BDEW-Magazin "Streitfragen" - 2/2015

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November 2015 Das Magazin der Energie- und Wasserwirtschaft Streit - - fragen Bundesumweltministerin Dr. Barbara Hendricks im Gespräch mit BDEW-Präsident Johannes Kempmann über Klimaziele und Dekarbonisierung Aussteigen. Aber wie? Unternehmergeist Speicherpioniere krempeln die Ärmel hoch Pro & Contra Brauchen wir eine Mindestreserve für Erdgas?

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Klimaschutz ist eine der drängenden Fragen des 21. Jahrhunderts. Vor welcher Aufgabe steht die deutsche Energiebranche angesichts der klimapolitischen Entwicklung?

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November2015

Das Magazin der Energie- und WasserwirtschaftStreit--

fragen

Bundesumweltministerin Dr. Barbara Hendricks im Gespräch mit BDEW-Präsident Johannes Kempmann über Klimaziele und Dekarbonisierung

Aussteigen. Aber wie?

Unternehmergeist

Speicherpioniere krempeln die Ärmel hoch

Pro & Contra

Brauchen wir eine Mindestreserve für Erdgas?

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INTRO Streitpunkt Energie

»Industrielle Abnehmer profitieren (...) von den niedrigen Stromein-kaufspreisen oder sind, wie die stromintensiven Unternehmen, von der EEG-Umlage befreit.«

Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) in einer Pressemitteilung am 2.10.15

INTRO • ENERGIE

2 STREITFRAGEN — November 2015

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»Die EEG- Umlage ist ein Kostenmonster.«

INTRO Streitpunkt Energie

Ingeborg Neumann, Präsidentin des Gesamt-verbandes der deutschen Textil- und Modeindustrie,

zum gleichen Anlass am 15.10.2015.

ENERGIE • INTRO

3STREITFRAGEN — November 2015

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There is work to do In December, the nations of the world gather for the COP21 climate negotiations in Paris. Hopes are high that a deal will be done. Germans will be expecting their country to be held up in Paris as an example of leadership, but things may not work out that way. Germany certainly deserves credit for its role in driving down the cost of clean energy. It is, after all, the country that brought us feed-in tariffs and the Energiewende, which pushed the wind and solar industries down the experien-ce curve, helping to make them almost fully competitive with fossil fuels.

However, Germany is also the country that brought us the world’s largest voluntary shut-down of zero-car-bon power, a rigid, statist model of climate action, and now low-emission diesel engines that aren’t in fact low in emissions. Between 2003 and 2013, the Energiewende tripled Germany’s production of renewable energy, by all measures an extraordinary achievement. But the Energiewende also saw Germany shut its fleet of safe, cheap (on a marginal cost basis), zero-carbon nuclear plants. As a result, German power generation from fossil fuels has remained almost exactly flat over those ten years. Had Germany instead decided to shut its coal-fired power plants, it could have reduced lignite use by 42 percent. On any objective analysis coal is far more harmful than nuclear power, and the world has zero chance of remai-ning within a 2°C carbon budget if it insists on first shutting its nuclear plants.

Then look at the tools Germany used to drive the Energie-wende: feed-in tariffs, regulations and targets at all levels of the economy, lubricated by generously-subsidised, state-al-located credit. The historic transformations of the telecommu-nications, Internet and other industries show that, while public support may be needed in the early stages of new technologies, there comes a time to remove barriers and allow in new entrants. Incumbents don’t lead the creation of new industrial paradigms; no bureaucrat can drive disruption in the same way as Facebook or Amazon. It should come as no surprise to Germans that the fastest-moving clean energy companies – like Tesla, Nest, First Solar and SolarCity – are all American.

Germany has much to be proud of in the drive to clean energy. But when it comes to climate, there is work to do if it wants to be recognised uncritically as a leader.

MICHAEL LIEBREICH

Guru der Cleantech-Investment-Szene, Gründer von Bloomberg New Energy Finance, Mitglied des Beratungsgremiums der UN- Initiative Sustainable Energy for All und vieles mehr

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Lieber auf Deutsch? Dann gehen Sie auf www.streitfragen.de/impulse

4 STREITFRAGEN — November 2015

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Sie5STREITFRAGEN — November 2015

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ZeitreiseSeit über zwei Dekaden finden globale Kli-

makonferenzen statt. „Streitfragen“ zeigt an sechs Beispielen, was sich im Laufe der

Zeit getan hat. 14

November 2015

SCHLAGZEILEN: 44 TERMINE/IMPRESSUM: 45OUTRO: 46

INTRO: 2 ANSTOSS: 4KUNDENDIENST: 26

»Störfaktor«Was heißt hier Flexibilität?

Flexibilität ist ein Schlüsselwort der Energiewende. Worauf sich die Energiewirtschaft einstellen muss, zeigen andere Branchen.

Nachwuchs in der Energiebranche

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8Eine Weltkarte zum Pariser GipfelDas Klima ist global. Wenn sich die Länder nicht auf verbind-liche Emissionsziele einigen können, sieht es schwarz aus. 24

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Streit--fragen

Was wäre, wenn .... . . jeder seine eigene Hausbatterie hätte? 32

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Öffentlicher Sektor

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deutsche Fassung

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SpeicherpioniereDer Anteil der Erneuerbaren am

Strommix steigt. Ihre Verfügbarkeit aber schwankt. Die Lösung:

Speicher müssen her. 38

Zahlen + FaktenWie sieht die Energiewelt 2040 aus? Die ersten Ergebnisse der BDEW- Delphi-Studie sind da. 30

Kein Geld mehr für die Kohle!Ob aus Furcht vor

sinkenden Rediten oder Political Correctness: Divestment schwächt den Markt für fossile

Ressourcen. 42

18Streitgespräch

Klimaschutz als ökonomische Chance

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Leer! Voll! Egal?Braucht Deutschland zur Sicherung der Energiever-sorgung Mindestfüllstände für Erdgasspeicher? 36

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Wer nicht flexibel ist oder wird, hat schlechte Chancen.

Auf Biegen und Beugen

F lexiblität stammt von dem lateinischen Wort „flectere“ und heißt so viel wie biegen und beugen. Aus ökonomischer Sicht ist flexibel, wer sich anpassen, wer auf neue Bedingungen reagieren kann. Die Bereitschaft, sich zu beugen oder auch auch mal zu verbiegen, mussten in den vergangenen Jahren viele Branchen und Sektoren an den Tag legen: Alteingesesse-ne Fluggesellschaften etwa mussten auf Billiglinien reagieren. Die traditionsreiche Buch-branche bekam es mit dem E-Book zu tun. Und deutsche Innenstädte mussten sich darauf

einstellen, dass die Leute lieber von der Couch aus im Internet ihre Einkäufe erledigen. Die Liste ist lang. Überleben kann nur derjenige, der mit neuen Geschäftsmodellen und Innovationen neue Wege geht. Flexibilität ist auch ein Schlüsselwort für die Umsetzung der Energiewen-de: Volatile und dezentrale Stromerzeugung, hochflexible Erdgasanwendungen, die Nutzung von Erneuerbaren Energien, der Einsatz von Speichern, Smart Grids und auch Flexibilitäten auf der Nachfrageseite verändern das Ener-giesystem in ihrem Fundament – und stellen die Energiewirtschaft vor gänzlich neue Herausforderungen. Neue intelligente und pass-genaue Technologien verändern den Markt und zwingen Unter-nehmen, schnell zu reagieren. Folgende Beispiele zeigen, wie sich andere Branchen durch Flexibilität neu aufgestellt und ihre Chance genutzt haben.

...

STÖRFAKTOR • FLEXIBEL

8 STREITFRAGEN — November 2015

Page 9: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 2/2015

Stör-faktorDehnen bis zur Schmerzgrenze:

Die Telekommunikationsbranche wurde etwa zum

gleichen Zeitpunkt liberalisiert wie die Energiewirt-

schaft. Neue Wettbewerber, disruptive Technologien

und selbstbewusste Kunden sorgten dafür, dass sich

die Unternehmen flexibel auf neue Situationen ein-

stellen mussten. Das Ergebnis: mobiles und indivi-

dualisiertes Telefonieren und Surfen von jedem Ort,

zu jeder Zeit – und das auch noch für eine Pauscha-

le. Hinzu kamen „Game Changer“ wie das iPhone,

das durch das vorsichtige Streicheln des Touchscreens

ein emotionales und haptisches Erlebnis ermöglich-

te und dadurch alle anderen Handys alt aussehen ließ.

Das Ende dieser schnelllebigen Entwicklung ist of-

fen. Auch in der Energiewirtschaft deuten sich gro-

ße Veränderungen an: Wird etwa der Batteriespei-

cher im Haushalt das iPhone der Energiewende?

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FLEXIBEL • STÖRFAKTORSTÖRFAKTOR • FLEXIBEL

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Mitsuhisa Kato, Executive Vice President Toyota

»Toyota hat neue Produktionstech­nologien entwor­fen, um bislang unbekannte Niveaus in der Flexibilität der Autoherstellung zu erklimmen.«

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Gleiche Bauteile – weniger KostenImmer mehr Modelle laufen bei Autobauern vom selben Band. Flexible Montagelinien wer-den zum Standard einer modernen Fabrik, denn der Hersteller ist in der Lage, an einem Stand-

ort mit ein und derselben Anlage unterschied-liche Modelle in unterschiedlicher Stückzahl zu fertigen. So kann die Produktion den Kunden-wünschen angepasst und eine optimale Aus-lastung der Linien gewährleistet werden. Statt

zentral vorgegeben, erhalten Maschinen an der Taktstraße künftig über QR-Codes oder RFID-Chips genaue Befehle, wie sie Werkstücke bear-beiten sollen: Ähnlich wie in der Energiewirt-schaft ist die Digitalisierung längst Realität.

STÖRFAKTOR • FLEXIBEL

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Neil Hunt, CEO Netflix

»Unsere Vision ist, dem Zuschauer zwei großartige Vorschläge zumachen. Er be­stimmt nach Lust und Laune, was er sehen will.«

Aus jedem Kätzchen wird mal eine Katze* Mit Serienhits aus eigener Produktion hat sich der Videodienst Netflix nicht nur zu ei-ner rasant wachsenden internationalen Mar-ke entwickelt, sondern vor allem den US-ame-rikanischen TV-Markt revolutioniert. Die Erfolgsgeschichte beginnt mit der Produk-tion der Politserie „House of Cards“. Da-mit schaffte das Unternehmen den Sprung vom Video-on-Demand-Dienst zum TV-Stu-dio. Seitdem schneidert der milliardenschwe-

re Konzern seine Formate auf das Publikum zu: Er hat einen Algorithmus entwickelt, um die Vorlieben der Nutzer zu erfassen und pas-sende Genres vorschlagen zu können: Pro-duktentwicklung, die sich streng an den Be-dürfnissen der Kunden orientiert. Experten sind sich sicher: Internet-Fernsehen wird klassisches, lineares Fernsehen obsolet ma-chen. Spannend wird sein, ob und wie die Platzhirsche ARD, ZDF, RTL und Co. auf die-sen neuen Herausforderer reagieren werden. *Z

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STÖRFAKTOR • FLEXIBEL

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Nur für kurze Zeit ...Angebote, die quantitativ oder zeitlich limitiert sind, üben ei-nen unwiderstehlichen Reiz aus: Habenwollen. So funktionieren Pop-up-Restaurants. Sie öffnen ihre Türen nur für kurze Zeit. Hier ist Flexibilität Unternehmensphi-losophie und das Zauberwort lau-tet temporäre Food-Performan-ce. Das verspricht Exklusivität und eine Erfahrung, die man nur zu ei-nem bestimmten Zeitpunkt ma-chen kann. In Deutschland betreibt Caterer Klaus Peter Kofler sein „Pret a Diner“ nach diesem Kon-zept. Es taucht für einige Zeit – ent-weder Tage oder einige Wochen – in einer europäischen Metropole auf und funktioniert dann wie ein Sternerestaurant, mit Profis in der Küche und im Service. Die Gäste fühlen sich geadelt, die Preise gel-ten hingegen als relativ moderat.

Klaus Peter Kofler, CEO Kofler & Kompanie

»Pop­up­Expe­riences müssen über eine kurze Zeit nicht nur die Wünsche der Gäste erfüllen, sondern auch Mehrwert bieten. Dafür bedarf es Mut und einer Vision.«

STÖRFAKTOR • FLEXIBEL

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Urbanes Wohnen nach dem Lego-PrinzipWohnraum ist knapp. Neubau dauert. Findige Architek-ten haben Frachtcontainer als urbane Behausung ent-deckt, schick designt und energieeffizient. Großer Vor-teil: Es können Module an- oder abgebaut werden. Je nach Bedarf. In Berlin gibt es seit Ende vergangenen Jah-res das deutschlandweit erste Containerdorf für Studen-ten. Die Idee dazu hatte der Berliner Unternehmer Jörg

Duske. Er feilte an Design, Form und Bau der Container. Aktuell kostet ein Single-Container im Monat so viel wie eine Einzimmerwohnung: 389 Euro, inklusive Möbel, Strom, Wasser, Internet und Heizung. Der Andrang ist groß. Jetzt wird angebaut. Ab November können die Stu-denten auch in einen dritten Komplex einziehen. Wärme und Strom für die rund 400 Einheiten des Studenten-dorfs liefert übrigens ein eigenes Blockheizkraftwerk.

Jörg Duske, Investor

»Die Wohncon tainer sind designbar in Form und Größe –das ist die große Chance. Man kanndie Räume zusam­men bauen wie Lego­Bausteine.«

FLEXIBEL • STÖRFAKTORSTÖRFAKTOR • FLEXIBEL

13STREITFRAGEN — November 2015

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14 STREITFRAGEN — November 2015

ZEITREISE • INTERNATIONALE KLIMAPOLITIK

Skyline von Shanghai: Smog gehört in chinesischen Mega-metropolen zum Alltag.

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15STREITFRAGEN — November 2015

INTERNATIONALE KLIMAPOLITIK • ZEITREISEZEITREISE • INTERNATIONALE KLIMAPOLITIK

Ein Gipfel vor dem Gipfel in New York bei der UN-Vollversamm-lung im September 2015. Papst Franziskus, Chinas Präsident Xi und Barack Obama sind sich ei-nig: Das Klima darf nicht kippen.

Alles soll dafür unternommen werden. Die Wirtschaftsmächte haben schon im vergangenen Jahr gemeinsame Ziele ver-einbart. Die USA wollen ihren CO₂-Aus-stoß bis 2025 um 28 Prozent verringern. Peking will mit der Einsparung im Jahr 2030 beginnen und bis dahin den Anteil von Erneuerbaren am Energiemix auf 20 Prozent steigern. Und jetzt gibt der Papst seinen Segen dazu.

Wie sieht es in Deutschland aus? Was ist am Nordpol los? Wie reagiert der größte Rückversicherer der Welt, Munich Re, auf die klimatischen Veränderungen? Und ist das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) hilfreich, um Verände-rungen zu unterstützen?

BEDRÄNGTER NORDPOL Die Arktis zeigt am deutlichsten, was die Klimaveränderung bewirkt. Die Erwär-mung über den Eisflächen nahm in den 1990er-Jahren doppelt so stark zu wie auf der restlichen Erde. Stabil zwischen ein und zwei Grad Celsius über dem Niveau von Messungen zwischen 1950 und 1990. Dabei ist nicht nur die Verbrennung fossi-ler Energieträger durch Industrie, Haushal-te oder Verkehr schuld – Brandrodungen in Südamerika, Afrika und Asien haben ebenso großen Einfluss. Dies zeigt, wie

stark die Faktoren miteinander verflochten sind. Die Produktion von Nahrungsmit-teln, übrigens auch ein Millenniumsziel der Vereinten Nationen, schlägt sich nieder im Eisabbruch an den großen Schelfen. Die Konzentration von Treibhausgasen über den Polkappen ist überproportional groß. Das Eis schmilzt, weil sich das Meerwas-ser erwärmt. Darunterliegende Erdforma-tionen kommen zum Vorschein. Weil die schmelzende Eis- und Schneefläche we-niger Sonnenlicht reflektiert, wird dieses stärker absorbiert – es wird noch schneller wärmer. Die Effekte stärken sich gegensei-tig. Ein klassischer Fall von positiver Rück-kopplung, die sich so lange aufschaukelt, bis das Eis verschwunden wäre. Doch ob es sich dabei um eine unumkehrbare Ent-wicklung handelt – darüber sind sich die Experten uneins.

DEUTSCHLAND, DER MUSTERKNABE Umweltschützer aus aller Welt preisen das deutsche Modell. Der Anteil erneuerba-rer Energien von gut 30 Prozent im Jahr 2015 an der gesamten Stromproduktion ist eine Größe, um die man die Deutschen beneidet. Das in den vergangenen 30 Jah-ren entstandene Umweltbewusstsein hat alle gesellschaftlichen Milieus erreicht – und sich in konkreten Ergebnissen verfes-tigt. Ob bei der Mülltrennung, dem stei-genden Anteil der Radler am städtischen Verkehr oder dem Verzehr von biologisch erzeugten Lebensmitteln: Nachhaltigkeit ist normal geworden. Nach acht Jahren rot-grüner Regierungen, die sich beson-

ders für ökologische Themen engagier-ten, ist Grün auch für die Konservativen Mainstream. Die Energiewende nahm ge-rade richtig Fahrt auf, als das Reaktorun-glück in Fukushima die Welt erschütter-te und die Bundesregierung zum Ausstieg aus der Kernenergie veranlasste. Dennoch hat Deutschland seine Vorreiterposition bei der Verfolgung der Klimaschutzziele behalten. Nach drei Jahren, in denen auch hierzulande die Werte wieder stiegen, ge-lang 2014 im Vergleich zum Vorjahr eine erneute Senkung. Spätestens seit dem Kyoto-Protokoll 1997 wurde der Schutz der Erdatmosphäre international immer wichtiger. Aber in Deutschland war der CO₂-Ausstoß im letzten Jahr tatsächlich um 27 Prozent niedriger als 1990. Davon träumt China bisher nur.

DER DRACHE WACHT AUF In China sterben vier Millionen Men-schen jährlich an der Luftverschmutzung. Der Fortschritt kostet Leben. Das hat die Regierung erkannt und erstmals konkrete Zahlen veröffentlicht. Die Smog-Bekämp-fung wird nicht billig. Nach einer Schät-zung der staatlichen Akademie für Um-weltplanung kostet sie umgerechnet 210 Milliarden Euro bis zum übernächsten Jahr. Eine gewaltige Summe. Wachstum und Umweltschutz sind sich noch nicht grün. Die chinesische Delegation stand gemeinsam mit der amerikanischen regel-mäßig auf der Bremse, wenn es um die Ra-tifizierung internationaler Klimaverein-barungen ging. Das hat sich geändert.

Globale Klimapolitik: Und sie bewegt sich doch

Im Dezember gibt es die UN-Klimakonferenzen 25 Jahre. Was hat sich bewegt seit Genf 1990? Tendenz: Es gibt wohl Licht am

Ende des Tunnels, aber der Tunnel ist noch sehr lang.Von REINER SCHWEINFURTH

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16 STREITFRAGEN — November 2015

ZEITREISE • INTERNATIONALE KLIMAPOLITIK

eignisse – Dürren, Waldbrände, Tempe-raturextreme – fast verdoppelt haben. Wer also noch Zweifel haben sollte, dass die Klimaveränderung zu einer globalen Ge-fährdung führt, dem sagt Prof. Peter Höp-pe, der Leiter der Georisikoforschung des Konzerns: „Wir können sehen, mit wel-chen Ereignissen wir künftig häufiger rechnen müssen.“

In reichen Länder helfen Versicherun-gen beim Wiederaufbau nach Katastro-phen, in armen ist das nicht so einfach. Für Munich Re ist klar, dass zur Eindämmung klimagefährdender Emissionen viel mehr getan werden müsste. Auch wer nichts für den Klimaschutz tut, müsse bezahlen – und sei es für den Umgang mit den Folgen des Klimawandels.

DER MAHNUNGEN DES IPCC Die UN und die Weltorganisation für Me-teorologie gründeten 1988 den IPCC. Ein Braintrust, der über den Wissensstand in der Klimaforschung berichtet. Im Bericht 2013 steht: „Die Erwärmung des Klima-systems ist eindeutig, und viele dieser seit den 1950er Jahren beobachteten Verän-derungen sind seit Jahrzehnten bis Jahr-tausenden nie aufgetreten.“ Die Zusam-menfassung des IPCC lässt keinen Zweifel an der dramatischen Zuspitzung kriti-scher Wetterlagen. Ob es sich um Nie-derschläge handelt, um Wirbelstürme, Wärme perioden, Dürren – überall ist mit einer Zunahme menschengemachter Ka-tastrophen zu rechnen. Einen Königs-weg, die Lebensgrundlagen zu erhalten, gibt es nur insofern, als an den erforder-lichen Maßnahmen unermüdlich gearbei-tet werden muss. Die Begriffe ändern sich nicht: Nachhaltigkeit, Kohlendioxid-Re-duzierung, technologische Anpassung, Ressourcenschonung. Die Technik allein wird es nicht regeln. Verhaltensänderun-gen gehören auch dazu. Wie kommuni-ziert man die Binsenweisheit, dass weniger mehr ist?

Für die Klimakonferenz in Paris steht die Agenda seit Langem fest. Zum ers-ten Mal seit über 20 Jahren soll die Ver-einbarung für Industrie- und Entwick-lungsländer rechtlich bindend sein: die Emisson von Treibhausgasen deutlich zurückzufahren. Die beiden größten Umweltverschmutzer der Welt – die USA und China – wissen, dass die Zeit der un-verbindlichen Absichtserklärungen zu Ende ist.

Seit einigen Jahren gibt es im Reich der Mitte einen Solarboom sondergleichen. Hoch subventioniert gehen Anlagen ans Netz, der Ausbau wird ungebremst fort-gesetzt. Die Klimawandel hat einen Vor-marsch der Wüsten ausgelöst. Der muss gestoppt werden und führt zu Auffor-stungsmaßnahmen ohne Beispiel. Riesige Schutzwälder bedecken bereits eine Fläche von 22 Millionen Hektar – das entspricht knapp der Fläche Großbritanniens.

WELTMACHT MIT SCHEUKLAPPENAuch die Vereinigten Staaten sind schon jetzt von den Folgen des Klimawandels massiv betroffen. Doch weil große Teile der Politik den Klimawandel schlicht ne-gieren, gibt es nach wie vor keine durch-greifenden Maßnahmen zur CO₂-Begren-zung. Die sichtbarsten Auswirkungen sind die sich häufenden Dürren. Das Phä-nomen ist nicht neu, gehört zu den kli-matischen Eigenschaften der Landmasse. Aber die Häufigkeit und die zunehmen-de Stärke überraschen die Meteorologen. Die aktuelle Trockenheit in Kalifornien ist die schlimmste seit 1.200 Jahren, wie Un-tersuchungen an Bäumen zeigen. Allein im laufenden Jahr wird in der Landwirt-schaft mit Einbußen von zwei Milliarden Dollar gerechnet. Tausende von Arbeits-plätzen gehen in der Region verloren. Der Bundesstaat ist nicht irgendein Anbauge-biet, sondern die weltweit größte landwirt-schaftlich genutzte Fläche. Und was wird dagegen getan? So gut wie nichts. Kalifor-nien denkt lieber über Entsalzunganlagen nach. Neue Energiefresser.

Klimaschutzmaßnahmen wirken sich nicht von heute auf morgen aus. Dieser Zeitverzug ist eines der größten Hemm-nisse. Präsident Obama macht jetzt aber ernst. Er verkündete im August, dass Kraftwerke in den USA erstmals ihren Schadstoffausstoß reduzieren müssen – bis 2030 um 32 Prozent im Vergleich zu 2005. Doch ein Gesetz dazu gibt es noch nicht. Dafür Streit zwischen Demokraten und Republikanern.

AM ENDE ZAHLT DIE VERSICHERUNG Munich Re warnt seit Jahren vor den teu-ren Folgen der Klimaveränderung. Vie-le Risiken wie Überschwemmungen oder Wirbelstürme konnten lange kalkuliert werden. Das wird schwieriger. Seit den 1980er-Jahren stellen die Schadensregu-lierer fest, dass sich klimatologische Er-

DIE KLIMAKONFERENZEN IM ÜBERBLICK

1990 Genf 1992 Rio de Janeiro Unterzeichnung der auf Basis einer UN-Reso-lution von 1989 erarbeiteten Klimarahmenkon-vention durch 150 Staaten 1995 Berlin Hauptanliegen: Überprüfen der Klimarahmen-konvention auf effektiven Klimaschutz 1996 Genf 1997 Kyoto Verabschiedung rechtsverbindlicher Begren-zungs- und Reduzierungsverpflichtungen für die CO₂-Emissionen der Industrieländer 1998 Buenos Aires 1999 Bonn 2000 Den Haag 2001 Bonn Einigung trotz des Ausstiegs der USA aus dem Kyoto-Protokoll und damit Voraussetzungen geschaffen für die Ratifikation des Protokolls 2001 Marrakesch 15 Entscheidungen zur Ausgestaltung und Umsetzung des Kyoto-Protokolls, unter ande-rem zum System der Erfüllungskontrolle 2002 Neu-Dehli 2003 Mailand Abschluss der zweijährigen Verhandlungen über die Regeln für die Aufforstungs- und Wie-deraufforstungsprojekte in Entwicklungsländern 2004 Buenos Aires 2005 Montreal Fahrplan zur Fortentwicklung des internationa-len Klimaschutzregimes post 2012 2006 Nairobi Vereinbarung von Investitionen von 1,25 Milliar-den Euro als konkreter Beitrag zur Überwin-dung der Energiearmut in Afrika 2007 Bali 2008 Posen Übereinkunft, bis Mitte Februar 2009 nationale Minderungsziele beziehungsweise -maßnahmen für 2020 zu benennen 2009 Kopenhagen Politische Willenserklärung: Begrenzung des globalen Temperaturanstieg auf unter zwei Grad Celsius 2010 Cancún Errichtung eines globalen Klimafonds 2011 Durban 2012 Doha Das Kyoto-Protokoll wird fortgesetzt 2013 Warschau Fahrplan für ein neues Klimaabkommen und Eckpunkte zur Finanzierung von Klimaschutz-maßnahmen 2014 Lima 2015 Paris

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17STREITFRAGEN — November 2015

INTERNATIONALE KLIMAPOLITIK • ZEITREISEZEITREISE • INTERNATIONALE KLIMAPOLITIK

Oben links:Windräder in Schleswig-Holstein.Oben rechts:Als Teil eines Aufforstungsprogramms pflan-zen Koreaner und Mongolen unweit der mon-golischen Hauptstadt Ulan Bator Bäume.Unten:US-Präsident Barack Obama und Bundes-kanzlerin Angela Merkel diskutieren wäh-rend des G7-Gipfels 2015 in der oberbayerischen Stadt Krün auch über globale Klimapolitik.

Page 18: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 2/2015

„Wir brauchen einen sauber strukturierten Prozess“Bundesumweltministerin Dr. Barbara Hendricks im Gespräch mit BDEW-Präsident Johannes Kempmann zu Klimaschutz und deutscher Energiepolitik.

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Kurz vor dem Klimagipfel in Pa-ris treffen in Berlin die Bun-desumweltministerin und der BDEW-Präsident zusammen. Vor welcher Aufgabe, so die Fra-ge, steht die deutsche Energie-wirtschaft im Angesicht der kli-

mapolitischen Entwicklung – und welche Forderungen stellen sich aus der Politik?

Gehen Sie hoffnungsvoll nach Paris, Frau Dr. Hendricks?

Dr. Barbara Hendricks: Ja, ich bin posi-tiv gestimmt, denn im Unterschied zu an-deren Konferenzen haben sich auch die Vereinigten Staaten und China auf Zie-le verpflichtet. Zugleich können wir den Ländern des Südens in Bezug auf die Er-neuerbaren, die jetzt marktgängig sind, Entwicklungschancen aufzeigen. Das ist ganz wichtig für die Vertrauensbildung.

Johannes Kempmann: Die Hoffnung tei-len wir. Aber die Definition von Zielen al-lein wird nicht reichen. Was wir brauchen, sind verbindliche Umsetzungsmechanis-men, sonst bleiben wir am Ende des Tages wieder im Unverbindlichen. Kriegen wir einen Zertifikatehandel außerhalb der EU ausgeweitet, am besten weltweit? Das ist die entscheidende Frage.

Hendricks: Verbindliche Umsetzungsme-chanismen wird es nicht geben, weil alle

Länder von ganz unterschiedlichen Vor-aussetzungen ausgehen. Jedes Land wird einen Beitrag nach seinen eigenen Mög-lichkeiten leisten müssen und können.

Kempmann: Wir brauchen sie aber. Nati-onale Alleingänge sind ja sehr ehrenwert, aber am Ende des Tages verlagern wir da-mit nur Emissionen von einem Land ins andere. Und dann haben wir fürs Klima überhaupt gar nichts geschafft.

Johannes Kempmann, Präsident des BDEWund Technischer Geschäftsführer der Städtischen Werke Magdeburg, vor dem Bundesumweltministerium.

Hendricks: Natürlich müssen wir ver-meiden, dass es Verlagerungen von in-dustrieller Produktion allein wegen des Emissionshandels geben wird. Daran ha-ben wir nicht nur ein ökonomisches, son-dern auch ein klimapolitisches Interesse. Ich bin im Übrigen sicher, dass wir auch ohne Verpflichtung einen weit über Euro-pa hinausgehenden CO₂-Emissionshan-del bekommen werden. Die Chinesen sind dabei, ihn landesweit einzuführen, die Emissionshandelssysteme von Kaliforni-en und Quebec haben sich miteinander verbunden – da wächst was zusammen.

Ist der Klimaschutz als Ziel in der Energie-wirtschaft angekommen, Herr Kempmann?

Kempmann: Ja natürlich. Wir haben uns schon vor Jahren auf eine CO₂-neutra-le Energieversorgung im Jahr 2050 fest-gelegt. Das weiß mancher vielleicht nicht mehr so genau, aber das ist Beschluss-lage. Momentan ringen wir intern um die Frage, was die richtigen Schritte sind, um da hinzukommen? Darum geht es auch in den Auseinandersetzungen mit der Bundesregierung. Insgesamt sind die Auswirkungen der Energiewende auf die Produktionsbedingungen der Ener-giewirtschaft noch nicht wirklich in den Köpfen angekommen. Damit wir in Zu-kunft weitgehend ohne Kohle und ohne Gas Strom produzieren können, ist ein gewaltiger Strukturwandel nötig. Da-

18 STREITFRAGEN — November 2015

STREITGESPRÄCH • KLIMASCHUTZ ALS ÖKONOMISCHE CHANCE

Moderation TOM LEVINE

Page 19: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 2/2015

„Wir brauchen einen sauber strukturierten Prozess“

BundesumweltministerinDr. Barbara Hendricks.

STREITGESPRÄCH • KLIMASCHUTZ ALS ÖKONOMISCHE CHANCE

Page 20: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 2/2015

»Wenn wir auf 80 Prozent kommen wollen, brauchen wir sehr dringend Speicher, sonst wird das nichts.«Johannes Kempmann

»Allen muss klar werden, dass die Produktion und Verstromung von Braunkohle endlich ist.«Dr. Barbara Hendricks

gegen ist, mit Verlaub, der Ausstieg des Ruhrgebiets aus der Kohleförderung ein Klacks gewesen. Deswegen brauchen wir sehr schnell einen wirklich offen ge-führten gesamtgesellschaftlichen Dis-kurs, um die Kernfragen, die Meilenstei-ne zu definieren. Wer bezahlt das alles? Was darf das kosten? Was brauchen wir an Speichern, was an Netz? Wir führen diese Diskussion innerhalb des Verban-des mit harten Auseinandersetzungen der unterschiedlichen Sparten, die oft unterschiedliche Interessen haben. Als

Verband wollen wir aber sprechfähiger werden, als wir das heute sind.

Hendricks: Es ja nicht verwerflich, dass die Interessenlagen unterschiedlich sind. Wir haben doch immerhin eine Überein-kunft über das Ziel. Im Jahre 2050 wollen wir Strom mindestens zu 80 Prozent aus erneuerbaren Energien gewinnen und im Verhältnis zu 1990 80 bis 95 Prozent we-niger CO₂ ausstoßen. Innerhalb der EU muss Deutschland eher 95 als 80 Pro-zent Minderung beitragen. Darüber, wie man dann dorthin kommt, gibt es na-türlich gesellschaftliche Auseinanderset-zungen. Das große Thema ist: Wie gehen wir mit der Verstromung von Kohle um? Nach Lage der Dinge wird man davon ausgehen können, dass 2050 der konven-tionelle Anteil der Stromproduktion eher vom Gas als von der Kohle kommt. Da müssen wir einen strukturierten Prozess hinbekommen.

Kempmann: Wir gehen dieses Thema ja gerade mit den 2,7 Gigawatt Braunkoh-le an, die in die Reserve gehen. Klimapo-litisch ist das kein Beitrag, der irgendwie hilft. Es wird ja deswegen kein einziges

Gaskraftwerk in Deutschland extra lau-fen. Aber ich bin trotzdem dafür, dass wir das so machen. Weil von allen Akteuren das politische Signal ausgeht: Wir gehen diesen Strukturwandel jetzt an. Und wir flankieren ihn, damit es nicht zu sozialen Verwerfungen führt.

Hendricks: Deswegen glaube ich auch, dass sich die Unternehmen und die Ar-beitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit ihren Betriebsräten darauf einstellen wer-den. Ein Prozess, den man über 25 bis 30 Jahre steuern kann, hilft Strukturbrüche zu vermeiden. Im rheinischen Revier, zwi-schen Düsseldorf, Köln und Aachen, wird der Anpassungsprozess Zeit brauchen, aber es wird verhältnismäßig leichter sein als in der Lausitz oder im mitteldeutschen Revier. Ich kann da niemandem raten, was genau zu tun ist. Das liegt in der Ver-antwortung der Landesregierungen, wo-bei die Bundesregierung natürlich unter-stützen kann und wird. Aber alle müssen sich klar darüber werden, dass die Pro-duktion und Verstromung von Braunkoh-le endlich ist.

Aber reicht die Geschwindigkeit im Prozess? Steigen wir schnell genug um?

Hendricks: Wir hatten im ersten Halbjahr 32 Prozent des Bruttostromverbrauchs aus Erneuerbaren. Das ist noch ein gan-zes Stück von 80 Prozent entfernt. Aber unser Klimaaktionsplan beschreibt ja die Schritte, die wir gehen müssen. Bis 2020 werden wir gegenüber 1990 minus 40 Pro-zent weniger Treibhausgase erreichen, bis 2030 haben wir uns auf minus 55 Prozent verpflichtet. Damit sind wir innerhalb der Europäischen Union quasi am oberen Fo

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20 STREITFRAGEN — November 2015

Page 21: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 2/2015

Rand des Ehrgeizes. Die 40 Prozent will die Europäische Union erst im Jahr 2030 erreichen. Wir sind schon bei denjenigen, die im Geleitzug vorne sind. Das müssen wir aber auch, weil wir das bedeutendste Industrieland sind.

Kempmann: Ich habe ein bisschen Zwei-fel, ob das alles so funktioniert. Nehmen wir mal das Thema Speicher. Wir nutzen im Moment das gesamte europäische Ver-bundnetz als Resonanzboden für unseren Überschussstrom. Den schieben wir nach Frankreich, nach Polen, nach Tschechi-en. Unsere östlichen Nachbarn haben da-mit erhebliche Probleme und bauen in-zwischen elektronische Grenzzäune auf. Wenn die anderen auch auf diese Idee kommen, dann funktioniert das europäi-sche Verbundnetz nicht mehr. Das ist so. Das hat was mit Physik zu tun, und die entzieht sich bekanntlich der politischen Mehrheitsbildung. Wenn wir auf 80 Pro-zent kommen wollen, brauchen wir sehr dringend Speicher, sonst wird das nichts.

Hendricks: Das ist eine Voraussetzung, richtig. Wobei ich an dieser Stelle den deutschen Netzbetreibern durchaus mal ein Kompliment aussprechen möchte.Dass wir mit diesen Volatilitäten im Netz so gut umgehen, so gut wie nie Strom-ausfälle haben in der Bundesrepublik Deutschland, das wird in anderen Teilen der Welt mit Hochachtung gesehen.

Aber bleibt das auch so? Schon jetzt zie-hen sich Investoren aus Investitionen in konventionelle Kraftwerke zurück.

Hendricks: Auf den internationalen Fi-nanzmärkten sehen wir, dass Investoren sich aus der Produktion fossiler Energie-träger zurückziehen, aber dass das schon Kraftwerke betrifft, sehe ich so nicht.

Kempmann: Wir schon. Wir erheben die Zahlen regelmäßig. Schon heute stehen rund 53 Prozent aller geplanten Kraft-werksneubauten infrage. Ab 2022 werden so viele Kraftwerke in Deutschland abge-schaltet, dass wir jetzt schon in Erneue-rung gehen müssten. Dies wird es aber nur geben, wenn Investoren die Chance sehen, mit ihrem Geld auch etwas verdienen zu können. Bei den derzeitigen Rahmen-bedingungen ist das nicht gegeben. Wir brauchen deshalb einen Kapazitätsmarkt.

Ich hoffe, dass dieses Thema nach der Bundestagswahl 2017 neu diskutiert wer-den kann. Und wir brauchen einen neuen Vorstoß bei der Kraft-Wärme-Kopplung. Wir haben jetzt eine Novelle, das ist schon mal gut, aber damit werden wir nicht mal den Bestand erhalten können.

Herr Kempmann, ist die Energiewirtschaft selbst aktiv genug?

Kempmann: Sie wäre es ja gerne. Gucken wir uns zum Beispiel das Thema Forschung und Entwicklung an. Da ist die Energie-wirtschaft ganz anders aufgestellt als zum Beispiel die Automobilindustrie oder die Pharmaindustrie. Das hat aber nicht so sehr etwas damit zu tun, dass wir For-schung nicht wollen. Wir können das in-zwischen kaum noch. Da ist nicht mehr ge-nug Kapital da. Viele Energieunternehmen kämpfen ums Überleben. Da haben wir in-dustriepolitisch ein riesengroßes Problem.

Hendricks: Gerade an der Stelle ist die öf-fentliche Forschungsförderung außer-ordentlich umfangreich. Das sollten Sie nicht vergessen.

Kempmann: Die Anstrengungen des Bundesforschungsministeriums sind aus-drücklich zu loben, aber darum geht’s mir gar nicht. Ein Beispiel: Samsung hat Tausende Leute, die sich mit Batteriefor-schung befassen. Ein Unternehmen. Wo sind die denn bei uns? Die Energiewirt-schaft hat rund 200 Millionen Euro an Forschungsaufkommen. Das ist so

Hendricks & Kempmann im Gespräch.Den Strukturwandel angehen.

KLIMASCHUTZ ALS ÖKONOMISCHE CHANCE • STREITGESPRÄCH

Page 22: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 2/2015

»Wir nageln kilometerlang Pho-tovoltaikmodule aus China an die Wand und finden das innovativ.«Johannes Kempmann

ungefähr ein Prozent der EEG-Umla-ge. Wir erreichen damit null Innovation. Wir nageln kilometerlang Photovoltaik-module aus China an die Wand und fin-den das innovativ.

Hendricks: Entschuldigung, das ist doch eine Folge von Forschung und Entwick-lung. Sonst wären die Chinesen doch nie auf die Idee gekommen, Solarmodule zu produzieren.

Ist die Energiewende ein Erfolgsmodell für die restliche Welt oder haben wir uns dank Überbürokratisierung lächerlich gemacht?

Hendricks: Nein, lächerlich gemacht ha-ben wir uns ganz und gar nicht. In der Welt wird überwiegend mit Bewunde-rung auf die Energiewende geschaut, aber natürlich auch abwartend, wie schaffen die das? Und wir sind nicht überbürokratisiert. Wir haben mit dem EEG ein Markteinführungsprogramm gemacht, weil wir die Ersten waren. Die anderen machen es jetzt anders, ist doch völlig klar. Die Systeme sind ja auch preiswerter geworden. Dass wir jetzt selbst etwas ändern, also etwa die feste Einspeisevergütung durch Ausschrei-bungsmodelle ablösen, das zeigt ja, dass wir das Handling ständig anpassen.

Kempmann: Das Thema Bürokratisie-rung kann man schon unterschiedlich se-hen. Raten Sie mal, wie viele Tarife es bei den EEG-Abrechnungen gibt inzwischen? 100? 400? Weit über 4.000! Die müssen die Verteilnetzbetreiber überall und bis hinter Posemuckel vorhalten. Bei jeder IT-Migration müssen sie das mitnehmen. Und jede Extraregelung ist gut gemeint

und gut begründbar, hat aber wahnsinni-ge Auswirkungen am langen Ende. Auch was die Netze angeht, sind wir in einem Regulationskorsett, das gerade in kleine-ren Unternehmen unglaublich viel Auf-wand bedeutet.

Hendricks: Vom Prinzip her kann ich Ih-nen nicht widersprechen. Aber wenn man versucht, etwas zu verändern, was einmal auf andere Weise zugesagt war, dann gibt es immer gleich größte öffentliche Anteil-nahme. Das gelingt einfach nicht immer.

Wir haben jetzt ausführlich über die Strom-produktion geredet. Was ist mit Wärmemarkt, Mobilität und Landwirtschaft? Passiert da was? Passiert da genug, Frau Ministerin?

Hendricks: Wir haben das im Blick und gehen das mit unserem Aktionspro-gramm Klimaschutz 2020 an. Die Bun-

desregierung hat die Beiträge definiert, die die verschiedenen Sektoren zu erbrin-gen haben. Klar steht die Stromprodukti-on im Vordergrund. Aber wir müssen die Sektoren Strom und Wärme und Verkehr stärker als bisher integrativ betrachten. Wie wirkt das in einem Gesamtsystem zu-sammen, wie lassen sich Synergien heben, die uns sowohl industriepolitisch als auch klimaschutzpolitisch und energiepolitisch voranbringen? Da gibt es noch zu viele Hemmnisse; wir sind dabei, die zu identi-fizieren, um sie dann abbauen zu können.

Kempmann: Viele sind der Meinung, wenn man nur relativ schnell relativ vie-le EEG-Anlagen in die Landschaft stellt, dann wird das schon mit der Energie-wende. Das ist völlig verkürzt gedacht. Wir brauchen die Landwirtschaft, den Verkehr, wir brauchen insbesondere den Wärmebereich, um am Ende des Tages Fo

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22 STREITFRAGEN — November 2015

STREITGESPRÄCH • KLIMASCHUTZ ALS ÖKONOMISCHE CHANCE

Page 23: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 2/2015

Kommentare zum Thema auf www.streitfragen.de/debatten

»Unsere Position ist es nicht, den Verkehrssektor mit in den ETS-Markt einzubeziehen.«Dr. Barbara Hendricks

die CO₂-Einsparziele zu erreichen. Als erstes brauchen wir einfach einen funk-tionieren Emissionszertifikatehandel im Stromerzeugungssektor.

Hendricks: Unsere Position ist es nicht, den Verkehrssektor mit in den ETS-Markt einzubeziehen.

Kempmann: Nein, das nicht. Aber wir reden seit vier Jahren über die Frage der steuerlichen Förderung von Gebäude-sanierungen. Und Bund und Länder kön-nen sich darüber nicht einigen. Jetzt geht’s um solche irrsinnigen Themen wie die Frage des Handwerkerprivilegs. Ein Euro Steuererleichterung in diesem Bereich, das wissen wir doch, wird bis zu acht Euro privates Kapital mobilisieren.

Hendricks: Ich bedaure es auch, dass Bund und Länder sich darauf nicht haben

einigen können. Aber vergessen Sie nicht die anderen Fördermöglichkeiten, die wir aufgelegt haben: Zinsverbilligungen und die Zuschussförderung. Die sind für Pri-vateigentümer, die ihr Einfamilienhaus energetisch sanieren wollen, eigentlich das Mittel der Wahl.

Zum Schluss noch mal zurück zum Thema Dekarbonisierung. Sehen wir dem nächsten Ausstieg entgegen? Ist das in der Industrie und in der Politik angekommen?

Hendricks: Ja. Es ist davon auszugehen, dass es in 25 oder 30 Jahren keine Kohle-verstromung in Deutschland mehr geben wird. Es kann ja auch gar nicht anders gehen, wenn man sich den Strommix im Jahr 2050 anguckt, auf den wir uns seit 2007 geeinigt haben. Um der Redlich-keit und der Menschen willen, die in den Kohlerevieren leben und arbeiten, müs-

sen wir einen strukturierten Prozess be-schreiben und steuern, wie wir unter Rücksichtnahme auf die regionale Wirt-schaft und die Beschäftigten Alternati-ven entwickeln.

Kempmann: Da sind wir uns einig. Wir brauchen einen sauber strukturierten Prozess. Der fängt damit an, dass man umfänglich die Fragen auflistet, die in diesem Zusammenhang zu beantwor-ten sind. Und da geht es dann nicht nur um die Lausitz. Es ist viel umfänglicher. Die Dekarbonisierung betrifft die gesam-te Wertschöpfungskette der Industrie in Deutschland. Wir brauchen dringend ei-nen sauber aufgesetzten gesamtgesell-schaftlichen Diskurs über diese Frage. Da stecken wir im Moment alle die Köp-fe in den Sand. Das können wir aber nicht mehr lange aushalten. Sonst verzetteln wir uns in einer Fülle von Einzelmaßnah-men, die am Ende des Tages nicht zusam-menpassen. Wir brauchen klare politische Rahmenbedingungen, damit die Indus-trie entscheiden kann, was im Einzelnen passieren muss. Je mehr Markt wir dort zulassen können, umso besser ist es. Die Branche steht für diesen Dialog bereit.

Hendricks: Dazu genau dient der Grün-buch- und Weißbuchprozess, den mein Kollege Sigmar Gabriel aufgesetzt hat. All diese vielen Fragen müssen in dem Zu-sammenhang tatsächlich auf den Tisch kommen und beantwortet werden.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

Barbara Hendricks und Johannes Kemp-mann im Bundesum-

weltministerium: Ganz überwiegend

guckt sich die Welt die deutsche Energiewen-de mit Bewunderung an oder mit Neugier, wie schaffen die das?

23STREITFRAGEN — November 2015

STREITGESPRÄCH • KLIMASCHUTZ ALS ÖKONOMISCHE CHANCE KLIMASCHUTZ ALS ÖKONOMISCHE CHANCE • STREITGESPRÄCH

Page 24: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 2/2015

LÄNDER MIT DEM HÖCHSTENCO₂-AUSSTOSS,in 2012, in Millionen Tonnen

CO₂-AUSSTOSS NACH REGIONENUND PRO KOPF IM VERGLEICH,1990 und 2013

ANTEIL AM WELTWEITEN ENERGIEVERBRAUCH,1990, 2013 und 2035 (Prognose), in Prozent

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GESAMT CO₂-AUSSTOSS,in Gigatonnen

PRO KOPFCO₂-AUSSTOSS,in Tonnenin 2013

in 2013

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in 1990

LEGENDE

Bei der Dymaxion-Weltkarte, einem 1946 patentierten Projektionsverfah-ren vom amerikanischen Architekten Richard Buckminster Fuller, wird eine Weltkarte auf ein Polyeder projiziert und kann so durch Auffaltung auf unterschiedliche Weise als zweidimensionale Karte dargestellt werden.

24 STREITFRAGEN — November 2015

KARTE • KLIMAPOLITIK

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LEGENDE

Bei der Dymaxion-Weltkarte, einem 1946 patentierten Projektionsverfah-ren vom amerikanischen Architekten Richard Buckminster Fuller, wird eine Weltkarte auf ein Polyeder projiziert und kann so durch Auffaltung auf unterschiedliche Weise als zweidimensionale Karte dargestellt werden.

WELTWEITER CO₂-AUSSTOSS NACH SEKTOR,Anteile in Prozent

CO₂-AUSSTOSS NACH REGIONENUND PRO KOPF IM VERGLEICH,1990 und 2013

TOP 10 DER LÄNDER MIT DER HÖCHSTENVERÄNDERUNG IM PRIMÄRENERGIEVERBRAUCH,zwischen 2004 und 2014, in Prozent

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LEGENDE

Bei der Dymaxion-Weltkarte, einem 1946 patentierten Projektionsverfah-ren vom amerikanischen Architekten Richard Buckminster Fuller, wird eine Weltkarte auf ein Polyeder projiziert und kann so durch Auffaltung auf unterschiedliche Weise als zweidimensionale Karte dargestellt werden.

Page 26: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 2/2015

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ÖLGAS KOHLE NUKLEARWASSER-KRAFT

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GESAMT CO₂-AUSSTOSS,in Gigatonnen

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in 1990

LEGENDE

Bei der Dymaxion-Weltkarte, einem 1946 patentierten Projektionsverfah-ren vom amerikanischen Architekten Richard Buckminster Fuller, wird eine Weltkarte auf ein Polyeder projiziert und kann so durch Auffaltung auf unterschiedliche Weise als zweidimensionale Karte dargestellt werden.

ENTWICKLUNG DER WELTWEITEN STROMERZEUGUNG AUS ERNEUERBAREN ENERGIEN,in Terawattstunden

INVESTITIONEN IN ERNEUERBARE ENERGIEN,in entwickelten und Entwicklungsländern,in Milliarden US-Dollar

LÄNDER MIT DER HÖCHSTEN INSTALLIERTEN KAPAZITÄT AN ERNEUERBAREN ENERGIEN,Anteile an der Stromproduktion weltweit, in Prozent

Page 27: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 2/2015

3641 5414

2007

+48,7%

2014

+22,5%

+51,3%

2004

2014 12928

10556

WELT

in 1990: 20,97

in 2012: 31,73

5

PRO KOPF CO₂-AUSSTOSS,in Tonnen in 1990

4

PRO KOPF CO₂-AUSSTOSS,in Tonnen in 2012

25STREITFRAGEN — November 2015

KLIMAPOLITIK • KARTE

Mit diesem Wissen gehen Ende Novem-ber 194 Staaten an den Pariser Verhand-lungstisch: Die globalen, klimaschädli-chen Treibhausgas-Emissionen nehmen ungehindert zu, vor allem der Ausstoß von Kohlendioxid. Das ist eine traurige Bilanz. Seit 25 Jahren trifft sich die Welt zu Klimakonferenzen, auf denen um ein gemeinsames Vorgehen für den Erhalt der Lebensgrundlage auf diesem Plane-ten gerungen wird. Der Weltklimagip-fel in Paris soll endlich den Durchbruch bringen. Die Erwartungen sind hoch: Schaffen es die Vertragsstaaten, sich auf verbindliche Klimaschutzziele zu ver-pflichten? Die Weltkarte zeigt anschau-lich, wie sich die CO₂-Emissionen in den vergangenen Jahren entwickelt haben, wie sich der Anteil des Grünstroms ste-tig erhöht und wie die Investitionen in Erneuerbare seit zehn Jahren steigen – auch in den Entwicklungsländern. Eine Bestandsaufnahme.

GLOBALE BILANZ

EIne für Alle, Alle für eine!

Quellen:Emissions Database for Global Atmospheric Research, EDGARv4.2 FT 2012BP (2011–2014), BP Statistical Review of World Energy 2011–2014IRENA, Renewable Energy Capacity Statistics 2015IEA, 2012 CO2 Emissions OverviewRenewables 2015 Global Status Report Statista 2015 (Quelle IEA)

WELTWEITER PRIMÄRENERGIEVERBRAUCH,in Millionen Tonnen Erdölequivalent

WELTWEITER CO₂-AUSSTOSS,in Millionen Tonnen CO₂

WELTWEITE STROMERZEUGUNGAUS ERNEUERBAREN ENERGIEN,in Terawattstunden

Page 28: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 2/2015

26 STREITFRAGEN — November 2015

KUNDENDIENST • SMART HOME

3641 5414

2007

+48,7%

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2004

2014 12928

10556

WELT

in 1990: 20,97

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PRO KOPF CO₂-AUSSTOSS,in Tonnen in 1990

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25

Wie sieht Ihr perfektesZuhause aus?

Dr. Norbert Verweyen ist Geschäftsführer bei RWE Effizienz und erzählt, was er vom intelligenten Haus hält. Als Kunde.

etwa nach zehn Minuten abschalten. Der Familienrat hat sich dann dagegen entschieden. Aber wir nutzen Misch-batterien, die konstant eine bestimmte Temperatur liefern. Das ist in Ordnung.

Außerdem haben wir die Rauchmel-der im ganzen Haus untereinander ver-netzt. Sollte einer angehen, bekommen wir eine Nachricht. Was uns auch wei-tergeholfen hat, sind die Rollladensteue-rung und die Lichtsteuerung am Rechner. Nach einer vorgegebenen Zeit verändert sich die Farbe einer LED-Lampe. Das ist das Signal für die Kinder: Achtung, Pause machen. Das sind so nützliche Dinge, die uns allen weiterhelfen.

Bei jedem neuen Gerät, das kommt, diskutieren wir – erst im Vorfeld und dann beim Einbau. Das ist bestimmt auch Teil dieser Lebensphase, dass mit den Kindern sehr intensiv diskutiert wird. Aber wir diskutieren natürlich auch als Ehepaar die Themen immer wieder neu. Ich habe da manchmal den Eindruck, wir beschäftigen uns damit relativ viel – im Gegensatz zu anderen. Aber ich sehe das auch als Chance, eine Rückmeldung zu bekommen und die als Ingenieur weiterzudenken.

Wenn ich mir die Hausautomatisie-rung anschaue, dann spielt sich viel, wenn es einmal implementiert ist, im Hinter-grund ab. Wir schauen ja nicht ständig auf irgendwelche Monitore. Oder wie hoch der Stromverbrauch ist. Diese Pha-se hat es auch gegeben. Entscheidend ist, dass man hinterher den Komfort, den

Auf keinen Fall will ich ir-gendwelche Monitore über-wachen. Die Technik soll einfach funktionieren, alles muss im Hintergrund zusam-menspielen. Als Ingenieur

ist man ja immer in Verdacht, übers Ziel hinauszuschießen. Aber wenn man nicht allein lebt, ist jede Veränderung im gemeinsamen Haushalt eine Familien-entscheidung. Und wir wollen ja kein Techniklabor, sondern ein Zuhause. Da-bei ist die wichtigste Frage: Wie wollen wir unser Zuhause überhaupt nutzen? Der Wohnwert ist aus meiner Sicht ganz entscheidend. Die Technik soll man gar nicht sehen, sie muss einfach funktio-nieren. Und das im doppelten Sinn. Sie darf keinen Aufwand verursachen, ich muss nicht jedes Mal dran denken: Wel-chen Knopf muss ich denn drücken? Ich möchte mich nicht ständig mit der Technik auseinandersetzen. Da in mei-ner Familie Energiesparen durchaus ein Thema ist, haben wir die großen Ener-giefresser wie Heizung und Licht ganz gut im Blick.

Aber Smart Home ist ja deutlich mehr als Energiesparen. Da bei uns die Duschdauer ein Thema ist, haben wir über Duschautomaten diskutiert. Sol-che, bei denen man vorher die Zeit re-gulieren kann, die sich automatisch

smart home

Page 29: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 2/2015

27STREITFRAGEN — November 2015

KUNDENDIENST • SMART HOME SMART HOME • KUNDENDIENST

so eine Hausautomatisierung bietet, sehr schnell als selbstverständlich empfindet. Das wird einem erst bewusst, wenn man mal woanders hinkommt. Wir hatten neulich so eine Erfahrung im Ferienhaus. Als wir festgestellt haben: Oh, jetzt muss man mal die Temperatur hochdrehen und jetzt selbst die Rollläden hochmachen. Da wird einem bewusst, wie gut das zu Hau-se klappt. Das wird so schnell zu einer Selbstverständlichkeit, dass man das gar nicht mehr so bewusst wahrnimmt. Das macht auch ein gutes Smart Home aus.

Ich bin felsenfest überzeugt, dass in Zukunft jeder Haushalt in einem gewissen Maß vernetzt sein wird. Wenn die Leu-te heute einen Fernseher kaufen, dann ist den meisten gar nicht bewusst, dass die Geräte die Vernetzung alle schon inklu-sive haben. Die werden zwar noch nicht

so genutzt, aber die Geräte sind internet-fähig. Allein der Schritt, die untereinan-der zu vernetzen, das ist eine bewusste Entscheidung zu Hause. Wir haben der-zeit schon 14 Milliarden vernetzte Groß-geräte weltweit auf dem Markt. Innerhalb der kommenden fünf Jahre wird sich die Zahl verdreifachen. Die Technik ist in vie-len Haushalten schon längst vorhanden und die Vernetzung wird sich auf sämtli-che Haushaltsgeräte bis runter zur Kaffee-maschine ausdehnen. Allerdings will ich die Datenhoheit behalten: In einem glä-sernen Haus zu leben, wäre für mich eine schreckliche Vorstellung. Das ist vielleicht auch meinem Alter geschuldet. Meine Kinder schätzen das anders ein, als ich das tue, und wir diskutieren darüber natürlich auch sehr intensiv. Wenn irgendjemand damit anfängt, irgendwelche Informati-

Alles muss im Hintergrund spielen: Norbert Verweyen und seine Familie leben be-reits in einem Smart Home.

onen aus meinem Haus herauszuziehen, will ich erst mal gefragt werden, ob ich das überhaupt wünsche. Und was ist die Ge-genleistung? Wenn mir ein Hersteller sagt: Ich biete Dir an, dass Dein Kühlschrank mir sagt, wie gut und effizient er funktio-niert, dann halte ich das für eine sinnvolle Sache. Aber nur zu schauen, wie oft ich die Kühlschranktür öffne – das geht eigent-lich keinen was an. Und das kann man ja aus den Daten auch herauslesen.

Alles in allem, das Smart Home, das intelligente vernetzte Zuhause, das ist eine Entwicklung, die wirklich keiner mehr aufhalten kann. Es wird verschiedene Ab-stufungen geben. Wichtig ist, wie weit Sie diese Technik zu Hause zulassen. Ich glau-be, dass in wenigen Jahren der Haushalt, wie wir ihn noch vor 20 Jahren hatten, eine absolute Ausnahme ist.

Page 30: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 2/2015

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40.000Euro Einstiegsgehalt (jährlich)

6 Prozentbeträgt der Frauenanteil in dem Beruf, wenn man die beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle

(BAFA) gelisteten Energieauditoren berücksichtigt

4,5Jahre hat das

Studium gedauert

Page 31: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 2/2015

Sie beschäftigen sich mit Öko-Controlling. Was versteht man darunter?Das ist der Versuch, die Energieflüsse transparenter zu machen. Das hilft, Ein-sparpotenziale zu finden. Ich biete in mei-nen Beratungsgesprächen dann auch Pro-dukte an, die helfen, mehr Transparenz herzustellen. Möglich sind etwa die Ein-führung eines Energiemanagementsys-tems oder der Einsatz von Smart Metern. Diese Investitionen lohnen sich langfris-tig, um Kosten zu sparen. Was machen Sie den größten Teil Ihrer Arbeitszeit?Ich führe telefonische und persönliche Beratungsgespräche mit Kunden und ma-che die Datenanalyse, um Energieein-sparpotenziale zu identifizieren. Wo sehen Sie in Ihrem Beruf die spannendste Herausforderung?

Die Energiewende bringt frischen Wind in die Branche. Dadurch entstehen viele neue Jobs und Chancen für junge Arbeit-nehmer. Zum Beispiel für Karola Fendl, die schon immer von der Dynamik dieses Wirt-schaftssektors fasziniert war.

Sie arbeiten bei den Stadtwerken Krefeld als Projektmanagerin für Energieeffizienz und Contracting?Ich bin Energieberaterin und versuche, mit unseren Geschäftskunden Lösungen zu finden, wie sie Gas- oder Stromkosten einsparen. Unsere Kunden kommen aus dem Gewerbe, der Industrie oder dem öf-fentlichen Bereich. Ich beantworte ihre Fragen zu neuen gesetzlichen Regelungen und den damit verbundenen Pflichten. Sie sind studierte Umweltwissenschaftlerin. Wie sind Sie in die Energiewirtschaft gekommen?Ich bin nach dem Studium nach Japan ge-gangen und habe dort in der Energiebera-tung gearbeitet. Das hat mir sehr gut ge-fallen. Japan war zu dem Zeitpunkt schon sehr fortschrittlich. Wie auch in Deutsch-land gibt es dort eine ambitionierte Förde-rung kleiner und mittelständischer Unter-nehmen, das fand ich sinnvoll. Dann war ich bei einem internationalen Unterneh-men im Umweltmanagement tätig, wollte mich aber auf Energie spezialisieren. Was reizt Sie so an dem Thema?Diese Branche ist unglaublich dynamisch und befindet sich ständig im Wandel, das finde ich interessant. In der Energiewirt-schaft kennt man sich nach einer Weile, man legt Wert auf eine vertrauensvolle Zu-sammenarbeit und langfristige Beziehun-gen. Hinzu kommt, dass man in der Rolle des Energieversorgers die Möglichkeit hat, mit Kunden aus ganz verschiedenen Bran-chen zusammenzuarbeiten.

Karola Fendl hilft Kunden aus der Industrie und dem öffentlichen Sektor bei der Einsparung von Energie und Wasser. Die Energiewende

ist für die 32-Jährige eine Chance. Im Interview erklärt sie warum.Interview INA BRZOSKA

Die Kostendetektivin

NAME: Karola FendlALTER: 32GEBURTSORT: MagdeburgWOHNORT: KrefeldPOSITION: Projektmanagerin für Energieeffizienz und ContractingSTUDIUM: Umweltwissenschaften an der Universität LüneburgINTERESSEN: Literatur, ReisenEMPFEHLUNG: Auf die Stand-By- Verbräuche von Internet- router, Computer oder Ladegeräten achten. Sie verbrauchen mehr Ener- gie, als viele denken.

Steckbrief

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Jedes Jahr gibt es ein neues Gesetz und die Effizienztechnologien entwickeln sich stän-dig weiter, da muss ich immer auf dem Lau-fenden bleiben, das finde ich sehr reizvoll. Ich nehme mir sehr viel Zeit, interne und externe Fortbildungen zu besuchen. Außer-dem lese ich viel Fachliteratur und Tageszei-tungen. Meine Motivation ist dabei immer, dass ich die Kunden optimal beraten kann. Welche Fähigkeit sollte man auf Ihrer Position auf jeden Fall mitbringen?Neben der fachlichen Kompetenz sind Soft Skills ganz wichtig. Man muss ganz un-terschiedlichen Leuten sehr gut zuhören können – und zwar vom Geschäftsführer bis zum Elektriker. Nur indem man mit diesen Leuten richtig kommuniziert, kann man herausfinden, wo der Schuh drückt. Wie ist die Frauenquote in Ihrem Beruf und was raten Sie jungen Kolleginnen?Es gibt immer mehr engagierte Frauen, die meinen Beruf ausüben. Natürlich könn-ten es noch mehr sein. Deshalb möchte ich jungen Kolleginnen Mut machen, im Energiesektor zu arbeiten. Hier werden sich in den nächsten Jahren spannende neue Karriereoptionen ergeben.

Was wäre die nächste Karrierestufe, die Sie sich vorstellen könnten?Ich kann mich entweder fachlich weiterbil-den, indem ich einen weiteren Abschluss mache oder Zusatzqualifikationen erwerbe. Eine andere Möglichkeit wäre es, in Rich-tung Personalverantwortung zu gehen und irgendwann ein Team zu leiten. Ich bin aber erst seit zwei Jahren bei den Stadtwerken und habe mich da noch nicht entschieden.

Dieses Thema finden Sie auch auf www.streitfragen.de/fakten

ENERGIEBERATUNG • NACHWUCHS

29STREITFRAGEN — November 2015

Page 32: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 2/2015

30 STREITFRAGEN — November 2015

FAKTEN • ZAHLEN

3.

Die Energiesysteme sind im Umbruch – in Deutschland und weltweit. Die internationale Studie „Delphi Energy Future 2040“ wagt einen Blick in die Zukunft. Hier ausgewählte Ergebnisse:

Und so geht’s weiter

72,7

30%

2.

5.

Prozent glauben, dass eine dezentrale Energieversorgung zu einer neuen

demokratischen Selbstorganisation auf lokaler Ebene führt.

meinen, grüner Strom wird auch zu Elektromobilität und Wärme genutzt.

sehen diese Markführerschaft bereits in zehn

Jahren.

der ausländischen Befragten erwarten, dass Frauen als Ent-scheider mehr Gewicht auf eine nachhaltige Energienutzung legen werden. Für die Deutschen ist das weniger ein Thema.

Befragten gehen davon aus, dass intelli-gente Zähler

und Endgeräte den Verbrauch

optimieren.

These: Dezentrale

Energieanlagen

These: Frauen

entscheiden anders

These: Internet der

Dinge

These: Innovator China

82 Prozent

90%

66%

42%

9von

10

75%

1.

Expertise

Expertise

Region

4.

These: All electric

society

3/4

sehen diese Entwicklung für Deutschland, Europa und Nordamerika.

sehen diese Entwicklung erst 2040 oder danach.

der Befragten gehen davon aus, dass die Chinesen die weltweit führenden Entwickler nachhaltiger Energietechnologien sein werden.

Expertise

Page 33: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 2/2015

31STREITFRAGEN — November 2015

ZAHLEN • FAKTEN

Und so geht’s weiter

51,4 19,7

Wissenschaft 16%60%

57%

56%

40%

16%

6%

30%

Öffentlicher Sektor

Gesellschaftlicher Sektor

Wirtschaft und Verbände

0

10

20

30

40

50

ganz sicherThese B

ganz sicherThese A

7%

1%

10%

20%

36%

24%

43%

46%

4%

9%

englische Fassung

deutsche Fassung

wahrscheinlichThese B

wedernoch

wahrscheinlichThese A

… ist Deutschland führende Exportnation für Energiemanagement und Energietechnik. (These A)

… hat sich die Hoffnung, die deutsche Energie wende werde zum Exporthit, aufgrund

von Akzeptanzproblemen zerschlagen. (These B)

Prozent der Befragten sind sich da sicher.

Prozent der Befragten sehen Deutschland

eher scheitern.

Die meisten Befürworter kommen aus der Forschung, die Wirtschaft und die Verbände sind eher skeptisch.

Wer hätte das gedacht: Experten über 65 glauben am meisten an den Erfolg der deut-schen Energiepolitik.

Kaum einen Unter-schied spielt bei der Zustimmung zu These A die Herkunft. Etwa der gleiche Anteil an ausländischen und deutsche Experten sind sich hier sicher.

65

Wie sieht der Markt im Jahr 2040 aus? Um mögliche Antworten zu finden, hat der BDEW eine inter-nationale Delphi-Studie initiiert. Gemeinsam mit der Deutsche Gesellschaft für internationale Zu-sammenarbeit (GIZ) und PricewaterhouseCoopers (PwC) werden langfristige Trends in Gesellschaft, Wirtschaft, Technologie und Politik hinterfragt, die unsere Energiezukunft beeinflussen. Konkret haben über 80 internationale Experten unterschiedlicher Fachrichtungen Thesen aufgestellt, die von 350 Entscheidern bewertet wurden. „Streitfragen“ hat die überraschendsten Ergebnisse aus der 1. Befragungsrunde für Sie zusammengestellt.

These: Im Jahr 2040 …

Weitere Informationen zur Delphi-Studie und ihrer Methode: www.delphi-energy-future.com/de

Page 34: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 2/2015

SZENARIO • HOME STORAGE

32 STREITFRAGEN — November 2015

Wenn jeder seine eigene

Hausbatterie hätte ...

... werden HAusbesitzer unabhängigSolarstrom ins Netz einzuspeisen, wird sich immer weniger lohnen, ihn selbst zu verbrauchen

immer mehr. Die Solaranlage als Modul für die Selbstversorgung gewinnt an Bedeutung. Überschüssige Energie aus Sonnentagen kann nun quasi im eigenen Keller gespeichert werden,

bis sie benötigt wird. Zugekauft wird Strom dann nur noch, wenn es gar nicht anders geht. Foto

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Page 35: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 2/2015

HOME STORAGE • SZENARIO

33STREITFRAGEN — November 2015

Die Powerwall von Tesla hat ein Design, das schon jetzt mit Apple-Chic verglichen wird. Nachahmer, die schon in den Startlöchern stehen, werden sich ähnlich Mühe

geben. Die Energie wird in einem formschönen Behälter gespeichert, der schon von außen das neue Konzept visualisiert. Der Kunde kann unter Mustern und Farben wählen.

... entsteht im Keller Glamour

Von REINER SCHWEINFURTH

Was Apple für die digitalen Medien in den 1980er-Jahren bedeutete, das schaffte Tesla 30 Jahre später

mit seiner smarten Powerwall – einem Energiespeicher für den Privathaushalt. Massenproduktion und damit

sinkende Preise krempelten die Energiebranche völlig um.Ein (fiktionaler) Blick zurück aus dem Jahr 2020.

Page 36: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 2/2015

SZENARIO • HOME STORAGE

34 STREITFRAGEN — November 2015

So richtig los ging es 2015. 15.000 Home Storage-Geräte wurden damals angeschlossen. Der Markt war noch auf jene beschränkt, die eine eigene Solar anlage auf dem Dach hatten und den Son-

nenstrom auch dann nutzen wollten, wenn die Sonne nicht schien. Die gro-ßen Netzbetreiber schliefen nicht. Sie or-ganisierten aus vielen kleinen Einheiten große Speicher, die günstigen Strom für alle vorhielten, auch für die, die keine Haushaltsbatterie im Keller hatten. Pri-vathaushalte und Stromindustrie sorg-ten gemeinsam für die Energiewende. Deutschland hatte sich wieder zu jenem führenden Produzenten in der Elektro-

technik entwickelt, der es schon einmal an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhun-dert gewesen war.

Bei den Batteriepacks, die heute in fast jedem Haus stehen, hat sich eine Strom-leistung von durchschnittlich zehn Kilo-watt durchgesetzt. Mehr brauchen wir im Alltag selten. Wir nehmen immer dann Strom auf, wenn die Handvoll Versorger ihn günstig zur Verfügung stellen oder die eigene Produktion auf dem Dach uns ei-nen besseren Preis macht. Fünf Jahre hal-ten die Akkus mindestens ohne größere Leistungseinbußen. Der Export von Haus-speichern, die von Mercedes-Benz, BMW oder Vattenfall hergestellt werden, dreht weiterhin hochtourig.

Zudem hat sich ein Markt für „Second Li-fe“-Geräte entwickelt. Der mecklenbur-gische Versorger WEMAG erkannte früh das Potenzial gebrauchter Speicher, kom-binierte sie neu. Aus ihrem E-Kit, das sich zum funktionalen Antriebsstandard für E-Mobility gemausert hatte, ist ein Li-zenzgeschäft geworden, das in China ge-nauso funktioniert wie in Anklam. Die Speicher können den Strom parken, der etwa durch eine Photovoltaikanlage auf dem Hausdach erzeugt wurde.

Als es mit der Energiewende so rich-tig losging – in den späten 1990er-Jah-ren – war auch der Siegeszug der Batterie absehbar. Die Entwicklung brachte vie-le Menschen dazu, die „Daseinsvorsorge Fo

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Mit Millionen privaten Energieerzeugern und weniger Großkraft-werken wird eine völlig neue Energielandschaft entstehen. Und

die stillgelegten Energieanlagen dürfen ihr Dasein noch als Frei-zeitpark, Kletterlandschaft oder Kunstobjekt fristen.

... wird es weniger kraftwerke geben

Page 37: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 2/2015

HOME STORAGE • SZENARIO

35STREITFRAGEN — November 2015

Es gibt schon heute ein Konzept für einen ganz einfachen Elektroantrieb, der sehr einfach ein- und ausgebaut werden kann. Der Autofahrer schließt

ihn an den eigenen Energiespeicher an und zieht sich von dort zum Beispiel Solarstrom vom Dach. Die Tankstelle im Keller ist praktisch, sauber, billig.

... gibt das der E-Mobility Schub

Energie“ in die eigenen Hände zu nehmen. Folge: die Dezentralisierung der Strom-produktion mit einem immer selbstbe-wussteren Auftreten der Prosumer – der Verbraucher, die gleichzeitig Produzenten sind. Auf Verteilungsprobleme reagierten die Netzbetreiber zunächst mit einem um-fassenden Netzausbau, der aber teuer war und auf vielfältige Widerstände stieß. Als dann die ersten massentauglichen Bat-terien auf dem Markt auftauchten, be-gann das große Umdenken. Trotz zu-nächst recht hoher Leistungsverluste beim Speichern ist das Parken von regiona-len Überproduktionen aus erneuerbaren Energiequellen in virtuellen, aus vielen Home Storage-Geräten zusammengesetz-

ten Speichern günstiger als der Transport. Alle großen Provider begannen, Kom-plettlösungen anzubieten. Von der Anlie-ferung des Stroms bis zum Speicher, von der Regeltechnik bis zum Management des Energieverlustes im Stand-by-Modus, während des Urlaubs oder in der Nacht. Das alles ist längst Standard.

Der Preis machte die Musik dazu. Die Einspeisevergütung ging zurück. Heute – 2020 – gibt es nur noch 3,5 Cent pro Ki-lowattstunde für die Stromlieferung aus dem Haushalt ins große Netz. Die Nut-zung der privaten Ressourcen durch die großen Provider bringt auch noch 1,5 Cent pro Kilowattstunde. Hinzu kommt, dass sich viele Speicher längst amortisiert ha-

ben, mehrfach abgeschrieben sind und so der Strom aus der Eigenproduktion prak-tisch umsonst ist. Mit dem Speicher zu Hause hat sich ein Ausgleich zwischen An-gebot und Nachfrage ergeben, der mit der Unterstützung großer Anbieter zu einer Versorgungssicherheit geführt hat, wie es sie zuvor noch nie gegeben hat. Da ist auch die obligatorische Energie-Flatrate für je-den Haushalt zu verschmerzen. Schließ-lich muss ja die zentrale Infrastruktur un-terhalten werden.

Das Thema finden Sie auch auf www.streitfragen.de/szenario

Page 38: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 2/2015

36 STREITFRAGEN — November 2015

MEINUNG • VERSORGUNGSSICHERHEIT

stehen im Wettbewerb mit anderen flexi-blen Produkten. Dies führte zu einer kon-sequenten Sommer-/Winter-Preisspread- Bewirtschaftung des gesamten Arbeits-gasvolumens. Damit fehlt aber ein An-reiz für eine möglichst lange Verfügbar-keit der notwendigen Vorhalteleistung, was tendenziell leere Speicher am Ende des Winters nach sich zieht. Aufgrund des Wegfalls der früher üblichen Leis-tungspreissystematik ist die „inhärente Versorgungssicherheit“ nicht mehr gege-ben. Die Wettbewerbsfähigkeit von Spei-chern wird zusätzlich durch doppelte Netz entgelte benachteiligt.

Wir sehen daher zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit die Einführung von zwei Mechanismen – analog der Ka-pazitätsreserve im Strommarkt – als not-wendig an:– eine stetige Gasreservevorhaltung für Kälteperioden und– eine temporäre Gasreservevorhaltung für politische Krisensituationen.Wesentlicher Aspekt ist dabei die Einfüh-rung einer Vorhalteverpflichtung für die Fernleitungsnetzbetreiber. Diese sind für den Transport des Gases, das von den Bi-lanzkreisverantwortlichen auch in diesen

Der Lieferstopp von Erdgas aus Russland in die Ukraine hat eine verstärkte Diskussion um die Sicherheit der deutschen Gasversorgung ausgelöst. Ne-ben der potenziellen Gefähr-

dung der Versorgungssicherheit aufgrund der politischen Bedrohungslage können vor allem in Süddeutschland auch Leis-tungsengpässe, hervorgerufen durch län-ger anhaltende Kälteperioden, wie sie bei-spielsweise im Februar 2012 aufgetreten sind, zu Einschränkungen der Versorgung – insbesondere des geschützten Kunden-kreises – führen. Zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit in Deutschland ist daher ein Sicherungsmechanismus er-forderlich, der beide Situationen maßge-schneidert abdeckt.

Diese Funktion übernehmen derzeit insbesondere Gasspeicher, und zwar kos-tenlos und dauerhaft als Nebenprodukt. Aufgrund der aktuellen und absehba-ren zukünftigen Entwicklungen ist deren Wirtschaftlichkeit jedoch erheblich ge-fährdet. Es ist zu erwarten, dass es zur ir-reversiblen Stilllegung von Gasspeichern kommt – mit entsprechenden Auswir-kungen auf die Versorgung. Gasspeicher

Fällen am virtuellen Handelspunkt der Marktgebiete bereitgestellt wird, verant-wortlich. Die Kosten für die Vorhaltever-pflichtung sollten von der Regulierungs-behörde anerkannt und über Netzentgelte abgewälzt werden.

Ja. Zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit ist die Einführung einer stetigen und temporären Gasreservevorhaltung sinnvoll.

»Es ist ein Siche-rungsmechanis-mus erforderlich, der beide Situatio-nen maßgeschnei-dert abdeckt.«

Erna-Maria Trixl, Geschäftsführerin Vertrieb der Stadtwerke München

Von ERNA-MARIA TRIXL

Brauchen wir einen Mindest füllstand für Erdgasspeicher?

Page 39: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 2/2015

37STREITFRAGEN — November 2015

VERSORGUNGSSICHERHEIT • MEINUNG

serve ausgesprochen, die bei Marktversagen für einen Übergangszeitraum von maximal sieben Tagen ungewollte Abschaltungen vermeiden soll oder weitergehende Versor-gungsprobleme überbrücken kann.

Alle darüber hinausgehenden Versor-gungsanforderungen sollten ohne weitere regulatorische Eingriffe in Handels- oder Speicherfunktionen über einen transpa-renten Markt ablaufen. Der Zubau von weiteren Importkapazitäten sowie die er-folgreichen Energieeinsparmaßnahmen führen dazu, dass die vorhandene Flexibi-lität im Gasversorgungssystem stets wei-ter zunimmt und die Preise für Flexibili-täten wie Speicher günstiger werden. Das heißt auch, dass der Betrieb von einigen Speicheranlagen durchaus unwirtschaft-lich werden kann und diese vom Markt genommen werden.

Genau diese Korrekturen innerhalb der Marktwirtschaft stellen einen gewollten und funktionierenden Effekt für die Vor-haltung derartiger Reserven dar und füh-ren dazu, dass die Kunden der Gasversor-gung nicht mit überproportionalen Kosten belastet werden. Ein staatlicher Eingriff in Form einer vorgegebenen Reserve oder die Verpflichtung von Speichernutzern zu

Die Erdgasversorgung in Deutsch-land hat sich in den letzten De-kaden zu einer wesentlichen Säule der umweltgerechten und sicheren Energieversorgung eta-bliert. Seit Anfang der Gasver-

sorgung hat die Versorgungssicherheit der Endkunden stets eine sehr hohe Bedeutung. Den Besonderheiten der Importabhängig-keit und der langen Transportwege wurde dabei stets Rechnung getragen.

Mit der Einführung des liberalisier-ten Energiemarktes sind die Marktrol-len in der Gasversorgung neu zugeordnet und definiert worden. So ist die Lieferan-ten- und Handelskette heute durch einen funktionierenden und liquiden Markt am virtuellen Handelspunkt geprägt. Der tech-nische Betrieb des Gasnetzes wird durch die marktgebietsverantwortlichen Fern- und Verteilnetzbetreiber bestritten. Die Speicher - infrastruktur stellt eine separate Marktrol-le dar und wird im Wesentlichen von den Händlern bewirtschaftet. Zum Erhalt der wirksamen Systemstabilität sind alle drei Marktrollen aufeinander angewiesen und müssen am Wettbewerb teilnehmen.

Als weitergehendes Sicherungssystem hat sich der BDEW für eine Flexibilitätsre-

Mindestfüllständen wäre ein nicht vertret-barer regulatorischer Eingriff und das völ-lig falsche Signal an den Markt.

Es gibt leider genügend Beispiele, bei denen derartige regulatorische Eingrif-fe für einen Übergangszeitraum ins Le-ben gerufen wurden, aber als Provisorium teilweise über Jahrzehnte Bestand haben. Eine einmal aufgebaute regulatorische Maßnahme wird in der Regel trotz besse-ren Wissens nicht zurückgenommen.

»Ein staatlicher Eingriff wäre das völlig falsche Signal an den Markt.«

Thilo Augustin, Bereichsleiter Vertrieb bei Gelsenwasser

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Brauchen wir einen Mindest füllstand für Erdgasspeicher?Nein. Staatlich vorgegebene Reserven oder Mindestfüllstände wären ein nicht vertretbarer Eingriff.Von THILO AUGUSTIN

Page 40: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 2/2015

38 STREITFRAGEN — November 2015

UNTERNEHMERGEIST • SPEICHERMARKT

Sie betretenNeuland

Younicos-Mitbegründer Clemens Triebel im eigenen Technologiezentrum in Berlin-Adlershof.

Von YVONNE SCHRÖDER

Die Energiewende braucht neue Systeme zur Netzstabilisierung. Innovative Unternehmen stecken viel Geld und Expertise in

Speichermöglichkeiten. Der Pioniergeist wird sich lohnen – weltweit.

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Page 41: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 2/2015

39STREITFRAGEN — November 2015

SPEICHERMARKT • UNTERNEHMERGEIST

und konnten von Beginn an auf die Unterstützung von guten In-vestoren bauen“, sagt Clemens Triebel, Chief Visionary Officer und Younicos-Mitbegründer. „Und die Vorteile der Batterie la-gen für uns immer klar auf der Hand: Sie ist langlebig, sicher und extrem schnell. Batterien können in weniger als 200 Millisekun-den reagieren.“

Welche Batterien die besten sind und wie ihr Lade- und Ent-ladeverhalten sich auf die Speicheranforderungen auswirken, un-tersuchen die Berliner im eigenen Lithium-Ionen-Testlabor. Es wird aber nicht nur geforscht, sondern auch gebaut. Auf der por-tugiesischen Azoren-Insel Graciosa errichtet Younicos gemein-sam mit dem regionalen Energieversorger EDA das weltweit ers-te erneuerbare Energiesystem auf Basis von bis zu 100 Prozent Wind- und Sonnenstrom. „Wo sonst als auf einer Insel könnten wir derzeit besser zeigen, dass erneuerbare Energien technisch wie wirtschaftlich fossilen Energieträgern voraus sein können“, sagt Triebel. Deshalb konzipierten sie den Bau eines 2,6-Mega-

watt-Groß-Akkus, der den überschüs-sigen Strom aus einem 4,5-Megawatt- Windpark und einer Ein-Megawatt- Photovoltaikanlage speichern kann. Der Bau wird von privaten Investo-ren getragen. Wenn die Anlage dann läuft, soll sie die Stromversorgung auf Graciosa zu 65 Prozent (Jahresdurch-schnitt) aus erneuerbaren Energien decken. Die Dieselkraftstoff-Importe könnten dadurch sukzessive verringert werden.

Triebel: „Das Modell und die Er-fahrungen, die wir aus diesem Projekt gewinnen, lassen sich auch auf ande-re Systeme umlegen. Letztlich spielt es keine Rolle, ob wir eine Insel oder den Kontinent Europa betrachten.“

Wesentlicher Bestandteil der Bat-teriekonzepte von Younicos ist auch die dazugehörige Software. „Die ist entscheidend für intelligente Spei-cherlösungen“, erklärt Clemens Trie-bel. Es geht um Regulierung, Vernet-zung, aber auch das Abschöpfen von großen Datenmengen aus zentralen

und dezentralen Anlagen. Damit die Stromnetze ohne rotieren-de Massen stabil betrieben werden können, müssen alle Erzeu-gungs- und Speichereinheiten dezentral und ohne menschliches Eingreifen zusammenspielen.

Ob und wie man Geld in Zukunft mit den Speicherkapazitä-ten verdiene, liege allerdings nicht nur daran, wie sich der Markt entwickele, sondern auch daran, ob die Politik die Märkte so ge-stalte, um die Energiewende kosteneffizient umzusetzen. Im Mo-ment sei das noch nicht der Fall. Speicher würden nicht für ihre Genauigkeit und Präzision belohnt. Allerdings sei das fehlende politische Bekenntnis nicht der einzige Grund dafür, wieso die Investitionen in den deutschen Speichermarkt so zögerlich seien. Triebel glaubt, dass das Vertrauen in die Batterie als Speicher-medium in großen Dimensionen erst langsam wächst. Als man 2006 damit begonnen habe sich vorzustellen, dass Batterien

Wenn die Natur doch nur berechenbarer wäre: Mal wird weniger Wind gebraucht, ein ander-mal mehr Sonne. Dabei soll der Strom immer grüner werden. In dem Maß, wie der Anteil Erneuerbarer am Energiemix steigt, drängt eine neue Problematik in den Fokus: Systemstabili-

tät und Speicherbedarf. Nach Berechnungen der Thüga-Gruppe werden schon 2020 etwa 17 Terawattstunden erneuerbarer Ener-gie zwischengespeichert werden müssen. Bis 2050 wird der Be-darf an Speicherkapazität auf etwa 50 Terawattstunden anstei-gen. Neben dem Netzausbau sind deshalb auch Investitionen in kluge und bezahlbare Speichertechniken gefragt.

Wo genau wie viel gespeichert werden soll, das ist die Fra-ge, die sich bei der Speicherung generell stellt. Viele Verbrau-cher wollen eine autarke Versorgung. Gleichzeitig muss in Großspeichersysteme investiert werden, die garantieren, dass der Strom für viele Abnehmer gleichmäßig fließt.

Immer mehr Unternehmen, ob klein oder Global Player, arbeiten der-zeit an der Entwicklung neuer Ener-giespeichermodelle. Die Investitionen machen sich zwar noch nicht oder kaum bezahlt, doch die Konkurrenz schläft nicht. Und jene, die sich jetzt das Know-how aneignen, werden zu den Ersten gehören, die damit Geld verdienen.

„Führend im Bereich ‚Storage‘ sind derzeit die USA, gefolgt von Japan, China und Deutschland – egal, ob es um kleinere Lösungen für die dezent-ralen erneuerbaren Erzeugungsparks geht oder um zentrale Lösungen, die zur Netzstabilisierung oder zur Teil-nahme am Regelenergiemarkt einge-setzt werden. Wobei Deutschland eine sehr wichtige Rolle einnimmt“, sagt Cavin Pietzsch, Leiter des Geschäfts-bereichs GE Energy Management in Deutschland. „Bereits heute besteht der Energieerzeugungsmix in Deutschland zu 30 Prozent aus Erneuerbaren. Da-her gibt es hierzulande auch ein großes Interesse, schnell Lösungen in das Energiesystem zu integrieren, die helfen, die fluktuierende Einspeisung aus erneuerbaren Er-zeugungsanlagen auszubalancieren. Speichertechnologien sind hier sicherlich eine zentrale Komponente.“

SPEICHERPIONIERE AUS BERLIN Eine solche Lösung – ein Fünf-Megawatt-Lithium-Ionen-Akku – stabilisiert in Schwerin bereits seit einem Jahr das ostdeutsche Stromnetz. Er ist der erste kommerzielle Batteriespeicher in Eu-ropa, finanziert und betrieben vom Energieversorger WEMAG. Die vom Berliner Unternehmen Younicos konzipierte vollauto-matische Anlage wurde im September 2014 eröffnet und gleicht seitdem erfolgreich kurzfristige Schwankungen in der Netzfre-quenz aus und schafft so Platz für mehr Wind- und Sonnen-strom. „Wir arbeiten und forschen bereits seit 2005 an Speichern

Younicos forscht an der optimalen Batterie.

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UNTERNEHMERGEIST • SPEICHERMARKT

so groß sein könnten wie eine Sporthalle, war alleine schon das Wort Batteriekraftwerk eine Innovation für sich.

NEUE POWER AUS DEN USA Öffentliche Aufmerksamkeit erhielt die Batteriebranche Anfang dieses Jahres, als der US-Elektroautobauer Tesla in Los Ange-les die Powerwall, den Batteriespeicher für zu Hause, vorstellte. Auch wenn die Batterietechnik aus dem Hause Tesla nicht neu ist – durch die Powerwall wurde ein Hype ausgelöst. Ausgeklü-geltes Marketing brachte öffentliche Aufmerksamkeit und kur-belte den Absatz an. In den USA gingen nach der Präsentation im Mai bereits 40.000 Bestellungen ein. Der angekündigte Preis für den Tesla-Speicher kommt zudem einer Kampfansage an eta-blierte Anbieter für Stromspeicher gleich, darunter Samsung, Bosch und der Batteriehersteller Varta. Etwa 3.000 US-Dollar kostet die kleine Variante des Tesla-Hausspeichers. Das ist fast die Hälfte dessen, was Käufer für vergleichbare Produkte bezah-len müssen.

Ab 2016 soll der Tesla-Wandspeicher in zwei Ausführungen auch in Deutschland auf den Markt kommen. Kooperiert wird hierzulande mit dem Hamburger Energieversorger LichtBlick. Diese Ankündigung rief die deutschen Unternehmen auf den Plan. So hat nun auch Daimler verkündet, in das Geschäft mit den stationären Batterien einzusteigen. Die ersten Lithium-Io-nen-Akkus, die der Konzern bereits in kleinerer Ausführung in seinen Elektrofahrzeugen einsetzt, sollten im Sommer auf den Markt kommen, nun ist von Herbst die Rede. Über den Preis gibt es noch keine Informationen.

Der sich entwickelnde Wettbewerb wird den Produktpreis drücken. Ist eine Massenproduktion möglich, führt das zu einer Preisminderung. Die Stromspeicher werden immer günstiger zu haben sein – parallel dazu steigt die Akzeptanz der Batterien als Speicherform. Da sind sich die Experten sicher. „Technologisch gesehen sind mittlerweile viele Batteriespeichersysteme so weit entwickelt, dass sie einen wirtschaftlichen Business Case ermög-lichen“, sagt Cavin Pietzsch. „Das wird sich in den nächsten Jah-ren mit der Verbesserung der zellenspezifischen Speicherkapazi-täten noch drastisch verbessern. Der Wettbewerb wird hier auch durch die Anforderungen der Automobilindustrie angetrieben und sorgt damit für einen kontinuierlichen Innovationsdruck.“

General Electric entdeckte den Speichermarkt schon vor ei-nigen Jahren für sich. Mittlerweile wächst der Konzern auch in diesem Geschäftsfeld kontinuierlich. Aktuell baut GE an einem Großprojekt in den USA mit 30 Megawatt Leistung.

GRÜNER WASSERSTOFF AUCH FÜR DIE STRASSENeben dem Hype um die Hausakkus ringen sowohl Power- to-Gas-Technologien (P2G) als auch Power-to-Heat (P2H) als wichtige Komponenten im Speichermarkt um Aufmerksamkeit. P2G als Langzeitspeicher wird dann gebraucht, wenn es über längere Zeit zu hohen Stromüberschüssen kommt, wie sie etwa ab einem Anteil der erneuerbaren Energien von mindestens 50 Prozent zu erwarten sind. „Unser P2G-Projekt ist in Deutsch-land eines der größten“, sagt Jonas Aichinger, Referatsleiter Tech-nologieentwicklung und -management der Stadtwerke Mainz.

Das besondere an der P2G-Technologie sei, dass man mit ihr auch auf lange Zeit Energie speichern könne. Mehrere Tage oder Wochen seien kein Problem – und genau das mache diese Tech-

nologie so wertvoll für die Energiewende, so der Technologieex-perte. „Unsere PEM-Anlage zur Wasserstoffgewinnung ist sogar die größte im Speichermarkt weltweit.“

Etwa 17 Millionen Euro wurden in die moderne Mainzer Anlage zur Herstellung grünen Wasserstoffs investiert. Etwa die Hälfte der Summe finanzierte der Bund als Forschungs- und Entwicklungsvorhaben. Das Pilotprojekt wurde von den Stadt-werken Mainz in Zusammenarbeit mit Siemens, Linde und der Hochschule RheinMain umgesetzt. Die Anlage, die nach einjäh-riger Bauzeit im Juli dieses Jahres in Betrieb ging, ist an einen Windpark und das Strom- und Gasnetz der Umgebung ange-schlossen. Das Herzstück des Systems ist eine PEM-Elektrolyse-anlage zur Wasserstoffgewinnung aus regenerativem Strom mit einer Spitzenleistung von sechs Megawatt.

Entschieden habe man sich für diese Technologie vor al-lem, weil der Standort in Mainz die nötige Infrastruktur hat, so Aichinger. „Wir haben hier einen idealen Knotenpunkt.“ Der Energiepark ist direkt an das Mittelspannnetz der Stadtwerke Mainz sowie an vier benachbarte Windräder angebunden. Zu-dem läuft eine Pipeline über das Gelände, in die der Wasser-stoff gleich eingespeist werden kann. „Außerdem nutzen wir die in Wasserstoff gespeicherte Energie, um sie auch in Brennstoff-zellen-Fahrzeuge einsetzen zu können. Die erneuerbare Ener-gie kann so auch auf die Straßen gebracht werden“, sagt Jonas Aichinger. Mit Brennstoffzellen-Fahrzeugen kann man schon heute mehrere 100 Kilometer fahren und einfach auftanken.

Investiert in die Zukunft: Dr. Tobias Brosze von den Stadtwerken Mainz.

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41STREITFRAGEN — November 2015

SPEICHERMARKT • UNTERNEHMERGEIST

Derzeit wird im Energiepark genügend Wasserstoff produziert, um etwa 2.000 Brennstoffzellen-Autos zu versorgen. Ai-chinger: „Man sollte die moderne Stadt als energieatmende Zelle begreifen. Wenn Wind und Sonne viel Strom produzieren, laden wir die Speicher der Stadt auf, um diese bei Bedarf nutzen zu können.“

Die Großanlage ist auch aus wirt-schaftlicher Sicht spannend. Denn die Stadtwerke Mainz beschäftigen sich schon seit Beginn der Energiewende mit dem Thema Netzstabilität und Speicher-technologie. „Wir investieren in die Zu-kunft“, sagt Dr. Tobias Brosze, stellver-tretender Vorstandsvorsitzender der Stadtwerke Mainz. „Wir haben in den vergangenen Jahren schon viel Neues aus-probiert und waren sehr innovativ un-terwegs. Wir packen das Thema an und sammeln Erfahrungen.“ Die Wirtschaft-lichkeit soll nun in einem vierjährigen Pilotprojekt untersucht und erprobt wer-den. „Derzeit wird die Auswirkung von Einsatzszenarien und Wasserstoffverwendung auf die Wirt-schaftlichkeit der Anlage untersucht. Noch wissen wir nicht, ob man mit dem Einsatz von P2G Geld verdienen kann. Wenn in den kommenden Jahren die neue Technologie honoriert wird und sich die Strommärkte weiter entwickeln, sind wir gut aufge-stellt“, ist sich Brosze sicher.

TECHNOLOGIE ZWEITER KLASSE?Derzeit haben bei den Speichertechnologien in Deutschland al-lerdings die Pumpspeicher die Nase vorn. 31 Kraftwerke speisen über sechs Gigawatt Leistung ein. Und weil die bewährte Tech-nologie als zuverlässig gilt, sind weitere zwölf größere Projekte geplant. Aber die Investoren zucken zurück. Denn: Die re-gulatorischen Hürden sind zu hoch. Und das Preisgefüge hat sich mit dem steigen-den Anteil Erneuerbarer stark verändert. Darunter leiden die bestehenden Anla-gen und neue Vorhaben liegen auf Eis. Pumpspeicher sind aber – wie alle ande-ren Energiespeicher auch – darauf ange-wiesen, dass im Strommarktdesign der Zukunft die Bereitstellung von Flexibili-tät und gesicherter Leistung angemessen vergütet wird. Bislang hat sich das trotz Potenzialstudien einzelner Bundesländer noch nicht geändert.

Zudem werden für den Strom, der in die Pumpspeicheranlagen fließt, nach wie vor Netzentgelte und Umlagen berechnet. Zu Unrecht, denn ein Speicher ist kein Endverbraucher, wie aktuell im Energie-wirtschaftsgesetz festgeschrieben ist. Der Strom wird also zum Zwecke der Wie-

dereinspeisung aus dem Netz entnommen, zwischengespeichert und anschließend wieder zugeführt.

Dass Speicher gebraucht werden, stellt wohl niemand ernst-haft infrage. Die Politik müsste sich eigentlich nur zu dieser Form der Stromspeicherung bekennen und die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Anlagen wirtschaftlich betrieben werden können. Dann könnten die zwölf Projekte verwirklicht werden.

RAUS AUS DER NISCHE„Es wird in kürzester Zeit einen kommerziellen Speichermarkt geben – ob für zentrale oder dezentrale Lösungen“, ist GE-Mann

Cavin Pietzsch überzeugt. In Privathaus-halten wird es viel mehr kleine Kompakt-anlagen geben. Aber auch große Lösungen sind notwendig. Sie werden unmittelbar an konventionelle Kraftwerke angeschlos-sen sein, um Regelenergie zu handeln und zu vermarkten. Beides wird seinen Platz finden.

Allerdings, und darin sind sich die Marktteilnehmer einig, müssen die Be-dingungen für neue Speichermodelle ver-bessert werden. Das betrifft unter an-derem einfachere Genehmigungen für Windgasprojekte und einen besseren Zu-gang zu den Regelenergiemärkten sowie die Möglichkeit, überschüssigen Wind-strom zum Marktwert zu beziehen.

Ob Batterie, P2G, P2H oder Pump-speicher – verschiedene Speichertechno-logien werden dafür sorgen, das Netz zu stabilisieren und die Versorgung zu si-chern. Vielleicht entwickeln Ingenieure aber auch völlig neue Verfahren.

AKTUELLE ENERGIESPEICHER

Pumpspeicherkraftwerke ...... sind eine bewährte großtechnische Stromspei-chertechnologie mit einem Wirkungsgrad von etwa 85 Prozent.Batteriespeicher ...... gibt es mit verschiedenen Zelltypen. Sie be-zeichnen den verwendeten Batterietyp: von AHI = Aqueous Hybrid Ion über Li-Ion = Lithium-Ionen bis ZBrRFB = Zink-Brom-Redox-Flow-Batterie.Power-to-Gas ...... gibt es als Elektrolyseverfahren mit einem Wir-kungsgrad von 75 Prozent und durch die Methani-sierung von Wasserstoff, bei der der Wirkungsgrad bei 60 Prozent liegt.Power-to-Heat ...... nutzt überschüssigen Strom aus Erneuerbaren Energien zur Erwärmung des Heizungswassers. Der Wirkungsgrad beträgt fast 100 Prozent.

Jonas Aichinger (li.) und Dr. Tobias Brosze in der Power-to-Gas-Anlage der Stadtwerke Mainz.

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ESSAY • DIVESTMENT

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DIVESTMENT • STANDPUNKT

Leonardo DiCaprio ist kein knausriger Typ. An den gut 500 Millionen Euro, die er bislang in Hollywood verdient hat, lässt der Schauspieler andere kräftig teilhaben. Er hat für die Wahlkämpfe aller demokratischen US-Präsident-schaftskandidaten seit Bill Clinton gespendet, für Bib-liothekscomputer, für die Rettung der asiatischen Tiger,

für haitianische Erdbebenopfer, für die Aids-Forschung. Er stach bei einer Wohltätigkeitsauktion sogar Paris Hilton aus, um eine Chanel-Tasche für seine Mutter zu ersteigern. Nur eine Gruppe kann von ihm kein Geld mehr erwarten: Unternehmen, die ihr Geschäft mit fossilen Energien machen. „Wir müssen den Wan-del zu einer Wirtschaft der sauberen Energien schaffen, die ohne fossile Energieträger auskommt“, sagt er. „Deshalb ist es jetzt an der Zeit zu desinvestieren.“ Sein privates und das Vermögen seiner Umweltschutzstiftung zieht er deshalb aus solchen Investments ab.

DiCaprio ist der derzeit prominenteste Anhänger der sogenann-ten Divestment-Bewegung. Klimaschutzorganisationen wie 350.org organisieren seit Jahren Kampagnen gegen Erdöl-, Gas- und vor allem Kohleindustrie, die durch ihren hohen CO₂-Ausstoß die Erder-wärmung forcieren. Anfangs be-teiligten sich vor allem Universitä-ten, Kirchen und Kommunen, die ihre Vermögensanlagen aus den inkriminierten Branchen abzogen. Doch inzwischen hat die Bewe-gung nicht nur DiCaprio gepackt, sondern sogar die Wirtschaft selber.

„Manche Investoren auf den internationalen Finanzmärkten sind zu Recht der Auffassung, dass der Bau von Kohlekraftwerken mit einer ambitionierten Klimapolitik unvereinbar ist“, beobach-tet Ottmar Edenhofer, Klimaschutzberater der Bundeskanzlerin. Dahinter steckt mehr als Wunschdenken bei Deutschlands be-kanntestem Kämpfer gegen die Erderwärmung.

Allein 2015 haben die Großbanken Credit Agricole, Citigroup und Bank of Amercia erklärt, keine Kohleprojekte mehr finan-zieren zu wollen. Auch der Versicherer Axa und die Stiftung der US-Milliardärsfamilie Rockefeller sagten Adieu. Norwegens Staats-fonds, immerhin 835 Milliarden Euro schwer, dürfte folgen. Der Finanzausschuss des Parlaments in Oslo hat jüngst den Rückzug des Fonds aus allen Anlagen mit fossilen Energien empfohlen. Be-troffen wären weltweit bis zu 70 Unternehmen, darunter auch die deutschen Versorger E.ON und RWE.

Wie die Atomkraft, so gerät auch die Kohle aus der Mode. Sie gilt als dreckig, als pfui, und deshalb als tabu. Also raus aus

der Kohle! Doch was steckt dahinter? Ein Modetrend? Ein öko-logisch motivierter Wandel wie jener, der dazu führte, dass heute selbst Discountmärkte Bioprodukte in ihren Regalen haben? Es ist komplizierter.

Wenn Norwegens Staatsfonds desinvestiert, dann weil es poli-tisch gewollt ist. Das ist bemerkenswert. Denn der Staatsfonds wird gespeist durch Einnahmen aus Norwegens Öl- und Gasförderung. Kohle aber lehnt Oslos Parlament ab. Und so wundert man sich bei einem deutschen Versorger: „Gerade die, die am meisten am CO₂-Ausstoß verdienen, machen nun auf CO₂-frei.“

Bei anderen Finanziers sind es indes sehr renditeorientierte Gründe. So begründet zwar auch die Citigroup ihren Ausstieg aus der Kohle mit Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Gleichzeitig gibt sie an, in den nächsten zehn Jahren mit 100 Milliarden Dol-lar Umwelt- und Klimaschutztechnologien finanzieren zu wollen. Und das ist der Punkt. Die Ressourcen fossiler Energieträger sind endlich, zudem wird die Branche durch Klimaabkommen und verschärfte Gesetze immer weiter eingeschränkt. Für Finanziers

heißt das: ein schrumpfender Markt. Regenerative Energien hingegen bieten dank staatli-cher Förderung hohe Margen.

Bei Insurance Europe, dem Dachverband der europäischen

Versicherer, sind die Klimaziele „ein ganz großes Thema“, wie es dort heißt. Doch auch dabei geht es nicht um Political Correct-ness, sondern um unternehmerische Erwägungen. „Es ist seit ei-niger Zeit anerkannt, dass der Klimawandel für die Welt ernst-hafte Konsequenzen hat“, so Torbjörn Magnusson, Vizepräsident von Insurance Europe. Mehr und schwerere Naturkatastrophen würden die Herausforderungen, denen sich die Versicherer heute schon gegenüber sähen, noch weiter steigen lassen. Die Kalkula-tion der Branche: mehr CO₂ = mehr Erderwärmung = mehr Ka-tastrophen = mehr Kosten für die Versicherer.

Die Divestment-Bewegung erreicht inzwischen sogar die Energieversorger. So hat Vattenfall seine ostdeutsche Braun-kohle-Sparte nun offiziell zum Verkauf freigegeben. Mit Politi-cal Correctness hat das indes wenig zu tun. Die deutsche Ener-giewende mit ihrem Fokus auf regenerative Energien drückt zu sehr auf die Rendite.

Andreas Theyssen war Ressortleiter Politik bei der Financial Times Deutschland und ist Gründer der Debattierplattform Opinion Club.

Kohle ohne KohleInvestoren ziehen ihre Gelder von Kohlekraftwerken ab.

Aber warum? Aus Gründen der Political Correctness? Oder weil sie sich um ihre Renditen sorgen?

Von ANDREAS THEYSSEN

Kohlekraftwerke haben bereits in der Gegenwart Probleme, die jenseits alles Ökologischen liegen.

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SCHLAGZEILEN,die wir gern lesen würden

SCHLAGZEILEN • MEDIENCHECK

Page 47: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 2/2015

Was kommt

Impressum

Die Energie- und Wasserbranche ist in Bewegung. Fortwährend finden Kongresse, Tagungen und

Foren zu aktuellen politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Themen statt.

HerausgeberBDEW Bundesverband der

Energie- und Wasserwirtschaft e.V.Reinhardtstraße 32

10117 [email protected]

www.bdew.de

GesamtverantwortungMathias Bucksteeg

ChefredaktionHenning Jeß

RedaktionsschlussHerbst 2015

Konzept und RealisierungC3 Creative Code and Content GmbH,

unter redaktioneller Mitarbeit von Ricarda Eberhardt, Birgit Heinrich (Bildwelt), BDEW

Autoren dieser AusgabeIna Broszka, Tom Levine, Yvonne Schröder,

Reiner Schweinfurth (alle C3)

Druck und VerarbeitungBrandenburgische Universitätsdruckerei

und Verlagsgesellschaft Potsdam mbhKarl-Liebknecht-Straße 24/25

14476 Golm bei Potsdam

16.–18.2.2016E-world energy & water,

Essen

25.–29.4.2016Hannover Messe

mit dem Energieforum „Life Needs Power 2016“ unterstützt vom BDEW

23.–24.2.2016Smart Renewables 2016,

Berlin

3.12.2015 Forum für kleinere und mittlere Stadtwerke,

Hamburg

30.11.–11.12.2015 UN-Klimakonferenz,

Paris

TERMINE • VERANSTALTUNGEN

45STREITFRAGEN — November 2015

Page 48: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 2/2015

OUTRO Streitpunkt Wasser»Eine Steuer auf Pflanzenschutzmittel könnte Anreiz für den einzelnen Landwirt sein, jeweils möglichst wenig Pflanzenschutz-mittel einzusetzen, so Geld zu sparen und zu helfen, unerwünschte Umweltbelastungen zu reduzieren.«

Robert Habeck, Umweltminister von Schleswig-Holstein, zu seinem Vorschlag einer Steuer auf Pflanzenschutz-mittel am 2.10.2015.

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OUTRO • TRINKWASSER

46 STREITFRAGEN — November 2015

Page 49: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 2/2015

OUTRO Streitpunkt Wasser

»Die Forderung von Minister Habeck bringt (...) keinen Zusatznutzen für den Umweltschutz.«

Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, zum

gleichen Thema am 3.10.2015.

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TRINKWASSER • OUTRO

47STREITFRAGEN — November 2015

Page 50: BDEW-Magazin "Streitfragen" - 2/2015

Das Magazin der Energie- und Wasserwirtschaft

Streit--fragen

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Lesen Sie das Doppelinterview zwischen Hans-Heinrich Andresen (WEB Andresen) und Andreas Renner (EnBW) über den zukünftigen Ausbau der Windkraft in Deutschland, die Ausgestaltung des Auktionsdesigns für erneuerbare Energien und die Akteursvielfalt. Erfahren Sie im Länderporträt, was Costa Rica unternimmt, um bis 2021 Niedrigemissionsland zu werden.