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1 HS 2010 / Ernest Albert / Trends der postfordistischen Arbeitsgesellschaft SUZ Übersicht der Präsentationen Arbeitsorganisation Qualifikation Regulierung Sozialstruktur Wertorientierung Neue Karriere- & Strukturorientierung AO- Flexibilisi erung International isierung Tertiaris ierung Bildungsexp ansion Deprofessional isierung (Neo-)Liberalisierung Sozioökonomische Repolarisierung P0 Veranstaltungseinführung & -überblick P1 Grundkategorien, - konzepte & -dynamiken P2 P4 P6 P8 P10 P3 P5 P9 P11

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HS 2010 / Ernest Albert / Trends der postfordistischen ArbeitsgesellschaftSUZÜbersicht der Präsentationen

Arbeitsorganisation

Qualifikation

Regulierung

Sozialstruktur

Wertorientierung

Neue Karriere- & Strukturorientierung

AO-Flexibilisierung

Internationalisierung

Tertiarisierung

Bildungsexpansion

Deprofessionalisierung

(Neo-)Liberalisierung Sozioökonomische Repolarisierung

P0 Veranstaltungseinführung & -überblick P1 Grundkategorien, -konzepte & -dynamiken

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Begriffsklärung I (Littek 1991: 269; Grassl 2000: 102-106)

'Tertiarisierung'

Unter Tertiarisierung versteht die Arbeitssoziologie die langfristige Anteilsvergrösserung der Dienstleistungsarbeit am insgesamt in der Gesellschaft geleisteten Arbeitsvolumen.

Einfachste / verbreitetste Operationalisierung (sektorbasiert): Zunahme der Erwerbstätigen (oder Stellenprozente; auch: des BIP-Anteils) im 'Dritten Sektor' (Dienstleistungssektor) relativ zum 'Ersten Sektor' (Agrar-/Rohstoffsektor) und 'Zweiten Sektor' (Industriesektor)

Funktionsbasierte Operationalisierung:Zunahme der Erwerbstätigen mit DL-Funktion (in beliebigen Branchen)

Genauere Operationalisierungen:Zunahme der Dienstleistungsarbeit (Services) mit untersuchungs-spezifischer Berücksichtigung ihrer diversen Auffassungsmöglichkeiten: - bezogen auf bestimmte Berufe / Tätigkeitsprofile- bezogen auf bestimmte Branchen ( 'Dienstleistungssektor', s. oben)- bezogen auf bestimmte Leistungen / bereitgestellte 'Güter'- bezogen auf befriedigte Bedürfnisse (des Kunden)

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Begriffsklärung II (vgl. Littek 1991: 269)

'Dienstleistung'

Beispiele für Zuordnungsprobleme bezw. fehlende kategoriale Deckungsgleichheiten im Rahmen genauerer Operationalisierungen:

• Dienstleistungen fliessen auch in Industrieprodukte ein oder werden mit diesen zusammen verkauft; Bsp. Programmierung, Produktdesign, Beratung, Branding

• Das Kundenbedürfnis nach manchen Dienstleistungen kann auch mit Hilfe eines Sachguts befriedigt werden; Bsp. Transportleistung mit Bahn oder Bus durch die Kombination eigenes Auto + unbezahlte Eigenarbeit des Fahrens; diverse Bankschalterdienste durch immer multifunktionalere Bankomaten (die dafür ein Minimum an Wartungsdienst erfordern!); etc.

• Gelernte Industrieberufler können von einem Dienstleistungs- unternehmen beschäftigt werden; Bsp. Produktion von Spezialteilen, die im Rahmen der Infrastruktur- und Wartungsarbeiten eines grossen Transportunternehmens anfällt

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Begriffsklärung III (Dostal 2001: 46-54)

'Dienstleistung'

Da jedes Kategoriensystem zur Abgrenzung der DL-Arbeit mit dem Problem fliessender Übergänge* kämpft, wird oft auf das Schwerpunktprinzip zurückgegriffen. Bsp. Sektorenzugehörigkeit: Liegt der Tätigkeitsschwerpunkt eines 'Lebensmittelunternehmens' bei der Herstellung ( 2. Sektor) oder in der Logistik ( 3. Sektor)?

Abhängigkeit der gemessenen Tertiarisierungsquote von der genutzten Operationalisierung bezw. vom Kategoriensystem am Bsp. Deutschland 1995:

Abgrenzung nach Branche: 59,1 % DLAbgrenzung nach Berufen: 75,0 % DLAbgrenzung nach Tätigkeitsschwerpunkten: 75,8 % DL

*Der Outsourcing-Trend bei der Arbeitsorganisation hat das Problem fliessender Kategorienübergänge etwas vermindert – weshalb genau?

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Begriffsklärung IV (Grassl 2000: 103-106; Dostal 2001: 47)

Negative vs. Positive DL-Zuordnung

a) Negative Bestimmung: häufiger

DL-Beschäftigung: nichtzugehörig zur Agrar- und Industriebeschäftigung

Basis: 3-Sektoren-Modell des Ökonomen Allan Fisher (1939), das auf bedürfnishierarchischen Überlegungen aufbaute ...

1. Sektor: produziert unmittelbar lebensnotwendige Güter2. Sektor: produziert nachrangig notwendige Güter3. Sektor: produziert Luxus-/Bequemlichkeitsgüter

... aber später in den SW mit Hilfe des Schwerpunktprinzips in objektivierbarere Kategorien zu übertragen versucht wurde:

1. Sektor: (unmittelbar aus der Natur) rohstoffgewinnende Industrien 2. Sektor: Rohstoffe zu materiellen Waren verarbeitende Industrien3. Sektor: alle übrigen Tätigkeitsbereiche

Problem: können Restkategorien praktisch nur wachsen, d.h. sind Tertiarisierungshypothesen so praktisch nicht falsifizierbar?

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Begriffsklärung V (Littek 1991: 267-269)

Negative vs. Positive DL-Zuordnung (Forts.)

b) Positive Bestimmung: schwieriger

DL-Beschäftigung:

"[ihre] soziologisch relevanten Gemeinsamkeiten bestehen [nach Claus Offe, Johannes Berger und Ulrike Berger] darin, >dass sie sämtlich mit der Sicherung, Bewahrung, Verteidigung, Überwachung, Gewährleistung usw. der historischen Verkehrsformen und Funktionsbedingungen einer Gesellschaft und ihrer Teilsysteme zu tun haben<" (Littek 1991: 267)

"Zu Dienstleistungs[...]anbietern gehören all jene, die überwiegend immaterielle Güter produzieren." (Littek 1991: 269)

Problem: Zuordnungs-Reliabilität? Produziert ein Motorrad-Verleiher überwiegend ein immaterielles Gut? (Er gewährleistet nur ein Nutzungsrecht auf Zeit – aber ohne das physische Motorrad ist sein Dienst völlig gegenstandslos)

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Begriffsklärung VI (von Einem 1986 nach Littek 1991: 271)

DL-Untergliederungsbeispiel

I. Distributive DienstleistungenI.1 Handel; I.2 Verkehr und Nachrichtenwesen

II. Konsumbezogene DienstleistungenII.1 Haushaltbezogene; II.2 Freizeitbezogene Dienstleistungen

III. Personenbezogene DienstleistungenIII.1 Gesundheitswesen; III.2 Erziehung und Wissenschaft; III.3 Soziale Dienste

IV. Produktionsbezogene DienstleistungenIV.1 Finanzierungsdienste; IV.2 Unternehmensdienste; IV.3 Produktionsbezogene Hilfsdienste; IV.4 Parteien und Verbände; IV.5 Öffentliche Verwaltung

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Empirie I (Maddison 1995 n. Baethge 2001: 24 )

Sektorale Beschäftigungstertiarisierung USA (%):Muster: Frühe Tertiarisierung / mässige Industrialisierung

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Empirie II (Maddison 1995 n. Baethge 2001: 24 )

Sektorale Beschäftigungstertiarisierung GB (%):Muster: Früheste Industrialisierung und Tertiarisierung

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Empirie III (Maddison 1995 n. Baethge 2001: 24 )

Sektorale Beschäftigungstertiarisierung NL (%): Muster: Frühe Industrialisierung und Tertiarisierung

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Empirie IV (Maddison 1995 n. Baethge 2001: 24 )

Sektorale Beschäftigungstertiarisierung D (%):Muster: Persistierender Industrialismus / späte Tertiarisierung

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Empirie V (Kehrli 2009: 279)

Sektorale Beschäftigungstertiarisierung CH (%):Muster: Persistierender Industrialismus / späte Tertiarisierung

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Empirie VI (Cornetz 1991: 46-47)

Gleichmässigkeit der Beschäftigungsentwicklung: Bsp. USA, Konsumentendienste vs. Produzierendes Gewerbe

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19501950 19861986

Rezessionen

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Empirie VII (Dostal 2001: 55)

D: Schwache Tertiarisierung ohne Informationsbereich Sektorale Beschäftigung bei Abspaltung eines '4. Sektors'

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Empirie VIII (Werner 2001: 260)

Tertiarisierung & Teilzeitbeschäftigung* (%): Korrelation 6 Gesellschaften x 3 Zeitpunkte (1983 / 1990 / 1997)

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*Anm.: Teilzeitbeschäftigung = überwiegend Frauenbeschäftigung

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Empirie IX (Döhrn, Heilemann & Schäfer 2001: 282)

Tertiarisierung* (%) & Pro-Kopf-Einkommen (Rangreihe) *sektoral sowie funktional für 9 EU-Länder (1997)

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Implikationen der Tertiarisierung IAllgemeine Bewertung: Optimistische Tradition(Grassl 2000: 103-106; Mikl-Horke 2000: 402-404; Edgell 2006: 61-71)

Colin Clark, 1940: Tertiarisierung als Begleiterscheinung ökonomischer Wachstumsperioden (deren produktivitätserhöhende Eigenschaft Arbeitskräfte für den 3. Sektor freisetzt, in welchem technische Rationalisierung - damals - weniger gut möglich scheint)

Jean Fourastié, 1952: Unaufhaltsamer Fortschritt in Richtung einer "tertiären Zivilisation" als grosse Hoffnung für alle Länder: Immer hochqualifiziertere Arbeitende befriedigen immer immateriellere Bedürfnisse ohne natürliche Sättigungsgrenze

Daniel Bell, 1973: Heraufkommende "postindustrielle Gesellschaft", in der Wissen(schaft), Intellekt, Information und Innovation (statt erbliches Privatkapital) zu den zentralen Ressourcen werden und Arbeit von einem Spiel gegen die Natur zu einem Spiel zwischen Personen geworden ist

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Implikationen der Tertiarisierung IIAllgemeine Bewertung: Skeptische Tradition(Littek 1991: 275-276; Dostal 2001: 67; Mikl-Horke 2000: 405)

Ökonom. Klassiker wie A. Smith, D. Ricardo & R. Maltus, 18./19. Jh.: Abwertung der Dienstleistungsarbeit als "unproduktive Arbeit"

Harrison & Bluestone, 1980er Jahre: Wohlstandsgefährdung durch zunehmende Abhängigkeit vom unproduktiveren Dienstleistungssektor am Beispiel der fortgeschrittensten Dienstleistungsgesellschaft USA

Dieter Mertens u.a., 1980er Jahre: Wohlfahrtskritische Analyse entlarvt eine tertiäre Scheinwelt, die viele "defensive" Bestandteile des BIP enthält, z.B. "Gegenmassnahmen bei akuten Einzelkatastrophen", "rein krisenbedingte Dienstleistungen", "Dienstleistungen mit Leerlauf-charakter", "Dienstleistungs-Hypertrophien [= Überversorgung] und -Redundanzen", "Pseudo-Wertschöpfung", "sich gegenseitig neutralisierende (bis paralysierende) Dienste" und "tertiäre Folgen künstlicher Systemkomplexität"; d.h. manche inhaltlich betrachteten "bads" werden produktivitätsstatistisch bezw. wegen ihres reinen Beschäftigungseffektes wie "goods" behandelt

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Implikationen der Tertiarisierung IIIBeschäftigungspotenzial: Theoretische Kontroverse(Littek 1991; Rifkin 2007: 130-133; Mikl-Horke 2000: 404-407)

Optimistische Position:▲ Dritter Sektor absorbiert rationalisierungsbedingt freigesetzte Arbeitnehmer der übrigen Sektoren praktisch unbegrenzt und ist selbst kaum durch technische Rationalisierung bedroht (da viele DL nur von Menschen für Menschen erbracht werden können)

Skeptische Position:▼ Durchindustrialisierungsthese: Logik des Kapitals strebt danach, DL durch rentablere Waren (i.d.R. Automaten) zu ersetzen (E. Mandel)

▼ Informationsarbeit: dank IKT-Revolution zunehmend rationalisierbar

▼ Optische und Spracherkennungstechnologien / Robotisierung → fast unbegrenzte Automatisierungspotenziale von Uno-actu*- DL-Arbeit [*Produzent & Konsument müssen gleichzeitig anwesend sein]

▼ es besteht kein funktional zwingender Zusammenhang zwischen schrumpfender Produktionsbeschäftigung und expandierender DL-Beschäftigung (jenseits des Vollbeschäftigungsideals als solchem)

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Implikationen der Tertiarisierung IVQualifikationsbedarf: Theoretische Kontroverse(Baethge 2001: 23, 39; Caporaso 1987: 205; Edgell 2006: 48-72)

Upskilling-These (z.B. nach Daniel Bell):▲ Der Tertiarisierungsprozess ist praktisch synonym mit steigendem Qualifikationsbedarf (erwartete Situation für Wissensarbeiter wird tendenziell auf 3. Sektor - trotz dessen Heterogenität - generalisiert)

Deskilling-These (z.B. nach Harry Braverman):▼ Der Tertiarisierungsprozess bringt eine Polarisierung zwischen qualifiziert und unqualifiziert Tätigen - und wegen des bedeutenden Anteils letzterer die Heraufkunft eines neuen 'Serviceproletariates'

Empirische Befunde stützen am Beispiel der stärksttertiarisierten USA eher die Deskilling-These. Nicht nur gehörten dort in den 1980ern Pförtner, einfaches Sicherheitspersonal, Hilfspfleger, Fahrer, Kassierer und Kellner zu den wachstumsträchtigsten Berufssparten - diese Rollen waren auch am stärksten vor Internationalisierungsstrategien geschützt, da sie alle physische Präsenz vor Ort erforderten. In den meisten westlichen Ländern verweist zudem ein tieferes Durchschnitts-einkommen im 3. als im 2. Sektor auf einen geringeren Bildungsbedarf.

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Implikationen der Tertiarisierung VArbeitnehmerschutz: Bedürfnis-Befriedigungs-Kluft

● Die kommunikations- und sozialkontaktintensive moderne DL-Arbeit scheint prosozial-kollektivistische und humanistische Werthaltungen fördern zu können (vgl. Samuel & Lewin-Epstein 1979)

● DL-Beschäftigte profitieren jedoch selbst unterdurchschnittlich von kollektiv(vertraglich)er Interessensorganisation/Arbeitnehmerschutz!

Arbeitsgeschichtliche Hauptursache des Paradoxons:Lange (teils bis heute) vorherrschender Selbstabhebungswunsch der Angestellten ('Dienstklasse') gegenüber der Industriearbeiterklasse ('Proletarier') und deren Gewerkschaftskultur.(*vgl. Dahrendorf nach Mikl-Horke 2000: 248; Bourdieu 1987; Armingeon & Beyeler 2000)

Dass dieser Wunsch mit "Illusionen über Status und Aufstiegsmöglichkeiten" *zusammenhängen kann, scheint dadurch bestätigt, dass DL-Berufe mit faktisch ausser Frage stehendem Status (z.B. Piloten) oft die bestorganisierten Gewerk-schaften des 3. Sektors besitzen → Handlungsbedarf in anderen DL-Berufen?

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Implikationen der Tertiarisierung VIArbeitnehmerschutz: Bedürfnis-Befriedigungs-Kluft (Forts.)

Karikatur aus der PdA-Zeitung 'Vorwärts' (18.12.2009):

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QuellenhinweiseArmingeon, K. & Beyeler, M. (2000). Gewerkschaftsmitgliedschaft: Beitrittsmotive und Fragmentierungen. In Armingeon, K. & Geissbühler, S. (Hrsg.),Gewerkschaften in der Schweiz: Herausforderungen und Optionen (S. 39-70). Zürich: Seismo.Baethge, M. (2001): Abschied vom Industrialismus: Konturen einer neuen gesellschaftlichen Ordnung der Arbeit. In: Baethge, M. & Wilkens, I. (Hrsg.): Die grosse Hoffnung für das 21. Jahrhundert? Perspektiven und Strategien für die Entwicklung der Dienstleistungsbeschäftigung (S. 23- 44). Opladen: Leske+Budrich.Bourdieu, P. (1987). Die feinen Unterschiede: Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft (übers. B. Schwibs & A. Russer). Frankfurt/Main: Suhrkamp.Caporaso, J. (1987). Labor in the Global Political Economy. In: Caporaso. J (Hrsg.), A Changing International Division of Labor (187-221). Boulder: Lynne Rienner.Cornetz, W. (1991). Ökonomische Aspekte des dienstleistungsorientierten Strukturwandels. In W. Littek, U. Heisig & H.-D. Gondek (Hrsg.), Dienstleistungsarbeit (S. 35-52). Berlin: Edition Stigma. Döhrn, R., Heilemann, U. & Schäfer, G. (2001). Geht es auch ohne Expansion des Dienstleistungssektors? Zum dänischen "Beschäftigungswunder". In: Baethge, M. & Wilkens, I. (Hrsg.): Die grosse Hoffnung für das 21. Jahrhundert? Perspektiven und Strategien für die Entwicklung der Dienstleistungsbeschäftigung (S. 269-290). Opladen: Leske+Budrich.Dostal, W. (2001). Quantitative Entwicklungen und neue Beschäftigungsformen im Dienstleistungsbereich. In: Baethge, M. & Wilkens, I. (Hrsg.): Die grosse Hoffnung für das 21. Jahrhundert? Perspektiven und Strategien für die Entwicklung der Dienstleistungsbeschäftigung (S. 45-69). Opladen: Leske+Budrich.Edgell, S. (2008). The Sociology of Work: Continuity and Change in Paid and Unpaid Work. Los Angeles: Sage. Grassl, H. (2000). Strukturwandel der Arbeitsteilung: Globalisierung, Tertiarisierung und Feminsierung der Wohlfahrtsproduktion. Konstanz: UVK.Kehrli, C. (2009). Die soziale Lage der Schweiz in Zahlen. In: Caritas Schweiz (Hrsg.), 2009 Sozialalmanach: Zukunft der Arbeitsgesellschaft (S. 239-295). Luzern: Caritas-Verlag.Littek, W. (1991). Was ist Dienstleistungsarbeit? In W. Littek, U. Heisig & H.-D. Gondek (Hrsg.), Dienstleistungsarbeit (S. 265-282). Berlin: Edition Stigma. Mikl-Horke, G. (2000). Industrie- und Arbeitssoziologie. München: Oldenbourg.Rifkin, J. (2007). Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft (übers. Th. Steiner / H. Schickert). Frankfurt am Main: Fischer.Samuel, Y. & Lewin-Epstein, N. (1979). The Occupational Situs as Predictor of Work Values. The American Journal of Sociology, Vol. 85, No. 3, S. 625-639.Werner, H. (2001). Die Erfahrungen beschäftigungspolitisch erfolgreicher Länder. In: Baethge, M. & Wilkens, I. (Hrsg.): Die grosse Hoffnung für das 21. Jahrhundert? Perspektiven und Strategien für die Entwicklung der Dienstleistungsbeschäftigung (S. 245-268). Opladen: Leske+Budrich.

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