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Professionelle Beratung in der Primärversorgung am Beispiel der
Herzinsuffizienz
Nursing counseling in primary health care with the special consideration of heart failure
Masterarbeit
Zur Erlangung des akademischen Grades
Master of Science in Advanced Nursing Counseling (MSc)
der Fachhochschule FH Campus Wien
Masterlehrgang: 0200016
Vorgelegt von:
Brigitte Steinberger
Personenkennzeichen:
1530016004
ErstbetreuerIn / ErstbegutachterIn:
Mag.a Sonja Scheichenberger
ZweitbetreuerIn / ZweitbegutachterIn:
Dr.in Christina Mogg
Eingereicht am: 6. September 2017
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Erklärung:
Ich erkläre, dass die vorliegende Masterarbeit von mir selbst verfasst wurde und ich keine anderen als die angeführten Behelfe verwendet bzw. mich auch sonst keiner unerlaubter Hilfe bedient habe.
Ich versichere, dass ich diese Masterarbeit bisher weder im In- noch im Ausland (einer Beurteilerin/einem Beurteiler zur Begutachtung) in irgendeiner Form als Prüfungsarbeit vorgelegt habe.
Weiters versichere ich, dass die von mir eingereichten Exemplare (ausgedruckt und elektronisch) identisch sind.
Datum: ....................... Unterschrift: ...............................................
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iii
Kurzfassung
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit den speziellen Bedürfnissen an
Versorgung durch das Gesundheitssystem, die Menschen mit chronischer
Herzinsuffizienz haben, und versucht Pflegeberatungsansätze zu identifizieren,
die in diesem Bereich erfolgreich implementiert werden können. In der
Literatur geht man davon aus, dass in den westlichen industrialisierten
Nationen etwa 1-2% der Bevölkerung an Herzinsuffizienz leiden. Gleichzeitig
wird ein relativ bedeutender Teil der Gesundheitsausgaben (rund 1,8 Mrd.
Euro in Österreich, etwa 5% der Gesamtgesundheitsausgaben) für die
Krankheitsgruppe der Herz-Kreislauferkrankungen (I0-I99) aufgewendet. Ein
wichtiger Grund für diese hohe Kostenbelastung dürfte in der
krankenhauszentrierten Versorgung der Patienten liegen.
Der Ausbau der Primärversorgung ist für die steigende Anzahl der Patienten
mit chronischer Herzinsuffizienz ein besserer Weg, um eine effektive und
patientennahe Betreuung zu gewährleisten. In diesem Bereich sollte die
Pflegeberatung eine wichtige Rolle spielen und den Patienten dabei
unterstützen, seine Krankheit weitgehend selbst zu managen. Dies bedeutet
sowohl die Symptomkontrolle als auch die Bewältigungsstrategien für diese
chronische Erkrankung dem Patienten zu überantworten und ihn bei der
Durchführung dieser Maßnahmen zu betreuen. Internationale
Vergleichsstudien legen nahe, dass durch diese Strukturanpassung signifikante
Kostensenkungspotentiale genutzt werden können und gleichzeitig das
Wohlbefinden und die Lebensqualität dieser Patientengruppe gesteigert
werden kann.
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iv
Abstract
This thesis describes the particular needs of patients with chronic heart failure
in terms of professional care and attempts to identify treatment and
counselling methods that can be implemented successfully. Estimates in the
literature suggest that about 1-2% of the population in western industrialised
countries suffers from heart failure. At the same time, a considerable share of
health expenditures (about 1.8 bln Euro in Austria, approximately 5% of total
health expenditure) is being spent on the treatment of heart disease (I0-I99).
An important reason for the high cost of this type of disease could be the
strong focus on hospital-based inpatient care that is prevalent in many
countries.
An increased emphasis on primary care for the growing number of patients
with chronic heart failure promises to be a better way to provide the patients
with effective and quality care. In this regard, strengthening the role of
nursing counselling should be a primary objective, as this type of support is
most likely to empower the patient to manage the disease by herself. This
implies that the patient is being entrusted with both, symptom control and
coping strategies for the condition, and that professional care monitors and
supports her in performing these tasks. Comparative international studies
suggest that this structural change in the treatment method for chronic heart
failure can lead to significant cost savings and at the same time improve well-
being and quality of life of patients affected by this condition.
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v
Abkürzungsverzeichnis
AAHFN American Association of Heart Failure Nurse
ANA American Nurses Association
APN Advanced Practice Nurse
APA Austria Presse Agentur
BMG Bundesministerium für Gesundheit
bzw. beziehungsweise
CCM Chronic Care Modell
CHI Chronische Herzinsuffizienz
etc. et cetera
ESC European Society of Cardiology
GAI Guideline Adherence Indicator
GUKG Gesundheits- und Krankenpflegegesetz
HF Heart Failure
HFN Heart Failure Nurse
HI Herzinsuffizienz
HKE Herz-Kreislauferkrankung
NVL Nationale Versorgungsleitlinien
NP Nurse Practitioner
NYHA New York Heart Association
ÖKG Österreichische Kardiologische Gesellschaft
RN Registered Nurse
SM Selbstmanagement
SVA Sozialversicherung Austria
usw. und so weiter
z.B. zum Beispiel
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vi
Inhaltsverzeichnis
KURZFASSUNG .............................................................................................. III
ABSTRACT .................................................................................................... IV
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ......................................................................... V
INHALTSVERZEICHNIS ................................................................................ VI
1. EINLEITUNG ................................................................................... 1
1.1 Motivation ....................................................................................... 1 1.2 Erkenntnisinteresse .................................................................... 4 1.3 Hauptfragestellung und Zielsetzung .................................... 6
2. METHODIK ....................................................................................... 7
2.1 Literaturrecherche ....................................................................... 7 2.2 Literaturübersicht ........................................................................ 9
3. HERZINSUFFIZIENZ AUS SICHT DER PFLEGE .................. 19
3.1 Begriffserläuterung ................................................................... 19 3.2 Einteilung und Ursache von Herzinsuffizienz ................. 20 3.3 Diagnosestellung und ihre Auswirkung für die Betroffenen ............................................................................................. 21 3.4 Allgemeine Behandlungsstrategien .................................... 24
4. CHRONISCHE ERKRANKUNG AM BEISPIEL HERZINSUFFIZIENZ ............................................................................ 25
4.1 Begriffserklärung Chronizität ................................................ 26 4.2 Modelle zur Bewältigung von chronischer Krankheit .. 28
4.2.1 Das Trajekt Modell nach Corbin Strauss ......................................28
4.2.2 Das Modell der Pflege chronisch Kranker nach Mieke Grypdonk .............................................................................................................32
4.2.3 Chronic Care Modell .............................................................................34
5. PFLEGEBERATUNG BEI CHRONISCHER HERZINSUFFIZIENZ: EINE BEST PRACTICE ANALYSE ............ 40
5.1 Internationaler Vergleich ....................................................... 42 5.2 Entwicklungen in Europa ........................................................ 44
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vii
5.3 Chronische Herzinsuffizienz und die Kosten für das Gesundheitssystem ............................................................................. 49
5.3.1 Versorgungskosten chronischer Herzinsuffizienz in Österreich ............................................................................................................50
5.3.2 Kosteneffizienz und Rehospitalisierungsrate.............................52
6. DIE PRIMÄRVERSORGUNG ...................................................... 55
6.1 Begriffserklärung Primärversorgung ................................. 57 6.2 Modelle von Primärversorgung im internationalen Vergleich .................................................................................................. 60 6.3 Die Rolle der Pflege in der Primärversorgung ................ 67 6.4 Herzinsuffizienz in der Primärversorgung ....................... 73
7. PROFESSIONELLE PFLEGEBERATUNG ................................ 76
7.1 Begriffserklärung Pflegeberatung ....................................... 77 7.2 Grundsätze der Pflegeberatung ........................................... 80 7.3 Der Pflegeberatungsprozess ................................................. 82 7.4 Handlungsfelder der Pflegeberatung ................................. 86
7.4.1 Selbstpflegemodell und geeignete Messinstrumente .............88
7.4.2 Aufgaben des Selbstmanagements ................................................90
7.4.3 Grundkompetenzen des Selbstmanagements ............................93
7.4.4 Evidenz von Selbstmanagementprogrammen ...........................94
7.4.5 Implementierung von Selbstmanagement im Gesundheitssystem ..........................................................................................95
8. RESÜMEE ........................................................................................... 97
LITERATURVERZEICHNIS ......................................................................... 100
ABBILDUNGSVERZEICHNIS ...................................................................... 108
TABELLENVERZEICHNIS ........................................................................... 109
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1. EINLEITUNG
Motivation
Die Anforderungen zur Bewältigung eines, durch die chronische Krankheit
Herzinsuffizienz (HI) veränderten, Alltags sind oftmals komplex und
vielschichtig für den Erkrankten und seine Angehörigen. Dies führt in vielen
Fällen dazu, dass die aktuellen Angebote im Gesundheitssystem, vor allem in
der extramuralen Versorgung, für die individuelle Situation der Betroffenen
nicht ausreichend sind. Oftmalige stationäre Wiederaufnahmen als einziger
Ausweg auf Grund mangelnder Betreuung in der häuslichen Versorgung sind
oft die Folge (vgl. Kolbe et al., 2009; Stewart et al., 2003; Lorig et al.,
2003).
Gleichzeitig wird in der Öffentlichkeit in Österreich, bei aller Zufriedenheit mit
der bestehenden Versorgung im Krankenhaus, oft bemängelt, dass das
österreichische Gesundheitssystem eines der teuersten im internationalen
Vergleich ist. Im OECD-Vergleich der Ausgaben pro Kopf für nationale
Gesundheitssysteme lag Österreich im Jahr 2010 auf Platz 4 (siehe Czypionka
T., Ulinski S., 2014). Dies lässt darauf schließen, dass strukturelle
Ineffizienzen im österreichischen Gesundheitssystem bestehen, die zum Teil in
der starren Aufgabenteilung zwischen primärer und tertiärer Versorgung zu
suchen sind.
Untersuchungen in Deutschland beschreiben die Versorgungssituation dieser
Patientengruppe ebenfalls als unzureichend und argumentieren, dass
vermehrte Krankenhausaufenthalte nicht nur die Lebensqualität der
betroffenen Menschen verschlechtern, sondern auch überdurchschnittliche
Kosten verursachen (vgl. Kolbe et al., 2009). Knox und Mischke (1999) gehen
davon aus, dass bis zu 50% der Krankenhausaufenthalte der betroffenen
Patientengruppe durch adäquate Patientenschulung und die Begleitung der
PatientInnen im Alltag vermieden werden könnten (vgl. Knox et al., 1999).
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2
In der Forschung wird intensiv versucht eine Antwort auf die Frage zu finden,
welches Versorgungsprogramm und welches Behandlungsmodell für Patienten
mit Herzinsuffizienz und ihre Angehörigen das Beste wäre. Die empirische
Evidenz zeigt bisher deutlich in Richtung positiver Effekte verschiedener
extramuraler Programme. Eine Vielzahl von Untersuchungen über Disease
Management Programme bei chronischer Herzinsuffizienz und über 15
Metaanalysen wurden bisher zu dem Thema publiziert. Anhand dieser
systematischen Literaturübersichten konnte festgestellt werden, dass die
durch HI verursachte Rehospitalisierungsrate (8 von 9 Übersichten) verbessert
werden konnte und, dass auch die Mortalitätsrate (6 von 12 Reviews) positiv
beeinflusst wurde (vgl. Clark et al., 2010). Dies führte in weiterer Folge zur
Entwicklung von nationalen und internationalen Versorgungsleitlinien,
verschiedenen Formen von interdisziplinären Teams und verstärktem Einsatz
von Modellen zur Betreuung chronisch Kranker.
Gleichzeitig wurde in der Literatur jedoch auch festgestellt, dass:
o Die gefundenen Programme sich in ihrem Aufbau und Inhalt
unterscheiden, mehr als in den meisten Metaanalysen bestätigt oder
zugegeben wird.
o Die Vergleiche zur üblichen Versorgung kaum beschrieben werden, und
im Allgemeinen sehr vage bleiben.
o Ergebnisse von nicht vergleichbaren Programmen unangemessen
zusammengefasst werden.
(vgl. Clark et al., 2010)
Die Suche nach der effektivsten Methode zur Betreuung chronischer
Herzinsuffizienzpatienten, die allgemein gültig und in jede Situation
übertragbar ist, gestaltet sich daher als schwierig. Für Österreich bedeutet
dies, dass auf Grund der komplexen Ausgangssituation mit einer starken
sektoralen Trennung zwischen dem primären und dem tertiären Bereich, die
Verankerung zusätzlicher Primärversorgungseinrichtungen zur extramuralen
Versorgung der Patienten erschwert wird. Das Fehlen klarer empirischer
Ergebnisse bezüglich der optimalen Ausgestaltung der Programme verhindert
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die Fokussierung auf die Implementierung der Veränderungen und führt zu
langen Diskussionen über die konkrete Ausgestaltung des einzuführenden
Primärversorgungssystems.
Deshalb soll mit dieser Literaturarbeit der Versuch unternommen werden, die
folgenden Fragen zu beantworten:
Wie kann nun ein Gesundheitssystem mit hohen Kosten im stationären Bereich
besser auf die Bedürfnisse der immer größer werdenden Bevölkerungsgruppe
der Menschen mit chronischer Herzinsuffizienz reagieren?
und
Welche Programme zur Versorgung von Menschen mit chronischer
Herzinsuffizienz wurden von Seiten der Krankenpflege entwickelt und haben
sich in der Praxis bewährt?
Auch in der österreichischen Politik ist die Implementierung der
Primärversorgung ein derzeit heiß diskutiertes Thema. Während sich die
Trägerverbände der gesetzlichen Krankenversicherung für die Einführung eines
solchen Systems aussprechen, gibt es von Seiten der Ärzteschaft und der
Krankenhäuser erheblichen Widerstand. Im Vergleich zu anderen europäischen
Staaten wie z.B. Schweden fehlt jedoch ein umfassendes Konzept für die
Primärversorgung in Österreich. Internationale Organisationen weisen immer
wieder auf die Tatsache hin, dass für eine langfristig qualitativ hochwertige
Gesundheitsversorgung eine gut entwickelte Primärversorgung die Basis jedes
Gesundheitssystems sein muss (vgl. Czypionka T., Ulinski S. 2014).
Die World Health Organisation (WHO) hat eine Stellungnahme zum Thema
Primärversorgung verabschiedet, in der sie diese, als ein wichtiges Prinzip für
ein erfolgreiches Gesundheitssystem deklariert (vgl. WHO, 2008).
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4
Erkenntnisinteresse Der Hauptfokus der Masterarbeit liegt auf einer Literaturrecherche zum Thema
„Professionelle Pflegeberatung von Patienten mit Herzinsuffizienz als eine
chronische Erkrankung“ und der Identifikation von Potentialen für
Effizienzsteigerung im österreichischen Gesundheitssystem in der Versorgung
bzw. der beratenden Begleitung durch die Krankenpflege im Primärbereich.
Eine Erhebung der derzeitigen Situation evidenzbasierter Pflegeberatung bei
der betroffenen Patientengruppe mit Fokussierung auf Nutzen und Effizienz
würde in einem weiteren Schritt Rückschlüsse auf konkrete Maßnahmen zur
Effizienzsteigerung möglich machen. Um der Dringlichkeit einer qualitativ
hochwertigen Versorgung von Patienten mit Herzinsuffizienz in der
Primärversorgung größeren Nachdruck zu verleihen, wird unter anderem die
Kostenstruktur der Versorgung von Patienten mit Herzinsuffizienz in den USA,
Europa und Österreich näher untersucht.
Ein weiterer Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit ist Primärversorgung zu
definieren und die Entwicklung von Primärversorgungseinrichtungen in
internationalen Gesundheitssystemen zu recherchieren. Dabei sollen
insbesondere verschiedene Modelle der Primärversorgung in Amerika und
Europa näher untersucht und die Rolle der Krankenpflege identifiziert werden.
Anschließend werden die Auswirkungen der Maßnahmen zum Management von
Patienten mit HI in der Primärversorgung untersucht. Die Pflege hat hier auch
eine große Mitverantwortung ihr Fachwissen in einem multidisziplinären Team
erfolgreich zu integrieren, und den Primärsektor nicht zu einem Hoheitsgebiet
der Medizin zu erklären. Kolbe et al. (2009) erwähnen in ihrer Studie, dass
auch in Deutschland in der Primärversorgung eine Arztzentriertheit
vorherrscht.
Der abschließende Teil soll geeignete Beratungskonzepte für Patienten mit
Herzinsuffizienz anhand der aktuellen Literatur untersuchen und diese in
Bezug auf Anwendbarkeit in der Primärversorgung analysieren. Denn neben
der medizinischen Therapie gehören auch krankheitsspezifische Beratung und
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5
Unterstützung im Selbstmanagement des Patienten, zu einer umfassenden
Versorgung, mit dem Ziel einen stabilen Gesundheitszustand zu erhalten und
häufige Wiederaufnahmen ins Krankenhaus zu verhindern (vgl. Maning S.,
2011). Diese Form der Pflegeberatung soll auch unter dem Blickpunkt der
Effizienz für das Gesundheitssystem berücksichtigt werden.
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6
Hauptfragestellung und Zielsetzung
Um eine Bedarfsanalyse für Beratungskonzepte für Patienten mit
Herzinsuffizienz in der Primärversorgung, im speziellen für das österreichische
Gesundheitssystem durchführen zu können muss der Istzustand erfasst
werden. Dazu bedarf es auch klarer Definitionen der Begrifflichkeiten um
Missverständnissen vorzubeugen. Die Hauptfragestellung, die sich daraus
ergibt, ist:
„Gibt es im österreichischen Gesundheitssystem ein Potential für
Effizienzsteigerung durch professionelle Pflegeberatung von chronisch Kranken
mit Herzinsuffizienz in der Primärversorgung?“
Daraus ergeben sich insbesondere jene Teilfragen, die im Rahmen der
folgenden Literaturarbeit behandelt werden sollen:
Welchen Beitrag kann die Pflege bei der chronischen Krankheit
Herzinsuffizienz leisten?
Welche Modelle für die Versorgung chronisch Kranker gibt es?
Wie ist die derzeitige Situation der Pflegeberatung bei HI- Patienten?
Wie hoch sind die Kosten von HI für das Gesundheitssystem?
Welche Entwicklungen gibt es in Ländern mit Erfahrungen in der
Primärversorgung?
Welche Rolle kann die Krankenpflege im Bereich der Primärversorgung
einnehmen?
Wie sieht die derzeitige Situation der Pflegeberatung bei Patienten mit
HI?
Welche Beratungskonzepte in der Krankenpflegepraxis gibt es?
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2. METHODIK
Die vorliegende Arbeit untersucht auf Basis einer Analyse der aktuellen
Literatur die Wirkung pflegerischer Beratung in der Primärversorgung am
Beispiel der chronischen Krankheit Herzinsuffizienz.
Die angewendete Methodik besteht aus einer Recherche der zur verfügenden
stehenden Fachliteratur und Studien durch die Anwendung von Ein-und
Ausschlusskriterien (siehe Tab. 1), Bewertung der eigenen Suche nach dem
PRISMA-Statement (siehe Abb. 1), Beschreibung der Reviews (siehe Abb.2
und 3) und Analyse der Fachliteratur (siehe Tab.2). Die Literatursuche hatte
einen iterativen Charakter. Nur Publikationen, die im Volltext erschienen,
wurden für diese Arbeit verwendet. Die Sachliteratur wurde einer
Klassifizierung in Tabellenform unterzogen (siehe Tab. 2).
Literaturrecherche
Anhand aktueller und aussagekräftiger Publikationen in den Datenbanken von
Pubmed, Medline und Google Scholar wird nach dem neuesten Stand der
Erkenntnis gesucht. Die Literaturrecherche umfasst auch die Erhebung
nationaler und internationaler Daten durch Analysen von Fachartikel und
Metastudien. Im Zentrum der Literaturrecherche stehen Herzinsuffizienz als
chronische Erkrankung, die Primärversorgung im Gesundheitssystem und die
professionelle Beratung im Berufsfeld der Gesundheits- und Krankenpflege.
Diese drei Schwerpunkte werden, mit den Stichwörtern: Herzinsuffizienz (HI),
Pflegeberatung, Primärversorgung jeweils miteinander verknüpft, wobei auch
erweitert mit den Begriffen: Selbstmanagement, Selbstpflegemanagement,
chronischen Krankheit und multidisziplinäre Teams in der Primärversorgung,
der letzte Stand der Wissenschaft beleuchtet werden soll. Die Suche zum
Thema professionelle Pflegeberatung umfasst, ob der oftmals unscharfen
Abgrenzung auch die Begriffe: Schulung, Patientenberatung und
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Patientenedukation. Um der Frage zur Kostenentwicklung nachzukommen,
wird die Suche mit dem Wort Kosten und Effizienz, erweitert.
Die entsprechenden Begriffe in der englischsprachigen Literatur lauten daher:
heart failure (HF), nursing counseling, efficiency, cost, primary health care.
Zur Orientierung wurden im Suchverlauf Blöcke nach dem PICO Schema
gebildet:
P (Population): HI, HF, CHF, chronische Krankheit;
I (Intervention): Pflegeberatung, Patientenberatung, Schulung, Nursing
Counseling, Education;
C (Comparison-Methodenfilter): Review, Metaanalyse, Fachbücher
O (Outcome): Primärversorgung, multidiziplinäre Teams, Primary Health Care
Nurse, Kosten, Effizienz, Cost, Efficiency;
Die Kombinationen der Schlagwörter wurde mit den Boolschen Operatoren
“und” und “nicht” verknüpft, um die gefundenen Arbeiten auf das Thema und
die neuesten Entwicklungen zu konzentrieren. Diese Suche wurde so lange
intensiviert, bis keine neuen Erkenntnisse gewonnen werden konnten und
davon auszugehen war, dass die Literaturrecherche in ihrer Tiefe und Breite
ausreichend war.
Die Literatursuche für die einzelnen Kapitel der Masterarbeit wurde durch die
„Berrypicking“ Methode von M.Bates (1989), um Datenmengen der Online
Recherche einschränken und punktuell vertiefen zu können, ergänzt. Damit
konnte der Erkenntnisstand zu den einzelnen Themenbereichen flexibel
gestaltet und durch Synonyme erweitert werden (z.B. Primary Health Care-
Transitional Care). Die Suchergebnisse wurden laufend reflektiert und dem
jeweiligen Kapitelschwerpunkt angepasst. Bei der Berrypicking Methode wurde
unter anderem, die Strategie „backward chaining“ und „forward chaining“
angewendet. Unter „backward chaining“ versteht man die Auswertung des
Literaturverzeichnisses der gefundenen Publikationen, nach relevanten
Dokumenten, um den Erkenntnisstand zu verdichten. Das sogenannte
„forward chaining“ wurde zur Bestätigung von relevanten Dokumenten
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eingesetzt. In speziellen Fällen wurde nach Publikationen einzelner Autoren
gesucht, diese Vorgehensweise des „author searching“ brachte vereinzelt (z.B.
Lorig, Stewart, Kolbe, Bodenheimer, Jaarsma, Riegel, Naylor;) weitere
relevante Information hervor.
Der Zeitraum wird je nach Fragestellung unterschiedlich eingeschränkt, um
der historischen Entwicklung des Themas Rechnung zu tragen. Für die
Datenanalyse zum Thema Primärversorgung und die Kostenentwicklung in den
westlichen Industrienationen wird ein Zeitraum von 2000-2017 gewählt, da in
manchen Ländern wie GB und den USA Kostenanalysen und der Nutzen der
Pflegeberatung in diesem Gesundheitssystem schon länger untersucht werden
und viele große Metaanalysen aus den Anfängen des 21. Jahrhunderts
stammen. Die anderen Begriffe werden in einem Zeitraum von 2010-2017
untersucht und der Zeitrahmen nur bei ungenügender Datenlage punktuell
erweitert.
Eine Handsuche zur einschlägigen Buchliteratur wurde in diversen Bibliotheken
vorgenommen und durch eine Analyse der verfügbaren Literaturverzeichnisse
ergänzt.
Literaturübersicht
Die Literaturübersicht ermöglicht die Nachvollziehbarkeit der
Literaturrecherche. Studien und Publikationen wurden nach den Ein- und
Ausschlusskriterien (siehe Tab. 1) bewertet und nur im Volltext vorhandene
Literatur wurde aufgenommen.
Die gefundenen Publikationen wurden nach dem Prisma Schema (siehe Abb.
1) beurteilt, die gefundenen Metaanalysen und Reviews wurden hinsichtlich
ihrer systematischen Aufbereitung beurteilt (siehe Abb.2 und 3). Einen
Überblick über die Klassifizierung der gefundenen Fachliteratur ergänzt, die für
diese Literaturarbeit verwendeten Quellen (siehe Tab.2).
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I. Ein- und Ausschlusskriterien:
Einschlusskriterien Ausschlusskriterien
Inhaltliche Variablen und Phänomene:
o Phänomen Herzinsuffizienz und Kosten
o Herzinsuffizienz und Beratung in der Pflege
o Primärversorgung Ist-Analyse und Zukunftsperspektiven
o Beratung in der Primärversorgung Aufgaben der Pflege
Beratung im tertiären Bereich bei Herzinsuffizienz
Rehabilitation
case management
disease management
Entlassungsmanagement
Bevölkerungs-gruppe:
Patienten, mit der schon erfolgten Diagnose chronischer Herzinsuffizienz
Patienten in der Akutversorgung
Setting: Primärer Gesundheitsbereich Sekundär, tertiärer Gesundheitsbereich
Publikation: Systematische Reviews
Einzelstudien
Publikationen
Fachbücher
Nicht wissenschaftliche Publikationen
Zeitraum: 2000-2017
Sprache: Deutsch, Englisch Alle anderen Sprachen
Kulturraum: Westliche Industriestaaten Entwicklungsländer
Tab. 1: Übersicht der Such- und Ausschlusskriterien der Literaturrecherche
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II. Dokumentation der eigenen Recherche nach dem Prisma Schema: Die Publikationen (167) wurden in den Datenbanken Medline, Pubmed und Google Scholar gefundenen und durch die „Berrypicking“ Methode von Bates, wurden 22 Veröffentlichungen identifiziert.
Abb. 1: Dokumentation der Literatursuche, Flussdiagramm Prisma Schema, eigene Darstellung
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III. Strukturierung der gefundenen Literaturreviews nach dem Prisma-Schema:
Es wurden zehn Reviews für diese Arbeit gefunden, drei verwendeten bei ihrem systematischen Vorgehen explizit das Prisma Schema. Zur Darstellung dieser umfassenden Analyse, werden diese drei hier genauer beschrieben. Systemische Review und Metaanalyse, „Effectiveness of chronic care models:
opportunities for improving healthcare practice and health outcomes: a
systemic review “Davy et al. (2015):
Die Kernfragen der Review lauten:
Welche Elemente des Chronic Care Modells werden in der
Primärversorgung implementiert?
Hat sich die Praxis im Gesundheitsbereich dadurch verbessert?
Hat sich die Versorgung der betroffenen Patientengruppe dadurch
verbessert? Und konnte eine Verbesserung der klinischen und
funktionellen Ergebnisse gemessen werden?
Einschlusskriterien waren:
Chronische Erkrankungen
Im Rahmen der Primärversorgung
Auch wenn nur eine Gesundheitsprofession beteiligt war, wie z.B. der
Hausarzt (i.e. general practitioner)
Zusätzlich zu den sechs Elementen des, im Abschnitt 3 ausführlich
beschriebenen, Chronic Care Modells wurden zwei weitere Elemente (Case-
Management und Familienunterstützung) in die Analyse eingeschlossen. Es
wurden nur jene Studien verwendet, die mindestens zwei der acht Elemente
inkludiert haben.
Dabei wurde jede Art der Veränderung auf die Versorgungspraxis, wie auch
die klinischen oder funktionellen Ergebnisse des Patienten gemessen. Für diese
systematische Review wurde von den Autoren, die sieben elektronischen
Datenbanken: Cinahl, Embase, MEDLINE, Scopus, Informit Online, PsycINFO
und Web of Science im Zeitraum von Jan. 1998- April 2013 durchsucht.
Auswahl der Studien erfolgte nach vorher festgelegten Ein-und
Ausschlusskriterien. Bei der anfänglich sehr hohen Zahl an gefundenen
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Publikationen, wurde der Titel und das Abstract untersucht und jene Werke
ausgeschlossen, die den Kriterien nicht entsprachen.
Die Resultate wurden in einem Flussdiagramm graphisch dargestellt:
Abb. 2: Flussdiagramm PRISMA 2009, vgl. Davy et al. (2015)
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Martinez-Gonzalez et al. (2014)
Systemische Review und Metaanalyse, „Substitution of physicians by nurses in
primary care “
In der systematischen Literaturanalyse von Martinez-Gonzalez wurden Studien
identifiziert, in denen Pflegefachpersonal die Rolle des Arztes ersetzten und
hauptverantwortlich autonome oder delegierte Aufgaben in der
Primärversorgung übernehmen, die vorher von einem Arzt ausgeführt worden
sind.
Die Publikationen umfassen die folgenden Bereiche:
Versorgung im Verantwortungsbereich der Krankenpflege
Interventionen, die in der Grundversorgung stattfinden
Patienten aller Altersgruppen und Krankheitsbilder
Unter Angabe von Patientenzufriedenheit, Lebensqualität,
Krankenhausaufenthalte, Sterberate und Kosten für das
Gesundheitssystem
Exkludiert wurden Studien zu Aufgaben, die schon vorher im Aufgabenbereich
der Pflege gelegen sind oder die Zusammenarbeit der Krankenpflege im Team
beschreiben, und somit der Effekt der Pflege nicht genau identifiziert werden
konnte.
Es wurde ein Protokoll entwickelt und nach den PRISMA Richtlinien
vorgegangen. Auswahlkriterien wurden durch die oben erwähnten Ein-
Ausschlusskriterien und Englisch als Publikationssprache festgelegt.
Die für diese Metaanalyse verwendeten Datenbanken waren OVID Medline,
CINAHAL, Embase und die Cochrane Libary und umfassten den Zeitraum bis
August 2012. Ergänzt wurde die Suche durch die manuelle Durchsicht der
Literaturverzeichnisse.
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Die Vorauswahl der Studien wurde vorgenommen und die Eignung und die
eingeschlossenen Publikationen mittels Flowchart dargestellt.
Abb. 3: PRISMA Flussdiagramm; Martinez-Gonzalez et al. (2014)
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Jaarsma et al. (2012)
Systematische Literaturreview, „Components of heart failure management in
home care “
In dieser Publikation wurde der Frage nachgegangen, welche Komponenten
und Maßnahmen, bei der Versorgung von HI-Patienten im Bereich der
häuslichen Betreuung, durch die Forschungsarbeiten identifiziert werden
können. Ziel war eine genaue Beschreibung der in der Primärversorgung durch
professionellen Gesundheitspersonal durchgeführten Maßnahmen, um in einem
nächsten Schritt diese Erkenntnisse zur Entwicklung von
Managementprogrammen bei HI im Primärbereich, zu verwenden. Die
Suchbegriffe und die Boolschen Operatoren wurden für die einzelnen
Datenbanken separat festgelegt und ein Zeitraum einheitlich bis April 2011
definiert. In Pubmed wurden 181 Publikationen, in Embase 254 Artikel, Cinhal
91 Treffer und in Cochrane 177 Veröffentlichungen gefunden.
IV. Klassifizierung der Fachliteratur:
AutorInnen Titel Jahr Art der
Literatur Inhalt/ Kernaussage
Corbin J., Strauss A.,
Weiterleben lernen.
2. Auflage, 2004.
Fachbuch, Übersetzung aus dem Amerikani-schen
Orginalwerk, Buch über effektive Bewältigung einer chronischen Erkrankung, gezielte Beschreibung der Verlaufskurve der Erkrankung und der konkret zu leistenden Arbeit, der erste Teil entwickelt den theoretischen Bezugs-rahmen (veranschaulicht durch Fallbeispiele), der zweite Teil geht auf die einzelnen Phasen der Verlaufskurve ein.
Hüper C.,
Hellige B.,
Professionel-le Pflegebe-ratung und Gesundheits-förderung für
3. Auflage, 2015.
Fachbuch Fachbuch über Beratung in der Pflege, bezugnehmend auf spezielle Anforderungen chronisch Kranker; gesetzliche Rahmen-
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chronisch Kranke
bedingungen, Grundlagen und Konzepte der Pflegeberatung, Zusammenführung der Konzepte der Krankheitsverlaufskurve, Salutogenese und dem integrativen Beratungs-modell nach Sander zum kooperativen Pflege-beratungsmodell
Klug-Redmann B.
Selbst-management chronisch Kranker
2008 Fachbuch, Übersetzung aus dem Amerikani-schen
Theoretischer Hintergrund und Entwicklungen der Konzepte von Selbstmanagement, Schulung von Selbstmanagement nach einzelnen Krankheiten unter anderem HI
Koch-Straube,
Beratung in der Pflege
2001 Fachbuch Entwicklung der Beratung in der Pflege im deutschsprachigen Raum, jedes Kapitel endet mit einer Schlussfolgerung, Bsp. aus dem Pflegealltag veranschaulichen die Aussagen, Überblick über Beratungstheorien und Bsp. für Handlungsfelder
London F Informieren, Schulen, Beraten.
2. Auflage 2010
Fachbuch/ Nach- Schlagewerk Übersetzung aus dem Amerikani-schen
Umfassendes praktisches Arbeitsbuch zum Thema Beratung in der Pflege, schrittweise praktische Anleitungen, Antworten auf häufig gestellte Fragen in der Pflegepraxis
Lubkin I.: Chronisch Kranksein,
2002 Fachbuch, Übersetzung aus dem Amerikani-schen
Chronizität Auswirkungen für den Patienten und sein Umfeld, Bedeutung für die Pflege, vor allem die Rolle der Pflege bei Verhaltens-änderung bzw. Patientenedukation chronisch Kranker, die einzelnen Kapitel sind von verschiedenen Experten geschrieben, einzeln zusammengefasst mit
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jeweiligem Literaturverzeichnis
Norwood S. Pflege-Consulting
2002 Fachbuch, Übersetzung aus dem Amerikani-schen
Übersichtliches Standardwerk zur Beratung in der Pflege, Berater als übergeordneter Experte, berät Pflegepersonen, vor allem praxisbezogen, ausführliche Erläuterung des Beratungsprozesses.
Peterman F.
Patienten-schulung und Patienten-beratung
1997 Lehrbuch Patientenschulung und -beratung aus Sicht der Psychologie, Überblick über psychologische Grundlagen der Beratung, historische Entwicklungen, Überlegungen zur Wirtschaftlichkeit von Schulungsprogrammen.
Schaeffer D., Schmidt-Kaehler S.
(Heraus-geber)
Patienten-beratung,
2012 Lehrbuch Konzepte, Aufgaben, Formen, Praxisfelder und Beispiele internationaler Entwicklungen, die Beiträge wurden von Autoren geschrieben, die aus verschiedenen Disziplinen kommen.
Seidl E., Walter I.
Chronisch kranke Menschen in ihrem Alltag, das Modell von Mieke Grypdonck bezogen auf PatientInnen nach Nierentrans-plantationen
2005 Fachbuch Ausführliche Beschreibung des Modells von Grypdonck, anhand chronischer Erkrankung, praktische Entwicklung des Modells für spezielle Patientengruppe
Tab. 2: Kurzbeschreibung der Fachbücher
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3. HERZINSUFFIZIENZ AUS SICHT DER PFLEGE
Begriffserläuterung Man unterscheidet zwischen akuter und chronischer Herzinsuffizienz. Diese
Arbeit beschränkt sich auf das komplexe Krankheitsbild der diagnostizierten
chronischen Herzinsuffizienz (HI). Die Abgrenzung der akuten von der
chronischen Herzinsuffizienz obliegt den medizinischen Fachkräften und ist
daher für die Pflegepersonen vorgegeben. Die Krankheit chronische
Herzinsuffizienz gehört zu den fortschreitenden Herz-Kreislauferkrankungen,
die in verschiedenen Ausprägungs- und Erscheinungsformen auftreten (vgl. C.
Bläuer et al 2013).
Die Prävalenz dieser Erkrankung ist stark altersabhängig, je höher das
Lebensalter, umso häufiger erkranken Personen an chronischer HI. Es wird
erwartet, dass mit zunehmenden Alter der Bevölkerung und gleichzeitig einer
Verbesserung der Überlebensrate nach akutem Herzinfarkt, Kardiomyopathien
oder Herzklappenerkrankungen, die Anzahl der Menschen mit HI in den
nächsten Jahren weiter steigen wird (vgl. Nationale Versorgungsleitlinien,
2011). Die staatliche Gesundheitsfürsorge für ältere Menschen in den USA,
MEDICARE, gibt als die am häufigsten gestellte Diagnose Herzinsuffizienz an.
Dieses Krankheitsbild verursacht mehr Kosten, als irgendein anderes
Krankheitsbild (vgl. B. Klug-Redman, 2008).
Es gibt viele Definitionen von Herzinsuffizienz, die sich entweder auf den
pathophysiologischen oder klinischen Aspekt der Erkrankung konzentrieren.
Eine pathophysiologische Definition für die chronische Herzinsuffizienz wäre,
das Unvermögen des Herzens den Organismus mit genügend Sauerstoff und
ausreichend Blut zu versorgen um in Ruhe oder unter Belastungsbedingungen
den Stoffwechsel zu gewährleisten (vgl. Nationale Versorgungsleitlinien,
2011).
-
20
Klinische Definitionen von Herzinsuffizienz beschreiben diese als ein Syndrom,
bei dem typische Symptome wie Atemnot, Müdigkeit, Beinödeme oder Fatigue
und klinische Zeichen wie z.B. Tachykardie, pulmonare Rasselgeräusche,
Halsvenenstau, drittes Herzgeräusch und Pleuraerguss auftreten. Diese treten
aber in unterschiedlicher Ausprägung und Intensität auf, sodass eine
Anpassung der Leistungsfähigkeit im Alltag für die Betroffenen oft eine große
Herausforderung ist (vgl C. Bläuer et al 2013). Auch andere Symptome wie
Gleichgewichtsstörungen und damit verbunden Stürze, gestörter Schlaf,
Depression oder Niedergeschlagenheit konnten bei Herzinsuffizienz beobachtet
werden.
Riegel et al. (2002) stellt fest, dass Menschen mit HI auch kognitive
Beeinträchtigungen, wie nachlassende Konzentrationsfähigkeit, eingeschränkte
Gedächtnisleistung oder Aufmerksamkeit haben. 29% der untersuchten
Personen, die zu Hause leben habe eine kognitive Beeinträchtigung, dies
entspricht auch dem Ergebnis ähnlicher Studien (vgl. Cacciatore et al.,1998;
Zuccala et al., 1997, zit. in Riegel et al., 2002). Erwähnenswert im
Zusammenhang mit dieser Studie ist, dass keine Korrelation zwischen
systolischem Blutdruck, Alter, Dehydration oder Flüssigkeitseinlagerung und
kognitiver Beeinträchtigung gefunden werden konnte. Nach Einschätzung der
Autorin könnte die doch eher geringe Samplegröße der Studie eine Rolle
gespielt haben und empfiehlt weitere Forschung, um die auslösenden Faktoren
die zu kognitiver Einschränkung bei Personen mit Herzinsuffizienz führen,
evaluieren zu können.
Einteilung und Ursache von Herzinsuffizienz Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass HI ein oftmals sehr
komplexes Krankheitsbild darstellt und für Betroffene und ihre Angehörigen oft
nur schwer richtig einschätzbar ist. Daher bedarf es bei jeder Diagnosestellung
immer eines umfassenden Assessments, um die Ausgangssituation richtig
einschätzen und klassifizieren zu können. Das in klinischen Studien am
-
21
häufigsten verwendete Klassifikationssystem ist jenes der New York Heart
Association (NYHA – siehe Tab. 3). Hierbei orientiert sich die Zuordnung der
Symptome in die einzelnen Stadien an der Leistungsfähigkeit der Betroffenen.
Tab. 3: NYHA-Klassifikation der Stadien von Beeinträchtigung durch HI
Quelle: Nationale Versorgungsleitlinien 2011
Als häufigste Ursachen einer chronischen HI gelten koronare
Herzerkrankungen und Hypertonie. Als weitere Ursachen können insbesondere
angeborene oder erworbene Herzerkrankungen, nicht ischämische
Kardiomyopathien infektiös (z.B. viral) oder toxisch (z.B. zytostatisch) bedingt
und Arhythmien genannt werden.
Diagnosestellung und ihre Auswirkung für die Betroffenen
In der Literatur wird die Diagnosestellung häufig auf zwei Wegen beschrieben.
Zum einen fand vor allem bei asymptomatischen Personen die
Diagnosestellung per Zufallsbefund statt, zum anderen wurde der Arzt meist
verspätet bei schon manifester Symptomlage aufgesucht. In der
Literaturanalyse von Bläuer et al. (2013) wurden als die häufigsten
-
22
Erstsymptome Dyspnoe, Flüssigkeitsretention und/oder Gewichtszunahme
genannt. Oft versuchen die Betroffenen anfangs die Anzeichen der Erkrankung
zu verdrängen und dies erschwert die Diagnosestellung durch den Arzt,
wodurch die Schwere der Erkrankung nicht immer sofort erkannt wird.
Welstad et al. (2009) stellt dazu fest, dass nach der Diagnosestellung einer
Herzinsuffizienz in der Literatur nicht untersucht, wie lange die Betroffenen
schon mit ihrem eingeschränkten Gesundheitszustand gelebt, und wie ihre
bisherigen Erfahrungen das Alltagsleben beeinflusst haben. Auch können der
Beginn, die Schwere und das Fortschreiten der Symptome nicht als linear
beschrieben werden, sondern variieren. Manche Menschen erleben ihre
Beschwerden als nicht schwerwiegend, die meisten aber sind von der
Erkrankung überwältigt und in ihrem Alltagsleben Einschränkungen
unterworfen. Dadurch kann das Gefühl entstehen, Gefangene ihres Körpers zu
sein. Deshalb ist eine zeitnahe und präzise Diagnosestellung für die weitere
Therapie und adäquate Umgang mit der Erkrankung wichtig.
Allgemein erfolgt die Diagnostik nach einer Untersuchung auf klinischen
Zeichen und gründlichen Anamnese durch die Schlüsseluntersuchungen: EKG,
Lungenröntgen, Blutabnahme und Echokardiographie. Die Folgen einer
unbehandelten HI sind Veränderungen am Herz, die zu einer Kardiomegalie,
Herzgeräuschen, Anomalitäten in der Echokardiographie und zu einer
Erhöhung der natriuretisch Peptide führen. Die Ermittlung der Konzentration
dieser Peptide ist bei einer bestehenden HI ein guter Indikator für die
Prognoseeinschätzung (SVA, 2011), doch kann weder diese Methode, noch die
Echokardiographie als spezifisches und sensitives Screening Instrument
eingesetzt werden (vgl. Nationale Versorgungsleitlinien, 2011). Durch eine
rechtzeitige Diagnostik und damit auch verbundenen Therapiebeginn kann auf
die derzeit recht hohe Mortalitätsrate Einfluss genommen werden. Laut dem
Statistischen Bundesamt Deutschland war im Jahre 2005 Herzinsuffizienz die
dritthäufigste Todesursache Deutschlands.
-
23
Um die Versorgungslage von Menschen mit chronischer HI in Österreich besser
untersuchen zu können wurde das Herzinsuffizienz Register (HIR) Austria im
Jahre 2006 gegründet. Ziel ist es die Umsetzung der Diagnose- und
Therapieleitlinien zu evaluieren. Bei der Veröffentlichung der Ergebnisse lag
die 1-Jahres-Mortalitätsrate bei 10.3 % gleichzeitig wurde auch der „Guideline
Adherence Indicator“ (GAI), ein Messinstrument um die Leitlinientreue zu
messen, angewandt. Die gefundenen Ergebnisse zeigten klar, eine durch
geringe Leitlinientreue, schlechte Prognose für die Betroffenen. Die
Wahrscheinlichkeit, in einem Jahr wegen kardialer Dekompensation
hospitalisiert zu werden oder zu versterben, lag im HIR- Austria um 52%
höher als bei einer optimalen Therapie (vgl. Pölzl et al., HIR 2006-2009). Die
Autoren kamen zu dem Schluss, dass es Versorgungsdefizite bei der
Patientenbetreuung gibt und fordern den Ausbau von speziellen
Versorgungsnetzwerken, um damit eine Verbesserung der leitliniengerechten
Therapie zu erreichen.
Kolbe et al. (2009) hat sich in einer Studie mit den Auswirkungen chronischer
Herzinsuffizienz für Menschen und ihre Angehörigen in Deutschland
auseinandergesetzt, um eine Orientierungshilfe für professionelles,
pflegerisches Handeln bieten zu können. Das Resultat bestätigen andere
Studienergebnisse, sowie Modelle chronischer Krankheit, wie zum Beispiel die
von Corbin/Strauss (2004) und M. Grypdonck (2005). Es konnte festgestellt
werden, dass Betroffene auf zwei verschiedene Weisen auf ihre Erkrankung
reagieren. Entweder wird die CHI angenommen oder ignoriert. Daraus ergeben
sich dann Strategien und Handlungsabläufen, die für den weiteren Umgang mit
der Krankheit ausschlaggebend sind. Die Studienautoren kamen zu dem
Schluss, dass für den Betroffenen das Erleben der Veränderungen und
Beeinträchtigungen das Kernproblem darstellt.
Die bestehende Lebenssituation und das Umfeld sind bestimmend für die
Bedürfnisse des Erkrankten. Somit sind die individuelle Ausgangslage und das
bestehende Aktivitätsniveau für die weitere Planung und eine zielgerechte
Begleitung von Seiten der professionellen Pflege, ausschlaggebend. Weitere
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24
Forschung zu diesem Thema sind in Zukunft noch notwendig, um die
Handlungsfelder der Pflege besser definieren zu können (vgl. Kolbe et al.,
2009).
Allgemeine Behandlungsstrategien Die Therapieziele der chronischen HI laut den Nationalen Versorgungsleitlinien
(NVL, 2011) können folgendermaßen definiert werden:
Verbesserung der Lebensqualität
Senkung der Sterblichkeit
Senkung der Hospitalisierungsrate
Hemmung des Krankheitsverlaufs
Günstige Beeinflussung oder Verminderung zusätzlicher
Begleiterkrankungen
Verbesserung der Belastungstoleranz
Allgemein kann man zwischen kausaler Therapie, operativer/apparativer
Therapie, pharmakologischer und nicht-pharmakologischer Therapie
unterscheiden. Zur nicht-pharmakologischen Therapie werden Training und
Schulung, Änderung des Lebensstils und Rehabilitation gezählt. Die European
Society of Cardiology hat in ihren Leitlinien aus dem Jahre 2016 auch noch auf
die multidisziplinäre Versorgung von Personen mit chronischer Herzinsuffizienz
hingewiesen. Charakteristisch für diesen Ansatz ist die Zusammenarbeit von
kompetent und professionell geschultem Personal verschiedener
Berufsgruppen, wie zum Beispiel Kardiologen, Hausärzte, Pflegepersonal,
Sozialarbeiter, Physiotherapeuten und Ernährungsberater um nur einige zu
nennen. Bestandteile dieser Versorgungsprogramme bestehen in einer
optimierten medikamentösen Versorgung, adäquater Patientenaufklärung mit
dem Schwerpunkt auf Adhärenz und Selbstversorgung. Auch wird explizit die
Wichtigkeit der Nachbetreuung unterstrichen, die gegebenenfalls bis zu einer
Versorgung zu Hause ausgeweitet werden muss, um dadurch einen
verbesserten Zugang zur medizinischen Versorgung gewährleisten zu können.
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25
Eine spezielle Empfehlung wurde noch für die Betreuung von älteren Personen
mit HI festgehalten. Hierbei sollte der Fokus der Überwachung neben der
Überprüfung der optimalen Medikation einschließlich des klinischen Zustandes
auch die Gebrechlichkeit der Personengruppe umfassen, um auf etwaige
Veränderung zu einem frühen Zeitpunkt reagieren zu können.
In der Literatur kann man im Bereich der nicht pharmakologischen Therapie
verschiedene Behandlungsansätze und deren Auswirkungen auf die
Lebensqualität, Sterberate oder Rehospitalisierungsrate finden. Hierbei werden
oftmals zwei Begriffe verwendet, nämlich Selbstpflegemanagement und
Selbstmanagement. Zu diesem Thema wurde im Jahr 2013 eine
Literaturanalyse durchgeführt, die unter anderem zu dem Ergebnis kam, dass
diese Terminologien oft gleichzeitig und austauschbar verwendet werden und
manchmal die Bedeutung von Wissen, Kenntnis, die Erhaltung des
Gesundheitszustandes oder eine chronische Erkrankung zu managen, haben.
Die Notwendigkeit einer konzeptuellen Klarheit wird schon in vielen
Publikationen angesprochen und gefordert (J.Peeters et al., 2013). Die
Unterstützung von Selbstmanagementprogrammen oder die Förderung der
Selbstpflege sind wesentlicher Bestandteil der Therapie bei chronischer
Herzinsuffizienz und sind in der Pflegeberatung wichtige Schulungselemente.
4. CHRONISCHE ERKRANKUNG AM BEISPIEL HERZINSUFFIZIENZ
Herzinsuffizienz als chronische Erkrankung stellt Betroffene oft vor große
praktische und psychologische Herausforderungen. Dazu ist es notwendig eine
umfassende Sichtweise auf die chronische Krankheit zu haben, um die
physische, psychische und soziale Dimension des individuellen Erlebens der
Erkrankung zu vereinen und gleichzeitig die Lebensqualität und Zufriedenheit
in den Mittelpunkt zu stellen. Da es aber keine Heilung für die Erkrankung
gibt, ist ein ausreichendes und umfassendes Management über den gesamten
Krankheitsverlauf unabdingbar. Doch ist das Gesundheitssystem historisch
gesehen auf das Diagnostizieren, die Behandlung von Symptomen und das
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26
Management von akuten Erkrankungen, sowie die Entwicklung von
Heilverfahren ausgerichtet. Bis zur Hälfte des vergangenen Jahrhunderts
machten akute Krankheiten, die größte Gruppe der Gesundheitsprobleme in
Europa und den Vereinigten Staaten aus. Heutzutage dominieren aber
chronischen Erkrankungen und sind hauptverantwortlich für
Erwerbsunfähigkeit und für 70 % der Gesundheitsausgaben (vgl. Lorig et al.,
2004).
Mein Grund für diese Entwicklung dürfte die Tatsache sein, dass sich zwar die
Heilungschancen von vielen Krankheiten verbessert haben und, dass die
Überlebensraten nach akuten Erkrankungen und die Lebenserwartung der
Menschen zunehmen. Das Gesundheitssystem hat sich diesen veränderten
Anforderungen jedoch nicht angepasst. Als Konsequenz kommt es laut Lorig
(2004) zu Fragmentierung und Unterbrechungen in der
Gesundheitsversorgung. Auch werden oft unnötige Technologien und
Methoden eingesetzt und die Ausgaben steigen, ohne dass PatientInnen in
einem angemessenen Ausmaß davon profitieren. Es ist zu beobachten, dass
Verantwortliche und im Gesundheitswesen Tätige chronische Erkrankungen
immer noch als episodisch oder akut auftretend betrachten, und so kann es zu
einem Missverhältnis zwischen den Kosten, die durch die Behandlung
verursacht werden und den eigentlichen gesundheitlichen Bedürfnissen der
Betroffenen kommen (vgl. Curtin & Lubkin, 2002).
Begriffserklärung Chronizität
Was kann aber nun unter dem Begriff Chronizität verstanden werden? Schon
vom Ursprung des griechischen Wortes „Chronos ()“, mit der
Bedeutung „Zeit“ kann man den Zeitbezug erkennen. Curtin & Lubkin (2002)
haben festgestellt, dass aus Sicht der Pflege bis dato keine Begriffserklärung
vorliegt. Bei ihrer Analyse von neun verschiedenen Definitionen sind sie auch
auf die daraus resultierenden Vor- und Nachteile eingegangen und haben dann
ihr Verständnis einer chronischen Erkrankung folgendermaßen formuliert:
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27
„Unter chronischer Erkrankung versteht man das irreversible Vorhandensein
bzw. die Akkumulation oder dauerhafte Latenz von Krankheitszuständen oder
Schädigungen, wobei im Hinblick auf unterstützende Pflege, Förderung der
Selbstversorgungskompetenz, Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit und
Prävention weiterer Behinderungen, das gesamte Umfeld des PatientInnen
gefordert ist.“ (Curtin & Lubkin, 2002, S. 26)
Eine weitere Möglichkeit chronische Erkrankungen zu definieren ist die
Charakteristika der Chronizität zu erläutern. Lorig (2004) fasst die Merkmale
chronischer Krankheiten folgendermaßen zusammen:
Oft schleichender Beginn
Entwicklung der Erkrankung über einen längeren Zeitraum
Verschiedene Ursachen, die sich auch verändern
Phasenhafter Verlauf
Diagnostische Phase oft prolongiert, unklare Prognose
Keine Heilung, Management über den Krankheitsverlauf
notwendig
Tiefgreifende Verunsicherung
Ähnlich haben auch Hüper und Hellige (2015) die Merkmale chronischer
Erkrankung charakterisiert:
o Dauerhaftigkeit
o Durchzunehmendes Alter mehrere parallel verlaufend chronische
Erkrankungen
o Nicht kausal sondern symptomatisch behandelbar
o Multifaktorielle Ursachen
o Phasenhafter Krankheitsverlauf
o Große Bemühungen um Symptomauswirkung zu lindern
o Führen häufig zur Isolation
o Chronisch Kranke und ihre Angehörige müssen Hauptarbeit der
Krankheitsbewältigung leisten
o Unsicherheit
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28
Die komplexe Situation, in der sich ein chronisch Kranker befindet, hat
Konsequenzen auf sein gesamtes weiteres Leben und erfordert strategische
Bewältigungsstrategien. Oft treten diese Auswirkung in zyklischer Weise auf
und betreffen physische, psychische, soziale und ökonomische Aspekte des
Lebens. Jeder einzelne Aspekt kann dabei Auswirkungen auf andere
Dimensionen haben, wodurch flexible Anpassungsstrategien von dem
Betroffenen gefordert werden.
Es gibt nun verschiedene Modelle, die einen theoretischen Rahmen zur
professionellen Betreuung von chronisch Kranken beschreiben und für die
Krankenpflege neue Perspektiven aufzeigen.
Modelle zur Bewältigung von chronischer Krankheit
4.2.1 Das Trajekt Modell nach Corbin Strauss
Corbin und Strauss (2004) haben auf Basis ihrer Forschungsarbeit und
mehreren qualitativen Studien aus den späten 60iger Jahren die Frage
beantworten wollen, wie Menschen mit chronischer Krankheit unterstützt
werden können, ihre Erkrankung effektiv zu bewältigen. Das Ziel war die
biographischen Aspekte und Alltagssituationen sowie den prozesshaften
Charakter chronischer Erkrankungen herauszuarbeiten. Sie vergleichen die
chronische Erkrankung mit der Entdeckungsreise auf einem Schiff, bei welcher
der Kurs zwar vorbestimmt ist, der PatientInnen aber wie ein Seemann mit
dem Seegang zurechtkommen muss, ohne ihn beeinflussen zu können. So
muss der Erkrankte lernen mit der Krankheit, den körperlichen Reaktionen und
den damit verbundenen Konsequenzen und Belastungen für den Lebensalltag
zurechtzukommen.
Im Mittelpunkt ihres Konzeptes, das als „Illness Trajectory“ oder Modell der
Krankheitsverlaufskurve bezeichnet wird, stehen die Begriffe Arbeit und
-
29
Verlaufskurve. Die dahinterstehende Überlegung war, dass zur
Krankheitsbewältigung die Versorgung im Sinne von Arbeit durch ein oder
mehrere Personen durchgeführt werden muss und dadurch auch
Arbeitsbeziehungen aufgebaut werden müssen. Chronische Krankheiten haben
lebenslange Verläufe, die durch verschiedene Phasen gekennzeichnet sind. Die
krankheitsbezogene Arbeit schwankt daher je nach der entsprechenden
Krankheitsphase (vgl. Corbin&Strauss, 2004).
Hüper und Hellige (2015) haben die Phasen der Krankheitsverlaufskurve
folgendermaßen zusammengefasst (siehe Tab. 4), betonen aber, dass die
Darstellung keinen chronologischen Verlauf abbildet und die verschiedenen
Phasen durch Arbeit gestaltbar sind und somit auch den Verlauf positiv oder
negativ beeinflussen können:
Verlaufs-
kurvenphase
Zentrale Aspekte Handlungsziele
Vorstadium o Genetische Faktoren o Lebensweise, die eine
Gesellschaft oder das Individuum für eine chronische Krankheit prädisponiert
Vorbeugung durchgesundheits-fördernde Lebensweise
Verlaufs-kurvenbeginn
o Erste Symptome o Einsetzen der Diagnostik o Unsicherheit über biographische
Konsequenzen und die Auswirkungen auf den Alltag, die Berufsarbeit, die Familie
Angemessene Verlaufsvorstellung und -pläne sollten entwickelt werden
Stabile Phase o Kontrollierbarer Krankheitsverlauf o Aktivitäten des täglichen Lebens
und Biographie sind im Rahmen der limitierenden Faktoren ausbilanziert
o Krankheitsmanagement findet zu Hause statt
Wichtigste Phase im Verlauf:
Es geht darum, die Stabilität der Verlaufskurve zu erhalten und zu unterstützen
Instabile Phase
o Die Symptome sind nicht kontrollierbar
o Es können zudem biographische Probleme auftreten und/oder es können Probleme bestehen, den Alltag, Familie und Beruf zu organisieren
Rückkehr zur stabilen Phase
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30
Akute Phase o Es kommt zu Komplikationen oder einer Zunahme der Symptomatik
o Aktivitäten sind nur begrenzt möglich
o Eine Krankenhauseinweisung kann notwendig werden
Die Handlungsziele sind auf Kontrolle der Krankheit und die Rückkehr zur stabilen Phase auszurichten. Biographische Arbeit verbleibt gegebenenfalls in der Schwebe.
Krisenphase o Es kommt zu einer kritischen oder lebensbedrohlichen Situation
Das primäre Handlungsziel ist die Kontrolle der Krankheit und somit die Rückkehr zur stabilen Phase
Normali-sierung
o Zeit der Normalisierung o Es geht darum, mit
eingeschränkten Ressourcen zu leben
o Der Verlauf ist aufwärts gerichtet
Das Handlungsziel ist das Erreichen körperlichen und seelischen Wohlbefindens orientiert an den adaptierten Verlaufskurvenvor-stellungen und Plänen aller AkteurInnen
Abwärts-phase
o Es kann sowohl eine graduelle oder eine rapide Verstärkung der Symptomatik auftreten
o Es können Probleme bei der Symptomkontrolle entstehen
o Alltag und Biographie müssen ständig angepasst werden
Das Handlungsziel ist eine Akzeptanz und ein Anpassen an die sukzessiven Fähigkeitsverluste
Sterbephase o Es handelt sich um die Tage oder Wochen vor dem Tod
o Es können rapide Fähigkeitsverluste auftreten
o Es kann der Wunsch bestehen, das Leben zu reflektieren, um loslassen zu können
Das Handlungsziel sollte sein, ein würdevolles Sterben zu ermöglichen.
Tab. 4: Verlaufskurvenphase, zentrale Aspekte und Handlungsziele (Hüper & Hellige (2015), S. 63 ff., nach Corbin (1998), Corbin & Strauss (2004), S. 60 ff.)
Daraus wird ersichtlich, dass die Bewältigung von chronischen Erkrankungen
hoch komplex verläuft und die Wahrnehmung in welcher Krankheitsphase sich
der Betroffene gerade befindet von großer Wichtigkeit ist, um die aktuellen
medizinischen, pflegerischen und alltagsrelevanten Problem planen zu können.
Den Phasen des Verlaufskurvenmodells stehen somit drei Hauptarbeitslinien
-
31
gegenüber: die Krankheitsarbeit, die Alltagsarbeit und die Biographiearbeit.
Diese sollten miteinander in Einklang gebracht werden (vgl. Hüper & Hellige,
2015). An diesen Arbeitslinien, im Rahmen der Verlaufskurven, sind der
Betroffene, die Personen seines Umfeldes und die Pflegepersonen beteiligt.
Um die zentralen Punkte ihres Modelles nämlich Arbeit und Verlaufskurve und
ihr komplexe Beziehung zueinander darzustellen, haben Corbin & Strauss
(2004) folgende definitorische Kernaussage verfasst:
„Das Verlaufskurvenkonzept bezieht sich nicht nur auf den Krankheitsverlauf,
sondern auch auf die damit verbundene krankheitsbezogene Arbeit, die mittels
Arbeitsprozessen durchgeführt wird.“
Enthalten in dieser Arbeit und den Arbeitsprozessen sind Arbeitstypen und
Arbeitslinien und Weisen, diese zu organisieren, sowie die verschiedenen
biographischen Prozesse, die durch den Krankheitsverlauf an sich und die zu
seiner Bewältigung erforderliche Arbeit sowohl in Gang gesetzt als auch
beeinflusst werden und die sich dann wieder auf die Durchführung der Arbeit
auswirken, die mithilfe der Arbeitsprozesse geleistet wird.“ (vgl. Corbin &
Strauss, 2004, S. 358 ff).
Für die Pflege und des Weiteren für die Pflegeberatung von chronisch Kranken
bietet dieses Modell somit eine fundamentierte Basis um den Einzelnen bei
einem selbstbestimmten Umgang mit seiner Krankheit zu bestärken. Konflikte,
die sich manchmal beim Management der Krankheit durch unterschiedliche
Zielsetzungen der Pflegefachkräfte und des Betroffenen ergeben, können
damit vermieden werden. Denn ein zentrales Element dieses Modelles ist die
Patientenperspektive und das individuelle Erleben seiner Krankheit und ihres
Verlaufes unter Einbeziehung der Biographie und Erfahrung des chronisch
Kranken und seiner Angehörigen. Die Zielsetzung, die der Sichtweise des
Betroffenen entspricht, erleichtert und bestimmt somit die weitere Richtung
des Krankheitsmanagements.
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32
4.2.2 Das Modell der Pflege chronisch Kranker nach Mieke Grypdonk
Ein weiteres Konzept für die professionelle Pflege chronisch Kranker bietet das
Modell von Mieke Grypdonck. Seit 1971 widmet sie sich der Forschung von
Menschen mit chronischen Krankheiten und hat 1996 eine Theorie der Pflege
chronisch Kranker vorgestellt, die Ausgangspunkt weiterer Forschung und
Studien war. Dabei unterteilt sie die Pflegewissenschaft in zwei
Hauptströmungen. Die eine geht davon aus, dass Gesundheit mit
Funktionieren zu tun hat und Heilung, Wiederherstellung dieser Funktion
bedeutet. Im Vordergrund steht für die Pflege dabei, die Unterstützung der
Aktivitäten des täglichen Lebens und nennt als Prototyp die
Selbstfürsorgetheorie von Orem (vgl. Grypdonck in Seidl/Walter, 2005, S.17).
Die andere Strömung geht von der Erlebensperspektive des Betrachters aus.
Die Krankheit ist nicht ein objektives Geschehen außerhalb des Körpers,
sondern krank sein wird durch das Erleben des Betroffenen geprägt. So meint
sie weiter, dass Pflegepersonen von der Erlebensperspektive und der
Erfahrung und der Bedeutung, die das Individuum seiner chronischen
Erkrankung verleiht ausgehen sollten. In diesem Zusammenhang soll der
Betroffene seinem Leben, mit seiner Krankheit Bedeutung und Sinn verleihen.
Sie möchte auch ihre Pflegetheorie nicht als ein in einer gewissen Zeitspanne
entstandenes starres Instrument, sondern in Anlehnung an eine
metatheoretische Sicht, als Prozess verstanden wissen (vgl. Grypdonck, in
Seidl/Walter 2005). Im Zentrum der Pflege eines chronisch Kranken soll der
Mensch und nicht seine Krankheit und ihre Folgen stehen.
Dabei kommt der Reaktion des chronisch Kranken auf seine Erkrankung eine
große Rolle zu.
Grypdonck unterscheidet zwischen Individuen, die sich trotz Widrigkeiten, die
die Krankheit mit sich bringt, am Leben erfreuen können und über Krisen
hinwegkommen. Die Krankheit wird nicht lebensbestimmend und sie schaffen
es, ihr Leben über die Krankheit zu stellen. Die zweite Reaktionsweise wäre
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33
mit dem Leben unzufrieden zu sein und sich nicht auf die Veränderungen, die
die Krankheit mit sich bringt einstellen zu können. Hilfe empfinden sie als nicht
ausreichend, da sie sich eine Befreiung von der Krankheit wünschen (vgl.
Grypdonck in Seidl/Walter, 2005, S. 21ff). Menschen mit chronischer
Krankheit müssen lernen mit körperlichen Einschränken zu leben und die
Trennung, die zwischen dem Körper und der Person entsteht, zu überwinden.
Oft macht einem die Erkrankung die eigene Verletzlichkeit bewusst und das
führt wiederum zu einer starken Verunsicherung.
Grypdonck (1996) beschreibt weiters vier Aufgaben, die sich daraus für die
Pflege ergeben (siehe Abb. 2).
Abb 2: Aufgaben der Pflege nach Grypdonck (eigene Darstellung)
Ein weiteres wichtiges Merkmal des Modelles ist die Beziehung zwischen der
Pflegeperson und dem chronisch Kranken. Diese sollte geprägt sein durch ein
positives Verhältnis. Merkmale sind die Tatsache, sich zu kennen und
Vertrauen zu haben und gleichzeitig die Autonomie des Betroffenen zu
wahren. Die Begleitung im Krankheitsverlauf sollte von einer speziell für
chronische Erkrankungen geschulten Pflegeperson ausgeübt werden, die den
Betroffenen, sein Umfeld und den Krankheitsverlauf kennt und somit auch die
Hilfe zur Überwindung der existentiellen Krise:
Die betrifft nicht nur die Zeit der Diagnosestellung, sondern auch wenn
sich die Erkrankung verändert oder verschlechtert. Hierbei soll sich der
Betroffenen umfassend verstanden und ernst genommen fühlen
Unterstützung im täglichen Leben:
Bedeutet eine Anpassung der Unterstützung an die Bedürfnisse des Augenblicks, unter Berücksichtigung
schon bestehender Bewältigungsstrategien und
Erfahrungen.
Hilfe beim Ausführen des therapeutischen Regimes:
Hierbei zählt die Unterstützung beim Management der Erkrankung und der
Symptome.
Hilfe bei der Organisation oder Koordination der Pflege:
Das bedeutet die Privatsphäre und den individuellen Tagesplan des chronisch
Kranken zu berücksichtigen.
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34
Verbindung zu anderen Gesundheitsanbietern darstellt. Diese Pflegeperson
nennt sie die „trajectory nurse“ (vgl. Grypdonck in Seidl/Walter, 2005, S.50ff).
Zusammenfassend ist das Modell von Grypdonck die professionelle Begleitung,
Unterstützung und Beratung in den verschiedenen Phasen des Lebens mit
einer chronischen Krankheit, wobei der Betroffene befähigt werden soll das
Leben über seine Erkrankung herauszuheben (vgl. Grypdonck in Seidl/Walter,
2005, S.30).
4.2.3 Chronic Care Modell
Chronische Krankheiten stellen Betroffene nicht nur vor physischen,
psychischen und sozialen Anforderungen, sondern sie stellen auch das
bestehende Gesundheitssystem vor neue Herausforderungen. Historisch war
es ausgerichtet auf die rasche und effiziente Behandlung akuter Krankheiten.
Der Fokus lag auf dem unmittelbaren Problem, der zügigen Definition einer
Diagnose, dem Ausschluss von Alternativdiagnosen und dem Beginn einer
professionellen Behandlung. Die Rolle des Patienten war weitgehend passiv
geprägt. Somit besteht ein Problem in der Struktur dieses Gesundheitssystem
und Verbesserungen desselben können den Druck erhöhen, führen aber nicht
zu Veränderungen, die für die Versorgung von chronischen Erkrankungen
notwendig wären.
Um eine verbesserte Versorgungsstruktur für chronisch Kranke zu schaffen,
hat Wagner (1996) das Chronic Care Model entwickelt, das als
Rahmenkonzept zur Verbesserung der Betreuungsqualität von Menschen mit
chronischer Krankheit dienen soll. Mittlerweile wird dieses von mehr als 100
Gesundheitsanbietern verwendet (vgl. Wagner et al., 2001). Der Autor
argumentiert, dass der chronisch Kranke vergleichbar ist mit einem Piloten,
der ausgebildet werden muss, ein Flugzeug zu fliegen. Somit besteht die
Aufgabe des Fachpersonals im Gesundheitswesen, die ja, um mit dem Bild
Wagners fortzufahren, nur für einige Zeit im Flugzeug anwesend sind, darin,
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35
den Betroffenen fachgerecht auszubilden und für sichere Flugzeuge und
Flugpläne zu sorgen um den Erkrankten sicher an sein Ziel zu bringen. Dazu
bedarf es neben dem Selbstvertrauen auch den Fähig- und Fertigkeiten um
den Zustand selbständig zu managen und einer angemessenen Therapie, um
eine optimale Krankheitskontrolle sicher zu stellen und Komplikationen
vorzubeugen. Die Planung der Behandlung muss im gegenseitigen Konsens
erfolgen, welcher durch eine kontinuierliche Begleitung auf dem
Krankheitsweg ergänzt wird (vgl. Wagner et al., 2001).
Die größten Defizite in der Versorgung chronisch Kranker, die sich nun aus der
Analyse der gegenwärtigen Situation ergeben, Wagner nannte sie die „Chronic
Care-Krise“, könnte man folgendermaßen (vgl. Gensichen et al., 2006)
beschreiben:
Prävalenz: Veränderungen der medizinischen Tätigkeiten, vor allem in der
Primärversorgung durch Anstieg chronisch oder mehrfach chronisch Kranken
Klinische Versorgung: medizinischer Fortschritt führt zu immer komplexeren
Optionen bei Therapie und Diagnostik, oft fehlt aber bei der Ausführung die
notwendige Evidenz
Koordination: unzureichende Kommunikation, da PatientInnen von
verschiedenen Akteuren betreut werden, führt oft zu fragmentierter
Versorgung oder unnötigen Behandlungen
Patientenrolle: oft noch in passive Rolle gedrängt, Bedürfnisse ungenügend
berücksichtigt, dadurch erhalten Betroffene keine effektive Hilfe
Kontinuität: zu starker Fokus auf Akutversorgung, dadurch zu wenig
Ressourcen für kontinuierliche Begleitung (follow-up)
Aus dieser Beobachtung formulierte Wagner (1996) das Chronic Care Modell
(CCM – siehe Abb. 4) und beschreibt darin, wie PatientInnen, durch
Übernahme einer aktiven Rolle, gemeinsam mit einem vorausschauenden
Praxisteam (bestehend aus einem Arzt und medizinisch geschulten
Pflegefachpersonal) ihre Behandlungsergebnisse verbessern.
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Es ist gleichzeitig multidimensional und interdisziplinär, unter Einbeziehung
aller im Gesundheitssystem und Versorgungebenen Beteiligten angelegt.
Abb. 4: Das Chronic Care-Modell nach Wagner (1996)
Quelle: deutsche Übersetzung: Gensichen, Knieps, Schlette (2006)
Um eine qualifizierte und optimale Versorgung chronisch Kranker in der
Primärversorgung gewährleisten zu können, umfasst das Modell sechs
Elemente:
Das Gesundheitssystem: dieses soll durch entsprechende Kultur, Organisation
und Instrumente eine qualitativ hochwertige Versorgung chronisch Kranker
gewährleisten. Das bedarf auch der Motivation und Bereitschaft für
Veränderung von Seiten der Gesundheitsstruktur. Koordination der
Versorgung zwischen und auch innerhalb von Organisationen. Gewährleistung
eines offenen Umganges mit Fehlern und Qualitätsproblemen.
System der Leistungserbringung: dazu gehört effiziente und effektive
Versorgung einschließlich einer verantwortungsvollen Aufgabenteilung, genaue
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37
Definition der Schnittstellen und der einzelnen Versorgungsstufen, um auf die
individuelle Situation eingehen zu können. Auch eine kontinuierliche
Begleitung in Form von „follow-ups“ und gegenseitiger Austausch, um neueste
evidenzbasierte Versorgung gewährleisten zu können.
Klinisches Informationssystem: wie z.B. durch Patientenregister, individuellen
Therapieplänen oder Patientenpässen, Erinnerungssystemen, und der
Möglichkeit eines Austausches zwischen PatientInnen und den
Gesundheitsanbietern. Identifizierung relevanter Populationen für eine aktive
Versorgung.
Entscheidungsunterstützung: durch evidenzbasierte Leitlinien, auch als
Entscheidungshilfe für den Betroffenen zugänglich und verstehbar,
Verwendung bewährter Schulungsmethoden, Einbezug von Expertenwissen in
der Primärversorgung.
Unterstützung des Selbstmanagements: unter Betonung der zentralen Rolle
des Betroffenen, Verwendung effektiver SM Strategien, wie Assessment,
Zielsetzung, Handlungsplan, Problemlösung und Verlaufskontrolle.
Gemeinwesen: damit ist die individuelle Lebenswelt und das kommunale
Umfeld chronisch Kranker gemeint, dazu gehören auch Ressourcen auf lokaler
Ebene wie Selbsthilfegruppen oder soziale Dienste, oder
Präventionsprogramme. Bedarfs- und Bedürfnislücken sollen geschlossen
werden.
Quelle: www.improvingchroniccare.org, 2006-2017, Gensichen et al. (2006)
Der durch die verschiedenen Elemente des Modells aktivierte und informierte
Mensch kann und soll somit stärker die Rolle des Managers seiner Erkrankung
einnehmen und steht einem proaktiven und vorbereiteten Versorgungsteam
gegenüber. Durch evidenzbasierte und vorausschauende Planung sollen
Konsequenzen der Erkrankung kontrollierbar bleiben und optimale
Behandlungsergebnisse, durch größtmöglichen Nutzen/ Kosteneffizienz
erreicht werden (vgl. Wagner et al., 2001; Gensichen et al., 2006). Case-
Management und Disease-Management können in das CCM als Instrumente
implementiert werden.
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Dieses organisatorische Modell wird vorwiegend zur verbesserten Betreuung
chronisch Kranker in der der Primärversorgung eingesetzt. Es ist speziell als
theoretisches Konzept für Veränderungen oder Neuausrichtungen schon
bestehender Gesundheitssysteme entwickelt worden.
Die Who (2002) hat das CCM als Basiskonzept für eine verbesserte Versorgung
für Menschen mit chronischen Erkrankungen für ihr „Innovative Care for
Chronic Conditions“ Framework verwendet. Darin werden auf Makro-, Meso-,
und Mikroebene politische Handlungsfelder definiert, die für die
Implementierung des CCM von großer Bedeutung sind (vgl. Djalali &
Rosemann, 2015).
In verschiedenen Literaturanalysen (vgl. Coleman et al., 2009; Davy et al.,
2015; Tsai et al., 2005) wurden die Effekte des Chronic Care Modells auf die
Betreuung der immer größer werdenden Zielgruppe der chronisch Kranken
untersucht. Ziel war es, die positiven Effekte der Implementation des CCM auf
klinische, funktionelle und wirtschaftliche Behandlungsergebnisse zu
untersuchen. Die identifizierten Literaturanalysen wurden in einem Zeitraum
zwischen 1998-2003, 2000- 2008, 1998-2013 durchgeführt und umfassten
einmal 112, 82 und 77 Studienergebnisse, die den vorher definierten
Einschlusskriterien entsprachen (vgl. Coleman et al., 2009; Davy et al., 2015,
Tsai et al., 2005). Um die gefunden Studien miteinander vergleichbar zu
machen, mussten die einzelnen Elemente die das CCM verwendet identifiziert
und definiert werden, dabei wurde festgestellt, dass je mehr Elemente
verwendet wurden, umso besser waren Qualität und Ergebnisse der
Versorgung (vgl. Coleman et al., 2009). Kein einzelnes Element des CCM für
sich konnte zu einer Verbesserung des Behandlungsergebnisses führen (vgl.
Tsai et al., 2005).
In der Review von Davy et al. (2015) konnte weiters festgestellt werden, dass
es eine große Schwankung bezüglich der Elemente des CCM gibt. Bei dieser
Literaturanalyse wurden die sechs Element nämlich um zwei, die
Familienunterstützung und das Casemanagement erweitert. Auch wurde eine
Variabilität über die Art und Weise wie diese Elemente implementiert wurden
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beobachtet. Der große Teil der Studien ergab eine signifikante Verbesserung
der Behandlungsergebnisse, es konnte aber nicht identifiziert werden, ob ein
Element für sich oder eine Kombination der Elemente den entscheidenden
Vorteil brachte. Auch kann nicht ausgeschlossen werden, dass schon die
Umsetzung des CCM alleine und die verbundene klare Botschaft, dass die
strukturierte und optimale Versorgung chronisch Kranker wichtig und
erwünscht ist, eine Rolle gespielt haben mag (vgl. Davy et al., 2015).
Auch die Effekte auf die Kosten für das Gesundheitssystem wurden untersucht.
Dabei konnte ein Zusammenhang zwischen Interventionen, die zur
verbesserte Kontrolle des Krankheitsmanagements führen und der
Reduzierung der Gesundheitskosten festgestellt werden (vgl. Goetzel et al.
,2005). Allgemein sind Effekte der Kostenersparnis nicht kurzfristig bemerkbar
und erwachsen eher dem Versicherungsnehmer selber, als den Anbietern in
der Primärversorgung. Auch wird darauf hingewiesen, dass es zu einem
Missverhältnis zwischen dem, der das CCM und seine Elemente implementiert
und der, der davon finanziell profitiert, kommen kann. Evidenz über die
Kosteneffektivität von CCM ist noch in der Entstehungsphase und weitere
Forschung, um den Zusammenhang zwischen Kosten und den Vorteilen für
Praxis, Auftraggeber und PatientInnen zu identifizieren, ist von Nöten (vgl.
Coleman et al., 2009).
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5. PFLEGEBERATUNG BEI CHRONISCHER
HERZINSUFFIZIENZ: EINE BEST PRACTICE
ANALYSE
Beratung wird in der Pflege oft als informieren, Rat geben und aufklären
verstanden. In manchen Fällen reicht aber die Informationsweitergabe nicht
aus, um die Bedürfnisse von PatientInnen und ihren Angehörigen zu erfüllen.
Sie erhoffen sich neben Rat auch Unterstützung und Begleitung, um die
Anforderungen veränderter Gesundheitszustände und Lebenswelten
bewältigen zu können (vgl. Engel & Sickendiek, 2005).
Ziel der Beratung ist es unter anderem, Ressourcen zur Bewältigung von
Gesundheitsproblemen zu aktivieren, um Selbstbestimmung und die
Beteiligung der Betroffenen zu fördern. Pflegeberatung, einschließlich einer
genauen Analyse der Begrifflichkeiten und Konzepte wird in Abschnitt 8 noch
ausführlich behandelt. In diesem Kapitel liegt der Fokus auf der Frage, ob es
schon Erfahrungen zur Pflegeberatung bei Herzinsuffizienz in den westlichen
Industrienationen gibt und wie sich die aktuelle Situation in Österreich
darstellt.
Leider werden in der Literatur die Begriffe Pflegeberatung, Patientenberatung
und Patientenschulung nicht immer klar voneinander abgegrenzt. So ist auch
in diesem Fall die Beantwortung der Frage nicht einfach. Im Vordergrund der
Recherche steht somit, die Betreuung der Personen mit chronischer
Herzinsuffizienz von Seiten der Krankenpflege, in den westlichen
Industrienationen und schließt alle drei vorhergenannten Fachausdrücke, die
Beratungskomponenten enthalten, mit ein.
Die Veränderung des Krankheitsspektrums hin zu einer steigenden Anzahl
chronisch Kranker verlangt nach neuen Bewältigungsstrategien, um diese
hochkomplexen Probleme, mit all ihren Herausforderungen bedarfsgerecht
aber auch inhaltlich und ökonomische effizient, gerecht zu werden.
Ausganspunkt ist der Mensch seine Erkrankung, sein Erleben, seine
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individuelle Reaktion auf diese, unter Miteinbeziehung seines gesamten
persönlichen Umfeldes. Aus diesem Grund ist eine Analyse der Bedürfnisse der
Betroffenen ein wichtiger Anhaltspunkt, um bei der Entwicklung von neuen
Pflegestrukturen, die Gesamtsituation nicht aus dem Auge zu verlieren.
Erwähnenswert ist hier eine Studie von Neuderth et al. (2005), die der Frage
nachgegangen ist, ob ein Schulungsbedürfnis von Seiten Betroffener mit
chronischer Herzinsuffizienz besteht. Mehr als die Hälfte der Befragten äußerte
Interesse, wobei die Bereitschaft zur Teilnahme mit dem Alter negativ
korreliert war. Im Vordergrund war das Interesse an medizinischen Themen,
wie Risikofaktoren, Verlauf der Erkrankung, Therapie und Rehabilitation.
Personen, die seelisch belastet waren interessierten sich mehr für
Schulungsthemen, wie Krankheitsbewältigung und Depression. Interessant ist,
dass 40% der Studienteilnehmer kein Interesse an einem Schulungsinhalt
angaben. Eine mögliche Erklärung von Seiten der Autoren war, dass
Betroffene entweder schon ausreichend informiert waren, oder kein Interesse
bestand, sich mit der Krankheit auseinanderzusetzen. Dazu gaben 28% an
sich kaum oder gar nicht mit chronischer Herzinsuffizienz auszukennen. Nur
die Hälfte der Befragten, und da vor allem jüngere Menschen wünschten sich
ein partnerschaftliches Verhältnis zum Arzt, und somit ein kooperatives
Miteinbeziehen in die Behandlung. Der Grund von Seiten der Betroffenen war
Unsicherheit und die Sorge Fehler zu machen. Somit kann es notwendig sein,
in entsprechenden Schulungsprogrammen auf diese Ängste einzugehen und
durch professionelle Begleitung, Menschen mit chronischer Herzinsuffizienz,
zum Selbstmanagement zu motivieren.
Die Autoren empfehlen daher aufgrund der gefundenen Erkenntnisse, bei der
Anwendung von Schulungsprogrammen immer von der individuellen Situation
des chronisch Kranken auszugehen ist und nicht eine Zuordnung nach
Geschlecht, Alter oder Klassifizierungssystem, wie z.B. das NYAH,
vorzunehmen (vgl. Neuberth et al., 2005).
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Internationaler Vergleich
Eine Untersuchung von Coulter & Magee (2005) in acht europäischen Ländern
(Großbritannien, Deutschland, Polen, Italien, Schweiz, Schweden, Spanien,
Slowenien) über die Bedürfnisse von Betroffenen und ihren Beratungsbedarf
hat festgestellt, dass „die Bürger klar und deutlich verlangen, dass sie über
das Thema Gesundheit, Krankheit, Behandlungsmöglichkeiten und
Hilfsoptionen besser informiert werden“ um „aufgeklärt ihre Entscheidungen
über Behandlungsoptionen treffen oder entscheiden können, welche
Leistungserbringer im Gesundheitswesen sie konsultieren sollen“ (Coulter &
Magee, 2005, S.50; zitiert in Hüper & Hellige, 2015, S8). Beratung in der
Pflege wird somit zunehmend bedeutungsvoller und muss ein integrativer
Bestandteil der Krankenpflege sein, der systematisch Teil der Pfleghandlung ist
und auch nicht an anderen Berufsgruppen delegiert werden kann (vgl. Koch-
Straube, 2001, S.175).
Dazu bedarf es auch einer entsprechenden Spezialisierung und Qualifizierung
der Pflegefachkräfte, die nicht dadurch erreicht werden kann, dass Kurse oder
Weiterbildungen in Gesprächsführung oder Beratungstechniken gelehrt
werden. Damit wäre Beratung nur als ein Anhängsel der Pflege degradiert und
wäre weiterer ein Zuwachs von Anforderungen und Aufgaben, die zu einer
unzumutbaren Mehrbelastung führen (vgl. Hüper & Hellige, 2015, S.8; Koch-
Straube, 2001, S.181).
Es hat sich im internationalen Vergleich gezeigt, dass im Bereich der Beratung
und Schulung bei der Pflege von HI PatientInnen eine Weiterentwicklung
stattgefunden hat, durch den Einsatz speziell geschulter Fachkräfte, die als
ANP oder Heart Failure Nurse in interdisziplinären Teams zur Versorgung von
chronisch Kranken mit Herzinsuffizienz einen wichtigen Beitrag leisten (vgl.
Kolbe et al., 2009).
In Amerika entwickelte sich die Rolle der speziell ausgebildeten Nurse
Practitioner (NP) schon seit den 60iger Jahren des vergangenen Jahrhunderts.
Anfangs wurde sie vor allem in ländlichen Bereichen zur Versorgung der
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Bevölkerung eingesetzt. Mittlerweile sind sie nicht nur im Primärbereich tätig,
sondern auch in speziellen Bereichen der Akutversorgung, wie z.B.
Notfallambulanzen (Blue et al.,2005). Auch ist in Amerika die Versorgung der
wachsenden Zahl an Erkrankten mit chronische HI eine große
Herausforderung. Schon jetzt sind circa 6 Millionen Amerikaner betroffen und
nach Schätzungen soll sich diese Zahl um 46% bis 2030 erhöhen (vgl.
Heidenreich et al. 2013). Schon die American Nurses Association (ANA) hat im
Aufgabenbereich der kardiovaskulären Pflege die Verantwortung der
Pflegefachkraft zur evidenzbasierten Patientenschulung hervorgehoben (vgl.
Rasmusson et al., 2015).
Seit 2004 beschäftigt sich die American Association Of Heart Failure Nurse
(AAHFN) mit der Ausbildung und der Zertifizierung von HF Nurses, der
klinischen Praxis und der Forschung im Bereich der Herzinsuffizienz, um die
Situation und Versorgung der Betroffenen zu verbessern. Das Ziel ist das
Setzen von Maßstäben in der Pflege von Personen mit chronischer
Herzinsuffizienz. In einer Mitgliederbefragung (2013) musste festgestellt
werden, dass sich trotz aller Bemühungen, eine umfassende Patientenschulung
in der Praxis leider noch nicht ganz durchgesetzt hat. 45% der Befragten
gaben an, dass PatientInnen kaum oder nie 60 Minuten an Schulung erhielten.
Barrieren waren neben Mangel an Zeit auch das Fehlen von geeignetem
Schulungsmaterial, keine institutionelle Unterstützung, Probleme bei der
Dokumentation. Es konnte aber festgestellt werden, dass speziell geschulte
Pflegefachkräfte (Heart Failure Nurse) besser Ergebnisse erzielten (vgl.
Rasmusson et al., 2013).
Ein Beispiel für eine umfassende Implementation von Beratung in der
Versorgung einer geschlossenen Gruppe an versicherten Personen, stellt das
Beispiel von Kaiser Permanent einem US- Gesundheitsdienstleister dar. Die
Versorgungsbereiche umfassen Prävention, Behandlung, Patientenschulung
und Selbstmanagement und sollen ein Kontinuum in der Gesundheits- und
Krankheitsversorgung darstellen. Diese Non-Profit Organisation Versichert und
betreut 8,7 Mio Menschen (in 9 Staaten), beschäftigt 164.000 Personen,
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davon 45.000 Pflegekräfte und zusätzlich 15.000 ÄrztInnen. Für eine
lückenlose Betreuung stehen 35 medizinische Zentren und 454 Ärztehäuser,
bei einem Jahresumsatz von $45,1 Mrd. zur Verfügung (vgl. Schlette, S.296,
in Patientenberatung, 2012).
Große Bedeutung kommt der stetigen Qualitätsverbesserung und
Weiterentwicklung des bestehend