Der Junge Im Gestreiften Pyjama - John Boyne
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John Boyne
DER JUNGEIM GESTREIFTEN PYJAMASCANNED BY JAMEE
Eine Fabel Die Geschichte von »Der Junge imgestreiften Pyjama« ist schwer zubeschreiben. Normalerweise geben wir andieser Stelle ein paar Hinweise auf dennhalt, aber bei diesem Buch - so glauben wirist es besser, wenn man vorher nicht weiß,
worum es geht. Wer zu lesen beginnt, begibtich auf eine Reise mit einem neunjährigen
ungen namens Bruno. (Und doch ist es keinBuch für Neunjährige.) Früher oder späterkommt er mit Bruno an einen Zaun.
Zäune wie dieser existieren auf der
ganzen Welt.
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John Boyne wurde 1971 in Dublin, Irlandgeboren, wo er auch heute lebt. Er ist der
utor von sechs Romanen, darunter »Der
unge im gestreiften Pyjama«, der zweirische Buchpreise gewann, für den »British
Book Award« nominiert war und vor kurzemerfilmt wurde. John Boynes Romane wurden
n über dreißig Sprachen übersetzt.www.johnboyne. com
Kapitel eins BRUNO MACHT EINEENTDECKUNG
Eines Nachmittags kam Brunoon der Schule nach Hause und
staunte nicht schlecht, als Maria, dasDienstmädchen der Familie, das denKopf immer gesenkt hielt und nie
om Teppich aufblickte, in seinemZimmer stand und seine Sachen aus
dem Schrank in vier große Holzkisten
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packte, auch die ganz hintenersteckten, die nur ihm gehörten
und keinen etwas angingen.
»Was machst du da?«, fragte er sohöflich er konnte, denn es passte ihmzwar nicht, nach Hause zu kommenund jemanden in seinen Sachenherumwühlen zu sehen, aber Mutterhatte ihm stets gesagt, er müsse Mariarespektvoll behandeln und dürfe
nicht einfach Vater nachahmen undso mit ihr reden wie er. »Lass dieFinger von meinen Sachen.«
Maria schüttelte den Kopf und
zeigte überihn hinweg zum Treppenaufgang
wo Brunos Mutter soeben erschienen
war. Sie war eine große Frau mit
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angen roten Haaren, die sie hintenam Kopf in einem Netz bündelte, unddie sich jetzt nervös die Hände rieb,
als läge ihr etwas auf dem Herzen, dasie nur ungern sagte und am liebstennicht glauben wollte.
»Mutter«, sagte Bruno und gingauf sie zu. »Was ist los? Was suchtMaria in meinen Sachen?«
»Maria packt sie«, erklärte ihm
Mutter.»Packt sie?«, fragte er und
überdachte rasch die Ereignisse deretzten Tage, um herauszufinden, ob
er vielleicht sehr unartig gewesen waoder Wörter laut gesagt hatte, die ernicht benutzen durfte, und deswegen
etzt fortgeschickt wurde. Aber ihm
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fiel nichts ein. Im Gegenteil, in denetzten paar Tagen hatte er sich allen
gegenüber sehr freundlich verhalten,
und er konnte sich nicht entsinnen,rgendwann Unruhe gestiftet zu
haben. »Warum?«, fragte er. »Washabe ich getan?«
Mutter war mittlerweile insElternschlafzimmer gegangen, aberdort war Lars, der Diener, ebenfalls
am Packen. Sie seufzte und warf erzweifelt die Hände in die Luft,
dann ging sie wieder insTreppenhaus, gefolgt von Bruno, der
gar nicht daran dachte, diengelegenheit ohne Erklärung auf
sich beruhen zu lassen.
»Mutter«, sagte er unbeirrt. »Was
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st los? Ziehen wir um?«»Komm mit nach unten«,
erwiderte sie und ging ihm voran zum
großen Esszimmer, wo sie vor einerWoche mit dem Furor zu Abendgegessen hatten. »Wir reden dortweiter.«
Bruno rannte nach unten undüberholte sie im Treppenhaus, sodasser bei ihrer Ankunft schon im
Esszimmer wartete. Er schaute sieeinen Moment lang schweigend anund dachte bei sich, dass sie sich amMorgen offenbar nicht richtig
geschminkt hatte, denn ihreugenränder waren röter als sonst,
genau wie seine, wenn er Unruhe
gestiftet hatte und dann Ärger bekam
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und am Ende weinte.»Du musst dir wirklich keine
Gedanken machen, Bruno«, sagte
Mutter und setzte sich auf den Stuhl,auf dem die schöne blonde Fraugesessen hatte, die mit dem Furorzum Essen gekommen war und ihmzuwinkte, als Vater die Türen schloss»Das Ganze wird sicher ein großes
benteuer.«
»Was denn?«, fragte er. »Muss ichfort?«
»Nein, nicht nur du«, sagte sieund sah aus, als wollte sie lächeln,
überlegte es sich dann aber anders.»Wir gehen alle. Dein Vater und ich,Gretel und du. Alle vier.«
Bruno dachte darüber nach und
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runzelte die Stirn. Ihn hätte es nichtgestört, wenn man Gretelfortgeschickt hätte, denn sie war ein
hoffnungsloser Fall und handelte ihmmmer nur Ärger ein. Aber dass die
ganze Familie mit ihr gehen musste,fand er ein bisschen ungerecht.
»Und wohin?«, fragte er. »Wogenau gehen wir hin? Warum könnenwir nicht hierbleiben ?«
»Wegen der Arbeit deinesVaters«, erklärte Mutter. »Du weißt,wie wichtig sie ist, nicht?«
»Ja, natürlich«, sagte Bruno und
nickte. Vater bekam oft Besuch vonMännern in phantastischenUniformen und Frauen mit
Schreibmaschinen, die Bruno nicht
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mit seinen schmutzigen Händenanfassen durfte, und alle warenmmer sehr höflich zu Vater und
ersicherten einander, dass er einMann war, auf den man ein Augehaben musste, und dass der FurorGroßes mit ihm vorhatte.
»Weißt du, wenn jemand sehrwichtig ist«, fuhr Mutter fort, »dannwird er von seinem Vorgesetzten
manchmal gebeten, woandershin zugehen, weil dort eine spezielle Arbeiterledigt werden muss.«
»Was für eine Arbeit?«, fragte
Bruno, denn wenn er ehrlich mit sichwar - und das versuchte er immer zusein -, wusste er nicht so recht, was
Vater eigentlich machte.
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Einmal hatten sie in der Schuleüber ihre Väter geredet, und Karlhatte gesagt, sein Vater sei Obst- und
Gemüsehändler, was Brunobestätigen konnte, denn ihm gehörteder Obst-und Gemüseladen imStadtzentrum. Daniel hatte gesagt,sein Vater sei Lehrer, was Brunoebenfalls bestätigen konnte, denn erunterrichtete die großen Jungen, von
denen man sich besser fernhielt. UndMartin hatte gesagt, sein Vater seiKoch, und auch das konnte Brunobestätigen, weil er Martin manchmal
on der Schule abholte und dannmmer einen weißen Kittel und eine
karierte Schürze trug, als käme er
gerade aus der Küche.
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Als sie Bruno fragten, was seinVater mache, wollte er zu einer
ntwort ansetzen, aber dann wurde
hm klar, dass er es gar nicht wusste.Er konnte nur sagen, dass sein Vaterein Mann war, auf den man ein Augehaben musste, und dass der FurorGroßes mit ihm vorhatte. Ach ja, unddass er außerdem eine phantastischeUniform trug.
»Eine sehr wichtige Arbeit«, sagtMutter und zögerte einen Augenblick»Eine Arbeit, für die man einen ganzbesonderen Mann braucht. Das
erstehst du sicher, nicht?«»Und wir müssen alle mit?«,
fragte Bruno.
»Aber natürlich«, sagte Mutter.
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»Du willst doch nicht, dass Vaterallein zu seiner neuen Arbeitsstellegeht und dort einsam ist, oder?«
»Vermutlich nicht«, sagte Bruno.»Vater würde uns schrecklich
ermissen, wenn wir nicht bei ihmwären«, fügte sie hinzu.
»Wen würde er mehrermissen?«, fragte Bruno. »Mich
oder Gretel?«
»Er würde euch beide gleich vielermissen«, sagte Mutter. Sie hielt
nichts davon, jemanden zubevorzugen, und Bruno respektierte
das, weil er wusste, dass er eigentlichhr Liebling war.
»Und was ist mit unserem
Haus?«, fragte Bruno. »Wer kümmert
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sich darum, wenn wir fort sind?«Mutter seufzte und schaute sich
m Zimmer um, als würde sie es
ielleicht nie wiedersehen. Es war einsehr schönes Haus mit insgesamt fünfStockwerken, wenn man den Kellermitzählte, wo Koch alle Mahlzeitenzubereitete und Maria und Lars oftstreitend am Tisch saßen und sichSchimpfwörter an den Kopf warfen,
die man nicht benutzen durfte. Undwenn man die kleine Dachkammermit den schrägen Fensternmitrechnete, durch die Bruno ganz
Berlin überblicken konnte, wenn ersich auf die Zehenspitzen stellte undam Rahmen festhielt.
»Fürs Erste müssen wir das Haus
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erschließen«, sagte Mutter. »Aberrgendwann ziehen wir wieder
zurück.«
»Und was ist mit Koch?«, fragteBruno. »Und Lars? Und Maria?Können sie nicht hier wohnenbleiben?«
»Sie kommen mit uns«, erklärteMutter. »Aber das sind erst mal genugFragen. Vielleicht solltest du nach
oben gehen und Maria beim Packenhelfen.«
Bruno erhob sich, ging aber nichtaus dem Zimmer. Ein paar Fragen
musste er ihr noch stellen, bevor erdie Sache auf sich beruhen lassenkonnte.
»Und wie weit weg ist sie?«,
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fragte er. »Die neue Arbeit, meine ichst sie weiter entfernt als zwei
Kilometer?«
»Du liebe Zeit«, sagte Mutter undachte. Aber es war ein komisches
Lachen, denn sie sah nicht glücklichaus und drehte sich von Bruno weg,als wollte sie ihr Gesicht vor ihm
erbergen. »Ja, Bruno«, sagte sie. »Esst weiter entfernt als zwei Kilometer
Sehr viel weiter sogar.«Brunos Augen wurden groß, und
sein Mund formte ein O. Dannbreitete er unwillkürlich die Arme
aus, wie immer, wenn ihn etwasüberraschte. »Heißt das, wir verlassenBerlin?«, fragte er und schnappte
dabei nach Luft.
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»Ich fürchte ja«, sagte Mutter undnickte traurig. »Die Arbeit deinesVaters ist ...«
»Aber was ist mit der Schule?«,fiel Bruno ihr ins Wort, was ihmeigentlich verboten war, ihm aberdieses eine Mal, so hoffte er,
erziehen wurde. »Und was ist mitKarl und Daniel und Martin? Wohersollen sie wissen, wo ich bin, wenn
wir etwas zusammen unternehmenwollen?«
»Du wirst dich vorläufig vonhnen verabschieden müssen«, sagte
Mutter. »Aber ich bin sicher,rgendwann siehst du sie wieder. Und
falle deiner Mutter bitte nicht ins
Wort«, fügte sie hinzu, weil sie fand,
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dass Bruno noch lange nicht dieHöflichkeitsregeln brechen musste,die man ihm beigebracht hatte, auch
wenn dies eine verwirrende undunangenehme Mitteilung war.
»Mich von ihnenerabschieden?«, fragte er und starrte
sie verwundert an. »Mich von ihnenerabschieden?«, wiederholte er
stotternd, als hätte er den Mund
oller Kekse, die er in winzige Stückezerkaut, aber noch nichthinuntergeschluckt hatte. »Ich sollmich von Karl und Daniel und Martin
erabschieden?«, fuhr er fort, undseine Stimme kam einem lautenSchreien gefährlich nahe, was im
Haus ebenfalls verboten war. »Das
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sind meine drei allerbesten Freunde!«»Ach, du findest neue Freunde«,
sagte Mutter und winkte
erständnislos ab, als wäre es einKinderspiel, drei beste Freunde zufinden.
»Aber wir hatten Pläne«,protestierte er.
»Pläne?«, fragte Mutter und hobeine Augenbraue. »Was für Pläne
denn?«»Na ja, das wäre Petzen«,
erwiderte Bruno. Er durfte nichtsGenaueres über die Pläne preisgeben
bei denen es auch darum ging, vielUnruhe zu stiften, besonders in einpaar Wochen, wenn die
Sommerferien anfingen und sie ihre
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Zeit nicht immer nur mitPläneschmieden verbringen mussten,sondern sie endlich auch in die Tat
umsetzen konnten.»Tut mir leid, Bruno«, sagte
Mutter, »aber deine Pläne werdenwohl oder übel warten müssen. Beidieser Sache haben wir keine Wahl.«
»Aber Mutter!«»Bruno, Schluss jetzt«, fauchte sie
hn an und stand auf, um ihm zuzeigen, wie ernst es ihr war. »Erstetzte Woche hast du dich darüber
beschwert, dass sich hier in letzter
Zeit alles verändert hat.«»Mir gefällt eben nicht, wenn wir
nachts sämtliche Lichter ausschalten
müssen«, gab er zu.
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»Das müssen alle machen«, sagteMutter. »Es dient unserer Sicherheit.Und wer weiß, vielleicht ist die
Gefahr nicht so groß, wenn wirwegziehen. Aber jetzt geh nach obenund hilf Maria beim Packen. Dankeinem gewissen Jemand bleibt unsnämlich weniger Zeit, alles
orzubereiten, als mir lieb gewesenwäre.«
Bruno nickte und ging traurigdavon; er wusste, dass ein gewisser
emand ein Ausdruck der
Erwachsenen für Vater war, einusdruck, den er selbst nicht
benutzen durfte.Langsam stieg er die Treppe
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hoch, hielt sich dabei mit einer Handam Geländer fest und überlegte, ob esn dem neuen Haus in der neuen
Stadt, wo die neue Arbeit war, wohlauch ein so schönes Geländer gäbe,auf dem man herunterrutschenkonnte. Denn das Geländer in diesemHaus reichte vom obersten Stockwerk direkt vor der kleinen Kammer, von
der aus er ganz
Berlin überblicken konnte, wenner sich auf die Zehenspitzen stellteund am Fensterrahmen festhielt - bisns Erdgeschoss, wo es knapp vor der
gewaltigen zweiflügeligen Eichentürendete. Für Bruno gab es nichtsSchöneres, als oben auf das Geländer
zu steigen und, begleitet von einem
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zischenden Geräusch, durch dasganze Haus zu rutschen.
Vom obersten Stockwerk
hinunter ins nächste, wo sich dasSchlafzimmer der Eltern und eingroßes Bad befanden, die erkeinesfalls betreten durfte.
Dann hinunter ins nächsteStockwerk, wo sein Zimmer, das vonGretel und ein kleineres Bad waren,
das er eigentlich häufiger benutzensollte, als er es letztendlich tat.
Und dann hinunter insErdgeschoss, wo man vom Ende des
Geländers fiel und auf beiden Füßenanden musste, sonst hatte man fünf
Punkte gegen sich und musste wieder
on vorn anfangen.
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Das Geländer war das Beste ametzigen Haus - das und die Tatsache,
dass Großvater und Großmutter in
der Nähe wohnten. Bei demGedanken an die beiden fragte ersich, ob sie wohl auch mitkamen, undeigentlich ging er davon aus, dennman konnte sie unmöglich das hieß,es wohnten keine anderen Familienn der Nähe und auch keine Jungen
zum Spielen - weder Freunde nochsolche, die Ärger versprachen.
Das Haus in Berlin war gewaltig,und obwohl er dort neun Jahre lang
gewohnt hatte, fand er immer nochEcken und Winkel, die noch nichtganz erforscht waren. Es gab sogar
ganze Zimmer - beispielsweise Vaters
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Büro, das zu betreten jederzeit undausnahmslos verboten war -, in die erkaum einen Fuß gesetzt hatte. Das
neue Haus jedoch hatte nur dreiStockwerke: ein oberes, in dem sichalle drei Schlafzimmer und nur einBad befanden, das Erdgeschoss miteiner Küche, einem Esszimmer undeinem neuen Büro für Vater (für das
ermutlich dieselben
Beschränkungen galten wie für dasalte), und einen Keller, in dem dieDienstboten schliefen.
Das Haus in Berlin war umgeben
on anderen Straßen mit großenHäusern, und wenn man zu Fuß insStadtzentrum ging, waren immer
Leute unterwegs, die stehen blieben
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und miteinander plauderten, oder dieherumrannten und sagten, sie hättenkeine Zeit stehen zu bleiben, nicht
heute, nicht wenn sie tausend Sachenzu erledigen hatten. Es gab Geschäftemit hellerleuchteten Schaufenstern,Obst- und Gemüsestände mit
blagen, auf denen sich Kohlköpfe,Karotten, Blumenkohl und Maistürmten. Manche quollen über von
Lauch und Pilzen, Steckrüben undRosenkohl; auf anderen lagenSalatköpfe, grüne Bohnen undPastinaken. Manchmal fand er es
schön, vor den Ständen zu stehen unddie Augen zu schließen, dieunterschiedlichen Düfte einzuatmen
und zu spüren, wie ihm ganz
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schwindelig wurde von den vielensüßen und lebendigen Aromen. Rundum das neue Haus jedoch gab es kein
anderen Straßen, keineMenschenseele war unterwegs odereilte durch die Gegend, und Geschäfteoder Obst- und Gemüsestände gab esschon gar nicht. Wenn er die Augenschloss, fühlte sich alles um ihnherum leer und kalt an, als befände e
sich am einsamsten Ort der Welt.Mitten im Niemandsland.
In Berlin hatten Tische an denStraßen gestanden, und manchmal,
wenn er mit Karl, Daniel und Martinon der Schule nach Hause ging,
saßen dort Männer und Frauen, die
schäumende Getränke tranken und
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aut lachten; die Leute an den Tischenschienen immer gute Laune zu habendachte er oft, denn ganz gleich was
sie sagten, jemand lachte immer. Dasneue Haus dagegen hatte etwas ansich, das in Bruno den Verdachtschürte, dass dort nie jemand lachte,weil es dort nichts zu lachen gab undnichts, worüber man sich freuenkonnte.
»Ich glaube, das war eineschlechte Idee«, sagte Bruno ein paarStunden nach ihrer Ankunft, währendMaria oben seine Koffer auspackte.
Maria war nicht das einzigeDienstmädchen in dem neuen Haus:es gab noch drei andere, die ziemlich
dünn waren und sich immer nur im
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Flüsterton unterhielten. Dann war danoch ein alter Mann, der, so erklärteman ihm, jeden Tag das Gemüse
putzte und ihnen das Essen servierte;er sah sehr unglücklich aus, aber auchein bisschen verärgert.)
»Es ist nicht unsere Aufgabe, dieszu beurteilen«, sagte Mutter undöffnete einen Karton, der einen Satz
on vierundsechzig Gläsern enthielt,
den Großvater und Großmutter ihrgeschenkt hatten, als sie Vaterheiratete. »Ein gewisser Jemand trifftalle Entscheidungen für uns.«
Bruno wusste nicht, was sie damimeinte, und ignorierte deshalb ihreBemerkung. »Ich glaube, das war eine
schlechte Idee«, wiederholte er. »Ich
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glaube, wir sollten das Ganze hierergessen und gleich wieder nach
Hause fahren. Wir können es als
Erfahrung verbuchen«, setzte erhinzu, eine Wendung, die er vorkurzem gelernt hatte und so oft wiemöglich verwenden wollte.
Mutter lächelte und stellteorsichtig die Gläser auf den Tisch.
»Ich habe noch eine Wendung für
dich«, sagte sie. »Sie lautet: Aus einerschlimmen Situation muss manmmer das Beste machen.«
»Also, ich bin mir nicht sicher, ob
wir das tun sollten«, sagte Bruno. »Ichfinde, du solltest Vater einfach sagen,dass du es dir anders überlegt hast,
und na ja, wenn wir für den Rest des
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Tages hierbleiben und zu Abendessen und noch übernachten müssen,weil wir alle zu müde sind, dann geht
das in Ordnung, aber morgen solltenwir früh aufstehen, damit wir bis zumNachmittagskaffee wieder in Berlinsind.«
Mutter seufzte. »Bruno, wiesogehst du nicht einfach nach oben undhilfst Maria beim Auspacken?«, fragte
sie.»Aber wozu auspacken, wenn wir
doch nur ...«»Bruno, tu es einfach, bitte!«,
sagte sie wütend, denn sie durfte ihmanscheinend ins Wort fallen, nurumgekehrt funktionierte es nicht.
»Wir sind hier. Wir sind
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angekommen. Für die absehbareZukunft ist das unser Zuhause, undwir müssen das Beste daraus machen.
Hast du mich verstanden?«Er wusste nicht, was absehbare
Zukunft bedeutete und fragte sie.
»Das heißt, dass wir jetzt hierwohnen, Bruno«, sagte Mutter. »Unddamit Schluss.«
Bruno spürte einen Schmerz imBauch und merkte, wie etwas in ihmwuchs, das ihn, wenn es aus seinemtiefsten Inneren nach oben in die
ußenwelt drang, entweder inTränen ausbrechen oder schreien undbrüllen lassen würde, wie falsch undungerecht die ganze Sache war, ein
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großer Fehler, den schon bald jemandwürde bezahlen müssen. Er konntenicht begreifen, wie es zu alldem
gekommen war. An einem Tag war eröllig zufrieden, spielte zu Hause,
hatte drei gute Freunde, rutschteTreppengeländer hinunter und stelltesich auf die Zehenspitzen, um ganzBerlin zu überblicken, und jetzt saß ehier in diesem kalten, häss-lichen
Haus fest, mit drei flüsterndenDienstmädchen und einem Kellner,der unglücklich und wütend war,einem Haus, in dem alle den Eindruck
machten, dass sie nie wieder fröhlichsein konnten.
»Bruno, ich möchte, dass du nach
oben gehst und auspackst, und zwar
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sofort«, sagte Mutter ziemlichunfreundlich, und da er merkte, dasses ihr ernst war, drehte er sich um
und marschierte ohne ein weiteresWort davon. Er spürte, wie ihmTränen in die Augen stiegen, waredoch entschlossen, sie nicht zu
zeigen.Er ging nach oben und drehte
sich langsam einmal im Kreis herum,
n der Hoffnung, er könnte einekleine Tür finden oder ein Käm-merchen, wo er irgendwann einbisschen forschen könnte, doch da
war nichts. Auf seinem Stockwerk gabes nur vier Türen, zwei auf jeder Seitedie einander gegenüberlagen. Eine
Tür führte in sein Zimmer, eine Tür in
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Gretels, eine in das seiner Eltern, undeine ins Bad.
»Das ist kein Zuhause und wird
es nie sein«, flüsterte er vor sich hin,als er durch die Tür in sein Zimmertrat, wo seine Sachen auf dem Bett
erstreut lagen und die Schachtelnmit den Spielsachen und Büchernnoch gar nicht ausgepackt waren. Eswar unübersehbar, dass Maria die
falschen Schwerpunkte setzte.»Mutter schickt mich, um dir zu
helfen«, sagte er ruhig. Maria nickteund wies auf eine große Tasche, die
seine gesamte Unterwäsche undSocken enthielt.
»Du könntest die Sachen
sortieren und in die hen, dass er sehr
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blondes Haar hatte, fast schon einunnatürlicher Gelbton. Er trug eineSchachtel in den Händen und ging
zur Treppe, blieb aber einenugenblick stehen, als er sah, dass
Bruno ihn beobachtete. Er musterteden Jungen von oben bis unten, alshätte er noch nie ein Kind gesehenund wäre nicht ganz sicher, was ermit einem anfangen sollte: es fressen,
übersehen oder die Treppehinunterwerfen. Stattdessen nickte erBruno nur kurz zu und setzte dannseinen Weg fort.
»Wer war das?«, fragte Bruno.Der junge Mann hatte so ernst undgeschäftig gewirkt, dass Bruno davon
ausging, er müsse ungemein wichtig
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sein.»Vermutlich einer von den
Soldaten deines Vaters«, sagte Maria,
die sich ganz gerade hingestellt hatteals der junge Mann erschien, und ihreHände wie zum Gebet vor sich hielt.hr Blick war starr auf den Boden
gerichtet und nicht auf sein Gesicht,als befürchtete sie, in Stein
erwandelt zu werden, wenn sie ihn
direkt ansah; sie wurde erst wiederocker, als er weg war. »Wir werden
sie noch rechtzeitig kennenlernen.«»Ich glaube, ich mag ihn nicht«,
sagte Bruno. »Er war mir zu ernst.«»Dein Vater ist auch sehr ernst«,
sagte Maria.
»Ja, aber er ist Vater«, erklärte
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Bruno. »Väter müssen ernst sein. Esspielt keine Rolle, ob sieGemüsehändler, Lehrer, Köche oder
Kommandanten sind«, sagte er. Eswaren alles Berufe, die ihm bekannteanständige und ehrbare Väterausübten, über deren Tätigkeiten erschon tausendmal nachgedacht hatte»Aber der Mann sah nicht aus wie einVater. Obwohl er sehr ernst war, das
schon.«»Na ja, sie haben sehr ernste
ufgaben«, sagte Maria seufzend.»Jedenfalls denken sie das. Trotzdem
würde ich mich an deiner Stelle vonden Soldaten fernhalten.«
»Aber was soll ich denn sonst
hier tun«, sagte Bruno traurig. »Ich
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glaube sogar, außer Gretel gibt es hiekeinen, mit dem ich spielen könnte,und das soll Spaß machen? Sie ist ein
hoffnungsloser Fall.«Fast kamen ihm wieder die
Tränen, aber er unterdrückte sie,denn vor Maria wollte er nicht wieein Baby dastehen. Er sah sich imZimmer um, ohne den Blick ganz vomBoden zu heben, und versuchte
festzustellen, ob er etwasnteressantes finden könnte. Nichts.
Zumindest fiel ihm nichts auf. Dochdann weckte etwas seine
ufmerksamkeit. In der Eckegegenüber der Tür war ein Fenster inder Decke, das bis herunter in die
Wand reichte, fast so wie das kleine
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Fenster im oberen Stockwerk inBerlin, nur nicht so hoch. Brunobetrachtete es und dachte, dass er
ielleicht sogar hinaussehen konnte,ohne sich auf die Zehenspitzenstellen zu müssen.
Langsam ging er zu dem Fensterund hoffte, dass er von dort vielleichtbis nach Berlin sehen konnte, bis zuseinem Haus und den Straßen in der
Umgebung, zu den Tischen, an denendie Leute saßen und ihre schaumigenGetränke tranken und einanderustige Geschichten erzählten. Er ging
angsam, weil er nicht enttäuschtwerden wollte. Doch es war nur einkleines Zimmer und der Weg zum
Fenster nicht weit. Er presste das
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Gesicht an die Scheibe und sah, wasdraußen war, und als er diesmalgroße Augen machte und sein Mund
ein erstauntes O formte, blieben seinHände unten, denn bei dem Anblickwurde ihm ganz kalt und ängstlichzumute.
Kapitel drei DER HOFFNUNGSLOSEF ALL
Bruno war überzeugt, dass es
weitaus sinnvoller gewesen wäre,wenn sie Gretel in Berlinzurückgelassen hätten, um das Haus
zu hüten, weil sie eigentlich immernur Ärger brachte. Tatsächlich war sischon oft als Mädchen beschriebenworden, das von vornherein nur
rger gemacht hatte.
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Gretel war drei Jahre älter alsBruno und hatte ihm, seit erzurückdenken konnte, klargemacht,
dass sie bestimmte, wie alles zu laufenhatte, besonders wenn es um Dingeging, die sie beide betrafen. Bruno gabnicht gern zu, dass er sich einbisschen vor ihr fürchtete, aber wenner ehrlich zu sich war - und das
ersuchte er immer zu sein -, musste
er das zugeben.Gretel pflegte ein paar üble
Gewohnheiten, wie es bei Schwesternnicht anders zu erwarten war.
Morgens blieb sie beispielsweise vielzu lange im Bad, und es störte sie
nicht weiter, wenn Bruno draußen
stand und von einem Fuß auf den
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anderen hüpfte, weil er unbedingtmal musste.
Auf den Regalen in ihrem
Zimmer saßen jede Menge Puppen,die Bruno anstarrten, wenn erhereinkam, und ihm mit ihrenBlicken überallhin folgten und jedenseiner Schritte beobachteten. Er warsicher, wenn Gretel nicht im Hauswar und er ihr Zimmer erforschte,
erzählten sie ihr hinterher jedeKleinigkeit von ihm. Sie hatte auchein paar sehr unangenehmeFreundinnen, die sich offenbar klug
orkamen, wenn sie sich über ihnustig machten, eine Sache, die er nie
getan hätte, wenn er drei Jahre älter
gewesen wäre als sie. Allem Anschein
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nach gab es nichts, was Gretelsunangenehmen Freundinnen mehrSpaß machte, als ihn zu quälen und
gemeine Dinge zu ihm zu sagen,sobald Mutter oder Maria nicht in derNähe waren.
»Bruno ist nicht neun, er ist erstsechs«, sagte eine besonders gemeineZiege immer in einem singendenTonfall, tanzte dabei um ihn herum
und stieß ihn in die Rippen.»Ich bin nicht sechs, ich bin
neun«, protestierte er dann undersuchte, ihr zu entkommen.
»Und warum bist du so klein?«,fragte die gemeine Ziege. »AlleNeunjährigen sind größer als du.«
Das stimmte und war ein
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besonders wunder Punkt bei Bruno.Es war eine Quelle ständigerEnttäuschung für ihn, dass er nicht so
groß war wie die anderen Jungen inseiner Klasse. Im Gegenteil, er reichtehnen sogar nur bis zu den Schultern.
Wenn er mit Karl, Daniel und Martinauf der Straße ging, hielten ihn dieLeute manchmal für den jüngerenBruder von einem der drei, dabei war
er eigentlich der Zweitälteste.»Du kannst nicht älter sein als
sechs«, beharrte die gemeine Ziege,und dann rannte Bruno meistens weg
und machte seine Streckübungen, inder Hoffnung, dass er eines Morgensaufwachen würde und ein ganzes
Stück größer wäre.
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Es hatte also wenigstens einenVorteil, nicht mehr in Berlin zu sein:Sie konnten ihn jetzt nicht mehr
schikanieren. Wenn er eine Weile indem neuen Haus bleiben musste, undsei es einen ganzen Monat, war er behrer Rückkehr bestimmt ein Stück
gewachsen, und dann konnten sienicht mehr gemein zu ihm sein. Dasdurfte er keinesfalls vergessen, wenn
er dem Vorschlag seiner Mutter folgen
und das Beste aus einer schlimmenSituation machen wollte.
Ohne anzuklopfen rannte er inGretels Zimmer und erwischte siedabei, wie sie ihr Puppenvolk auf
erschiedene Regale im Zimmer
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erteilte.»Was willst du hier?«, brüllte sie
und wirbelte herum. »Weißt du nicht
dass man das Zimmer einer Damenicht betritt, ohne anzuklopfen?«
»Du hast doch wohl nicht deineganzen Puppen mitgebracht?«, fragteBruno, der sich angewöhnt hatte, diemeisten Fragen seiner Schwester zugnorieren und lieber selbst welche zu
stellen.»Natürlich«, erwiderte sie. »Hast
du etwa gedacht, ich würde siezurücklassen? Schließlich kann es
Wochen dauern, bis wir wieder zuHause sind.«
»Wochen?«, sagte Bruno und
klang enttäuscht, freute sich aber
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nsgeheim, weil er sich schon mit derVorstellung abgefunden hatte, einenMonat hier zu verbringen. »Meinst du
wirklich?«»Na ja, ich habe Vater gefragt,
und er meint, wir würden für dieabsehbare Zukunft hier sein.«
»Was genau heißt absehbareZukunft?«, fragte Bruno und setztesich auf ihre Bettkante.
»Das heißt, von jetzt an ein paarWochen lang«, erklärte Gretel undnickte dabei intelligent. »Vielleicht
drei.«»Dann ist es gut«, sagte Bruno.»Solange es nur für die absehbareZukunft ist und keinen ganzen
Monat. Ich finde es grässlich hier.«
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Gretel musterte ihren kleinenBruder und musste ihmausnahmsweise recht geben. »Ich
weiß, was du meinst«, sagte sie. »Hierst es nicht sehr schön, wie?«
»Es ist schrecklich«, sagte Bruno.»Ja, stimmt«, pflichtete Gretel
bei. »Im Moment ist es nochschrecklich. Aber wenn das Haus einbisschen herausgeputzt ist, sieht es
ielleicht nicht mehr so schlimm aus.Vater hat gesagt, die Leute, die voruns hier in Aus-Wisch gewohnthaben, hätten ihre Arbeit schnell
erloren und keine Zeit mehr gehabtdas Haus für uns herzurichten.«
»Aus-Wisch?«, fragte Bruno.
»Was ist ein Aus-Wisch?«
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»Es heißt nicht ein Aus-Wisch,Bruno«, sagte Gretel seufzend. »Nur
us-Wisch.«»Na gut, aber was ist Aus-
Wisch?«, wiederholte er. »Wasauswischen?«
»Das ist der Name des Hauses«,erklärte Gretel. »Aus-Wisch.«Bruno dachte darüber nach. Er
hatte kein Schild mit einem Namen
außen gesehen, und auch an derHaustür hatte nichts gestanden. IhrHaus in Berlin hatte überhaupt
keinen Namen, es hieß nur Nummerier.»Und was bedeutet das?«, fragte
er ungehalten. »Was auswischen?«
»Na, die Leute, die vorher hier
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gelebt haben, nehme ich an«, sagteGretel. »Vermutlich hängt es damitzusammen, dass sie keine gute Arbeit
geleistet haben und jemand meinte,weg mit ihnen, holen wir einen Mannher, der es richtig macht.«
»Du meinst Vater.«»Natürlich«, erwiderte Gretel, die
mmer von Vater redete, als könnte enichts falsch machen und als würde e
nie wütend werden und käme immern ihr Zimmer, um ihr vor dem
Einschlafen einen Gutenachtkuss zugeben. Natürlich gab er auch Bruno
einen Gutenachtkuss, und wennBruno wirklich gerecht und nicht nurtraurig über den Umzug gewesen
wäre, hätte er das zugegeben.
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»Wir sind also hier in Aus-Wischweil jemand reinen Tisch mit denLeuten vor uns machen wollte?«
»Genau, Bruno«, sagte Gretel.»Und jetzt stell von meinerTagesdecke auf. Du zerknitterst sie.«
Bruno sprang vom Bett undandete mit einem dumpfen Schlag
auf dem Teppich. Das Geräusch gefielhm gar nicht. Es klang so hohl, und
er nahm sich auf der Stelle vor, indiesem Haus nicht allzu oftherumzuhüpfen, weil ihnen sonstwomöglich das Dach um die Ohren
flog.»Mir gefällt es hier nicht«, sagte
er ungefähr zum hundertsten Mal.
»Das ist mir schon klar«,
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erwiderte Gretel. »Aber wir könnennichts daran ändern, oder?«
»Ich vermisse Karl, Daniel und
Martin«, sagte Bruno.»Und ich vermisse Hilda, Isobel
und Louise«, sagte Gretel, und Brunoüberlegte, wer von den drei Mädchendie gemeine Ziege war.
»Ich finde, die anderen Kindersehen überhaupt nicht freundlich
aus«, sagte Bruno, worauf Gretelunverzüglich aufhörte, eine ihrerschrecklicheren Puppen auf ein Regalzu pflanzen, sich umdrehte und ihn
anstarrte.»Was hast du eben gesagt?«,
fragte sie.
»Ich sagte, die anderen Kinder
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sehen überhaupt nicht freundlichaus«, wiederholte er.
»Die anderen Kinder?«, sagte
Gretel verwirrt. »Welche anderenKinder? Ich habe niemandengesehen.«
Bruno sah sich um. Es gab zwarein Fenster, doch Gretels Zimmer lagauf der anderen Flurseite, gegenüber
on seinem, und blickte deshalb in
eine völlig andere Richtung. Erschlenderte lässig zum Fenster undgab sich möglichst geheimnisvoll.Dabei steckte er die Hände in die
Taschen seiner kurzen Hose und pfiffein ihm bekanntes Lied, ohne seineSchwester eines Blickes zu würdigen.
»Bruno?«, fragte Gretel. »Was
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machst du da? Bist du verrücktgeworden?«
Pfeifend schlenderte er weiter
und schaute sie auch weiterhin nichtan, bis er das Fenster erreichte, daszum Glück niedrig genug für ihn war,um hinauszusehen. Er warf einenBlick nach draußen und sah das Auton dem sie gekommen waren, dazu
noch drei oder vier andere Fahrzeuge
on Soldaten, die für seinen Vaterarbeiteten; ein paar von ihnenstanden rauchend herum und lachtenüber etwas, während sie nervös zum
Haus blickten. Dahinter war dieuffahrt und dann kam ein Wald, der
nur darauf wartete, erforscht zu
werden.
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»Bruno, würdest du mir bitteerklären, was du mir der letztenBemerkung gemeint hast?«, fragte
Gretel.»Da drüben ist ein Wald«,
erwiderte Bruno, ohne auf sieeinzugehen.
»Bruno!«, schnauzte Gretel ihnan und kam so schnell auf ihn zu, daser vom Fenster zurückschreckte und
sich an die Wand drückte.»Was?«, fragte er und tat, als
wüsste er nicht, wovon sie redete.»Die anderen Kinder«, sagte
Gretel. »Du hast gesagt, sie sehenüberhaupt nicht freundlich aus.«
»Tun sie auch nicht«, sagte
Bruno. Er wollte nicht nach dem
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ußeren gehen und anderebeurteilen, ohne sie zu kennen, eineSache, die Mutter ihm immer
auszureden versuchte.»Aber welche anderen Kinder
denn?«, fragte Gretel. »Wo sind sie?«Bruno lächelte, marschierte zur
Tür und gab Gretel zu verstehen, ihmzu folgen. Sie stieß einen tiefenSeufzer aus und legte die Puppe aufs
Bett, überlegte es sich dann wiederanders und hob sie auf, drückte sie andie Brust und folgte ihrem Bruder insein Zimmer, wo sie beinahe von
Maria umgerannt wurde, dieherausgestürmt kam und etwas in derHand hielt, das einer toten Maus
ähnelte.
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»Sie sind dort draußen«, sagteBruno, der jetzt an seinem Fensterstand und hinausschaute. Er drehte
sich nicht um, oh Gretel in seinemZimmer war, denn er beobachtetegebannt die Kinder. Er vergaß sogarkurz, dass sie überhaupt da war.
Gretel stand ein paar Schrittehinter ihm und wollte selbstunbedingt hinaussehen, aber etwas
an der Art, wie Bruno es gesagt hatteund an der Art, wie er hinaussah, ließsie plötzlich nervös werden. Brunohatte sie noch nie hereinlegen
können, und sie war ziemlich sicher,dass er sie auch jetzt nichthereinlegte, aber seine Haltung ließ
sie irgendwie zweifeln, ob sie die
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Kinder wirklich sehen wollte. Sieschluckte nervös und betetensgeheim, dass sie in absehbarer
Zukunft wieder nach Berlinzurückkehren würden und nicht erstn einem Monat, wie Bruno gesagt
hatte.»Was ist?«, sagte er, drehte sich
um und sah seine Schwester in derTür stehen, die Puppe an sich
gedrückt, ihre goldgelben Zöpfe lagengleichmäßig auf jeder Schulter, alswarteten sie, dass jemand daran zog.»Willst du sie nicht sehen?«
»Doch natürlich«, erwiderte sieund ging zögernd zu ihm. »Mach malPlatz«, sagte sie und stieß ihn
beiseite.
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Es war schön und sonnig anenem ersten Nachmittag in Aus-
Wisch, und gerade als Gretel aus dem
Fenster blickte, tauchte die Sonnewieder hinter einer Wolke hervor,aber ihre Augen gewöhnten sichschnell an die Helligkeit, und dann
erschwand die Sonne wieder und siesah genau, wovon Bruno geredethatte.
Kapitel vier W AS SIE DURCH DAS FENSTER SAHENGenau genommen waren es gar
keine Kinder. Zumindest nicht alle. E
waren kleine Jungen und großeungen, Väter und Großväter.
Vielleicht auch ein paar Onkel. Undein paar von den Leuten, wie es sie
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überall gibt und die allein wohnen,weil sie keine Verwandten haben. Siewaren jedermann.
»Wer sind die Leute?«, fragteGretel, und ihr stand vor Staunen derMund offen, genau wie es bei Brunon letzter Zeit oft der Fall war. »Wasst das für ein Ort?«
»Ich bin mir nicht sicher«, sagteBruno, und damit hielt er sich nah an
der Wahrheit. »Aber er ist nicht sehrschön, so viel steht fest.«
»Und wo sind die Mädchen?«,fragte Gretel. »Und die Mütter? Und
die Großmütter?«»Vielleicht leben sie in einem
anderen Teil«, meinte Bruno.
Gretel stimmte zu. Eigentlich
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wollte sie nicht mehr auf dieMenschen starren, aber es fiel ihrsehr schwer, den Blick abzuwenden.
Bisher hatte sie nur den Wald vorhrem Fenster gesehen, der ein
bisschen dunkel wirkte, sich sonstaber gut für Picknicks eignete, sofernes irgendwo eine Lichtung gab. Vondieser Hausseite jedoch bot sich ein
öllig anderer Ausblick.
Dabei fing es zunächst gar nichtübel an. Direkt unter Brunos Fensterag ein Garten. Ein ziemlich großer
sogar und voller Blumen in hübschen
ordentlichen Beeten, offenbar sehrsorgsam von jemandem gepflegt, demdie Bedeutung von Blumen an einem
solchen Ort bewusst war - als würde
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man in einem riesigen Schloss, das ineinem nebeligen Moor steht, in einerdunklen Winternacht eine kleine
brennende Kerze in die Ecke stellen.Hinter den Blumen war ein sehr
hübscher Gehweg mit einerHolzbank, und Gretel konnte sich gut
orstellen, dort in der Sonne zu sitzenund ein Buch zu lesen. Am oberenEnde der Bank war ein Schild
angebracht, doch aus dieserEntfernung konnte sie die Aufschriftnicht lesen. Die Sitzfläche blickte aufdas Haus - was unter normalen
Umständen ziemlich ungewöhnlichgewesen wäre, aber in diesem Fallkonnte sie den Grund verstehen.
Ungefähr sechs Meter hinter dem
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Garten und den Blumen und der Bankmit dem Schild veränderte sich alles.Ein riesiger Drahtzaun, am oberen
Ende nach innen gebogen, erstrecktesich über die ganze Länge des Hausesund verlief dann in beidenRichtungen weiter, als sie sehenkonnte. Der Zaun war sehr hoch,höher noch als das Haus, in dem siestanden, und er wurde von großen
aufgereihten Holzpfosten gestützt,die aussahen wie TelegraphenmastenOben auf dem Zaun befanden sichgewaltige, in Spiralen aufgerollte
Stacheldrahtballen, und Gretelersetzte es unwillkürlich einen Stich
als sie die vielen scharfen Spitzen sah
die rundherum vorragten.
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Hinter dem Zaun wuchs keinGras mehr, auch in der Ferne warnirgends Grün zu sehen. Vielmehr
bestand der Boden aus einersandähnlichen Substanz, und so weitsie sah, waren da nur niedrigeBaracken, um die herum ein paarquadratische Gebäude standen undein oder zwei Schornsteine in derFerne. Sie öffnete den Mund und
wollte etwas sagen, merkte jedoch imselben Moment, dass ihr die Wortefehlten, um ihre Verwunderungauszudrücken, und deshalb machte
sie das einzig denkbar Vernünftigeund schloss ihn wieder.
»Siehst du?«, sagte Bruno aus der
Zimmerecke und war insgeheim sehr
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zufrieden mit sich, denn was immerdort draußen sein mochte - und wermmer die Menschen waren -, er
hatte es zuerst entdeckt und konntees jederzeit sehen, weil es sich vorseinem Zimmerfenster und nicht vorhrem befand, und deshalb gehörte
alles ihm; er war der König all dessenwas sie betrachteten, und Gretel warnur seine niedrige Untertanin.
»Das verstehe ich nicht«, sagtesie. »Wie kann man nur so einenhässlichen Ort bauen?«
»Es ist wirklich ziemlich hässlich
nicht?«, stimmte Bruno zu.»Vermutlich haben die Baracken auchnur ein Geschoss. Sieh nur, wie
niedrig sie sind.«
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»Wahrscheinlich sind esmoderne Häuser«, sagte Gretel.»Vater hasst moderne Sachen.«
»Dann werden sie ihm nichtbesonders gefallen«, sagte Bruno.
»Nein«, erwiderte Gretel. Siestand eine ganze Weile reglos da undstarrte hinaus. Sie war zwölf und galtals eines der klügsten Mädchen inhrer Klasse, deshalb biss sie sich auf
die Lippe, kniff die Augen zusammenund zwang ihren Verstand zubegreifen, was sie vor sich sah.Schließlich fiel ihr nur eine mögliche
Erklärung ein.»Wir müssen irgendwo auf dem
Land sein«, sagte Gretel, drehte sich
um und sah ihren Bruder
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triumphierend an.»Auf dem Land?«»Ja, verstehst du, das ist die
einzige Erklärung. Wenn wir zuHause sind, in Berlin, sind wir in derStadt. Deswegen gibt es dort so vieleLeute und so viele Häuser, und dieSchulen sind voll, und amSamstagnachmittag kommt man nichdurch das Stadtzentrum, ohne von
Pontius zu Pilatus geschubst zuwerden.«
»Ja ...«, sagte Bruno nickend undbemühte sich, ihr zu folgen.
»Im Erdkundeunterricht habenwir gelernt, dass es auf dem Land, wodie Bauern mit ihren Tieren leben
und der Boden bestellt wird, riesige
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Gebiete gibt wie dort draußen, auf denen Menschen wohnen undarbeiten und sämtliche Lebensmittel
iefern, die uns ernähren.« Sie blicktewieder aus dem Fenster auf das weite
or ihr ausgebreitete Gelände und diegroßen Entfernungen zwischen deneinzelnen Baracken. »So muss es seinWir sind auf dem Land. Vielleicht istdas unser Ferienhaus«, fügte sie volle
Hoffnung hinzu.Bruno überlegte und schüttelte
den Kopf. "Glaube ich nicht«, sagte ersehr bestimmt.
»Du bist neun«, konterte Gretel.»Woher willst du das wissen? Wenndu erst mal so alt bist wie ich,
erstehst du solche Sachen viel
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besser.«»Kann schon sein«, sagte Bruno,
der wusste, dass er jünger war, aber
nicht fand, dass er deswegen nichtgenauso gut recht haben konnte.»Wenn wir hier, wie du behauptest,auf dem Land sind, wo sind dann die
ielen Tiere, von denen du sprichst?«Gretel öffnete den Mund, um ihm
zu widersprechen, aber da ihr keine
passende Antwort einfiel, sah siestattdessen wieder aus dem Fensterund hielt Ausschau nach ihnen, dochsie waren nirgends zu sehen.
»Da müssten Kühe, Schweine,Schafe und Pferde sein«, sagte Bruno.»Wenn es ein Bauernhof wäre, meine
ch. Ganz zu schweigen von Hühnern
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und Enten.«»Aber da sind keine«, gab Gretel
eise zu.
»Und wenn sie das Landbestellen würden, wie du glaubst«,fuhr Bruno fort, dem dieUnterhaltung enorm gefiel, »dannmüsste der Boden viel besseraussehen, findest du nicht? Ich glaubenicht, dass in dem ganzen Dreck
etwas wachsen könnte.«Gretel betrachtete alles noch
einmal und nickte, denn sie war klugund pochte nicht darauf, recht zu
haben, wenn die Sachlage deutlichgegen sie sprach.
»Dann ist es vielleicht doch kein
Bauernhof«, sagte sie.
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»Nein«, pflichtete Bruno bei.»Das heißt, wir sind vielleicht
doch nicht auf dem Land«, fuhr sie
fort.»Nein, wahrscheinlich nicht«,
entgegnete Bruno.»Dann heißt das auch, dass dies
nicht unser Ferienhaus ist«,schlussfolgerte sie.
»Stimmt«, erwiderte Bruno.
Er setzte sich aufs Bett undwünschte sich kurz, Gretel würde sichzu ihm setzen, den Arm um ihn legenund ihm versichern, dass alles gut
würde und es ihnen hier früher oderspäter gut gefallen würde und sie garnicht mehr nach Berlin zurückkehren
wollten. Doch sie sah immer noch au
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dem Fenster, und jetzt betrachtete sienicht die Blumen, den Gehweg oderdie Bank mit dem Schild, auch nicht
den hohen Zaun, die hölzernenTelegraphenmasten oder dieStacheldrahtrollen, den harten Bodendahinter, die Baracken, die kleinenGebäude oder die Schornsteine; siebetrachtete die Menschen.
»Wer sind nur die vielen Leute?«
fragte sie leise, als meinte sie garnicht Bruno, sondern erwartete vonemand anderem eine Antwort. »Und
was machen sie alle dort?«
Bruno stand auf, und zum erstenMal standen sie zusammen da,Schulter an Schulter, und starrten auf
die Szene, die sich ihnen keine
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fünfzehn Meter von ihrem neuenHaus entfernt bot.
Wohin sie auch blickten,
entdeckten sie Menschen - große,kleine, alte, junge, und alle liefenumher. Einige standen in Gruppen dahre Arme hingen herab, und sie
bemühten sich, den Kopf gerade zuhalten, während ein Soldat vor ihnenentlangmarschierte und den Mund
aufriss und schloss, als würde er sieanbrüllen. Andere bildeten eine ArtSträflingskolonne und schobenSchubkarren von einer Seite des
Lagers zur anderen; sie tauchten voneinem nicht sichtbaren Ort auf undbugsierten ihre Schubkarren ein
Stück weiter hinter eine Baracke, wo
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sie wieder verschwanden. Einigestanden in kleinen stummen Gruppenbei den Baracken und starrten auf den
Boden, als handle es sich um einSpiel, bei dem sie nicht entdecktwerden wollten. Manche gingen anKrücken, und viele hatten einenVerband um den Kopf. Wieder anderetrugen
Spaten und wurden von Soldaten
zu einer Stelle geführt, wo man sienicht mehr sehen konnte.
Bruno und Gretel sahenberhunderte Menschen, doch da
standen so viele Baracken, und dasLager erstreckte sich noch viel weiterals ihr Blick reichte, dass vermutlich
noch Tausende dort draußen waren.
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»Und alle leben so nah bei uns«,sagte Gretel stirnrunzelnd. »In Berlinstanden nur sechs Häuser an unserer
schönen ruhigen Straße. Und hiersind es so viele. Warum nimmt Vatereine Arbeit an so einem hässlichenOrt an und mit so vielen Nachbarn?Das ergibt keinen Sinn.«
»Sieh mal, da drüben«, sagteBruno, und Gretel folgte der
Richtung, in die sein Finger zeigte.Sie sah, wie eine dichtzusammengedrängte Gruppe vonKindern in einiger Entfernung aus
einer Baracke trat und von mehrerenSoldaten angebrüllt wurde. Je lautersie angebrüllt wurden, umso dichter
drängten sie sich aneinander, aber
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dann stürmte ein Soldat auf sie zu,und sie trennten sich und tatenoffenbar das, was er die ganze Zeit
on ihnen gewollt hatte, nämlich sichn einer Reihe aufstellen. Kaum
standen sie da, fingen die Soldaten zuachen an und klatschten ihnen
Beifall.»Vermutlich üben sie irgendwas«
überlegte (iretel laut und ignorierte
die Tatsache, dass einige der Kinderoffenbar weinten, darunter aucheinige der älteren, die so groß warenwie sie.
»Ich hatte dir gesagt, hier sindKinder«, sagte Bruno.
»Aber nicht die Art von Kindern,
mit denen ich spielen möchte«, sagte
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Gretel entschieden. »Sie sehenschmutzig aus. Hilda, Isobel undLouise baden jeden Morgen, genau
wie ich. Diese Kinder sehen aus, alshätten sie in ihrem Leben noch keinBadezimmer gesehen.«
»Dort drüben sieht es wirklichsehr dreckig aus«, sagte Bruno.»Vielleicht gibt es ja keineBadezimmer?«
»Sei nicht dumm«, sagte Gretel,obwohl ihr wiederholt gesagt wordenwar, dass sie ihren Bruder nichtdumm nennen sollte. »Was sind das
für Leute, die kein Bad haben!«»Weiß ich nicht«, sagte Bruno.
»Leute, bei denen es kein heißes
Wasser gibt?«
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Gretel sah noch eine Weile ausdem Fenster, dann drehte sie sichschaudernd ab. »Ich gehe wieder in
mein Zimmer und stelle meinePuppen auf«, sagte sie. »Von dort istdie Aussicht bedeutend schöner.«
Mit dieser Bemerkung entferntesie sich über den Flur in ihr Zimmerund schloss die Tür hinter sich, aberhre Puppen stellte sie nicht sofort
auf. Vielmehr setzte sie sich aufs Bettund dachte über viele Dinge nach.
Ein letzter Gedanke schoss ihremBruder durch den Kopf, als er die
ielen Menschen beobachtete, die inder Ferne ihrer Arbeit nachgingen,und zwar, dass alle - die kleinen
ungen, die großen Jungen, die Väter,
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die Großväter, die Onkel und dieLeute, die es überall gab und dieallein wohnten, weil sie keine
Verwandten hatten - sie alle trugendie gleiche Kleidung: einen graugestreiften Pyjama und auf dem Kopf eine grau gestreifte Kappe.
»Komisch«, murmelte Bruno undwandte sich dann ab.
Kapitel fünf
ZUTRITT JEDERZEITUND AUSNAHMSLOS VERBOTENEs gab nur eine Möglichkeit,
Bruno musste mit Vater reden.
Vater hatte am Morgen nicht mithnen zusammen Berlin verlassen. Er
war schon ein paar Tage vorherabgereist, am Abend des Tages, als
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Bruno nach Hause gekommen warund Maria seine Sachen durchwühlthatte, auch die ganz hinten
ersteckten, die nur ihm gehörtenund keinen etwas angingen. An denfolgenden Tagen hatten Mutter,Gretel, Maria, Koch, Lars und Brunoalles in Kartons gepackt und in einengroßen Lastwagen verladen, der sie inhr neues Heim in Aus-Wisch bringen
sollte. An jenem letzten Morgen, als das
Haus leer aussah und gar nicht mehrwie ihr richtiges Zuhause, packten sie
die allerletzten Sachen in Koffer, unddann hielt vor der Tür einDienstwagen mit rotschwarzen
Flaggen und holte sie ab.
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Mutter, Maria und Brunoerließen als Letzte das Haus, und
Bruno war überzeugt, dass Mutter das
Dienstmädchen, das immer nochdastand, nicht wahrnahm. Dennwährend alle einen letzten Blick inden leeren Flur warfen, in dem dieFamilie so glückliche Zeiten
erbracht hatte, auf die Stelle, wo imDezember immer der
Weihnachtsbaum stand, die Stelle, won den Wintermonaten die nassen
Schirme in einem Ständer abgestelltwurden, und die Stelle, wo Bruno
beim Hereinkommen seineschmutzigen Schuhe ausziehen solltees aber nie tat - während alldem
schüttelte Mutter den Kopf und sagte
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etwas sehr Merkwürdiges.»Wir hätten den Furor nie zum
Essen kommen lassen sollen«, sagte
sie. »Und alles nur, weil ein gewisseremand unbedingt vorankommen
will.«Kaum hatte sie das gesagt, drehte
sie sich um, und Bruno entdeckteTränen in ihren Augen, als sie jedochMaria sah, die dastand und sie
beobachtete, fuhr sie erschrecktzusammen.
»Maria«, sagte sie verstört. »Ichdachte, du wärst schon im Auto.«
»Ich wollte gerade gehen,gnädige Frau«, sagte Maria.
»Ich hatte nicht vor ...«, setzte
Mutter an, schüttelte dann den Kopf
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und fing von vorne an. »Das solltenicht heißen ...«
»Ich wollte gerade gehen,
gnädige Frau«, wiederholte Maria, deoffenbar die Regel, Mutter nicht zuunterbrechen, unbekannt war.edenfalls huschte sie zur Tür hinaus
und rannte zum Auto.Mutter hatte die Stirn gerunzelt,
dann aber die Schultern gezuckt, als
wäre jetzt ohnehin alles nicht mehrso wichtig. »Dann wollen wir mal,Bruno«, sagte sie, nahm ihn an derHand und sperrte die Tür hinter
hnen zu. »Hoffen wir nur, dass wireines Tages wieder zurückkommen,wenn das alles vorbei ist.«
Der Dienstwagen mit den
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Flaggen vorne hatte sie zu einerBahnstation gebracht, an der einbreiter Bahnsteig zwei Gleise
oneinander trennte. Auf jeder Seitestand ein Zug und wartete auf Fahrgäste. Da auf der anderen Seitesehr viele Soldaten auf und ab gingenund die Gleise von einem langenHäuschen getrennt wurden, das demStellwerkswärter gehörte, konnte
Bruno die Massen von Menschen nurkurz sehen, bevor er mit seinerFamilie in einen sehr behaglichenZug stieg, in dem kaum jemand saß
und es jede Menge freie Plätze gabund frische Luft, wenn man dieFenster herunterzog. Wären die Züge
n verschiedene Richtungen gefahren
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hätte Bruno das Ganze verstanden,aber das war nicht der Fall: BeideZüge wiesen in Richtung Osten. Er
überlegte kurz, ob er über denBahnsteig rennen und die Leute auf die leeren Plätze in seinem Waggonaufmerksam machen sollte, aber erentschied sich dagegen, weil ihm einennere Stimme sagte, wenn es seine
Mutter nicht ärgern würde, dann
ganz bestimmt Gretel, und das wärenoch schlimmer.
Bruno hatte Vater seit dernkunft in ihrem neuen Haus in Aus-
Wisch nicht gesehen. Als vorhin dieTür knarrend geöffnet wurde, hatte egedacht, Vater sei vielleicht im
Schlafzimmer, aber dann war es nur
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der unfreundliche junge Soldatgewesen, der Bruno eiskalt angestarrthatte. Bisher hatte er weder Vaters
dröhnende Stimme irgendwo gehörtnoch das schwere Schlagen seinerStiefel unten auf den Dielenbrettern.
ber es gingen zweifellos Leute einund aus, und gerade als Brunoüberlegte, was am Sinnvollsten wäre,drang von unten ein schrecklicher
Krach herauf. Er trat auf den Flur undwarf einen Blick über das Geländer.
Vor der offenen Bürotür seinesVaters standen fünf Männer, die
achten und sich die Hand gaben.Vater stand in ihrer Mitte, er sah sehrschick aus in seiner frisch gebügelten
Uniform. Sein dichtes schwarzes Haa
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war eingecremt und gekämmt, und alBruno ihn von oben betrachtete,empfand er zugleich Angst und
Ehrfurcht vor ihm. Die anderenMänner gefielen ihm weniger. Siesahen auf jeden Fall nicht so gut auswie Vater. Auch waren ihreUniformen nicht so frisch gebügelt.Und ihre Stimmen waren nicht soaut, ihre Stiefel glänzten nicht so
sehr. Alle hielten ihre Mütze untermrm und schienen um Vatersufmerksamkeit zu buhlen. Bruno
konnte nur ein paar Gesprächsfetzen
erstehen.»... hat vom ersten Moment, seit
er hier war, nur Fehler gemacht. Am
Ende blieb dem Furor nichts anderes
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übrig, als ihn zu ...«, sagte einer.»... Disziplin!«, sagte ein anderer
»Und Effizienz. Seit Anfang
zweiundvierzig hat es uns anEffizienz gemangelt, und ohne sie ...«
»... kein Zweifel, die Zahlensprechen Bände. Kein Zweifel,Kommandant ...«, sagte der dritte.
»... wir sollten noch eine bauen«,sagte der Letzte. »Stellen Sie sich vor,
was wir dann leisten könnten ... alleindie Vorstellung!«
Vater hob eine Hand hoch, wasdie anderen Männer sofort
erstummen ließ. Er sah aus wie derDirigent eines kleinen Männerchors.
»Meine Herren«, sagte er, und
etzt konnte Bruno jedes Wort hören,
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denn es gab niemanden, der es bessererstand als Vater, sich in einem
Raum Gehör zu verschaffen. »Ich
danke Ihnen sehr für Ihre Vorschlägeund Ihre Hilfe. Aber Vergangenheitst Vergangenheit. Jetzt folgt ein
Neubeginn, und damit fangen wirmorgen an. Fürs Erste sollte ichmeiner Familie beim Eingewöhnenhelfen, sonst bekomme ich hier drin
genauso viel Ärger wie die Leute dortdraußen erwartet, verstehen Sie?«
Die Männer brachen in Gelächteaus und schüttelten Vater die Hand.
Bevor sie gingen, stellten sie sich ineiner Reihe auf wieSpielzeugsoldaten, dann schössen
hre Arme und ausgestreckten Hände
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genauso nach vorn, wie Vater esBruno beigebracht hatte, schnelltendann mit einer zackigen Bewegung
on der Brust nach oben in die Luft,und dabei riefen sie die beiden Wortedie Bruno immer sagen sollte, wennemand sie zu ihm sagte. Danach
zogen sie ab, und Vater ging wieder insein Büro, zu dem der Zutritt jederzeiund ausnahmslos verboten war.
Bruno stieg langsam die Treppehinunter und zögerte kurz vor derTür. Er war traurig, dass Vater in derZeit, seit er da war, noch nicht nach
oben gekommen war und ihn begrüßhatte, auch wenn man ihm ständigerklärte, dass Vater wirklich sehr
beschäftigt war und er nicht mit
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albernen Dingen - wie beispielsweisehn zu begrüßen - behelligt werden
durfte. Jetzt aber waren die Soldaten
weg, und für Bruno sprach nichtsdagegen, ihn zu besuchen.
In Berlin war Bruno nur ganzselten in Vaters Büro gewesen,meistens nur, wenn er etwasangestellt hatte und Vater ihm eineernste Standpauke halten wollte.
Trotzdem gehörte die Regel, die fürVaters Büro in Berlin galt, zu denwichtigsten, die Bruno jemals gelernthatte, und ihm war natürlich klar,
dass sie auch in Aus-Wisch galt. Dasie einander jedoch seit mehrerenTagen nicht gesehen hatten, nahm
hm sicher niemand übel, wenn er
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etzt zu ihm ging. Also klopfte er zaghaft an die Tür
Zweimal, ganz leise.
Vielleicht hörte Vater es nicht,ielleicht klopfte Bruno auch nichtaut genug, jedenfalls kam niemand
an die Tür, deshalb klopfte Brunoerneut, diesmal etwas lauter, worauf die dröhnende Stimme seines Vaterrief: »Herein!«
Bruno drückte die Türklinke, tratein und nahm seine gewohnte Poseein: Er machte große Augen, derMund formte ein staunendes O, und
er streckte die Arme aus. Der Rest desHauses war vielleicht ein bisschendunkel und düster und bot wenig
Möglichkeiten zum Forschen, aber
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dieser Raum war völlig anders.Zunächst einmal hatte er eine sehrhohe Decke und am Boden einen
Teppich, in dem Bruno zu versinkenmeinte. Die Wände waren kaumsichtbar, denn sie waren von dunklenMahagoniregalen gesäumt, in denenBücher standen, wie in der Bibliothekm Haus in Berlin. An der
gegenüberliegenden Wand blickten
riesige Erkerfenster auf einen Gartenund boten Platz für eine gemütlicheSitzbank, und in der Mitte von alldemsaß, hinter einem gewaltigen
Eichenschreibtisch, Brunos Vater.Beim Eintreten seines Sohnes sah er
on seinen Papieren auf und lächelte
hm zu.
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»Bruno«, sagte er und kam hinterdem Schreibtisch hervor, um demungen fest die Hand zu schütteln.
Vater gehörte für gewöhnlich nicht zuden Leuten, die andere umarmten, imGegensatz zu Mutter undGroßmutter, die großzügiger mitUmarmungen umgingen, als ihm liebwar, und sie auch noch mitsabbernden
Küssen ergänzten. »Mein Sohn«,fügte er gleich darauf hinzu.
»Hallo, Vater«, sagte Brunozaghaft, leicht eingeschüchtert von
dem prachtvollen Raum.»Bruno, in ein paar Minuten
wollte ich zu dir hochkommen, das is
wirklich wahr«, sagte Vater. »Ich
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musste nur eben ein Treffen zu Endebringen und einen Brief schreiben.hr seid also gut angekommen?«
»Ja, Vater.«»Hast du deiner Mutter und
deiner Schwester geholfen, das Hauseer zu räumen?«
» Ja, Vater.«»Dann bin ich stolz auf dich«,
sagte Vater anerkennend. »Setz dich,
mein Sohn.«Er wies auf einen breiten Sessel
seinem Schreibtisch gegenüber, undBruno kletterte hinauf, seine Füße
reichten nicht ganz zum Boden,während Vater an seinen Platzhinterm Schreibtisch zurückkehrte
und ihn musterte. Eine Weile sagten
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sie nichts, bis Vater schließlich dasSchweigen brach.
»Und?«, fragte er. »Was denkst
du?«»Was ich denke?«, fragte Bruno.
»Was soll ich wovon denken?«»Von deinem neuen Zuhause.
Gefällt es dir?«»Nein«, sagte Bruno schnell, weil
er immer ehrlich sein wollte und
wusste, wenn er auch nur eineSekunde zögerte, würde er sich nichtmehr trauen, offen seine Meinung zusagen. »Ich finde, wir sollten nach
Hause gehen«, setzte er mutig hinzu. Vaters Lächeln schwand nur
unmerklich. Er sah kurz auf seinen
Brief hinunter, bevor er wieder
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aufblickte, so als wollte er sich seinentwort gut überlegen. »Nun, wir
sind zu Hause, Bruno«, sagte er
schließlich leise. »Aus-Wisch ist unseneues Zuhause.«
»Aber wann können wir wiedernach Berlin zurück?«, fragte Bruno,dem bei Vaters Worten ganz schwerums Herz wurde. »Dort ist es vielschöner.«
»Jetzt mach mal halblang«, sagteVater, der davon nichts wissen wollte»Damit fangen wir gar nicht erst an«,sagte er. »Ein Zuhause ist kein
Gebäude oder eine Straße oder eineStadt oder etwas Künstliches ausBacksteinen und Mörtel. Ein Zuhause
st da, wo man seine Familie hat,
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nicht wahr?«»Ja, aber ...«»Und unsere Familie ist hier,
Bruno. In Aus-Wisch. Ergo, muss dasunser Zuhause sein.«
Bruno wusste nicht, was ergo
bedeutete, doch das war auch nichtnötig, denn er hatte schon eine kluge
ntwort für Vater. »Aber Großvaterund Großmutter sind in Berlin«, sagteer. »Sie gehören auch zu unsererFamilie. Also kann das nicht unserZuhause sein.«
Vater überdachte BrunosEinwand und nickte. Er ließ sichange Zeit mit einer Antwort. »Ja,
Bruno, sie sind in Berlin. Aber in
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unserer Familie sind du und ich undMutter und Gretel die wichtigstenPersonen. Und wir leben jetzt hier. In
us-Wisch. Jetzt mach nicht so einunglückliches Gesicht!« (Bruno sahnämlich höchst unglücklich aus.) »Duhast es noch gar nicht versucht.Vielleicht gefällt es dir hier.«
»Mir gefällt es hier nicht«,beharrte Bruno.
»Bruno ...«, sagte Vater müde.»Karl ist nicht da und Daniel ist
nicht da und Martin auch nicht.ußerdem sind keine anderen Häuse
n der Nähe, keine Obst- undGemüsestände, keine Straßen undCafes mit Tischen draußen, und keine
Leute, die einen am
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Samstagnachmittag von Pontius zuPilatus schieben.«
»Bruno, im Leben müssen wir
manchmal Dinge tun, die wir unsnicht aussuchen können«, sagteVater, und Bruno merkte, er wurdeder Unterhaltung jetzt langsamüberdrüssig.
»Und ich fürchte, der Umzughierher ist eins davon. Das ist meine
rbeit, wichtige Arbeit. Wichtig fürunser Land. Wichtig für den Furor.Eines Tages wirst du das verstehen.«
»Ich will nach Hause«, sagte
Bruno. Er spürte, wie ihm Tränen indie Augen stiegen, und wünschte sichsehnlichst, Vater würde einsehen, wie
hässlich es hier in Aus-Wisch war,
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und zugeben, dass es an der Zeit warzu gehen.
»Du musst begreifen, dass du zu
Hause bist«, sagte er stattdessen, wasBruno enttäuschte. »Für dieabsehbare Zukunft ist dies dein
Zuhause.«Bruno schloss kurz die Augen.Bisher war es nicht oft vorgekommendass er seinen Willen so hartnäckig
durchsetzen wollte, und bestimmthatte er sich noch nie so vehement anVater gewandt und versucht ihn
umzustimmen. Aber die Vorstellunghierzubleiben, die Vorstellung, aneinem derart scheußlichen Ort zueben, wo es niemanden zum Spielen
gab, war ihm einfach unerträglich. Al
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er die Augen kurz darauf wiederöffnete, kam Vater hinter demSchreibtisch vor und setzte sich
neben ihn in einen Sessel. Bruno sahzu, wie er ein silbernes Etui öffnete,eine Zigarette herausnahm und sieauf den Tisch klopfte, bevor er sieanzündete.
»Als ich ein Kind war«, sagteVater, »gab es gewisse Dinge, die ich
nicht tun wollte, aber wenn meinVater gesagt hat, dass es für allebesser wäre, wenn ich sie tun würde,habe ich mein Bestes versucht und
mich damit abgefunden.«»Was für Dinge?«, fragte Bruno.»Ach, ich weiß nicht«, sagte Vate
und zuckte die Schultern.
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»Letztendlich ist das auch nichtwichtig. Ich war nur ein Kind undwusste nicht, was das Beste war.
Manchmal wollte ich zum Beispielnicht zu Hause bleiben und meineSchulaufgaben fertig machen; ichwollte raus auf die Straße und mitmeinen Freunden spielen, genau wiedu. Wenn ich aber jetzt zurückblicke,sehe ich ein, wie dumm ich war.«
»Dann weißt du ja, wie es mirgeht«, sagte Bruno zuversichtlich.
»Ja, aber ich wusste auch, dassmein Vater, dein Großvater, genau
wusste, was das Beste für mich war,und dass ich immer am glücklichstenwar, wenn ich das einfach akzeptiert
habe. Meinst du, mein Leben wäre so
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erfolgreich, wenn ich nicht gelernthätte, wann ich streiten oder wannch den Mund halten und Befehlen
gehorchen soll? Na, Bruno? Wasmeinst du?«
Bruno sah sich um. Sein Blickandete auf dem Fenster in der
Zimmerecke, und er konnte diehässliche Landschaft draußen sehen.
»Hast du einen Fehler
gemacht?«, fragte er nach einerWeile. »Einen Fehler, über den sichder Furor geärgert hat?«
»Ich?«, sagte Vater und sah ihn
überrascht an. »Was meinst dudamit?«
»Hast du bei deiner Arbeit etwas
Schlimmes gemacht? Ich weiß, dass
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alle sagen, du bist ein wichtiger Mannund der Furor hat Großes mit dir vor,aber er hätte dich wohl kaum an so
einen Ort geschickt, wenn du nichtetwas getan hättest, wofür er dichbestrafen will.«
Vater lachte, und das regte Brunonoch mehr auf; nichts ärgerte ihnmehr als Erwachsene, die ihnauslachten, weil er etwas nicht
wusste, besonders wenn er versuchtedurch Fragenstellen die Antwortherauszufinden.
»Du verstehst nicht, wie wichtig
so eine Position ist«, sagte Vater.»Aber ich kann mir nicht
orstellen, dass du deine Arbeit sehr
gut gemacht hast, wenn wir von
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einem sehr schönen Haus undunseren Freunden wegziehen und aneinen schrecklichen Ort wie diesen
kommen müssen. Ich glaube, du hastetwas falsch gemacht, deshalb solltestdu dich heim Furor entschuldigen,
ielleicht erledigt sich dann alles vonselbst. Vielleicht verzeiht er dir, wennes dir ernst ist.«
Die Worte waren draußen, noch
ehe er richtig überlegen konnte, obsie vernünftig waren oder nicht;sobald sie in der Luft schwebten, fander sie für Vater ganz und gar
unpassend, aber zu spät, sie warenausgesprochen und konnten nichtmehr rückgängig gemacht werden.
Bruno schluckte nervös und sah nach
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kurzem Schweigen wieder zu Vater,der ihn mit steinerner Mieneanstarrte. Bruno leckte sich die
Lippen und schaute zur Seite. Es warbestimmt nicht ratsam, Vaters Blickstandzuhalten.
Nach ein paar stillen,unangenehmen Minuten erhob sichVater langsam aus dem Sessel, gingwieder hinter den Schreibtisch und
egte seine Zigarette auf einenschenbecher.
»Ich frage mich, ob du sehr mutigbist«, sagte er nach einer Weile, als
überdenke er die Angelegenheit,»oder einfach nur respektlos.Vielleicht ist es ja gar nicht so
schlimm.«
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»Ich wollte nicht ...«»Aber jetzt bist du still«, sagte
Vater laut und fiel ihm ins Wort, denn
für ihn galten die Regeln desnormalen Familienlebens nicht.
»Bis jetzt habe ich großeRücksicht auf deine Gefühlegenommen, Bruno, weil ich weiß,dass der Umzug nicht einfach für dichst. Ich habe mir angehört, was du zu
sagen hast, auch wenn deine Jugendund Unerfahrenheit dich zwingen,manches auf eine freche Art zuformulieren. Du hast gemerkt, dass
ch auf nichts davon reagiert habe.ber jetzt ist der Moment gekommen
an dem du schlicht akzeptieren
musst, dass ...«
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»Ich will es nicht akzeptieren!«,schrie Bruno und blinzelte erstaunt,weil er nicht damit gerechnet hatte,
dass er laut werden würde. (Genaugenommen überraschte es ihn sogarselbst.) Er spannte sich leicht an undmachte sich darauf gefasst, notfallsdavonzurennen. Aber heute schienVater nichts zu ärgern - und wennBruno ehrlich mit sich war, musste er
zugeben, dass Vater nur seltenärgerlich wurde; meistens wurde ernur still und kühl und bekam amEnde immer seinen Willen. Statt ihn
etzt anzuschreien oder ihn durchsHaus zu jagen, schüttelte er lediglichden Kopf und zeigte damit an, dass
hre Unterhaltung beendet war.
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»Geh in dein Zimmer, Bruno«,sagte er so leise, dass Bruno wusste, emeinte es wirklich ernst, und so stand
Bruno auf, während ihmTränen der Enttäuschung in die
ugen stiegen. Er ging zur Tür, dochbevor er sie öffnete, drehte er sich umund wollte eine letzte Frage stellen.»Vater?«, setzte er an.
»Bruno, ich denke nicht daran
..«, sagte Vater gereizt.»Es ist nicht das«, sagte Bruno
schnell. »Ich habe noch eine andereFrage.«
Vater seufzte, bedeutete ihmaber, dass er fragen sollte, und danachwäre die Angelegenheit erledigt, ohn
ede weitere Diskussion.
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Bruno überdachte seine Frage,denn diesmal wollte er sie absolutrichtig formulieren, damit sie nicht
als ungezogen und rücksichtslosherauskam. »Wer sind die vielenLeute dort draußen?«, sagte erschließlich.
Vater neigte den Kopf nach linksdie Frage schien ihn leicht zu
erwirren. »Soldaten, Bruno«, sagte
er. »Und Sekretäre. Mitarbeiter. Duhast sie natürlich alle schongesehen.«
»Nein, nicht die«, sagte Bruno.
»Die Leute, die ich von meinemFenster aus sehe. Die in denBaracken, in der Ferne. Sie sind alle
gleich angezogen.«
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»Ach, die«, sagte Vater. Er nickteund lächelte leicht. »Das ... na ja, dassind eigentlich gar keine Menschen,
Bruno.«Bruno runzelte die Stirn.
»Nein?«, fragte er und war nichtsicher, was Vater damit meinte.
»Na ja, jedenfalls nicht in demSinn, wie wir den Begriff verstehen«,fuhr Vater fort. »Aber über die solltes
du dir wirklich keine Sorgen machenSie haben nichts mit dir zu tun. Duhast absolut nichts mit ihnen gemeinGewöhne dich in dein neues Zuhause
ein und sei brav, mehr verlange ichnicht. Akzeptiere die Situation, in derdu dich befindest, dann wird alles
umso einfacher.«
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»Ja, Vater«, sagte Bruno, auchwenn ihn die Antwort nichtbefriedigte.
Er öffnete die Tür, aber Vater riefhn noch einmal zurück, stand auf
und hob eine Augenbraue, als wollteer ihn an etwas erinnern. Im selbenMoment, noch während Vater dasZeichen gab, fiel es Bruno wieder einEr sagte die Wendung und imitierte
genau seine Haltung.Er drückte die beiden Füße
aneinander und stieß den rechtenrm in die Luft vor ihm, knallte die
beiden Hacken zusammen und sagteso tief und deutlich er konnte - wobeier versuchte, möglichst wie sein Vate
zu klingen -die Worte, die er immer
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sagte, wenn er sich von einemSoldaten verabschiedete.
»Heil Hitler«, sagte er, was, wie eannahm, eine andere Möglichkeit wa
zu sagen: Na dann, auf Wiedersehenund einen schönen Nachmittag.
Kapitel sechsD AS ÜBERBEZAHLTE DIENSTMÄDCHENEin paar Tage später lag Bruno
auf dem Bett in seinem Zimmer und
starrte an die Decke. Die weiße Farbewar rissig und blätterte auf unangenehme Weise ab, ganz anders
als der Anstrich im Haus in Berlin,der nie aufplatzte und jeden Sommer,wenn Mutter die Maler bestellte,erneuert wurde. An jenem speziellen
Nachmittag lag er da, starrte auf die
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spinnenartigen Risse und überlegtemit zusammengekniffenen Augen,was sich dahinter verbergen mochte.
Er stellte sich vor, dass in dem Raumzwischen Farbschicht und Deckensekten wohnten, die den Putz
wegdrückten und lange Risseerursachten, die sich ausbreiteten,
bis sie eine Lücke geschaffen hatten,durch die sie sich zwängen konnten,
um sich sodann ein Fenster zusuchen, aus dem sie entkommenkonnten. Nichts, dachte Bruno,
nicht einmal die Insekten würden
freiwillig in Aus-Wisch bleiben.»Alles hier ist schrecklich«, sagte
er laut, obwohl niemand da war, der
hn hören konnte, aber irgendwie wa
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hm wohler, wenn er die Wörterausgesprochen hörte. »Ich hassedieses Haus, ich hasse mein Zimmer
und ich hasse auch den Anstrich. Ichhasse alles. Absolut alles.«
Gerade als er wieder verstummtetrat Maria mit einem Armvollsauberer, trockener und gebügelterWäsche durch die Tür. Sie zögertekurz, als sie ihn auf dem Bett liegen
sah, neigte dann aber leicht den Kopfund ging schweigend zum Schrank.
»Hallo«, sagte Bruno. EineUnterhaltung mit einem
Dienstmädchen war vielleicht nichtergleichbar mit einer Unterhaltung
zwischen Freunden, aber es gab nun
mal niemanden, mit dem er sonst
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reden konnte, und es war immer nochsinnvoller, als Selbstgespräche zuführen. Gretel war nirgends zu
finden, und er hatte sich schonSorgen gemacht, dass er vorLangeweile verrückt würde.
»Bruno«, sagte Maria leise,trennte seine Unterhemden vonseinen Hosen und Unterhosen, dannegte sie alles in verschiedene
Schubladen und auf verschiedeneRegale.
»Wahrscheinlich bist du genausounglücklich mit der neuen Lösung wi
ch«, sagte Bruno, worauf sie sichumdrehte und ihn mit einer Mieneansah, die nahelegte, dass sie ihn
nicht so recht verstand. »Das hier«,
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erklärte er, setzte sich auf und sahsich um. »Alles. Ist es nichtschrecklich? Ödet dich nicht auch
alles an?«Maria öffnete den Mund, um
etwas zu sagen, schloss ihn abergenauso schnell wieder. Offenbarwollte sie ihre Antwort gutüberdenken und in Ruhe die richtigenWorte wählen, überlegte es sich dann
aber anders und verwarf sie ganz undgar. Bruno kannte Maria fast schonsein ganzes Leben lang. Sie hatte beihnen zu arbeiten angefangen, als er
erst drei war, und meistens waren siegut miteinander ausgekommen,allerdings hatte sie auch nie
rgendwelche Gefühlsregungen
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gezeigt. Sie erledigte nur ihre Arbeit,polierte Möbel, kümmerte sich um diWäsche, half beim Einkaufen und
Kochen, brachte ihn manchmal zurSchule und holte ihn wieder ab, dasallerdings häufiger in der Zeit, als ernoch acht war; mit neun beschloss erdass er alt genug war, um allein in dieSchule und zurück zu gehen.
»Dann gefällt es dir hier nicht?«,
sagte sie schließlich.»Gefallen?«, erwiderte Bruno und
achte leise. »Gefallen?«, wiederholteer, nunmehr etwas lauter. »Natürlich
gefällt es mir nicht! Es ist schrecklichch kann nichts tun, ich habe
niemanden zum Reden, niemanden
zum Spielen. Bist du denn gern hier?«
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»Den Garten am Haus in Berlinmochte ich immer sehr«, sagte Mariaund beantwortete damit eine gänzlich
andere Frage. »Wenn es nachmittagswarm war, habe ich mich gern in dieSonne gesetzt und unter demEfeubaum am Teich zu Mittaggegessen. Die Blumen dort waren sohübsch. Die Düfte. Und die Bienensind immer um die Blüten geflogen
und haben einem nie etwas getan,wenn man sie in Ruhe gelassen hat.«
»Dann gefällt es dir hier alsonicht?«, fragte Bruno. »Findest du es
genauso schlimm wie ich?«Maria runzelte die Stirn. »Das
spielt keine Rolle«, sagte sie.
»Was spielt keine Rolle?«
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»Was ich denke.«»Aber natürlich spielt das eine
Rolle«, sagte Bruno gereizt, als wäre
sie nur absichtlich kompliziert.»Schließlich gehörst du zur Familie.«
»Ich bin nicht sicher, ob deinVater dem zustimmen würde«, sagteMaria und musste lächeln, weil seineBemerkung sie rührte.
»Jedenfalls bist du gegen deinen
Willen hierher gebracht worden,genau wie ich. Wenn du mich fragst,sitzen wir alle im selben Boot. Und essinkt.«
Einen Augenblick lang hatteBruno den Eindruck, dass Maria ihmhre wahre Meinung sagen wollte. Sie
egte die restlichen Sachen aufs Bett
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und ballte ihre Hände zu Fäusten, alswäre sie über etwas schrecklichwütend. Ihr Mund öffnete sich,
erstarrte aber sogleich, als hätte siengst vor den vielen Dingen, die sie
sagen könnte, wenn sie erst einmalanfing.
»Bitte sag's mir, Maria«, bettelteBruno. »Wenn wir uns nämlich alleeinig sind, können wir Vater
ielleicht überreden, uns wieder nachBerlin zu schicken.«
Schweigend wandte sie den Blickon ihm ab, schüttelte dann traurig
den Kopf und sah ihn wieder an.»Dein Vater weiß, was das Beste ist«,sagte sie. »Darauf musst du
ertrauen.«
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»Ich weiß nicht, ob ich daskann«, sagte Bruno. »Ich glaube, erhat einen schrecklichen Fehler
gemacht.«»Dann ist es ein Fehler, mit dem
wir alle leben müssen.«»Wenn ich einen Fehler mache,
werde ich bestraft«, erwiderte Bruno.hn ärgerte es, dass die Regeln, die fü
Kinder galten, offenbar nie von
Erwachsenen befolgt werden musstenobwohl sie es waren, die sie
aufstellten). »Dummer Vater«, fügteer leise hinzu.
Marias Augen weiteten sich, danntrat sie einen Schritt auf ihn zu undhielt entsetzt die Hände vor den
Mund. Sie sah sich um, ob auch
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wirklich niemand in der Nähe warund gehört hatte, was Bruno geradegesagt hatte. »Das darfst du nicht
sagen«, ermahnte sie ihn. »So etwasdarfst du nie über deinen Vatersagen.«
»Warum denn nicht?«, fragteBruno. Er schämte sich selbst einwenig für seine Worte, aber dasLetzte, was er zu tun gedachte, war
sich zurückzulehnen undausgeschimpft zu werden, wenn seineMeinung ohnehin niemandennteressierte.
»Weil dein Vater ein guter Mannst«, sagte Maria. »Ein sehr guter
Mann. Er sorgt für uns alle.«
»Du meinst, weil er uns den
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weiten Weg hierher gebracht hat, ansEnde der Welt? Nennst du das für unssorgen?«
»Dein Vater hat vieles getan«,sagte sie. »Viele Dinge, auf die dustolz sein solltest.
Wenn dein Vater nicht wäre, wowäre ich dann jetzt wohl?«
»Vermutlich in Berlin«, sagteBruno. »Du würdest in einem
schönen Haus arbeiten. Mittags unterdem Efeu essen und die Bienen inRuhe lassen.«
»Du erinnerst dich nicht mehr,
als ich bei euch zu arbeitenangefangen habe, nicht?«, fragte sieeise und setzte sich kurz auf den
Bettrand, etwas, das sie noch nie
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getan hatte. »Wie sollst du auch? Duwarst erst drei. Dein Vater hat michaufgenommen und mir geholfen, als
ch ihn brauchte. Er hat mir Arbeitgegeben, ein Dach über dem Kopf.Essen. Du kannst dir nicht vorstellen,wie es ist, wenn man nichts zu essenhat. Du bist nie hungrig gewesen,nicht?«
Bruno runzelte die Stirn. Am
iebsten hätte er gesagt, dass ergerade jetzt was zwischen die Zähnegebrauchen könnte, doch stattdessenschaute er zu Maria und stellte zum
ersten Mal fest, dass er sie noch nieals richtigen Mensch mit einemLeben und einer eigenen Geschichte
gesehen hatte. Letztendlich war sie
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mmer nur das Dienstmädchen derFamilie gewesen (soweit er wusste).Er konnte sich nicht e