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Stefan Voß, Yvonne Blumenthal, Kathrin Mahlau, Katharina Marten, Kirsten Diehl, Simon Sikora, Bodo Hartke Der Response-to-Intervention- Ansatz in der Praxis Evaluationsergebnisse zum Rügener Inklusionsmodell

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Stefan Voß, Yvonne Blumenthal, Kathrin Mahlau, Katharina Marten,

Kirsten Diehl, Simon Sikora, Bodo Hartke

Der Response-to-Intervention- Ansatz in der PraxisEvaluationsergebnisse zum Rügener Inklusionsmodell

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Stefan Voß, Yvonne Blumenthal, Kathrin Mahlau, Katharina Marten, Kirsten Diehl,

Simon Sikora, Bodo Hartke

Der Response-to-Intervention-Ansatz in der Praxis

Evaluationsergebnisse zum Rügener Inklusionsmodell

Waxmann 2016Münster • New York

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Inklusion: Sind tatsächlich alle Fragen geklärt? – Vorwort

In der Öff entlichkeit wird eher selten intensiv über schulische Inklusion diskutiert, vermutlich weil die Grundsatzentscheidung für die Einführung eines inklusiven Schulsystems in Deutschland bereits vor Jahren gefallen ist. Die deutliche Mehrheit der Bevölkerung sowie Politiker demokratischer Parteien unterstützen den Prozess einer zunehmenden Anerkennung und Akzeptanz sowie Teilhabe von Kindern, Ju-gendlichen und Erwachsenen mit Behinderungen in allen gesellschaft lichen Berei-chen einschließlich der öff entlichen Bildung. Ein zweiter Grund für die eher seltene öff entliche Diskussion um schulische Inklusion liegt vermutlich in der Komplexität des Th emas, das sich durch eine Vielzahl an Detailfragen auf unterschiedlichen Ebe-nen auszeichnet. Aussagen zum Th ema bedürfen häufi g einer hohen Sachkenntnis und man kann sehr leicht missverstanden werden, wenn man noch nicht gut durch-dachte Vorschläge oder Forderungen hinterfragt. Wer möchte schon in öff entlichen Diskussionen einen Mangel an Kenntnissen off enbaren oder als Bremser einer „guten Sache“ bzw. als Bedenkenträger gegenüber Inklusion dastehen?

Werden gesellschaft liche Th emen nicht öff entlich diskutiert, weist dies im besten Fall auf einen aktuell ausreichenden Konsens „in der Sache“ hin. Ist ein solcher ge-sellschaft licher Konsens zu den meisten Fragen der schulischen Inklusion tatsächlich vorhanden? Wird aktuell eventuell die Einigkeit im Ziel mit einer ausreichenden Klä-rung von wesentlichen Detailfragen verwechselt? Besteht bei aller Übereinstimmung in der Intention einer höchstmöglichen Teilhabe von Schülerinnen und Schülern mit deutlichen Förderbedarfen an den Bildungsprozessen der allgemeinen Schule nicht doch noch ein erheblicher Diskussionsbedarf über die damit verbundenen Verände-rungen für das Bildungswesen in Deutschland und die Art und Weise, wie Inklusion Alltag werden soll? Welche konkreten Reformen sollen hierfür innerhalb des Schul-wesens stattfi nden und werden wirklich sämtliche Konzepte inklusiver Beschulung in gleicher Weise gesellschaft lich akzeptiert?

Aktuell besteht in allen Bundesländern der Auft rag an die jeweiligen Bildungsmi-nister, deren Schulverwaltung und Schulen das in Jahrzehnte in bildungspolitischen Entscheidungsprozessen entstandene Schulsystem funktionstüchtig zu halten und es zugunsten von einer zunehmenden Teilhabe förderbedürft iger Schülerinnen und Schüler zu reformieren. Dieser komplexe Auft rag ist nicht frei von Zielkonfl ikten und Informationsdefi ziten über die Auswirkungen von Reformschritten. Bei aller Einigkeit im Ziel einer möglichst barrierefreien, wohnortsnahen, angemessenen, auf die beson-deren Förderbedürfnisse von Schülerinnen und Schülern eingehenden Schule stellt sich dennoch eine Vielzahl an Fragen im Hinblick auf anstehende Reformen:• Sind die bereits in der Praxis entstandenen oder wissenschaft lichen erarbeiteten

Konzepte für die inklusive Schule alle gleichwertig oder bestehen Unterschiede in ihrer Praktikabilität, Verallgemeinerbarkeit, Wirksamkeit für Kinder und Jugendli-che mit und ohne Behinderung, gesellschaft licher Akzeptanz und Ökonomie? Und: Wie sind die zu beobachtenden Unterschiede zwischen Konzepten zu bewerten?

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Eignen sich einige Konzepte für große, andere für eher kleine Schulen bzw. für städtische oder ländliche Räume?

• Gibt es im Zusammenhang mit einer zunehmenden Heterogenität in den Lernvor-aussetzungen der Schülerinnen und Schüler einer Klasse veränderte methodisch-didaktische Anforderungen an die Lehrkräft e oder sind die neuen pädagogischen Herausforderungen mit dem bisherigen Know-how zu meistern? Bedarf es einer grundsätzlich anderen Form des Unterrichts und der Klassenführung in inklusiven Klassen oder gelingt Inklusion auch mit den bisher üblichen Methoden? Falls die bisher gebräuchlichen Methoden nicht ausreichen, wodurch sind sie zu ergänzen? Reichen Ergänzungen an bisherigen Unterrichtskonzepten oder sind neue, hoch individualisierende Unterrichtskonzepte angezeigt? Eignen sich unter den bisher bewährten Unterrichtsmaterialien einige mehr und andere minder für die Arbeit in inklusiven Klassen?

• Wie sollte die pädagogische Arbeit in inklusiven Klassen und Schulen zwischen den Spezialisten für Klassen- und Fachunterricht (Regelschullehrkräft en) und den Spezialisten für besondere Förderung (Sonderpädagogen) aufgeteilt werden? Wie gelingt die Kooperation verschiedener Fachkräft e am besten? Wer ist wofür zu-ständig?

• Reichen die bisher eingesetzten personellen und sächlichen Ressourcen aus, um eine angemessene Förderung bei unterschiedlichen sonderpädagogischen Förder-bedarfen fl ächendeckend zu realisieren? Gelingt es, die bisher an allgemeinen Schulen vorhandenen Ressourcen für Förderung sinnvoll mit den sonderpädagogi-schen Ressourcen zu verbinden?

Die Aufl istung dieser Fragen, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit aufweist bzw. gar nicht aufweisen kann, weil eine beantwortete Frage zur nächsten Frage führt, un-terstreicht den Prozesscharakter des gesellschaft lichen Projekts „Entwicklung schu-lischer Inklusion“ und damit der Notwendigkeit, über die Umsetzung des Projekts öff entlich zu diskutieren. Denn es gibt durchaus Redebedarf über Konzepte, grund-sätzliche Veränderungen im Unterrichtsalltag, die personelle und sachliche Ausstat-tung von Schulen sowie rechtliche Regelungen.

Die obige Aufl istung der off enen Fragen dokumentiert aber auch, dass es einen Bedarf an wissenschaft licher Forschung, wissenschaft lich basierten Antworten oder zumindest an wissenschaft lichen Informationen zu den angesprochenen Fragekom-plexen gibt. Seit der Ratifi zierung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen durch den Deutschen Bundestag 2009 wurden in Mecklenburg-Vorpom-mern die öff entliche Debatte über schulische Inklusion von verschiedenen Seiten so-wie die Zusammenarbeit mit Wissenschaft lerinnen und Wissenschaft lern und dem Bildungsministerium intensiviert. Neben einer Reihe von Inklusionskongressen des Bildungsministeriums lieferte eine 2010 eingesetzte Expertenkommission „Inklusive Bildung in MV bis zum Jahr 2020“ eine große Anzahl an Anregungen, Informationen und Vorschlägen zur Gestaltung eines inklusiven Schulwesens in Mecklenburg-Vor-pommern. Der Bericht der Expertenkommission wurde von einer Begleitgruppe, in der sämtliche bildungspolitisch engagierte Interessengruppen und Verbände vertre-

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ten waren, kommentiert und ergänzt. Die so ermittelten Ergebnisse fl ossen in die Er-arbeitung des Strategiepapiers der Landesregierung zur Umsetzung von Inklusion im Bildungssystem in Mecklenburg-Vorpommern bis zum Jahr 2020 ein.

In Anbetracht der aufgezeigten Detailfragen und des damit verbundenen Ent-scheidungsraumes im Kontext von schulischer Inklusion wurde in Mecklenburg-Vor-pommern eine öff entliche Debatte um die konkrete Umsetzung von Inklusion im Schulwesen geführt. Neben einem wissenschaft lichen Informationsinput auf Kon-gressen und durch die Expertenkommission wurde die Debatte durch das in die-sem Buch vorgestellte Modellvorhaben auf der Insel Rügen mit Informationen ange-reichert. Zeitlich parallel zur Ratifi zierung der Behindertenrechtskonvention war auf der Insel Rügen aufgrund regionaler Initiativen das Projekt „Präventive und Integ-rative Schule auf Rügen (PISaR)“ entstanden. Moderiert durch eine Lenkungsgrup-pe erkundeten die Rügener Grundschulen und das Förderzentrum Bergen sowie die Sonderschule Sassnitz Möglichkeiten einer inklusionsorientierten Umgestaltung ihrer pädagogischen Arbeit. Hierzu fanden pädagogische Tage in Bergen statt, an denen Bildungswissenschaft lerinnen und -wissenschaft ler über den Stand der Forschung zur Inklusion informierten. In sich anschließenden Gesprächen zwischen Mitgliedern der Rügener Lenkungsgruppe, Wissenschaft lerinnen und Wissenschaft lern der Universi-tät Rostock und Vertreterinnen und Vertretern des Bildungsministeriums Mecklen-burg-Vorpommern entstand die Idee eines wissenschaft lich begleiteten Modellvorha-bens zur schulischen Prävention und Inklusion/Integration. Dieses konnte nach einer Planungsphase ab dem Schuljahr 2010/11 an allen staatlichen Grundschulen der Insel Rügen realisiert werden.

Innerhalb der Planungsphase auf Rügen überzeugte der US-amerikanische Response-to-Intervention-Ansatz (RTI-Ansatz) als robustes Rahmenmodell zur prag-matischen Sicherstellung einer angemessenen Förderung in der Grundschule. Die beteiligten Praktikerinnen und Praktiker sowie Wissenschaft lerinnen und Wissen-schaft ler standen vor der Aufgabe, innerhalb der vorhandenen Ressourcen sowie be-stehender rechtlicher Bestimmungen ein Höchstmaß an Inklusion für Kinder mit besonderen Förderbedarfen in den Bereichen Lernen, emotional-soziale Entwick-lung sowie Sprache zu realisieren. Da sich die in diesen Bereichen vorkommenden Störungen und sonderpädagogischen Förderbedarfe oft erst innerhalb der Schul-zeit entwickeln, war eines der Hauptziele des Vorhabens die Vorbeugung dieser Ent-wicklungsauff älligkeiten. Das im Verlauf der Jahre 2010 bis 2014 von der mit der wis-senschaft lichen Begleitung betrauten Rostocker Forschungsgruppe immer genauer ausgearbeitete Konzept „Rügener Inklusionsmodell (RIM)“ fokussiert dementspre-chend zunächst auf Prävention und erst im zweiten Schritt auf die zieldiff erente in-klusive Beschulung bei sonderpädagogischem Förderbedarf in den Förderschwer-punkten Lernen, emotional-soziale Entwicklung und Sprache. Die auf Rügen gemachten Erfahrungen fl ossen u.a. durch Kongress- und Fortbildungsbeiträge so-wie jährlich vorgelegte Forschungsberichte in die Inklusionsdebatte in Mecklenburg-Vorpommern ein. Hierdurch wurde deutlich, dass Inklusion unter den aktuell be-stehenden schulischen Rahmenbedingungen in Mecklenburg-Vorpommern gelingen kann. Gleichzeitig wurde ersichtlich, dass eine gelingende gemeinsame Beschulung,

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die Gestaltung einer präventiven und inklusiven/integrativen Schule hoch komplexe Anforderungen an alle beteiligten Pädagoginnen und Pädagogen stellt. Die positiven Ergebnisse auf Rügen wurden mithilfe eines die Förderschwerpunkte Lernen, emotio-nal-soziale Entwicklung und Sprache umfassenden Konzepts und darauf abgestimm-te Fortbildungseinheiten erzielt. Letztlich zeigen die Ergebnisse auf, dass die inklusive Schule vor allem gut fortgebildeter Lehrkräft e bedarf, die in der Lage sind, besondere Förderbedarfe frühzeitig zu erkennen und adäquat darauf einzugehen. Als hilfreiche konzeptionelle Elemente angemessener inklusiver Förderung wurden zudem• Mehrebenenprävention,• die formative Evaluation der Wirksamkeit von Unterricht und Förderung,• die sorgfältige wissenschaft sbasierte Prüfung und Auswahl inklusionsförderlicher

Unterrichtswerke, Unterrichtsmaterialien und Förderkonzepte,• die strukturierte, zielgerichtete, in regelmäßigen Teambesprechungen koordinierte

Kooperation zwischen Regelschullehrkräft en, Sonderpädagoginnen und Sonderpä-dagogen, Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen sowie Personal mit sonderpäd-agogischer Aufgabenstellung und

• das gezielte Training des Sozialverhaltensermittelt. Die konkrete Ausgestaltung der genannten Konzeptelemente wurde von der Rostocker wissenschaft lichen Begleitung der PISaR geleistet (Hartke et al., 2015), Fortbildungseinheiten zur Vermittlung der damit verbundenen Inhalte liegen vor (Mahlau, Voß & Hartke, 2016a, b, c, d). Die in diesem Buch veröff entlichten Evalu-ationsergebnisse der Arbeit auf Rügen runden den Beitrag des Rügener Modells an der öff entlichen Debatte um schulische Inklusion ab. Trotz des Umfangs und des po-sitiven Bewährungsgrads des RIM darf nicht vergessen werden, dass es sich um ei-nen Beitrag zur öff entlichen Debatte um schulische Inklusion handelt. Aktuell lie-gen weitere mehr oder minder diff erenziert ausformulierte Konzepte von Inklusion vor, zu denen die empirische Befundlage meist eher gering ist. Dies ist bedauerlich, denn wohlklingende Absichtserklärungen sind keine Gewähr für pädagogische Qua-lität. Bernd Ahrbeck (2012, 2014) hat sehr deutlich Widersprüche und Ungereimthei-ten in inklusionspädagogischen Entwürfen verschiedener Autoren herausgearbeitet. Beispielsweise kritisiert er den häufi g im Kontext von Inklusion vorgetragenen Begriff der „Pädagogik der Vielfalt“, indem er darauf hinweist, dass hierbei eine Diff eren-zierung „zwischen einer Vielfalt, die als bereichernd und beglückend erlebt werden kann, und einer solchen, die auch zum Leben gehört, aber Leiden und Leid hervor-bringt“ (2014, S. 36) notwendig ist.

Das hier vorgelegte Buch liefert das, was eine an Inklusion interessierte Öff ent-lichkeit braucht: wissenschaft lich gut basierte Informationen. Es wird ein Konzept er-läutert, die damit verbundenen Hypothesen dargelegt, die Methodik der Hypothe-senprüfung transparent gemacht und es werden Daten geliefert und interpretiert. Damit erhält der Leser die Gelegenheit zu einer soliden Meinungsbildung. Mecklen-burg-Vorpommern hat mit der Finanzierung dieses Modellvorhabens einen Beitrag zur bundesweiten öff entlichen Inklusionsdebatte geleistet. Auf Rügen wurde in einer Modellregion ein wissenschaft lich basiertes Inklusionskonzept an regionale Gegeben-heiten angepasst, implementiert und evaluiert. Ich hoff e, dass das Rügener Konzept

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und die dazu hier präsentierten Evaluationsergebnisse zu einer sachlichen Debatte um schulische Inklusion beitragen. Die vorgelegten Daten weisen auf deutliche För-derbedarfe von Schülerinnen und Schülern in Grundschulen in Mecklenburg-Vor-pommern hin. Gleichzeitig werden Möglichkeiten des Umgangs mit diesen Förderbe-darfen aufgezeigt und damit erzielte Fortschritte belegt.

Es ist die Aufgabe von Gesellschaft , Staat, Politik, Wissenschaft und Praxis, die Herausforderung Inklusion zu bewältigen. Die umfassenden• Informationen der Rostocker Forschungsgruppe,• Vorschläge der Expertenkommission „Inklusive Bildung in MV bis zum Jahr

2020“,• Praxisberichte von Schulen,• Fachbeiträge verschiedener Wissenschaft lerinnen und Wissenschaft lerweisen die Komplexität dieser Aufgabe für ein Bundesland wie Mecklenburg-Vor-pommern nach. Deren Bewältigung kann nur dann gelingen, wenn die beteiligten Politiker, Praktiker, Fachleute und Bürger aufgeklärt um die besten Reformschritte ringen, diese umsetzen, gesammelte Erfahrungen auswerten, um die avisierten päd-agogischen Ziele zu erreichen. Dieses Buch soll im Verbund mit den weiteren Veröf-fentlichungen der Rostocker Arbeitsgruppe zum Rügener Inklusionsmodell zum rati-onalen Diskurs über schulische Prävention und Inklusion beitragen. Die Autoren und Autorinnen dieses Buches hoff en auf am Fachdiskurs und der Gestaltung von Inklusi-on interessierte Leserinnen und Leser.

Das Rügener Modellvorhaben wurde von einer hoch engagierten wissenschaft -lichen Arbeitsgruppe an der Universität Rostock, einer nicht minder engagierten Len-kungsgruppe mit Praktikerinnen und Praktikern aus den beteiligten Rügener Schulen unterstützt durch das Staatliche Schulamt Greifswald und in Kooperation mit dem Bildungsministerium Mecklenburg-Vorpommern durchgeführt. Allen Beteiligten gilt mein Dank für die gute Zusammenarbeit in den zurückliegenden Jahren! Inklusion hat im Kern auch etwas mit sozialen Prozessen wie Zusammenhalten, niemanden ausgrenzen, Konfl ikte konstruktiv austragen und bewältigen, gemeinsam zielgerich-tet interagieren und arbeiten zu tun. Glücklicherweise haben die an dem Projekt be-teiligten Personen und Einrichtungen davon „eine ganze Menge“ hinbekommen. Ich hoff e, die publizierten Ergebnisse vermitteln auch etwas von der Freude an gelingen-der Kooperation und Projektarbeit im Kontext von Inklusion!

Rostock, März 2016

Prof. Dr. Bodo HartkeLeiter des Forschungsprojekts Rügener Inklusionsmodell (RIM)

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Literatur

Ahrbeck, B. (2012). Der Umgang mit Behinderung (2. Aufl .). Stuttgart: Kohlhammer.Ahrbeck, B. (2014). Inklusion – Eine Kritik (2. Aufl .). Stuttgart: Kohlhammer.Hartke, B., Blumenthal, Y., Diehl, K., Mahlau, K., Marten, K., Schöning, A., Sikora, S. &

Voß, S. (2015). Das Rügener Inklusionsmodell. Konzeption einer inklusiven Grund-schule nach dem Response-to-Intervention-Ansatz (Stand 2015). Universität Rostock: Rostock.

Mahlau, K., Voß, S. & Hartke, B. (Hrsg.) (2016a). Lernen nachhaltig fördern Band 1. All-gemeine Grundlagen zur Umsetzung einer inklusiven Grundschule. Hamburg: Dr. Kovac.

Mahlau, K., Voß, S. & Hartke, B. (Hrsg.) (2016b). Lernen nachhaltig fördern Band 2. Un-terricht und Förderung in den Lernbereichen Deutsch und Mathematik. Hamburg: Dr. Kovac.

Mahlau, K., Voß, S. & Hartke, B. (Hrsg.) (2016c). Lernen nachhaltig fördern Band 3. Grundlagen und Förderung im Bereich der emotionalen und sozialen Entwicklung. Hamburg: Dr. Kovac.

Mahlau, K., Voß, S. & Hartke, B. (Hrsg.) (2016d). Lernen nachhaltig fördern Band 4. Grundlagen und Förderung im Bereich der sprachlichen Entwicklung. Hamburg: Dr. Kovac.

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Inhalt

Inklusion: Sind tatsächlich alle Fragen geklärt? – Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

1. Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

2. Der Response-to-Intervention-Ansatz im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . 182.1 Mehrebenenprävention. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192.2 Datengeleitete Förderentscheidungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202.3 Evidenzbasierte Praxis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252.4 Forschungsstand zum RTI-Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

3. Umsetzung der zentralen RTI-Elemente im RIM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283.1 Mehrebenenprävention. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283.2 Datengeleitete Förderentscheidungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343.3 Evidenzbasierte Praxis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343.4 Gestaltung des Lernbereichs Deutsch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373.4.1 Ausgangspunkt: Erkenntnisse zur Entwicklung schrift sprachlicher

Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373.4.2 Mehrebenenprävention und evidenzbasierte Praxis

im Deutschunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383.4.3 Formative Evaluation und Förderarbeit im Lernbereich Deutsch . . . . . . . 403.5 Gestaltung des Lernbereichs Mathematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413.5.1 Ausgangspunkt: Wesentliche Erkenntnisse zur Entwicklung

mathematischer Kompetenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413.5.2 Mehrebenenprävention und evidenzbasierte Praxis im Lernbereich

Mathematik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423.5.3 Formative Evaluation und Förderarbeit im Lernbereich Mathematik . . . . 443.6 Gestaltung des Entwicklungsbereichs emotional-soziale

Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443.6.1 Ausgangspunkt: Störungsbilder im Bereich der emotionalen

und sozialen Entwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443.6.2 Mehrebenenprävention und evidenzbasierte Praxis im

Förderbereich emotionale und soziale Entwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453.6.3 Formative Evaluation und Förderarbeit im Förderbereich

emotionale und soziale Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473.7 Gestaltung des Entwicklungsbereichs Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483.7.1 Ausgangspunkt: Sprachentwicklungsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483.7.2 Mehrebenenprävention und evidenzbasierte Praxis im

Förderbereich Sprache. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493.7.3 Formative Evaluation und Förderarbeit im Förderbereich Sprache . . . . . . 50

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4. Evaluationsergebnisse bis 2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524.1 Teilstudie 1: Kontrollgruppenstudie (Gesamt- und

Zwillingsgruppen sowie Förderbereiche LES) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534.1.1 Methodik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534.1.1.1 Forschungsleitende Fragestellungen und Forschungshypothese . . . . . . . . 534.1.1.2 Untersuchungsgruppen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544.1.1.3 Untersuchungsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 584.1.1.4 Erhebungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594.1.1.5 Untersuchungsdurchführung und -verlauf sowie Datenauswertung . . . . . 654.1.2 Ergebnisdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 684.1.2.1 Ergebnisse des Gesamtgruppenvergleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 684.1.2.2 Ergebnisdarstellung im Bereich des Lernens (Zwillingsgruppen) . . . . . . . 724.1.2.3 Ergebnisdarstellung im Bereich der emotional-sozialen

Entwicklung (Zwillingsgruppen). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 914.1.2.4 Ergebnisdarstellung im Bereich der sprachlichen Entwicklung . . . . . . . . . 974.2 Teilstudie 2: Analyse der VERA-Daten Klasse 3 im Zeitraum

von 2009 bis 2013. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1054.2.1 Methodik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1054.2.2 Ergebnisdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1064.2.2.1 Analyse der VERA-Daten Klasse 3 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1064.2.2.2 Analyse der VERA-Daten Klasse 3 2010 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1084.2.2.3 Analyse der VERA-Daten Klasse 3 2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1104.2.2.4 Analyse der VERA-Daten Klasse 3 2012 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1124.2.2.5 Analyse der VERA-Daten Klasse 3 2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1144.3 Teilstudie 3: Rügen versus Grundschulen des SSA HGW

mit RIM-Anteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1164.3.1 Methodik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1164.3.2 Ergebnisdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1184.4 Teilstudie 4:Vergleich der DFK in Stralsund und M-V . . . . . . . . . . . . . . . 1214.4.1 Methodik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1214.4.2 Ergebnisdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122

5. Abschlussevaluation nach vier Schulbesuchsjahren . . . . . . . . . . . . . . . . 1265.1 Teilstudie 5: Kontrollgruppenstudie (Gesamt- und

Zwillingsgruppen sowie Förderbereiche LES) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1285.1.1 Methodik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1285.1.1.1 Forschungsleitende Fragestellungen und Forschungshypothese . . . . . . . 1285.1.1.2 Untersuchungsgruppen und Dropin- und Dropout-Analyse . . . . . . . . . . 1295.1.1.3 Untersuchungsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1315.1.1.4 Erhebungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1325.1.1.5 Untersuchungsdurchführung und -verlauf sowie Datenauswertung . . . . 1355.1.1.6 Analyse von Störvariablen: Angaben zu schulischen und

außerschulischen Rahmenbedingungen in den untersuchten Regionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135

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5.1.2 Ergebnisdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1425.1.2.1 Ergebnisse des Gesamtgruppenvergleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1425.1.2.2 Ergebnisdarstellung im Bereich des Lernens (Zwillingsgruppen) . . . . . . 1505.1.2.3 Ergebnisdarstellung im Bereich der emotional-sozialen

Entwicklung (Zwillingsgruppen). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1725.1.2.4 Ergebnisdarstellung im Bereich der sprachlichen Entwicklung . . . . . . . . 1805.2 Teilstudie 6: Deskriptive Darstellung der Kindergruppen mit

(sonder-)pädagogischen Förderbedarfen zum Ende der Klasse 4 und Angaben zu deren Häufi gkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191

5.2.1 Methodik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1955.2.1.1 Forschungsleitende Fragestellungen und Forschungshypothese . . . . . . . 1955.2.1.2 Untersuchungsdurchführung und -verlauf sowie

Datenauswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1965.2.2 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1975.2.2.1 Förderbedürft ige Kinder auf der Insel Rügen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1975.2.2.2 Förderbedürft ige Kinder der Hansestadt Stralsund . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2145.2.3 Vergleich der Befunde in den Regionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2315.2.3.1 Vergleichende Darstellung der Prävalenzen verschiedener

Förderbedarfe in den Regionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2315.2.3.2 Angaben zu Komorbiditäten in den Bereichen Lernen und

emotional-soziale Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2345.3 Teilstudie 7: Analyse der Treatmentumsetzung in Rügener

Projektklassen und Befragung zur Einstellung und Zufriedenheit mit der pädagogischen Arbeit in den Schulen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235

5.3.1 Methodik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2365.3.1.1 Forschungsleitende Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2365.3.1.2 Untersuchungsdurchführung und -verlauf sowie Datenauswertung . . . . 2365.3.2 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2385.3.2.1 Ergebnisse der Treatmentumsetzung in Rügener Projektklassen . . . . . . . 2385.3.2.2 Ergebnisse der Elternbefragung zur Zufriedenheit mit

der pädagogischen Arbeit in den Schulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246

6. Zusammenfassung der Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2506.1 Zusammenfassung der Teilstudie 1: Ergebnisse der

Kontrollgruppenstudie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2506.1.1 Ergebnisse der Zwillingsgruppen im Bereich Mathematik . . . . . . . . . . . . 2506.1.2 Ergebnisse der Zwillingsgruppen im Bereich Lesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2516.1.3 Ergebnisse der Zwillingsgruppen im Bereich Rechtschreiben . . . . . . . . . 2516.1.4 Ergebnisse im Förderschwerpunkt Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2516.1.5 Ergebnisse im Förderschwerpunkt emotional-soziale Entwicklung. . . . . 2526.1.6 Ergebnisse im Förderschwerpunkt Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2536.2 Zusammenfassung der Teilstudie 2: VERA-Daten 2009 bis 2013. . . . . . . 253

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6.3 Zusammenfassung der Teilstudie 3: Rügen versus Grundschulklassen mit RIM-Anteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254

6.4 Zusammenfassung der Teilstudie 4: DFK Stralsund versus DFK M-V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254

6.5 Zusammenfassung der Teilstudie 5: Ergebnisse der Kontrollgruppenstudie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255

6.5.1 Ergebnisse der Zwillingsgruppen im Bereich Mathematik . . . . . . . . . . . . 2556.5.2 Ergebnisse der Zwillingsgruppen im Bereich Lesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2566.5.3 Ergebnisse der Zwillingsgruppen im Bereich Rechtschreiben . . . . . . . . . 2566.5.4 Ergebnisse im Förderschwerpunkt Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2576.5.5 Ergebnisse im Förderschwerpunkt emotional-soziale Entwicklung. . . . . 2576.5.6 Ergebnisse im Förderschwerpunkt Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2586.6 Zusammenfassung der Teilstudie 6: Befunde zu

besonderen Förderbedarfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2606.6.1 Befunde zu besonderen Förderbedarfen auf Rügen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2606.6.2 Befunde zu besonderen Förderbedarfen in Stralsund . . . . . . . . . . . . . . . . 2626.6.3 Zusammenfassung der Befunde zu Prävalenzen und

Komorbiditäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2636.7 Zusammenfassung der Teilstudie 7: Analyse der

Treatmentumsetzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264

7. Diskussion, Schlussfolgerungen und Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2667.1 Methodenkritische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2667.2 Zusammenfassende Beantwortung und Diskussion

der Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2707.3 Fazit, Schlussfolgerungen und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285

Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298

Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308

Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309

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1. Einführung

Am Institut für Sonderpädagogische Entwicklungsförderung und Rehabilitation der Universität Rostock wurde ein Konzept zur Prävention und Integration in der Grund-schule bezogen auf die Förderschwerpunkte Lernen, emotional-soziale Entwicklung sowie Sprache erarbeitet: das Rügener Inklusionsmodell (RIM) (Diehl, Mahlau, Voß & Hartke, 2010; Diehl, Mahlau, Voß & Hartke, 2012; Hartke et al., 2015; Mahlau, Diehl, Voß & Hartke, 2011; Mahlau et al., 2014; Mahlau, Blumenthal & Hartke, 2016, Voß, Diehl, Sikora & Hartke, 2016; Voß et al., 2016). Dieses Konzept wird seit dem Schuljahresbeginn 2010/11 auf der Insel Rügen in Kooperation mit den dorti-gen Grund- und Förderschulen, dem Staatlichen Schulamt Greifswald sowie dem Bil-dungsministerium Mecklenburg-Vorpommern weiterentwickelt und in die Arbeit der Grundschulen implementiert. Das Praxisprojekt trägt die Bezeichnung „Präventive und Integrative Schule auf Rügen (PISaR)“.

Seit dem Schuljahr 2010/11 wird auf Rügen kein Kind in einer Sonderklasse der Förderschwerpunkte Lernen, Sprache oder emotional-soziale Entwicklung beschult. Bisherige Beschulungsformen wie Diagnoseförderklassen (DFK), Sprachheilgrund-schulklassen und Lese-Rechtschreib-Klassen bzw. Leseintensivmaßnahmen wurden nicht mehr eingerichtet.

Das Vorhaben einer präventiv und integrativ ausgerichteten Beschulung von Schülerinnen und Schülern mit besonderem Förderbedarf in den Grundschulen auf Rügen entstand vor dem Hintergrund von• Forschungsergebnissen, die gezeigt haben, dass die Beschulung in Diagnoseförder-

klassen nicht eff ektiver ist als in Grundschulklassen (Blumenthal, Hartke & Koch, 2010),

• vorwiegend erfolgversprechenden Befunden zur Integration von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Förderschwerpunkt Ler-nen (Bless, 2002; Bless & Mohr, 2007; neuere Erkenntnisse hierzu bei Kocaj, Kuhl, Kroth, Pant & Stanat, 2014),

• und in Hinblick auf schulische Prävention (Hartke, 2005; Hartke, Koch & Diehl, 2010; Kretschmann, 2000; 2007; neuere Erkenntnisse hierzu bei Hartke & Diehl, 2013),

• sowie der Ratifi zierung der inklusionsorientierten Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (United Nations, 2006) durch den Deutschen Bundestag im Jahr 2009 und schulrechtlicher Regelungen in M-V, die die allgemeine Schu-le sowohl im Schulgesetz als auch in Verordnungen als vorrangigen Förderort für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf bestimmen.

Zur Realisierung dieses Vorhabens fanden im Anschluss an eine Phase der Konzept-entwicklung umfangreiche Fortbildungen statt, um Rügener Grundschul- und Son-derpädagoginnen und -pädagogen auf die inklusive Beschulung von Kindern mit ho-hem Förderbedarf vorzubereiten (Mahlau, Voß & Hartke, 2016a, b, c, d).

Grundlage des RIM und damit der PISaR ist der US-amerikanische Response-to-Intervention-Ansatz (RTI), der die Elemente Mehrebenenprävention, evidenzbasier-

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te und datengeleitete Praxis miteinander verbindet (National Center on Response to Intervention, 2010). Beim RIM handelt es sich deutschlandweit um das erste an den RTI-Ansatz angelehnte Beschulungskonzept, welches fl ächendeckend in einer Regi-on umgesetzt und auf seine Eff ektivität hin geprüft wird. Aufgrund dieser „Pilotposi-tion“ des Projektes ergaben sich mehrere Herausforderungen bei der Konzepterarbei-tung. Gerade die traditionell gewachsenen, stark ausdiff erenzierten Förderstrukturen einschließlich des diff erenzierten Förderschulwesens ermöglichten in M-V bisher nur in einem geringen Maße eine alltägliche Zusammenarbeit von Regelschul- und Son-derpädagogik. Diese Kooperation war strukturell und inhaltlich innerhalb des Kon-textes Inklusion zu konzipieren. Zudem bietet der deutschsprachige Raum derzeit le-diglich eine geringe Auswahl an Verfahren zur Lernfortschrittsdiagnostik im Sinne des formative assessments sowie an evidenzbasierten Lern- und Förderkonzepten. Neben der inhaltlichen und konzeptionellen Ausgestaltung des Vorhabens und des-sen Implementation mittels Fortbildungen sind somit vor allem die Etablierung einer Kooperation von Lehrkräft en der Regelschul- und Sonderpädagogik sowie die Ent-wicklung und Bereitstellung von Verfahren der Lernfortschrittsdiagnostik zentrale Arbeitsschwerpunkte des Forschungsvorhabens gewesen.

Das Rügener Inklusionsmodell und das Praxisprojekt „Präventive und integrative Schule auf Rügen“ wurde nicht nur von einer Projektgruppe der Universität Rostock entwickelt und begleitet, sondern seit Beginn seiner Umsetzung im Jahr 2010 umfas-send evaluiert. Zentrales Anliegen dieses Buches ist – neben einer Darstellung des Beschulungskonzeptes RIM im Überblick – die zusammenfassende Darbietung bishe-riger Evaluationsergebnisse.

Die Kernelemente des RTI-Ansatzes werden in Kapitel 2 dargestellt. Eine ausführ-liche Beschreibung des Beschulungskonzeptes RIM und der konkreten Ausgestaltung seiner Kernelemente folgt in Kapitel 3.

Die umfassende Evaluation des RIM-Konzeptes bzw. des Praxisprojektes PISaR wird in den Kapiteln 4 und 5 präsentiert. Im Mittelpunkt der Ergebnisdarstellung steht die Hauptstudie, die den Vergleich der Untersuchungsgruppe Rügen mit einer Kontrollgruppe, den Schülerinnen und Schülern der Hansestadt Stralsund, umfasst, die ebenfalls im Schuljahr 2010/11 in einer der acht staatlichen Grundschulen einge-schult und nach dem herkömmlichen Beschulungskonzept in M-V unterrichtet und gefördert wurden. Die Kontrollgruppenstudie ermöglicht es, Auskunft über die Wirk-samkeit des Beschulungskonzeptes im Hinblick auf die Lern- und Leistungs-, die sprachliche sowie emotional-soziale Entwicklung zu erhalten.

Kapitel 4 beinhaltet die Darbietung der Ergebnisse bis zum Jahr 2013. Die Ergeb-nisse der Kontrollgruppenstudie (in Teilstudie 1 präsentiert, Abschnitt 4.1) werden durch Daten von 3 zusätzlichen Teilstudien erweitert bzw. konsolidiert. Teilstudie 2 (Abschnitt 4.2) beinhaltet zu diesem Zweck die Analyse der von Drittklässlern der Regionen Rügen und Stralsund in den Jahren 2009 bis 2013 erzielten Ergebnissen in den Vergleichsarbeiten VERA. Auf diese Weise können Aussagen bezüglich des Leis-tungsstandes beider Regionen vor und während der Implementierung des RIM ge-macht werden. Auskunft über die Wirksamkeit der Umsetzung von nur ausgewählten Elementen des RIM-Konzeptes im Vergleich mit der Umsetzung des Gesamtkonzep-

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tes RIM, wie auf Rügen geschehen, liefert Teilstudie 3 (Abschnitt 4.3). Aufgrund ei-ner auff älligen Wanderbewegung von Kindern der Stralsunder DFK war es notwen-dig, ihre Repräsentativität zu prüfen und damit die Aussagekraft der entsprechenden Studie zum Förderschwerpunkt Lernen zu stärken. Die Betrachtung von Wanderbe-wegungen und schulischen Entwicklungsständen von ausgewählten DFK-Schülerin-nen und -Schülern aus M-V ist deshalb Bestandteil von Teilstudie 4 (Abschnitt 4.4).

Die Ergebnisse nach vier Schulbesuchsjahren werden in Kapitel 5 vorgestellt. Be-ginnend mit der Darbietung der Ergebnisse der Kontrollgruppenstudie (präsentiert in Teilstudie 5, Abschnitt 5.1) können anhand von Teilstudie 6 (Abschnitt 5.2) darü-ber hinaus, als weiteres Merkmal der zwei gegenübergestellten Beschulungssysteme, Aussagen über die Häufi gkeit und Ausprägung besonderer bzw. sonderpädagogischer Förderbedarfe nach vier Schulbesuchsjahren getroff en werden. Zu diesem Zweck er-folgt eine Darstellung der Kindergruppen mit (sonder-)pädagogischem Förderbedarf beider Regionen und Angaben zu deren Häufi gkeiten. Teilstudie 7 (Abschnitt 5.3) be-leuchtet die tatsächliche Umsetzung der zentralen Elemente des RIM-Konzeptes auf Rügen und die Einstellung aller beteiligten Pädagogengruppen bezüglich des Konzep-tes RIM und der schulischen Inklusion allgemein. Die präsentierten Ergebnisse geben Hinweise auf die Güte der Umsetzung und lassen wichtige Schlussfolgerungen für Implementationsvorhaben inklusiver Förderstrukturen zu. Die Zufriedenheit der El-tern mit der pädagogischen Arbeit in den Schulen wird ebenfalls in diesem Abschnitt vorgestellt.

Kapitel 6 beinhaltet eine umfassende Zusammenfassung der Ergebnisse aller sie-ben Teilstudien und mündet in Kapitel 7, das neben methodenkritischen Aspekten insbesondere eine zusammenfassende Beantwortung und Diskussion der aufgeworfe-nen Forschungsfragen liefert und mit einem Systemvergleich beider gegenübergestell-ter Regionen sowie einem kritischen Gesamtfazit abschließt.

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2. Der Response-to-Intervention-Ansatz im Überblick

Grundlage des Rügener Inklusionsmodells bildet der US-amerikanische Beschulungs-ansatz Response to Intervention (RTI). Seit Beginn seiner Entwicklung in den 1980er Jahren (Deno, 1985; Fuchs & Fuchs, 1986) hat RTI in den vergangenen Jahrzehnten in den USA an Bedeutung gewonnen und bildet in über 50  % der Staaten ein Rah-menkonzept, um Lernschwierigkeiten und Verhaltensstörungen vorzubeugen (Blu-menthal, Kuhlmann & Hartke, 2014). Das wachsende Interesse an RTI in den USA ist vor allem auf die Erlassung des Individuals with Disabilities Education Improve-ment Act (IDEIA, 2004) zurückzuführen, wurde jedoch darüber hinaus durch erste umfassende Implementationsversuche gestärkt, welche Hinweise darauf geben, dass sich der RTI-Ansatz dazu eignet, Kinder mit Lern-, Sprach- und Verhaltensschwierig-keiten erfolgreich inklusiv zu beschulen (Burns, Appleton & Stehouwer, 2005; Hattie, 2013; Hughes & Dexter, n. d.). Vor dem Hintergrund schulischer Inklusion wird der RTI-Ansatz derzeit ebenso vermehrt in wissenschaft lichen Auseinandersetzungen im deutschsprachigen Raum thematisiert (u. a. Blumenthal et al., 2014; Diehl & Hartke, 2007; Hartmann, 2008; Huber & Grosche, 2012; Walter, 2008a, 2008b).

Was aber ist RTI nun genau? Beim US-amerikanischen RTI-Ansatz handelt es sich um ein Beschulungskonzept, das zum einen auf die Prävention von und die In-tegration bei sonderpädagogischem Förderbedarf abzielt und zum anderen eine alter-native Form der Feststellung von Lern- und Entwicklungsbeeinträchtigungen darstellt (Blumenthal et al., 2014). Hauptanliegen des Ansatzes ist es, unterrichtliche Maß-nahmen entsprechend der Fähigkeiten der Kinder so zu gestalten, dass jede Schüle-rin und jeder Schüler davon in ausreichendem Maß profi tieren kann. Ob dies hinrei-chend gelingt, wird dabei auf Grundlage der Reaktionen der Kinder (Response) auf die Unterrichts- bzw. Förderangebote (Intervention), welche sich in der schulischen Leistungsentwicklung manifestieren, bemessen.

Es gibt nicht das RTI-Konzept als solches (Berkeley, Bender, Peaster & Saunders, 2009), vielmehr bildet Response to Intervention das konzeptuelle Gerüst, in dem ver-schiedene Einzelkomponenten zu einem präventiv ausgerichteten Beschulungsansatz miteinander verbunden werden, wobei die einzelnen Kernelemente (NCRTI, 2010) trotz unterschiedlicher Ausgestaltung allen Ansätzen eigen sind (Blumenthal et al., 2014, S. 71):• nach Intensität und Spezifi tät der Förderung gestuft e Förderebenen zur Prävention

von Lern- und Verhaltensschwierigkeiten, die sog. Mehrebenenprävention,• datengeleitete Förderentscheidungen auf Basis individueller Ergebnisse in Scree-

nings und Lernverlaufsdokumentationen (progress monitoring) und• der Einsatz evidenzbasierter Lehr- und Fördermethoden sowie -programme (evi-

denzbasierte Praxis).

Ergänzt werden diese Elemente durch eine systematische Kooperation von verschie-denem schulischen Personal (Regelschullehrkraft , Sonderpädagoginnen und Sonder-pädagogen und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des schulpsychologischen Dienstes)

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bei der Förderplanung und -entscheidung (bei Burns & Symington, 2002; Kovaleski & Pedersen, 2008; Tilly, 2008).

2.1 Mehrebenenprävention

Das Kernstück des RTI-Ansatzes bildet ein gestuft es Fördersystem, in dem verschie-dene pädagogische Maßnahmen der primären, sekundären und tertiären Prävention (Caplan, 1964) vereint werden (National Center on Response to Intervention, 2010). In der Regel bestehen RTI-Modelle daher aus drei miteinander verbundenen Förder-ebenen (FE) (s. Abbildung 1). Die pädagogische Arbeit auf den einzelnen Ebenen un-terscheidet sich v. a. hinsichtlich• der Intensität und Spezifi tät der Instruktionsmethoden und Fördermaßnahmen,• des Individualisierungsgrades sowie• der mit ihnen verknüpft en diagnostischen Methoden.

Eine Erhöhung der Intensität der Unterstützungsmaßnahmen über die Förderebenen hinweg soll über eine häufi gere Frequenz, Verlängerung der Förderdauer, Verringe-rung der Gruppenstärke sowie durch höher qualifi ziertes Personal erreicht werden (Fuchs & Fuchs, 2006). Ein besonderer Vorteil dieser Mehrebenenprävention ist der dynamische Wechsel zwischen den Förderebenen – abgestimmt auf die individuel-len Lernbedürfnisse eines Kindes. Es fi nden also keine starren Platzierungen statt, sondern eine bedarfsgerechte, individuelle und fl exible Förderung. Wann ein Kind in eine höhere oder niedrigere Ebene wechselt, wird auf Basis der Ergebnisse der for-

A bbildung 1: Pyramide der im RTI-Ansatz vorgesehenen präventiven Förderebenen

Erläuterungen: die Pfeile kennzeichnen mögliche Förderebenenzuweisungen

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mativen Leistungsdiagnostik entschieden. Die Förderung beginnt frühzeitig, d. h., es wird nicht gewartet, bis ein Kind schulisch gescheitert ist (kein „wait-to-fail“-Vorge-hen). Mit zunehmender Förderebene wird neben der Intensität auch die Spezifi tät der Förderung erhöht. Die Ergebnisse der diff erenzierter werdenden Diagnostik führen zu genaueren Erkenntnissen über die pädagogische Situation des Kindes, an die sich dann entsprechende gezielte Hilfen anschließen.

2.2 Datengeleitete Förderentscheidungen

Ganz grundlegend handelt es sich beim RTI-Ansatz um die formative Evaluation von Unterrichts- und Förderangeboten auf Basis der Daten zur Lernentwicklung der be-treff enden Schülerinnen und Schüler. Diese Daten werden auf unterschiedliche Weise erhoben. So werden zwei- bis dreimal pro Schuljahr universelle Screenings verwen-det, um Kinder mit dem Risiko, Lernschwierigkeiten zu entwickeln, zu identifi zieren. Um die Lernergebnisse in den dazwischen liegenden Zeiträumen zu erfassen (for-mative Lernverlaufsdiagnostik) und die Wirksamkeit der eingesetzten Treatments zu prüfen, kommen zusätzlich Verfahren des progress monitoring zum Einsatz. Diese werden entweder in der gesamten Klasse oder aber nur mit einzelnen Kindern durch-geführt. Als bedeutendste Verfahren gelten in diesem Zusammenhang curriculum-basierte Messverfahren, sog. CBM. Darunter sind zeitlich begrenzte Kurztests zu be-stimmten Inhalten zu verstehen, die den Anforderungen wissenschaft licher Güte von Testverfahren entsprechen (Voß & Hartke, 2014).

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CBM – Was ist das?CBM (curriculum-based measurements bzw. curriculumbasierte Messungen) stellen ei-nen Spezialfall des formative assessment (formative Unterrichts- bzw. Leistungsevaluati-on) dar. Während das formative assessment alle diagnostischen Methoden mit dem Ziel der Adaption von Unterricht/Förderung und damit ein breites Spektrum an informellen bis formellen Verfahren (von eingesammelter Hausaufgabe bis standardisiertem Testver-fahren) umschließt (CCSSO, 2008; Scriven, 1967), grenzen sich CBM durch die Einhal-tung wissenschaft licher Gütekriterien (Objektivität, Reliabilität und Validität), in Anleh-nung an die pädagogische Diagnostik, als Sondergruppe ab. Neben diesen Gütekriterien zeichnen sich CBM dadurch aus, dass sie sensibel kurzfristige Leistungsveränderungen erfassen können und einfach und ökonomisch in der Anwendung sind, d.  h. sie sind einfach zu erlernen und auszuwerten, zeitökonomisch sowie fi nanziell tragbar.

In verschiedenen Studien (u. a. Fuchs & Fuchs, 1986; Hattie, 2013) konnte die hohe Wirksamkeit von Maßnahmen des formative assessments im Allgemeinen (d = 0.17 bis d = 0.90) sowie der CBM im Speziellen (d = 0.63 bis d = 0.92) ermittelt werden.

CBM sind kurze Tests, ähnlich einer täglichen Übung, welche durch wiederholten Einsatz den Lernfortschritt in einzelnen spezifi schen Kompetenzen in verschiedenen Lernbereichen (z.  B. Deutsch, Mathematik) abbilden können. Die Anforderung eines CBM besteht darin, innerhalb einer zeitlichen Vorgabe von meist nur wenigen Minu-ten möglichst viele der gestellten Aufgaben eines Aufgabenblattes zu lösen. Beispiele für CBM im Bereich Mathematik fi nden sich in der Abbildung 2.

In den dargestellten Beispielen sollen die Schülerinnen und Schüler jeweils mög-lichst viele der fehlenden Zahlen in einer Zeitspanne von einer Minute ergänzen.

Abb ildung 2: Beispiele für CBM im Bereich Mathematik

Infobox 1: Exkurs: Curriculumbasierte Messverfahren

Zahlzerlegung im Zwanzigerraum

Name: Datum:

Ergänze immer die fehlende Zahl.

9 6 __

13 1 __

15 9 __

18 17 __

20 18 __

10 3 __

19 12 __

18 2 __

19 7 __

11 1 __

19 15 __

7 2 __

11 6 __

16 15 __

18 6 __

19 15 __

20 17 __

17 9 __

15 10 __

4 1 __

AAddition im Hunderterraum

Name: Datum:

Rechne!

9 + 9 = __ 7 + 10 = __ __ + 5 = 9 26 + 3 = __

40 + __ = 50 23 + 23 = __ 54 + 1 = __ 54 + 11 = __

17 + __ = 27 59 + __ = 69 65 + 10 = __ 23 + 14 = __

__ + 6 = 12 24 + __ = 48 53 + __ = 53 52 + 9 = __

52 + 8 = __ 66 + 7 = __ __ + 5 = 53 20 + __ = 63

44 + 7 = __ 45 + 7 = __ __ + 27 = 65 64 + 26 = __

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Mithilfe von CBM, kann eine an den Lehrplan angepasste Diagnostik des Lernstan-des von Schülerinnen und Schülern stattfi nden. CBM werden mehrfach im Verlauf des Schuljahres durchgeführt, sodass es möglich ist, den Lernfortschritt des einzelnen Kin-des abzubilden. Für diesen Zweck wird nicht immer derselbe Test verwendet, sondern sog. Paralleltests eingesetzt. Paralleltest bedeutet, dass der Test zwar aus anderen Aufga-ben besteht, diese sich aber im Schwierigkeitsgrad gleichen, sodass eine Vergleichbarkeit zwischen den Tests unmittelbar gegeben ist. Ein Lernfortschritt des Kindes würde sich also in einer gestiegenen Punktzahl zeigen. Die Messergebnisse können vor dem Hinter-grund von Vergleichswerten eingeordnet und interpretiert werden. Bei den Messungen kommt es nicht (nur) darauf an, sämtliche curricular geforderten Kenntnisse zu prüfen. Vielmehr werden einige wenige Fähigkeiten geprüft , die als repräsentativ für ein breite-res Kompetenzspektrum gelten. So korrelieren z. B. die Ergebnisse von Eine-Minute-Le-setests hoch mit den Ergebnissen von umfangreichen Lesetests.

CBM – Für was sind sie gut?

CBM dienen dazu, …

den Lernfortschritt der Schülerinnen und Schüler zu dokumentieren.Durch den wiederholten Einsatz der Messungen ist es möglich, Lernfortschritt bzw. -sta-gnation festzustellen und entsprechend zeitnah darauf zu reagieren. Darüber hinaus bie-ten standardisierte Verfahren einen objektiven Blick auf die Schülerleistungen, d. h. die Wahrnehmung des Leistungsverhaltens von Schülerinnen und Schülern durch Lehrkräf-te wird präziser.

Risikokinder zu identifi zieren, welche spezielle Förderung benötigen.CBM können dabei helfen, Leistungsrückstände einer Schülerin bzw. eines Schülers festzustellen, sodass ungenügend ausgeprägte Kompetenzen gezielt gefördert werden können.

Unterricht bzw. Förderung durch eff ektivere Maßnahmen zu optimieren.Mithilfe der in den CBM erzielten Ergebnisse bekommt die Lehrkraft Rückmeldung zum Handlungserfolg des Unterrichts bzw. einer Förderung. Bei bspw. ausbleibenden Erfolgen sollte dies als Anlass genommen werden, die Förderung zu modifi zieren, da die aktuell eingesetzte Maßnahme nicht die gewünschten Ergebnisse erzielt.

die Zusammenarbeit von Eltern, Sonderpädagoginnen bzw. Sonderpädagogen etc. zu un-terstützen.Die Daten solcher Lernfortschrittsmessungen können grafi sch aufb ereitet werden (vgl. Abbildung  3), um einen anschaulichen Überblick über die Leistungsentwicklung der Schülerin bzw. des Schülers zu erhalten. Eine solche Übersicht ermöglicht einen schnel-len Vergleich zum Klassendurchschnitt (auch ein Jahrgangsdurchschnitt wäre denkbar) und kann gut in Gesprächen mit Eltern, Sonderpädagoginnen bzw. Sonderpädagogen und weiteren Fachleuten genutzt werden.

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Rückmeldungen an Lehrkräft e, Schülerinnen bzw. Schüler und Eltern zu geben:Die Lehrkraft erkennt durch Beobachten und Vergleichen den Fortschritt der Klasse und des Einzelschülerin oder Einzelschülers, kann Rückschlüsse auf die Eff ektivität des Unterrichts ziehen, kann eine bessere Einordnung der Leistung des Einzelnen vorneh-men und erhält Daten für die weitere Förderplanung/ggf. für die Veränderung der Ins-truktion.

Die Schülerin bzw. der Schüler sieht eigenen Fortschritt, erkennt Ursache-Wirkungs-zusammenhänge beim Lernen (z. B. Üben und Punktzahl) und erhält Motivation durch die Sichtbarkeit des Fortschritts.

Die Eltern erhalten Informationen über den Fortschritt des Kindes, der Wirkung sei-ner und ihrer eigenen Bemühungen.

Abbi ldung 3: Beispielgraph (Schülerin frei erfunden) einer Lernfortschrittsdokumentation mittels CBM

CBM – Wie lassen sie sich praktisch umsetzen?CBM sind Speedtests, die in der Regel 1-2 Minuten beanspruchen und somit gut in den Unterricht integriert werden können. Sie sind wöchentlich bis monatlich, entweder mit der ganzen Klasse (als Gruppenverfahren) oder mit einzelnen Risikoschülerinnen oder Risikoschülern (als Individualverfahren) einsetzbar. Hierbei gilt die Faustregel (Müller, 2010): Je leistungsschwächer die Schülerin oder der Schüler, desto kürzer die Abstände zwischen den einzelnen Messungen (bis zu einmal wöchentlich). Je leistungsstärker die Schülerin oder der Schüler, desto länger die Abstände zwischen den Messungen (einmal pro Monat).

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Generelles Vorgehen:1. Die Schülerinnen und Schüler werden monatlich mit verschiedenen CBM im Bereich

Mathematik und Deutsch geprüft .2. Die Lehrkraft wertet die durchgeführten CBM aus, indem sie alle richtig gelösten

Aufgaben zählt. Für ein richtiges Ergebnis erhält die Schülerin bzw. der Schüler einen Punkt.

3. Die Ergebnisse werden in einer Übersicht für jede Schülerin bzw. jeden Schüler do-kumentiert.

4. Anhand von Vergleichswerten kann ein individueller Richtwert für jede Schülerin bzw. jeden Schüler ermittelt werden, den das jeweilige Kind bis zu einem gewissen Zeitpunkt erreichen soll.

5. Klassendurchschnitt bzw. weitere Normwerte lassen einen Vergleich zu anderen Schülerinnen und Schülern zu, aber auch der eigene Lernfortschritt jedes Kindes kann beobachtet werden (soziale aber auch individuelle Bezugsnorm).

6. Anhand der Ergebnisse können Schülerinnen und Schüler mit Schwierigkeiten iden-tifi ziert und anschließend gefördert werden. Oft reicht eine Steigerung der Übungsin-tensität aus, um gewünschte Lernfortschritte zu erzielen (insbesondere beim Lesen). Niedrige CBM-Werte im Rechnen sollten Anlass dafür sein, zu prüfen, ob das Kind die Unterrichtsinhalte verstanden hat.

CBM – Welche gibt es überhaupt in Deutschland?In Deutschland liegen zwar erste Arbeiten zur Lernverlaufsdiagnostik bereits aus den 1990er Jahren vor (Diagnose- und Förderblätter von Klauer, 1994), der Ansatz der CBM wurde jedoch erstmals im Jahr 2006 in einem Aufsatz von Klauer (2006) erwähnt. Seit-her sind vermehrt Forschungsbestrebungen im deutschsprachigen Raum hierhingehend zu verzeichnen. Derzeit sind folgende deutschsprachige CBM verfügbar:Mathematik• Strathmann und Klauer (2012): LVD-M 2-4 (Klasse 2-4)• Müller und Hartmann (2014): Lernfortschrittsdiagnostik: Grundrechenarten (Klasse

1-4)• Universität Rostock: www.lernfortschrittsdokumentation-mv.de (Klasse 1-4)• Universität Münster: www.quop.de (Klasse 1-4)Lesen• Walter (2013): Verlaufsdiagnostik sinnerfassenden Lesens VSL (Klasse 2-6)• Walter (2010): Lernfortschrittsdiagnostik Lesen LDL (Klasse 1-8)• Universität Rostock: www.lernfortschrittsdokumentation-mv.de (Klasse 1-4)• Universität Münster: www.quop.de (Klasse 1-4)Rechtschreiben• Universität Rostock: www.lernfortschrittsdokumentation-mv.de (Klasse 1-4)

CBM – Kann die Arbeit damit auch irgendwie erleichtert werden?Um Lehrkräft e in der Anwendung und Auswertung von Lernfortschrittsdokumentati-onen zu unterstützen, wird seit dem Schuljahr 2011/12 über das Institut für Sonder-pädagogische Entwicklungsförderung und Rehabilitation der Universität Rostock ein internetbasiertes System entwickelt und bereitgestellt, das es ermöglicht, Zugang zu wis-senschaft lich geprüft en Testverfahren zur Lernfortschrittsdokumentation als Kopiervor-lage zu erhalten und darüber hinaus die Erfassung, Speicherung und grafi sche Aufb erei-tung erhobener Schülerergebnisse bedienerfreundlich realisiert. Das System ist über die Internetadresse www.Lernfortschrittsdokumentation-MV.de erreichbar.

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Wie ausgehend von den individuellen Schülerdaten über die konkrete Intervention entschieden wird, hängt von dem jeweilig verwendeten Interventionsmodell ab. In der US-amerikanischen Literatur werden im Wesentlichen vier allgemeine RTI-Inter-ventionsmodelle unterschieden (Blumenthal et al. 2014):1. Problem-solving-Modelle (PSM): Förderentscheidungen aufgrund multiprofessi-

oneller Beratungen mit dem Ziel eines schülerspezifi schen Förderplans (Fuchs, Mock, Morgan & Young, 2003),

2. Standard protocol-Modelle (SPM): Förderentscheidungen aufgrund zuvor festgeleg-ter Standardroutinen, in denen diagnostischen Zuweisungskriterien als auch die Fördermaßnahmen vorgegeben sind (Fuchs et al., 2003; Torgesen et al., 2001),

3. Functional assessment-Modelle: Förderentscheidungen aufgrund einer Leistungs-prognose, die zunächst in einer Art „Testphase“ angeboten und ggf. im Förderver-lauf konkretisiert werden (Daly, Witt, Martens & Dool, 1997) und

4. Hybride Modelle: Förderentscheidungen aufgrund einer Kombination der vorge-stellten Modelle in unterschiedlicher Ausprägung (Berkeley et al., 2009).

2.3 Evidenzbasierte Praxis

In der IDEIA 2004 wurde gesetzlich festgehalten, dass wissenschaft lich geprüft e und als wirksam erwiesene Materialien und Methoden (scientifi c research-based inter-vention) gemeinhin als Voraussetzung in der pädagogischen Praxis gelten sollten. In Deutschland hingegen ist das Konzept einer Evidenzbasierten Praxis (EbP) im pä-dagogisch-psychologischen Kontext noch vergleichsweise neu. Es bietet ein Rah-mengerüst für einen qualitativ hochwertigen Unterricht aller Kinder und eine opti-male spezifi sche Förderung von Kindern mit Entwicklungsschwierigkeiten (Sackett, Rosenberg, Gray, Haynes & Richardson, 1996). Unterschiedliche internationale Institutionen zur Qualitätskontrolle, z.  B. das Oxford Centre for Evidence-Based Medicine oder die Agency for Healthcare Research and Quality, erarbeiteten Krite-rienlisten, wie die Qualität zur Beurteilung der vorliegenden Evidenzen eines Unter-richts-, Trainings- oder Th erapieprogramms über sog. Evidenzklassen. Je höher die Evidenzklasse, desto besser ist die wissenschaft liche Begründbarkeit für den Einsatz in der pädagogisch-therapeutischen Praxis. Weitere Informationen über das Prinzip der Evidenzbasierung in der sonderpädagogischen Praxis lassen sich bei Blumenthal und Mahlau (2015) fi nden.

2.4 Forschungsstand zum RTI-Ansatz

Vor dem Hintergrund der Kernelemente des RTI-Ansatzes lassen sich eine Vielzahl pädagogischer Chancen erkennen. Der RTI-Ansatz impliziert• die Überwindung von zweifelhaft en Gruppenbildungen von Schülerinnen und

Schülern aufgrund weniger und prognostisch nicht valider Ist-Standmessungen von Schülermerkmalen,

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• die Abkehr von stereotypen, auf tradierten (sonder-)pädagogischen Konzepten oder auf allgemeinen Wahrscheinlichkeitsaussagen beruhenden Zuweisungs- und Förderentscheidungen aufgrund einer groben Klassifi kation von Schülerinnen und Schülern,

• die Ablösung des „wait-to-fail“-Vorgehens im Rahmen eines präventiv ausgerichte-ten und frühzeitig einsetzenden Fördersystems.

Stattdessen steht eine prozessorientierte formative Leistungsevaluation und dynami-sche Korrektur pädagogischer Handlungen im Mittelpunkt, unter Berücksichtigung• von Wissen über wirksames pädagogisches Handeln,• von Schülermerkmalen,• von Erkenntnissen über spezifi sche Förderung und• des Antwortverhaltens der Schülerin bzw. des Schülers auf den aktuellen Unter-

richt bzw. die aktuelle Förderung (dessen Response to Instruktion/Intervention) sowie

• optimierter Rahmenbedingungen von Förderung (RTI als Präventionskonzept, Hartke & Diehl, 2013).

Mehrfach belegt ist, dass die Anwendung einzelner Kernelemente des RTI-Ansatzes die Wahrscheinlichkeit einer positiven Leistungsentwicklung, insbesondere bei ge-fährdeten Kindern, erhöht. Dies gilt für• frühe spezifi sche Hilfen zur Prävention von manifesten Minderleistungen (Hinwei-

se u. a. bei Aunola, Leskinen, Lerkkanen & Nurmi, 2004; Gaupp, Zoelch & Schu-mann-Hengsteler, 2004; Helmke & Weinert, 1997; Krajewski, 2003; Kurdek & Sinc-lair, 2001; Mazzocco, Feigenson, Halberda & Santos, 2011; Mazzocco & Th ompson, 2005; Stern, 2003; Weißhaupt, Peucker & Wirtz, 2006),

• regelmäßige Leistungserhebungen (Lernverlaufsdokumentation, Monitoring) zur formativen Evaluation von Unterricht und Förderung (u.  a. Black & Wiliam, 1998a, 1998b; Fuchs & Fuchs, 1986; Hattie, 2013; Kingston & Nash, 2011),

• die Kooperation von verschiedenem schulischen Personal (Lehrkraft , Sonderpäda-gogin bzw. Sonderpädagoge und Schulpsychologin bzw. Schulpsychologe) bei der Förderplanung und -entscheidung (u.  a. Burns & Symington, 2002; Kovaleski & Pedersen, 2008; Tilly, 2008),

• der Einsatz evidenzbasierter Unterrichts- und Fördermaßnahmen (u.  a. Shapiro, 2004; Shinn, Walker & Stoner, 2006; Swanson, 2000).

Vergleichsweise wenig empirische Belege existieren hingegen zur Prüfung des RTI-Ansatzes als Summe seiner einzelnen Kernelemente (Burns, 2010). In einer Analyse unterschiedlicher Beschulungsmodelle nach dem RTI-Ansatz in den USA ermittelten Burns et al. (2005) für längerfristig in der Schulpraxis etablierte und betreute Projekte hinsichtlich der Schülerleistungen einen hohen positiven Eff ekt mit einer Eff ektstär-ke von d  =  1.02. Für Implementationsstudien von Forschungsinstitutionen ließ sich ebenfalls ein hoher Eff ekt nachweisen (d = 0.86).

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Auf Basis der Ergebnisse von 16 Feldstudien schlussfolgern Hughes und Dexter (n. d.), dass• frühe, gestuft e Interventionen im Sinne des RTI-Ansatzes zu Verbesserungen der

Schulleistungen bei Risikokindern, insbesondere im Lernbereich Lesen, führen,• die Mehrheit der vorliegenden Evaluationsstudien ihren Fokus auf den Lernbereich

Lesen im Grundschulbereich legte und hierfür positive Eff ekte durch die Umset-zung des RTI-Ansatzes belegt wurden,

• empirisch hochwertige Evaluationsstudien zu den höheren Lesefertigkeiten (z.  B. Leseverständnis), zu weiteren Schulleistungsbereichen (z.  B. Mathematik, Recht-schreibung) sowie Studien, die über den Grundschulbereich hinausgehen, erfor-derlich sind, um die Tragweite des RTI-Ansatzes zu beurteilen,

• Evaluationsstudien längsschnittlich angelegt sein sollten, um neben Aussagen be-züglich der Stabilität der positiven RTI-Eff ekte Informationen darüber zu liefern, wie stabil die Platzierungsraten und inwieweit die Auswahlkriterien der Förderebe-nenzuweisung passend sind,

• standardisierte Kriterien entwickelt werden müssen, um die Pädagoginnen und Pä-dagogen bei der Implementation des RTI-Ansatzes in der Praxis zu unterstützen und um die Eff ektivität standardisierter Implementationen durch empirische Stu-dien überprüfb ar zu machen.

Mit diesen Untersuchungen bereits etablierter Beschulungsmodelle in den USA lie-gen erste positive Evaluationsergebnisse des RTI-Ansatzes in seiner Gesamtum-setzung vor, die darauf schließen lassen, dass dieser sich dazu eignet, Kinder mit Lern-, Sprach- und Verhaltensschwierigkeiten erfolgreich inklusiv zu beschulen (Burns et al., 2005; Hughes & Dexter, n. d.; Hattie, 2013).

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der RTI-Ansatz auch für den deutsch-sprachigen Raum ein erfolgversprechendes Konzept für inklusive Beschulung dar-stellt. Zwar steht die Entwicklung einer evidenzbasierten inklusiven Praxis nach dem RTI-Ansatz in Deutschland erst am Anfang, sodass in diesem Bereich noch umfas-sender Forschungsbedarf besteht, mit dem Rügener Inklusionsmodell liegt jedoch ein deutschlandweit erstes, vollständig in die Praxis umgesetztes Beschulungskonzept nach diesem Modell vor. Im nachfolgenden Kapitel wird die Umsetzung der zentralen RTI-Elemente im Rahmen des RIM diff erenziert ausgeführt.

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3. Umse tzung der zentralen RTI-Elemente im RIM

Im Folgenden werden die drei auf dem RTI-Ansatz beruhenden Kernelemente in ih-rer konkreten Ausgestaltung im RIM dargestellt. Die Umsetzung des RTI-Ansatzes im RIM erfolgte unter Berücksichtigung der im deutschen Sprachraum vorhandenen Messverfahren, die für Monitoringprozesse geeignet sind sowie dem Forschungsstand in den Lern- bzw. Förderbereichen Rechnen/Mathematik, Lesen und Rechtschreiben/Deutsch, emotionale und soziale Entwicklung sowie Sprache entsprechen.

3.1 Mehrebenenprävention

Im Rahmen des RIM wird ein dreistufi ges Mehrebenenmodell für die Lernbereiche Deutsch, Mathematik und für die emotional-soziale sowie sprachliche Entwicklung realisiert (Abbildung 4). Grundschullehrkräft en und Sonderpädagoginnen sowie -pä-dagogen liegen dabei klare kooperative Aufgabenverteilungen innerhalb dieser Ebe-nen vor.

Abbil dung 4: Die Förderebenen I, II und III sowie die Zuordnung zu Förderebenen

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Förderebene IAuf Förderebene  I werden alle Kinder beschult. Sie entspricht somit dem Regelun-terricht nach der Stundentafel der Grundschule. Das RTI-Konzept weist auf dieser Ebene einen qualitativ hochwertigen Unterricht mit diff erenzierenden Anteilen für leistungsstarke und leistungsschwache Schülerinnen und Schüler aus. Die verwende-ten pädagogischen Methoden sowie Unterrichts- und Fördermaterialien passen zuei-nander und haben bereits in wissenschaft lichen Untersuchungen gezeigt, dass sie gut geeignet sind, um alle Kinder einer Klasse zu fördern (Abschnitt 3.3). Verantwort-lich für den Unterricht ist die Grundschullehrkraft . Die Sonderpädagogin bzw. der Sonderpädagoge berät hinsichtlich spezifi scher Maßnahmen, wie beispielsweise zu sprachheilpädagogischen oder verhaltensbezogenen förderlichen Unterrichtsanteilen.

Zeigen Kinder trotz der Maßnahmen auf Förderebene I in den im RIM verwende-ten Screeningverfahren, der Lernverlaufsdiagnostik oder in der Unterrichtsbeobach-tung erste Anzeichen von Schwierigkeiten in den Lern- und Entwicklungsbereichen Deutsch, Mathematik, Verhalten und/oder Sprache, erhalten sie weitere Förderung auf Ebene  II. Die Förderung auf Ebene  II wird von der Klassenlehrerin bzw. vom Klassenlehrer durchgeführt und fi ndet sowohl im Klassenverband als auch außerhalb des Klassenraums, zumeist in Kleingruppen, statt. Zeitlich wird die Förderung so-wohl additiv als auch parallel realisiert. Reagiert ein Kind auf Förderebene  II wie-derum nicht responsiv, schließt sich eine Intervention auf Förderebene  III an. Die-se führt die Sonderpädagogin bzw. der Sonderpädagoge in Kleinstgruppen bzw. im Einzelsetting durch. Nach einer Individualdiagnostik zum Lern- und Entwicklungs-vermögen des Kindes durch die Sonderpädagogin bzw. den Sonderpädagogen wird in Teamberatungen über die sich anschließenden Fördermaßnahmen entschieden. Diese fi nden häufi g im Rahmen von Einzel- oder Kleingruppensettings unter Ver-wendung, soweit verfügbar, evidenzbasierter Materialien statt. Unabhängig vom je-weiligen Lern- oder Entwicklungsbereich kennzeichnet sich die Förderung auf den höheren Förderebenen (II und III) durch ein höheres Maß an Intensität und Spezifi -tät. Reichen die Maßnahmen auf einer Ebene nicht aus, erfolgt demnach eine inten-sivere pädagogische Zuwendung auf der nächsthöheren Förderebene durch die Er-höhung der Frequenz bzw. der Verlängerung der Förderdauer, die Verringerung der Gruppenstärke, die Unterstützung durch eine Sonderpädagogin oder einen Sonderpä-dagogen bzw. weiteres Fachpersonal sowie durch die Zunahme der Frequenz des pro-gress monitoring.

Infobox 2: Was heißt hochwertiger Unterricht?

Innerhalb des Forschungsvorhabens RIM wurden Kriterien eines hochwertigen Unter-richts diskutiert und bestimmt. Relevant hierbei waren Erkenntnisse aus verschiedenen Bereichen der Erziehungswissenschaft en. Innerhalb dieser Diskussion, die auch zu Kri-terienlisten zur Auswahl von Unterrichtsmaterialien führte (Blumenthal, Mahlau, Voß & Hartke, 2015; Diehl, Voß, Sikora & Hartke, 2015; Voß, Sikora & Hartke, 2015; wei-tere Informationen und Downloads sind über die Internetseite http://www.rim.uni-rostock.de zugänglich), wurden insbesondere Erkenntnisse der allgemeinen Didaktik und pädagogischen Psychologie berücksichtigt. Gerade die Hattie-Studie (2013) liefert

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hoch komprimiert Aussagen zu der Frage, welche Unterrichtsaspekte die Schulleistun-gen von Schülerinnen und Schülern steigern. In die Diskussion fl ossen ebenfalls Er-kenntnisse darüber ein, welche Art der Klassenführung (des Classroom Managements, vgl. Abschnitt 3.6.2) das Verhalten und die emotional-soziale Entwicklung von Schüle-rinnen und Schülern fördert. Vor diesem Hintergrund lassen sich Elemente eines hoch-wertigen Unterrichts bestimmen:

Klarheit, Struktur und Zielorientierung des UnterrichtsHochwertiger Unterricht ist zielgerichtet, d. h., er beruht auf einer systematischen Lern-zielabfolge und klaren Vorstellungen in Hinblick auf die zu ermittelnden Kompeten-zen der Lernenden. Die Lehrkräft e wissen genau, was sie wie im Unterricht vermitteln wollen. Dabei sind die avisierten Ziele anspruchsvoll, die Inhalte und Aufgaben stellen die Schülerinnen und Schüler vor schwierige, aber zu bewältigende Herausforderungen. Die einzelnen Unterrichtseinheiten und -stunden sind entsprechend der Lernziele im Sinne des Mastery-Learnings (eines Lernens bis zur „Meisterschaft “) systematisch orga-nisiert, die einzelnen didaktisch-methodischen Schritte sowie das Classroom Manage-ment dementsprechend ausgerichtet. Die Lehrkräft e engagieren sich für die Lernziel-erreichung und wenden dabei fachdidaktisch bewährte Methoden und Materialien an. Sie geben den Schülerinnen und Schülern Feedback in Hinblick auf die erzielten Ergeb-nisse und die erarbeiteten Fähigkeiten und korrigieren dabei nichtzieldienliche Arbeits- bzw. Verhaltensweisen oder Lösungswege und -strategien.

Adaptiver Einsatz verschiedener Methoden und Diff erenzierungGetroff ene pädagogische Entscheidungen sind hochgradig adaptiv in Bezug auf un-terschiedliche Lernausgangslagen, Entwicklungsprofi le und Förderbedarfe der Schü-lerinnen und Schüler. Das schließt die unterrichtsintegrierte Erfassung von Lernstän-den und -prozessen, also die formative Evaluation des Unterrichts und das adäquate unterrichtsintegrierte (sowie ggf. additive) Eingehen auf individuelle Unterstützungs-bedürfnisse im Rahmen von Diff erenzierung (in Menge und Schwierigkeitsgrad der Anforderungen bzw. Aufgaben und in der Lehrerhilfe) mit ein. Korrektives Feedback sowie gezielte Lehrerhilfe werden für das Erreichen von Mindestlernzielen für leis-tungsschwache Schülerinnen und Schüler, also in Fällen erwartungswidriger Entwick-lungsverläufe, eingesetzt, gleiches gilt für Kooperative Lernformen, wie z.  B. reziproke Instruktionen, eine Methode zur Steigerung des Leseverständnisses, oder tutorielle Hil-fen (peer tutoring). Ebenso werden Lerntechniken und kognitive Lernstrategien thema-tisiert und eingeübt (z.  B. die Arbeit mit Leitfragen oder Selbstinstruktion und lau-tes Denken). Bei der gezielten Lehrerhilfe fi ndet die Methode der Direkten Instruktion Anwendung, d.  h., leistungsschwachen Lernenden werden Wissen und Lösungswege bzw. -strategien für Aufgaben systematisch und kleinschrittig vermittelt. Adaptive Hil-fen zielen auch für die Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf auf möglichst an-spruchsvolle Ziele ab. Diff erenzierung bedeutet nicht automatisch eine Absenkung des angestrebten Leistungsniveaus. Im Gegenteil: Eine Absenkung der Menge oder des Schwierigkeitsgrades von Aufgaben oder direkt instruierende Hilfen durch Lehrkräf-te zielen auf das Erreichen von curricular anstehenden Zielen hin. Es wird versucht, je-dem Kind gesellschaft lich relevantes Wissen und spiralcurricular bedeutsame Kompe-tenzen zu vermitteln.

Neben den akademischen Leistungen der Kinder fokussiert ein hochwertiger Unter-richt auf günstige emotional-soziale Bedingungen schulischen Lernens. Dies betrifft As-pekte auf Klassen- sowie auf Schülerebene:

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Positives Klassenklima und vertrauensvolle Lehrer-Schüler-BeziehungenDie emotional-soziale Situation aller Kinder wird maßgeblich durch klassen- sowie lehr-kraft bezogene Aspekte bestimmt. Auf Seiten der Lehrperson umschließt dies einen wert-schätzenden Umgang mit allen Schülerinnen und Schülern sowie ein hohes Maß an so-zialer Akzeptanz gegenüber Kindern mit individuellen, im Leistungsniveau nicht den Mindestanforderungen entsprechenden Entwicklungsverläufen. Die Lehrkraft bemüht sich bewusst um eine positive, vertrauensvolle Lehrer-Schüler-Beziehung. Zudem schafft sie durch ihr Classroom Management einen Rahmen für ein positives Klassenklima und ein hohes Maß an sozialer Teilhabe (soziale Inklusion) aller Schülerinnen und Schüler. Die Entstehung von Freundschaft en wird durch kooperative Lernformen unterstützt, so-ziale Kompetenzen im Unterricht gefördert (z. B. durch soziale Trainings) und Konfl ik-te im Unterricht von Lehrkräft en professionell durch die Anwendung von bewährten Handlungsmöglichkeiten bei Disziplinkonfl ikten und Verhaltensauff älligkeiten (Hartke & Vrban, 2010) bewältigt oder unterbunden.

Berücksichtigung motivationaler AspekteZur Unterstützung der Leistungs- und der emotional-sozialen Entwicklung aller Kin-der sind überdies Maßnahmen zur Sicherung schulmotivationaler Aspekte zu treff en. Dies betrifft vor allem die Freude an der Schule sowie am Lernen und der damit ver-bundenen Anstrengungsbereitschaft als auch das akademische Selbstkonzept der Kinder. Hochwertiger Unterricht zielt also zudem auf die Erarbeitung realistischer Zielsetzun-gen, die Reduktion von Misserfolgsängsten und die Förderung günstiger Leistungs-attributionen ab. Hierzu haben sich verschiedene Ansätze bewährt, z.  B. die Orientie-rung an der individuellen Bezugsnorm in der Bewertung, gekoppelt mit diff erenziertem Feedback zur Leistungsoptimierung oder der Einsatz von Selbstinstruktionstrainings. Die Umsetzung dieser Gesichtspunkte ist eng gekoppelt mit zuvor benannten Kriteri-en hochwertigen Unterrichts und ergibt sich implizit, wenn diese Berücksichtigung im schulischen Alltag fi nden.

Über die genannten Aspekte hinaus ist die Fachlichkeit und Angemessenheit der pädagogischen Maßnahmen in jeglicher Hinsicht durch die Zusammenarbeit aller beteiligten Akteure zu sichern:

Kooperation und MultiprofessionalitätEin hochwertiger Unterricht erfordert die Kooperation in einem multiprofessionellen Team. Im gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne besondere (sonder-)pä-dagogische Bedürfnisse gilt es bei Bedarf neben der Sonderpädagogin bzw. dem Sonder-pädagogen auch weitere Unterstützungsangebote (z. B. Schulpsychologin bzw. Schulpsy-chologen und Pädagoginnen bzw. Pädagogen mit sonderpädagogischer Aufgabenstellung (PmsA) auch unterrichtlich zu integrieren. Die inhaltliche Verbindung der Unterrichts-beiträge unterschiedlicher Professionalitäten erfolgt dabei mithilfe von in Teambespre-chungen koordinierten Förderplänen. Für jede Lehrerin und jeden Lehrer ist koopera-tives Arbeiten in multiprofessionellen Teams selbstverständlich, um so den vielseitigen und unterschiedlichen Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler gerecht werden zu können.

Der Begriff „hochwertiger Unterricht“ unterscheidet sich inhaltlich von dem Be-griff „guter Unterricht“ durch eine stärkere Betonung empirisch gut bewährter Elemen-te eines professionellen Unterrichts (Hattie, 2013). Inhaltlich bestehen aber durchaus eine Vielzahl an Übereinstimmungen mit den in der allgemeinen Didaktik im deutsch-sprachigen Raum von Meyer (2004) formulierten Desiderata guten Unterrichts (klare

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Strukturierung, hoher Anteil echter Lernzeit, lernförderliches Klima, inhaltliche Klar-heit, sinnstift ende Kommunikation, Methodenvielfalt, individuelles Fördern, intelligen-tes Üben, klare Leistungserwartungen, vorbereitete Lernumgebung). Die hier erläuterten Aspekte eines hochwertigen Unterrichts rekurrieren inhaltlich stärker auf in der empiri-schen Bildungsforschung untersuchten Unterrichtsmerkmalen und -elementen, wie Ziel-orientierung, Feedback, formative Evaluation, kooperatives und tutorielles Lernen, di-rekte Instruktion und kognitive Lernstrategien.

Förderebene IIAuf der Förderebene  II werden die Schülerinnen und Schüler gefördert, die durch unterdurchschnittliche schulische Leistungen auff allen. Auf der Basis von Studien und Erfahrungen zu RTI in den USA kann davon ausgegangen werden, dass dies un-gefähr 20 % der Kinder eines Jahrgangs betrifft . Die unterrichtsintegrierte Förderung auf Ebene  I erweist sich also für diese Kinder als nicht ausreichend und zusätzliche Hilfen müssen den Regelunterricht ergänzen. Für jedes Kind wird ein individueller Förderplan erstellt. Verantwortlich für die Förderung ist auch hier die Grundschul-lehrkraft , die in zusätzlichen Stunden (s. Tabelle 1) die Kinder in Kleingruppen von vier bis sechs Schülerinnen und Schülern für zehn Schulwochen gezielt fördert. Die-se Gruppengröße ermöglicht der Lehrkraft eine intensive, kleinschrittige und lü-ckenschließende Instruktion eines jeden Kindes. Die verwendeten Materialien und Übungsformate sind den Kindern bekannt und orientieren sich am Regelunterricht auf Förderebene I.

Tabel le 1: Förderstunden auf Förderebene II im RIM

Klasse 1 3 h Deutsch, 2 h Mathematik

Klasse 2 2 h Deutsch, 1 h Mathematik

Klasse 3 1 h Deutsch, 1 h Mathematik

Klasse 4 1 h Deutsch, 1 h Mathematik

Förderebene IIIEntwickelt sich das Kind trotz dieser zusätzlichen Förderung nicht wie erwartet und fi ndet keinen Anschluss an das Leistungsvermögen seiner Klassenkameradinnen und -kameraden, folgt eine Förderung auf der Förderebene  III. Es wird davon aus-gegangen, dass ca. fünf Prozent aller Kinder eines Jahrgangs eine Förderung auf der Förder ebene III für eine zufriedenstellende Lernentwicklung benötigen. Diese Förde-rung auf der Förderebene III gliedert sich im RIM in zwei Phasen:

Phase 1:Die Förderebene  III setzt ein, wenn (1) bisherige Fördermaßnahmen auf den För-derebenen  I und  II zu geringe Erfolge brachten oder (2) ein off ensichtlich schwer-wiegender Förderbedarf vorliegt. Deshalb fördert die Sonderpädagogin bzw. der Son-

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derpädagoge betroff ene Kinder auf dieser Ebene in einem Zeitraum von mindestens zehn Schulwochen in der Regel in einer Einzelsituation oder in Kleinstgruppen von maximal drei Kindern. Hierdurch wird eine intensive und optimierte, individuell auf das Kind abgestimmte Förderung ermöglicht, in der beispielsweise die mathemati-sche oder schrift sprachliche Förderung je nach Bedarf mit z.  B. Methoden der Auf-merksamkeitsförderung kombiniert wird. Dafür stehen der Sonderpädagogin bzw. dem Sonderpädagogen in jeder Klasse ca. vier Förderstunden pro Woche zusätzlich zum Unterricht der Förderebene I (Regelunterricht) und II (Kleingruppenförderung) zur Verfügung. Gleichzeitig berät die Sonderpädagogin bzw. der Sonderpädagoge die zuständige Grundschullehrkraft hinsichtlich notwendiger Maßnahmen zur Diff eren-zierung und Unterstützung in Unterrichts- bzw. Förderstunden auf der Förderebene I und  II. Die Fördermaßnahmen und der Förderverlauf werden fortlaufend evaluiert und dokumentiert.

Zeigt ein Kind auf der Förderebene III Phase 1 einen Leistungsanstieg, der durch weitere Förderung auf der Förderebene  II den Anschluss an den Regelunterricht er-möglicht, gilt die Förderung auf Ebene  III als abgeschlossen. Dieses Kind wird fort-an wieder ausschließlich im Regelunterricht (Förderebene  I) und auf Förderebene  II zusätzlich in einer Kleingruppe unterrichtet. Ist ein Anstieg, der den Abstand zum Durchschnittsbereich verringert, erkennbar, spricht dies eher für eine Verlängerung des Förderzeitraums um weitere zehn Schulwochen und ggf. geringe Modifi zierungen der Methoden der Förderung.

Phase 2:Sollte sich die Leistung trotz intensiver, wiederholter und modifi zierter Förderung auf der Förderebene  III nicht erwartungsgemäß entwickeln, fi ndet eine kooperati-ve Fallberatung (Beratungsansatz nach Mutzeck, 2008) statt. Die Ergebnisse der ko-operativen Fallberatung, deren Datengrundlage, Analyseergebnisse und Beschlüsse sowie sich anschließende ergänzende Untersuchungen der pädagogischen Situation des Kindes werden in einem Präventionsgutachten zusammengefasst. Dieses Gutach-ten bildet die Basis für eine veränderte, mehrere Bereiche umfassende, intensive För-derung für mindestens zehn Schulwochen auf der Förderebene  III Phase 2. Auch in dieser Phase werden Fördermaßnahmen und die Entwicklung fortlaufend dokumen-tiert und somit geprüft , ob und wie die Umsetzung des Förderplans beim jeweiligen Kind wirkt. Sollte sich dabei ein deutlicher Leistungsanstieg zeigen, der durch weite-re Förderung auf der Förderebene  II den Anschluss zum Klassenunterricht ermög-licht, gilt die Förderung auf Ebene  III als abgeschlossen. Bleibt dieser Anstieg aus, fi ndet eine erneute kooperative Fallberatung statt, in der weitere (sonder-)pädagogi-sche Maßnahmen für die Förderebenen I, II und III vereinbart werden. Dazu zählen u.  a. eine Verlängerung des Förderzeitraums um weitere zehn Schulwochen mit ggf. modifi zierten Förderinhalten bis hin zu einer Lernzeitverlängerung im Sinne einer Klassenwiederholung.

Ein kleiner Teil von Schülerinnen und Schülern, ca. zwei Prozent aller Kin-der, wird trotz umfangreicher Förderbemühungen (einschließlich Klassenwiederho-lungen) nicht im gleichen Maße Lernfortschritte erzielen können wie die Klassen-kameradinnen und -kameraden. Diese Kinder werden nach der Diagnostik ihres

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individuellen Lern- und Entwicklungsstandes und ggf. der Feststellung eines sonder-pädagogischen Förderbedarfs durch die Grundschullehrkraft zieldiff erent im Regel-unterricht auf der Förderebene I beschult sowie auf der Förderebene II und zusätzlich individuell durch die Sonderpädagogin bzw. den Sonderpädagogen auf der Förder-ebene  III gefördert. Durch die zieldiff erente Beschulung sollen individualisierte Un-terrichtsinhalte entsprechend eines individuellen Förderplans mit den Kindern erar-beitet werden. Diese Kinder bleiben in ihrem Klassenverband und werden trotz eines langanhaltenden Förderbedarfs in einzelnen oder mehreren Bereichen nicht in eine Sonderklasse umgeschult. Wissenschaft licher Hintergrund der weiteren Beschulung in der allgemeinen Schule ist, dass die Kinder, denen es trotz Lernzeitverlängerung nicht gelingt, die Lernziele der Grundschule zu erreichen, dort demnach in der Regel erfolgreicher lernen als in segregativen Schulformen (für einen Überblick einschlägi-ger Studien s. Bless & Mohr, 2007; Schnell, Sander & Federolf, 2011).

3.2 Datengeleitete Förderentscheidungen

Ein weiterer bedeutsamer Baustein im RIM ist die Diagnostik in Verbindung mit der Dokumentation der Lernverläufe der Kinder. Die Diagnostik setzt sich aus mehre-ren Komponenten zusammen. So werden mehrere über das Schuljahr verteilte Scree-ningverfahren als Bestandteil der Förderebene I mit allen Schülerinnen und Schü-lern durchgeführt, um Kinder mit Entwicklungsrisiken zu identifi zieren (detaillierter bei Mahlau et al., 2011; Mahlau et al., 2016.). In einem zweiten Schritt fi ndet eine diff erenzierte, qualitativ ausgerichtete Individualdiagnostik für die in den Screening-verfahren auff ällig gewordenen Kinder als Maßnahme der Förderebene II statt, um sowohl deren Leistungen als auch Schwierigkeiten zu erfassen. Innerhalb des Schul-jahres wird die schulische Entwicklung aller Kinder mittels monatlicher curricu-lumbasierter Messungen (CBM) auf der FE I sowie zusätzlicher wöchentlicher CBM auf den FE  II und  III dokumentiert (Lernfortschrittsdokumentation), um Hinweise zur Eff ektivität der Unterrichts- bzw. Fördermaßnahmen zu erhalten (Mahlau et al., 2016). Auf der Förderebene III erfolgt eine umfassende sonderpädagogische Diag-nostik, die alle Lern- und Entwicklungsbereiche, wie die kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten, Aufmerksamkeit, Konzentration und die emotionale und soziale Ent-wicklung, berücksichtigt. Für Kinder, die auf dieser Ebene gefördert werden, wird ein pädagogisches „Netzwerk“ aufgebaut, dem auch Diagnostiker anderer Berufsgruppen (z. B. aus der Logopädie, Kinder- und Jugendpsychotherapie oder dem Schulpsycho-logischen Dienst) angehören können.

3.3 Evidenzbasierte Praxis

Unter dem Prinzip der „Evidenzbasierten Praxis“ (EbP) wird verstanden, dass nur die Methoden und Verfahren Anwendung fi nden, bei denen in wissenschaft lichen Stu-dien nachgewiesen wurde, dass sie zum einen tatsächlich das angestrebte Interven-

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tionsziel erreichen und zum anderen im Vergleich zu anderen Methoden und Ver-fahren eff ektiver sind. Dieses Vorgehen ist aus der Medizin bekannt, in der es eine Selbstverständlichkeit ist, nur wissenschaft lich nachweislich wirksame Medikamente zu verschreiben (Blumenthal & Mahlau, 2015).

Im US-amerikanischen Bildungsbereich wird bereits seit 2004 in der IDEIA ge-setzlich festgeschrieben, dass wissenschaft lich geprüft e und als wirksam erwiesene Materialien und Methoden (scientifi c research-based intervention) als Voraussetzung in der pädagogischen Praxis gelten sollten. In Deutschland hingegen ist das Konzept einer EbP im pädagogisch-psychologischen Kontext noch vergleichsweise neu, jedoch vor dem Hintergrund der Qualitätssicherung pädagogisch-therapeutischer Interven-tionen in (sonder-)pädagogischen Diskursen hochaktuell (Beushausen, 2014; Blu-menthal & Mahlau, 2015; Fingerle & Ellinger, 2008; Hartke, 2005; Hartmann, 2013; Nußbeck, 2007).

Die meisten fachwissenschaft lichen Auseinandersetzungen mit der EbP in der Sonderpädagogik fokussieren ausschließlich den wissenschaft lichen Nachweis über die Wirksamkeit einer pädagogischen Maßnahme, die sogenannte externe Evidenz. Dieses Vorgehen sollte durch das Einbeziehen des individuellen Wissens und die Er-fahrung der Expertin bzw. des Experten (interne Evidenz) sowie die Vorlieben und Bedürfnisse der Klientin bzw. des Klienten (soziale Evidenz) ergänzt werden. Daher sind bei einem evidenzbasierten Vorgehen die Entscheidungen für eine Behandlung oder Th erapiemaßnahme auf Grundlage der folgenden drei Evidenzaspekte zu treff en (s. Abbildung 5):

Entscheidung im Sinne einer Evidenzbasierten

Praxis

Interne Evidenz

Soziale Evidenz

Externe Evidenz

Abbildung 5: Evidenzaspekte im Entscheidungsfi ndungsprozess

Übertragen auf (sonder-)pädagogische Kontexte sollten evidenzbasierte Entschei-dungen für Unterrichtsmethoden, Materialien und Fördermaßnahmen anhand aktu-ell gültiger wissenschaft licher Erkenntnisse unter Einbezug der Expertise der pädago-gischen Fachkräft e und der spezifi schen Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler bzw. deren Erziehungsberechtigten getroff en werden. Ziel ist es, die bestmögliche und geeignetste Handlungsstrategie für alle beteiligten Personen zu fi nden.

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Den Ausgangspunkt bildet die Identifi kation des Problems bzw. des spezifi schen Problemgefüges, für das die bestmögliche Lösung gesucht werden soll. Das Problem und die daraus zu entwickelnde präzise Fragestellung ist die Grundlage einer empi-risch überprüfb aren Hypothese, die Präventions- oder Interventionsmaßnahmen und Zielstellungen mit einschließt. Dazu muss eine umfassende und möglichst objektive Analyse der individuellen Situation, deren Bedingungen und der Bedürfnisse stattfi n-den (Nußbeck, 2013). In der Sonderpädagogik dient hierzu eine genaue Diagnostik durch den Einsatz einschlägiger Verfahren. Auf die präzise Fragestellung erfolgt die Informationssuche und bewertung anhand der nachfolgend näher beschriebenen Evi-denzaspekte.

Die externe Evidenz wird als tragende Säule der EbP betrachtet. Zentraler Inhalt ist das Vorliegen von Forschungsergebnissen, die die Wirksamkeit der in Frage kom-menden Materialien, Methoden und Th erapieansätze bestätigen. Die Recherche nach empirischen Wirksamkeitsnachweisen ist sehr aufwändig, da, sofern überhaupt vor-handen, mehrere relevante Einzelbeiträge aus unterschiedlichen Quellen (z.  B. im Manual des jeweiligen Materials, aus Beiträgen in Fachzeitschrift en, Datenbanken und Herausgeberwerken) zusammengetragen werden müssen. Danach folgt die kriti-sche Auseinandersetzung mit den veröff entlichten Studienergebnissen und deren Be-wertung (diff erenziert dargestellt in Blumenthal & Mahlau, 2015).

In der EbP stehen im Rahmen der sozialen Evidenz die Präferenzen, Werte und Erfahrungen der betroff enen Person und ggf. seiner Angehörigen im Mittelpunkt. Übertragen auf den pädagogischen Kontext ist bei der Auswahl von Materialien zu prüfen, inwieweit diese kindgemäß gestaltet und für die Arbeit in einer konkreten Lerngruppe geeignet sind. Bei individualisierten Fördermaßnahmen gilt es, zumin-dest die motivationale Lernausgangslage und weitere individuelle Merkmale des Kin-des und ggf. seine Ansichten bzw. die seiner Eltern zu erfassen und zu berücksichti-gen (Hartke et al., 2015).

Die interne Evidenz einer Maßnahme soll durch die therapeutische bzw. pädago-gische Expertise, also die Berufserfahrung sowie das daraus resultierende Professions-wissen gewährleistet werden. Es ist auch zu berücksichtigen, mit welchen Konzep-ten, Verfahren und Materialien die jeweilig handelnde Fachperson positive (Selbst-) Wirksamkeitserfahrungen verbindet. Mit dem Aspekt der internen Evidenz ist auch die Festlegung der Messverfahren, der Messzeitpunkte sowie die Form der Daten-sammlung und -auswertung verbunden (Beushausen, 2014).

Das Ziel, die Auswahl der Unterrichts- und Fördermaterialien evidenzbasiert zu gestalten, ist vor dem Hintergrund häufi g noch ausstehender Wirksamkeitsstudien nicht für jeden Lern-bzw. Entwicklungsbereich realisierbar. Dies ist besonders pro-blematisch, da sich Lehrpersonen einer beinahe unüberschaubaren Menge an erhält-lichen Materialien, Ansätzen und Programmen gegenübersehen. Der Anspruch nach empirisch belegbarer Wirksamkeit deutscher Unterrichtslehrwerke ist derzeit noch keine Realität, sondern eher eine Forderung. Dennoch sollte dieser für Unterrichts- und Förderprogramme aufrechterhalten werden.