Die Elefanten meines Bruders

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Die Elefanten meines Bruder Helmut Pöll „Die Elefanten meines Bruder“ – ein Roman über ADHS und einen Zirkusbesuch, der nie stattgefunden hat. Billy Hoffmann ist elf und findet es doof, dass zwischen seinem Vor- und Nachnamen kein „Tiee“ steht wie bei einem Amerikaner; „Tiee“ stünde für Trevor oder Timothy, was ziemlich cool wäre. Als er sechs Jahre alt war, hat er seinen Bruder, Phillipp, verloren. Eigentlich wollte Billy T. Hoffmann mit ihm die Elefanten im Zirkus ansehen, als Phillipp von einem Auto erfasst wird und dabei umkommt. An diesem Tag hat sich für die Familie alles verändert. Mittlerweile sind fünf Jahre vergangen und er hat die Zirkuskarten von damals immer noch. Die Familie leidet unter dem Verlust und vor allem Billy hat schwer zu tragen: er hat ADHS und flüchtet sich in eine Welt aus Filmzitaten und cineastischen Welten. Einzig und allein Mona, seine beste Freundin, steht ihm bei, wenn er in seinem Leben mit ständigen Psychologenbesuchen, ewiger Ablenkung und Missverständnissen niemanden mehr findet, der Verständnis für ihn hat, im Kampf gegen seine eigene Welt und den Zwängen in seinem Kopf. Ein Roman aus der Sicht eines Kindes zu schreiben gelingt wenigen. Ein Roman aus der Sicht eines Kindes, das unter ADHS leidet, noch weniger. Und nichtsdestotrotz hat sich Helmut Pöll daran gewagt, einen personalen Ich-Erzähler zu verwenden, der mit elf Jahren über seine Welt spricht, über seine Gefühle und seinen Alltag und schafft es mit einer Leichtigkeit, die einen verwundert. Denn Billy wirkt ab der ersten Zeile so echt wie ein wahres Kind, welches den Bruder verloren hat und seitdem darunter leidet. Seine Krankheit wird so klar herausgearbeitet, dass man mitten im Korp des Jungen sitzt und plötzlich sich wiederfindet, in einer Welt von fehlender Geborgenheit und der ständigen Ablenkung und Abschweifung. Die Aufmerksamkeitsdefizitstörung ist eine Belastung fürs gesamte Leben. Sie grenzt ab und ein, sie hält auf und lässt einen nicht mehr los. Bei Billy geht sie sogar mit hyperaktiven Momenten einher, in denen er versucht sich unter Kontrolle zu bringen um sich nicht zu verlieren. Fiktion und Realität treffen sich plötzlich auf einer Basis. Was ist nur in Billy's Kopf, was ist wirklich? Was wünscht er sich oder was träumt er nur. Seine Phantasie versucht ihn über alles hinwegzutrösten um die Unverständnis der Erwachsenen und seine Umgebung zu vereinbaren. Ein echtes Kind voller Probleme und tiefsitzendem Schmerz. Diese bittere Authentizität zieht sich durch gesamten Roman, der in seiner kindlichen und einfachen Sprache, die Last für den Leser umso schwerer macht. Die großen Worte fehlen und doch dringt alles prägnant ein, selbst wenn Billy noch so sehr vom eigentlichen Thema abkommt, bedingt von seiner Störung, und der Leser ihm konzentriert folgen muss. Mit Witz und Charme

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Die Elefanten meines Bruder

Helmut Pöll

„Die Elefanten meines Bruder“ – ein Roman über ADHS und einen Zirkusbesuch, der nie

stattgefunden hat.

Billy Hoffmann ist elf und findet es doof, dass zwischen seinem Vor- und Nachnamen kein „Tiee“

steht wie bei einem Amerikaner; „Tiee“ stünde für Trevor oder Timothy, was ziemlich cool wäre.

Als er sechs Jahre alt war, hat er seinen Bruder, Phillipp, verloren. Eigentlich wollte Billy T.

Hoffmann mit ihm die Elefanten im Zirkus ansehen, als Phillipp von einem Auto erfasst wird und

dabei umkommt. An diesem Tag hat sich für die Familie alles verändert.

Mittlerweile sind fünf Jahre vergangen und er hat die Zirkuskarten von damals immer noch. Die

Familie leidet unter dem Verlust und vor allem Billy hat schwer zu tragen: er hat ADHS und

flüchtet sich in eine Welt aus Filmzitaten und cineastischen Welten. Einzig und allein Mona, seine

beste Freundin, steht ihm bei, wenn er in seinem Leben mit ständigen Psychologenbesuchen,

ewiger Ablenkung und Missverständnissen niemanden mehr findet, der Verständnis für ihn hat, im Kampf gegen seine eigene Welt und den Zwängen in seinem Kopf.

Ein Roman aus der Sicht eines Kindes zu schreiben gelingt wenigen. Ein Roman aus der Sicht eines

Kindes, das unter ADHS leidet, noch weniger. Und nichtsdestotrotz hat sich Helmut Pöll daran

gewagt, einen personalen Ich-Erzähler zu verwenden, der mit elf Jahren über seine Welt spricht,

über seine Gefühle und seinen Alltag und schafft es mit einer Leichtigkeit, die einen verwundert.

Denn Billy wirkt ab der ersten Zeile so echt wie ein wahres Kind, welches den Bruder verloren

hat und seitdem darunter leidet. Seine Krankheit wird so klar herausgearbeitet, dass man mitten

im Korp des Jungen sitzt und plötzlich sich wiederfindet, in einer Welt von fehlender

Geborgenheit und der ständigen Ablenkung und Abschweifung.

Die Aufmerksamkeitsdefizitstörung ist eine Belastung fürs gesamte Leben. Sie grenzt ab und ein,

sie hält auf und lässt einen nicht mehr los. Bei Billy geht sie sogar mit hyperaktiven Momenten

einher, in denen er versucht sich unter Kontrolle zu bringen um sich nicht zu verlieren.

Fiktion und Realität treffen sich plötzlich auf einer Basis. Was ist nur in Billy's Kopf, was ist

wirklich? Was wünscht er sich oder was träumt er nur. Seine Phantasie versucht ihn über alles

hinwegzutrösten um die Unverständnis der Erwachsenen und seine Umgebung zu vereinbaren.

Ein echtes Kind voller Probleme und tiefsitzendem Schmerz.

Diese bittere Authentizität zieht sich durch gesamten Roman, der in seiner kindlichen und

einfachen Sprache, die Last für den Leser umso schwerer macht. Die großen Worte fehlen und

doch dringt alles prägnant ein, selbst wenn Billy noch so sehr vom eigentlichen Thema abkommt,

bedingt von seiner Störung, und der Leser ihm konzentriert folgen muss. Mit Witz und Charme

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schildert er sein Leben und oft muss man über ihn lächeln, obwohl der rote Faden der Geschichte,

der sich durch „Die Elefanten meines Bruders“ zieht, oftmals sticht und einem die Luft manchmal

abzuschneiden droht.

Man findet sich selbst immer wieder mit Mitleid, mit Verständnis für die überforderten Eltern, mit

Missgunst über die Leute wieder, die nicht mit ihm umzugehen wissen. Die zwischenmenschliche

Beziehung, die immer mehr zu bröckeln scheint und die der eigene Sohn zu spüren scheint, kommt

durch. Die Zeit und Nerven, die die Eltern ihr Sohn kostet, kommt auf und bleibt doch so am

Rande, dass man nicht davon erschlagen wird, ohne unerwähnt zu bleiben.

Und nebst diesen einzigartigen, kindgerechten, tapferen Protagonisten, schleicht sich der Alltag

heimlich hinein. Helmut Pöll greift Alltagsphänome auf, bringt sie mit ADHS in Kontakt und

schafft dabei eine leise und durchsickerende Kritik an unsere Hektik, die ein Kind mit

Aufmerksamkeitsdefizitstörung vollkommen aus den Konzept bringen kann. Über unseren Ärger

von Verspätungen, der nicht nötig ist, über unseren Frust, der durch kleinste Dinge entsteht.

Dieser leise Ton macht die Handlung aus. Das Auge fürs Detail, die Schlichtheit und Reinheit im

Text und die Unberührtheit des Schmerzens, der doch so tief sitzt. „Die Elefanten meines Bruders“

ist kein lautes Werk, welches schreit und rumrennt, sondern hinter seiner Fassade Traurigkeit und

Leid versteckt, welches sanft durchscheint.

Das Ende passt sich dem an. Man erwartet es, man denkt es sich ab der ersten Seite, und doch, so

wie es kommt, leise und ausklingend, wie eine Befreiung, macht es das Herz schwer und bringt uns

ein Lächeln auf das Gesicht.

Fazit

„Die Elefanten meines Bruders“ ist ein einzigartiger Roman, der das Leben eines Kindes mit ADHS in Perfektion verkörpert. Sprachlich authentisch, bitterlich ehrlich und greifbar. Eine

Leseerfahrung der besonderen Art für einen Roman, der sich traut, fernab von falschen

Vorstellungen zu sein. Ein kleines Meisterwerk.