COIBA-EXPEDITION — TEIL 2 Am Riff der guten Hoffnung · 2017-04-28 · Coiba ist ein Außenposten...
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Wildnis über und unter Wasser: Weil der Archipel eine Strafkolonie beherbergte, sind Regenwälder und Riffe lange unberührt geblieben
Schillernde Fischschwärme, Wale, Haie. Und zahllose Ozeanwesen, die nirgends zuvor erblickt worden sind: Die Meereswelt von Coiba vor Panama ist ein Labor der Evolution. Hier suchen Forscher die Medikamente der Zukunft – und finden Korallen, die dem Klimawandel zu trotzen scheinen
Am Riff der guten HoffnungC O I B A - E X P E D I T I O N — T E I L 2
Fotos: Tim Laman, Text: Lars Abromeit
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EE I N F O R S C H U N G S L A B O R fern des Ozeans, abgeschottet von Hitze und Sonnen- licht. Hier fasst Librada Atencio das Dilemma in Zahlen: Millionen von Menschen, so rech- net sie vor, sterben in Südamerika, Asien, Ozeanien und Afrika jährlich an Tropen-krankheiten – an Malaria, Chagas und Leishmaniose etwa, an Dengue und Lepra, Lassa- und Chikungunyaf ieber. Nur rund ein Prozent aller Medikamente aber, die weltweit entwickelt werden, kommen der Behandlung all dieser Seuchen zugute.
Bislang.„Die weltbesten Quellen, um eine Ret-
tung zu f inden“, sagt die erst 28-jährige Mikrobiologin, „haben wir hier in den Tro-pen: unsere Regenwälder. Und unsere Riffe. Wir haben sie ... noch.“
Atencios Problem ist: Beide werden sel-tener. Vor allem Korallenriffe verfallen rapi-de, rund die Hälfte der tropischen Unterwas-
serstädte weltweit sind zerstört oder stark gefährdet; manchen Prognosen nach werden die Riffe das erste globale Ökosystem sein, das unter dem Einfluss des Menschen schon in den nächsten Jahrzehnten von unserem Planeten komplett verschwindet. Wird Aten- cio bald nur in Algenbrühen nach den Arz-neien der Zukunft suchen können?
„Das wird nicht nötig sein“, sagt die Forscherin. Sie hat einen Korallengarten ent- deckt, der Erlösung verspricht.
D I E F E L S E N der Hoffnung scheinen unter Wasser zu schweben. Vom Boot aus waren sie nicht zu
erkennen, allein eine einsame, weiße Boje hat uns die Stelle im Meer verraten, an der
wir abtauchen müssen, um sie zu finden. Und erst jetzt, in gut zehn Meter Tiefe, werden ihre Konturen langsam im Blau des Pazifiks sichtbar.
Roca Prosper, ein unterseeischer Bergrücken im Norden des Coiba Archipels, zehn Seemeilen vor der Küste von Panama, rund 300 Kilometer von Atencios Labor in der Hauptstadt entfernt. Zerklüftet und steil fallen seine Flanken in schummrige Tiefen ab; und wie ans Ufer eines entlegenen Eilands brandet an seine Abhänge: eine grüne, pulsierende Unterwasserwelle!
Eine Strömung aus kaltem, mit Plank ton gesättigtem Wasser steigt hier aus der Unterwelt auf. Sie schlängelt sich durch die Canyons des Riffs, kräuselt sich über Feuerkorallen, Schwämmen und Seeanemonen, bricht und verästelt sich, führt manche ihrer Seitenarme wieder zusammen, lässt andere auslaufen, umspült Anglerfische, Muränen und Grundeln.
Schwärme von Stachelmakrelen und Schnappern hat die Planktonfracht dieses reißenden Flusses ans Riff gelockt. Haie, Rochen und Barrakudas. Und mitten unter ihnen: Kevan Mantell.
Er lässt sich, begleitet vom Fotografen Tim Laman und mir, ein Stück fortreißen von der Welle, stößt dann plötzlich mit starken Flossenschlägen in eine Spalte hinein, prüft die Wände und Nischen. Mühsam folgen wir
ihm durch die Wasserwirbel, saugen vor Anstrengung gierig die Luft aus unseren Flaschen.
Mantell sucht nach Geisternetzen, verlorenen Angelleinen, Einschlagkratern von Ankern, zerstörten Korallengeweihen. Er weiß, wie verlockend die Schwärme des Roca Prosper für Fischer und Tauchagenturen sind – und wie selten die NationalparkRanger sich hierher verirren. Deshalb bewacht er die Felsen seit Jahren selbst; mindestens einmal im Monat schaut er vorbei, ohne Auftrag, ohne Bezahlung.
Kevan Mantell, 56, gelernter Steinmetz und Industrietaucher, ist ein Platzwart der Riffe. Er pflegt jenen Schatz, den Atencio nutzen will: weil er die Vielfalt des Ozeans
auch seinen Enkelkindern noch zeigen möchte, aber zugleich überzeugt ist, dass er sich dafür nicht auf Behörden und Institute verlassen kann.
Vor gut 20 Jahren ist Mantell aus England nach Panama ausgewandert, hat hier eine Familie gegründet – und sein Leben seither dem Schutz jener schillernden Unterwasserwelt verschrieben, von der sich Wissenschaftler wie Atencio so viel versprechen: Coiba.
D E R P A N A M A I S C H E Archipel, der sich dank der Strafkolonie auf seiner Hauptinsel lange der
menschlichen Aufmerksamkeit entzogen hat (siehe GEO Nr. 07/2016), birgt in seinen Gewässern nicht minder erstaunliche
Tumult in der Tiefe: Im Planktonstrom finden Zwerge und Riesen des Riffs fette Beute
Rastplatz der Wanderer: Mehr als 20 Wal- und Delfinarten durch- streifen den Archipel. Zwischen Juli und Oktober machen die Buckelwale aus Nord und Süd vor den Inseln Station – und bringen im Schutz der Buchten ihre Jungen zur Welt
Artenrekord: Die Korallenvielfalt Coibas
übertrifft die aller anderen Riffgebiete im
tropischen Ostpazifik bei Weitem. Die malven-
farbene Distichopora robusta zum
Beispiel wurde erst 2004 entdeckt
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Wegelagerer, Großmäuler, Trickbetrüger: Schräge Typen haben die Riffe unter sich aufgeteilt
Ostpazifische Rifffische sind Revierkönige. Andere Ozeane? Haben die wenigsten Arten sich je erschlossen. Auch der seltene Hechtschleimfisch Mccoskerichthys sandae hält sich nur hier in Korallenblöcken versteckt
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biologische Kostbarkeiten als in seinen Regenwäldern und Sümpfen: Wie nirgend wo sonst in den Wogen des tropischen Ost pazifiks kommen hier Riffbewohner und Hochseenomaden zusammen, finden Nahrung und Unterschlupf, Partner und Brutstätten für ihren Nachwuchs.
Inseln sind selten in dieser Meeresregion. Vor Zentralamerika bricht der pazifische Kontinentalhang steil in die Tiefsee ab; erst Hunderte Kilometer vom Festland entfernt ragen einzelne Landspitzen aus dem Ozean auf: Malpelo, die Kokosinsel, Galápagos. Dazwischen liegt nur gigantische Wasserweite.
Coiba ist ein Außenposten der Vielfalt darin. In den Dutzenden Buchten und Untiefen des Archipels haben Waben und Buschkorallen unterseeische Metropolen erbaut. An den Steilwänden greifen Seefedern und Gorgonien mit ihren Tentakeln nach Plankton. Fadenschnecken, Röhrenaale und Plattfische beherrschen die Sandbänke, junge Meeresschildkröten weiden in Seegraswiesen.
Ein geschütztes Revier. Die Bergketten Panamas schirmen den Golf vor den stärksten Passatwinden ab, stabilisieren
somit die Wassertemperaturen und bremsen die Auftriebswirbel. Tropische Rifffische finden vor Coiba daher viel bessere Lebensbedingungen als an den exponierten Galápagos oder MalpeloInseln. Mehr als die Hälfte der insgesamt 1200 Arten im Ostpazifik kommen ausschließlich hier auf dem Kontinentalsockel vor; auch Korallen und andere Wirbellose sind in weit größerer Vielfalt vertreten als an den versprengten Riffen inmitten der hohen See.
Manche der Meeresströmungen von dort allerdings schaffen es bis nach Coiba. Denn der westliche Teil des Naturschutzgebietes reicht bereits an die Abbruchkante des Schelfs heran; und so verschlägt es oft Wanderer aus dem offenen Meer
in den Archipel: Hammer und Walhaie etwa, Schwert und Grindwale, Große Tümmler und Schlankdelfine, Marline und Thunfische.
Mehr als 20 Meeressäuger und 33 Haiarten ziehen durch die Wasserstraßen Coibas, gehen an Felsspitzen wie dem Roca Prosper auf Jagd. Und viele Hochseenomaden bringen hier auch ihre Jun gen zur Welt: wie die Buckelwale, die in Coiba dafür aus der nördlichen und der südlichen Hemisphäre zusammentreffen und den Ufern bis auf wenige Meter nahe kommen. Oder die Meeresschildkröten, die an den Inselstränden Nistplätze finden, wie sie selten geworden sind an den Küsten der Weltmeere – ohne störende Lichter von Straßenlaternen, Reklametafeln oder Hotels.
Ohne Menschen.
* * *Librada Atencio kann mit Haien, Walen und Schildkröten wenig anfangen. Die sind zu groß. Sie mag die Bakterien und Algen Coibas viel lieber. Deren Wirkstoffe hetzt sie am Indicasat, einem der größten For-schungs- und Technologie-Institute Pana-mas, auf die Geißeln der Menschheit: auf Plasmodien etwa – jene Einzeller, die Ma-laria auslösen –, auf Tuberkulose- Bakterien oder Leishmaniose-Parasiten.
Vor allem die Abertausenden winzigen Organismen, die auf dem Außengewebe von Korallen leben, gehen in diesen Gefechten mit tödlicher Vehemenz gegen Krankheits-erreger vor. Sie sind es gewohnt. Am Riff umgeben sie die Polypen mit einer „Schutz-schicht“, in der sie Nährstoffe produzieren und ihrem Wirt gefährliche Keime vom Leib halten. „Oft wirken dafür Dutzende oder sogar Hunderte von Mikroben zusammen“, sagt Atencio. „Und weil das Meerwasser ihre Toxine so stark verdünnt, setzen sie
Das Silber des Ozeans: Vor allem nachts suchen Stachelmakrelen an den Riffen im Schwarm nach Beute
Dutzende Buchten – dazu Mangroven und Seegraswiesen, Korallenfelsen und Untiefen: Die Viel- falt der Lebensräume im Archipel treibt die Evolution neuer Arten unter dem Meeresspiegel voran
Seit die Strafkolonie 2004 aufgelöst wurde, dringen immer mehr Fischer nach Coiba vor. Der Naturschützer Kevan Mantell versucht, die Riffe von Geisternetzen und -leinen frei zu halten
Librada Atencio Cárdenas
Seit ihrem Studienabschluss an der Universität Panama 2011 sucht die Mikrobiologin nach Heilkräften aus dem Ozean. Ihre liebsten Verbündeten: Bakterien der Pseudoalteromonas-Gattung, die von Korallen aus Coiba stammen. Sie töten Pilze und Krankheits erreger besonders effizient ab – und könnten so zum Modell für Arzneien der Zukunft werden.
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Isla Jicarita
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Banco Hannibal
Grenze desNationalparks
Grenze derPufferzone
Pixvae
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Panama-Stadt
hochkonzentrierte, zielgerichtete Gifte ein – perfekte Essenzen für unsere Forschung.“
Korallenriffe wie die von Coiba sind enge, begehrte Siedlungsgebiete im Meer: Wer hier überleben will, muss sich wehren. Und so tobt zwischen Schwämmen und Moos-tierchen, Korallen und Hydren, Seescheiden und Röhrenwürmern ein Krieg der Chemie-waffen. Korallenriffe gelten deshalb seit Lan- gem als vielversprechendes Reservoir für die Medizin. Doch erst seit wenigen Jahren sind die Technologien zur Analyse und Synthe-tisierung der komplizierten Toxinrezeptu-ren auch in Tropenstaaten wie Panama weit genug fortgeschritten, um aus der Wirkstoff-vielfalt der Giftmischer die geeignetsten für
die Medikamentenentwicklung herauszuf il-tern. Das ist Atencios Kunst.
Sie sieht von Coiba nicht jenen Farben- und Formenrausch, der den Taucher Mantell nicht mehr loslässt. Sie ist nicht süchtig da-nach, mit Haien und Teufelsrochen durch den Pazif ik-Kosmos zu schweben.
Sie zerstößt Bruchstücke von Korallen, löst sie auf, versetzt sie mit Lösungsmitteln und Fluoreszenzmarkern. Schickt sie durch Zentrifugen, Hochleistungschromatografen und Rotationsverdampfer. Und die viel-versprechendsten Wirkstoffgruppen beschießt sie am Ende mit Laserstrahlen und jagt sie durch Kernspin-Resonanzspektrometer – bis irgendwann, oft nach Wochen stumpfer
Laborarbeit, eine verzweigte, wunderschön klare Molekularstruktur auf dem Bildschirm erscheint. Ein Treffer. Ein Glücksmoment.
Davon erlebt Atencio, seit sie mit Pro-ben aus Coiba arbeitet, jede Menge.
K E VA N M A N T E L L dreht am Riff plötzlich ab, sinkt zu den Felsen, deutet kopfschüttelnd auf einen
Spalt. Er ist fündig geworden. Ein fadenartiges Tier, überwuchert von Krustenalgen und Seescheiden, scheint die Korallenblöcke hier zu umschlingen.
Eine verhedderte Angelleine.Mantell versucht sie zu lösen, selbst
mit dem Tauchermesser aber kann er nur
einzelne Stücke entfernen. Unser Luftvorrat geht zur Neige, die Strömung wirft uns wie Fahnen über dem Riff hin und her. Wie weit ist es zurück zum Boot? Als ich gerade beginne, mir darum Sorgen zu machen, bedeutet Mantell mir auch schon, dass wir auftauchen müssen.
„Verdammt!“, schnauft er, als wir die Wasseroberfläche durchbrechen. Unsere Zeit war zu knapp. Mantell beschließt, den Rest der Leine in einem späteren Tauchgang zu bergen.
„Die Fischer sind wie im Goldrausch“, schimpft er auf der Rückfahrt im Boot nach Pixvae, einem 300SeelenDorf an der Festlandküste. Hier hat der Meeresschützer ein Haus gekauft, in dem er die Tauchgeräte verstaut; und von hier aus versucht er, die Küstenbewohner zur Weitsicht zu motivieren. Denn seit das Gefängnis der Hauptinsel aufgelöst und der Archipel dem Naturschutz gewidmet wurde, sind auch Coibas Riffe bedroht.
Angst kann stärker sein als Gesetze. Bis 2004 wagten nur wenige Fischer, den berüchtigten „Inseln des Teufels“ zu nahe zu kommen. Das ist nun vorbei.
Offiziell dürfen bloß 52 von ihnen im Reservat ihre Netze füllen, solange sie dabei einen Abstand von einer Seemeile zum Ufer halten. Zugleich jedoch sind in der Reichweite von Coiba rund 2000 Fischereiboote registriert. Insgesamt, so schätzt Mantell, wird es wahrscheinlich doppelt so viele geben. Und nicht wenige Kapitäne steuern eben auch in den Nationalpark hinein, um direkt an den Felsen nach großen LutjanusSchnappern zu suchen.
Was sollten sie fürchten? Sechs überforderte Ranger haben hier eine Fläche knapp doppelt so groß wie das Saarland zu überwachen – mit einem einzigen, kleinen Boot, dessen Motor zumeist kaputt ist. Oder zu wenig Benzin hat.
Deshalb zieht Mantell selbst los, stellt Schwarzfischer an den Riffen zur Rede. Dass einer ihm dabei als Drohung schon eine Harpune zwischen die Augen gesetzt hat, schreckt ihn nicht ab.
Mantell hat mit Dorfbewohnern zusammen Strände von Müll befreit, hat Schulkinder mit den Delfinen der Bucht schnorcheln lassen. Er hat Kamerateams geholfen, Coibas Unterwasserwelt zu dokumentieren; und die Filme dann auf dem staubigen Dorfplatz Pixvaes nach Sonnenuntergang auf einer von Ästen gehaltenen, flattern den Leinwand gezeigt.
In aufreibenden, bis zu vier Stunden währenden Tauchgängen hat Kevan Mantell Wale aus Angelleinen befreit, wobei ihm durch einen Flossenschlag gleich drei Rippen auf einmal gebrochen wur den. Und an den beliebtesten Stellen des Archipels hat er Bojen am Riff befestigt, damit die Boote der Tauch und Schnorcheltouristen, die immer zahlreicher nach Coiba strömen, dort festmachen können – und nicht mit Ankern die Pracht zerstören, die sie bewundern wollen.
Mantell bewahrt sich die Hoffnung, dass die Küstenbewohner für ihre Riffe Verantwortung übernehmen. Aber er weiß: Dafür brauchen sie Zukunftsträume.
Solche, wie im Labor von Atencio wachsen.
* * *„Coiba ist eine Apotheke am Meeresgrund“, sagt die Mikrobiologin begeistert. Seit 18 Jah- ren schürft ihre Arbeitsgruppe in Panama nach medizinisch nutzbaren Wirkstoffen – doch in Coiba haben die Forscher bislang mit Abstand die besten Funde gemacht.
Das Toxin einer Leptolyngbya-Blau-alge aus dem Riff beispielsweise greift im Laborversuch gezielt menschliche Hirntu-mor- sowie Brustkrebszellen an und bremst deren Wachstum. Der Produzent: ein Neu-ling der Wissenschaft, vor Coiba zu Hause.
Das ringförmige Diterpen einer Gorgo-nie tötet Plasmodien ab, die gegen das her-kömmliche Malariamedikament Chloroquin resistent sind. Sie entstammt: einer Spezies, die im Westen Coibas zum ersten Mal in den Meeren erblickt wurde.
Das Tyrosin-Derivat eines Schwammes schließlich (auch er natürlich bis dahin noch unbekannt) wirkt gleichzeitig gegen Ma-laria, gegen Erreger der lebensgefährlichen Chagas-Krankheit und gegen Vibrionen.
Mehr als 45 solcher aktiven, neuartigen Substanzen haben die Forscher des Indicasat- Instituts bislang aus der Tiefe Coibas gebor-gen. Weshalb aber beherbergt gerade diese vergessene Meeresgegend so viele heilende Giftmischer?
E S K Ö N N T E ein „Inseleffekt“ sein: eine von jenen magischen Kräften, die in der Biologie aus der Isola
tion hervorgehen. Denn nicht nur an Land, auch in der Tiefe steht Coiba seit Langem für sich allein.
Als sich vor mindestens drei, vielleicht gar vor 13 Millionen Jahren die panamaische Landbrücke zwischen Nord und Südamerika schloss, kapselte sie die Umgebung des Archipels in einer ozeanischen Sackgasse ab. Auf der Karibikseite nahm der Golfstrom seine bis heute das Weltklima prägenden Ausmaße an, im Ostpazifik hingegen verkümmerten zunächst die Korallen: Die Evolution war gefordert.
Nach und nach strömten Larven von Wirbellosen und Fischen aus Ozeanien ein. Neue Arten entstanden, neue Partner und Wettbewerbe, in denen die Geschöpfe
Kevan Mantell
Der bei Sheffield geborene Naturschützer hat als Steinmetz, Restaurator und Taucher an Filmsets gearbeitet, bevor er in Coiba seine Lebensaufgabe fand: Tag für Tag setzt er sich dafür ein, dass Fischer und Tauchtouristen die Vielfalt der Riffe auch für zukünftige Gene- rationen erhalten.
Retten ausgerechnet die fiesesten Giftmischer des Pazifiks dem Riff das Leben?
TREFFPUNKT COIBA
Oase am SchelfrandIn Bestlage zwischen Festland und tiefem Blau: Die Inselwelt von Coiba liegt am Rand des pazifischen
Kontinentalsockels von Zentralamerika — und führt Riffbesetzer und Hochseenomaden zusammen
Der Nationalpark Coibas umfasst eine Fläche so groß wie das Saarland; westlich schließt sich noch eine fast ebenso weite, für Fischer gesperrte Randzone an. Sie reicht bis zur Kante des Kontinentalhangs: Aus dem offenen Ozean wandern so häufig Haie, Wale und Thun-fische in das Riffgebiet ein. Akustiksender beweisen: Einige davon pendeln zwischen Coiba und den Galápa-gosinseln – Hunderte Kilometer weit
PANAMA
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Lasst sie nur kommen! Selbst stachelige Korallenkiller aus dem pazifischen wilden Westen vermag die Meeresgemeinde Coibas zu integrieren
Der giftige Dornenkronenseestern ist im Westpazifik zur Plage geworden. Seit Kurzem lebt er auch vor Coiba, richtet hier aber nur wenig Schäden an. Warum, ist noch rätselhaft: Vielleicht halten Fressfeinde ihn in Grenzen. Oder handelt es sich gar um eine neue, zahmere Unterart?
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des Meeres sich mit Zähnen, Stacheln und Giften behaupten mussten.
Viele Tiergruppen im Ostpazifik haben sich dadurch ebenso eigenständig entwickelt wie die Flora und Fauna Australiens: 80 Prozent aller Fischarten hier etwa treten nirgendwo sonst auf. Und als Meeresforscher in der Gründungsphase des Nationalparks erstmals gezielt die Korallenarten des Archipels untersuchten, war jede dritte Spezies, die sie fanden, niemals zuvor beschrieben worden.
Coiba ist ein Ort, der das Leben verändert. Das haben Mantell und Atencio beide auf ihre eigene Art stets vor Augen: er im endlosen Blau, sie am Bildschirm.
Und das vereint sie. Mantell hilft den Forschern, nach neuen Arten zu suchen.
Niemand, so sagen die Wissenschaftler, kenne die Riffe besser als er. Die Biochemiker wiederum sind mit den Ergebnis sen und den Aussichten ihrer Forschung bis in die Küstendörfer gereist, auch nach Pixvae.
„Wir haben in leuch tende Augen gesehen“, sagt Atencio. „Viele Fischer und Schulkinder hätten niemals für möglich gehalten, was aus einer kleinen Koralle vor ihrer Haustür hervorgehen kann.“
So dehnt sich auf Inseln der Horizont aus. Hier beginnt Neues, hier keimen Hoffnungen, hier bilden sich ungeahnte Zusammenschlüsse. Coiba hat Strafgefangene und Pflanzensammler verbündet, tie fenberauschte Aussteiger und Mikrobiologen – für ein gemeinsames Ziel: diesen Ort zu erhalten.
E R K Ö N N T E die Zukunft prägen, und zwar nicht nur dank neuer Medikamente. Vielleicht, so hoffen
Atencio und Mantell, birgt Coiba nämlich sogar eine – zumindest vorübergehende –Lösung auch für die größte Herausforderung, die Korallenriffe in allen Tropenregionen derzeit zu bewältigen haben.
Die Erwärmung der Welt.Seit dem 19. Jahrhundert ist die Was
sertemperatur in den Weltmeeren infolge des Klimawandels bereits um rund ein Grad gestiegen. Und immer verheerender wirken sich mittlerweile Wetteranomalien wie Wirbelstürme oder ElNiñoStrömun gen auf die ohnehin schon geschwächten Riffe der Tropen aus.
Zwischen 2015 und 2016 hat nun zum dritten Mal in nur 20 Jahren ein extremes ElNiñoPhänomen den Pazifik erfasst und das Wasser in manchen Regionen, wie vor der Küste von Queensland, auf mehr als 33 Grad Celsius überhitzt. Für viele Korallen ist das zu viel: Sie stoßen die Algen ab, die als „Untermieter“ in ihren Geweben leben. Dadurch bleichen sie aus; und wenn das Ozeanwasser nicht bald wieder kühl genug wird, um neue Einzeller aufzunehmen, sterben sie ab.
Am Great Barrier Reef in Australien sind nun fast alle Abschnitte von solchen
Stressreaktionen betroffen. Nördlich von Cairns wird sich rund ein Drittel aller Korallen wohl nicht mehr erholen, schätzen Wissenschaftler frustriert. Auch vor Hawaii, in der Karibik und auf den Malediven hat die Hitzewelle im Meer gewü
tet – und gespenstische Friedhöfe aus weißen Kalkgerippen zurückgelassen.
Die Riffe Coibas sind vom „Godzilla El Niño“ zwar nicht verschont worden. Erstaunlicherweise aber scheinen sie solchen Temperaturschocks teilweise trotzen zu können: Nur an wenigen, flachen Stellen sind die Korallenblöcke hier ausgeblichen. Ab zehn Meter Tiefe sehen die Riffe aus, als sei gar nichts geschehen.
Ein Team des SmithsonianInstituts, das die Auswirkungen des Klimawandels auf Panamas Riffe erforscht, meint, dass die Inselwelt von Coiba hier einmal mehr ihre Schöpfungskräfte unter Beweis stelle.
Die Meeresforscher vermuten, dass in dem schon von Natur aus relativ warmen und sauren CoibaArchipel besonders hitzetolerante Korallenformen heranwachsen – und dass ihre Larven auch schon nach früheren ElNiñoEreignissen so weit nach Westen gedriftet sind, dass sie stärker betroffenen Riffen wie vor Malpelo oder Galápagos geholfen haben, sich zu erholen.
Entstehen vor Coiba also bereits die Korallenarten der Zukunft? Es wäre den Inseln des Teufels zuzutrauen.
TIM LAMAN, vielfach preisgekrönter Naturfotograf, ist bei Boston zu Hause, meistens aber in Regenwäldern oder Korallenriffen zu finden.
LARS ABROMEIT mag von beiden die Unterwasserwelt lieber: Da gibt es weniger Mücken. Über die Erkundung der Meere hat der GEO-Reporter das Buch „Ozeane — Expedition in unerforschte Tiefen“ verfasst.
Gestatten: Tito! Das Krokodil, das der ehe malige Häftling Narciso Bastidas auf Coiba aufzog (siehe GEO 07/2016), ist mittlerweile gut fünf Meter lang – und hält den Sandstrand hinter der Ranger-Station besetzt
Der Anglerfisch Antennarius
avalonis tarnt sich am Riff als harm- loser Schwamm:
Schwimmt Beute vorbei, schnappt er
in Bruchteilen von Sekunden
zielsicher zu
Neue Arten, neue Heraus-forderungen: Coibas Korallen halten auch Hitzeschocks aus
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