13.4 Fusions- und Korrekturtechniken an BWS und LWS · thorakal/thorakolumbal mit Risiko für...
Transcript of 13.4 Fusions- und Korrekturtechniken an BWS und LWS · thorakal/thorakolumbal mit Risiko für...
541
13
13.4 Fusions- und Korrekturtechniken an BWS und LWS
dere Bedeutung erlangen die Kyphosen als Risikofaktor neu-rologischer Defizite infolge Dekompensation eines über
den Kyphoseapex langzeitig aufgespannten Rückenmarks.
Elongation und Druck am Rückenmark führen zu spinaler
Ischämie, Demyelinisierung und langfristig zu Myelopathie
(Winestone et al. 2012). Neurologische Defizite liegen prä-
operativ bei 30–100 % der Patienten mit angulärer Kyphose
vor. Die Operation zielt darauf ab, eine Verschlechterung zu
verhindern bzw. eine Verbesserung zu erreichen.
Operative Kyphoseaufrichtungen bei myelopathischem
Rückenmark gelten als Hochrisikoeingriffe. Die Behand-
lung von Kyphosen durch Orthesen ist selten erfolgreich.
Die Kyphoseprogredienz ist schwer vorherzusagen, da
multifaktoriell. Für gewöhnlich sind thorakale Kyphosen
aufgrund der Rippenkäfigstabilisierung weniger rasch pro-
gredient als anderenorts. Das Patientenalter, die Ätiologie
und das Ausmaß der Kyphose sowie die Rigidität angren-
zender Segmente beeinflussen die Progredienz. Risikofak-
toren für progrediente Tbc-assoziierte Kyphosen im Kin-
desalter sind bekannt (Rajasekaran 2013).
In Langzeituntersuchungen führten kongenitale Kyphosen un-
behandelt nach durchschnittlich zwölf Jahren in 10–20 % zur
Paraplegie.
Treten neurologische Defizite auf, sind diese meist progre-
dient (Marks u. Qaimkhani 2009). Ex-vivo-Untersu-
1–3) werden jedoch zunächst Domäne einer VEPTR-Be-
handlung bleiben.
KeyPoints
• VEPTR ist geeignet für reine Wachstumsstörungen des Thorax
und für Kombinationen aus Wirbelsäulendeformitäten mit
Thoraxdeformitäten.
• Gelegentlich kann VEPTR auch bei neuromuskulären Skolio-
sen oder Syndrom-assoziierten Wirbelsäulendeformitäten an-
gewendet werden.
Operative Aufrichtung von Kyphosen
Heiko Koller, Oliver Meier
Ätiopathogenese und Prognose
Pathologische Kyphosen der HWS, BWS und LWS sind sel-
tene Erkrankungen. Sie führen zu einer statischen Mehr-
belastung betroffener und angrenzender Wirbelsäulenseg-
mente. Schmerzen sind oft die Folge der Degeneration be-
nachbarter Segmente und ausgereizter Kompensationsme-
chanismen (Ames et al. 2013). Für Patienten können die
funktionellen Einschränkungen beträchtlich sein.
Seit Kindheit bestehende progrediente Kyphosen führen
häufig zu strukturellen globalen Wirbelsäulen- und Thorax-
deformitäten mit pulmonalen Funktionsdefiziten. Beson-
a
b
Abb. 13-70 VEPTR bei einem 5-jährigen
Patienten mit Typ-3b-Deformität
(Jeune-Syndrom).
a Präoperativ.
b Postoperativ.
Börm et al.: Wirbelsäule interdisziplinär. ISBN: 978-3-7945-3092-2. © Schattauer GmbH
542
13
13 Instrumentierte Eingriffe
• posttraumatische Kyphose (PTK) ( ▶ Abb. 13-72, 13-76),
• die Infekt (v. a. Tbc)-assoziierte Kyphose ( ▶ Abb. 13-77),
• die kongenitale Kyphose ( ▶ Abb. 13-71, 13-78),
• Kyphosen bei systemischen Spondylarthropathien
( ▶ Abb. 13-73, 13-74),
• iatrogene Kyphosen ( ▶ Abb. 13-75, 13-79) und
• lumbale Kyphosen bei adulter Skoliose (sog. Rotations-
kyphose).
Radiologisch definiert die Anzahl betroffener Wirbelkör-
per die Form der Kyphose. So unterscheidet man anguläre
(kurzbogige) von arkuären (langbogigen) Kyphosen und
regionale Kyphosen mit Involvierung nur weniger Seg-
mente (z. B. PTK) von globalen Kyphosen (z. B. Morbus
Bechterew). Kyphosen beeinflussen langfristig das gesamte
Wirbelsäulenprofil. Es gilt, die Strukturalität der Kyphose
und kompensatorische Gegenleistungen anliegender Wir-
belsegmente zu erfassen. Die Flexibilität bestimmt das
Therapiekonzept. Sie wird radiologisch definiert durch
den Abgleich des Kyphosewinkels im Stehen vs. Aufnah-
men im Liegen (z. B. MRT-/CT-Untersuchung) sowie
durch Extension in Hypermochlionaufnahmen ( ▶ Abb. 13-
80). Zusätzlich wird anhand mulitplanarer CT-Rekon-
struktionen die Rigidität und das Ausmaß von Synostosen
in Kyphoseabschnitten beurteilt. Basierend darauf wird
unterteilt in:
• Flexible Kyphosen: korrigieren sich in der Funktions-
diagnostik in den physiologischen Bereich.
• Semi-rigide Kyphosen: Nachweis von Rigidität (Ossifi-
kationen in Discus, Uncovertebral- und Facettengelen-
ken); korrigieren sich nicht in der Funktionsdiagnostik
in physiologische Bereiche.
• Rigide Kyphosen: nachweisliche Synostose in den be-
troffenen Segmenten und Immobilität in der Funkti-
onsdiagnostik.
Die Wirbelsäulenganzaufnahme im Stehen inkl. Hüftge-
lenke und HWS ist Bestandteil der Planung der Korrektur.
Auf ihnen wird die fokale Kyphose ins Bild der globalen
spinalen Balance gesetzt. Dabei wird eine
• kompensierte von einer
• dekompensierten sagittalen Imbalance
differenziert. Bei Letzterer zeigen sich ausgereizte Kompen-
sationmechanismen (z. B. thorakale Lordosierung bei thora-
kolumbaler Kyphose oder pathologischer pelvic tilt) und
eine Abweichung des C 7-Lots ventral der Hüftgelenke.
Technische Voraussetzungen
Die Kyphoseaufrichtung ist ein komplikationsträchtiges
Verfahren. Daher bestehen hohe Anforderungen an die
medizinische Infrakstruktur, wie z. B. intensivmedizi-
nische Kapazitäten und Erfahrung im Blutungsmanage-ment. Der gemittelte Blutverlust bei PSO wird mit 700–
2 000 ml angegeben, bei vertebral column-Resektion (VCR)
bis zu drei Liter. Blutverluste über zwei Liter werden in
chungen haben gezeigt, dass bei langbogigen cervicalen
Kyphosen > 20° und thorakal > 60° mit signifikanter intra-
spinaler Drucksteigerung zu rechnen ist (Farley et al.
2012). Stenosekomponenten und segmentale Instabilitäten
erhöhen das neurologische Risiko. Bei segmentaler Restbe-
weglichkeit deuten ventrale Abstützosteophyten auf ein
erhöhtes Progressionsrisiko hin. Mehrheitlich gelten angu-
läre Kyphosen > 80–90° als sichere Indikatoren für eine im
Verlauf eintretende Parese.
Untersuchungen haben gezeigt, dass eine funktionelle und
neurologische Verbesserung durch eine Kyphosekorrektur
erreicht werden kann und dass auch das Ausmaß dieser
Verbesserung mit dem Ausmaß der Korrektur korreliert.
Indikationen
Indikationen zur Kyphoseaufrichtung sind:
• funktionelle und soziale Einschränkung (z. B. Blickach-
senverlust, Sturzgefahr, Verlust von Mobilität und Ei-
genhygiene etc.),
• symptomatische Dekompensation in Nachbarseg-
menten sowie global,
• vertebragene Schmerzen, Druckstellen am Kyphose apex,
• Fehlstatik und sagittale Imbalance mit myofaszialer Er-
müdungssymptomatik,
• costopelvines Impingement,
• hohes Progressionsrisiko (v. a. kongenitale Kyphosen
thorakal/thorakolumbal mit Risiko für viscerale und
kardiopulmonale Langzeitkomplikationen).
Die Ziele der Kyphoseaufrichtung umfassen:
• die indirekte Dekompression des Rückenmarks durch
Reduktion der Kyphose,
• die Korrektur der Deformität,
• die Verbesserung der Statik und
• eine solide Fusion.
Im Weiteren zielt die Korrektur auf die Wiederherstellung
einer global balancierten Wirbelsäule, Schmerzreduktion
und Funktionsgewinn sowie die Therapie von Degenerati-
on und Vertebrostenose in benachbarten Segmenten.
Klassifikation
Definiert wird der Kyphoseapex nach der betroffenen Re-
gion:
• cervical und cervicothorakal (HW 7 –BW 1),
• thorakal und thorakolumbal (BW 12 –LW 1),
• lumbal und lumbosacral (LW 2 –SW 1).
Die Klassifikation anhand der Ätiologie bietet Informatio-
nen über potenzielle systemische Komorbidititäten (z. B.
ligamentäre Hypermobilität bei Kollagenosen), Knochen-
qualität (z. B. reduziert bei Morbus Bechterew und Kolla-
genosen) und intraspinale Anomalien (z. B. bei kongenita-
ler Kyphose). Die häufigsten Entitäten sind:
Börm et al.: Wirbelsäule interdisziplinär. ISBN: 978-3-7945-3092-2. © Schattauer GmbH
543
13
13.4 Fusions- und Korrekturtechniken an BWS und LWS
a b
Abb. 13-71 Kongenitale thorakolumbale Kyphose.
a Präoperatives Röntgenbild.
b Postoperative Bildgebung nach modifizierter Y-PSO (Pedikel-
substraktionsosteotomie) und TLIF LW 2–4 bei kongenitalen Ly-
sen LW 2–4.
Abb. 13-72 Posttraumatische Kyphose LW 2–4.
a Präoperative Bildgebung.
b Postoperativ nach ventralem Release und Cage-Aufbau
LW 2–4, dorsaler Korrekturspondylodese (DKS) LW 2–4 nach dem
Prinzip der Smith-Petersen-Osteotomie (SPO).
a b
Abb. 13-73 Globalkyphose bei Morbus Bechterew.
a Präoperativ.
b Postoperativ nach DKS BW 9 –SW 1 mit SPO in LW 1–4.
a b
Abb. 13-74 Globalkyphose bei Morbus Bechterew.
a Präoperativ.
b Postoperativ nach PSO LW 2 und DKS BW 11 –SW 1.
a b
Börm et al.: Wirbelsäule interdisziplinär. ISBN: 978-3-7945-3092-2. © Schattauer GmbH
544
13
13 Instrumentierte Eingriffe
a b
Abb. 13-75 Iatrogene Lumbalkyphose nach multiplen Wirbel-
säulen-OPs.
a Präoperativ.
b Postoperativ nach modifizierter PSO LW 2 ( „closing open
wedge “-Osteotomie). Höhenreduktion bei PSO LW 2 (d’àd’ ‘)
und ventrale Distraktion LW 2.
Abb. 13-76 Posttraumatische globale cervicothorakale
Kyphose bei Morbus Bechterew.
a Präoperativ.
b Resektionsausmaß nach modifizierter SPO und
temporärer Stabilisierung mit sog. „malleable rods“.
c Nach Korrektur und Osteotomieverschluss mit
definitiven Dual-Diameter-Stäben 3,5 mm/5 mm HW 2 –
BW 4.
d Postoperativ ventraler Substanzdefekt bei Hinterkan-
tenkontakt ( *).
e Ein Jahr postoperativ ventrale Spontanfusion (*).
f Zwei Jahre postoperativ erhaltene Korrektur HW 2 –
BW 4.
a b c
d e f
Börm et al.: Wirbelsäule interdisziplinär. ISBN: 978-3-7945-3092-2. © Schattauer GmbH
545
13
13.4 Fusions- und Korrekturtechniken an BWS und LWS
Abb. 13-77 Post-Tbc-Kyphose BW 10 –LW 2.
a Präoperativer Röntgenbefund.
b 3-D-Angio-CT und Darstellung der Segmentgefäße.
c Zirkumferente Wirbelkörperprotektion durch PSO-Retraktoren
und Kompressendurchzug (*).
d Radiologische Definition des Resektionsausmaßes durch Osteo-
tom-Impaktion (*).
e Instrument-gestützte Korrektur in Konstrukt-Konstrukt-Technik
(Pfeile) mit ventraler Distraktion als Hypomochlion (*).
f Abschließende Korrektur über ventralen Mesh-Cage.
g Postoperative Korrektur BW 9 –LW 4.
a b
c
d
e
f g
c
a b d e
Abb. 13-78 Kongenitale Kyphose BW 10–12.
a Röntgenbefund präoperativ.
b CT-Befund präoperativ.
c PSO BW 11 und Konstrukt-zu-Konstrukt-Korrektur mit kontra-
lateralem Arbeitsstab.
d PSO-Resektion und temporäre Stabilisierung mit Arbeitsstab,
Spatel zur lateralen Darstellung der Wirbelkörperwand.
e Postoperative Korrektur und Fusion von BW 8 –LW 3.
Börm et al.: Wirbelsäule interdisziplinär. ISBN: 978-3-7945-3092-2. © Schattauer GmbH
546
13
13 Instrumentierte Eingriffe
a
c
d e g
b
f
Abb. 13-79 Iatrogene lumbale Kyphose (flat back) nach dorsaler
Fusion LW 4 –SW 1 mit degenerativer lumbaler Instabilität LW 1 –
SW 1 und globaler sagittaler Imbalance.
a Präoperativer Röntgenbefund.
b Präoperative CT.
c Intraoperativer Situs bei LW 3-PSO mit TLIF LW 2–4, Kontrolle
der lateralen Wand über PSO-Retraktoren.
d Die postoperative CT zeigt die PSO-Korrektur mit Translation in
LW 4.
e Postoperativ nach instrumentierter Korrektur BW 9 –SW 1 und
Spontankorrektur thorakal.
f, g Die Korrektur kann Instrument-gestützt, z. B. mit PSO-Zange,
erreicht werden.
Chirurgische Reaktionen auf Signalalterationen können neu-
rologische Komplikationen vermeiden. Die Verlässlichkeit des
Neuromonitorings bei myelopathischem Rückenmark ist aller-
dings erschwert.
Erfahrungen im Umgang mit intraoperativen wake-up-
Tests sind dann erforderlich.
Die Kyphosekorrektur erfordert spezielle Implantate und
Osteotomie-Instrumente. Das gewählte Pedikelschrau-
ben-Stab-System sollte über Langkopfschrauben verfügen.
Vorteilhaft ist eine hohe Modularität sowie Option zur Er-
weiterung und Kombination mit anderen Systemen und
Regionen (z. B. cervicothorakal und lumbopelvin). Spezi-
elle Repositionshilfen (Zangen, Stäbe, Repositionsklem-
men, In-situ-rod-bender), Osteotomiewerkzeuge (z. B. sog.
PSO-Sets), Optionen zur Stabauswahl (Titan vs. Co-Cr)
und Mehrstabkonstrukte (drei bis vier Stäbe parallel) die-
nen der effizienten Korrektur und dem Korrekturerhalt.
10–20 % der PSO-/VCR-Eingriffe erwartet, bei OP-Zeiten
von durchschnittlich sechs bis neun Stunden. Symptoma-
tische epidurale Hämatombildungen bei Osteotomien
wurden in bis zu 10 % beschrieben (Kim et al. 2012a).
Pulmonale Komplikationen erfordern eine gute anästhe-
siologische Nachbehandlung. Das Embolierisiko ist er-
höht. Eine perioperative neutrale Flüssigkeitsbilanzierung
zur Vermeidung sekundärer Ödembildung, auch spinal,
wird empfohlen (Jarvis et al. 2013).
Die gepolsterte Patientenlagerung und -wärmung trägt
den prolongierten OP-Zeiten Rechnung. Modulare OP-
Tische unterstützen die Korrektur durch Extension im
Apexbereich und Extension der Beine. Eine Pin-Fixation
des Schädels in Kopfhalterung wird für hochthorakale und
cervicothorakale Kyphosekorrekturen zur Vermeidung fa-
zialer Druckschäden empfohlen. Sie ermöglicht auch ein
Anheben des Schädels zur geführten Korrektur im Rah-
men der Kyphoseaufrichtung.
Kyphosekorrekturen erfolgen unter Neuromonitoring-Kontrolle.
Börm et al.: Wirbelsäule interdisziplinär. ISBN: 978-3-7945-3092-2. © Schattauer GmbH