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Kantonsschule Ausserschwyz Gymnasium | Fachmittelschule
Maturaarbeit Oktober 2015
Die italienische Immigration - Vom Tschingg zum Schweizer
Autor, Klasse:
Nico Malacrida, M4D
Adresse:
St.Gallerstrasse 41a, 8856 Tuggen
Betreuende Lehrperson:
Patrick Fischer
Die italienische Immigration-Vom Tschingg zum Schweizer Nico Malacrida
1
Inhalt
1. Abstract ............................................................................................................................... 2
2. Vorwort................................................................................................................................. 3
2.1. Idee und Motivation ......................................................................................................... 3
2.2. Dank................................................................................................................................. 3
3. Einleitung ............................................................................................................................ 4
4. Historischer Hintergrund ................................................................................................ 5
4.1. Situation in der Schweiz und nach dem 2. Weltkrieg ..................................................... 5
4.2. Situation in Italien nach dem 2. Weltkrieg ....................................................................... 6
4.3. Rechtliche Situation der Ausländer ................................................................................. 7
4.4. Fremdenfeindlichkeit ....................................................................................................... 9
4.5. "Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kommen Menschen." ......................................10
5. Empirischer Teil...............................................................................................................12
5.1. Porträts von betroffenen Personen ................................................................................12
5.1.1. Porträt Edoardo Malacrida .......................................................................................12
5.1.2. Porträt Orsola Bianchera .........................................................................................14
5.2. Darlegung und Interpretation der Ergebnisse ................................................................16
5.2.1. Herkunftsort der Einwanderer ..................................................................................16
5.2.2. Zeitpunkt der Einwanderung ....................................................................................17
5.2.3. Familie ......................................................................................................................18
5.2.4. Qualifikation .............................................................................................................19
5.2.5. Zusammenfassung ..................................................................................................19
5.3 Analyse der heutigen Situation .......................................................................................20
6. Schlusswort ......................................................................................................................22
7. Quellenverzeichnis .........................................................................................................24
7.1 Literatur ............................................................................................................................24
7.2 Abbildungen .....................................................................................................................25
7.3 Abbildungsverzeichnis .....................................................................................................25
8. Anhang ...............................................................................................................................26
9. Eigenständigkeitserklärung .........................................................................................33
Die italienische Immigration-Vom Tschingg zum Schweizer Nico Malacrida
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1. Abstract
Die Schweiz nach dem 2. Weltkrieg war ein Land, das vom Krieg unbeschädigt
herausgekommen ist und das eine intakte Industrie hatte, was ein Grund war, weshalb die
Schweiz nach dem 2. Weltkrieg einen immensen Wirtschaftsaufschwung hatte.
Die Schweiz konnte jedoch den Mangel an Arbeitskräften nicht selber bewältigen und
deshalb handelten sie ein Rekrutierungsabkommen mit Italien aus um schnell an günstige
Arbeitskräfte zu kommen. Doch mit dem Fremden kommen auch die Probleme. Viele
Schweizer fürchteten, dass die Identität der Schweiz in Gefahr war, als die Arbeiter plötzlich
mehr als nur Arbeiter waren.
In meiner Arbeit widme ich mich vor allem den historischen Fakten der italienischen
Immigration, Analysen der Situation von Betroffenen und dem, was sie anders gemacht
haben als andere Immigranten von damals.
Wie war die rechtliche Lage der Einwanderer? Was für Auswirkungen hatte die
Fremdenfeindlichkeit auf die Schweiz bis heute? Was könnten wir aus der Geschichte
lernen?
Dies sind Fragen, die ich in dieser Arbeit behandle und versuche zu beantworten.
Die italienische Immigration-Vom Tschingg zum Schweizer Nico Malacrida
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2. Vorwort
2.1. Idee und Motivation
Mir war zwar von Anfang an klar, dass ich meine Maturaarbeit mit Schwerpunkt Wirtschaft
oder Geschichte verfassen werde. Ich ging da vielleicht sogar noch etwas weiter und fragte
mich: „Wie kann ich diese beiden Themen vielleicht sogar vereinen?“
Da meine Familie väterlicherseits einen italienischen Migrationshintergrund hat, habe ich
mich nach einigen Besprechungen mit meiner Betreuungsperson Patrick Fischer für eine
Maturaarbeit mit Schwerpunkt auf Sozialgeschichte in Bezug auf die italienische Immigration
in die Schweiz entschieden. Da ich mich bisher noch nicht wirklich mit meinen
Familienhintergründen befasst habe, ist es auch für mich eine Art Suche nach den eigenen
Wurzeln, da ich genau genommen auch ein Einwanderer der 3. Generation bin. Mich
interessiert hierbei vor allem die Zeit kurz nach dem 2. Weltkrieg, also die 1950er und 1960er
Jahre, das heisst die Zeit, in der sehr viele Italiener in die Schweiz gekommen sind um zu
arbeiten, denn hier brauchte und wollte man Arbeitskräfte.
Mein Ziel war, die Gründe und Umstände der Migration zu analysieren und mit damals
betroffenen Personen zu sprechen, um auch persönliche Beweggründe zu erfahren.
2.2. Dank
Ich möchte mich ganz herzlich bei meiner Betreuungsperson Patrick Fischer bedanken, der
mich mit Ideen und Vorschläge zur Umsetzung meines Themas unterstützt hat. Zudem
möchte ich mich speziell bei meinem Vater bedanken, der mir bei den verschiedenen
Interviews als Übersetzer unterstützt hat und sich für jedes Interview Zeit genommen hat.
Ebenfalls möchte ich mich bei meinem Grossvater, Angelo Bianchera und seiner Mutter
Orsola Bianchera und vor allem auch bei Gianni Farina für die Interviews bedanken.
Ein ganz spezieller Dank geht auch an meine Familie, die eine grosse moralische
Unterstützung für mich während meiner Schreibarbeit war.
Die italienische Immigration-Vom Tschingg zum Schweizer Nico Malacrida
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3. Einleitung
In meiner Maturaarbeit beschäftige ich vor allem mit der Frage, welche politische,
wirtschaftliche und soziale Gründe zur italienischen Immigration in den 1950er und ´60er
Jahren führten. Wie haben die Einwanderer diese Zeit erlebt? Viele Italiener kamen in die
Schweiz, haben sich eine Existenz aufgebaut und vielleicht sogar eine Familie gegründet. Ist
man eine lange Zeit davon ausgegangen, dass ältere Immigranten im hohen Alter den Weg
zurück in ihr Herkunftsland suchen, so weiss man heute, dass viele die Schweiz, nach 50-60
Jahren in denen sie hier gearbeitet und gelebt haben, als ihre Heimat ansehen und nur noch
zurückreisen um Verwandte zu besuchen.
In meiner Arbeit möchte ich zuerst in einem theoretischen Teil auf die historischen
Begebenheiten eingehen. Hier werde ich Mithilfe von Quellenarbeit, sei dies durch Internet
oder Fachliteratur, die allgemeine Situation in der Schweiz und in Italien nach dem 2.
Weltkrieg untersuchen. Ich schaue und erkläre, was die Gründe waren, um weg von Italien
zu gehen, hierher in die Schweiz zu kommen und was das Ganze so attraktiv gemacht hat.
Des Weiteren werde ich aufzeigen, wie es um die rechtliche Situation der Saisonniers und
Einwanderer in der damaligen Zeit gestanden hat. Auch die Überfremdungsbewegung, die in
der Schwarzenbach-Initiative 1970 geendet hat, wird ein Thema sein. Dieser Teil wird dann
mit einer kleinen Analyse eines berühmten Zitats von Max Frisch aus dem Vorwort des
Buches “ Siamo italiani – Die Italiener. Gespräche mit italienischen Arbeitern in der Schweiz“
beendet.
In meinem empirischen Teil geht es dann vor allem um Betroffene aus dieser Zeit, die heute
noch in der Schweiz wohnen. Das Ziel dieses empirischen Teils ist, herauszufinden, was die
persönlichen Gründe der jeweiligen Personen waren, die sie dazu gebracht haben, in die
Schweiz zu kommen und ihr eigenes Land hinter sich zu lassen. Ebenfalls möchte ich eine
ganz andere Facette dieser Zeit aufzeigen, denn wie man sehen wird, erging es nicht allen
schlecht. Es gab viele Ausnahmen in dieser Zeit und anhand von Informationen von 2
Fallbeispielen, die ich durch Interviews mit betroffenen Personen erhalten habe, werde ich
anhand von Fakten versuchen zu erklären, was diese Personen “besser“ gemacht haben
oder ob sie einfach nur mehr Glück hatten als Andere. Zum Abschluss werde ich versuchen
die heutige Zeit zu analysieren mithilfe eines Gespräches, das ich mit Gianni Farina, einem
Parlamentsabgeordneten der demokratischen Partei vom italienischen Parlament führen
durfte.
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4. Historischer Hintergrund
4.1. Situation in der Schweiz und nach dem 2. Weltkrieg
Die Schweiz, als Land das grösstenteils unversehrt vom 2. Weltkrieg geblieben ist, hatte in
der Zeit kurz nach dem 2. Weltkrieg nur ein Problem – zu wenig Arbeitskräfte. Die
sogenannte Nachkriegskonjunktur war eine Hochkonjunktur, das heisst die Wirtschaft wuchs
sehr schnell und auch die Bevölkerung der Schweiz wuchs immens(von 4'714'992 auf
6'269'783 im Zeitraum 1950-1970). Dies war ein Phänomen, das in den meisten westlichen
Staaten zu beobachten war und die Jahre zwischen 1945 bis 1973 werden deshalb auch
“Trente Glorieuses“, also die 30 glorreichen Jahre der Nachkriegszeit genannt.1
In dieser Zeit griffen zuerst die Industrie, also der Produktionssektor, und später dann auch
der Dienstleistungssektor auf ausländische Arbeitskräfte zurück. Diese sogenannten
Gastarbeiter arbeiteten vor allem im Baugewerbe und in Fabriken. Jedoch waren sie auch in
der Landwirtschaft, im Gastgewerbe und als Reinigungskräfte tätig. Dies hatte für die
Arbeitgeber den Vorteil, dass sie billige Arbeitskräfte bekamen und ihre Gewinne somit
steigern konnten. Allgemein konnte sich die Schweiz in dieser Zeit als sogenannter “Big
Player“ in Sachen Finanzdienstleistung und in der pharmazeutischen Industrie etablieren,
was bis heute noch der Fall ist.2
Abbildung 1: Ausländische Bevölkerung 1880-2010
1 https://fr.wikipedia.org/wiki/Trente_Glorieuses (5.10.2015)
2 http://www.jugendweb.asyl.admin.ch/php/get_pdf.php?id=113 (5.10.2015)
0
200000
400000
600000
800000
1000000
1200000
1400000
1600000
1800000
1880 1910 1920 1930 1941 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010
223554 285446
584739
1080076 944974
1766277 Ausländische Bevölkerung
Die italienische Immigration-Vom Tschingg zum Schweizer Nico Malacrida
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Wie aus diesem Diagramm ersichtlich wird, hatte das Zurückgreifen auf ausländische
Arbeitskräfte zur Folge, dass der Ausländeranteil in der Schweiz von 6,1% (285‘446
Personen) 1950 auf 17,2% (1‘080‘076 Personen) 1970 gestiegen ist (Saisonniers und
Grenzgänger nicht mit eingerechnet). 59.2% dieser ständigen ausländischen Bevölkerung
waren italienischer Staatsangehörigkeit, weshalb vor allem diese Zielgruppe Opfer der
Überfremdungsdiskussion wurde.3 Jedoch nahm der Zustrom in den 1960er-Jahren infolge
des Aufschwungs anderer Länder ab, da auch diese mehr Arbeitskräfte benötigten. Diese
fehlenden Arbeitskräfte wurden dann aus Ländern wie Portugal, Spanien, später dann auch
aus ex-Jugoslawien und der Türkei geholt. Es waren längst nicht alle negativ gegenüber den
Italienern eingestellt. Aber diejenigen, die vom Wirtschaftsaufschwung nicht profitieren
konnten und denen es im Vergleich zu anderen schlechter ging, gaben den Ausländern die
Schuld für ihre Situation. Hier kann man auch ganz gut sehen, dass sich die Geschichte wie
so oft wiederholt, wenn man sich die jetzige Stimmung im Volk gegen die heutigen
Einwanderer anschaut.
4.2. Situation in Italien nach dem 2. Weltkrieg
Nach dem Partisanenkrieg gegen die deutsche Besatzung in Italien war vieles zerstört,
insbesondere Fabriken und dergleichen. Das führte dazu, dass es in den ersten Nachkriegs-
jahren wenig oder nur sehr schlecht bezahlte Arbeit gab. Die ehemalige Monarchie wurde
1946 durch ein Referendum abgeschafft und 1948 durch eine neue Verfassung ersetzt. Man
versuchte mit mehreren Entwicklungsprogrammen, die von Korruption und Vetternwirtschaft
gebeutelte Politik und Wirtschaft zu fördern, was aber lange Zeit nur zu einem Teil gelang.
Mithilfe des Marshallplans gelang ein rascher Wiederaufbau der Infrastruktur und das
Wirtschaftswachstum erreichte Höchstzahlen.4
Der Marshallplan war ein Programm zum Wiederaufbau der an den Kriegsfolgen leidenden
westeuropäischen Länder. Grundsätzlich bestand es aus riesigen Krediten, Rohstoffen und
Lebensmittel für den hungernden Bevölkerungsteil Europas. Die Mittel beliefen sich auf
knapp 14 Milliarden US-Dollar, was wegen der Inflation einem heutigen Wert von ca. 130
Milliarden US-Dollar entsprechen würde. Natürlich waren die Amerikaner nicht nur die
selbstlosen Helfer, denn sie erhofften sich davon neue Absatzmärkte für ihre Produktion.
So hatte also auch Italien sein Wirtschaftswunder, das sogenannte “Miracolo economico
italiano“. In der Zeit von 1950-1973 hatte Italien ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum
von 4,9% und somit war es auf demselben Niveau wie zum Beispiel das Wachstum von
3 http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D10384.php (5.10.2015)
4 http://www.laender-lexikon.de/Italien_(Geschichte)#Nachkriegszeit_und_neues_Jahrtausend (6.10.2015)
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Westdeutschland oder Österreich zu der Zeit. Nach dem Beitritt zur EWG, der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft, liberalisierte Italien den Aussenhandel und es wurden mehrere
Land- und Sozialreformen verabschiedet, um den strukturschwachen Süden Italiens zu
industrialisieren.5
Der Hauptgrund für die Auswanderung bis zu diesem Wirtschaftswunder war vor allem die im
ganzen Land verbreitete Armut. Für Bauern waren die landwirtschaftlichen Bedingungen
nicht geeignet um ihren Beruf auszuüben und im Süden des Landes herrschte eine
Überbevölkerung. Diese Auswanderungswelle erreichte nach dem 2. Weltkrieg nochmals
einen Höhepunkt, da viele der bereits wieder boomenden Volkswirtschaften in West- und
Mitteleuropa Arbeitskräfte benötigten. Es war nicht so, als ob es in Italien keine Arbeit gab,
jedoch war das Lohnniveau sehr tief und da war es natürlich verlockend in die Schweiz
arbeiten zu gehen, da das Lohnniveau hier zu der Zeit um einiges höher war.6
4.3. Rechtliche Situation der Ausländer
In der Schweiz wurde grundsätzlich versucht durch enge Zusammenarbeit der
schweizerischen Behörden, der kantonal organisierten Fremdenpolizei sowie dem
Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit( das heutige Staatssekretariat für Wirtschaft)
die Migration an die Bedürfnisse der Wirtschaft anzupassen. 1948 kamen die ersten
Gastarbeiterverträge mit Italien zu Stande, die zur Vermittlung italienischer Arbeiter gedacht
waren. Hierzu führte man das sogenannte Rotationssystem ein. Dieses System sollte den
Aufenthalt der Gastarbeiter zeitlich begrenzen und hierfür wurden Ausländer nach Art ihrer
Bewilligung in verschiedene Kategorien unterteilt.
Saisonniers: Der Aufenthalt der Saisonniers war auf 9 Monate pro Jahr beschränkt.
Sie erhielten den Ausweis A und durften ihre Familie nicht mit in die Schweiz
nehmen. In der Schweiz gibt es diesen Status seit den bilateralen Abkommen nicht
mehr. Vor allem dieser Status war dazu gedacht permanente Niederlassung von
Ausländern zu verhindern, damit der Überfremdungsgrad nicht zu gross wird.
Grenzgänger: Arbeiter, die in der Schweiz erwerbstätig sind, aber jeden Abend
ausreisen(Ausweis G). Die Zahl der Grenzgänger stieg stetig an und seit dem
Inkrafttreten der bilateralen Abkommen mit der EU hat sich die Anzahl nochmals fast
verdoppelt(Im Jahr 2000 ca. 150‘000 und im Jahr 2011 ca. 250‘000). Dies ist darauf
zurückzuführen, dass das Lohnniveau in der Schweiz immer noch extrem hoch ist
5 https://de.wikipedia.org/wiki/Nachkriegsboom#Miracolo_economico_italiano (6.10.2015)
6 https://de.wikipedia.org/wiki/Italienische_Auswanderung (6.10.2015)
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und deshalb ist es für EU Bürger die nahe an der Schweizer Grenze wohnen rentabel
in die Schweiz arbeiten zu gehen.
Jahresaufenthaltsbewilligung (Ausweis B): Konnte man nach 5 Jahren Aufenthalt
in der Schweiz beantragen. Wird anfangs auf ein Jahr befristet und dann jährlich
erneuert, falls keine schwerwiegenden Gründe dagegen sprechen. Diese wären zum
Beispiel Straftaten oder Fürsorgeabhängigkeit. Nach Ablauf einer Frist kann diese
Aufenthaltsbewilligung in eine Niederlassungsbewilligung umgewandelt werden.
Niederlassungsbewilligung (Ausweis C): Dieses Aufenthaltsrecht ist unbeschränkt
und ist an keine Bedingungen geknüpft, jedoch muss man es alle 5 Jahre bestätigen
oder erneuern lassen. Meistens wurde er nach 10 Jahren ununterbrochenen
Aufenthaltes in der Schweiz erteilt. Mit diesem Ausweis ist man als ausländische
Arbeitskraft arbeitsrechtlich den schweizerischen Arbeitern gleichgestellt.
Kurzaufenthaltsbewilligung (Ausweis L): Befristet und nicht länger als ein Jahr in
der Schweiz arbeiten oder aufhalten.
Internationale Funktionäre: Botschafter usw. benötigen keinerlei Bewilligungspflicht.
Früher wie auch heute sind sie vor allem im Raum Genf vertreten und ihre Zahl liegt
bei ca. 28‘000 schweizweit.
Um zu verhindern, dass sich zu viele Ausländer dauerhaft in der Schweiz niederlassen,
beschränkte man die Verteilung des Ausländerausweises C und man versuchte ebenfalls die
Inhaber von B-Ausweisen davon abzuhalten sich in der Schweiz niederzulassen indem man
den Familiennachzug erst nach mehreren Jahren erlaubte und indem man sie in ihrer
Bewegungsfreiheit innerhalb der Schweiz einzuschränken versuchte, denn ohne Bewilligung
des Arbeitgebers durfte man weder den Beruf noch den Kanton wechseln oder selbstständig
werden. Wie auch heute gab es Ausnahmen für zum Beispiel vermögende Personen oder
Berühmtheiten.
Da die Schweizer Wirtschaft aber so gut lief, wurde diesem Rotationsprinzip immer weniger
Beachtung geschenkt, sodass die Schweizer Behörden 1964 versuchten, nachdem man
lange mit Italien verhandelt hatte, das Rotationssystem durch ein integrationsorientiertes
System zu ersetzen. Ihnen sollte nun erlaubt sein ihre Familie nach 18 statt nach 36
Monaten nachzuziehen und sie bekamen nach 5 vollen Saisons eine Aufenthaltsbewilligung,
sowie auch das Recht seinen Arbeitsplatz zu wechseln.7 Dies kam nicht von irgendwo, denn
die Anerkennung und Integration ausländischer Arbeitskräfte wurde von den Vertretern der
Migranten öfters thematisiert. Familiennachzug, Abschaffung von schulischen Sonderklassen
und sonstigen Ungerechtigkeiten waren nur einige der Forderungen dieser Interessenspartei.
Diese öffentlich formulierten Ansprüche der Migrantenorganisationen waren Wasser auf die
7 http://www.nzz.ch/schweiz/interessen-und-emotionen-um-das-italienerabkommen-1.18229578 (7.10.2015)
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Mühlen derjenigen, die in den Migranten etwas Schlechtes sahen und die eine Reduzierung
der Ausländerbestände wollten.89
4.4. Fremdenfeindlichkeit
Die italienische Immigration hatte in der Schweiz primär 2 Folgen und diese waren einerseits
von wirtschaftlicher, andererseits aber auch von sozialer Natur. Tausende italienische
Arbeiter trugen zum Wohlstand der Schweiz bei, indem sie auf Baustellen im Tourismus oder
auch in der Landwirtschaft die Arbeit erledigt haben, für die es nicht genügend Arbeitskräfte
gab oder die sonst niemand machen wollte.
In der Bevölkerung hatte diese Immigration aber überwiegend einen Anstieg der
Fremdenfeindlichkeit gegenüber Italienern zur Folge. Insbesondere seit auch Süditaliener
einwanderten, die als nicht assimilierbar galten, wuchs die Angst vor dem Verlust des
Wohlstandes und der Identität in der Schweiz. Das Schlagwort in der Politik war in den
1960er Jahren “Überfremdung“. Neu gegründete rechtspopulistische Parteien, wie zum
Beispiel die Nationale Aktion (heutige Schweizer Demokraten), heizten die Stimmung im
Volk gegenüber den Ausländern weiter an, indem sie bereits vorhandene Vorurteile
gegenüber den Immigranten verstärkten und Angst in der Bevölkerung schürten. Waren es
anfangs noch wirtschaftliche oder konjunkturpolitische Argumente, verlagerte sich die
Debatte immer weiter Richtung kulturellen und staatspolitischen Problemen. 10
Diese Debatte fand 1970 seinen Höhepunkt, als die Initiative von Nationalrat James
Schwarzenbach mit nur 54% Nein Stimmen abgelehnt wurde. Interessant daran ist, dass im
Bundeshaus Schwarzenbach als einziger für die Initiative war. Bundesrat, Parlament,
Parteien und jegliche andere Institutionen waren dagegen. Dies zeigt was für ein Ausmass
die Xenophobie, also die Angst vor dem Fremden, angenommen hat. Bei Annahme der
Initiative hätte die Bundesverfassung wie folgt ergänzt werden sollen:
Art. 69quater (neu)
1. Der Bund trifft Massnahmen gegen die bevölkerungsmässige und wirtschaftliche
Überfremdung der Schweiz.
2. Der Bundesrat sorgt dafür, dass die Zahl der Ausländer in jedem Kanton, mit Ausnahme von Genf, 10 Prozent der schweizerischen Staatsangehörigen, gemäss der
letzten Volkszählung, nicht übersteigt. Für den Kanton Genf der Anteil 25 Prozent.11
8 http://sjep.revues.org/340 (7.10.2015)
9 http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D10384.php (7.10.2015)
10 http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D16529.php (7.10.2015)
11 https://www.admin.ch/ch/d/pore/vi/vis93t.html (7.10.2015)
Die italienische Immigration-Vom Tschingg zum Schweizer Nico Malacrida
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Der Auszug der Initiative “Überfremdung“ hätte bedeutet, dass über 300‘000 Ausländer die
Schweiz hätten verlassen müssen. Dies wäre eine Katastrophe für die Wirtschaft der
Schweiz und die Schweiz selber gewesen, denn es wäre nicht auszudenken gewesen, was
für Komplikationen dies mit den Herkunftsländern der Ausländer gegeben hätte.
46% der Bevölkerung haben damals für die Initiative mit ja gestimmt und das bei einer sehr
grossen Wahlbeteiligung von knapp 75% (vgl. 56% “Gegen Masseneinwanderung“ 2014).
Diese Initiative ebnete den Weg für viele weitere Abstimmung. 2014 beschränkte das
Schweizer Volk dann auch zum ersten Mal die Zuwanderung mit der von der SVP lancierten
Initiative “Gegen Masseneinwanderung“ und dies in einer Zeit wo bereits jeder vierte im Land
einen ausländischen Pass besitzt.12
4.5. "Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kommen Menschen."
Der Schweizer Schriftsteller Max Frisch traf die Situation mit seinem Vorwort zu dem Buch “
Siamo italiani – Die Italiener. Gespräche mit italienischen Arbeitern in der Schweiz“ mehr als
nur gut. Man rief Arbeitskräfte und die sollten gefälligst nur arbeiten, nicht mehr und nicht
weniger. Dass dies nicht so funktionierte wie man wollte, merkte man schnell, als die Arbeiter
sich nach dem Arbeiten nicht in ihren Baracken verkrochen, sondern auf den Strasse präsent
waren, einkaufen gingen und falls sie krank wurden, erlaubten sie es sich sogar auch noch
in den Krankenhäusern zu liegen. Dabei wollte man doch nur Arbeitskräfte. Frisch spricht
auch das Wort Gastarbeiter an und wieso es eigentlich falsch ist, denn nach Definition ist ein
Gast jemand, den man bedient, um an ihm zu verdienen. Die Italiener waren in dem Fall
Fremdarbeiter. Sie arbeiteten fernab von ihrer Heimat, da sie dort keine Zukunft hatten. Man
ist auch kein Rassist, wenn man etwas gegen die Überfremdung hat, denn es ist ja eine
Tradition der Schweiz nicht rassistisch zu sein. Nein, man ist einfach ein besorgter Bürger,
der sich Sorgen um die Identität der Schweiz macht, die von den Ausländern bedroht wird.
Aber es muss ganz klar gesagt werden, dass wir unabhängig sind von dem Ausland und der
EWG, auch wenn man angewiesen ist auf die ausländischen Arbeitskräfte.13
Ich interpretiere den Text von Max Frisch so, dass er die Schweizer Mentalität des
Nichteingehens von Kompromissen anprangert. Die Aussage des Textes ist ein gutes
Beispiel für das Sprichwort “ Den Fünfer und das Weggli haben wollen“ und wenn man ein
oder zwei Wörter austauschen würde, könnte der Text auch aus dem Jahre 2015 stammen.
12
http://www.nzz.ch/schweiz/schweizer-geschichte/als-james-schwarzenbach-die-auslaenderpolitik-entdeckte-1.18430680 (7.10.2015)
13
http://www.berliner-zeitung.de/archiv/der-schweizer-schriftsteller-max-frisch-1965-zum-thema-immigration------und-es-kommen-menschen-,10810590,10247142.html (8.10.2015)
Die italienische Immigration-Vom Tschingg zum Schweizer Nico Malacrida
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Heutzutage würde es dann nicht mehr Gastarbeiter heissen, sondern Fachkräfte. Die bösen
Ausländer die unsere Identität bedrohen, wären die Leute aus dem Balkan und dem Osten
und unabhängig sind wir von der EU, auch wenn wir auf die Fachkräfte aus und
Handelsbeziehungen mit der EU angewiesen sind. Wie sich die Situation von damals
verändern kann, sieht man heutzutage. Bereits die 3. Generation der italienischen
Einwanderer lebt gut integriert in der Schweiz und es würde auch keiner mehr nein zu Pizza
und Pasta sagen, denn das gehört nun auch zu unserer Kultur.
„Die Schweiz ist wie ein Kern-Europa, denn sie hat viel früher als andere ein
Zusammenleben der unterschiedlichen Sprachen, Religionen und Traditionen zustande
gebracht.“ Joachim Gauck, Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland
Diesem Zitat von Joachim Gauck kann ich nur zustimmen, denn die Schweiz hat 4
Landessprachen und unzählige Dialekte. Obwohl jeder Landesteil und Kanton seinen
eigenen Kopf hat, funktioniert die Schweiz als Ganzes sehr gut, obwohl oder eben genau
weil wir fast 25% Ausländer haben. Wo wäre die Schweiz heute ohne diese ausländischen
Arbeitskräfte die damals, wie auch zum Teil noch heute, verpönt waren? Wie in den meisten
Fällen wiederholt sich die Geschichte aber leider, weil viele Menschen nicht aus den Fehlern
der Vergangenheit gelernt haben oder nicht daraus haben lernen wollen. Die Xenophobie
und der Rassismus in ganz Europa nehmen wieder zu. Viele rechtspopulistische und
nationalistische Parteien gewinnen an Boden, wie zum Beispiel in Ungarn die Fidesz oder in
Grossbritannien die UKIP. Auch in diesem Sinne ist die Schweiz ein kleines Europa, denn
seit den 1960er Jahren sind rechtspopulistische Themen sehr verbreitet in der Politik, wie
auch in der Bevölkerung selber.
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5. Empirischer Teil
5.1. Porträts von betroffenen Personen
5.1.1. Porträt Edoardo Malacrida
Geboren wurde Edoardo Malacrida, von Freunden auch Edy genannt, am 22.8.1934 in
Chiavenna, das in der norditalienischen Provinz Sondrio liegt. Dort wuchs er als zweitältester
von insgesamt 5 Geschwistern auf und war der einzige Junge neben 4 Schwestern, die
heute alle noch leben. Er besuchte die Schule bis er 16 war und machte danach eine
Ausbildung als Kupferschmied, die ihm wie man sehen wird in Zukunft noch Einiges bringen
wird. Arbeit hatte es für ihn mehr als genug in Italien, jedoch war diese sehr schlecht bezahlt
und sie war auch sehr unsicher, weswegen er 1954 immer öfter mit dem Gedanken gespielt
hat in die Schweiz arbeiten zu gehen. Die Art und Weise wie er in der Schweiz dann
schlussendlich an Arbeit gekommen war, war überhaupt nicht so geplant, denn eigentlich
wollte er auf seinem Motorrad nur einen
Ausflug in die Schweiz machen und ein
paar alte Freunde auf einer Tunnel-
Baustelle in der Schweiz besuchen. In
Rothenbrunnen auf der Baustelle
angekommen, wurde er von einem der
Ingenieure angesprochen, den er,
nebenbei gesagt, schon von Chiavenna
kannte, ob er nicht Lust hätte hier zu
arbeiten, denn sie würden noch ein paar
Arbeitskräfte brauchen. Nach einigem
Überlegen und nachdem er erfahren hat,
wie viel er verdienen würde, nahm er das Angebot an. Das Angebot, wonach er gut und
gerne zehnmal mehr als Zuhause verdienen würde, konnte er nicht ausschlagen. Mit der
Ausbildung als Kupferschmied und einem Führerausweis hatte er ausreichend gute
Qualifikationen und arbeitete deshalb von 1954-1960 auf diversen Tunnel-Baustellen in der
ganzen Schweiz. Zuerst war er in Graubünden tätig, danach im Kanton Tessin, Uri, Bern,
Wallis, in Nid-& Obwalden. Auf den Baustellen war er vor allem für das betätigen und steuern
von Bau-Maschinen zuständig. Wie alle anderen Saisonniers zu der Zeit lebte er in
Baracken, jedoch durfte oder musste er sogar das ganze Jahr über in der Schweiz bleiben,
da seine Arbeit dauerhaft von seinem Arbeitgeber gebraucht wurde. Als er 1960 seinen
Ausweis B erhielt, wechselte er seinen Arbeitgeber und arbeitete fortan im Steinbruch in
Niederurnen bis 1963. Ab 1963 arbeitete er dann bei der Eternit AG als Stapelfahrer, wo er
Abbildung 2: Edoardo Malacrida(l.) auf einer Baustelle,1955
Die italienische Immigration-Vom Tschingg zum Schweizer Nico Malacrida
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dann später ins Labor als Hilfslaborant wechseln durfte. 1990 fiel er dann, wie auch 70
weitere Arbeitnehmer einer Abteilungsschliessung zum Opfer und musste die Firma
verlassen. Ein solider Sozialplan half ein paar Monate über die finanziellen Verluste hinweg.
Dank guten Arbeitszeugnissen fand er dann mit der Plica AG in Mollis schnell wieder einen
guten Arbeitgeber und blieb dort bis zu seiner Pensionierung.
Seine Frau kam im gleichen Jahr wie er in die Schweiz und 1954 trafen sie sich dann auch
zum ersten Mal. Der erste Sohn wurde dann bereits am 28.1.1956 geboren(2011 an
Bauchdrüsenkrebs verstorben), jedoch wurde er in den ersten 7 Jahren bei den Grosseltern
in Italien gelassen, da die Eltern ja hier in der Schweiz arbeiten mussten und sie sich nicht
um ihn kümmern konnten. Dies war ein Hauptgrund, wieso in der Zeit immer eine
Verbindung zu Italien bestand. Seine Frau hatte nicht das gleiche Glück wie er, denn sie war
nur für die Sommer- und Wintersaison im Hotelgewerbe tätig und musste ausserhalb der
Saison zurück nach Italien gehen. 1961 haben sie dann geheiratet und sich eine Wohnung in
Niederurnen im Kanton Glarus gemietet. 1962 kam der zweite Sohn zur Welt und ein Jahr
darauf holten sie dann auch den in Italien gelassenen Sohn zu sich in die Schweiz. Eduardo
hatte mit niemandem ein Problem in seiner Zeit in der Schweiz. Bis auf die Sprache hat er
sich sehr gut in die Gesellschaft integriert und er hat sich viele Freunde gemacht, ob
Schweizer oder Italiener. Natürlich hat er mitbekommen
was in den 60er und folgenden Jahren so gesagt wurde,
jedoch hatte es ihn nie direkt betroffen.
Zu der Frage ob er jemals darüber nachgedacht hat
wieder ganz zurück nach Italien zu gehen, antwortete er
mir, dass nachdem er 60 Jahre seines Lebens in der
Schweiz verbracht hat, könnte und wollte er gar nicht
mehr zurück nach Italien ziehen. Ausser jährlichen
Besuchen bei seiner Familie in Chiavenna hat er keine
wirklichen Verbindungen mehr in Italien, denn seine
Existenz hat er sich in der Schweiz aufgebaut. Heute lebt
er noch immer in Niederurnen und geniesst seinen
Lebensabend dort mit seiner zweiten Frau, einer
Schweizerin, da die erste leider verstorben ist. Zur
heutigen Situation in der Schweiz sagt er, dass sich vor allem für die Italiener vieles
gebessert hat und diese in der heutigen Gesellschaft flächendeckend akzeptiert werden,
jedoch ist dies auch mehr als verständlich , da bereits die 3. Generation italienischer
Einwanderer in der Schweiz lebt und sich heute einige Facetten der italienischen Kultur in
derjenigen der Schweiz wiederspiegeln. Die Brennpunkte liegen heute bei der neueren
Abbildung 3: Eduardo Malacrida, 2015
Die italienische Immigration-Vom Tschingg zum Schweizer Nico Malacrida
14
Generation von Einwanderern, vor allem bei denen aus dem Osten und manchmal könnte
man fast meinen, dass Italiener in der Schweiz vergessen haben, dass sie selber auch
einmal Einwanderer waren und zuerst auch nicht erwünscht waren.14
5.1.2. Porträt Orsola Bianchera
Orsola Bianchera ist 1933 in Clusone in der norditalienischen Provinz Bergamo geboren. Sie
wuchs als fünftältestes Kind von insgesamt 10 Kindern in ihrer Familie auf. Sie ging in ihrer
Heimatstadt zur Schule, jedoch gab es nach dem Krieg keine Arbeitsmöglichkeit für sie und
deshalb folgte sie 1951, im Alter von nur 18 Jahren,
ihrem grossen Bruder in die Schweiz. Da ihr grosser
Bruder bereits seit 1948 in der Schweiz tätig war, hatte
er gewisse Kontakte und er half seiner kleinen
Schwester Arbeit zu finden. Als sie dann in die Schweiz
von Bergamo via Mailand nach Zürich gekommen ist,
hatte sie einen bereits unterschriebenen Arbeitsvertrag in
der Tasche. Sie hatte das Glück, dass ihr Bruder ihr eine
Festanstellung als Kindermädchen beschafft hat. Das
hiess, dass sie nie dazu gezwungen war zurück nach
Italien zu gehen, denn sie galt nicht als Saisonnier.
Gearbeitet hat sie dann in Zürich für etwa 2 Jahre. Wieso
nur 2 Jahre? Sie hatte das Glück, gleich nach ihrer
Ankunft in der Schweiz ihren zukünftigen Mann kennenzulernen. Er war ebenfalls gebürtiger
Italiener, jedoch besass er bereits den Schweizer Pass. Die beiden haben dann auch schon
im Jahre 1953 geheiratet und seitdem hat sie auch nicht mehr wirklich gearbeitet, sondern
nur noch bei Freunden und Familie ausgeholfen. Durch das Glück, dass sie ihren Mann so
schnell nach ihrer Ankunft kennengelernt hat, wurde sie sehr früh in die Gesellschaft
eingeführt und dort auch gut aufgenommen, weswegen sie auch kaum Kontakt zu anderen
Saisonniers hatte, denn diese lebten eher etwas abgeschottet in ihren Baracken. Nicht nur
ihr grosser Bruder lebte in der Schweiz, sondern auch ihr jüngerer Bruder kam ab 1954 in die
Schweiz, so wie auch später die jüngste Schwester für ein paar Jahre. Der Rest der Familie
blieb in Italien, weswegen sie auch immer Kontakt mit ihren Wurzeln pflegte und noch immer
pflegt. Sie ihre Geschwister auch heute noch regelmässig in ihrem Heimatort.
Auf die Frage, ob sie sich vorstellen könnte wieder zurück nach Italien zu gehen, antwortete
auch sie klar mit nein, denn auch sie hat sich ihre Existenz hier in der Schweiz aufgebaut.
14
Interview mit E.M.
Abbildung 4: Orsula Bianchera mit 16 Jahre,1949
Die italienische Immigration-Vom Tschingg zum Schweizer Nico Malacrida
15
Sie hat ihren Mann und ihre 2 Kinder hier und auch die meisten ihrer Freunde befinden sich
hier. Da sie schnell und gut in die Gesellschaft integriert war, hatte sie keine persönlichen
Probleme in der Zeit wo das Thema der Anti-Italiener Bewegung ihren Lauf nahm, aber sie
bekam selbstverständlich alles mit was in der Zeit gegen Italiener gesagt wurde, denn das
Thema war vor allem auch in der deutschsprachigen Schweiz sehr präsent.
Als Gründe für ihre Auswanderung nannte sie zum Einen die
Perspektivlosigkeit in ihrem Land zu der Zeit und
andererseits aber auch die wirtschaftliche und politische
Instabilität, die durch die korrupte Politik und ihre
Vetternwirtschaft zustande kam. Sie ist ebenfalls der
Meinung, dass Italiener in der Schweiz heutzutage sehr gut
integriert sind und Schulter an Schulter gegen andere
Ausländer stehen, dabei aber gerne mal vergessen, dass
sie selber auch mal Einwanderer waren und es damals auch
für sie auch überhaupt nicht leicht war.15
15
Interview mit O.B.
Abbildung 5: Orsola Bianchera, 2015
Die italienische Immigration-Vom Tschingg zum Schweizer Nico Malacrida
16
5.2. Darlegung und Interpretation der Ergebnisse
In den beiden Interviews ging es mir vor allem darum, zu erfahren wie sich meine beiden
Interviewpartner in der Schweiz damals zurechtgefunden haben und wieso sie überhaupt in
die Schweiz gekommen sind. Man kann sagen, dass es Beiden recht gut ergangen ist in
ihrer Zeit in der Schweiz und obwohl Beide natürlich mitbekommen haben wie sich die
Stimmung im Volk veränderte, waren sie nicht direkt davon betroffen. Dies war primär dem
Fakt zuzuschreiben, dass sich Beide sehr gut in die Gesellschaft integriert haben und
deswegen ihnen gegenüber niemand direkt ausfällig wurde. Für die einigermassen gute
Entwicklung ihrer Situation seit ihrer Einreise in die Schweiz, spielten mehrere Faktoren eine
Rolle. Diese Faktoren werde ich nun versuchen in einen geschichtlichen Kontext zu bringen,
sie zu analysieren und versuchen zu interpretieren wie es ihre Situation an sich beeinflusst
hat, oder was dazu geführt hat, dass sie dadurch weniger bis gar keine Probleme hatten.
5.2.1. Herkunftsort der Einwanderer
Ein sehr wichtiger Punkt war der Herkunftsort der Einwanderer. Stimmung wurde vor allem
gegen die Südländer gemacht in der Zeit um 1960. Dies hing damit zusammen, dass
Süditaliener viel eher ungebildet und Analphabeten waren und sie auch eine viel
differenziertere Kultur hatten als die Schweizer. In Norditalien jedoch waren die kulturellen
Gepflogenheiten viel eher mit denen der Schweiz, insbesondere deren des Bündnerlandes,
konform. Deshalb war es auch von Vorteil, dass viele der Einwanderer in Chur angekommen
sind und zuerst dort in der Region gearbeitet haben.
„Wir waren bereits halbe Bündner was Kultur und Mentalität angeht.“
Gianni Farina, italienischer Abgeordneter
Dies verschaffte den norditalienischen Einwanderern vor allem einen Vorteil gegenüber den
süditalienischen: Sie konnten sich viel leichter in die Gesellschaft einfügen. In Süditalien gab
es nach dem 2. Weltkrieg sehr viele Arbeitslose, weswegen auch vor allem sie diejenigen
waren, die bei der grossen Einwanderungswelle um 1960 in die Schweiz gekommen sind.
Auch Anti-Italiener Parteien schossen vor allem gegen Süditaliener und sie nahmen
meistens die Norditaliener aus, wie ein Interview aus dem Jahre 1963 zeigt.16 Die
sogenannten „Tschinggen“ , die aus Norditalien kamen, waren also keineswegs unbeliebt,
16
http://www.ideesuisse.ch/256.0.html?&no_cache=1&tx_ttnews%5Btt_news%5D=674&tx_ttnews%5Blist%5D=926%2C674%2C718%2C675%2C676%2C722&tx_ttnews%5BbackPid%5D=216&cHash=29f434d9ecb164a8105cf8b9f8650ae1 (11.10.2015)
Die italienische Immigration-Vom Tschingg zum Schweizer Nico Malacrida
17
solange sie sich in den Kantonen aufhielten, die eine ähnliche Kultur wie ihre eigene
aufwiesen, weil sie sich von da aus besser integriert haben. Das Wort „Tschingg“ ist übrigens
abgeleitet von der italienischen Zahl fünf (cinque), insbesondere vom im norditalienischen
Spiel Mora oft vorkommenden Ausruf cinqu' a la mora, aus dem die Schweizer dann
„Tschinggelemore“ und „Tschingg“ machten17
Also kann man festhalten, dass der Herkunftsort und die dazugehörige Kultur und Mentalität
einen grossen Einfluss auf den Grad der Integration der Einwanderer und deren Akzeptanz
in der Gesellschaft hatte.
5.2.2. Zeitpunkt der Einwanderung
Ein weiterer sehr wichtiger Punkt war der Zeitpunkt der jeweiligen Einwanderung. Wir haben
hier bei Beiden die Situation, dass sie in den frühen 50er Jahren in die Schweiz gekommen
sind. Was hiess das genau für ihre Situation?
Dass beide von der Überfremdungsdebatte grösstenteils unberührt blieben, hing damit
zusammen, dass sie noch in einer Zeit in die Schweiz eingewandert sind, in der die
Stimmung im Volk noch auf einem Hoch war. Die Fremdarbeiter wurden zwar schon damals
zum Teil als Eindringlinge angesehen, jedoch war die Grundstimmung noch sehr positiv, da
die Gastarbeiter noch nicht so viele waren wie 1970. Es galt auch noch das erste Abkommen
mit Italien, was die Italiener sehr einschränkte in ihrer Bewegungsfreiheit innerhalb der
Schweiz. Sie wurden eben noch als Arbeitskräfte wahrgenommen und noch nicht als Gefahr
für die Identität des Landes.
Natürlich waren sie nicht ganz von den Beschimpfungen ausgenommen, jedoch hatten sie
sich eine Art Schild aufgebaut durch ihre frühe Integration und ihre offene Art. Durch ihre
Integration in die Gesellschaft hatten sie viele Freunde die sie schätzten und obwohl sie alles
mitbekommen haben, was so gegen sie und die Italiener gesagt wurde, konnten sie auf
Rückhalt in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis setzen.
Zusammengefasst kann man also sagen, dass sie zwar in der Zeit auf jeden Fall alles
mitbekommen haben und dass sie davon nicht unberührt blieben. Sie hatten sich jedoch
durch das frühe Einreisen, das dadurch ermöglichte frühe Integrieren in die Gesellschaft und
die dauerhafte Anwesenheit in der Schweiz eine Art Schutzschild durch Freunde und Familie
aufgebaut die auch in der Zeit, in der immer heftiger über das Ausländerthema diskutiert
wurde, zu deren besseren Akzeptanz verhalft.
17
https://de.wikipedia.org/wiki/Tschingg (11.10.2015)
Die italienische Immigration-Vom Tschingg zum Schweizer Nico Malacrida
18
5.2.3. Familie
Die Familie ist im Leben von uns allen eine sehr wichtige Konstante, die uns immer einen
Halt gibt und auch die Entscheidungen die wir treffen von Anfang an beeinflusst. So auch in
diesen Fällen. Man muss sagen, dass sich die Art und Weise wie sich die familiäre Situation
auf die Leben von Frau Bianchera und Herr Malacrida ausgewirkt hat leicht anders war und
trotzdem am Schluss eine sehr bedeutsame Entscheidung bei Beiden gleichermassen
geprägt hat.
Fangen wir erst einmal bei der familiären Situation von Frau Bianchera an. Sie war eines von
10 Kindern in ihrer Familie. Das hiess, dass das sowieso schon knappe Geld und die nicht
vorhandene Arbeit ein entscheidender Grund für sie war auszuwandern. Als sie dann 1951 in
die Schweiz kam, hatte sie einen grossen Vorteil gegenüber vielen anderen Einwanderern zu
der Zeit: Ihr grosser Bruder war bereits seit 1948 in der Schweiz und er hat ihr dabei
geholfen eine Festanstellung zu bekommen. Diese Festanstellung bedeutete für sie, dass sie
nicht wie ein Saisonnier alle 9 Monate wieder zurück nach Italien musste und dass sie
dauerhaft arbeiten konnte, solange ihr Arbeitgeber ihr nicht kündigte. Ihr Glück endete aber
nicht da, denn kaum war sie in der Schweiz angekommen, lernte sie ihren Mann kennen,
einen Italiener mit Schweizer Pass. Da sie durch die Geburt von 2 Kindern und durch ihren
Mann eine eigene Familie in der Schweiz hatte, entschied sie sich auch nicht mehr zurück
nach Italien zu gehen, da sie sich ihr Leben hier in der Schweiz aufgebaut hat. Durch den
Kontakt mit ihren Geschwistern in Italien hat sie aber bis heute noch eine Verbindung mit
Italien.
Die Situation von Herr Malacrida sah ein klein wenig anders aus, denn er kam damals alleine
in die Schweiz. Doch auch bei ihm spielte die Familie eine grosse Rolle in seinem Leben und
zwar spätestens ab dem Zeitpunkt wo sein erster Sohn geboren wurde. Wie im Interview
erfahren, war der Umstand, dass der Sohn in Italien bei den Grosseltern aufwuchs, natürlich
der Hauptgrund wieso er so oft wie möglich nach Italien zurückging. Als er 1961 geheiratet
hat, seine Frau zu ihm in die Schweiz gezogen ist, kurz darauf der zweite Sohn geboren
wurde und 2 Jahre später der erste Sohn in die Schweiz geholt wurde, ab dann wollte er
nicht mehr zurück nach Italien ziehen, denn er konnte den Kindern in der Schweiz eine
sicherere Zukunft bieten als in Italien.
So unterschiedlich die Situation am Anfang auch war, so war es die eigene Familie, die bei
Beiden den Entschluss festigte, in der Schweiz zu bleiben und nicht zurück nach Italien zu
gehen. Auch im Film “Si Pensava di restare poco“ , wo verschiedene italienische
Immigranten ihre Lebensgeschichten erzählen, wird der Zeitpunkt, als die eigene Familie
Die italienische Immigration-Vom Tschingg zum Schweizer Nico Malacrida
19
gegründet wurde, als der Zeitpunkt genannt, ab dem man nicht mehr das Verlangen hatte
zurück nach Italien zu ziehen, denn ihnen war ebenfalls klar, dass es den Kindern in der
Schweiz später besser gehen wird und ihnen viel mehr Perspektiven offen stehen werden.
5.2.4. Qualifikation
Im Falle von Herr Malacrida spielte sicher auch seine Ausbildung eine grosse Rolle, denn
durch die Ausbildung als Kupferschmied und seiner Fahrerlaubnis war er ein sehr wertvoller
Arbeiter zu der Zeit. Obwohl er den Status eines Saisonnier innehatte, musste er nie nach 9
Monaten zurück nach Italien gehen. Dies war natürlich ein grosser Vorteil, denn durch diesen
Umstand konnte er sich viel besser an das Leben in der Schweiz gewöhnen und sich
integrieren.
Gut ausgebildete Personen waren zu der Zeit natürlich Gold wert und man versuchte sie
auch möglichst lange an sich zu binden. Es war im Fall eines erfahrenen Arbeiters natürlich
schlauer, diesen nicht nach 9 Monaten nach Hause zu schicken, denn dann bestände die
Gefahr, dass ein neuer und unerfahrener Gastarbeiter seinen Platz einnehmen würde. Da
Tunnelarbeiten sowieso das ganze Jahr liefen, hat sich diese Art, mit der Situation
umzugehen, natürlich für Arbeitgeber sowie auch den Arbeitnehmer gelohnt. Da der
Arbeitgeber sowieso über das Leben der Saisonniers innerhalb der Schweiz bestimmen
konnte, konnten diese nicht wirklich nein dazu sagen.
Halten wir also hier fest, dass eine gute Ausbildung viele Vorteile gegenüber anderen
bringen konnte, jedoch bedeutete das meistens auch, dass sie noch mehr oder noch länger
arbeiten mussten, denn wo andere nach 9 Monaten zwangsweise eine Pause nehmen
mussten, so musste er das ganze Jahr arbeiten( selbstverständlich hatte auch er seine paar
Urlaubstage).
5.2.5. Zusammenfassung
Natürlich war die Zeit nach dem 2. Weltkrieg für viele Italiener eine Zeit in der sie sich neu
finden und sich neue Perspektiven schaffen mussten. Für Viele hiess es entweder in Italien
bleiben und darauf hoffen, dass sich etwas bessert oder in ein anderes Land auszuwandern,
um dort zu arbeiten und der Familie zuhause etwas Geld zu schicken. Ob die Fremdarbeiter
in der Schweiz Erfolg hatten und sich hier festsetzen konnten, oder ob sie als Handlanger
ausgenutzt wurden und schlussendlich nach Italien zurückgegangen sind, hing von
mehreren Aspekten ab. Die meiner Meinung nach 5 wichtigsten Faktoren waren hierbei der
Herkunftsort, der Zeitpunkt der Einwanderung, die Qualifikationen, die familiäre Situation und
der meiner Meinung nach wichtigste Faktor: „Glück“. Was hiess das genau?
Die italienische Immigration-Vom Tschingg zum Schweizer Nico Malacrida
20
Zusammengefasst würde ich sagen, dass
der Herkunftsort darüber entschieden hat, wie gut man mit der Schweizer Kultur
zurechtkam und inwiefern man von der Überfremdungsbewegung betroffen war.
der Zeitpunkt der Einwanderung genauso wie der Herkunftsort darüber entschieden
hat, wie stark man persönlich von der Überfremdungsbewegung betroffen war.
die Qualifikation darüber entschieden hat, was für eine Arbeit man verrichten musste
und was für Möglichkeiten einem offen standen. Beispiel Gianni Farina: Als
ausgebildeter Geometer wurde er bei seinem 2. Arbeitgeber schnell zum Bauführer
befördert wegen seiner Erfahrung.
die familiäre Situation viele Entscheidungen, die mit der alten Heimat zu tun hatten,
beeinflusst dafür gesorgt haben, dass viele sich gegen eine Emigration zurück nach
Italien entschieden haben, damit ihre Kinder später ein besseres Leben führen
können.
das Glück wie eigentlich immer in unserem Leben die grösste Rolle spielt, denn es
können noch so alle Voraussetzungen für ein gutes Leben gegeben sein, ohne eine
grosse Portion Glück wären meiner Meinung nach viele Erfolgsstorys niemals
zustande gekommen.
5.3 Analyse der heutigen Situation
Glück hatte auch ich bei meiner Arbeit, denn per Zufall lernte ich durch meinen Vater den
italienischen Parlamentsabgeordneten „onorevole“ Gianni Farina kennen. Farina stammt wie
mein Grossvater aus der Provinz Sondrio und kam 1963 zum ersten Mal in die Schweiz und
blieb nach einem Abstecher nach Libyen ab 1971 auch hier in der Schweiz. Genau wie mein
Grossvater war auch er als Saisonnier hier, aber anders als mein Grossvater musste er wie
alle normalen Saisonniers nach 9 Monaten zurück in die Heimat. Durch seine
vergleichsweise hervorragende Ausbildung(er hat die Matura in Italien abgeschlossen und
danach 2 Jahre an der Universität studiert) wurde er von seinen Arbeitgebern meistens als
Bauführer eingesetzt. Er spricht französisch, italienisch und kann sich unterdessen auch
recht gut auf Deutsch verständigen, weshalb er sich in den Baracken immer wieder für die
Korrespondenz der verschiedenen Arbeiter und ihren Familien Zeit genommen hat. Hier ist
anzumerken, dass viele der Arbeiter in den Baracken Süditaliener waren und viele davon
waren Analphabeten. Er ist seit 1976 mit einer Deutschen verheiratet, hat aber keine Kinder.
Seine Frau hatte 1977, als sie im 7. Monat schwanger war, einen Autounfall und konnte
dann keine Kinder mehr kriegen. 1980 entschied er sich, die Mandate als Bauführer
aufzugeben und entschied sich in die Politik zu wechseln.
Die italienische Immigration-Vom Tschingg zum Schweizer Nico Malacrida
21
Seine Arbeit als Politiker begann er als Vermittler von Gewerkschaften zwischen Zürich,
Paris und Brüssel. Er beschäftigte sich in dieser Zeit vor allem mit europäischem Recht, was
seine persönliche Anschauung von heute sehr geprägt hat. Als er sich 2001 pensionieren
lassen wollte, waren die Politiker in Rom damit nicht einverstanden und er wurde Vertreter
für die Italiener in Europa, der sich in einem kleinen Parlament für die Interessen der Italiener
auf der ganzen Welt kümmert. 2006 wurde
er dann ins Parlament in Rom gewählt und
ist bis heute dort im Amt. Der in
Pfäffikon(SZ) lebende italienische Politiker
ist momentan Präsident der
interparlamentarischen Delegation
Schweiz-Italien. Das ist eine Delegation
aus 10 schweizerischen und 10
italienischen Abgeordneten die sich jedes
Jahr treffen um Probleme zu besprechen
und hoffentlich auch Lösungen zu finden.
Auf die Frage wie er die politische Lage und die Ausländerfeindlichkeit in der Schweiz und
auch in Italien heute im Vergleich zu damals beschreiben würde antwortete er, dass früher in
der Schweiz vor allem die Italiener, insbesondere die Süditaliener viele Probleme hatten.
Jedoch mit der bereits 3. Generation dieser italienischen Einwanderer sind sie in der
Gesellschaft vollkommen integriert und die Angst vor dem Fremden richtet sich in Richtung
der östlichen Einwanderer. Vor allem der Islam macht der Bevölkerung zu schaffen, da sie in
den Köpfen Vieler, nicht mit der römisch-katholischen Kultur hierzulande vereinbar ist.
Dasselbe gilt aber auch für Italien wo sich momentan ca. 5 Millionen Migranten befinden.
Das grösste Problem in Italien ist seiner Meinung nach die Korruption, die sich durch die
ganze Administration und Politik zieht. Viel zu oft herrscht eine Vetternwirtschaft vor,
weshalb Italien auch auf keinen grünen Zweig kommt. Deshalb sei es nicht verwunderlich,
dass auch noch heute einige Personen auswandern. Und auch jetzt ist die Situation noch so,
dass im Norden des Landes alles um einiges besser funktioniert als im Süden.
„Ich denke, dass es keine Zukunft für Europa gibt ohne ein einheitliches Europa. Die Welt ist
kleiner geworden und es drängen immer mehr Schwellenländer wie Indien und China auf
den Weltmarkt und ohne einheitliches Europa werden wir untergehen.“
Farina ist ein eher linker Politiker, dessen Traum ein einheitliches Europa ist. Er sieht sich
selber als Europäer, nicht als Schweizer oder Italiener und er will auch als Europäer sterben.
Er bezeichnet die Schweiz aber auch als kleines Europa, das dem Rest von Europa um
Abbildung 6: Gianni Farinas Abgeordnetenausweis
Die italienische Immigration-Vom Tschingg zum Schweizer Nico Malacrida
22
knapp 50 Jahre voraus ist. Sie haben es viel besser geschafft mit vielen verschiedenen
Sprachen und Kulturen in Eintracht zu leben und den erarbeiteten Wohlstand zu erhalten.
In vielen Punkten musste ich Farina zustimmen, denn es ist wahr, dass die Schweiz in
Europa einen gewissen Spielraum hat, aber wir nicht wissen wie es in 50 Jahren aussehen
wird. Dass viele Leute nicht aus der Geschichte lernen wollen sieht man auch heutzutage
wieder. Es herrscht fast überall eine Ablehnung gegenüber den neuen Ausländern und es
wird wieder, oder noch immer Politik mit dem Ausländerthema gemacht. Wohin das alles
führen wird, wird man in den nächsten Jahren sehen. Vielleicht wird ja die Idee von Farina
wahr und es wird ein geeintes Europa geben. Nicht als EU, aber vielleicht ein Europa das
funktioniert, wie es die Schweiz heute tut.18
6. Schlusswort
Ich hatte meine Arbeit mit sehr viel Halbwissen begonnen. Ich hatte zwar bereits einige
Vorkenntnisse durch nebenbei mal aufgeschnappte Sachen, jedoch war es nichts Ganzes
und auch nichts Halbes. Ich ging mit der Meinung an die Arbeit, dass es allen Italienern
schlecht ergangen ist zur damaligen Zeit. Ich hatte auch nie die Möglichkeit in Betracht
gezogen, dass ein Unterschied zwischen Süd- und Norditalienern gemacht wurde. Ebenfalls
war die Tatsache, wie knapp die Schweiz, meiner Meinung nach, einer Katastrophe
entgangen ist mit der Schwarzenbach Initiative, sehr erschreckend. Nach einigem
Recherchieren wurde mir jedoch klar, wie differenziert die Situationen der einzelnen
Einwanderer war und die drei Interviews die ich durchgeführt habe, haben mir gezeigt, dass
sich hinter jedem dieser Menschen eine ganz eigene Erfolgsstory verbirgt. Edoardo
Malacrida, Orsola Bianchera und Gianni Farina haben es alle geschafft sich hier in der
Schweiz eine Existenz aufzubauen und das, obwohl sie alle ja eigentlich gar nicht lange
bleiben wollten.
Erschreckend war für mich, wie genau man die damalige Situation zum Teil auf heute
projizieren kann. Der Text von Max Frisch zum Beispiel könnte tatsächlich, in ein bisschen
modernisierter Art und Weise, aus dem Jahr 2015 stammen und auch die politische Situation
in Italien hat sich nicht sonderlich gebessert, denn noch immer herrschen Korruption und
Vetternwirtschaft in weiten Teilen der Administration vor. In der heutigen Zeit hat sich
natürlich vieles gegenüber damals gebessert, jedoch müssen wir gut auf uns und unseren
Wohlstand aufpassen, denn dieser ist ein wichtiges, wenn nicht sogar das wichtigste Gut.
18
Interview mit Gianni Farina
Die italienische Immigration-Vom Tschingg zum Schweizer Nico Malacrida
23
Der Wohlstand kam mit den Einwanderern und wo ständen wir heute, wenn plötzlich alle
Ausländer das Land verlassen würden? Grundsätzlich kann man nur spekulieren wie sich in
den nächsten Jahren alles entwickeln wird und deshalb bin ich sehr gespannt darauf, was
wir in 50-60 Jahren über uns in den Geschichtsbüchern (falls es bis dort noch Bücher gibt)
lesen werden.
Die italienische Immigration-Vom Tschingg zum Schweizer Nico Malacrida
24
7. Quellenverzeichnis
7.1 Literatur
Les Trente Glorieuse: Wikipedia https://fr.wikipedia.org/wiki/Trente_Glorieuses (Stand
5.10.2015)
Die Schweiz als Ein- und Auswanderungsland: Bundesamt für Migration
http://www.jugendweb.asyl.admin.ch/php/get_pdf.php?id=113 (Stand 5.10.2015)
Ausländer: Historisches Lexikon der Schweiz http://www.hls-dhs-
dss.ch/textes/d/D10384.php (Stand 5.10.2015)
Italien: Länderlexikon http://www.laender-
lexikon.de/Italien_(Geschichte)#Nachkriegszeit_und_neues_Jahrtausend (Stand 6.10.2015)
Nachkriegsboom: Wikipedia
https://de.wikipedia.org/wiki/Nachkriegsboom#Miracolo_economico_italiano (Stand
6.10.2015)
Italienische Auswanderung: Wikipedia
https://de.wikipedia.org/wiki/Italienische_Auswanderung (Stand 6.10.2015)
Einwanderungsdebatte vor fünf Jahrzenten: NZZ http://www.nzz.ch/schweiz/interessen-
und-emotionen-um-das-italienerabkommen-1.18229578 (Stand 7.10.2015)
Historische und soziologische Übersicht über die Migration in der Schweiz : Gianni
D’Amato http://sjep.revues.org/340 (Stand 7.10.2015)
Fremdenfeindlichkeit: Historisches Lexikon der Schweiz http://www.hls-dhs-
dss.ch/textes/d/D16529.php (Stand 7.10.2015)
Eidgenössische Volksinitiative Überfremdung: admin.ch
https://www.admin.ch/ch/d/pore/vi/vis93t.html (Stand 7.10.2015)
James Schwarzenbach: NZZ http://www.nzz.ch/schweiz/schweizer-geschichte/als-james-
schwarzenbach-die-auslaenderpolitik-entdeckte-1.18430680 (Stand 7.10.2015) …und es kommen Menschen: Berliner Zeitung http://www.berliner-zeitung.de/archiv/der-
schweizer-schriftsteller-max-frisch-1965-zum-thema-immigration------und-es-kommen-
menschen-,10810590,10247142.html (Stand 8.10.2015)
Gründung einer Anti-Italiener Partei in Zürich: SRG SSR http://www.ideesuisse.ch/256.0.html?&no_cache=1&tx_ttnews%5Btt_news%5D=674&tx_ttnews%5Blist%5D=926%2C674%2C718%2C675%2C676%2C722&tx_ttnews%5BbackPid%5D=216&cHash=29f434d9ecb164a8105cf8b9f8650ae1 (Stand 11.10.2015) Tschingg: Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Tschingg (Stand 11.10.2015)
Die italienische Immigration-Vom Tschingg zum Schweizer Nico Malacrida
25
7.2 Abbildungen
Titelbilder:
http://austria-erlangen.de/veranstaltung_jeder_ist_fremder.htm (Stand 12.10.2015)
http://www.srf.ch/news/schweiz/eine-geschichte-der-zu-und-auswanderung
(Stand 12.10.2015)
http://www.nzz.ch/schweiz/interessen-und-emotionen-um-das-italienerabkommen-
1.18229578 (Stand 12.10.2015)
Abbildungen:
1)Werte von Diagramm: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D10384.php
Eigenes Archiv:
2) Edoardo Malacrida(l.) auf einer Baustelle,1955
3) Edoardo Malacrida, 2015
4) Orsola Bianchera mit 16 Jahre,1949
5) Orsola Bianchera, 2015
6) Gianni Farinas Abgeordnetenausweis
7.3 Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Ausländische Bevölkerung 1880-2010 ................................................................. 5
Abbildung 2: Edoardo Malacrida(l.) auf einer Baustelle,1955 ................................................. 12
Abbildung 3: Edoardo Malacrida, 2015.................................................................................... 13
Abbildung 4: Orsola Bianchera mit 16 Jahre,1949 .................................................................. 14
Abbildung 5: Orsola Bianchera, 2015 ...................................................................................... 15
Abbildung 6: Gianni Farinas Abgeordnetenausweis................................................................ 21
Die italienische Immigration-Vom Tschingg zum Schweizer Nico Malacrida
26
8. Anhang
Interview – Gianni Farina(italienischer Abgeordneter)
Als erstes würde ich gerne ein bisschen mehr über sie wissen. Von wo stammen sie
ursprünglich und in welchem Alter sind sie in die Schweiz gekommen?
Ich stamme aus Caiollo, Provinz Sondrio. In die Schweiz bin ich im Jahre 1963 gekommen.
Wie war ihre persönliche und wie war die allgemeine Situation in Italien bevor sie in
die Schweiz kamen? (Familie, Freunde, Arbeit,…)
In Sondrio studiert bis Matura, danach eine kurze Zeit in Mailand an der Universität
Wirtschaft studiert für 2 Jahre, da ich zu arm war mir das rechtliche Studium zu leisten.
Ausbildung als Technischer Ingenieur und Geometer gemacht.
Mit welchen Hoffnungen sind sie in die Schweiz gekommen? Hatten sie konkrete
Pläne und falls ja wie sahen diese aus?
Nicht wirkliche Hoffnungen. Die Schweiz war für mich ein guter Ort, da wir halbe Bündner
waren was Mentalität und Kultur anging. Ich hatte in Italien einfach keine richtigen
Perspektiven mehr, da ich wie gesagt eher arm war. Pläne hatte ich schon, denn ich wusste
schon wo und als was ich arbeiten gehen werde am Anfang.
Wo kamen sie dann in der Schweiz an, wo und als was haben sie dann gearbeitet?
Angekommen in Thusis und als Geometer an der Autobahn Thusis nach Landquart
gearbeitet. Ich war als Saisonnier in der Schweiz tätig. Später dann bei der heutigen Marti
AG Bauführer( also eine Beförderung). Danach in Libyen gearbeitet zwischen 1968-1971 für
die Cogefar-Impresit, einer italienischen Firma. 1971 zurück in die Schweiz für die Strassen
und Tiefbau AG Zürich nachdem er vom Bauleiter in Libyen, einem Schweizer Ingenieur,
eingeladen wurde in die Schweiz zu kommen. Bauführer für Schienenbau in Mägenwil und
beim Rickentunnel bis 1980. Ab dann bin ich in die Politik gegangen.
Wie wurden sie in der Gesellschaft aufgenommen? Hatten sie Kontakt zu anderen
Saisonniers oder hatten sie sogar Freunde in der Schweiz?
Für mich war es kein Problem in der Schweiz mit den Leuten klarzukommen, da die
norditalienische Kultur sehr nahe mit der der Bündner verbunden ist und ich Französisch,
Italienisch und auch ein bisschen Deutsch gesprochen habe. In den Baracken musste ich
Die italienische Immigration-Vom Tschingg zum Schweizer Nico Malacrida
27
immer den Handlangern und unteren Arbeitern(vor allem Süditaliener) dabei helfen, Briefe
für den Austausch der Familien zu schreiben, da sehr viele Analphabeten waren, da sie
keine schulische Ausbildung hatten. Allgemein hatten Süditaliener viel mehr Probleme, da
die kulturellen Unterschiede ziemlich gross waren.
Welche Ungerechtigkeiten haben sie erlebt?
Etwas sehr schlimmes war für mich der Gesundheitscheck, der jedes Mal durchgeführt
wurde, wenn man wieder in die Schweiz gekommen ist. Der Pass der beim Arbeitgeber
blieb, war auch eine Belastung, denn man hatte keine wirkliche Freiheit und wurde einfach
als Arbeitskraft ausgenutzt. Man musste die vollen 9 Monate da bleiben, sonst bekam man
Probleme.
Hatten sie Familie(Partner, Kinder) in Italien oder sogar in der Schweiz und wenn ja,
wie sind sie mit dieser Situation umgegangen?
Ich bin 1971 zurück in die Schweiz gekommen und an einer Weihnachtfeier hab ich dann
meine Frau kennengelernt. 1976 haben wir in Zürich geheiratet. Leider haben wir keine
Kinder, denn meine Frau hatte einen Autounfall als sie im 7. Monat schwanger war. Sie war
danach im Koma, ist aber zum Glück wieder gesund geworden. Jedoch hat sie das Kind
verloren und sie konnte danach auch keine mehr kriegen.
Haben sie jemals darüber nachgedacht ganz zurück nach Italien zu gehen oder waren
sie sogar eine Zeit lang wieder in Italien wohnend?
Nein, da ich ab 1980 nur noch Politik gemacht habe, hatte ich nie richtig darüber
nachgedacht wieder zurück nach Italien zu ziehen, da es mir hier gut ging.
Wie würden sie die Schweiz und Italien damals beschreiben und was hat sich ihrer
Meinung nach bis heute geändert? (Ausländerfeindlichkeit, allgemeine pol. Lage,
wirtschaftl. Möglichkeiten,…)
Früher waren die Italiener das Problem und heute sind es die neuen Einwanderer, also die
Türken Kosovaren und so weiter. Es herrscht meiner Meinung nach noch immer eine Angst
vor dem Fremden in der Bevölkerung. In Italien befinden sich momentan 5 Millionen
Migranten und das könnte zu Problemen in der Bevölkerung führen.
Das grösste Problem ist die Korruption in der Politik in Italien. Die ganze Administration in
Italien ist Korrupt und es herrscht Chaos. Wenn man Geld hat, kann man sich sehr vieles
erlauben indem man Leute schmiert. Ein Beispiel ist das italienische Konsulat in Basel. Es
wurden 4 Leute eingestellt aus seinem Heimatdorf, ohne dass die Kommission davon
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erfahren hat und diesen Fall werde ich auch am nächsten Dienstag im Parlament
ansprechen. Ein schönes Beispiel für Vetternwirtschaft. Im Norden Italiens läuft grundsätzlich
alles um einiges besser als im Süden des Landes und das war leider schon immer so.
Wie sah ihre politische Karriere aus und was denken sie wird noch passieren?
Am Anfang hab ich mit Gewerkschaften zwischen Zürich, Paris und Brüssel
zusammengearbeitet und in der Zeit bin ich dann auch sehr viel rumgereist, was ein paar
sehr schöne Jahre waren. Danach habe ich mit der PS in Frankreich kooperiert. Vor allem
europäisches Recht hat mich in der Zeit beschäftigt. 2001 als ich 60 Jahre alt war, wollte ich
eigentlich aufhören und mich pensionieren lassen, jedoch waren die Chefs in Rom nicht
damit einverstanden. Danach war ich Verantwortlicher für Europa in einem kleinen
Parlament für die Interessen der Italiener auf der ganzen Welt. 2006 wurde ich dann ins
Parlament in Rom für die Partito Democratico gewählt. Ich bin Präsident für die
interparlamentarische Delegation Schweiz-Italien. Wir sind 10 italienische und 10
schweizerische Abgeordnete die sich jedes Jahr treffen und Probleme besprechen.
Ich denke, dass es keine Zukunft für Europa gibt ohne ein einheitliches Europa. Die Welt ist
kleiner geworden und es drängen immer mehr Schwellenländer wie Indien und China auf
den Weltmarkt und ohne einheitliches Europa werden wir untergehen. Die Schweiz hat in
Europa einen gewissen Spielraum aber nicht in der Welt.
Wie sehen sie sich selber? Würden sie sagen sie sind eher Schweizer oder noch
immer der alteingesessene Italiener oder würden sehen sie sich als beides?
Ich bin kein Nationalist, aber wenn ich etwas sagen müsste, dann würde ich sagen ich bin
Europäer. Ich bin schon überall in Europa gewesen und fühle mich überall daheim,
deswegen bin und will ich als Europäer leben und in einem Europa als Europäer sterben.
Das ist mein Traum. Die Schweiz ist zum Beispiel wie ein kleines Europa, denn hier leben
viele Leute mit vielen verschiedenen Sprachen miteinander.
Sie gehören ja der Partito Democratico an. Wie sehen sie ihre Wählergruppe?
Früher war es vor allem die untere Mittelschicht die unsere Wähler ausgemacht hat.
Heutzutage wählt das Proletariat kleine linke Parteien. Unsere Wähler sind jetzt die
Mittelschicht, das heisst die Partei hat sich Richtung Mitte verschoben. Wir sind eine sehr
offen, vielleicht zu offene Partei. In Italien haben wir etwa 33-35% Wähleranteil und wir sind
die grösste Partei Italiens.
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Interview – Orsola Bianchera
Als erstes würde ich gerne ein bisschen mehr über sie wissen. Von wo stammen sie
ursprünglich und in welchem Alter sind sie in die Schweiz gekommen?
Ich bin 1951 mit 18 Jahren von Clusone (bei Bergamo) in die Schweiz gekommen
Wie war ihre persönliche und wie war die allgemeine Situation in Italien bevor sie in
die Schweiz kamen? (Familie, Freunde, Arbeit,…)
Ich war das 5. von 10 Kindern. Nach dem Krieg gab es nicht viel Arbeit, darum bin ich in die
Schweiz gefahren. Mein grosser Bruder war bereits seit 1948 in der Schweiz und er hat mir
geholfen eine Stelle zu finden.
Mit welchen Hoffnungen sind sie in die Schweiz gekommen? Hatten sie konkrete
Pläne und falls ja wie sahen diese aus?
Nein, ich hatte keine konkreten Pläne. Ich hatte bereits einen unterschriebenen
Arbeitsvertrag in den Händen
Wo kamen sie dann in der Schweiz an, wo und als was haben sie dann gearbeitet?
Ich fuhr direkt von Bergamo via Mailand nach Zürich. Ich habe da als Kindermädchen
gearbeitet
Wie wurden sie in der Gesellschaft aufgenommen? Hatten sie Kontakt zu anderen
Saisonniers oder hatten sie sogar Freunde in der Schweiz?
Wie gesagt, war mein grosser Bruder bereits in der Schweiz. Kaum angekommen habe ich
bereits meinen zukünftigen Mann kennen gelernt. Ebenfalls gebürtiger Italiener, aber mit CH-
Pass. Er hat mich in der Gesellschaft eingeführt und ich wurde gut aufgenommen. Kaum
Kontakt zu anderen Saisoniers, da ich eine Festanstellung hatte
Welche Ungerechtigkeiten haben sie erlebt?
Persönliche Ungerechtigkeiten habe ich keine erlebt, habe aber selbstverständlich alles
wahrgenommen, was in den fünfziger Jahren gegen die Italiener gesagt wurde
Hatten sie Familie(Partner, Kinder) in Italien oder sogar in der Schweiz und wenn ja,
wie sind sie mit dieser Situation umgegangen?
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Mein grosser Bruder war schon in der Schweiz, mein jüngerer Bruder folgte uns 1954 und
auch meine kleinste Schwester kam für ein paar Jahre in die Schweiz. Eltern und die
anderen Geschwister blieben in Italien. Kontakt wurde telefonisch oder per Brief gehalten
Haben sie jemals darüber nachgedacht ganz zurück nach Italien zu gehen oder waren
sie sogar eine Zeit lang wieder in Italien wohnend?
Nein, der Gedanke wieder ganz nach Italien zurück zu gehen, war niemals vorhanden, da
meine eigene Familie (Mann und 2 Kinder) hier in der Schweiz lebten. Natürlich besuchte
und besuche ich regelmässig meine Geschwister in Clusone
Wie würden sie die Schweiz und Italien damals beschreiben und was hat sich ihrer
Meinung nach bis heute geändert? (Ausländerfeindlichkeit, allgemeine pol. Lage,
wirtschaftl. Möglichkeiten,…)
Das war natürlich sehr schwierig. Die Schweiz hat den 2. Weltkrieg nicht wirklich miterlebt
und konnte sich nach dem Ende des Krieges sofort wieder an den Aufbau und Verbesserung
der wirtschaftlichen Lage machen, wogegen in Italien vieles zerstört war und alles nach und
nach wieder aufgebaut werden musste. In der Schweiz war und ist die Sicherheit und Arbeit
immer noch vorhanden, in Italien ist die wirtschaftliche Lage etwas schwieriger, da die Politik
immer noch nicht in der Lage ist, die wirtschaftliche und politische Stabilität herzustellen.
Die Italiener sind mittlerweile in der Schweiz total integriert und stehen Schulter an Schulter
mit den Schweizer gegen andere Ausländer (z.B. aus dem Balkan) ein. Sie haben
vergessen, wie es damals für sie gewesen ist.
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Interview - Edoardo Malacrida
Als erstes würde ich gerne ein bisschen mehr über sie wissen. Von wo stammen sie
ursprünglich und in welchem Alter sind sie in die Schweiz gekommen?
Ursprünglich stamme ich aus Chiavenna im Norden von Italien. Ich bin mit 20 Jahren in die
Schweiz gekommen
Wie war ihre persönliche und wie war die allgemeine Situation in Italien bevor sie in
die Schweiz kamen? (Familie, Freunde, Arbeit,…)
Ich hatte Freunde und Familie in Italien und hatte eine Ausbildung als Kupferschmied und
konnte auch als ein solcher arbeiten. Arbeit an sich hatte es hier genug, jedoch war die
Bezahlung sehr schlecht und zwar in etwa 10mal schlechter als in der Schweiz.
Mit welchen Hoffnungen sind sie in die Schweiz gekommen? Hatten sie konkrete
Pläne und falls ja wie sahen diese aus?
Eigentlich ist das eine ziemlich lustige Geschichte. Ich kam nicht einmal mit dem Gedanken
in der Schweiz zu arbeiten, sondern ich wollte eigentlich nur ein paar Freunde auf der
Baustelle besuchen gehen. Dort angekommen wurde ich dann von einem Ingenieur
angefragt, ob ich nicht hier arbeiten will. Ich kannte den Ingenieur sogar schon, weil es der
gleiche war, der schon in Chiavenna Leute angesprochen hat, ob sie nicht in die Schweiz
arbeiten kommen wollen.
Wo kamen sie dann in der Schweiz an, wo und als was haben sie dann gearbeitet?
Angekommen bin ich in Rothenbrunnen in Graubünden, wo ich dann auch am Anfang
gearbeitet habe. Gearbeitet von 1954-1960 auf diversen Baustellen überall in der
Schweiz(Graubünden, Tessin, Uri, Bern, Wallis, Nid-&Obwalden). Niederurnen im Steinbruch
bis 1963 und bis 1990 bei der Eternit, zuerst als Stapelfahrer und dann als Hilfslaborant bis
70 Leute gefeuert wurden wegen der Schliessung einer Abteilung.
Wie wurden sie in der Gesellschaft aufgenommen? Hatten sie Kontakt zu anderen
Saisonniers oder hatten sie sogar Freunde in der Schweiz?
Sehr gut mit allen Leuten ausgekommen, sei es mit dem Chef oder anderen Arbeitskollegen.
Da ich sehr gesellig war und bin hatte ich sehr viele Freunde, seien es Italiener oder
Schweizer.
Welche Ungerechtigkeiten haben sie erlebt?
Bis auf den unfreiwilligen Rausschmiss bei der Ethernit AG, der auch nicht persönlich gegen
mich gerichtet war, sondern die Folge der Auflösung der Abteilung war, erging es mir sehr
gut in der Schweiz.
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Hatten sie Familie(Partner, Kinder) in Italien oder sogar in der Schweiz und wenn ja,
wie sind sie mit dieser Situation umgegangen?
Die Familie ist eigentlich in der Schweiz entstanden. Der 1. Sohn wurde in den ersten 7
Jahren in Italien bei den Grosseltern gelassen, was ein Grund war wieso die Verbindung mit
Italien immer bestehen geblieben ist. Frau als Saisonnier (Sommer und Winter Saison in
Hotels) gearbeitet und ich hatte das Glück durch meinen Arbeitsvertrag eine
Aufenthaltsbewilligung für das ganze Jahr zu haben. 1961 habe ich dann geheiratet und
meine Frau ist zu mir in die Schweiz gezogen. 1962 ist dann dein Vater auf die Welt
gekommen und 2 Jahre darauf konnten wir dann deinen Onkel zu uns in die Schweiz holen.
Haben sie jemals darüber nachgedacht ganz zurück nach Italien zu gehen oder waren
sie sogar eine Zeit lang wieder in Italien wohnend?
Nein. Ausser regelmässigen Besuchen bei der Familie in Italien wollte ich nie nach Italien
zurückgehen. Das hat vor allem damit zu tun, dass ich hier vollkommen zufrieden war und
meine Freunde ja auch hier in der Schweiz waren.
Wie würden sie die Schweiz und Italien damals beschreiben und was hat sich ihrer
Meinung nach bis heute geändert? (Ausländerfeindlichkeit, allgemeine pol. Lage,
wirtschaftl. Möglichkeiten,…)
Die wirtschaftliche und auch pol. Lage in Italien war und ist zum Teil auch noch heute
katastrophal, jedoch habe ich das Ganze in Italien nie wirklich mitverfolgt nachdem ich in die
Schweiz gekommen bin, da ich ja hier gelebt habe und nicht dort, aber natürlich hat man hier
und da mal etwas mitbekommen.
Zur Schweiz muss ich sagen, dass sie halt das Glück hatte nicht stark vom 2. Weltkrieg
tangiert worden zu sein und das hatte dann natürlich zur Folge, dass sie wirtschaftlich sehr
gut dastanden. Zur Ausländerfeindlichkeit kann ich auch nur von Freunden berichten, denn
mich hat das Ganze nicht wirklich betroffen, da ich wie gesagt mit allen sehr gut
ausgekommen bin und sehr gut Integriert war. Natürlich ist mir die Entwicklung der
Stimmung im Volk nicht entgangen und so etwas wie die Schwarzenbach-Initiative war der
Gipfel dieses Fremdenhasses, doch muss man auch sagen, dass heute die Italiener kein
Problem mehr darstellen in den Augen der allermeisten und das diese sogar zum Teil mit
den Schweizern zusammen Stimmung gegen die Einwanderer der heutigen Zeit machen.