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90 Ernährungs-Umschau 54 (2007) Heft 2 Basiswissen aktualisiert Alkohol Claudia Weiß, Karlsruhe Im chemischen Sinne sind Alkohkole eine Stoffgruppe, welche die –OH („ol“ bzw. Hydroxyl)-Gruppe in Bindung an ein C-Atom besitzen. Dabei darf das C- Atom nicht Teil einer Dobbelbindung sein. Umgangssprachlich ist Alkohol die Bezeichnung für Ethanol bzw. Ethyl- alkohol. Er gehört zu den energielie- fernden Nahrungsinhaltsstoffen. Die Aufnahme erfolgt hauptsächlich über alkoholische Getränke. In kleinerem Umfang tragen auch andere Lebens- mittel zur Zufuhr bei: Obst und Obst- säfte haben natürlicherweise einen ge- ringen Ethanolgehalt, anderen Le- bensmitteln wie Süßwaren, Soßen und Desserts wird Alkohol bei der Herstel- lung zugesetzt. Auch die Darmflora produziert kleine Mengen Ethanol. Alkohol hat ein spezifische Gewicht von 0,79 g/cm 3 , das bei der Umrech- nung von Volumen- in Gewichtspro- zent berücksichtigt werden muss: Alkohol (Vol.-%) x 0,79 g/cm 3 = Alkohol (Gew.-%) Alkoholkonsum Der Pro-Kopf-Verbrauch an reinem Al- kohol lag im Jahr 2004 bei 10,1 l und zeigt damit seit 1991 (Spitzenwert von 12,4 l/Jahr) eine leicht rückläufige Tendenz. Die Bevölkerungsgruppe mit dem höchsten Alkoholkonsum sind Männer von 51–65 Jahren mit ca. 30 g pro Tag. Dies entspricht einem Anteil an der Energiezufuhr von etwa 7,0 % (Tab. 2). Schon 34 % der 12- bis 25-Jährigen trinken regelmäßig mindestens ein- mal pro Woche Alkohol. Der durch- schnittliche Alkoholkonsum ist in die- ser Altersgruppe zwar rückläufig, rela- tiv verbreitet ist jedoch das sog. Binge- Drinking (Rauschtrinken) – die Hälfte der 16- bis 19-Jährigen betrinkt sich mindestens einmal im Monat. Resorption und Verteilung im Körper Da Alkohol sowohl fett- als auch was- serlöslich (lipophil und hydrophil) ist, kann er leicht durch Zellmembranen diffundieren. Schon etwa 20 % der auf- genommenen Menge werden im Ma- gen resorbiert, der größte Anteil im oberen Dünndarm. Die Resorptionsrate wird unter an- derem durch folgende Faktoren beein- flusst: Füllungszustand des Magens: hem- mend wirken vor allem Milch, Pro- tein und Fett Konzentrationsgradient: Alkohol- konzentration des Getränkes und Trinkgeschwindigkeit Zusammensetzung und Temperatur des Getränkes: Zucker, Kohlensäure und eine hohe Temperatur be- schleunigen die Resorption Die maximale Blutalkoholkonzentra- tion ist bereits 1–2 h nach der Zufuhr erreicht. Muskeln, Gehirn und Leber nehmen viel Alkohol auf, Fettgewebe und Knochen vergleichsweise wenig. Für die Berechnung der Blutalkohol- konzentration muss das Körperge- wicht daher mit einem sog. Reduk- tionsfaktor multipliziert werden. Die- ser liegt für Männer bei 0,7, für Frauen aufgrund des höheren Körperfettan- teils und dadurch geringeren Wasser- verteilungsraumes bei 0,6. Berechnung der maximalen Alkoholkon- zentration im Blut (näherungsweise): max. Blutalkoholkonzentration (‰) = Alkoholzufuhr [g] Körpergewicht (kg) x Reduktionsfaktor So erreicht die Blutalkoholkonzentra- tion einer 65 kg schweren Frau nach dem Verzehr von 2 Gläsern Wein (22 g Alkohol) etwa 0,56 ‰. (22 g/65 kg/0,6 = 0,56 ‰). Alkoholmetabolismus 2–10 % des aufgenommenen Alkohols werden unverändert über Lunge, Haut und Urin ausgeschieden. Der weitaus größere Teil wird oxidativ abgebaut. In geringerem Umfang ist bereits der Magen an der Alkoholelimination beteiligt. Die in der Magenmukosa lo- kalisierte Alkoholdehydrogenase (ADH) oxidiert Ethanol zu Acetaldehyd. Der weitaus größte Teil des resorbierten Al- kohols wird in der Leber metabolisiert. Dafür stehen drei in unterschiedlichen Zellkompartimenten lokalisierte En- zymsysteme zur Verfügung (Abb. 1): 1. Alkoholdehydrogenase (ADH) im Zytosol 2. Mikrosomales ethanoloxidierendes System (MEOS) am endoplasmati- schen Retikulum 3. Katalase in den Peroxisomen Geringe Alkoholmengen werden be- vorzugt mittels ADH oxidiert, ab etwa 0,5 ‰ Blutalkoholkonzentration ge- winnt das MEOS an Bedeutung, das im Gegensatz zur ADH durch Alkohol in- duzierbar 1 ist. Die Katalase ist für den Alkoholmetabolismus von unterge- ordneter Bedeutung. Alle drei Enzymsysteme bauen Ethanol zu Acetaldehyd ab. Dieser to- xische Metabolit wird von der mito- chondrialen Aldehyddehydrogenase (ALDH) zu Acetat oxidiert, welches als Acetyl-CoA in den Tricarbonsäurezy- Die gesundheitlichen Schäden für die Betroffenen sowie die volks- wirtschaftlichen Auswirkungen des Alkoholmissbrauchs sind zwar allgemein bekannt, werden aber immer wieder verdrängt. Daneben sind die gesundheitsförderlichen Wirkungen eines moderaten Alko- holkonsums in der Diskussion. Basiswissen aktualisiert liefert das Grundlagenwissen zur „legalen Droge“ Alkohol. Tab. 1: Durchschnittlicher Alkoholgehalt in Getränken Getränke Alkohol- Portions- Alkohol- gehalt größe zufuhr pro in % vol Portion Bier 5 0,33 l ca. 13 g Wein 12,5 0,2 l ca. 20 g Sekt 11 0,1 l ca. 9 g Schnaps (doppelter) 33 4 cl ca. 10 g 1 Nimmt die Aktivität eines Enzyms bei Zufuhr der Substanz, an deren Stoffwechsel das Enzym beteiligt ist zu, spricht man von (Substrat-)Induktion.

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90 Ernährungs-Umschau 54 (2007) Heft 2

Basiswissen aktualisiert

AlkoholClaudia Weiß, Karlsruhe

Im chemischen Sinne sind Alkohkoleeine Stoffgruppe, welche die –OH („ol“bzw. Hydroxyl)-Gruppe in Bindung anein C-Atom besitzen. Dabei darf das C-Atom nicht Teil einer Dobbelbindungsein.

Umgangssprachlich ist Alkohol dieBezeichnung für Ethanol bzw. Ethyl-alkohol. Er gehört zu den energielie-fernden Nahrungsinhaltsstoffen. DieAufnahme erfolgt hauptsächlich überalkoholische Getränke. In kleineremUmfang tragen auch andere Lebens-mittel zur Zufuhr bei: Obst und Obst-säfte haben natürlicherweise einen ge-ringen Ethanolgehalt, anderen Le-bensmitteln wie Süßwaren, Soßen undDesserts wird Alkohol bei der Herstel-lung zugesetzt. Auch die Darmfloraproduziert kleine Mengen Ethanol.

Alkohol hat ein spezifische Gewichtvon 0,79 g/cm3, das bei der Umrech-nung von Volumen- in Gewichtspro-zent berücksichtigt werden muss:

Alkohol (Vol.-%) x 0,79 g/cm3 = Alkohol(Gew.-%)

Alkoholkonsum Der Pro-Kopf-Verbrauch an reinem Al-kohol lag im Jahr 2004 bei 10,1 l undzeigt damit seit 1991 (Spitzenwert von12,4 l/Jahr) eine leicht rückläufigeTendenz. Die Bevölkerungsgruppe mitdem höchsten Alkoholkonsum sind

Männer von 51–65 Jahren mit ca. 30 gpro Tag. Dies entspricht einem Anteilan der Energiezufuhr von etwa 7,0 %(Tab. 2).

Schon 34 % der 12- bis 25-Jährigentrinken regelmäßig mindestens ein-mal pro Woche Alkohol. Der durch-schnittliche Alkoholkonsum ist in die-ser Altersgruppe zwar rückläufig, rela-tiv verbreitet ist jedoch das sog. Binge-Drinking (Rauschtrinken) – die Hälfteder 16- bis 19-Jährigen betrinkt sichmindestens einmal im Monat.

Resorption und Verteilung imKörper

Da Alkohol sowohl fett- als auch was-serlöslich (lipophil und hydrophil) ist,kann er leicht durch Zellmembranendiffundieren. Schon etwa 20 % der auf-genommenen Menge werden im Ma-gen resorbiert, der größte Anteil imoberen Dünndarm.

Die Resorptionsrate wird unter an-derem durch folgende Faktoren beein-flusst:■ Füllungszustand des Magens: hem-

mend wirken vor allem Milch, Pro-tein und Fett

■ Konzentrationsgradient: Alkohol-konzentration des Getränkes undTrinkgeschwindigkeit

■ Zusammensetzung und Temperaturdes Getränkes: Zucker, Kohlensäureund eine hohe Temperatur be-schleunigen die Resorption

Die maximale Blutalkoholkonzentra-tion ist bereits 1–2 h nach der Zufuhrerreicht. Muskeln, Gehirn und Lebernehmen viel Alkohol auf, Fettgewebeund Knochen vergleichsweise wenig.Für die Berechnung der Blutalkohol-konzentration muss das Körperge-wicht daher mit einem sog. Reduk-tionsfaktor multipliziert werden. Die-ser liegt für Männer bei 0,7, für Frauen

aufgrund des höheren Körperfettan-teils und dadurch geringeren Wasser-verteilungsraumes bei 0,6.

Berechnung der maximalen Alkoholkon-zentration im Blut (näherungsweise):max. Blutalkoholkonzentration (‰) =

Alkoholzufuhr [g]Körpergewicht (kg) x Reduktionsfaktor

So erreicht die Blutalkoholkonzentra-tion einer 65 kg schweren Frau nachdem Verzehr von 2 Gläsern Wein (22 g Alkohol) etwa 0,56 ‰.(22 g/65 kg/0,6 = 0,56 ‰).

Alkoholmetabolismus 2–10 % des aufgenommenen Alkoholswerden unverändert über Lunge, Hautund Urin ausgeschieden. Der weitausgrößere Teil wird oxidativ abgebaut.

In geringerem Umfang ist bereitsder Magen an der Alkoholeliminationbeteiligt. Die in der Magenmukosa lo-kalisierte Alkoholdehydrogenase (ADH)oxidiert Ethanol zu Acetaldehyd. Derweitaus größte Teil des resorbierten Al-kohols wird in der Leber metabolisiert.Dafür stehen drei in unterschiedlichenZellkompartimenten lokalisierte En-zymsysteme zur Verfügung (Abb. 1):

1. Alkoholdehydrogenase (ADH) imZytosol

2. Mikrosomales ethanoloxidierendesSystem (MEOS) am endoplasmati-schen Retikulum

3. Katalase in den Peroxisomen

Geringe Alkoholmengen werden be-vorzugt mittels ADH oxidiert, ab etwa0,5 ‰ Blutalkoholkonzentration ge-winnt das MEOS an Bedeutung, das imGegensatz zur ADH durch Alkohol in-duzierbar1 ist. Die Katalase ist für denAlkoholmetabolismus von unterge-ordneter Bedeutung.

Alle drei Enzymsysteme bauenEthanol zu Acetaldehyd ab. Dieser to-xische Metabolit wird von der mito-chondrialen Aldehyddehydrogenase(ALDH) zu Acetat oxidiert, welches alsAcetyl-CoA in den Tricarbonsäurezy-

Die gesundheitlichen Schäden für die Betroffenen sowie die volks-wirtschaftlichen Auswirkungen des Alkoholmissbrauchs sind zwarallgemein bekannt, werden aber immer wieder verdrängt. Danebensind die gesundheitsförderlichen Wirkungen eines moderaten Alko-holkonsums in der Diskussion. Basiswissen aktualisiert liefert dasGrundlagenwissen zur „legalen Droge“ Alkohol.

Tab. 1: Durchschnittlicher Alkoholgehaltin Getränken

Getränke Alkohol- Portions- Alkohol-gehalt größe zufuhr proin % vol Portion

Bier 5 0,33 l ca. 13 g

Wein 12,5 0,2 l ca. 20 g

Sekt 11 0,1 l ca. 9 g

Schnaps (doppelter) 33 4 cl ca. 10 g

1Nimmt die Aktivität eines Enzyms bei Zufuhr derSubstanz, an deren Stoffwechsel das Enzym beteiligtist zu, spricht man von (Substrat-)Induktion.

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Ernährungs-Umschau 54 (2007) Heft 2 91

Basiswissen aktualisiert

klus (=Zitratzyklus) fließt.Sowohl ADH als auch ALDHbenötigen NAD+ als Coen-zym. Der limitierende Fak-tor beim Alkoholabbau istdie Reoxidation von NADH/H+ zu NAD+.

Der Alkoholmetabolismuszeigt sowohl individuelleSchwankungen als auch er-hebliche Unterschiede zwi-schen ethnischen Gruppen.Dies ist auf verschiedeneGenotypen alkoholmetabo-lisierender Enzyme zurück-zuführen, die stark in ihrerAktivität variieren und zueiner Akkumulation vonAcetaldehyd führen kön-nen. Diese äußerst sich ineiner Alkoholintoleranz mitFieberanfällen, Kopschmer-zen, Schwindelgefühl, Übelkeit undBrechreiz.

Die durchschnittliche Eliminations-rate für Alkohol liegt für Männer bei0,1 g, für Frauen bei 0,085 g pro kgKörpergewicht und Stunde. Der Alko-holgehalt in zwei kleinen Gläsern Wein(22 g) wird bei einer 65 kg schwerenFrau in etwa 4 Stunden abgebaut: 22 g/(0,085 g/kg/h x 65 kg) = 3,98 h

Eine sinnvolle und sichere Strategie,die Eliminationsrate zu erhöhen, istbisher nicht bekannt. Lediglich hoheDosen an Fruktose beschleunigen denAlkoholabbau durch Steigerung derReoxidation von NADH/H+. Koffeinhat keinen Einfluss.

Alkohol und KörpergewichtAlkoholische Getränke sind bedeuten-de Energielieferanten. Alkohol liefertpro Gramm 7,1 kcal bzw. 29 kJ undliegt damit im Energiegehalt zwischenKohlenhydraten und Fett. Der appetit-steigernde Effekt und die hemmendeWirkung auf die Fettoxidation begüns-tigen darüber hinaus eine Gewichtszu-

nahme. Regelmäßiger moderater Al-koholkonsum kann somit zur Entste-hung von Übergewicht beitragen.

Es besteht jedoch kein eindeutigerZusammenhang zwischen Alkoholzu-fuhr und Körpergewicht (BMI). Ent-scheidend ist, ob alkoholische Geträn-ke additiv zur normalen Ernährungaufgenommen werden oder die Nah-rung substituieren. Letzteres trifft vorallem für Personen mit hohem Kon-sum zu (über 50 g/Tag), besonders fürAlkoholiker, bei denen alkoholischeGetränke einen Großteil der Nah-rungszufuhr ausmachen können. Diesführt zu Mangelernährung und Ge-wichtsverlust.

Folgen eines hohen AlkoholkonsumsDie gesundheitsschädlichen Folgendauerhaft hoher Alkoholzufuhr sindvielfältig und schwerwiegend. Rund42 000 Todesfälle pro Jahr stehen inZusammenhang mit riskantem Alko-holkonsum, bei etwa 17 600 Todesfäl-len ist dieser die entscheidende Todes-ursache. Zu unterscheiden sind akute

Alkoholintoxikation, Folge-schäden langfristigen Alko-holmissbrauchs und Alko-holabhängigkeit.

Akute Alkoholintoxikation

Für die akute Wirkung vonEthanol ist das Gehirn dasprimäre Zielorgan. Der Wir-kungsmechanismus ist nochnicht genau geklärt. Er gehtmöglicherweise von Acetal-dehyd bzw. dessen Konden-sationsprodukten mit Neu-rotransmittern aus. Ab ei-ner Blutalkoholkonzentra-tion von 0,2 ‰ verändernsich subjektives Erleben und persönliches Verhal-ten, Konzentrationsvermö-gen und Bewegungskoordi-

nation lassen nach und die Reaktions-zeit verlängert sich. Blutalkoholkon-zentrationen ab 1,4 ‰ gelten als akuteVergiftung und führen konzentrations-abhängig zu Stimmungs- und Per-sönlichkeitsveränderungen, gestörterWahrnehmung und Bewegungskoor-dination, Sprachstörung, Übelkeit, Er-brechen und Gedächtnisschwund. Dieletale Blutalkoholkonzentration liegtbei etwa 4–5 ‰.

Die Alkoholintoxikation ist häufigvon schweren Hypoglykämien beglei-tet (s. u.). Eine akute Gefahr bestehtauch durch das erhöhte Risiko für ei-nen gewaltsamen Tod durch Unfällesowie für Verbrechen wie Sachbeschä-digung, Körperverletzung und Tot-schlag.

Alkoholbedingte Stoffwechsel-störungen

Vielfältige Störungen im Leberstoff-wechsel sind auf einen relativen Über-schuss an NADH/H+ zurückzuführen,das sowohl bei der ADH- als auch beider ALDH-Reaktion entsteht. Die Ver-schiebung des Redoxgleichgewichtes

Tab. 2: Alkoholkonsum der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland und Anteil an der Energiezufuhr [4]

Zufuhr an Alkohol Männer Frauen(in Gramm pro Tag) Alte Bundesländer Neue Bundesländer Alte Bundesländer Neue Bundesländer

g/Tag Anteil an d. g/Tag Anteil an d. g/Tag Anteil an d. g/Tag Anteil an d.Energiezufuhr Energiezufuhr Energiezufuhr Energiezufuhr

19–25 Jahre* 2 0,6% 3 0,9% 3 0,8% 4 1,3%

25–51 Jahre 18 5,1% 23 6,4% 11 3,4% 14 4,2%

51–65 Jahre 27 7,0% 31 7,3% 10 2,9% 10 2,8%

65 Jahre und älter 24 5,7% 26 5,8% 6 1,8% 6 1,6%

* Die Daten lassen methodenbedingt keine valide Schätzung des Alkoholkonsums von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu (Unterschätzung des Außer-Haus-Verzehrs)

Abb. 1: Alkoholmetabolismus. Oxidation von Alkohol über Acet-aldhyd zu Essigsäure/Acetat. NAD+/NADH und NADP+/NADH sindsog. Redoxäquivalente, die während der Oxidations- bzw. Reduk-tionsreaktionen im Gegenzug reduziert bzw. oxidiert werden.ADH = Alkoholdehydrogenase, ALDH = Aldehyddehydrogenase,MEOS = Mikrosomales ethanoloxidierendes System

Ethanol Acetaldehyd

ADH

MEOS

Acetat

NAD+ NADH/H+

Katalase ALDH

NAD+ NADH/H+

H2O2 2 H2O

NADPH/H+ (+O2) NADP+ (+H2O)

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92 Ernährungs-Umschau 54 (2007) Heft 2

Basiswissen aktualisiert

hat vor allem folgende Auswirkungen:■ Hemmung des Tricarbonsäurezy-

klus. Im Ethanol-Stoffwechsel ge-bildetes Acetyl-CoA fließt deshalbin stärkerem Umfang in die Fettsäu-resynthese. Zusätzlich wird die Bil-dung von α-Glycerophosphat ge-fördert, das zur Veresterung derFettsäuren dient. Dadurch kommtes zu einer starken Erhöhung derTriglyceridsynthese und zur Akku-mulation von Fett in der Leberzelle.

■ Hemmung der Glukoneogenese.Dies kann bei erschöpftem Glyko-genspeicher schwere Hypoglyk-ämien hervorrufen.

■ Die verstärkte Bildung von Lactataus Pyruvat begünstigt eine meta-bolische Acidose, die die Ausschei-dung von Harnsäure über die Nie-ren hemmt und zu Hyperurikämieführen kann.

Eine schädigende Wirkung geht außer-dem von dem lebertoxischen und re-aktiven Metabolit Acetaldehyd aus. Erbildet Protein-Acetaldehyd-Addukte,die eine Retention von Proteinen inder Leber bewirken und wahrschein-lich zellschädigende Immunreaktio-nen auslösen. Zudem fördert Acetal-dehyd die Lipidperoxidation.

Die Aktivierung des MEOS führt zueiner vermehrten Bildung freier Radi-kale und verändert den Metabolismusvon Pharmaka und anderen körper-fremden Substanzen. Dies kann eineAktivierung von prokanzerogenenSubstanzen zu Kanzerogenen zur Fol-ge haben.

Organschäden und -funktions-störungen

Grundsätzlich schädigt Alkohol alleOrgane und Gewebe. Die Leber alsHauptstoffwechselorgan ist allerdingsbesonders gefährdet. Bereits ab einertäglichen Alkoholzufuhr von 40 g beiMännern und 20 g bei Frauen zeigtsich eine signifikante Korrelation zwi-schen Höhe der Zufuhr und dem Auf-treten der Leberzirrhose.

Bei etwa 90 % der Personen mitchronischem Alkoholabusus ist eineFettleber nachweisbar. Der normaleFettanteil der Leber liegt bei 5 %, erkann aber bis auf über 50 % ansteigen.In diesem Stadium ist die Leberschä-digung noch vollständig reversibel. Beietwa 10–30 % der Alkoholiker entwi-ckelt sich eine Hepatitis, die durch zu-nehmende entzündliche Veränderun-gen und Nekrosen gekennzeichnet ist.Die Leberzirrhose stellt das Endsta-

dium der alkoholinduzierten Leber-schädigungen dar. Sie führt zum fort-schreitenden Untergang von Leberge-webe und zur Zerstörung der Organ-struktur und hat zahlreiche Folgen fürden Organismus. Eine Anreicherungvon Ammoniak und anderen toxi-schen Substanzen schädigt das Gehirn(hepatische Enzephalopathie) undkann zum hepatischen Koma führen.

Besonders häufig sind außerdemdie folgenden Organe und Organsyste-me von alkoholinduzierten Schädi-gungen betroffen:■ Speiseröhre: Alkohol verringert den

Druck des unteren Ösophagus-sphinkters und begünstigt so denReflux von Mageninhalt und infol-gedessen entzündliche Schädigun-gen der Ösophagusschleimhaut.

■ Magen: Es treten Schleimhautver-änderungen und -risse auf, die zuschweren Blutungen führen kön-nen. Umstritten ist noch, ob sichdas Risiko für Gastritis und Magen-ulzera erhöht.

■ Dünndarm: Durch Schädigung derSchleimhaut kommt es zur Störungder Mukosabarriere mit erhöhterPermeabilität für Makromolekülewie bakterielle Toxine. Dies ist ver-mutlich die Ursache für alkoholin-duzierte Endotoxinämien. Häufigsind außerdem Resorptionsstörun-gen vieler Nahrungsbestandteile.

■ Pankreas: Alkohol ist die häufigsteUrsache bei der Entstehung derchronischen Pankreatitis. Das Risi-ko steigt dosisabhängig. Frauenweisen eine höhere Organempfind-lichkeit auf als Männer.

■ Herz-Kreislauf-System: Regelmäßi-ger Alkoholkonsum ist ein wichtigerRisikofaktor für Bluthochdruck. Erführt außerdem zur Schädigung desHerzmuskels und vermehrter Kate-cholaminausschüttung. Häufig re-sultieren daraus Herzrhythmusstö-rungen wie z. B. Vorhofflimmern.

■ Nervensystem: Schädigungen sindeinerseits auf die toxischen Wirkun-gen des Alkohols zurückzuführen.Andererseits sind sie Folge von Vit-amin-B-Mangelzuständen, die beichronischem Alkoholmissbrauchweit verbreitet sind.

Kanzerogene Wirkung

Dauerhaft hoher Alkoholkonsum stei-gert das Risiko für Krebserkrankungen.Am deutlichsten zeigt sich dies für Le-ber- und Brustkrebs sowie für Karzino-me in Mund, Rachen, Kehlkopf und

Speiseröhre. Auch für Magen-, Dick-darm- und Mastdarmkrebs ist ein risi-koerhöhender Effekt nachweisbar.Über welche biologischen Mechanis-men Alkohol die Kanzerogenese be-einflusst, ist noch nicht genau be-kannt. Vermutlich geht die Wirkungvor allem von Acetaldehyd aus sowievon im Alkoholstoffwechsel entste-henden freien Radikalen. Durch Ver-änderungen im Zellstoffwechsel derLeber können prokanzerogene Sub-stanzen aktiviert werden. Schäden anSchleimhäuten sowie Mangel- undFehlernährung tragen vermutlichebenfalls zur Wirkung bei.

Teratogene Wirkung

Schon geringer bis moderater Alkohol-konsum kann zu Störungen in der Embryonalentwicklung führen. Be-sonders hoch ist das Risiko in den er-sten 4–5 Schwangerschaftsmonaten.Bei 30–45 % der Kinder von Alkoholi-kerinnen entwickelt sich ein Embryo-fetales Alkoholsyndrom. Die Sympto-me sind unter anderem Wachstumsre-tardierung und Untergewicht, Missbil-dungen von Schädel, Gliedmaßen, Ge-lenken und Nieren sowie Funktions-störungen des Gehirns. Die Folgenmanifestieren sich zum Teil erst imVorschul- und Schulalter in Form vonLern- und Verhaltensstörungen sowiemotorischen und sozialen Entwick-lungsstörungen.

Schädlich wirken sowohl der gele-gentliche Konsum relativ großer Alko-holmengen als auch die regelmäßigegeringe Aufnahme.

Mangelerscheinungen

Chronischer Alkoholabusus führt imNormalfall früher oder später zurMangelernährung. Ursache dafür isteinerseits die Substitution von Nah-rungsmitteln durch alkoholische Ge-tränke – bis über 50 % der Energiezu-fuhr erfolgt über Alkohol – und die da-durch bedingte geringe Aufnahme es-senzieller Nährstoffe.

Andererseits sind Resorption undStoffwechsel der Nährstoffe in vielfa-cher Weise gestört, die renale Aus-scheidung ist für einige Mineralstoffeerhöht. Besonders weit verbreitet istder Thiaminmangel, ein wesentlicherFaktor für Nervenfunktionsstörungenbei Alkoholikern (Wernicke-Korsa-kow-Syndrom). Mangelsymptome tre-ten auch bei allen anderen B-Vitami-nen auf, vor allem Pyridoxin und Fol-säure sind betroffen. Darüber hinaus

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Ernährungs-Umschau 54 (2007) Heft 2 93

Basiswissen aktualisiert

wird eine Unterversorgung auch fürVitamin A, C, D und K sowie für Zinkund Magnesium beobachtet.

Alkoholabhängigkeit – AlkoholismusAlkohol kann eine psychische undphysische Abhängigkeit erzeugen. DieEntstehung der Alkoholkrankheit istein multifaktorielles Geschehen mitgenetischen, psychosozialen und um-weltbedingten Ursachen. Ein be-sonders hohes Krankheitsrisiko liegtvor, wenn ein langfristig erhöhter Al-koholkonsum und die genetische Dis-position zusammenkommen. InDeutschland sind etwa 1,7 Mio. Men-schen alkoholabhängig.

Nach der „International Classifica-tion of Diseases“ (ICD-10) wird eineAlkoholabhängigkeit diagnostiziert,wenn mindestens drei der folgendenKriterien erfüllt sind:■ Starker Wunsch nach Alkoholkon-

sum■ Verminderte Kontrollfähigkeit des

Konsums■ Körperliches Entzugssyndrom bzw.

Alkoholkonsum zur Verminderungvon Entzugssymptomen

■ Toleranzentwicklung mit zuneh-mend höherer Alkoholaufnahme

■ Eingeengtes Verhaltensmuster imUmgang mit Alkohol

■ Vernachlässigung anderer Interes-sen zugunsten des Alkoholkonsums

■ Anhaltender Konsum trotz nachge-wiesener schädlicher Folgen

Gesundheitsfördernde Wirkungen eines modera-ten Alkoholkonsums

Moderater Alkoholkonsum kann posi-tive Auswirkungen auf die Gesundheithaben. Er senkt das Risiko für die koro-nare Herzkrankheit und dadurch dieGesamtmortalität. Die kardioprotekti-ve Wirkung zeigt sich v. a. für Personenmittleren und höheren Alters, wäh-rend junge Menschen kaum profitie-ren.

Die Wirkungsmechanismen sindnoch nicht abschließend geklärt.Nachgewiesen ist ein positiver Einflussauf den Lipidstoffwechsel, insbeson-dere die Erhöhung der HDL-Plasma-konzentration. Durch eine gesteigerteFibrinolyse und Hemmung derThrombozytenaggregation verringertsich die Blutgerinnungsneigung.

Bisherige Studien weisen darauf

hin, dass die protektive Wirkung in ers-ter Linie auf den Alkohol selbst zu-rückzuführen ist und daher nicht we-sentlich vom Getränketyp abhängt.Gesundheitsfördernde Wirkungenwurden studienabhängig bei Zufuhr-mengen bis zu 40 g pro Tag beobach-tet. Wesentlich scheint dabei die regel-mäßige Aufnahme zu sein, der gele-gentliche Konsum größerer Mengenzeigt keinen vorbeugenden Effekt.

EmpfehlungenEs gibt keine Zufuhrmengen für Alko-hol, die einen gefahrlosen Konsum ga-rantieren. Um gesundheitsförderndeWirkungen nicht unberücksichtigt zulassen, wurden sog. TOAM – tolerier-bare tägliche Alkoholzufuhrmengen –erarbeitet. Sie sollen einerseits daspräventive Potenzial von Alkohol weit-gehend ausschöp-fen, andererseits ei-nen Schutz vor ge-sundheitsschädigen-den Konsequenzeninklusive des Sucht-potenzials bieten.Aus Sicherheitsgrün-den sind die er-mittelten Werte nichtals Richtwerte son-dern als obereGrenzwerte für dieAlkoholaufnahme zusehen. Sie liegen fürFrauen bei 10–12g/Tag, für Männerbei 20–24 g/Tag [2,3].Vergleichbare Zahlensind auch in den D-A-CH-Referenz-werten für die Nähr-stoffzufuhr zu fin-den. Hier werden 10 g Alkohol pro Tagfür Frauen und 20 g für Männer als ge-sundheitlich verträglich angesehen.

Generell bestehen große Bedenken,Empfehlungen zu moderatem Alko-holkonsum in die Ernährungsprophy-laxe einzubeziehen. Bei der Vorbeu-gung von Herz-Kreislauferkrankungenstehen andere Risikofaktoren wie Rau-chen, erhöhte Blutlipide und Blut-hochdruck im Vordergrund, zumaldiese für die Krankheitsprävention ei-ne größere Rolle spielen als die Aus-wirkungen eines moderaten Alkohol-konsums. ■ Schwangere und stillende Frauen

sollten Alkohol meiden.■ Der Alkoholkonsum Jugendlicher

und junger Erwachsener sollte soweit wie möglich reduziert werden.

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3. Aufl. Thieme Verlag Stuttgart 2004 2. Burger, M., Brönstrup, A., Pietrzik, K. Alkohol-

konsum und Krankheiten. Schriftenreihe desBundesministeriums für Gesundheit, Band134, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Ba-den 2000

3. Burger, M., Mensink, G. Bundes-Gesundheits-survey: Alkohol. Konsumverhalten inDeutschland. Beiträge zur Gesundheitsbe-richterstattung des Bundes. Robert Koch In-stitut, Berlin 2003

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5. Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS)e. V. (Hrsg.) Alkohol Basisinformation, Hamm

6. Deutsche Hauptstelle für Suchtgefahren(DHS) e. V. (Hrsg.): Daten und Fakten: Alko-hol. Stand 02.01.2007 www.optiserver.de/dhs/daten_zahlen_alkohol.html

7. DGE, ÖGE, SGE/SVE (Hrsg.):D-A-CH-Refe-renzwerte für die Nährstoffzufuhr. 1. Aufl.Umschau/Braus, Frankfurt 2000

8. Elmadfa, I., Leitzmann, C. Ernährung desMenschen. 4. Aufl. Verlag Eugen Ulmer,Stuttgart 2004

9. Hahn, A., Ströhle, A., Wolters, M. Ernährung,Physiologische Grundlagen, Prävention,Therapie. Wissenschaftliche Verlagsgesell-schaft, Stuttgart 2005

10. Kasper, H.: Ernährungsmedizin und Diätetik.10. Aufl. Urban & Fischer, München 2004

11. Rehner, G., Daniel, H. Biochemie der Ernäh-rung. 2. Aufl. Spektrum Akademischer Verlag,Heidelberg 2002

12. Robert-Koch-Institut (Hrsg.): Gesundheit inDeutschland. Gesundheitsberichterstattungdes Bundes, Berlin 2006

13. Schauder, P., Ollenschläger, G. (Hrsg.): Ernäh-rungsmedizin. Prävention und Therapie. 3.Aufl. Urban & Fischer, München 2006

Anschrift der VerfasserinDipl. oec. troph. Claudia Weiß Karolinger Str. 1276137 Karlsruhe

Abb. 2: Kardioprotektive Wirkung von Alkohol in Abhängigkeit vonder konsumierten Menge. Mod. n. Kluthe, R., Kasper, H. AlkoholischeGetränke und Ernährungsmedizin. Thieme, Stuttgart 1998

Gesamtmortalitätsraten

KHK-Inzidenzraten(tödlich und nicht tödlich)

keinAlkohol-konsum

<20 20–39

20

16

pro

100

0 Pe

rso

nen

jah

re

12

8

4

Alkoholkonsum [g/Tag]

40–79 80