisches Einwirken in bdquospielerisches
28
Lernenldquo umfunktionalisiert und dadurch echte Spielzeit zunehmend eingekuumlrzt wird Der Zweck ist
dabei das (Kinder)Spiel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo als bdquoLernmotorldquo der Kinder innerhalb
des bdquoLernfensterdrucksldquo dem Lehrapparat dienstbar zu machen
Im dritten Teil dieser Arbeit wurde anhand der Demokratischen Schulen kurz skizziert wie institu-
tionelle Bildung die freies Spielen wirklich gewaumlhrleistet gelingen kann Leider stehen die Schulen
in freier Traumlgerschaft zu denen die Freien Demokratischen Schulen zaumlhlen in Deutschland vor be-
sonderen behoumlrdlichen Genehmigungsbarrieren und unzureichender oumlffentlicher Finanzierung was
ihre Realisierung maszliggeblich erschwert oder ganz verhindert Auch darin kann eine Verdraumlngung
bzw Verhinderung des freien Spiels gesehen werden
Die Verdraumlngung des freien Kinderspiels ist aus zweierlei Gruumlnden nicht gut zu heiszligen ja sogar ab-
zulehnen ist Erstens ist die im Spiel als Nebenerscheinung enthaltene Einuumlbung von Grund-
kompetenzen von groumlszligter Komplexitaumlt und Vielfalt die selbst neue nicht vorhersagbare Qualitaumlten
hervorbringt die mit den Triebkraumlften der Evolution in Verbindung zu bringen sind (Emergenz)
Deshalb ist es fuumlr einen ganzheitlichen Entwicklungsspielraum der Kinder und im Sinne der Evolu-
tion unvernuumlnftig das Spiel wie im Bildungsplan beschrieben bdquoqualitativ aufzuwertenldquo um ver-
meintliche fuumlr das derzeitige Leben als unverzichtbar angenommene bdquoGrundkompetenzenldquo durch
bdquospielerisches Lernenldquo einzuuumlben Und zweitens ist das Spiel als kreative geistig-emotionale Welt-
zuwendung und damit als wesensgemaumlszlige kreatuumlrliche Taumltigkeit des Menschen den Kindern ein Be-
duumlrfnis und grundlegend fuumlr ihr gesundes Aufwachsen und Lebensgeborgenheit (Lebenszufrieden-
heit) in einem sie wahrhaft erfuumlllenden menschlichen Dasein
Bedenke ich nun die Lebenszeit die auch meine Kinder teilweise schon vor dem ersten Lebensjahr
mit haumlufig acht Stunden taumlglich in Kindertageseinrichtungen (leider nicht in einer Freien Demokra-
tischen Schule mit Primarbereich) verbrachten derzeit verbringen und spaumlter in der Schule bis min-
destens zur Erfuumlllung der Schulpflicht mit etwa 15 Jahren in der Schule verbringen muumlssen bin ich
erschrocken-besorgt und wuumltend wie dem Phaumlnomen des freien natuumlrlichen Kinderspiels und der
Bildung insgesamt im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan begegnet wird Bildung als vorran-
gig politisch-oumlkonomisches Arrangement zu sehen darin das Spiel als List zu benutzen um standar-
disiertes Lernen zu erzielen echte Spielzeit zunehmend zu verkuumlrzen ndash dieses planvolle Vorgehen
der Politik und der beteiligten Paumldagogen stellt eine Missachtung der ihnen anvertrauten Kinder mit
ihren individuellen Wuumlnschen Vorstellungen Beduumlrfnissen und ihrer ganz persoumlnlichen Lebenswelt
dar und ist ein lebensentfremdendes Vorhaben das junge Menschen von einem sie erfuumlllenden gu-
ten Leben trennt
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Literaturverzeichnis
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Kamper Dietmar (1976) Spiel als Metapher des Lebens In Bayerische Akademie der SchoumlnenKuumlnste (Hg) Der Mensch und das Spiel in der verplanten Welt Muumlnchen Deutscher Ta-schenbuch Verlag S 130-145
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Nuumlberlin Gerda (2002) Selbstkonzepte Jugendlicher und schulische Notenkonkurrenz Zur Entste-hung von Selbstbildern Jugendlicher als kreative Anpassungsreaktionen auf schulischeAnomien Herbolzheim Centaurus-Verl (Zugl Vechta Univ Diss 2001) Online verfuumlg-bar URN httpnbn-resolvingdeurnnbnde0111-opus-30335
Oerter Rolf (2007) Zur Psychologie des Spiels In Psychologie und Gesellschaftskritik 31 4 pp7-32 Online verfuumlgbar URN httpnbn-resolvingdeurnnbnde0168-ssoar-292301
Portmann Adolf (1976) Das Spiel als gestaltete Zeit In Bayerische Akademie der SchoumlnenKuumlnste Muumlnchen (Hg) Der Mensch und das Spiel in der verplanten Welt Muumlnchen Deut-scher Taschenbuch Verlag S 58-72
Scheuerl Hans (1988) Alte und neue Spieltheorien Wandlung ihrer paumldagogischen Interessen undPerspektiven In Flitner Andreas (1988) Das Kinderspiel Texte Muumlnchen und Zuumlrich Pi-per Verlag S 32-52
Scheuerl Hans (Hg) (1990) Das Spiel - Untersuchung uumlber sein Wesen seine paumldagogischenMoumlglichkeiten und Grenzen 11 Aufl Weinheim und Basel Beltz Verlag
30
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Internetquellen
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Gray Peter (2012) Trustful Parenting May Require an Alternative to Conventional Schooling (Ver-trauensvolle Erziehung macht unter Umstaumlnden eine Alternative zum konventionellenSchulsystem noumltig) Berlin 3122012 httpwwwting-schuledeindex_htm_filesPeter20Gray20_20Trustful20parentingpdf (Zugriff 030215)
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Oerter Rolf (2007) Zur Psychologie des Spiels In Psychologie und Gesellschaftskritik 31 4 pp7-32 Online verfuumlgbar URN httpnbn-resolvingdeurnnbnde0168-ssoar-292301
Schiffner Maria (2007) Das Sudbury-Schulen-Konzept Kritik und Chance fuumlr das deutsche Bil-dungssystem Staatsexamensarbeithttpwwwting-schuledeindex_htm_filesStaatsexamensarbeit_M_Schiffner_2007pdf(Zugriff 260315)
31
Eidesstattliche Erklaumlrung
Ich erklaumlre hiermit an Eides Statt durch eigenhaumlndige Unterschrift dass ich die vorliegende Arbeit
selbstaumlndig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe die aus
fremden Quellen (einschlieszliglich elektronischer Quellen und dem Internet) direkt oder indirekt uumlber-
nommenen Gedanken sind ausnahmslos als solche kenntlich gemacht
Ich weiszlig dass bei Abgabe einer falschen Versicherung die Arbeit als nicht bestanden zu gelten hat
Herold 10042015
32
- Die zunehmende Verdraumlngung des freien Kinderspiels
- im Hessischen Bildungsplan
- Einleitung
- 1 Freies Kinderspiel - Wesensmerkmale
-
- 11 Das Moment der Freiheit
- 12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
- 13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
- 14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
- 15 Das Moment der Geschlossenheit
- 16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
- 17 Zusammenfassung
-
- 2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
-
- 21 Das Spielverstaumlndnis
- 22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
- 23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
- 24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
-
- 3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
- 4 Zusammenfassende Gedanken
- Literaturverzeichnis
- Internetquellen
-
versuchen zu schuumltzen bzw bereitzuhalten Somit wird jedem Kind sein eigener Freiraum der ihm
spontanes freies Spiel ermoumlglicht bereitet ohne es in irgendeiner Form zu verzwecken oder zu ka-
nalisieren Einige Konzepte solcher Schulen greifen auch die Kindheit als gesellschaftlichen Status
hervorbringende Begebenheit auf naumlmlich dass durch die alltaumlgliche Erwerbstaumltigkeit der Erwach-
senen die Kindheit entsteht und zwar als davon getrennter Lebensbereich Verschiedene Versuche
zB durch (Land)Schulheime oder selbst initiierten Lernvereinbarungen zielen darauf ab die ge-
trennten Lebensrealitaumlten von Kindern und Erwachsenen wieder mehr zur Uumlberschneidung zu brin-
gen Die daraus entstehenden freiwilligen Erfahrungspartnerschaften werden eigenverantwortlich
von den Beteiligten (Schuumller und Lehrer) nach ihren Beduumlrfnissen Vorstellungen und Wuumlnschen
gemeinsam gestaltet Es kann also keinen einheitlichen Lehrplan geben und es kann auch keinen
bdquoMethodenkofferldquo als Handreichung des Ministeriums geben der Anwendung finden soll Aber
falls es von den Schuumllern gewuumlnscht wird bzw falls es von ihnen als vernuumlnftig fuumlr die Umsetzung
des Vorhabens angesehen wird kann sich der Lehrer sinnvollerweise durch methodische oder di-
daktische bzw besser mathetische Aufbereitung unterstuumltzend einbringen Die Schuumller entwickeln
also selbst wie sie lernen und was sie lernen Dabei treffen sie nicht maszliggeblich ihre Auswahl aus
bereits bestehenden Angeboten sondern sie koumlnnen ihre Beschaumlftigungs- bzw Lerngebiete voumlllig
frei waumlhlen und initiieren Jede Beschaumlftigung wird dabei als wertvoll und lehrreich erachtet sei es
das Lesen das Experimentieren das freie Spielen oder das Teilnehmen an einem Unterrichtskurs
Die Schuumller entscheiden auch wann sie lernen Sie legen damit den gesamten zeitlichen Rahmen
fest innerhalb dessen sie sich mit ihrem eigenem Lerngebiet beschaumlftigen wollen Dies betrifft die
Tageszeit und den Gesamtzeitraum der Taumltigkeit aber vor allem auch das Alter in dem sie sich ent-
schlieszligen sich mit einer Thematik zu befassen So entschlieszligt sich zB ein neunjaumlhriges Kind Lesen
zu lernen wo ein fuumlnfjaumlhriges bereits damit begonnen hat Dabei waumlre es nicht ungewoumlhnlich dass
diese beiden Leseinteressierten sich zusammenschlieszligen und eine Lerngruppe initiieren um sich
gemeinsam dem Lesen lernen zu widmen Auch liegt es in der Verantwortung der Kinder wie inten-
siv sie sich mit dem gewaumlhlten Thema auseinandersetzen wollen Um all dies zu planen und umset-
zen zu koumlnnen sind die Lehrer wie beratende Helfer kontinuierlich fuumlr die Kinder da und die Kin-
der sind sich nie selbst uumlberlassen Somit schafft das Vertrauen der Lehrer in die Schuumller Vertrauens-
wuumlrdigkeit und die Kinder koumlnnen sich sicher und geborgen fuumlhlen um sich moumlglichst ohne Angst
in dieser Freiheit ganz nach ihren Beduumlrfnissen der Welt zuzuwenden Diesen Freiraum zum Entde-
cken und Spielen bezeichnen die Sudberry- bzw die Demokratischen Schulen als Lernfreiheit und
er ist eine der beiden Grundsaumlulen des Bildungskonzepts Die zweite Saumlule ist von organisatorischer
Natur und konstatiert den Lernort als egalitaumlres System in dem Schuumller und Lehrer in verschiede-
nen Gremien Komitees und Aumlmtern gleiche Einflussmoumlglichkeiten Pflichten sowie Rechte besit-
26
zen (vgl Schiffner 2007 S 8-15)
Peter Gray emeritierter Professor fuumlr Psychologie des Boston College erklaumlrte in einem Vortrag in
Berlin 3122012 die Grundlagen dieses bdquoErziehungsldquo Ansatzes18 Er nennt ihn Vertrauensvolle Er-
ziehung (Trustful Parenting) bdquoVertrauensvolle Erziehung basiert auf der Annahme dass Kinder von
Natur aus widerstandsfaumlhig kompetent sozial und selbstgesteuert sindldquo (Gray 2012 S 1) Daraus
ergibt sich dass Kinder ihrem Beduumlrfnis nach selbst entscheidend entdecken und spielen Es obliegt
ihrer Entscheidung Risiken einzugehen und dabei auch evtl eigene Fehler zu machen Entwick-
lungsvergleiche (auch keine Lernleistungsvergleiche) liegen dieser Ansicht fern Erziehung versucht
demnach Entwicklung nicht zu lenken sondern zu unterstuumltzen sodass Kinder ihre eigenen Ziele
verwirklichen koumlnnen Sie entwickeln dabei Eigeninitiative und uumlbernehmen Selbstverantwortung
in der Gemeinschaft Die Erwachsenen stellen dazu lediglich den aumluszligeren bdquoRahmenldquo her der fuumlr ein
gesundes Heranwachsen erforderlich ist (vgl Grey 2012 S1 ff) Deshalb ist dieser Ansatz auch
nicht als eine vernachlaumlssigende Haltung zum Kind anzusehen sondern ganz im Gegenteil die
bdquoErziehendenldquo senden den Kindern folgende Botschaft
bdquoDu bist kompetent Du hast Augen und ein Gehirn und du bist in der Lage Dinge her-auszufinden Du kennst deine eigenen Faumlhigkeiten und Grenzen Durch Spielen und Er-forschen wirst du dir aneignen was du wissen musst Deine Beduumlrfnisse werden gewuumlr-digt Deine Meinung zaumlhlt Du bist fuumlr deine Fehler selbst verantwortlich und man kanndarauf vertrauen dass du aus ihnen lernst Das Sozialleben zeichnet sich nicht durchWillenskaumlmpfe aus sondern vielmehr dadurch einander so beizustehen dass alle dasbekommen was sie brauchen und sich am meisten wuumlnschen Wir sind auf deiner Seitenicht gegen dichldquo (ders S1)
Interessant finde ich Peter Grays historischen Bezug den er zur Vertrauensvollen Erziehung her-
stellt Er belegt naumlmlich mit verschiedenen wissenschaftlichen Studien zu Jaumlger- und Sammlerkultu-
ren dass dieser Erziehungsstil bis zum Einsetzen der Landwirtschaft (vor ca 10000 Jahren in Asi-
en) der vorherrschende war und dass die Menschheit zu 99 Prozent ihrer gesamten Geschichte (ca 1
Millionen Jahre) Jaumlger und Sammler waren (vgl ders S 1-3)
4 Zusammenfassende Gedanken
Die anfaumlngliche Spielbegriffseingrenzung im ersten Teil dieser Arbeit verdeutlichte dass das Spiel
nicht nur von elementarer Bedeutung fuumlr ein gesundes Aufwachsen fuumlr Koumlrper und Psyche der Kin-
der ist obwohl das freie (Kinder)Spiel die dafuumlr wohl geeignetste Lebenstaumltigkeit darstellt Dem
18 Vgl Gray Peter (2012) Trustful Parenting May Require an Alternative to Conventional Schooling (Vertrauensvol-le Erziehung macht unter Umstaumlnden eine Alternative zum konventionellen Schulsystem noumltig) httpwwwting-schuledeindex_htm_filesPeter20Gray20_20Trustful20parentingpdf (Zugriff 260315)
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natuumlrlichen (Kinder)Spiel als geistig-kreative Weltzuwendung liegen viel urspruumlnglichere Wurzeln
zu Grunde weshalb sich durch freies Spiel die Sinne der Koumlrper und auch der Geist als bdquoNebenef-
fektldquo beilaumlufig bilden und entwickeln Naumlmlich wie das bdquoMenschsein kein Zweck etwa des Lebens
sondern das Leben selbst istldquo (Kamper 1976 S 141) ist das (Kinder)Spiel auch kein findiger
Zweck des Lebendigen sondern gelebte Lebendigkeit und damit zwecklos (vgl ebd) bdquoDarauf und
nur darauf bezieht sich Schillers Wort dass der Mensch nur spielt wo er in voller Bedeutung des
Wortes Mensch ist und nur da ganz Mensch ist wo er spieltldquo (ebd) Somit stellt das Spiel das Prin-
zip des Lebendigen dar dies herauszuarbeiten und phaumlnomenologisch be-greifbar zu machen war
Ziel des ersten Teils dieser Arbeit Ich beabsichtigte darin ein Verstaumlndnis dafuumlr zu bilden dass das
(Kinder)Spiel als Modus von Freiheit im bdquoSpannungsfeld Lebenldquo die Wesenskraumlfte der Evolution
den Zufall die Spontanitaumlt und die Kreativitaumlt als eigene Triebkraumlfte in sich traumlgt und im freien
selbst initiierten Spielgeschehen zur Entfaltung bringt Als dieses Urprinzip ist das freie natuumlrliche
Spiel dem Menschen - homo ludens - und deshalb auch den Kindern ein Beduumlrfnis Deshalb fuumlhrt
durch Spiel gestaltete Zeit als erstrebte wesensgemaumlszlige Taumltigkeit zu Lebenszufriedenheit Und nur
dann traumlgt es seine Potenziale der Sinnesbildung Koumlrperbildung und geistig-seelischen Bildung so-
wie die Moumlglichkeit unvorhersehbarer Emergenzen in sich Und als solcher freier Ausdruck von Le-
bendigkeit ist deshalb Spiel fuumlr ein Kind innerhalb eines erfuumlllten Daseins grundlegend und zu ach-
ten bzw anzuerkennen
Im zweiten Teil wurde einsteigend die im derzeitigen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
vertretene Auffassung von Spiel erlaumlutert und der Plan wurde auf seine moumlgliche politisch- und paumld-
agogisch motivierte Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel untersucht Es konnte dargelegt werden
dass der Spiel(zeit)raum aufgrund des Interessengegensatzes von Kind und Staat kontinuierlich ein-
gekuumlrzt wird und zur zunehmenden Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel fuumlhrt um die politischen
Programme bdquoVerbesserung der Bildungschancenldquo und bdquoChancengleichheitldquo durchzusetzen Die da-
mit verwirklichten politischen Ziele und die Umsetzung einheitlicher Bildungsstandards haben da-
bei einerseits den Zweck die fuumlr die Wirtschaft dienliche und in der Gesellschaft mit Schule durch-
gesetzte Wissenshierachie fortzufuumlhren Und andererseits sollen diese Jahrgangssortierungen durch
internationale Tests wie PISA uauml als Standortfaktor im Wettkampf um Konkurrenzfaumlhigkeit auf ei-
nem globalisierten Markt Wirtschaftsstandort sichernd eingesetzt werden
Die Annahme dass es durch die Einuumlbung von vermeintlichen also dem Zeitgeist entsprechenden
bdquoGrundkompetenzenldquo bzw bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (als Bildungsstandards) zur zunehmenden
Verdraumlngung von freiem Spiel kommt konnte dadurch bestaumlrkt werden dass auf Grundlage eines
verkuumlrzten Spielbegriffes das freie (Kinder)Spiel durch paumldagogisches Einwirken in bdquospielerisches
28
Lernenldquo umfunktionalisiert und dadurch echte Spielzeit zunehmend eingekuumlrzt wird Der Zweck ist
dabei das (Kinder)Spiel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo als bdquoLernmotorldquo der Kinder innerhalb
des bdquoLernfensterdrucksldquo dem Lehrapparat dienstbar zu machen
Im dritten Teil dieser Arbeit wurde anhand der Demokratischen Schulen kurz skizziert wie institu-
tionelle Bildung die freies Spielen wirklich gewaumlhrleistet gelingen kann Leider stehen die Schulen
in freier Traumlgerschaft zu denen die Freien Demokratischen Schulen zaumlhlen in Deutschland vor be-
sonderen behoumlrdlichen Genehmigungsbarrieren und unzureichender oumlffentlicher Finanzierung was
ihre Realisierung maszliggeblich erschwert oder ganz verhindert Auch darin kann eine Verdraumlngung
bzw Verhinderung des freien Spiels gesehen werden
Die Verdraumlngung des freien Kinderspiels ist aus zweierlei Gruumlnden nicht gut zu heiszligen ja sogar ab-
zulehnen ist Erstens ist die im Spiel als Nebenerscheinung enthaltene Einuumlbung von Grund-
kompetenzen von groumlszligter Komplexitaumlt und Vielfalt die selbst neue nicht vorhersagbare Qualitaumlten
hervorbringt die mit den Triebkraumlften der Evolution in Verbindung zu bringen sind (Emergenz)
Deshalb ist es fuumlr einen ganzheitlichen Entwicklungsspielraum der Kinder und im Sinne der Evolu-
tion unvernuumlnftig das Spiel wie im Bildungsplan beschrieben bdquoqualitativ aufzuwertenldquo um ver-
meintliche fuumlr das derzeitige Leben als unverzichtbar angenommene bdquoGrundkompetenzenldquo durch
bdquospielerisches Lernenldquo einzuuumlben Und zweitens ist das Spiel als kreative geistig-emotionale Welt-
zuwendung und damit als wesensgemaumlszlige kreatuumlrliche Taumltigkeit des Menschen den Kindern ein Be-
duumlrfnis und grundlegend fuumlr ihr gesundes Aufwachsen und Lebensgeborgenheit (Lebenszufrieden-
heit) in einem sie wahrhaft erfuumlllenden menschlichen Dasein
Bedenke ich nun die Lebenszeit die auch meine Kinder teilweise schon vor dem ersten Lebensjahr
mit haumlufig acht Stunden taumlglich in Kindertageseinrichtungen (leider nicht in einer Freien Demokra-
tischen Schule mit Primarbereich) verbrachten derzeit verbringen und spaumlter in der Schule bis min-
destens zur Erfuumlllung der Schulpflicht mit etwa 15 Jahren in der Schule verbringen muumlssen bin ich
erschrocken-besorgt und wuumltend wie dem Phaumlnomen des freien natuumlrlichen Kinderspiels und der
Bildung insgesamt im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan begegnet wird Bildung als vorran-
gig politisch-oumlkonomisches Arrangement zu sehen darin das Spiel als List zu benutzen um standar-
disiertes Lernen zu erzielen echte Spielzeit zunehmend zu verkuumlrzen ndash dieses planvolle Vorgehen
der Politik und der beteiligten Paumldagogen stellt eine Missachtung der ihnen anvertrauten Kinder mit
ihren individuellen Wuumlnschen Vorstellungen Beduumlrfnissen und ihrer ganz persoumlnlichen Lebenswelt
dar und ist ein lebensentfremdendes Vorhaben das junge Menschen von einem sie erfuumlllenden gu-
ten Leben trennt
29
Literaturverzeichnis
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Nuumlberlin Gerda (2002) Selbstkonzepte Jugendlicher und schulische Notenkonkurrenz Zur Entste-hung von Selbstbildern Jugendlicher als kreative Anpassungsreaktionen auf schulischeAnomien Herbolzheim Centaurus-Verl (Zugl Vechta Univ Diss 2001) Online verfuumlg-bar URN httpnbn-resolvingdeurnnbnde0111-opus-30335
Oerter Rolf (2007) Zur Psychologie des Spiels In Psychologie und Gesellschaftskritik 31 4 pp7-32 Online verfuumlgbar URN httpnbn-resolvingdeurnnbnde0168-ssoar-292301
Schiffner Maria (2007) Das Sudbury-Schulen-Konzept Kritik und Chance fuumlr das deutsche Bil-dungssystem Staatsexamensarbeithttpwwwting-schuledeindex_htm_filesStaatsexamensarbeit_M_Schiffner_2007pdf(Zugriff 260315)
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Eidesstattliche Erklaumlrung
Ich erklaumlre hiermit an Eides Statt durch eigenhaumlndige Unterschrift dass ich die vorliegende Arbeit
selbstaumlndig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe die aus
fremden Quellen (einschlieszliglich elektronischer Quellen und dem Internet) direkt oder indirekt uumlber-
nommenen Gedanken sind ausnahmslos als solche kenntlich gemacht
Ich weiszlig dass bei Abgabe einer falschen Versicherung die Arbeit als nicht bestanden zu gelten hat
Herold 10042015
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- Die zunehmende Verdraumlngung des freien Kinderspiels
- im Hessischen Bildungsplan
- Einleitung
- 1 Freies Kinderspiel - Wesensmerkmale
-
- 11 Das Moment der Freiheit
- 12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
- 13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
- 14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
- 15 Das Moment der Geschlossenheit
- 16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
- 17 Zusammenfassung
-
- 2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
-
- 21 Das Spielverstaumlndnis
- 22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
- 23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
- 24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
-
- 3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
- 4 Zusammenfassende Gedanken
- Literaturverzeichnis
- Internetquellen
-
zen (vgl Schiffner 2007 S 8-15)
Peter Gray emeritierter Professor fuumlr Psychologie des Boston College erklaumlrte in einem Vortrag in
Berlin 3122012 die Grundlagen dieses bdquoErziehungsldquo Ansatzes18 Er nennt ihn Vertrauensvolle Er-
ziehung (Trustful Parenting) bdquoVertrauensvolle Erziehung basiert auf der Annahme dass Kinder von
Natur aus widerstandsfaumlhig kompetent sozial und selbstgesteuert sindldquo (Gray 2012 S 1) Daraus
ergibt sich dass Kinder ihrem Beduumlrfnis nach selbst entscheidend entdecken und spielen Es obliegt
ihrer Entscheidung Risiken einzugehen und dabei auch evtl eigene Fehler zu machen Entwick-
lungsvergleiche (auch keine Lernleistungsvergleiche) liegen dieser Ansicht fern Erziehung versucht
demnach Entwicklung nicht zu lenken sondern zu unterstuumltzen sodass Kinder ihre eigenen Ziele
verwirklichen koumlnnen Sie entwickeln dabei Eigeninitiative und uumlbernehmen Selbstverantwortung
in der Gemeinschaft Die Erwachsenen stellen dazu lediglich den aumluszligeren bdquoRahmenldquo her der fuumlr ein
gesundes Heranwachsen erforderlich ist (vgl Grey 2012 S1 ff) Deshalb ist dieser Ansatz auch
nicht als eine vernachlaumlssigende Haltung zum Kind anzusehen sondern ganz im Gegenteil die
bdquoErziehendenldquo senden den Kindern folgende Botschaft
bdquoDu bist kompetent Du hast Augen und ein Gehirn und du bist in der Lage Dinge her-auszufinden Du kennst deine eigenen Faumlhigkeiten und Grenzen Durch Spielen und Er-forschen wirst du dir aneignen was du wissen musst Deine Beduumlrfnisse werden gewuumlr-digt Deine Meinung zaumlhlt Du bist fuumlr deine Fehler selbst verantwortlich und man kanndarauf vertrauen dass du aus ihnen lernst Das Sozialleben zeichnet sich nicht durchWillenskaumlmpfe aus sondern vielmehr dadurch einander so beizustehen dass alle dasbekommen was sie brauchen und sich am meisten wuumlnschen Wir sind auf deiner Seitenicht gegen dichldquo (ders S1)
Interessant finde ich Peter Grays historischen Bezug den er zur Vertrauensvollen Erziehung her-
stellt Er belegt naumlmlich mit verschiedenen wissenschaftlichen Studien zu Jaumlger- und Sammlerkultu-
ren dass dieser Erziehungsstil bis zum Einsetzen der Landwirtschaft (vor ca 10000 Jahren in Asi-
en) der vorherrschende war und dass die Menschheit zu 99 Prozent ihrer gesamten Geschichte (ca 1
Millionen Jahre) Jaumlger und Sammler waren (vgl ders S 1-3)
4 Zusammenfassende Gedanken
Die anfaumlngliche Spielbegriffseingrenzung im ersten Teil dieser Arbeit verdeutlichte dass das Spiel
nicht nur von elementarer Bedeutung fuumlr ein gesundes Aufwachsen fuumlr Koumlrper und Psyche der Kin-
der ist obwohl das freie (Kinder)Spiel die dafuumlr wohl geeignetste Lebenstaumltigkeit darstellt Dem
18 Vgl Gray Peter (2012) Trustful Parenting May Require an Alternative to Conventional Schooling (Vertrauensvol-le Erziehung macht unter Umstaumlnden eine Alternative zum konventionellen Schulsystem noumltig) httpwwwting-schuledeindex_htm_filesPeter20Gray20_20Trustful20parentingpdf (Zugriff 260315)
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natuumlrlichen (Kinder)Spiel als geistig-kreative Weltzuwendung liegen viel urspruumlnglichere Wurzeln
zu Grunde weshalb sich durch freies Spiel die Sinne der Koumlrper und auch der Geist als bdquoNebenef-
fektldquo beilaumlufig bilden und entwickeln Naumlmlich wie das bdquoMenschsein kein Zweck etwa des Lebens
sondern das Leben selbst istldquo (Kamper 1976 S 141) ist das (Kinder)Spiel auch kein findiger
Zweck des Lebendigen sondern gelebte Lebendigkeit und damit zwecklos (vgl ebd) bdquoDarauf und
nur darauf bezieht sich Schillers Wort dass der Mensch nur spielt wo er in voller Bedeutung des
Wortes Mensch ist und nur da ganz Mensch ist wo er spieltldquo (ebd) Somit stellt das Spiel das Prin-
zip des Lebendigen dar dies herauszuarbeiten und phaumlnomenologisch be-greifbar zu machen war
Ziel des ersten Teils dieser Arbeit Ich beabsichtigte darin ein Verstaumlndnis dafuumlr zu bilden dass das
(Kinder)Spiel als Modus von Freiheit im bdquoSpannungsfeld Lebenldquo die Wesenskraumlfte der Evolution
den Zufall die Spontanitaumlt und die Kreativitaumlt als eigene Triebkraumlfte in sich traumlgt und im freien
selbst initiierten Spielgeschehen zur Entfaltung bringt Als dieses Urprinzip ist das freie natuumlrliche
Spiel dem Menschen - homo ludens - und deshalb auch den Kindern ein Beduumlrfnis Deshalb fuumlhrt
durch Spiel gestaltete Zeit als erstrebte wesensgemaumlszlige Taumltigkeit zu Lebenszufriedenheit Und nur
dann traumlgt es seine Potenziale der Sinnesbildung Koumlrperbildung und geistig-seelischen Bildung so-
wie die Moumlglichkeit unvorhersehbarer Emergenzen in sich Und als solcher freier Ausdruck von Le-
bendigkeit ist deshalb Spiel fuumlr ein Kind innerhalb eines erfuumlllten Daseins grundlegend und zu ach-
ten bzw anzuerkennen
Im zweiten Teil wurde einsteigend die im derzeitigen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
vertretene Auffassung von Spiel erlaumlutert und der Plan wurde auf seine moumlgliche politisch- und paumld-
agogisch motivierte Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel untersucht Es konnte dargelegt werden
dass der Spiel(zeit)raum aufgrund des Interessengegensatzes von Kind und Staat kontinuierlich ein-
gekuumlrzt wird und zur zunehmenden Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel fuumlhrt um die politischen
Programme bdquoVerbesserung der Bildungschancenldquo und bdquoChancengleichheitldquo durchzusetzen Die da-
mit verwirklichten politischen Ziele und die Umsetzung einheitlicher Bildungsstandards haben da-
bei einerseits den Zweck die fuumlr die Wirtschaft dienliche und in der Gesellschaft mit Schule durch-
gesetzte Wissenshierachie fortzufuumlhren Und andererseits sollen diese Jahrgangssortierungen durch
internationale Tests wie PISA uauml als Standortfaktor im Wettkampf um Konkurrenzfaumlhigkeit auf ei-
nem globalisierten Markt Wirtschaftsstandort sichernd eingesetzt werden
Die Annahme dass es durch die Einuumlbung von vermeintlichen also dem Zeitgeist entsprechenden
bdquoGrundkompetenzenldquo bzw bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (als Bildungsstandards) zur zunehmenden
Verdraumlngung von freiem Spiel kommt konnte dadurch bestaumlrkt werden dass auf Grundlage eines
verkuumlrzten Spielbegriffes das freie (Kinder)Spiel durch paumldagogisches Einwirken in bdquospielerisches
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Lernenldquo umfunktionalisiert und dadurch echte Spielzeit zunehmend eingekuumlrzt wird Der Zweck ist
dabei das (Kinder)Spiel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo als bdquoLernmotorldquo der Kinder innerhalb
des bdquoLernfensterdrucksldquo dem Lehrapparat dienstbar zu machen
Im dritten Teil dieser Arbeit wurde anhand der Demokratischen Schulen kurz skizziert wie institu-
tionelle Bildung die freies Spielen wirklich gewaumlhrleistet gelingen kann Leider stehen die Schulen
in freier Traumlgerschaft zu denen die Freien Demokratischen Schulen zaumlhlen in Deutschland vor be-
sonderen behoumlrdlichen Genehmigungsbarrieren und unzureichender oumlffentlicher Finanzierung was
ihre Realisierung maszliggeblich erschwert oder ganz verhindert Auch darin kann eine Verdraumlngung
bzw Verhinderung des freien Spiels gesehen werden
Die Verdraumlngung des freien Kinderspiels ist aus zweierlei Gruumlnden nicht gut zu heiszligen ja sogar ab-
zulehnen ist Erstens ist die im Spiel als Nebenerscheinung enthaltene Einuumlbung von Grund-
kompetenzen von groumlszligter Komplexitaumlt und Vielfalt die selbst neue nicht vorhersagbare Qualitaumlten
hervorbringt die mit den Triebkraumlften der Evolution in Verbindung zu bringen sind (Emergenz)
Deshalb ist es fuumlr einen ganzheitlichen Entwicklungsspielraum der Kinder und im Sinne der Evolu-
tion unvernuumlnftig das Spiel wie im Bildungsplan beschrieben bdquoqualitativ aufzuwertenldquo um ver-
meintliche fuumlr das derzeitige Leben als unverzichtbar angenommene bdquoGrundkompetenzenldquo durch
bdquospielerisches Lernenldquo einzuuumlben Und zweitens ist das Spiel als kreative geistig-emotionale Welt-
zuwendung und damit als wesensgemaumlszlige kreatuumlrliche Taumltigkeit des Menschen den Kindern ein Be-
duumlrfnis und grundlegend fuumlr ihr gesundes Aufwachsen und Lebensgeborgenheit (Lebenszufrieden-
heit) in einem sie wahrhaft erfuumlllenden menschlichen Dasein
Bedenke ich nun die Lebenszeit die auch meine Kinder teilweise schon vor dem ersten Lebensjahr
mit haumlufig acht Stunden taumlglich in Kindertageseinrichtungen (leider nicht in einer Freien Demokra-
tischen Schule mit Primarbereich) verbrachten derzeit verbringen und spaumlter in der Schule bis min-
destens zur Erfuumlllung der Schulpflicht mit etwa 15 Jahren in der Schule verbringen muumlssen bin ich
erschrocken-besorgt und wuumltend wie dem Phaumlnomen des freien natuumlrlichen Kinderspiels und der
Bildung insgesamt im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan begegnet wird Bildung als vorran-
gig politisch-oumlkonomisches Arrangement zu sehen darin das Spiel als List zu benutzen um standar-
disiertes Lernen zu erzielen echte Spielzeit zunehmend zu verkuumlrzen ndash dieses planvolle Vorgehen
der Politik und der beteiligten Paumldagogen stellt eine Missachtung der ihnen anvertrauten Kinder mit
ihren individuellen Wuumlnschen Vorstellungen Beduumlrfnissen und ihrer ganz persoumlnlichen Lebenswelt
dar und ist ein lebensentfremdendes Vorhaben das junge Menschen von einem sie erfuumlllenden gu-
ten Leben trennt
29
Literaturverzeichnis
Bayerische Akademie der Schoumlnen Kuumlnste (Hg) (1976) Der Mensch und das Spiel in der ver-planten Welt Muumlnchen Deutscher Taschenbuch Verlag
Bonet Elfriede Maria (1993) Von Autonomie und Spontanitaumlt Eine Naturgeschichte des Spiels InBaatz U Muumlller-Funk W (Hg) Vom Ernst des Spiels uumlber Spiel und Spieltheorie Ber-lin Dietrich Reimer Verlag S35- 47
Flitner Andreas (1976) Das Kinderspiel ndash seine Foumlrderung und Missbrauch durch die PaumldagogikIn Bayerische Akademie der Schoumlnen Kuumlnste (Hg) Der Mensch und das Spiel in der ver-planten Welt Muumlnchen Deutscher Taschenbuch VerlagS 73-92
Flitner Andreas (Hg) (1988) Das Kinderspiel Texte Neuausgabe der 5 Aufl 1988 Muumlnchen undZuumlrich Piper Verlag
Flitner Andreas (Hg) (2002) Spielen ndash Lernen Praxis und Deutung des Kinderspiels ErweiterteNeuausgabe der 11 Aufl 1988 des Piper-Verlages aus Muumlnchen Weinheim und BaselBeltz Verlag
Hessisches Sozialministerium Hessisches Kultusministerium (Hg) (2007) Bildung von Anfangan Bildungs- und Erziehungsplan fuumlr Kinder von 0 bis 10 Jahren in Hessen PaderbornDruck-Buch-Verlag
Huizinga Johan (2004) Homo Ludens Vom Ursprung der Kultur im Spiel 19 Aufl Reinbeck beiHamburg Rowohlt Taschenbuch Verlag
Kamper Dietmar (1976) Spiel als Metapher des Lebens In Bayerische Akademie der SchoumlnenKuumlnste (Hg) Der Mensch und das Spiel in der verplanten Welt Muumlnchen Deutscher Ta-schenbuch Verlag S 130-145
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Miller-Kipp Gisela (2005) Zufall Selbstorganisation und Kreativitaumlt Ein Versuch uumlber die Na-tur des Spiels wider seine Paumldagogisierung In Bilstein J Winzen M Wulf C (Hg)Anthropologie und Paumldagogik des Spiels Weinheim und Basel Beltz Verlag S 273-291
Nuumlberlin Gerda (2002) Selbstkonzepte Jugendlicher und schulische Notenkonkurrenz Zur Entste-hung von Selbstbildern Jugendlicher als kreative Anpassungsreaktionen auf schulischeAnomien Herbolzheim Centaurus-Verl (Zugl Vechta Univ Diss 2001) Online verfuumlg-bar URN httpnbn-resolvingdeurnnbnde0111-opus-30335
Oerter Rolf (2007) Zur Psychologie des Spiels In Psychologie und Gesellschaftskritik 31 4 pp7-32 Online verfuumlgbar URN httpnbn-resolvingdeurnnbnde0168-ssoar-292301
Portmann Adolf (1976) Das Spiel als gestaltete Zeit In Bayerische Akademie der SchoumlnenKuumlnste Muumlnchen (Hg) Der Mensch und das Spiel in der verplanten Welt Muumlnchen Deut-scher Taschenbuch Verlag S 58-72
Scheuerl Hans (1988) Alte und neue Spieltheorien Wandlung ihrer paumldagogischen Interessen undPerspektiven In Flitner Andreas (1988) Das Kinderspiel Texte Muumlnchen und Zuumlrich Pi-per Verlag S 32-52
Scheuerl Hans (Hg) (1990) Das Spiel - Untersuchung uumlber sein Wesen seine paumldagogischenMoumlglichkeiten und Grenzen 11 Aufl Weinheim und Basel Beltz Verlag
30
Stenger Ursula (2014) Spiel In Wulf CZirfas J (Hg) Handbuch Paumldagogische AnthropologieWiesbaden Springer VS S267- 274
Internetquellen
emergent In Handwoumlrterbuch Philosophie Hg v Wulff D Rehfus 1 Aufl Vandenhoeck ampRuprecht 2003 Vandenhoeck amp Ruprecht GmbH amp Co KG Goumlttingen Oakville onlineverfuumlgbar UTB-Online-Woumlrterbuch Philosophiehttpwwwphilosophie-woerterbuchdeonline-woerterbuchtx_gbwbphilosophie_main[entry]=269amptx_gbwbphilosophie_main[action]=showamptx_gbwbphilosophie_main[controller]=LexiconampcHash=6a95ca98f823d10266c067f0cde92d51(Zugriff 17215)
Gray Peter (2012) Trustful Parenting May Require an Alternative to Conventional Schooling (Ver-trauensvolle Erziehung macht unter Umstaumlnden eine Alternative zum konventionellenSchulsystem noumltig) Berlin 3122012 httpwwwting-schuledeindex_htm_filesPeter20Gray20_20Trustful20parentingpdf (Zugriff 030215)
Nuumlberlin Gerda (2002) Selbstkonzepte Jugendlicher und schulische Notenkonkurrenz Zur Entste-hung von Selbstbildern Jugendlicher als kreative Anpassungsreaktionen auf schulischeAnomien Herbolzheim Centaurus-Verl (Zugl Vechta Univ Diss 2001) Online verfuumlg-bar URN httpnbn-resolvingdeurnnbnde0111-opus-30335
Oerter Rolf (2007) Zur Psychologie des Spiels In Psychologie und Gesellschaftskritik 31 4 pp7-32 Online verfuumlgbar URN httpnbn-resolvingdeurnnbnde0168-ssoar-292301
Schiffner Maria (2007) Das Sudbury-Schulen-Konzept Kritik und Chance fuumlr das deutsche Bil-dungssystem Staatsexamensarbeithttpwwwting-schuledeindex_htm_filesStaatsexamensarbeit_M_Schiffner_2007pdf(Zugriff 260315)
31
Eidesstattliche Erklaumlrung
Ich erklaumlre hiermit an Eides Statt durch eigenhaumlndige Unterschrift dass ich die vorliegende Arbeit
selbstaumlndig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe die aus
fremden Quellen (einschlieszliglich elektronischer Quellen und dem Internet) direkt oder indirekt uumlber-
nommenen Gedanken sind ausnahmslos als solche kenntlich gemacht
Ich weiszlig dass bei Abgabe einer falschen Versicherung die Arbeit als nicht bestanden zu gelten hat
Herold 10042015
32
- Die zunehmende Verdraumlngung des freien Kinderspiels
- im Hessischen Bildungsplan
- Einleitung
- 1 Freies Kinderspiel - Wesensmerkmale
-
- 11 Das Moment der Freiheit
- 12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
- 13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
- 14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
- 15 Das Moment der Geschlossenheit
- 16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
- 17 Zusammenfassung
-
- 2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
-
- 21 Das Spielverstaumlndnis
- 22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
- 23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
- 24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
-
- 3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
- 4 Zusammenfassende Gedanken
- Literaturverzeichnis
- Internetquellen
-
natuumlrlichen (Kinder)Spiel als geistig-kreative Weltzuwendung liegen viel urspruumlnglichere Wurzeln
zu Grunde weshalb sich durch freies Spiel die Sinne der Koumlrper und auch der Geist als bdquoNebenef-
fektldquo beilaumlufig bilden und entwickeln Naumlmlich wie das bdquoMenschsein kein Zweck etwa des Lebens
sondern das Leben selbst istldquo (Kamper 1976 S 141) ist das (Kinder)Spiel auch kein findiger
Zweck des Lebendigen sondern gelebte Lebendigkeit und damit zwecklos (vgl ebd) bdquoDarauf und
nur darauf bezieht sich Schillers Wort dass der Mensch nur spielt wo er in voller Bedeutung des
Wortes Mensch ist und nur da ganz Mensch ist wo er spieltldquo (ebd) Somit stellt das Spiel das Prin-
zip des Lebendigen dar dies herauszuarbeiten und phaumlnomenologisch be-greifbar zu machen war
Ziel des ersten Teils dieser Arbeit Ich beabsichtigte darin ein Verstaumlndnis dafuumlr zu bilden dass das
(Kinder)Spiel als Modus von Freiheit im bdquoSpannungsfeld Lebenldquo die Wesenskraumlfte der Evolution
den Zufall die Spontanitaumlt und die Kreativitaumlt als eigene Triebkraumlfte in sich traumlgt und im freien
selbst initiierten Spielgeschehen zur Entfaltung bringt Als dieses Urprinzip ist das freie natuumlrliche
Spiel dem Menschen - homo ludens - und deshalb auch den Kindern ein Beduumlrfnis Deshalb fuumlhrt
durch Spiel gestaltete Zeit als erstrebte wesensgemaumlszlige Taumltigkeit zu Lebenszufriedenheit Und nur
dann traumlgt es seine Potenziale der Sinnesbildung Koumlrperbildung und geistig-seelischen Bildung so-
wie die Moumlglichkeit unvorhersehbarer Emergenzen in sich Und als solcher freier Ausdruck von Le-
bendigkeit ist deshalb Spiel fuumlr ein Kind innerhalb eines erfuumlllten Daseins grundlegend und zu ach-
ten bzw anzuerkennen
Im zweiten Teil wurde einsteigend die im derzeitigen Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
vertretene Auffassung von Spiel erlaumlutert und der Plan wurde auf seine moumlgliche politisch- und paumld-
agogisch motivierte Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel untersucht Es konnte dargelegt werden
dass der Spiel(zeit)raum aufgrund des Interessengegensatzes von Kind und Staat kontinuierlich ein-
gekuumlrzt wird und zur zunehmenden Verdraumlngung von freiem (Kinder)Spiel fuumlhrt um die politischen
Programme bdquoVerbesserung der Bildungschancenldquo und bdquoChancengleichheitldquo durchzusetzen Die da-
mit verwirklichten politischen Ziele und die Umsetzung einheitlicher Bildungsstandards haben da-
bei einerseits den Zweck die fuumlr die Wirtschaft dienliche und in der Gesellschaft mit Schule durch-
gesetzte Wissenshierachie fortzufuumlhren Und andererseits sollen diese Jahrgangssortierungen durch
internationale Tests wie PISA uauml als Standortfaktor im Wettkampf um Konkurrenzfaumlhigkeit auf ei-
nem globalisierten Markt Wirtschaftsstandort sichernd eingesetzt werden
Die Annahme dass es durch die Einuumlbung von vermeintlichen also dem Zeitgeist entsprechenden
bdquoGrundkompetenzenldquo bzw bdquoSchluumlsselqualifikationenldquo (als Bildungsstandards) zur zunehmenden
Verdraumlngung von freiem Spiel kommt konnte dadurch bestaumlrkt werden dass auf Grundlage eines
verkuumlrzten Spielbegriffes das freie (Kinder)Spiel durch paumldagogisches Einwirken in bdquospielerisches
28
Lernenldquo umfunktionalisiert und dadurch echte Spielzeit zunehmend eingekuumlrzt wird Der Zweck ist
dabei das (Kinder)Spiel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo als bdquoLernmotorldquo der Kinder innerhalb
des bdquoLernfensterdrucksldquo dem Lehrapparat dienstbar zu machen
Im dritten Teil dieser Arbeit wurde anhand der Demokratischen Schulen kurz skizziert wie institu-
tionelle Bildung die freies Spielen wirklich gewaumlhrleistet gelingen kann Leider stehen die Schulen
in freier Traumlgerschaft zu denen die Freien Demokratischen Schulen zaumlhlen in Deutschland vor be-
sonderen behoumlrdlichen Genehmigungsbarrieren und unzureichender oumlffentlicher Finanzierung was
ihre Realisierung maszliggeblich erschwert oder ganz verhindert Auch darin kann eine Verdraumlngung
bzw Verhinderung des freien Spiels gesehen werden
Die Verdraumlngung des freien Kinderspiels ist aus zweierlei Gruumlnden nicht gut zu heiszligen ja sogar ab-
zulehnen ist Erstens ist die im Spiel als Nebenerscheinung enthaltene Einuumlbung von Grund-
kompetenzen von groumlszligter Komplexitaumlt und Vielfalt die selbst neue nicht vorhersagbare Qualitaumlten
hervorbringt die mit den Triebkraumlften der Evolution in Verbindung zu bringen sind (Emergenz)
Deshalb ist es fuumlr einen ganzheitlichen Entwicklungsspielraum der Kinder und im Sinne der Evolu-
tion unvernuumlnftig das Spiel wie im Bildungsplan beschrieben bdquoqualitativ aufzuwertenldquo um ver-
meintliche fuumlr das derzeitige Leben als unverzichtbar angenommene bdquoGrundkompetenzenldquo durch
bdquospielerisches Lernenldquo einzuuumlben Und zweitens ist das Spiel als kreative geistig-emotionale Welt-
zuwendung und damit als wesensgemaumlszlige kreatuumlrliche Taumltigkeit des Menschen den Kindern ein Be-
duumlrfnis und grundlegend fuumlr ihr gesundes Aufwachsen und Lebensgeborgenheit (Lebenszufrieden-
heit) in einem sie wahrhaft erfuumlllenden menschlichen Dasein
Bedenke ich nun die Lebenszeit die auch meine Kinder teilweise schon vor dem ersten Lebensjahr
mit haumlufig acht Stunden taumlglich in Kindertageseinrichtungen (leider nicht in einer Freien Demokra-
tischen Schule mit Primarbereich) verbrachten derzeit verbringen und spaumlter in der Schule bis min-
destens zur Erfuumlllung der Schulpflicht mit etwa 15 Jahren in der Schule verbringen muumlssen bin ich
erschrocken-besorgt und wuumltend wie dem Phaumlnomen des freien natuumlrlichen Kinderspiels und der
Bildung insgesamt im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan begegnet wird Bildung als vorran-
gig politisch-oumlkonomisches Arrangement zu sehen darin das Spiel als List zu benutzen um standar-
disiertes Lernen zu erzielen echte Spielzeit zunehmend zu verkuumlrzen ndash dieses planvolle Vorgehen
der Politik und der beteiligten Paumldagogen stellt eine Missachtung der ihnen anvertrauten Kinder mit
ihren individuellen Wuumlnschen Vorstellungen Beduumlrfnissen und ihrer ganz persoumlnlichen Lebenswelt
dar und ist ein lebensentfremdendes Vorhaben das junge Menschen von einem sie erfuumlllenden gu-
ten Leben trennt
29
Literaturverzeichnis
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Oerter Rolf (2007) Zur Psychologie des Spiels In Psychologie und Gesellschaftskritik 31 4 pp7-32 Online verfuumlgbar URN httpnbn-resolvingdeurnnbnde0168-ssoar-292301
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Scheuerl Hans (1988) Alte und neue Spieltheorien Wandlung ihrer paumldagogischen Interessen undPerspektiven In Flitner Andreas (1988) Das Kinderspiel Texte Muumlnchen und Zuumlrich Pi-per Verlag S 32-52
Scheuerl Hans (Hg) (1990) Das Spiel - Untersuchung uumlber sein Wesen seine paumldagogischenMoumlglichkeiten und Grenzen 11 Aufl Weinheim und Basel Beltz Verlag
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Internetquellen
emergent In Handwoumlrterbuch Philosophie Hg v Wulff D Rehfus 1 Aufl Vandenhoeck ampRuprecht 2003 Vandenhoeck amp Ruprecht GmbH amp Co KG Goumlttingen Oakville onlineverfuumlgbar UTB-Online-Woumlrterbuch Philosophiehttpwwwphilosophie-woerterbuchdeonline-woerterbuchtx_gbwbphilosophie_main[entry]=269amptx_gbwbphilosophie_main[action]=showamptx_gbwbphilosophie_main[controller]=LexiconampcHash=6a95ca98f823d10266c067f0cde92d51(Zugriff 17215)
Gray Peter (2012) Trustful Parenting May Require an Alternative to Conventional Schooling (Ver-trauensvolle Erziehung macht unter Umstaumlnden eine Alternative zum konventionellenSchulsystem noumltig) Berlin 3122012 httpwwwting-schuledeindex_htm_filesPeter20Gray20_20Trustful20parentingpdf (Zugriff 030215)
Nuumlberlin Gerda (2002) Selbstkonzepte Jugendlicher und schulische Notenkonkurrenz Zur Entste-hung von Selbstbildern Jugendlicher als kreative Anpassungsreaktionen auf schulischeAnomien Herbolzheim Centaurus-Verl (Zugl Vechta Univ Diss 2001) Online verfuumlg-bar URN httpnbn-resolvingdeurnnbnde0111-opus-30335
Oerter Rolf (2007) Zur Psychologie des Spiels In Psychologie und Gesellschaftskritik 31 4 pp7-32 Online verfuumlgbar URN httpnbn-resolvingdeurnnbnde0168-ssoar-292301
Schiffner Maria (2007) Das Sudbury-Schulen-Konzept Kritik und Chance fuumlr das deutsche Bil-dungssystem Staatsexamensarbeithttpwwwting-schuledeindex_htm_filesStaatsexamensarbeit_M_Schiffner_2007pdf(Zugriff 260315)
31
Eidesstattliche Erklaumlrung
Ich erklaumlre hiermit an Eides Statt durch eigenhaumlndige Unterschrift dass ich die vorliegende Arbeit
selbstaumlndig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe die aus
fremden Quellen (einschlieszliglich elektronischer Quellen und dem Internet) direkt oder indirekt uumlber-
nommenen Gedanken sind ausnahmslos als solche kenntlich gemacht
Ich weiszlig dass bei Abgabe einer falschen Versicherung die Arbeit als nicht bestanden zu gelten hat
Herold 10042015
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- Die zunehmende Verdraumlngung des freien Kinderspiels
- im Hessischen Bildungsplan
- Einleitung
- 1 Freies Kinderspiel - Wesensmerkmale
-
- 11 Das Moment der Freiheit
- 12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
- 13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
- 14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
- 15 Das Moment der Geschlossenheit
- 16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
- 17 Zusammenfassung
-
- 2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
-
- 21 Das Spielverstaumlndnis
- 22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
- 23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
- 24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
-
- 3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
- 4 Zusammenfassende Gedanken
- Literaturverzeichnis
- Internetquellen
-
Lernenldquo umfunktionalisiert und dadurch echte Spielzeit zunehmend eingekuumlrzt wird Der Zweck ist
dabei das (Kinder)Spiel in Form von bdquospielerischem Lernenldquo als bdquoLernmotorldquo der Kinder innerhalb
des bdquoLernfensterdrucksldquo dem Lehrapparat dienstbar zu machen
Im dritten Teil dieser Arbeit wurde anhand der Demokratischen Schulen kurz skizziert wie institu-
tionelle Bildung die freies Spielen wirklich gewaumlhrleistet gelingen kann Leider stehen die Schulen
in freier Traumlgerschaft zu denen die Freien Demokratischen Schulen zaumlhlen in Deutschland vor be-
sonderen behoumlrdlichen Genehmigungsbarrieren und unzureichender oumlffentlicher Finanzierung was
ihre Realisierung maszliggeblich erschwert oder ganz verhindert Auch darin kann eine Verdraumlngung
bzw Verhinderung des freien Spiels gesehen werden
Die Verdraumlngung des freien Kinderspiels ist aus zweierlei Gruumlnden nicht gut zu heiszligen ja sogar ab-
zulehnen ist Erstens ist die im Spiel als Nebenerscheinung enthaltene Einuumlbung von Grund-
kompetenzen von groumlszligter Komplexitaumlt und Vielfalt die selbst neue nicht vorhersagbare Qualitaumlten
hervorbringt die mit den Triebkraumlften der Evolution in Verbindung zu bringen sind (Emergenz)
Deshalb ist es fuumlr einen ganzheitlichen Entwicklungsspielraum der Kinder und im Sinne der Evolu-
tion unvernuumlnftig das Spiel wie im Bildungsplan beschrieben bdquoqualitativ aufzuwertenldquo um ver-
meintliche fuumlr das derzeitige Leben als unverzichtbar angenommene bdquoGrundkompetenzenldquo durch
bdquospielerisches Lernenldquo einzuuumlben Und zweitens ist das Spiel als kreative geistig-emotionale Welt-
zuwendung und damit als wesensgemaumlszlige kreatuumlrliche Taumltigkeit des Menschen den Kindern ein Be-
duumlrfnis und grundlegend fuumlr ihr gesundes Aufwachsen und Lebensgeborgenheit (Lebenszufrieden-
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Bedenke ich nun die Lebenszeit die auch meine Kinder teilweise schon vor dem ersten Lebensjahr
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destens zur Erfuumlllung der Schulpflicht mit etwa 15 Jahren in der Schule verbringen muumlssen bin ich
erschrocken-besorgt und wuumltend wie dem Phaumlnomen des freien natuumlrlichen Kinderspiels und der
Bildung insgesamt im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan begegnet wird Bildung als vorran-
gig politisch-oumlkonomisches Arrangement zu sehen darin das Spiel als List zu benutzen um standar-
disiertes Lernen zu erzielen echte Spielzeit zunehmend zu verkuumlrzen ndash dieses planvolle Vorgehen
der Politik und der beteiligten Paumldagogen stellt eine Missachtung der ihnen anvertrauten Kinder mit
ihren individuellen Wuumlnschen Vorstellungen Beduumlrfnissen und ihrer ganz persoumlnlichen Lebenswelt
dar und ist ein lebensentfremdendes Vorhaben das junge Menschen von einem sie erfuumlllenden gu-
ten Leben trennt
29
Literaturverzeichnis
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Gray Peter (2012) Trustful Parenting May Require an Alternative to Conventional Schooling (Ver-trauensvolle Erziehung macht unter Umstaumlnden eine Alternative zum konventionellenSchulsystem noumltig) Berlin 3122012 httpwwwting-schuledeindex_htm_filesPeter20Gray20_20Trustful20parentingpdf (Zugriff 030215)
Nuumlberlin Gerda (2002) Selbstkonzepte Jugendlicher und schulische Notenkonkurrenz Zur Entste-hung von Selbstbildern Jugendlicher als kreative Anpassungsreaktionen auf schulischeAnomien Herbolzheim Centaurus-Verl (Zugl Vechta Univ Diss 2001) Online verfuumlg-bar URN httpnbn-resolvingdeurnnbnde0111-opus-30335
Oerter Rolf (2007) Zur Psychologie des Spiels In Psychologie und Gesellschaftskritik 31 4 pp7-32 Online verfuumlgbar URN httpnbn-resolvingdeurnnbnde0168-ssoar-292301
Schiffner Maria (2007) Das Sudbury-Schulen-Konzept Kritik und Chance fuumlr das deutsche Bil-dungssystem Staatsexamensarbeithttpwwwting-schuledeindex_htm_filesStaatsexamensarbeit_M_Schiffner_2007pdf(Zugriff 260315)
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Eidesstattliche Erklaumlrung
Ich erklaumlre hiermit an Eides Statt durch eigenhaumlndige Unterschrift dass ich die vorliegende Arbeit
selbstaumlndig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe die aus
fremden Quellen (einschlieszliglich elektronischer Quellen und dem Internet) direkt oder indirekt uumlber-
nommenen Gedanken sind ausnahmslos als solche kenntlich gemacht
Ich weiszlig dass bei Abgabe einer falschen Versicherung die Arbeit als nicht bestanden zu gelten hat
Herold 10042015
32
- Die zunehmende Verdraumlngung des freien Kinderspiels
- im Hessischen Bildungsplan
- Einleitung
- 1 Freies Kinderspiel - Wesensmerkmale
-
- 11 Das Moment der Freiheit
- 12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
- 13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
- 14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
- 15 Das Moment der Geschlossenheit
- 16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
- 17 Zusammenfassung
-
- 2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
-
- 21 Das Spielverstaumlndnis
- 22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
- 23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
- 24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
-
- 3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
- 4 Zusammenfassende Gedanken
- Literaturverzeichnis
- Internetquellen
-
Literaturverzeichnis
Bayerische Akademie der Schoumlnen Kuumlnste (Hg) (1976) Der Mensch und das Spiel in der ver-planten Welt Muumlnchen Deutscher Taschenbuch Verlag
Bonet Elfriede Maria (1993) Von Autonomie und Spontanitaumlt Eine Naturgeschichte des Spiels InBaatz U Muumlller-Funk W (Hg) Vom Ernst des Spiels uumlber Spiel und Spieltheorie Ber-lin Dietrich Reimer Verlag S35- 47
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Flitner Andreas (Hg) (1988) Das Kinderspiel Texte Neuausgabe der 5 Aufl 1988 Muumlnchen undZuumlrich Piper Verlag
Flitner Andreas (Hg) (2002) Spielen ndash Lernen Praxis und Deutung des Kinderspiels ErweiterteNeuausgabe der 11 Aufl 1988 des Piper-Verlages aus Muumlnchen Weinheim und BaselBeltz Verlag
Hessisches Sozialministerium Hessisches Kultusministerium (Hg) (2007) Bildung von Anfangan Bildungs- und Erziehungsplan fuumlr Kinder von 0 bis 10 Jahren in Hessen PaderbornDruck-Buch-Verlag
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Kluge Norbert (1981) Spielen und Erfahren Der Zusammenhang von Spielerlebnis und Lernpro-zeszlig Bad HeilbrunnObb Verlag Julius Klinkhardt
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Nuumlberlin Gerda (2002) Selbstkonzepte Jugendlicher und schulische Notenkonkurrenz Zur Entste-hung von Selbstbildern Jugendlicher als kreative Anpassungsreaktionen auf schulischeAnomien Herbolzheim Centaurus-Verl (Zugl Vechta Univ Diss 2001) Online verfuumlg-bar URN httpnbn-resolvingdeurnnbnde0111-opus-30335
Oerter Rolf (2007) Zur Psychologie des Spiels In Psychologie und Gesellschaftskritik 31 4 pp7-32 Online verfuumlgbar URN httpnbn-resolvingdeurnnbnde0168-ssoar-292301
Portmann Adolf (1976) Das Spiel als gestaltete Zeit In Bayerische Akademie der SchoumlnenKuumlnste Muumlnchen (Hg) Der Mensch und das Spiel in der verplanten Welt Muumlnchen Deut-scher Taschenbuch Verlag S 58-72
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30
Stenger Ursula (2014) Spiel In Wulf CZirfas J (Hg) Handbuch Paumldagogische AnthropologieWiesbaden Springer VS S267- 274
Internetquellen
emergent In Handwoumlrterbuch Philosophie Hg v Wulff D Rehfus 1 Aufl Vandenhoeck ampRuprecht 2003 Vandenhoeck amp Ruprecht GmbH amp Co KG Goumlttingen Oakville onlineverfuumlgbar UTB-Online-Woumlrterbuch Philosophiehttpwwwphilosophie-woerterbuchdeonline-woerterbuchtx_gbwbphilosophie_main[entry]=269amptx_gbwbphilosophie_main[action]=showamptx_gbwbphilosophie_main[controller]=LexiconampcHash=6a95ca98f823d10266c067f0cde92d51(Zugriff 17215)
Gray Peter (2012) Trustful Parenting May Require an Alternative to Conventional Schooling (Ver-trauensvolle Erziehung macht unter Umstaumlnden eine Alternative zum konventionellenSchulsystem noumltig) Berlin 3122012 httpwwwting-schuledeindex_htm_filesPeter20Gray20_20Trustful20parentingpdf (Zugriff 030215)
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Schiffner Maria (2007) Das Sudbury-Schulen-Konzept Kritik und Chance fuumlr das deutsche Bil-dungssystem Staatsexamensarbeithttpwwwting-schuledeindex_htm_filesStaatsexamensarbeit_M_Schiffner_2007pdf(Zugriff 260315)
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Ich erklaumlre hiermit an Eides Statt durch eigenhaumlndige Unterschrift dass ich die vorliegende Arbeit
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nommenen Gedanken sind ausnahmslos als solche kenntlich gemacht
Ich weiszlig dass bei Abgabe einer falschen Versicherung die Arbeit als nicht bestanden zu gelten hat
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- Die zunehmende Verdraumlngung des freien Kinderspiels
- im Hessischen Bildungsplan
- Einleitung
- 1 Freies Kinderspiel - Wesensmerkmale
-
- 11 Das Moment der Freiheit
- 12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
- 13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
- 14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
- 15 Das Moment der Geschlossenheit
- 16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
- 17 Zusammenfassung
-
- 2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
-
- 21 Das Spielverstaumlndnis
- 22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
- 23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
- 24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
-
- 3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
- 4 Zusammenfassende Gedanken
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Nuumlberlin Gerda (2002) Selbstkonzepte Jugendlicher und schulische Notenkonkurrenz Zur Entste-hung von Selbstbildern Jugendlicher als kreative Anpassungsreaktionen auf schulischeAnomien Herbolzheim Centaurus-Verl (Zugl Vechta Univ Diss 2001) Online verfuumlg-bar URN httpnbn-resolvingdeurnnbnde0111-opus-30335
Oerter Rolf (2007) Zur Psychologie des Spiels In Psychologie und Gesellschaftskritik 31 4 pp7-32 Online verfuumlgbar URN httpnbn-resolvingdeurnnbnde0168-ssoar-292301
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Eidesstattliche Erklaumlrung
Ich erklaumlre hiermit an Eides Statt durch eigenhaumlndige Unterschrift dass ich die vorliegende Arbeit
selbstaumlndig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe die aus
fremden Quellen (einschlieszliglich elektronischer Quellen und dem Internet) direkt oder indirekt uumlber-
nommenen Gedanken sind ausnahmslos als solche kenntlich gemacht
Ich weiszlig dass bei Abgabe einer falschen Versicherung die Arbeit als nicht bestanden zu gelten hat
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- im Hessischen Bildungsplan
- Einleitung
- 1 Freies Kinderspiel - Wesensmerkmale
-
- 11 Das Moment der Freiheit
- 12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
- 13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
- 14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
- 15 Das Moment der Geschlossenheit
- 16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
- 17 Zusammenfassung
-
- 2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
-
- 21 Das Spielverstaumlndnis
- 22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
- 23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
- 24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
-
- 3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
- 4 Zusammenfassende Gedanken
- Literaturverzeichnis
- Internetquellen
-
Eidesstattliche Erklaumlrung
Ich erklaumlre hiermit an Eides Statt durch eigenhaumlndige Unterschrift dass ich die vorliegende Arbeit
selbstaumlndig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe die aus
fremden Quellen (einschlieszliglich elektronischer Quellen und dem Internet) direkt oder indirekt uumlber-
nommenen Gedanken sind ausnahmslos als solche kenntlich gemacht
Ich weiszlig dass bei Abgabe einer falschen Versicherung die Arbeit als nicht bestanden zu gelten hat
Herold 10042015
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- Die zunehmende Verdraumlngung des freien Kinderspiels
- im Hessischen Bildungsplan
- Einleitung
- 1 Freies Kinderspiel - Wesensmerkmale
-
- 11 Das Moment der Freiheit
- 12 Das Moment der inneren Unendlichkeit
- 13 Das Moment der Scheinhaftigkeit
- 14 Das Moment der Ambivalenz (Spannungsverhaumlltnis)
- 15 Das Moment der Geschlossenheit
- 16 Das Moment der Gegenwaumlrtigkeit
- 17 Zusammenfassung
-
- 2 Freies Spiel im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan
-
- 21 Das Spielverstaumlndnis
- 22 Politische Ziele und Hintergruumlnde
- 23 Politisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
- 24 Paumldagogisch motivierte Verdraumlngung von freiem Spiel
-
- 3 Eine andere Idee Begleitung statt Bildung
- 4 Zusammenfassende Gedanken
- Literaturverzeichnis
- Internetquellen
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