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ner Beanspruchung durch äußere
Kräfte. Die Laplace-Gleichung er-
möglicht die Beschreibung von
Temperaturfeldern und die Lö-
sung der Navier-Stokes-Glei-
chungen gibt Einblick in das Strö-
mungsverhalten eines Fluids. Die
Maxwell-Gleichungen beschrei-
ben die Magnetfelder und die
Helmholtz-Gleichung löst Pro-
Was ist die FEM?
Bei der Konstruktion einer
Brücke interessiert uns zum Bei-
spiel, ob sie ihr Eigengewicht tra-
gen und auch Windböen und Erd-
beben widerstehen wird. Das neu
Autor
Die Finite Elemente Methode: Vierzig Jahre in der Produktentwicklung Als Ingenieure sind wir daran interessiert, das Verhalten von Bauwerken und Konstruktionen in
bestimmten Belastungsszenarien im Voraus zu bestimmen. Mit der rechnerischen Simulation können
Produkte, bevor sie gebaut werden, am Bildschirm auf ihre Tauglichkeit überprüft werden und es können
notwendige Änderungen schnell und ohne großen Aufwand vorgenommen werden. Der Beitrag will
Antwort geben auf die Fragen: Was ist FEM, welches sind ihre Anwendungsbereiche und ihr Nutzen und
wo stehen wir heute?
Bild 1
Dr.-Ing. Günter Müller
Geschäftsführender Gesellschafter
CADFEM GmbH
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CADFEM GmbH
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www.cadfem.de
Bild 2 Erste Crashsimu-
lationen mit
dem Programm
LS-DYNA3D im
Jahr 1987
entwickelte Bügeleisen soll sich
möglichst gleichmäßig und
schnell erwärmen. Der Hubmag-
net muss ausreichend starke Mag-
netfelder erzeugen, um die ge-
wünschten Kräfte zu ermögli-
chen. Bei einer Mikropumpe inte-
ressieren uns die Strömungsver-
hältnisse in der Pumpe.
FEM hat sich über die Jahre
als rechnerisches Verfahren
durchgesetzt, weil es auf Com-
puter zugeschnitten ist und mit
diesen die Lösungsmöglichkei-
ten gewachsen sind.
Die rechnerische Simulation
baut auf der Lösung der Differen-
tialgleichungen auf, die das Ver-
halten unserer Strukturen mathe-
matisch beschreiben. So liefern
zum Beispiel die Differentialglei-
chungen der Elastizitätstheorie,
etwa die Differentialgleichung für
den Biegebalken, die Verformun-
gen und Spannungen infolge ei-
„Schwedentest“: sehr gute Übereinstimmung zwischen Versuch und FEM-Berechnung (Quelle: MAN)
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bleme in der Akustik.
Die Lösungsfunktionen der
Differentialgleichungen gewinnt
man entweder analytisch oder nu-
merisch. Analytische Lösungen
sind in der Regel nur für einfache
akademische Fälle gegeben. Für
die vielfältigen und meist komple-
xen Aufgaben der Praxis kommen
nur numerische Näherungsver-
fahren in Betracht. Sie gehen von
einer genäherten Lösungsfunk-
tion aus, die aus einem Satz von
frei gewählten Ansatzfunktionen
multipliziert mit unbekannten
Parametern zusammengesetzt ist.
Die noch unbekannten Parameter
der Lösungsfunktion werden
durch ein Minimalprinzip (Feh-
lerquadrat- oder Energiemini-
mum) bestimmt. Mathematisch
gesehen wird so das Differential-
gleichungsproblem in ein Varia-
tionsproblem übergeführt. An-
stelle des Differentialgleichungs-
systems wird ein algebraisches
Gleichungssystem für die einge-
führten unbekannten Parameter
gelöst. Die Güte der Näherungslö-
sung hängt von den gewählten
Ansatzfunktionen und der Anzahl
der unbekannten Parameter ab.
Die FEM ist ein solches nu-
merisches Verfahren, das aber die
Besonderheit aufweist, dass die
Ansatzfunktionen gebietsweise
(elementweise) gewählt werden
und die freien Parameter physika-
lisch deutbare Größen an den Ver-
bindungsstellen (Knoten) der Be-
reiche (Elemente) sind, z. B. Ver-
schiebungen, Temperaturen oder
magnetische Potentiale.
Historie der FEM
Die FEM wurde in den 60er
Jahren von Professor Argyris
(Universitäten Stuttgart und Lon-
don) und unabhängig von Profes-
sor Clough (Universität Berkeley,
Kalifornien) erfunden. Clough’s
Idee war es, das Gesamtgebiet in
Bereiche (Elemente) aufzuteilen
und die Gesamtlösungsfunktion
durch bereichsweise einfache An-
satzfunktionen mit noch freien
Parametern zu beschreiben. Als
freie Parameter, d.h. Unbekannte,
hat Clough Verschiebungsgrößen
eingeführt. Argyris hat die Glei-
chungen der Statik bereichsweise
in Matrizenschreibweise auf-
gestellt und kam auf diesem Wege
zur FEM. Die Erfindung der FEM
geschah also ingenieurmäßig.
Erst anschließend wurde der Be-
zug zur Mathematik hergestellt
und FEM als bereichsweises Va-
riationsverfahren oder noch all-
gemeiner, als bereichsweise Me-
thode der gewichteten Reste er-
kannt. Eigentlich müsste auch
Courant als einer der Begründer
der FEM gelten. Er hat bereits
1943 vorgeschlagen, das Ritz´sche
Variationsverfahren bereichs-
weise anzuwenden. Da damals
noch keine leistungsfähigen
Computer zur Lösung des aus die-
sem Verfahren resultierenden,
verhältnismäßig größeren Glei-
chungssystems zur Verfügung
standen, ist sein Lösungsvor-
schlag nicht beachtet worden.
Die Idee, eine Näherungs-
lösung durch bereichsweise einfa-
che Funktionen zu erhalten ist
nicht neu. Bereits Archimedes von
Syrakus (287 – 212 vor Christus)
hat das Verhältnis von Kreis-
Bild 3 Virtueller Busumsturz:
Vergleich globale De-
formation Versuch –
FEM-Berechnung
(Quelle: MAN)
Bild 4 Weniger Prototypen
durch FEM-Einsatz bei
der Entwicklung einer
Bernina-Nähmaschine:
Deformationen am Kern-
träger aus Aluguss
(Quelle: Bernina)
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umfang zu Durchmesser, d.h. die
Zahl Pi, durch Näherung des Krei-
ses durch gerade Linien bestimmt.
Je mehr Geradenstücke (Berei-
che) gewählt werden, desto ge-
nauer wird das Ergebnis. Gott-
fried Leibnitz hat 1696 das Bra-
chistochrone Problem durch die
Annäherung mit Geradenstücken
gelöst.
Die ersten kommerziellen
Programme sind Anfang der 70er
Jahre auf den Markt gekommen.
Dazu zählen Programme wie
STRUDL, ASKA, NASTRAN,
TPS-10, STARDYNE, MARC und
ANSYS. Etwas später kamen dazu
ABAQUS, ADINA, PERMAS, LS-
DYNA und FE-Programme, die in
CAD-Systemen integriert sind wie
I-DEAS oder Pro/MECHANICA.
Heute sind hauptsächlich die Pro-
gramme ANSYS, SIMULIA (ABA-
QUS und COSMOS), MSC.NA-
STRAN, NX NASTRAN sowie
Programme von Altair und ESI
und LSTC (LS-DYNA) im Einsatz.
ANSYS ist dabei mit deutlichem
Vorsprung Markt führer.
Der große Erfolg der FEM
hängt stark mit der Rechnerent-
wicklung zusammen. In den An-
fangszeiten liefen FE-Programme
nur auf sogenannten „Mainf-
rames“ von IBM und Control
Data. Berechnungen konnten nur
in Rechenzentren durchgeführt
werden. Zugang verschaffte man
sich über Lochkarten im Batch-
Betrieb, später über Terminals im
Timesharing-Modus. Mitte der
70er Jahre kamen erstmals Mini-
computer auf den Markt, die
direkt bei der Berechnungs-
abteilung installiert wurden. Sol-
che Rechner wurden von einer
Vielzahl von Herstellern, darunter
Digital Equipment und Prime
Computer, geliefert. Die Leis-
tungsfähigkeit der Rechner hat
sich über die Zeit extrem ent-
wickelt: Der Speicherplatz von
Kilo-Byte auf Tera-Byte, die Re-
chengeschwindigkeit von Kilo-
FLOPS auf Penta-FLOPS (Floa-
ting Point Operations / Sec.). So
sind heute Berechnungen von
Modellen mit mehreren Millionen
Freiheits-graden in akzeptabler
Zeit auf Workstations oder Lap-
tops möglich.
Anwendungsbereiche der FEM
Erste FEM-Anwendungen
wurden in der Luft-und Raum-
fahrt (Apollo-Programm), im
Bauwesen (Hochhäuser, Brücken)
und im Kernkraftwerksbau (Flug-
zeugaufprall auf Reaktorhülle)
durchgeführt. Andere Industrie-
bereiche wie Schiff- und Off-
shorebau, Automobilbau, Ma-
schinenbau, Elektronik, Konsum-
güter, Kunststoff und Medizin-
technik folgten. Heute wird FEM
in den Entwicklungs- und Kon-
struktionsabteilungen aller In-
dustriebereiche eingesetzt. Stan-
den anfangs Sicherheitsaspekte
im Vordergrund, sind später Ent-
wurfsoptimierungen und schließ-
lich Prozesssimulationen, z. B.
Schweißen, Gießen, Umformen,
Trocknen oder Lackieren hin-
zugekommen. Exotische Anwen-
dungen simulieren in der Nah-
rungsmittelindustrie zum Bei-
spiel die Umströmung von Par-
mesankäse oder den Trocknungs-
prozess von Pasta.
Die FEM wurde zunächst für
Lösungen auf dem Gebiet der Sta-
tik und Dynamik herangezogen.
Die Methode wurde stetig aus-
gebaut, um neben linearen Be-
rechnungen auch nichtlineare Be-
rechnungen unter Berücksichti-
gung von großen Verformungen,
Plastizität und Kontakt zu ermög-
lichen. Der weitere Ausbau der
Methode erfolgte über Tempera-
turfeldberechnungen zu Magnet-
feldsimulationen und Strömungs-
untersuchungen. Da oft physika-
lische Effekte gleichzeitig auftre-
ten, sind Entwicklungen auch da-
hin gegangen, mehrere Differenti-
algleichungen simultan zu lösen.
Dazu dienen Mehrfeldelemente,
die zum Beispiel gleichzeitig Tem-
peraturen, Magnetfelder und Ver-
schiebungen erfassen und so ge-
koppelte Probleme lösen können.
Als Gründe für die große Ver-
breitung der FEM sind zu nennen:
die Ausgereiftheit der Methode und
das weite Anwendungsspektrum,
leistungsfähige Pre- und Postpro-
zessoren, einfache Handhabung,
gute Visualisierungsmöglichkei-
ten, schnelle Modellerstellung, die
Verfügbarkeit kostengünstiger und
leistungsfähiger Rechner.
Nutzen der FEM und Ausblick
Die FEM hat sich in den letz-
ten 40 Jahren in Entwicklung und
Konstruktion aller Branchen
etabliert. Mit FEM können Ent-
wicklungszeiten und Herstellkos-
ten reduziert werden. Der Einsatz
von FEM fördert die Innovation
und die Qualität von Pro dukten
und sie erlaubt eine schnelle Re-
aktion auf verschärfte Richtlinien.
Der Nutzen von FEM kommt be-
sonders dann zum Tragen, wenn
FEM von Anfang an und beglei-
tend in der Produktentwicklung
eingesetzt wird, was ein effizien-
tes Datenmanagement erfordert.
Der Einsatz von FEM wird sich
in den kommenden Jahren noch
deutlich verstärken. Bereits heute
hat die Berechnung einen festen
Platz neben dem Versuch, doch es
ist die Tendenz erkennbar, dass die
numerische Simulation gegenüber
dem Versuch zunehmend an Bedeu-
tung gewinnt. So lässt bereits heute
die EU für Busumsturz den rech-
nerischen Nachweis zu (Bild 3).
Bild 5 FEM-Berechnung
heute: Die Simu-
lationsumgebung
ANSYS Workbench
(Quelle: SEW-Euro-
drive)
Literatur
Zur Geschichte der FEM:
Rannacher, R., Stein E.: Finite Elemen-
te, Spectrum der Wissenschaften, März
1997, ISSN 0170–2971
Zur Zukunft der Simulation:
Simulation-Based-Engineering Sciences,
NSF Report
Praktische Einführung in FEM:
Müller, G., Groth, C.: FEM für Praktiker,
8. Auflage 2007, expert Verlag, Rennin-
gen, ISBN 978–3–8169–2685–6
Einführung in FEM-Theorie:
Bathe, K.-J.: Finite Element Procedures
in Engineering Analysis, Prentice-Hall,
Inc., Englewood Cliffs, New Jersey
07632, 1982, 1996,
ISBN 0–13–317305–4
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Neue Herausforderungen, zum
Beispiel im wachsenden Markt der
Umwelttechnik und der alterna -
tiven Energieantriebe (Batterien,
Brennstoffzellen) werden den Ein-
satz von Strömungsberechnungen
und gekoppelten Feldberechnun-
gen beschleunigen. Die Forderung
nach ressourcenschonendem Mate-
rialeinsatz wird die Entwicklung
von neuen Materialien vorantrei-
ben. Für die numerische Beschrei-
bung solcher Mate rialien ist ein
Multiskalenansatz erfor derlich, der
es erlaubt, die Mikro- und
Makrowelt zu erfassen. Die Betrach-
tung gesamter Systeme und der
Wunsch, FE- Modelle für Kom-
ponenten in die Regelungssoftware
einzubinden macht es erforderlich,
ausreichend genaue, reduzierte FE-
Modelle zu entwickeln.
Das sind nur einige aktuelle
Anforderungen. Die Vision ist die
vollständige virtuelle Produktent-
wicklung und die virtuelle Frei-
gabe der Produkte. Nicht nur in
der Produktentwicklung hat die
FEM noch eine große Zukunft. Im
unten zitierten Bericht der NSF
(siehe unter „Literatur“) haben
Professoren sich ausgedacht, wo
überall die FEM in Zukunft sich
ausbreiten wird: in der Gesund-
heitsforschung (Operationsvor-
bereitung, Auswirkung von Medi-
kamenten), bei der Simulation
von Umweltkatastrophen (Feuer,
Hochwasser, Erdbeben) oder gar
der Terrorbekämpfung ...