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Programme

Foyer des Herkulessaals, 19.15 h | Pre-Concert Herkulessaal, 20.00 h | Orchesterkonzert Jörg Widmann: ›Dubairische Tänze‹

Werkdaten Jörg Widmann: In die Fremde gehen, um das Eigene zu entdecken

Cathy Milliken: ›Earth Plays‹

Werkdaten Cathy Milliken: Akustische Echos von vier Begegnungsstätten

Frederik Hanssen: Hommage an Erdenorte

Texte zu Earth Plays

Steve Reich: ›Tehillim‹

Werkdaten Steve Reich: Musikalische Intuition – wohin sie auch immer führt

Text zu Tehillim

Biographien

Jörg Widmann [39], Cathy Milliken [40], Steve Reich [41] Fiona Campbell [42], Synergy Vocals [42] Zoro Babel [43], Peter Rundel [43]

Programmvorschau ›musica viva‹

22. Januar 2016, 20.00 h, Orchesterkonzert Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks Verunelli (UA) – Manoury – Mundry (UA)

neu im Saisonprogramm! 22. Januar 2016, 22.30 h, Late Night: Klavierduo GrauSchumacher Busoni – Manoury

Nachweise/Impressum

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WID/MANN

MILLIKENREICH

ua

4122015

musicaviva

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PRE-CONCERTResponse-Werkstatt

zu Earth Plays für Mezzosopran und Orchester

von Cathy Milliken

Sabine Staudinger, AltNicolaus Richter de Vroe, Violine

Schülerinnen des Maria-Ward-Gymnasiums München-NymphenburgLeitung: Cathy Milliken, Komposition

München | Freitag, 4. Dezember 2015, 19:15 hFoyer des Herkulessaals der Residenz

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In der Response-Werkstatt gestalten Kinder und Jugendliche ihre eigene Musik. Sie

improvisieren und experimentieren mit Klängen und entwickeln so gemeinsam mit

Musikern des Symphonieorchesters klingende Antworten auf ein bestehendes Werk,

indem sie mit dessen Themen, Klangfarben und Instrumenten experimentieren.

Bei diesem kreativen Musikprojekt haben die Teilnehmerinnen das Prinzip

»Response« umgedreht: Zu Cathy Millikens Earth Plays für Mezzosopran und Or -

ches ter haben 30 Schülerinnen der Klasse 7c des Maria-Ward-Gymnasiums Mün-

chen-Nymphen burg eine Art musikalisches »Vorwort« entwickelt: gemeinsam mit

der Komponistin Cathy Milliken sowie den Musikern Sabine Staudinger (Alt) und

Nico laus Richter de Vroe (Violine) aus Chor und Symphonieorchester des Baye-

rischen Rundfunks. Wie in Cathy Millikens Earth Plays steht im Zentrum ihrer

Komposition ein konkreter Ort, an dem akustische Spuren hinterlassen wurden: das

Radom in Raisting. Die erste deutsche Erdfunkstelle zur kommerziellen Satelliten-

kommunikation er möglichte in den Jahren zwischen 1964 und 1985 unter anderem

Telefongespräche nach Übersee und die Fernsehübertragung der Mondlandung ins

(west-) deutsche Fernsehen. Zu Beginn des Projekts erhielten die Schülerinnen bei

einer Führung durch das Industriedenkmal einen ersten Eindruck vom Radom. Bei

dieser Ge legen heit experimentierten sie bereits mit der besonderen Akustik des Ra -

doms, einer Trag lufthallenkonstruktion, und nahmen kurze Sequenzen auf. Im

Anschluss waren Cathy Milliken und die Musiker eine Woche lang in der Schule zu

Gast, um gemeinsam mit den Schülerinnen aus den inhaltlichen sowie klanglichen

Impressionen des Besuchs im Radom eine eigene Komposition zu entwickeln. Die

Aufnahmen aus der Traglufthalle bildeten dabei die musikalische Grundlage für das

Stück der Schüler in nen.

Das Maria-Ward-Gymnasium München-Nymphenburg ist seit Herbst 2015 Partner-

schule des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks. In der zweijährigen

Kooperation nehmen Schülerinnen unterschiedlicher Jahrgangsstufen regelmäßig

an Projekten des Symphonieorchesters teil. Unter anderem werden Schülerinnen

der Oberstufe ein Jugendkonzert organisieren und künstlerisch mitgestalten.

Kontakt | Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Referat Jugendar beit/

Education – 80300 München, Telefon: [089] 5900 34116; Telefax [089] 5900 34122;

E-Mail: [email protected]

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18:45 h Einführung Susanne Schmerda

Jörg Widmann

Dubairische Tänzefür Orchester [2009/2010]Chorische Fassung

I Zwiefacher

II Valse mécanique

III Wiegenlied

IV Jeux d’eaux

V Valse bavaroise

VI Schlaflied

VII Landler

VIII Vier Strophen vom Heimweh

IX Souvenir bavarois

Cathy Milliken

Earth Plays für Mezzosopran und Orchester [2014–15]

I Thingvellir

II Epidauros

III Gohyaku Rakan

Part 1 Kazoku Song

Part 2 Mirai Song

Part 3 Umi mo, yama mo, kawa mo

Part 4 A chance of Life

IV Radio City Hall

Kompositionsauftrag der musica viva des Bayerischen Rundfunks

URAUFFÜHRUNG

München | Freitag, 4. Dezember 2015, 20:oo hHerkulessaal der Residenz

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< Pause >

Steve Reich

Tehillimfür 4 Frauenstimmen und Orchester (1981)

Fiona Campbell Mezzosopran

Synergy Vocals

Caroline Jaya-Ratnam hoher SopranKirsty Hopkins SopranRachel Weston SopranHeather Cairncross Alt

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks

Zoro Babel Klangregie

Peter Rundel Leitung

Das Konzert wird mitgeschnitten und am Mittwoch, den 16. Dezember 2015

um 20.03 h auf BR-Klassik gesendet.

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Sätze I – III, VI – VIII

Flöte (auch Piccolo)Oboe2 Klarinetten in B (1. auch Klarinette in Es, 2. auch Bassklarinette)Fagott (auch Kontrafagott)

Horn in F2 Trompeten in C (ad lib. 2 Kornette)Tuba (auch Posaune)

Schlagzeug I:

Glockenspiel, 5 Buckelgongs (C, Des, E, F, G)Beckenpaar, Becken (tief), Chinesisches BeckenCup-Becken (hoch), China-Oper-Gong, Tamtam (tief)Kleine Trommel (mit Schnarrsaite), Arabische Trommel ad lib.Gran Cassa, Metal Chimes, Peitsche, Vibra-Slap

Schlagzeug II:

Glockenspiel, Xylophon (Xylorimba ad lib.)Vibraphon, hängendes Becken (hoch)Becken (Mittel), Chinesisches BeckenCup-Becken (sehr hoch)Kleine Trommel, Gran Cassa (mit aufgeschnalltem Becken)Riqus (arabische Trommel mit Schellen)

Streicher: 10 – 8 – 6 – 4 – 2 Satz IV, Jeux d’eaux

Improvisation für zwei SchlagzeugerFür jeden Schlagzeuger einen Wasserbottich aus Zink

Jörg Widmann [*1973] Dubairische Tänze für Orchester | Chorische Fassung

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Satz V, Valse bavaroise

ViolineVioloncello

Satz IX, Souvenir bavarois

Piccoloflöte3 Flöten4 OboenEs-Klarinette3 Klarinetten (3. auch Bassklarinette)3 FagotteKontrafagott

4 Hörner4 Trompeten 3 PosaunenTuba

Schlagzeug:

Glockenspiel, hängendes Beckensehr hohes Cup-Beckenkleine Trommel, kleine Trommel mit Schnarrseitengroße Trommel mit Becken, arabische Trommel mit Schellen

Streicher: 14 – 12 – 10 – 8 - 6

Entstehungszeit: 2009/2010

Auftraggeber: Ensemble Modern und Siemens Arts Program für das Projekt

»into Dubai« (Dubairische Tänze) und Cincinnati Symphony Orchestra (Souvenir bavarois)

Uraufführung der Dubairischen Tänze: 27. Mai 2009 im Konzerthaus Berlin durch das

Ensemble Modern unter der Leitung von Franck Ollu

Uraufführung von Souvenir bavarois: 3. Februar 2011 in Cincinnati durch das

Cincinnati Symphony Orchestra unter der Leitung von Paavo Järvi

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Dubai war das Ziel seiner Reise, als Jörg Widmann vom Siemens Arts Pro gram

in die Wüste geschickt wurde. In der Weltstadt, mitten am Persischen Golf, sollte er

sich zu einer neuen Komposition inspirieren lassen. Doch seine Dubairischen Tän ze klingen weniger nach Mittlerem Osten als nach der Heimat: Bayerische

Ländler, Zwiefache und eine ganze Reihe weiterer geistreich verfremdeter Tänze.

Mein einmonatiger Dubai-Aufenthalt mit vielen schönen aber auch zwie-spältigen Eindrücken rief in mir eine intensive Beschäftigung hervor mit der Frage, wo ich – auch musikalisch – eigentlich herkomme. Genauso, wie es einen zuhause naturgemäß in die Ferne zieht, muss man vielleicht in die Fremde gehen, um das Eigene zu entdecken oder zumindest die Frage da -nach zu stellen. Meine Antwort – sei sie nun Konsequenz, Substrat oder Gegenfrage – lautet nun also: Dubairische Tänze.Wenn es ein historisches Vorbild für diese Art, Tanz zu denken, gibt, dann ist es Bernd Alois Zimmermann, der »seiner« Stadt Köln mit den »Rheini-schen Kirmestänzen« ein herrliches Denkmal setzte. Die Primitivität des lauten Karnevalstreibens wird dort bitterböse vorgeführt und doch spürt man in jedem Takt eine tiefe Liebe zu ebendieser Mentalität, der diese Kirmestänze entsprungen sind. Bei mir sind es imaginäre und doch ganz hand feste bayerische Zwiefache, Ländler, Märsche. Es war eine immen-se Freude, diese Tänze in ihrem Schwung und ihren Girlanden ganz urtümlich zu begreifen und dabei ganz anders und neu zu erfinden. Dass sich in einigen dieser Tänze immer deutlicher einige Arabesken hinein-schleichen, ist nicht nur meinen Dubai-Eindrücken geschuldet, sondern auch der Münchener Historie, die schon seit Jahrhunderten die arabische

Jörg Widmann:

»In die Fremde gehen, um das Eigene zu entdecken«zu Dubairische Tänze

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»Mo resca« kennt. Gemeint sind schwarze, eben Morisken-Tänzer, deren oft der be Tänze schon früh als typisch münchnerisch galten und rasch im ei gent lichen Sinne Volksmusik wurden. [März 2009]

Ich wünsche mir, die hier erstmals zur Aufführung gelangende chorische Fassung möge die rhythmische Drastik der schnellen Sätze noch schärfer konturieren, und gleichzeitig der traumverhangenen Intimität der spiel-uhrartigen stillen Sätze eine noch größere Weite geben. [November 2015]

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Mezzosopran

Piccoloflöte2 Flöten 2 OboenEnglischhorn2 KlarinettenBassklarinette2 FagotteKontrafagott

4 Hörner 3 Trompeten 3 Posaunen Tuba

Schlagzeug:Pauke, Ocean Drum, Kleine Trommel, hängendes Becken (groß), Plattenglocken,Kastagnetten, Clappers/Rattles, Bongos, Beanpod Shaker, Maracas, Kuhglocken, Handglocken, Binsasara, Claves, Chinesische Becken, Tibetische Schalen, Crotales, Bongos, 2 Toms (mittel, groß), String Drum, Tamtam, Große Trommel, Große Donnertrommel, Steel Drum, Egg Maracas, Hihat Becken, Waterphone (und Bogen), Gongs, Tamburin, Triangel, Glockenspiel

HarfeKlavier

Streicher: 14 – 12 – 10 – 8 – 6Bläser und Harfe auch Pitch Pipes und Clappers12 Musiker auch Gitarre (Scordatura)

Cathy Milliken Earth Plays für Mezzosopran und Orchester

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Entstehungszeit: 2014–2015

Auftraggeber: Kompositionsauftrag der musica viva des Bayerischen Rundfunks

Das Projekt wird unterstützt von der Australischen Regierung durch das

Australia Council for the Arts.

Uraufführung: 4. Dezember 2015 im Herkulessaal der Münchner Residenz im Rahmen

der musica viva mit Fiona Campbell, Mezzosopran, und dem Symphonieorchester

des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Peter Rundel

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Die Synergien, die aus menschlichen Zusammenkünften entstehen, und die Rituale, Gesetze, Dramen und Lieder, Legenden und Träume, die aus ihnen hervorgehen – all dies inspirierte mich dazu, über Orte nachzuden-ken, in die sich Geräusche, Musik und Worte akustisch eingeprägt haben könnten – »in Stein gemeißelt«, wie es so schön heißt. Welche Informa tio-nen, welche Erkenntnisse mögen diese Steine in sich aufgenommen haben, die jahrhundertelang Zeugen des menschlichen Strebens, seiner Erfolge und Kultur waren? Welche akustischen Erinnerungen mögen sich ihnen schallplattengleich eingeprägt haben und welche Zeichen oder Bot schaf-ten können wir in ihnen entdecken, in sie hinein- oder aus ihnen heraus-lesen? Die Komposition Earth Plays für Orchester und Mezzosopran ver-sucht, die akustischen Echos von vier Begegnungsorten und -arten zu er -wecken: die Versammlungen im Thing im isländischen Thingvellir; die alt griechischen Theaterstücke in Epidauros; die wunderbaren Steinbilder bei Tono im Norden Japans; und die Eröffnung der Radio City Hall in New York. Mithilfe verschiedener Texte, die auf Quellen wie dem isländischen Grägas-Gesetzbuch basieren, auf Antigone, auf dem Bericht eines Überle-benden des letzten großen Erdbebens in Japan sowie Fragmenten rund um die Radio City Hall in New York, schlüpft die Sängerin in die Rolle einer »Zeugin aller Zeiten«.

Earth Plays 1

Thingvellir und das Thing-Parlament

Der erste Satz von Earth Plays ist im isländischen Thingvellir angesiedelt, um etwa 1000 n. Chr., als das erste Parlament in der Geschichte Europas zusammenkam. Stellen Sie sich den Klang der Pferde und Karren vor, die jeden Sommer teils wochenlang über Land zogen und die Häuptlinge und ihre Familien nach Thingvellir brachten, wo sie schließlich die letzte Schlucht hinabkletterten und hinter den Wasserfällen des Öxará ihre zu -gewiesenen Rastplätze erreichten. Mit dem Aufschlagen des Lagers began-nen die Handelsgespräche, die Ehestiftungen und die wichtigste aller Ver-

Cathy Milliken:

Akustische Echos von vier BegegnungsstättenZu Earth Plays

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sammlungen – zur Ausrufung der Gesetze, zur Klärung von Rechts streitig-keiten, zur Interpretation der Gesetzesschriften und zur Regelung grund-legender Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Thingvellir ist auch geografisch ein interessanter Ort, denn hier treffen zwei tektonische Plat ten aufeinander – dichte Erdfalten haben sich in die Felswände gegra-ben, und in der Tiefe schlummern stumme Gewalten. Mich hat insbeson-dere die Ausrufung der Gesetze inspiriert: Der Gesetzessprecher sprach die Gesetze laut vor – die Akustik vor den Felswänden war hervorragend –, und anschließend wurden sie von Rufern an das wartende Volk weiterge-geben. Die Rufer rezitierten die Gesetze aus dem Gedächtnis, es müssen ein drucksvolle Vorträge gewesen sein. Besonders gut gefällt mir dieses Ge -setz: Eine Frau durfte so viel Land besitzen, wie sie an einem Tag umschrei-ten konnte. Leider aber durfte ein Mann so viel Land besitzen, wie er an ei nem Tag umlaufen konnte.

Earth Plays 2

Das Amphitheater von Epidauros

Dieser Satz beschwört einen schläfrigen, diesigen Sommernachmittag im griechischen Epidauros herauf. Gemeinsam mit Freunden lasse ich den Blick über das leere Amphitheater schweifen und stelle mir das Treiben im Jahr 3000 v. Chr. vor. Die alten steinernen Sitzreihen, die das Geheimnis der erstaunlichen Akustik des Theaters bilden, atmen stille Schönheit. Sie müssen Zeugen zahlloser Heilungsrituale und Theatervorstellungen gewe-sen sein. Die Stille ist erhebend, nur ein einsamer Vogel gleitet über uns dahin. Wir probieren die Akustik aus, scharren leise mit den Füßen im Sand, flüstern, wispern Worte. »Hörst du das? Und das?«, fragen wir leise und ernten erstaunte Zustimmung von den Rängen. Hinter der Bühne öff-net sich der Blick auf Bäume und weites Land. Ich erhebe mich von den Steinen, greife die Erinnerungen, Worte formen sich in meinem Geist.

Earth Plays 3

Gohyaku Rakan (bei Tono)

Der Klang von Wasser, von plätschernden Bächen und rauschenden Was-ser fällen, die die Berge herabstürzen, begrüßt den Reisenden, der sich dem Wald von der Straße her nähert. Ein Pfad führt in den Wald hinein, gefal-lenes Laub dämpft die Schritte. Die samtene Stille des Waldes umhüllt

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Felsen und Geröll, das den Hügel hinunter zu purzeln scheint. Nach und nach lösen sich im Spiel von Licht und Schatten wie von Zauberhand For-men und Gestalten aus den moosbedeckten Felsen. Es sind Steinbilder, ein Kreis von 500 Rakan, zum Gedenken an eine örtliche Hungersnot vor mehr als 400 Jahren. Die Statuen sind faszinierend schön, eine perfekte Illusion der Verkörperung von Gestein. Wer waren diese Menschen, die hier in Fels verewigt wurden? Wie konnte ein einzelner Mensch so unbe-irrt, so hingebungsvoll und wundersam das Leben feiern? Von meiner Lieblingsstatue heißt es: Fühlt sie sich wärmer an als die Figuren um sie herum, nimmt sie vielleicht die Gestalt des Betrachters an.

Earth Plays 4

Die Radio City Music Hall in New York

Dieses Gebäude fasziniert mich, seit ich es zum ersten Mal betrat. Jede Nacht konnte ich das Leuchtschild vom Fenster meines Hotelzimmers aus sehen, und der Name schien mich zu rufen. Er stammt aus einer Zeit, als Kunst und Kultur für alle Menschen da waren. Die Idee dieser Institution war: Die Ticketpreise sollten günstig und das Programm künstlerisch anspruchsvoll sein. Entsprechend wurde zur Eröffnung Frank Capras Film Das Verhängnis des General Yen gezeigt. Der riesige, zauberhafte Art-déco-Saal ist berühmt für seine gewaltige Orgel, die den Raum mit rauschenden, bunten Harmonien erfüllt. Welche Füße standen auf diesen Brettern, wel-che illustren Namen durften die Künstlergarderoben zieren, welche Worte voll Leidenschaft, Liebe, Vertrauen und Verrat hallten in diesen Mauern wider. [2015]

[Übersetzung: Geertje Lenkeit]

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Es ist die Hoffnung auf solche magischen Momente, die neugierige Men-schen immer wieder aufs Neue in die Ferne zieht. Denn wer Glück hat, fin-det sich an einem heißen Sommernachmittag fast allein im antiken Thea-ter von Epidauros wieder – und spürt die Kraft dieses Ortes, meint gerade-zu spüren zu können, dass die Steine all jene Worte gespeichert haben, die seit Jahrhunderten hier gesprochen wurden. Es sind Erlebnisse wie diese, die Cathy Milliken in ihrem Werk Earth Plays verarbeitet. Vier verschiedene Stationen hat sie ausgewählt, die alle in der nördlichen Hemisphäre zu finden sind. Der Bogen spannt sich von Island über Griechenland und Japan bis nach New York. »Ich habe über die Sy -nergien, die Energiefelder nachgedacht, die von all den Menschen hinter-lassen wurden, die sich an diesen Orten versammelt haben«, erklärt die in Austra lien geborene Komponistin beim Gespräch in ihrer Wahlheimat Berlin. »Ihre Rituale und Gesetzesverkündigungen, Dramen und Lieder, Legenden und Träume brachten mich zu der Frage, ob Klänge, Wörter und Musik hier Spuren hinterlassen haben. ›In Stein gemeißelt‹, wie man sagt. Dabei war die Auswahl der Orte weniger das Resultat einer bewussten Wahl – vielmehr haben die Orte mich ausgesucht.«Zunächst ist da Thingvellir inmitten der isländischen Vulkanlandschaft, wo sich im Jahr 1000 nach Christus die früheste europäische Form eines Parlaments bildete. Hier kamen die Clanchefs zusammen, es wurde gehan-delt, Recht gesprochen – vor allem aber wurden die Gesetze verlesen, von mehreren Ausrufern, in einem Ritus von durchaus theatralem Charakter. Ein paar Verszeilen des Dichters Jonas Hallgrimsson hat Cathy Milliken für diesen ersten Abschnitt von Earth Plays verwandt, dazu den Wortlaut eines Grágá-Gesetzes. Denn nicht allein mit instrumentalen Tönen, son-dern auch mit Worten – das stand für sie von Anfang an fest – soll jedes der vier Stücke die jeweils charakteristische Atmosphäre der Orte evozieren. Die Mezzosopranistin fungiert dabei als eine Art Zeitzeugin. »Die Kom-position stützt sich ebenso auf meine Recherchen wie auf meine sinnli-

Frederik Hanssen:

Hommage an Erdenortezu Earth Plays

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chen Eindrücke der Orte. Mein Ziel war es, die Worte so in die Musik ein-zubinden, dass die textlichen Bruchstücke eine musikalische Logik er- halten.« Zugleich wird man aber auch im Orchester eine geografische Be -son derheit von Thingvellir hören können, nämlich, wie in der Allmän - ner-Schlucht die europäische und die amerikanische Erdplatte aneinander reiben. Epidauros und die isländische Versammlungsstätte standen schnell fest, als Cathy Milliken mit ihrer Recherche begann, die beiden weiteren Stationen ergaben sich dann während der gedanklichen Vorarbeitsphase für Earth Plays. »Ich mag diesen Prozess des Forschens und Entdeckens«, sagt die Komponistin. »Je mehr ich las, desto größer wurde meine Faszi na-tion für die Orte.« Nach dem Erdbeben 2011 kam die Komponistin für ein interdisziplinäres Musikprojekt nach Japan und lernte in der Nähe der Stadt Tono einen weiteren besonderen Ort kennen. Keine der prachtvollen Tempelstätten Japans wählte sie aus, sondern einen Platz der Stille, gelegen in einem Waldgebiet: Dort hat ein Mönch 500 ›gohyaku rakan‹ [Buddha Schüler] in Stein geschnitten, im Gedanken an die Toten einer Hungersnot. Die Worte zu Gohyaku Rakan wiederum stammen von Akiko Kawasaki, ei -ne Frau, die Cathy Milliken während ihres Aufenthaltes kennenlernte und deren Art, den Menschen nach der Katastrophe neuen Mut zu geben, sie stark beeindruckte.Für das Finale schließlich geht es nach New York, zur Radio City Music Hall. Mitten in der Weltwirtschaftskrise von 1929 wurde der Kulturpalast für die einfachen Leute geplant, Millionen haben in dem 6000-Plätze-Saal seitdem Filme, Shows oder Konzerte erlebt. Orgelähnlich startet der Satz, inspiriert von dem gigantischen Wurlitzer-Instrument der Radio City Music Hall. Dann entspinnt sich eine Art Mini-Oper. Dafür hat Cathy Milliken aus acht Kinoklassikern eine Textcollage zusammengestellt, zu einem Dialog zwischen einer emotionalen, sprunghaften Person mit ihrem vernünftigen, eher vom Kopf gesteuerten Gegenüber. »Komponieren bedeutet für mich: sich eine Frage stellen«, sagt Cathy Milliken. »Deshalb gehört die Recherchephase dazu – um die Frage in Frage zu stellen!« Wenn der reflexive Prozess dann abgeschlossen ist, er -stellt sie einen detaillierten Bauplan des Werkes: »Weil mich die Ar chi-tektur eines Stücks eben auch sehr interessiert. Wie lange braucht eine be -stimmte Form, um sich über die Zeit entfalten zu können? Wie formen

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sich die vier Sätze, die jeweils auch alleine stehen könnten, zu einem Gan-zen, wie die Bilder in einer Ausstellung?«Die kompositorischen Regeln, die Cathy Milliken für sich aufstellt, betrachtet sie stets als Potenziale – denen ja die Fähigkeit zur eigenen Ent-wicklung eingeschrieben ist. Darum bleibt sie während der Arbeit mit Bleistift und Notenpapier durchaus bereit zur Kurskorrektur, sollte sich heraus stellen, dass sich das Stück in eine andere Richtung entwickelt als ursprünglich geplant. »Musik ist für mich haptisch, man erfährt sie sozusagen auf der Haut«, sagt Cathy Milliken. Komponieren bedeutet für sie darum, »Energie in Klang-feldern auszurücken.« Im zweiten Satz Epidauros gibt es so einen Moment, wenn sämtliche Instrumente tremolieren: »Da ist es mir wichtig, dass die Musik vibriert, dass die Zuhörer das Gefühl haben: Alles platzt!« [2015]

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Earth Plays I

Thingvellir

AlthingAlthingupon the outcrop of lava where the Axeriver plummets forever …

[Adapted from Iceland by Jonas Hallgrimsson (1807 –1845)]

People are not to do things with stonesor fill them with magic powerAlthing

[Adapted from Laws of Early icelandic Grágás, ca 1110]

Textezu Earth Plays

›Lög

ber‹

[Th

ingp

latz

] in

Th

ingv

elli

r [Is

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Earth Plays II

Epidauros

But I say it is_____What you love.Easy to make this understood by all............... and you anointed yourself with royal .....and on soft couches ....... (your) tender.......fulfilled your longing ..........sweet sounding flute and cithara were mingledand sound of castanets, sweetly the maidens sanga holy song, and a marvelous echo reached thesky ...I do not aspire to the sky, to the sky,I do not aspire, do not aspire, to the sky, to the skyDark, Oh! Dream on your dark wingsHow to be set free, set free.[Adapted from Sappho Fragments]

What comes after, now and before, the law.Nothing great that lies beyond the reach of ruin.

[Adapted from Antigonae by Sophocles. ca. 442 BC]

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Earth Plays III

Gohyaku Rakan

1 Kazoku Songka zo ku [English: family] I know to live a-lonenot I know this notto live a-loneI know this ka zo ku

2 Mirai SongMirai [English: future]FutureEveryone is the future

3. Umi mo, yama mo, kawa mo,yawa moUmi mo, yama mo, kawa mo,yawa mo [English: sea, mountain, river]mountains and sea and riverswe love them dearly

4. A chance of LifeIkiru. Anohi, inochi wo moraimashita. [English: To live. That day. I go to live again.] A Chance of Life

[Adapted from Texts by Akiko Kawasaki. 2014]

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Earth Plays IV

Radio City Hall

Voice 1:– Life at it's best is hardly endurable[Quotation from Bitter tea of General Yen. Sceenplay by Edward Paramore, 1930. After the novel of the same name by Grace Zaring Stone]– the only thing that does any good»is to get into a taxi and go to Tiffany’s«[Quotation from Breakfast at Tiffany's by Truman Capote, 1958]Voice 2:– Words. Words. Nothing but words, Nothing but words. Words.– Open. Open your heart. Open a new window, whistle a new song, a new song.– Find the fun and snap life's a game, a game.– Open your heart, your heart. Open your heart, open your heart. Open, trust your heart.Voice 1– You must not give your heart to a wild thing. Wild thing.Voice 2:– You’re afraid to stick out your chin and say, »Life's a fact.«[Quotation from Breakfast at Tiffany'’s by Truman Capote, 1958]Voice 1:–»how long do I have to keep that promise not to fight?«[Quotation from To Kill a Mockingbird. Final Screenplay of Horton Foote, 1962. After the novel of the same name by Harper Lee]not to fight, not? Forever? Do we ever change? Forever? Ever ever ever? Die Textfragmente ohne Quellenangabe sind frei adaptiert oder assoziiert.

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Piccoloflöte2 Flöten2 OboenEnglischhorn2 Klarinetten Fagott (ad libitum)

Schlagzeug:

MaracasHand Clapping MarimbaVibraphoneCrotalesGestimmte Tamburine

2 elektrische Orgeln oder Synthesizer

4 Frauenstimmen:2 Lyrische Soprane1 Alt1 hoher Sopran

Streicher: 6 – 6 - 4 – 4 - 1

Entstehungszeit: 1981

Auftraggeber: Süddeutscher Rundfunk Stuttgart (SDR), Westdeutscher Rundfunk Köln

(WDR) und The Rothko Chapel, Houston (Texas, USA)

Uraufführung der Fassung für Ensemble: 20. September 1981 im Großen Sendesaal

des WDR Köln mit Steve Reich und Musikern unter der Leitung von George Manahan

Uraufführung der Fassung für Orchester: 16. September 1982 in der Avery Fisher Hall

New York durch die New Yorker Philharmoniker unter der Leitung von Zubin Mehta

Steve Reich [*1936] Tehillim Frauenstimmen und Orchester

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Tehillim (gesprochen: Te-hill-líhm) ist die alte hebräische Bezeichnung für die Psalmen. Wörtlich heißt es: Lobgesänge, und die Wurzel des Wortes be -steht aus den drei Buchstaben he, lamed, lamed (h–l–l), die auch die Wurzel des Wortes »Halleluja« darstellen. Tehillim ist eine Vertonung der Psalm-verse 19, 2–5 (nach christlicher Zählung 19, 1–4), 34, 13–15 (34, 12–14), 18, 26–27 (18, 25–26) und 150, 4–6.Die Ensemblefassung hat folgende Besetzung: vier Frauenstimmen (einen hohen Sopran, zwei lyrische Soprane und einen Alt), Piccolo, Flöte, Oboe, Englischhorn, zwei Klarinetten, sechsfaches Schlagzeug (kleine, gestimmte Tamburine ohne Schellen, Händeklatschen, Maracas, Marimba, Vibraphon und Crotales), zwei elektrische Orgeln, zwei Violinen, Viola, Violoncello und Kontrabass. Bei der Aufführung werden die Singstimmen, die Holz-bläser und die Streicher verstärkt. Bei der Orchesterfassung mit ihrer vol-len Streicher- und Holzbläsergruppe werden nur die Singstimmen ver-stärkt. Der erste Text beginnt als Solo, das nur von Trommelschlägen und Hände-klatschen begleitet wird. Bei seiner Wiederholung verdoppelt die Kla ri-nette die Singstimme, während eine zweite Trommel und ein zweites Hän-de klatschen einen Kanon zur vorigen Begleitung bilden. Dann erscheint die Melodie im zweistimmigen Kanon, und zuletzt setzen die Streicher mit ihren ausgehaltenen Harmonien ein. Zu den Harmonien der beiden elekt-rischen Orgeln und der Streicher singen jetzt die vier Sängerinnen auf die vier Verse des ersten Textes vier vierstimmige Kanons. Sie werden dabei von einer einzigen Maraca unterstützt. Nachdem dieser Ablauf abgeschlos-sen ist, wiederholt die Solostimme zur Begleitung sämtlicher Trommeln und dem vollen Streichersatz die Ausgangsmelodie. Unmittelbar nach einer kurzen Überleitung der Trommel beginnt der zweite Text. Die drei Verse des Textes werden homophon in zwei- oder dreistimmigen Harmo-nien realisiert. Bisweilen werden die Singstimmen durch das Englischhorn und die Klarinette oder durch Trommeln und Händeklatschen vertreten. Bald werden die Linien länger und melismatischer. So entsteht der Ein-

Steve Reich:

Musikalische Intuition – wohin sie auch immer führtzu Tehillim

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druck einer melodischen Augmentation und zunehmenden Ornamen tie-rung. Nach einer Pause beginnt der dritte Text in einem langsameren Tem-po. Als Schlaginstrumente werden jetzt Marimba und Vibraphon einge-setzt. Der Text wird zunächst von zwei Singstimmen im Duett und dann von allen vier Sängerinnen vorgetragen. Dieser dritte Text ist nicht nur der erste langsame Satz, den ich seit meiner Studienzeit komponiert habe. Er ist auch das chromatischste Stück, das ich je geschrieben habe (mit Aus-nahme vielleicht der Variations). Der vierte und letzte Text nimmt das ur -sprüngliche Tempo und die früheren Tonartenbezeichnungen wieder auf. Hier werden die Techniken miteinander kombiniert, die in den vorherigen drei Sätzen verwandt wurden. Im Endeffekt handelt es sich um eine Re -prise des gesamten Stückes, das dann in der Coda alle instrumentalen Mittel versammelt, um die Musik mit dem einzigen Wort »Halleluja« zu ei -nem harmonischen Abschluss zu bringen. Nach den beträchtlichen Mehr-deutigkeiten der bisherigen Harmonik erweist sich in diesem letzten Satz D-Dur als tonales Zentrum des Werkes. Die schellenlosen Tamburine ähneln möglicherweise den kleinen Trom-meln, die im hebräischen Psalm 150 und an verschiedenen anderen Stellen der Bibel als tof bezeichnet werden. Auch Händeklatschen und Rasseln sowie kleine, gestimmte Zimbeln waren zur Zeit der Bibel im mittleren Osten allgemein verbreitet. Darüber hinaus finden sich in Tehillim keiner-lei musikologische Inhalte. Es wurden für das melodische Material keiner-lei jüdische Themen verwandt. Die Entscheidung, anstelle der Tora oder der Propheten die Psalmen zu vertonen, hatte unter anderem damit zu tun, dass den westlichen Juden die mündliche Tradition des Psalmengesangs verlorenging (die jemenitischen Juden haben sie bewahrt). Im Gegensatz zu den Kantillationen der Tora und der Propheten, die in den Synagogen der Welt seit zweieinhalb Jahrtausenden in mündlicher Überlieferung fortle-ben, ist also der mündlich tradierte Psalmengesang in den Synagogen des Westens verlorengegangen. Ich konnte also die Melodien für Tehillim ganz frei komponieren, ohne dabei eine lebendige mündliche Überlieferung imitieren oder ignorieren zu müssen. Anders als die meisten meiner früheren Werke besteht Tehillim nicht aus kurzen repetitiven Mustern. Zwar können vollständige Melodien als The-ma von Kanons oder Variationen wiederholt werden; tatsächlich aber ste -hen sie den Elementen näher, die man in der westlichen Musikgeschichte

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findet. Es ist gut möglich, dass einige Hörer bei den vierstimmigen Kanons des ersten und letzten Satzes an meine frühen Tonbandstücke It’s Gonna

Rain und Come Out erinnert werden, die aus kurzen, wieder und wieder in engen Kanons repetierten Worten bestehen. Auf die meisten Hörer dürfte Tehillim jedoch ganz anders wirken als meine früheren Werke. Es gibt in Tehillim keine fixierten Metren oder metrische Muster, wie das in meiner früheren Musik der Fall war. Es ist das erste Mal seit meiner Studienzeit, dass ich einen Text vertont habe, und das Resultat ist ein Stück, das sich im eigentlichen Sinne des Wortes auf die Melodik gründet. Die Verwendung ausgedehnter Melodien, imitativer Kontrapunktik, funktionaler Harmo-nik und vollem Orchester könnte durchaus auf das wiedererwachte Inter-esse an der klassischen, oder genauer: der barocken und vorbarocken Mu -sik praxis des Westens hindeuten. Auch das Nonvibrato und die keineswegs opernhafte Gesangstechnik werden den Hörer gleichermaßen an die west-liche Musik aus der Zeit vor 1750 erinnern. Als etwas Einzigartiges erschei-nen die Tehillim indes durch ihr generelles Klangbild und vor allem durch den raffiniert verschränkten Schlagzeugsatz, der zusammen mit dem Text das Fundament des gesamten Werkes bildet: Damit wird ein musikalisches Grundelement eingeführt, das die westliche Musikpraxis bis in dieses Jahr hundert hinein nicht kannte. Man könnte Tehillim also zugleich als etwas Traditionelles und etwas Neues hören. Einige der Hörer, die mit meiner früheren Musik vertraut sind, könnten sich ferner fragen, warum in Tehillim die kurzen, repetitiven Muster fehlen. Der wichtigste Grund, weshalb in Tehillim auf Wiederholungen verzichtet wurde, war die Notwendigkeit, den Text seinem Rhythmus und seiner Be -deutung gemäß umzusetzen. Die hier vertonten Psalmtexte bestimmen nicht nur den Rhythmus der Musik (der in dem Stück grundsätzlich aus der Kombination von zwei und drei Schlägen besteht, aus denen sich stän-dig wechselnde Metren ergeben), sondern sie verlangen auch eine gehörige Vertonung des Inhalts. Deswegen habe ich versucht, so eng wie möglich dem hebräischen Text zu folgen, wie einige Beispiele für »Wortmalerei« unter streichen sollen. Im zweiten Text, »Sur may-rah va-ah-say-tov« (»Lass vom Bösen und tue Gutes«), sind die Worte »Sur may-rah« (»Lass vom Bö -sen«) als absteigende Melodielinie geschrieben, während »va-ah-say-tov« (»und tue Gutes«) eine stark aufsteigende Linie bringt, die bei dem Wort »tov« (»gut«) in einem kristallklaren As-Dur-Dreiklang endet, dessen Terz

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als hohes C vom hohen Sopran intoniert wird. Der Vers »Va-im-ee-kaysh, tit-pah-tal« (»bei den Verkehrten bist du verkehrt«) aus dem dritten Text steht in cis-Moll, wobei ein kräftiges G (verminderte Quinte, Tritonus oder diabolus in musica) zu dem Wort »ee-kaysh« (»verkehrt«) erklingt. Ein wei teres Beispiel findet sich im ersten Satz, wo die Worte »Ain-oh-mer va-ain deh-va-rim, Beh-li-nish-ma ko-lahm« (»Es ist weder Sprache noch Rede, da man nicht ihre Stimme höre«) ausschließlich mit den vier Tönen G, A, D und E vertont wurden. Das eigentliche Vorzeichen ist hier ein b, und es scheint sich bei der Tonart um d-Moll zu handeln; gleichwohl können die vier Töne (vor allem, wenn sie in den vierstimmigen Kanons immer und immer wiederkehren) je nach ihrer Rhythmik und den har-monischen Akkorden als d-Moll, C-Dur, G-Dur oder D-Dur gedeutet werden. Zu mindest im ersten Satz werden sie als Elemente von d-Moll und dann G-Dur aufgefasst, doch ihre grundlegende Mehrdeutigkeit weist darauf hin, dass wir in einer Stimme ohne Sprache und Rede nicht nur einfach Musik hören, sondern eine denkbar freie Musik, die mit vielen harmonischen Deutungen zusammenklingt. Diese viertönige Skala, die am Ende des Stückes bei dem Wort »Halleluja« wiederkehrt, wurde durch den Text an ge regt und ist eines der Grundelemente der harmonischen Wechsel. Um auf die Frage nach der musikalischen Technik der Repetition zurückzukommen: Ich habe mich hier auf die Wiederholung vollständiger Psalm-verse beschränkt, weil meine musikalische Intuition mir sagte, dass der Text diese Art der Vertonung verlangte. Ich benutze die Technik der Repetition, wenn mich meine musikalische Intuition zu ihr führt; doch folge ich dieser musikalischen Intuition, wohin sie mich auch immer führt.

[Übersetzung: Eva Reisinger]

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Psalm 19:2–5

Ha-sha-my-im meh-sa-peh-rím ka-vóhd Káil, U-mah-ah-sáy ya-díve mah-gíd ha-ra-kí-ah.Yóm-le-yóm ya-bée-ah óh-mer,Va-ly-la le-ly-la ya-chah-véy dá-aht. Ain-óh-mer va-áin deh-va –rím,Beh-lí nish-máh ko-láhm.Beh-kawl-ha-áh-retz ya-tzáh ka-váhm.U-vik-tzáy tay-váil me-lay-hém.

Psalm 34:13–15

Mi-ha-ísh hey-chah-fáytz chah-yím.Oh-háyv yah-mím li-róte tov?Neh-tzor le-shon-cháh may-ráh,Uus-fah-táy-chah mi-dah-báyr mir-máh.Súr may-ráh va-ah-say-tóv,Ba-káysh sha-lóm va-rad-fáy-hu.

Psalm 18:26–27

lm-chah-síd, tit-chah-sáhd.lm-ga-vár ta-mím, ti-ta-máhm.lm-na-vár, tit-bah-rár,Va-im-ee-káysh, tit-pah- tál.

Psalm 150: 4–6

Hal-le-lú-hu ba-tóf u-ma-chól,Hal-le-lú-hu ba-mi-ním va-u-gáv. Hal-le-lú-hu ba-tzil-tz-láy sha-má, Hal-le-lú-hu ba-tzil-tz-láy ta-ru-áh. Kol han-sha-má ta-ha-láil Yah,Ha-le-lu-yáh.

Textezu Tehillim

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Psalm 19:2–5

Die Himmel erzählen die Ehre Gottes,die Tat seiner Hände meldet das Gewölb:Sprache sprudelt Tag dem Tag zu, Kunde zeigt Nacht der Nacht an, kein Sprechen ist's, keine Rede, unhörbar bleibt ihre Stimme,-über alles Erdreich fährt ihr Schwall,an das Ende der Welt ihr Geraun.

Psalm 34:13–15

Wer ist der Mensch, der Lust hat am Leben, Tage liebt, Gutes zu sehn?Wahre deine Zunge vorm Bösen,deine Lippen vorm Trugreden, weiche vom Bösen, tu Gutes,trachte nach Frieden, jage ihm nach!

Psalm 18:26–27

Mit dem Holden bist du hold,mit dem schlichten Mann bist du schlicht, mit dem Geläuterten bist du lauter,aber mit dem Krummen bist du gewunden.

Psalm 150: 4–6

Preiset ihn mit Pauke und Reigen,preiset ihn mit Saitenklang und Schalmei,preiset ihn mit Zimbelnschall, preiset ihn mit Zimbelngeschmetter! Aller Atem preise oh Ihn!Preiset oh Ihn!

Aus Das Buch der Preisungen. Die Psalmen Übersetzung von Martin Buber

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Biographien

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Jörg Widmann

Der gebürtige Münchner Jörg Widmann (*1973) ist eine Doppel begabung – ein exzellenter Klarinettist und erfolgreicher Komponist. Er studierte Klarinette an der Musikhochschule seiner Heimatstadt bei Gerd Starke und später bei Charles Neidich an der New Yorker Juilliard School. Als Klarinettist gilt Widmanns Passion vor allem der Kammer musik. Er musi-ziert regelmäßig mit Partnern wie Tabea Zimmermann, Heinz Holli ger, András Schiff und Gidon Kremer. Auch als Solist in Orchester kon zerten (z.B. mit dem Gewandhausorchester Leipzig, DSO Berlin, Symphonie-orchester des Bayerischen Rundfunks) feiert er im In- und Aus land Erfolge und arbeitet mit Dirigenten wie Sylvain Cambreling, Christoph Eschen-bach und Kent Nagano zusammen. Mehrere neue Klari nettenkonzerte sind ihm gewidmet worden, darunter Werke von Wolf gang Rihm, Aribert Reimann und Heinz Holliger. Jörg Widmann war »Composer und Artist in residence« bei verschiedenen Festivals und In stitutionen wie den Salzburger Festspielen, dem Lucerne Festival, der Köl ner Philharmonie, dem Wiener Konzerthaus und 2010/11 beim Cleve land Orchestra. Bereits im Alter von 11 Jahren nahm Jörg Widmann Kompo sitions unter-richt und studierte u. a. bei Kay Westermann, Wilfried Hiller und Wolf-gang Rihm. Sein Schaffen wurde vielfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem renommierten, nur alle zwei Jahre verliehenen Stoeger Prize der New Yorker Chamber Music Society of Lincoln Center (2009). Von 2001 bis 2015 war Jörg Widmann Professor für Klarinette an der Frei-burger Hochschule für Musik und erhielt 2009 dort eine zu sätzliche Pro-fessur für Komposition. Für sein Schaffen wurden ihm zahlreiche nationa-le und internationale Auszeichnungen und Preise verliehen. Ende Oktober diesen Jahres brachte Antoine Tamestit mit dem Or chestre de Paris unter Paavo Järvi Widmanns neues Bratschenkonzert in der neuen Philharmonie in Paris zur Uraufführung, unter Daniel Harding wird das Werk mit dem Swedish Radio Symphony Orchestra und dem Sym phonieorchester des Bayerischen Rundfunks seine jeweiligen Erstaufführungen erfahren.

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Cathy Milliken

Cathy Milliken ist Oboistin und Komponistin. Zunächst studierte sie Oboe und Klavier in ihrem Heimatland Australien. Nach ihrem Aufbau-studium bei Heinz Holliger in Freiburg wurde sie Gründungsmitglied des Ensemble Modern. Mit diesem Ensemble konzertierte sie weltweit und arbeitete mit Komponisten wie György Ligeti, Heiner Goebbels, Peter Eötvös, Elena Kats Chernin, Benedict Mason, Helmut Lachenmann, Frank Zappa und Karlheinz Stockhausen zusammen, dessen Solo-Werk Spiral sie auf CD eingespielt hat. Als Komponistin schrieb sie seit 1990 für ver-schiedene Besetzungen, so entstanden Musiktheater-, Instrumental- und Kammermusikwerke, Hörspiele, Installationen, Theater- und Filmmusik. Auftragswerke komponierte sie u.a. für die Staatsoper Berlin, das ZKM Karls ruhe, die Wittener Tage für neue Kammermusik, das Ensemble Re -sonanz und die Neuen Vocalsolisten. Ihr Hörspiel New Looks wurde mit dem Prix Marulic ausgezeichnet, Für Bunyah bekam sie 2015 zusammen mit Dietmar Wiesner den Prix Italia.Als Performerin arbeitet sie u.a. mit der Schauspielerin Angie Milliken und dem Künstler Chris Wainwright zusammen und wirkt bei Solo-Performances für Stimme, Oboe und Elektronik mit. In Heiner Goebbels neuester Inszenierung De Materie bei der Ruhrtriennale 2014 und in New York 2016 trat sie zudem als Sprecherin auf.Von 2005 bis 2011 leitete Cathy Milliken das Education-Programm der Berliner Philharmoniker, dessen Gesamtkonzept sie entwickelte. Zahl reiche »creative projects« wurden im Rahmen dieses Programms unter ihrer künstlerischen Leitung in Berlin und auf internationalen Gastspielen realisiert. Ihre Kompositionserfahrungen bringt sie in ko -ope ra tive Kontexte ein, so konzipierte und leitete sie partizipatorisch gestaltete Kunstprojekte für Future Labo Tohoku (Japan), für das Umculo Festival (Südafrika), in Australien für Sydney's Artology und das Mel-bourne Symphonie Orchester. Zur Zeit entwickelt sie eine ebenfalls auf Partizipation basierende Volksoper im Team der Münchener Biennale. Cathy Milliken lebt in Berlin und promoviert an der Griffith Univerity Brisbane in Australien.

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Steve Reich

Steve Reich, geboren 1936 in New York, gilt als einer der Väter der Mini mal Music und gehört zu den berühmtesten Komponisten Amerikas. Er lernte zunächst Schlagzeug und studierte Philosophie an der Cornell University in Ithaka, New York, dann Komposition an der New Yorker Juilliard University und am Mills College in Oakland, Kalifornien, bei Darius Milhaud und Luciano Berio. Hineingewachsen in eine Zeit, in der Seria-lismus und Aleatorik die tonangebenden Musikstile bildeten, er kannte Reich sehr bald, dass ihm diese Techniken nicht die ihm gemäßen Aus-drucksmöglichkeiten boten. Die von ihm entwickelten Kompositions-verfahren integrieren regelmäßigen Puls, Repetition und sind geprägt von einer Vorliebe für Kanons. Sie kombinieren strenge Strukturen mit vor-wärtsdrängenden Rhythmen und verführerischen Instrumental far ben. Wich tige Inspiration bietet Steve Reich außerdem außereuropäische Mu -sik: Einflüsse des Jazz, klangliche Anregungen durch afrikanische Trom-meln, das balinesische Gamelan und jüdischer Gesang finden sich in sei-ner Musik wieder. Über die Beschäftigung mit identischen Sprach auf-nahmen auf mehreren Tonbandgeräten kam er zur Technik der Pha sen-verschiebung, die er bald auf instrumentale Besetzungen ausweitete – erst-mals dargeboten in seinem Stück It’s gonna rain (1965). Zudem ist seine Musik eine Auseinandersetzung mit weltpolitischen Fragen: So themati-siert seine Multimedia-Oper The Cave (1993) den Konflikt zwischen Juden und Moslems, Three Tales (2002) widmet sich den Problemfeldern um Atom tests und das Klonen von Tieren und Daniel Variations (2006) greift Fragestellungen des religiösen Fundamentalismus auf. Aus der Ausein an-dersetzung mit der jüdischen Tradition seiner Familie heraus entstanden Werke wie Tehillim oder seine Oper The Cave (1993). Steve Reich wurde für sein Schaffen mit zahlreichen Preisen und Auszeichnungen geehrt, darun-ter jeweils mit dem Grammy Award für Different Trains für Streich quartett und Tonband (1988) und Music für 18 Musicians (1974–1976). 2009 erhielt er den Pulitzer-Preis für seine Komposition Double Sextet.

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Fiona Campbell

Die in Perth (Australien) geborene Mezzosopranistin studierte am Kon-servatorium der University of Western Australia bei Megan Sutton, Josephi ne Veasey und Jeffrey Talbot. 2011 gewann sie den australischen Limelight Award für die beste Soloaufführung. Heute arbeitet sie nicht nur mit allen großen Orchestern und Ensembles Australiens zusammen, wie mit dem Australian Chamber Orchestra und dem Sydney Sympho nic Orchestra, sie wird ebenso von Klang körpern wie dem Tokyo Philhar-monic Orchestra oder der Man chester Camerata angefragt. In mehreren Konzerten, unter anderem in Japan und Korea, trat sie an der Seite von José Carreras auf; in Tokio und London war sie an der Seite von Barbara Bonney zu hören. In ihrem Repertoire ist die Alte Musik ein wichtiger Schwerpunkt. Im Bereich der Neuen Musik interpretierte sie 2011 Schön-bergs Pierrot Lunaire mit The Australia Ensemble. Ihre Diskographie um fasst Solo alben, barocke Vokal musik wie auch Opern auf nahmen.

Synergy Vocals

Das Vokalensemble entstand aus einem Sängerinnen-Quar tett, das 1996 anlässlich des 60. Ge burts tags von Steve Reich dessen Werk Tehillim aufge-führt hat. Heute bestehen die Synergy Vocals aus einem festen Zusam-menschluss von Sän ger*innen, die ein breites Repertoire mit einer großen Stilvielfalt darbieten. Das En semble hat sich auf elektronisch verstärkten Gesang spezialisiert und wird häufig mit der Musik von Steve Reich, Louis Andriessen, Steven Mackey und dem späten Luciano Berio in Verbindung gebracht. Es arbeitet weltweit mit namhaften Or che stern und Ensembles wie dem Ensemble Modern, der London Sin fo nietta und dem Ensemble Intercontemporain zusammen. Die Synergy Vocals haben viele Wer ke der Neuen Musik uraufgeführt, u.a. Three Tales und Daniel Variations von Steve Reich, die Video-Oper La Commedia von Louis An dries sen und Since it was

the Day of Preparation von James MacMillan. Stilis tisch sind sie breit auf-gestellt, so arbeiten sie u.a. mit Tanz-Kompanien, agieren als Background-gruppe von Popmusikern und werden zu Film-Soundtracks herangezogen (darunter Die Chroni ken von Narnia und Harry Potter).

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Zoro Babel

Zoro Babel, 1967 in Peterskirchen/Oberbayern geboren, nahm bereits als 14-jähriger an Studienkursen für Improvisation und Jazz teil. Als Kom po-nist, Musiker und Theaterdarsteller arbeitet er heute mit Künstlern wie Achim Freyer, Urs Troller, Dieter Schnebel und Günter Ballhausen zusam-men. Für zahlreiche Komponisten, u .a. Josef Anton Riedl, Michael Lentz, Carola Bauckholt, Helmut Lachenmann, Erwin Stache und Klangkörper wie das Symphonieorchester des Bayerischen Rund funks und die Berliner Phil harmoniker ist Zoro Babel geschätzter Ansprechpartner in Fragen der Klangregie. Er erhielt zahlreiche Kompositions aufträge (Donaueschinger Musiktage, musica viva, Ultra schall Festival Ber lin, Rümlingen Festival) und entwickelt eigene In stru mente und Klang skulpturen, die u.a. beim Musik festival Bern 2015 zu se hen waren. Er er hielt mehrere Stipendien und Preise, darunter 2001 den Musik förder preis der Stadt München und 2008 ein Projektstudium der Erwin und Gisela Steiner Stiftung.

Peter Rundel

Peter Rundel, 1958 in Friedrichshafen geboren, war zunächst Geiger, ehe er sich dem Dirigieren zuwandte. Die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts bil det einen Schwerpunkt seiner künstlerischen Tätigkeit. Der Schüler von Igor Ozim, Michael Gielen und Peter Eötvös musizierte von 1984 bis 1996 als Gei ger im Ensemble Modern, dem er als Dirigent weiter verbun-den ist.Er kann auf eine langjährige Zusam men arbeit mit dem Ensemble Re cherche, dem Asko Ensemble und dem Ensemble intercontemporain zu rückblicken. Darüber hinaus steht er am Pult von Klangkörpern wie dem Sym phonie orchester des Bayerischen Rundfunks und dem Deutschen Sym phonie-Orchester Berlin. Neben dem traditio nellem Opernreper toi-re dirigierte er Stockhausens DONNERSTAG aus LICHT, Massacre von Wolf gang Mitterer und Georg Fried rich Haas’ Nacht. Er war 2014 Musi-kalischer Leiter der Ruhr triennale-Produktion von Louis Andries sens De Materie. Im Herbst diesen Jahres leitete er die Uraufführung der Oper Giordano Bruno von Fran cesco Filidei sowie zahlreiche Konzerte anlässlich des 80.Ge burtstages von Helmut Lachenmann.

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München, HerkulessaalFreitag, 22. Januar 201620.00 h: musica viva-Orchesterkonzert

18.45 h Einführung: Michaela Fridrich

France sc a Verunelli [*1979]

The Narrow Cornerfür Orchester [2012–13]Kompositionsauftrag des Orchestre Philharmonique de Radio France

URAUFFÜHRUNG

Philipp e Manour y [*1952]

Synapsefür Violine und Orchester [2010]

Isabel Mundr y [*1963]

Vogelperspektivenfür Singstimme, Sprecherin, Zuspielband und Orchester [2015]auf Texte von Thomas KlingKompositionsauftrag der musica viva des Bayerischen Rundfunks

URAUFFÜHRUNG

Sarah Maria Sun SopranMeret Roth SpecherinHae-Sun Kang Violine

Symphonieorchester des Bayerischen RundfunksSusanna Mälkki Leitung

www.br-klassikticket.dewww.br-musica-viva.de

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musica viva Late NightMünchen, HerkulessaalFreitag, 22. Januar 201622.30 h: Klavierduo

zum 150. Geburtstag

Ferruccio Busoni [ 1866–1924]

Fantasia contrappuntistica BV 256 [1910]Fassung für zwei Klaviere

Philipp e Manour y [*1952 ]

Le temps, mode d’emploifür zwei Klaviere und Elektronik [2014]

GrauSchumacher Piano Duo

Andreas Grau, Götz Schumacher

Philippe Manoury KlangregieJosé Miguel Fernández

live-elektronische Realisation und Klangregie

Veranstaltungsende ca. 24.00 h

freier Verkauf (15.– / ermäßigt 8.–), freie Platzwahl

neu im Saisonprogramm!

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Nachweise

Die Texte von Cathy Milliken und Frederik Hanssen sind Ori gi-nal beiträge für die musica viva. Der Text von Jörg Widmann erfolgt als Wiederabdruck mit freundlicher Genehmigung von Schott Music GmbH. Der Text von Steve Reich erschien zuerst in Steve Reich. Writings on

Music 1965–2000, Oxford University Press 2002.Gesangstext zu Earth Plays von Cathy Milliken: Abdruck mit freund-licher Genehmigung der Komponistin. Gesangstext zu Tehillim aus Das

Buch der Preisungen. Übersetzt von Martin Buber, Verlag Lambert Schnei-der, Heidelberg

Nachdruck nur mit GenehmigungRedaktionsschluss am 20. November 2015Änderungen vorbehalten

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Impressum

Herausgeber

Bayerischer Rundfunk / musica vivaKünstlerische Leitung

Dr. Winrich HoppRedaktion

Dr. Larissa Kowal-WolkRedaktionelle Mitarbeit

Johanna LamprechtKonzept / Gestaltung / Bilder

www. lmn-berlin.deGünter Karl BoseDruck

Kastner & Callwey Druck München

musica viva

Künstlerische Leitung

Dr. Winrich HoppProduktion, Projektorganisation

Dr. Pia SteigerwaldRedaktion

Dr. Larissa Kowal-WolkKommunikation

Bettina SchleiermacherBüro

Daniela Oldach

Bayerischer Rundfunkmusica vivaRundfunkplatz 1D-80335 MünchenTel.: 00 49-89-5900-42826Fax: 00 49-89-5900-23827mailto: [email protected]