Die Geschichte vom wilden Malle - mittelelbe-foerderverein.de · Die Abenteuer des wilden Malle...
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Die Geschichte vom wilden Malle
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Die Abenteuer des wilden Mallegeschrieben von Piroska Patzak
illustriert von Doreen Pannach
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Ach wo bin ich denn jetzt nur wieder gelandet!Was ich in letzter Zeit an Abenteuern erlebt habe! Dabei bin ich noch ganz jung.
Aber ich muss mich erst einmal vorstellen. Ich bin ein kleiner Wildapfel oder auch
Holzapfel. Ihr könnt Malle zu mir sagen, wie meine Freunde. Die nennen mich
den „Wilden Malle“*.
Vom Baum bin ich gefallen. Von ganz oben herunter. Schon als ich noch ganz
klein war, wollte ich unbedingt den allerhöchsten Platz haben. Ich
war eine kleine Blütenknospe. In meiner Hülle hielt ich es vor
lauter Neugier nicht aus. Meine Geschwister meinten, ich
solle die Zeit abwarten. Doch als ich endlich die Knospen-
blätter ein wenig anheben konnte, wagte ich mich so-
fort als erster hinaus. Eines Nachts wurde es auf einmal
bitterkalt und der Frost kam zurück. Beinahe wäre ich
erfroren. Im Frühjahr bekam meine Mutter dann überall
wunderschöne Blüten – schließlich gehören wir ja auch
zu der Rosenfamilie. Die Blüten blätter waren weiß und rosa.
Täglich bekamen meine Geschwister und ich Besuch von vielen
* Der Name ist von Malus sylvestris, dem wissenschaftlichen Namen des Wildapfels abgeleitet.
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Insekten. Vor allem Bienen
und Hummeln waren
ganz verrückt nach uns.
Sie saugten unseren
Nektar aus und nahmen
dabei den Staub mit.
Irgendwann verschmolz der
Pollen mit der Blütennarbe und
ich verlor meine schönen Blätter.
Aber plötzlich war, ohne dass ich
es merkte, etwas Neues entstan-
den. Statt der Blüte hatte ich jetzt
einen kleinen grünen runden Kopf und schaute munter von meinem Zweig auf
die hügelige Landschaft herab.
Eines Tages, es war ein warmer Frühsommertag, besuchte mich eine Krähe.
Mit ihrem kohlschwarzen Gefieder setzte sie sich auf die Spitze und begann zu
erzählen. Sie war sehr eingebildet und behauptete: „Ha, ich weiß eine ganze
Menge über dich und deine Vorfahren. Ihr seid ja nur die wilden und gemeinen
Vertreter eurer Familie.“ Ich wurde ganz wütend und schimpfte: „Du lügst.
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Das ist nicht wahr!“ Sie meinte nur: „Natürlich ist das wahr! Ich komme schließlich
viel herum und ich kenne noch viel Edlere von eurer Verwandtschaft. Außerdem
haben diese sehr ehrenwerte Namen und lassen sich nicht mit ihrer niederen
Sippe, den Holzäpfeln, ein.“ Jetzt wurde ich richtig traurig. Sollte das wirklich
stimmen, dass wir nur arme, verstoßene Verwandte sind, die zu nichts zu ge-
brauchen sind? Die Krähe erzählte weiter: „Ich kenne herrliche Wiesen, die ich
im Spätsommer besuche. Dort steht die ganze Adelssippe. Kaiser Wilhelm ist
dabei, der Prinzenapfel und der Geflammte Kardinal, aber auch der Minister
von Hammerstein oder der Kronprinz Rudolf.“ Da konnte ich als Wildapfel
natürlich nicht mithalten. Aber der garstige Rabenvogel war immer noch nicht
fertig und sprach: „Deine schrumpeligen, kleinen Früchte sind zu nichts zu
gebrauchen. Viel zu sauer sind die, davon bekommt man nur Magengeschwüre.“
Dann krächzte sie nochmal laut auf: „Aber im Herbst sehen wir uns wieder!“,
und flog davon. Jetzt war ich kurz davor, laut loszuschluchzen. Eine mächtige
Wut hatte ich im Bauch und dabei wurde ich immer größer. Doch ich kam gar
nicht dazu, längere Zeit darüber nachzudenken. Jeden Tag wurde ich runder
und in mir fühlte ich ein kleines Häuschen mit ganz zarten, weißen Kernen.
Ich träumte davon, auch einmal ein angesehener Apfel zu werden. In einer
warmen Augustnacht, ich war schon richtig rund und hatte ein wenig gelbgrüne
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Farbe mit ein paar rötlichen Punkten bekommen,
kam eine alte Eule und setzte sich auf meinen
Ast. Ihr erzählte ich von der Geschichte der
Krähe und dass ich seitdem sehr betrübt
bin. Die Eule meinte nur: „Ich weiß noch
viel mehr über euch als die Krähe.
Schließlich hält man mich nicht nur für
sehr weise, sondern ich bin es tatsäch-
lich.“ Ich schöpfte wieder ein wenig
Hoffnung. „Bitte, erzähle es mir! Ich bin
so neugierig und möchte alles über
meine Ururgroßeltern wissen.“ Und sie
begann zu erzählen: „Vor langer, langer
Zeit seid ihr, die Holzäpfel, die einzigen Äpfel
weit und breit gewesen. Die Menschen haben
sich schon immer von euch ernährt und euch
gesammelt. Doch später stellten die Menschen fest, dass man euch züchten
kann und so Äpfel bekommt, die besser schmecken. Euch beachteten sie dann
kaum noch, denn sie mochten euren Geschmack nicht mehr. Einige von euch
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Wildäpfeln dachten nun, vielleicht ist es besser, sich mit den Neuen anzu-
freunden und diese zu heiraten. Doch das führte am Ende sogar dazu, dass es
euch, als reine Holzäpfel, jetzt gar nicht mehr gibt.“ Ich lauschte ihr ganz
ungläubig und rief entsetzt: „Wie konnte das nur geschehen!“ Die gute Eule
konnte mich beruhigen: „Ihr seid jetzt sehr, sehr selten und damit noch wertvol-
ler geworden!“ Das erstaunte mich noch mehr. „Sag, Eule, was weißt du noch
alles?“ „Ja, über die Äpfel und die Menschen kann ich dir viel erzählen!“, antwor-
tete sie. „Ihr spielt in den Geschichten alter Völker eine große Rolle. Der Apfel ist
ein uraltes Sinnbild für Liebe und Fruchtbarkeit und wurde schon von den Kelten
und den Germanen geschätzt. Ein Apfel war auch der Grund für den
Trojanischen Krieg. Schließlich ist in der englischen Sage von König Artus mit
der geheimnisvollen Insel Avalon das Apfelland gemeint. Und dann gibt es
noch so viele Märchen, in denen von Äpfeln die Rede ist.“ Doch dann wurde sie
plötzlich hektisch. „Jetzt muss ich schnell fort, um mir etwas zu essen zu holen.
Es wird schon langsam hell.“ Aber davon hörte ich schon nicht mehr viel, denn
ich war in einen wunderbaren Schlaf gefallen und träumte herrlich.
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Den heißen Augusttagen folgte ein warmer Spätsommer.Meine Geschwister und ich waren jetzt kugelrund und die kleinen Kerne in
unserem Bauch waren inzwischen fast schwarz. Da stellte ich fest, dass wir
allmählich immer weniger wurden. Ich schaute nach unten und erschrak. Dort
lagen ja meine lieben Geschwister! Sie fielen einfach auf den Waldboden herab.
Ich konnte mich selbst kaum noch an meinem Ast festhalten. Und dann kam
plötzlich ein heftiger Sturm. Ich versuchte, mich mit allen Kräften festzuhalten.
Doch der Sturm war viel, viel stärker und ich stürzte hinab in die Tiefe. Als ich
mich betrachtete, hatte ich überall Dellen und an einer Stelle bekam ich sogar
eine Platzwunde. Meinen kleinen Kernen ging es zum
Glück gut. Doch was geschah jetzt? Ich hörte laute,
dumpfe Schritte und ein schreckliches Schnau-
fen und Schmatzen. Große, borstige Tiere mit
riesigen Hauern durchwühlten den Erdboden
und fraßen gierig meine Geschwister auf.
Vor lauter Angst verkroch ich mich unter ein
altes Blatt. Plötzlich sah ich nur ein riesiges,
schwarzes Maul und auf einmal war alles
dunkel.
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„Das ist jetzt das Ende!“, dachte ich.
Doch dann gelang es mir, zu ent-
kommen und ich sah wieder das
Tageslicht. Verschleppt wurde ich,
weit von zu Hause fort. Ganz nah
hörte ich ein lautes Plätschern. Der
Himmel verdunkelte sich und es
zogen schwarze Wolken auf. Ich
sah johlende, pechschwarze Vögel
umherfliegen. Da war wieder
meine alte Bekannte vom Som-
mer! Hatte ich denn nirgends
Ruhe? Höhnisch kreischte die
Krähe: „Na, habe ich es dir nicht
vorhergesagt. Im Herbst sehen wir
uns wieder!“ Sie stürzte auf mich
herab, pickte mich mit ihrem scharfen Schnabel auf und flog davon. Als wir über
einen Fluss kamen, krachten grelle Blitze auf. Die Krähe bekam einen Schreck
und ließ mich in das eiskalte Wasser fallen.
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Das Wasser riss mich mit und wurde immer schneller und wilder. Die Steine
im Flussbett verrieten mir auch den Namen und die Herkunft: „Das ist die Wilde
Weißeritz, die im Osterzgebirge entspringt.“ Die rasante Fahrt dauerte noch eine
ganze Weile. Ständig wurde ich herumgewirbelt, bis mir ganz schwindlig war.
Zum Glück kamen wir nach einigen Tagen an einen großen Fluss, der ganz ruhig
und gemütlich dahinfloss. Ich war in der Elbe angelangt und meine Reise ging
flussabwärts weiter. Irgendwann gelangte ich in einen völlig unbekannten Wald,
der sich Auenwald nannte. Hier blieb ich ganz allein liegen. So bin ich schließlich
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hierher in das Gebiet der mittleren Elbe gekom-
men. Jetzt wollte ich mich nur noch in der Erde
verkriechen und mich endlich nach den vielen
Strapazen ausruhen. Ich blieb den
ganzen Winter in der Erde und
wagte es erst im Frühjahr,
mein Köpfchen aus dem
Boden zu stecken.
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Neugierig betrachtete ich meine
neue Heimat und machte sogleich
Bekanntschaft mit meiner Nachba-
rin, einer betagten Dame. „Guten
Tag, junger Freund!“, sprach sie. „Ich
bin eine alte Wildbirne und ich
möchte dich an der mittleren Elbe
willkommen heißen! Man nennt
mich die lebhafte Pyrie**. Aber zu-
erst musst du mir erzählen, wo du
herkommst.“ Und ich begann, von
meinen Abenteuern zu berichten.
Ich erzählte ihr auch, was ich nun
über uns Äpfel und unsere be-
wegte Geschichte wusste. Doch
wie erstaunt war ich, dass es meiner
neuen Freundin gar nicht fremd
war. „Meine Familie“, erwiderte sie,
„hat eine ähnliche Geschichte mit
** Der Name ist von Pyrus pyraster, dem wissenschaftlichen Namen der Wildbirne abgeleitet.
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ihren Vorfahren erlebt. Auch bei uns gibt es eine edlere Verwandtschaft. Doch“,
fuhr sie wissend fort, „habe ich mich daran nie gestört. Ich lebe hier in einem so
herrlichen Wald, der übrigens ziemlich einmalig in Deutschland ist. Und übri-
gens“, sprach sie weiter, „weißt du, was das Schönste ist? Unsere Familie ist hier
weit verbreitet. Manche von uns sind sehr alt und leben schon sehr lange im
Auenwald an der Elbe, so wie ich. Ja, und natürlich gibt es hier auch ganz viele
von euch, den Wildäpfeln. Es wird sogar behauptet, dass unsere Sippe hier an
der Mittelelbe die größte Verbreitung in ganz Deutschland, vielleicht sogar ganz
Europa besitzt. Und somit sind wir wohl etwas Besonderes!“ „Dann weißt du wohl
auch“, fragte ich, „wie viele es von uns hier gibt?“ „Nun so ganz genau“, erwiderte
sie, „weiß ich es natürlich nicht. Aber es sind auf jeden Fall weit über zweitausend
Bäume. Das weiß ich“, betonte sie ehrwürdig, „weil ich nämlich die Nummer
2.000 bin.“ Und zeigte mir dabei stolz ihr schönes Schild. Vor lauter Staunen blieb
mir der Mund offen stehen. „Und für dich, mein lieber Freund, ist es besonders
ausgezeichnet“, schloss Pyrie nun mit ihrer Erzählung „dass du dich gerade in
diesem Jahr dazu entschlossen hast, hier Wurzeln zu schlagen! Denn das Jahr
2013 ist für euch Wildäpfel ein ganz besonderes Jahr. Du bist nämlich mit deiner
ganzen Sippe zum Baum des Jahres ausgewählt. Und dazu will ich dir gratu-
lieren! Ich selbst hatte diese Ehre vor 15 Jahren.“
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Nun war ich völlig sprachlos. Was hätte mir also Besseres passieren können, als
genau in dieser Gegend zu landen? Hier, wo man uns schätzt und achtet und
wir etwas Besonderes sind. Glückstrahlend nahm ich mir vor: „Ich will hier jetzt
ein ganz großer und starker Kerl werden, um zu wachsen, mich herrlich zu
entfalten und für weitere Nachkommen zu sorgen.“
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Herausgeber Förder- und Landschaftspflegeverein Biosphärenreservat „Mittelelbe“ e.V.Johannisstraße 18, 06844 Dessau-Roßlauwww.mittelelbe-foerderverein.de
Liebe kleinen und großen Wildobstfreunde,
die lebhafte Pyrie lässt sich wahrhaftig auf dem Wildobstpfad
in Dessau-Ziebigk nahe der Elbe entdecken. Informationen zu
diesem und weiteren Erlebnispfaden im Biosphärenreservat
Mittelelbe gibt es unter www.mittelelbe-foerderverein.de
Viel Spaß beim Erkunden dieser
einzigartigen UNESCO-Naturerbe-Landschaft!
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Eine wunderbare Geschichte über
das abenteuerliche Leben des kleines Wildapfels Malle.
Über seine Familie, seine Freunde, aber auch seine Feinde.
Und über das große Glück, in freier Natur zu leben.