Das Township Katlehong - LIFE IN...

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A FI L M B Y IRE N E LOEB E L L L IF E IN PROGR E S S Das Township Katlehong Das Gebiet, auf dem die Häuser und Hütten von Katlehong stehen, war bis 1950 eine Farm. Unmittelbar daneben befand sich der erste interkontinentale Flughafen Südafrikas. Die ehemalige Start- und Landebahn des Flughafens ist eine der wichtigsten Zufahrtsstrassen zum Township. Der Wahlsieg der National Party von 1948 begründete den Beginn des politischen Systems der Apartheid. Zwei Jahre später begann die Regierung mit dem Bau der ersten Häuser von Katlehong. Katlehong wurde auf dem Reisbrett geplant und in einer topfebenen Gegend, in der es bis dahin keinerlei Infrastruktur gab, aus dem Boden gestampft. Das Ziel bei allen Townships, die in jenen Jahren in grosser Eile gebaut wurden, war es, Wohnraum zu schaffen, um die Schwarzen aus den umliegenden Städten zu vertreiben. Die ersten Bewohner Katlehongs stammten aus dem Stadtteil kwaDukatole, der ein Teil der Kleinstadt Germiston war, einem Vorort von Johannesburg. Die Menschen, die dort gelebt hatten, wurden zusammen mit ihrer Habe auf Lastwagen geladen und nach Katlehong gebracht, wo sie von nun an leben sollten. Dabei wurden Grossfamilien auseinandergerissen, befreundete Familien voneinander getrennt, organisch gewachsene Nachbarschaftsstrukturen von einem Tag auf den anderen zerstört. kwaDukatole wurde ein paar Jahre später dem Erdboden gleichgemacht. Die Vertreibung der Schwarzen aus den Städten in die neu gebauten Townships begann in den 1950er Jahren in ganz Südafrika. Hunderttausende von Menschen wurden so entwurzelt und mussten an einem neuen Ort von neuem beginnen. Diese gross angelegte Umsiedlungsaktion kostete Geld. Die Kosten bürdete die Apartheid-Regierung den Schwarzen auf. Sie mussten ihre eigene Vertreibung in Form von höheren Mieten bezahlen. Importierte Kriminalität Die ersten Bewohner von Katlehong beklagten sich bei den Behörden über die unzureichenden Bus- und Zugverbindungen, und dass sie, um zur Arbeit zu gelangen, täglich weite Strecken zu Fuss zurücklegen mussten. Ansonsten aber verlief das Leben im Township relativ ruhig. Doch dann geschah etwas, das die Ruhe erschütterte: Ab 1953 verfrachteten die Behörden eine grosse Zahl neuer Bewohner nach Katlehong, die an ihren bisherigen Wohnorten als Unruhestifter galten. Viele von ihnen waren Mitglieder von Gangs. Es waren sogenannte Tsotsis, wie Gangster in der Township-Sprache genannt werden. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte es in Katlehong kaum Kriminalität gegeben. Das änderte sich nun schlagartig. Die ersten Häuser, die in Katlehong gebaut wurden. 1/7 kwaDukatole vor der Zerstörung. kwaDukatole wurde niedergewalzt, nachdem die Bewohner deportiert worden waren.

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Das Township Katlehong

Das Gebiet, auf dem die Häuser und Hütten von Katlehong stehen, war bis 1950 eine Farm. Unmittelbar daneben befand sich der erste interkontinentale Flughafen Südafrikas. Die ehemalige Start- und Landebahn des Flughafens ist eine der wichtigsten Zufahrtsstrassen zum Township.

Der Wahlsieg der National Party von 1948 begründete den Beginn des politischen Systems der Apartheid. Zwei Jahre später begann die Regierung mit dem Bau der ersten Häuser von Katlehong. Katlehong wurde auf dem Reisbrett geplant und in einer topfebenen Gegend, in der es bis dahin keinerlei Infrastruktur gab, aus dem Boden gestampft. Das Ziel bei allen Townships, die in jenen Jahren in grosser Eile gebaut wurden, war es, Wohnraum zu schaffen, um die Schwarzen aus den umliegenden Städten zu vertreiben.

Die ersten Bewohner Katlehongs stammten aus dem Stadtteil kwaDukatole, der ein Teil der Kleinstadt Germiston war, einem Vorort von Johannesburg. Die Menschen, die dort gelebt hatten, wurden zusammen mit ihrer Habe auf Lastwagen geladen und nach Katlehong gebracht, wo sie von nun an leben sollten. Dabei wurden Grossfamilien auseinandergerissen, befreundete Familien voneinander getrennt, organisch gewachsene Nachbarschaftsstrukturen von einem Tag auf den anderen zerstört. kwaDukatole wurde ein paar Jahre später dem Erdboden gleichgemacht.

Die Vertreibung der Schwarzen aus den Städten in die neu gebauten Townships begann in den 1950er Jahren in ganz Südafrika. Hunderttausende von Menschen wurden so entwurzelt und mussten an einem neuen Ort von neuem beginnen. Diese gross angelegte Umsiedlungsaktion kostete Geld. Die Kosten bürdete die Apartheid-Regierung den Schwarzen auf. Sie mussten ihre eigene Vertreibung in Form von höheren Mieten bezahlen.

Importierte Kriminalität

Die ersten Bewohner von Katlehong beklagten sich bei den Behörden über die unzureichenden Bus- und Zugverbindungen, und dass sie, um zur Arbeit zu gelangen, täglich weite Strecken zu Fuss zurücklegen mussten. Ansonsten aber verlief das Leben im Township relativ ruhig.

Doch dann geschah etwas, das die Ruhe erschütterte: Ab 1953 verfrachteten die Behörden eine grosse Zahl neuer Bewohner nach Katlehong, die an ihren bisherigen Wohnorten als Unruhestifter galten. Viele von ihnen waren Mitglieder von Gangs. Es waren sogenannte Tsotsis, wie Gangster in der Township-Sprache genannt werden. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte es in Katlehong kaum Kriminalität gegeben. Das änderte sich nun schlagartig.

Die ersten Häuser, die in Katlehong gebaut wurden.

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kwaDukatole vor der Zerstörung.

kwaDukatole wurde niedergewalzt, nachdem die Bewohner deportiert worden waren.

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Katlehong wurde im Laufe der 1950er und -60er Jahre Strassenzug um Strassenzug weiter ausgebaut. Es waren normierte Häuser, die aus einem, zwei oder drei Räumen bestanden und alle genau gleich aussahen. Diese typischen Township-Häuser bekamen den Übernamen Matchbox Houses, weil sie so winzig waren. In den Zimmern gab es kaum Platz, um mehr als ein Bett oder einen Tisch unterzubringen.

Strom gab es in Katlehong lange Zeit nicht, Wasser nur hinter dem Haus. Noch 1987 war erst weniger als ein Drittel der Häuser von Katlehong an das Stromnetz angeschlossen. Inzwischen haben alle Häuser und auch die meisten Hüttensiedlungen Strom. Das Wasser aber holt noch heute die Mehrheit der Bewohnerinnen und Bewohner an einem Wasseranschluss hinter dem Haus. Der Wasserhahn befindet sich oft an der Aussenwand eines gemauerten Toilettenhäuschens, das von allen Bewohnern eines Grundstücks benutzt wird. Das können pro Grundstück 10, 20 oder auch mehr Menschen sein. Ein Badezimmer hat fast niemand im Township, es sei denn, er wohnt in einem erst kürzlich neu erstellten Haus.

Matchbox Houses damals ...

... und heute.

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Trennung nach Ethnien

In Katlehong wurden die Menschen – wie in den meisten anderen Townships auch – nach ethnischen Kriterien voneinander separiert: Den Zulus wurde ein Viertel zugewiesen, den Sothos ein anderes, den Xhosas, Vendas, Pedis je noch ein anderes, und so weiter. Auf diese Weise versuchte die Apartheid-Regierung, Rivalitäten und Konflikte zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen zu schüren.

Dieses Prinzip des „Teile und Herrsche“ war erfolgreich. Nicht selten entluden sich im Alltag die Aggressionen, zu denen es angesichts der unerträglichen Verhältnisse kam, in Konflikten zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen. Und Jahrzehnte später, in den frühen 1990er Jahren, war diese Ethnisierung mit dafür verantwortlich, dass es in Katlehong und in anderen Townships zu den fürchterlichsten Gemetzeln kam, die es in der neueren Geschichte Südafrikas gab.

Unübersichtliches Strassengewirr

Die Strassenzüge von Katlehong wurden so angelegt, dass es kaum Durchgangsstrassen gibt. Die Verbindungen werden stattdessen durch ein verwirrendes Netz kleiner, unlogisch miteinander verknüpfter Quartierstrassen hergestellt. Die Apartheid-Planer wollten Verhältnisse schaffen, die Protestaufmärsche erschwerten.

Die Folge davon ist, dass es für alle, die sich im Gewirr der Strassen nicht auskennen, extrem schwierig ist, sich in einem Township wie Katlehong zurechtzufinden. Strassen führen im Kreis. Örtlichkeiten, die in der Luftlinie wenige Dutzend Meter voneinander entfernt liegen, sind auf der Strasse nur auf Umwegen erreichbar.

In den 1970er und -80er Jahren, als der Widerstand der Township-Bewohner gegen die Apartheid-Regierung immer stärker und auch immer gewalttätiger wurde, wurde genau dies aber auch der Repressionsmaschinerie des Apartheid-Staates zum Verhängnis: Die ortsfremden Polizisten kannten sich im Township nicht aus und gerieten leicht in einen Hinterhalt. Und wenn die Polizei steckbrieflich gesuchte Aktivisten verhaften wollte, waren diese im Gewirr der Strassen verschwunden, bevor die Polizei auch nur das richtige Haus gefunden hatte.

Polizisten kontrollieren, ob diese Männer eine Bewilligung haben, sich in der Stadt aufzuhalen.

Link zum Township-Krieg

Unübersichtliches Strassenentz

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Eine eigene Township-Verwaltung

Als die Apartheid-Regierung Mitte der 1980er Jahre den Ausnahme-Zustand erklärte und Polizei und Armee regelrecht Jagd auf Oppositionelle machten, als Verhaftungen, Folter und Mord an Township-Bewohnern an der Tagesordnung waren, kümmerten sich die Behörden kaum noch um das normale Funktionieren des Townships. Das bisschen Infrastruktur, das es gab, zerfiel zusehends. Kaputte Wasserleitungen wurden nicht mehr repariert, die Abwasserversorgung brach vielerorts zusammen, die Haushaltabfälle, die nicht mehr beseitigt wurden, stapelten sich auf den Strassen, zogen Ratten an und verpesteten die Luft. Die Polizei sorgte auch nicht mehr für die Bekämpfung der Kriminalität, die in Katlehong hoch war. Nach dem Prinzip: Jeder Schwarze, der umgebracht wurde, war ein Gegner weniger.

Bereits in den Jahren davor hatten sich in Katlehong wie auch in vielen anderen Townships politische Aktivistinnen und Aktivisten zu zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammengeschlossen – den sogenannten Civics. Diese Organisationen kümmerten sich um all das, was der Staat nicht tat – von der Infrastruktur bis hin zu polizeilichen Aufgaben.

Diese Selbstverwaltung der Township-Bewohnerinnen und -bewohner bündelte und organisierte ausserdem mit wachsendem Erfolg den alltäglichen Widerstand gegen den Apartheid-Staat. So waren die Civics die treibenden Kräfte hinter der Konsumboykott-Bewegung, die in den 1980er Jahren zu einem ökonomischen Faktor heranwuchs: Die schwarze Bevölkerungsmehrheit nutzte ihre zahlenmässige Übermacht, um dem Staat und weissen Geschäftsleuten schmerzhafte ökonomische Einbussen zu bescheren. Die Township-Bewohner bezahlten keine Miete mehr, und sie verbrannten die Stromrechnungen, statt sie zu begleichen. Sie benutzen keine staatlichen Busse mehr und fuhren stattdessen mit Minibus-Taxis, die von schwarzen Fahrern betrieben wurden, obwohl diese teurer waren. Zudem gab es regelmässige Boykotte gegen die Geschäfte in den Städten.

Im Township waren die Civics geachtet, aber auch gefürchtet. Bald waren sie dafür bekannt, dass sie ihre politischen Kampagnen mit gnadenloser Härte durchsetzten: Wer trotz Boykottaufruf mit einer vollen Einkaufstasche aus der Stadt zurückkehrte, riskierte Sanktionen. Zum Beispiel zwang man ihn, den eben gekauften Gewebeweichspüler auszutrinken.

Und das gehörte zu den eher harmloseren Sanktionen. In dieser Zeit kam auch das sogenannte Necklacing auf: Aktivisten – oft Jugendliche – , die jemanden des Verrats überführten oder auch nur verdächtigten, legten ihm einen mit Benzin gefüllten Autoreifen um den Hals und zündeten diesen an. Die so Traktierten überlebten das in der Regel nicht.

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Ein anderes Gesicht

In den letzten Jahren der Apartheid nahm die Bewohnerzahl von Katlehong explosionsartig zu, neue Häuser dagegen wurden kaum noch gebaut. Stattdessen schossen überall informelle Hüttensiedlungen aus dem Boden. Sie gingen einher mit katastrophalen Wohnverhältnissen.

Eine der ersten grossen Aufgaben, die Nelson Mandelas Regierung nach 1994 in Angriff nahm, war der Bau von 1,1 Million Wohnhäusern im ganzen Land. Dieses Wohnbauprogramm wird noch immer fortgesetzt.

Katlehong hat sein Gesicht geändert. Ein wichtiger Fortschritt, der die Sicherheit der Bewohner erhöhte, war die Installation von Flutlichtern im ganzen Township. Dass es nun nachts nicht mehr stockfinster ist, macht Kriminellen das Leben ein bisschen schwerer.

Neue Schulen wurden in Katlehong gebaut, es gibt inzwischen einige Restaurants und seit wenigen Jahren sogar ein paar Shopping-Centers. Viele Strassen, die noch vor wenigen Jahren staubige Pisten waren, sind jetzt geteert. Das Abwassersystem wurde an vielen Stellen ausgebaut, und manche Strassen stehen nun nicht mehr bei jedem grösseren Regenguss sogleich tief unter Wasser.

Viele Bewohner bauen ihre Häuser Schritt für Schritt aus. Hier ein Anbau, dort ein neues Dach, an anderen Stellen werden die alten Matchbox Häuser abgerissen, und es entstehen an ihrer Stelle Häuser, die für Township-Verhältnisse stattlich sind. Auch hohe Mauern zum Schutz vor Einbrechern sind immer öfters zu sehen – ein Zeichen eines bescheidenen Wohlstands.

Flutlichter über dem Township

Grössere Häuser im Township

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Alle diese Veränderungen vermitteln den Eindruck, dass es in Katlehong einen gewissen Fortschritt gibt. Und sie machen das Leben im Township etwas weniger mühselig. Doch von Verhältnissen, wie sie selbst in den ärmsten Vierteln Johannesburgs herrschen, ist Katlehong noch immer weit entfernt. Und nach wie vor existiert Katlehong für die meisten der weissen Bewohner Johannesburgs nicht. Wenn nicht ihre Putzfrau oder ihr Gärtner aus Katlehong kommt, haben sie in der Regel keine Ahnung davon, dass es vor den Toren ihrer Stadt ein Township mit diesem Namen gibt.

Katlehong © Kathorus – A History

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Ergänzungen

Philip Bonner, Noor Nieftagodien, Kathorus - A History

(leider vergriffen)

Philip Bonner, Noor Nieftagodien, Ekurhuleni, The Making of an Urban Region

http://witspress.co.za/catalogue/ekurhuleni/

Irene Loebell