01 2016 VERKEHRS REPORT - Fachbereich Verkehr – ver.di
Transcript of 01 2016 VERKEHRS REPORT - Fachbereich Verkehr – ver.di
Wir bewegen was
VERKEHRS REPORTL U F T V E R K E H R • S C H I F F FA H RT • S C H I E N E N V E R K E H R • Ö P N V • H Ä F E N
AKTUELLES Für Köln da: im Nahverkehr und auf dem Airport
Für sie geht es um bessere Entlohnung, die betrieblichen Renten oder Übernahmeregelungen: Die etwa 3.300 Beschäftigten der Kölner VerkehrsBetriebe AG und die 1.800 Angestellten bei der KölnBonner Flughafengesellschaft sind Teil der großen Tarifrunde Öffentlicher Dienst 2016. Was sie von den Forderungen und ihrer Durchsetzung halten, erfuhren wir beispielhaft. Und bei der Flughafenfeuerwehr lernten wir Männer kennen, ohne die keine Maschine starten oder landen darf. Betriebsfeuerwehrleute gehen mit eigenen Forderungen in die Tarifrunde. Seite 3
LUFTVERKEHRNeue Flugdienst- und Ruhezeitenregelungver.di war beteiligt an der Erarbeitung der neuen Richtlinie der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA). Was es auf europäischer Ebene zu debattieren und durch zusetzen galt und wie das gelang, berichtet der ver.diMann fürs Knifflige: Markus Müller. Der ChefSteward hat im Gewerkschaftsauftrag viele Jahre mit verhandelt, als es darum ging, Arbeits, Bereitschafts und Ruhezeiten für fliegendes Personal im Interesse von Beschäftigten und der Flugsicherheit besser zu regeln. Seite 4
ÖPNVIm Nahverkehr droht DumpingwettbewerbÜber 100 Jahre lang haben die Beschäftigten des Stadtverkehr Pforzheim für qualitativ hochwertigen Nahverkehr gesorgt. Jetzt soll eine Tochter der Deutschen Bahn AG die Aufgaben im Nahverkehr übernehmen. Möglich ist das, weil die schwarzgelbe Regierungskoalition 2013 das Personenbeförderungsgesetz geändert hat. Was das für die Beschäftigten bedeutet und was ver.di bundesweit tut, um die Arbeitsbedingungen im ÖPNV zu verbessern, steht in den Beiträgen auf. Seite 6
HÄFENAngespannte Situation in den North Range HäfenÜber die sogenannte North Range, die kontinentaleuropäischen Häfen an der Nordsee, werden etwa 80 Prozent des europäischen Im und Exports abgewickelt. Überall sind in den letzten Jahren Hafenflächen erweitert worden und zusätzliche Containerterminals entstanden, wo immer größer werdende Schiffe fast automatisch be und entladen werden. Das hat zum Verlust von Hunderten HafenArbeitsplätzen geführt. Der Wettbewerbsdruck ist enorm gestiegen. Dem müssen sich die Gewerkschaften stellen. Seite 8
01 2016
Endlich her mit Fair: Die Europäische Bürgerinitiative „Fair Transport Europe“ will bessere Arbeitsbedingungen im Verkehrssektor sichern
DIE MILLION KNACKEN!
Gibt es etwas zu gewinnen? Unbedingt. Der Verkehrssektor spielt eine zentrale Rolle für Freizügigkeit, Integration und einen gemeinsamen Binnenmarkt in Europa. Im Zuge der Öffnung und Liberalisierung gewinnen Transportdienstleistungen noch weiter an Bedeutung. Der europäische Arbeitsmarkt wird dabei zu einer Drehscheibe. Doch: Bisher sind die Rahmenbedingungen weder einheitlich noch gut. Viele Beschäftigte müssen mit Lohn und Sozialdumping kämpfen, arbeiten unter prekären Bedingungen. Das wollen die europäischen Transportarbeitergewerkschaften nicht mehr hinnehmen, sondern bessere Arbeitsbedingungen für alle Verkehrsbeschäftigten in der EU sichern. Sicherheit, Umweltstandards, Ausbildungsqualität sollen auf hohem Niveau angeglichen und die Bezahlung der Beschäftigten im Straßenpersonenverkehr, in der Luftfahrt, auf Binnenwasserstraßen und See, bei der Eisenbahn und in der Logistik ver bessert werden. Fairer Transport in Europa – „Fair Transport Europa“ heißt die Devise. Davon würden nicht nur Busfahrer und Straßenbahner innen, Kabinenbeschäftigte, Binnenschiffer oder Hafenarbeiter profitieren – in Europa zählt der
Ver kehrssektor elf Millionen Direktbeschäftigte – sondern alle, die Transportleistungen nutzen: Sie kämen sicherer ans Ziel.
Um das durchzusetzen, ist gemeinsame Anstrengung nötig. Eine europäische Aufgabe braucht eine europäische Lösung. Die Europäische Kommission ist gefragt, sie muss Pläne und Maßnahmen entwickeln sowie Regeln dazu beschließen. Das ist bisher nicht ausreichend geschehen, gemeinsame Sozialnormen im europäischen Verkehr etwa fehlen. Wie aber die EUKommissare zum Handeln bringen? Die Europäische Transportarbeiter Föderation (ETF) und ihre Mitgliedgewerkschaften setzen auf ein Instrument der politischen Teilhabe: eine Europäische Bürgerinitiative. Bringt sie genügend Unterstützer zusammen, ist die EUKommission verpflichtet, sich mit dem Anliegen zu befassen. Allerdings: Eine Million EUBürger in einem Viertel aller EULänder müssen zuvor mitzeichnen. Konkret heißt das: in der Bundesrepublik werden 250.000 Unterschriften für die Forderung „Fairer Transport in Europa – Gleichbehandlung aller Verkehrsbeschäftigten“ gebraucht. Bis Mitte September 2016 läuft die Frist.
Wir bewegen Europa – aber nicht für Dumpinglöhne, meinen ETF und nationale Transportarbeitergewerkschaften. Zu viele
Beschäftigte zahlen drauf für „billigen“ Transport in der EU. Sie arbeiten zu Dumpinglöhnen oder mit Arbeitszeiten jenseits gesetzlicher Höchstgrenzen. Sie haben keine ausreichende Sicherung bei Krankheit oder Arbeitslosigkeit bzw. keinen geregelten Urlaubsanspruch. Sie sind wochen oder monatelang von der Familie getrennt oder bei dubiosen Briefkastenfirmen angestellt. Erschöpfung bedeutet für sie und andere Verkehrsteilnehmer ein erhöhtes Sicherheitsrisiko.
Schiffstonnagen in EUStaatsflaggen steht beim Seeverkehr ganz obenan. Koordination zwischen den europäischen Häfen sichern, um unkontrollierte Expansion zu vermeiden, heißt es für den Hafensektor. Die Broschüre „Fair Transport Europe – die Zukunft des europäischen Verkehrssektors aus Beschäftigtenperspektive“ erklärt alles ausführlich und kann heruntergeladen werden unter: fairtransporteurope.de Auf der Seite gibt es auch Unterschriftenlisten und weiteres Informationsmaterial.
H Ä F E N
Die ver.diBundestarifkommission Seehäfen hat im März einstimmig beschlossen, den mit dem Zentralverband Deutscher Seehäfen vereinbarten Lohntarifvertrag zu kündigen. Damit ist die Forderungsdiskussion in den tarifgebundenen Betrieben eröffnet.
Bei den Debatten wurde bereits deutlich, dass ganz unterschiedliche Rahmenbedingungen zu beachten sind. Die Hafenwirtschaft ist wie kaum eine andere Branche abhängig von der konjunkturellen Lage der exportorientierten Wirtschaft in Deutschland. Der zunehmende wirtschaftliche Abschwung in China, aber auch die
Lohnrunde 2016 in der Hafenwirtschaft angelaufenandauernde Krise in der Ukraine und die damit verbundenen Handelssanktionen gegenüber Russland führen zu geringerer Tonnage auf den Handelsschiffen und zu abnehmenden Umschlagszahlen.
Allein der Hamburger Hafen verzeichnete vergangenes Jahr einen Rückgang im Güterumschlag von ca. 5,5 Prozent. Damit wächst auch der Druck auf die Unternehmen und ihre Beschäftigten. Insbesondere der konventionelle Bereich (Massen und Stückgut, Stauereien, Laschbetriebe) leidet. Viele Unternehmen, etwa die Traditionsfirma Tiedemann, kämpfen um ihre
Existenz. Aber auch die großen Containerumschlagsunternehmen stehen zunehmend unter Druck. So verzeichnete die HHLA AG an ihren drei Standorten in Hamburg einen Rückgang des Containerumschlags von etwa 12 Prozent, der weit gehend durch den Zuwachs im Containertransport kompensiert werden konnte. Die Bremer Logistic Group (BLG) vermeldete ebenfalls Rückgänge, trotz hoher Umschlagsmengen auf dem Autoterminal. Die Tarifrunde wird zudem durch wachsende Überkapazitäten auf den Terminalflächen der North RangeHäfen und durch neue
ReederAllianzen beeinflusst. „Die Anforderungen und der Leistungsdruck in den deutschen Seehäfen steigen nicht zuletzt wegen der Schiffsgrößenentwicklung und damit entstehenden PeakSituationen stetig an“, bestätigt der ver.diVerhandlungsführer Torben Seebold. „Die Produktivität nimmt trotz aller negativen Rahmenbedingungen zu, was zu großen Teilen an der tollen Arbeit der Frauen und Männer in den Betrieben liegt. Daher erwarten wir auch in diesem Jahr ordentliche Reallohnzuwächse für unsere Mitglieder“, so der Gewerkschafter. (Siehe Seite 8)
Foto: Frank Bsirske von ver.di, der DGBVorsitzende Rainer Hoffmann, das DGBBundesvorstandsmitglied Stefan Körzell sowie der Vorsitzende der Eisenbahn und Verkehrsgewerkschaft (EVG) Alexander Kirchner (v. l.) sind sich einig: Jetzt unterschreiben für fairen Transport in Europa!
Doch die Gewerkschaften stellen das nicht nur fest, sie haben auch konkrete Lösungsvorschläge für die einzelnen Verkehrssektoren erarbeitet. Arbeitsplatzsicherheit bei Betreiberwechsel und Direktvergabe schützen, heißt es etwa im ÖPNV. Überarbeitung der Arbeitszeitvorschriften für das fliegende Personal, einheitliche Ausbildungs und Qualifizierungsstandards werden für die zivile Luftfahrt vorgeschlagen. Rückflaggung aller ausgeflaggten
Die Gewerkschaftsvorsitzenden mit Frank Bsirske sind natürlich dabei. Doch jetzt heißt es für alle mitmachen! Unterstützt die Europäische Bürgerinitiative! Übrigens: Nicht nur, wer selbst im Verkehrsbereich arbeitet, kann mitzeichnen, sondern alle, die das Wahlalter erreicht haben.
Also: Endlich her mit fair! Wir wollen die Million schaffen!
Es kann auch online gezeichnet werden unter: sign.fairtransporteurope.de
Ziel von Fairer Transport in Europa ist es, untragbaren, zu Sozial- und Lohndumping führenden Geschäftspraktiken in diesem Sektor
ein Ende zu bereiten. Wir fordern die Europäische Kommission auf, den fairen Wettbewerb der unterschiedlichen Verkehrsträger sicherzustellen
und die Gleichbehandlung der Beschäftigten ungeachtet ihres Herkunftslandes zu gewährleisten.
(Wortlaut Register für Europäische Bürgerinitiativen der EU)
FOTO: JÜRGEN SEIDEL
2 FACHBEREICH VERKEHR 01 | 2016M E I N U N G
E D I T O R I A L
I N T E R V I E W
Verkehrsreport Nr. 1, März 2016
Herausgeber: Vereinte Dienstleistungs gewerkschaft (ver.di)
Bundesvorstand: V.i.S.d.P.: Frank Bsirske, Christine Behle
Koordination: Carola Schwirn
Redaktionelle Bearbeitung: Helma Nehrlich (transit berlin.pro media) www.pressebuerotransit.de
Redaktionsanschrift: ver.diBundesverwaltung Fachbereich Verkehr PaulaThiedeUfer 10, 10179 Berlin
Layout, Satzerstellung: VH7 Medienküche GmbH Kreuznacher Straße 62, 70372 Stuttgart www.vh7m.de
Druck: apm AG Darmstadt, Kleyerstraße 3, 65295 Darmstadt www.alphaprintmedien.de
Titelbild Seite 1: Rolf Schulten
Der ver.diFachbereich Verkehr ist auch im Internet zu finden: www.verdi.de/verkehr
I M P R E S S U M
Die Tarifrunde für den öffentlichen Dienst ist gerade gestartet. Über Hintergründe und Aussichten sprachen wir mit ver.diBundesvorstandsmitglied Christine Behle.
In welche gesellschaftliche Situation ordnet sich die Tarifrunde 2016 generell ein?Christine Behle | Zwei wesentliche Faktoren dürften die Verhandlungen beeinflussen. Zum einen die volkswirtschaftliche Entwicklung: Die wirtschaftliche Lage ist wahrlich nicht schlecht. Wir verzeichneten ein beträchtlich gestiegenes Bruttoinlandsprodukt 2015 und wachsende Steuereinnahmen. Auch für das laufende Jahr wird ein ordentliches Wirtschaftswachstum erwartet. Das heißt: diese Rahmenbedingungen sind positiv. Andererseits gilt, dass sich die öffentlichen Haushalte mit der Schuldenbremse selbst auferlegt haben zu sparen – obwohl es heute Geld so billig gibt wie kaum je zuvor. Aus ver.diSicht ist das ein fataler Fehler. Niemand will Mittel verschleudern. Aber viele Investitionen – wenn man sie jetzt vornähme – würden sich fast selber tragen. Es wäre die Zeit dafür!
Alles überlagert wird natürlich von der Flüchtlingsproblematik. Sie stellt an Bund, Länder und Kommunen große, auch finanzielle Herausforderungen. Nimmt man das alles zusammen, sind das keine einfachen Voraussetzungen für diese Tarifrunde.
Die Erwartungen bei den Beschäftigten sind aber beträchtlich…Christine Behle | Unbedingt. Zwar ist die Inflationsrate niedrig. Doch der öffentliche Dienst hat tariflich aus den vergangenen Jahren immer noch einen starken Nachholbedarf. Wir verzeichnen ja große Leistungszuwächse in den öffentlichen Verwaltungen und den kommunalen Betrieben. Aus dem seit Jahrzehnten verfügten Personalabbau resultiert noch immer Arbeitsverdichtung. Natürlich haben sich die Probleme jetzt mit den Flüchtlingszuwächsen noch verstärkt. Es sind immense zusätzliche Aufgaben auf die Beschäftigten zuge
kommen. Aus unserer Sicht ist vollkommen gerechtfertigt, dass sie für die stetig wachsenden Leistungen einen entsprechenden Gegenwert fordern, eben auch über einen anständigen Lohn.
Was die Arbeitgeber antworten, kann man da schon vorhersehen: Gerade mit den aktuellen Belastungen durch die Flüchtlingsströme werden sie versuchen, Forderungen abzuschmettern…Christine Behle | Die Gewerkschaften rechnen deshalb auch damit, dass es eine schwierige Debatte geben wird. Versuche, etwas gegeneinander aufzurechnen, gehen total fehl: Den berechtigten BeschäftigtenErwartungen stehen Gegebenheiten wie die Schuldenbremse und die Flüchtlingssituation gegenüber. Doch auch den öffentlichen Arbeitgebern dürfte klar sein, dass sie ohne motivierte und entsprechend bezahlte Beschäftigte diese Situation erst recht nicht bewältigen können.
Es gibt in dieser Tarifrunde aber auch Themen, die mit der aktuellen Situation nichts zu tun haben und längst geklärt sein könnten…Christine Behle | Stimmt. Elf Jahre, nachdem der TVÖD in Kraft getreten ist, haben wir zum Beispiel immer noch keine Entgeltordnung für den Bereich der Kommunen.
Das ist ein absoluter Skandal, für den die Arbeitgeberverbände mit unglaublichem Beharrungsvermögen gesorgt haben. Speziell im Angestelltenbereich gelten deshalb noch die Bestimmungen der alten BAT und BMTG. In vielen Punkten der Eingruppierung entspricht das überhaupt nicht mehr den neuen Gegebenheiten und BerufsbildEntwicklungen. Jetzt sind wir zum Glück auf der Zielgeraden. Für viele Beschäftigte geht es nämlich auch da um starke Lohnzuwächse. Das trifft allerdings nicht den Nahverkehr, da wurde mit den TVN bereits vor Jahren eine eigene Entgeltordnung eingeführt.
ver.di fordert sechs Prozent Lohnzuwachs. Das ist ein Spitzenwert, mehr als die IG Metall. Wird in dieser Runde das Ende der Bescheidenheit eingeläutet?Christine Behle | Ja, wir trauen uns da durchaus etwas. Aber wir halten es auch für gerechtfertigt. Wir wissen eben, dass Arbeitsbelastung und Leistungen stark gewachsen sind. Gut, einige negative Entwicklungen aus vergangenen Jahren konnten zuletzt zum Teil wieder umgedreht werden. Aber unter dem Strich bleibt: Die staatlichen Einnahmen sind hervorragend. Wir sind einfach nicht bereit, uns einer politisch gesetzten, nicht notwendigen Barriere wie der Schuldenbremse zu unterwerfen. Wir wollen ordentlich mehr Geld für die Beschäftigten! Die öffentliche Dienstleistung sollte allen im Staat etwas wert sein!
Und im Vergleich zur IG Metall, der ja gerne angestrengt wird, können wir für die letzten zehn Jahre ruhigen Gewissens sagen: Für die zweifellos guten Dienstleistungen des öffentlichen Bereichs besteht echter Nachholbedarf in Sachen Entlohnung.
Dennoch: Viele Kommunen sind gerade jetzt, auch wegen der Flüchtlingsproblematik, an einer echten Belastungsgrenze. Ist es sinnvoll, ausgerechnet jetzt so viel zu fordern?Christine Behle | Ich kann mir vorstellen, dass es dazu eine lebhafte Debatte gibt,
auch Unverständnis. Aber bevor jemand annimmt, dass ver.di den Hals nicht voll kriegt, sollte man sich überlegen: Die Kommunen geben ja nicht nur Geld aus, sie stecken Arbeit rein. Und wer macht die Arbeit? Die Beschäftigten. Sie werden über alle Grenzen hinaus belastet. Sollten ausgerechnet diese Beschäftigten in der jetzigen Situation verzichten?
Im Übrigen: Dass wir so viele Flüchtlinge aufnehmen, ist ein humanitär begründete, aber auch eine ganz bewusste politische Entscheidung der Bundesregierung. Sie muss im Gegenzug dafür sorgen, dass die Kommunen entsprechende Mitteln bekommen, um das auch bewältigen zu können. Es muss wirklich Schluss sein mit der Politik, möglichst viele Aufgaben auf die Kommunen abzuwälzen, diese aber nicht ausreichend finanziell auszustatten. Dass diese Defizite letztlich wieder die Beschäftigten bezahlen und erneut hinten runter fallen sollen, dazu sind wir nicht bereit.
Im Verkehrsbereich betrifft die Tarifrunde ganz spezielle Beschäftigtengruppen und nicht unbedingt in allen Bundesländern?Christine Behle | Richtig. Dennoch sind mindestens 50.000 Verkehrsbeschäftigte einbezogen. Zunächst betrifft das die in den kommunalen Verkehrsunternehmen in Niedersachsen, NordrheinWestfalen, Sachsen, RheinlandPfalz, Hessen und BadenWürttemberg. Sie sind in der Entgeltentwicklung an die Tarife des TVÖD angekoppelt. Hinzu kommen bundesweit die Beschäftigten auf den Flughäfen, die in der Regel den TVÖD direkt anwenden oder – sofern sie ausgegliedert sind – die entsprechende Tariferhöhung übernehmen.
Obwohl die Tarifrunde 2016 eine reine Lohnrunde ist, wird sie dennoch mit dem Thema betriebliche Altersvorsorge verknüpft. Wieso eigentlich?Christine Behle | Die Arbeitgeberseite hat Gegenforderungen zur betrieblichen Altersvorsorge auf den Tisch gebracht, auch wenn wir als Gewerkschafter dafür im kommunalen Bereich überhaupt keine Notwendigkeit sehen. Die betriebliche Altersvorsorge ist zumeist über Zusatzversorgungskassen, mitunter auch eigene Pensionskassen organisiert. Diese Kassen haben fast durchweg eine vernünftige Ausstattung, besitzen Reserven, manche haben gar große Vermögen. Eine Veranlassung, in diese einzugreifen, gibt es auch in Niedrigzinszeiten nicht. Wir weisen diese Forderung der Arbeitgeber deshalb entschieden zurück.
Die betriebliche Altersvorsorge bekommt in Zeiten, wo die gesetzliche Rente weiter absinkt, einen extrem hohen Stellenwert. Es wäre sträflich, Abstriche daran zuzulassen. Das würde nur noch mehr Menschen in Altersarmut treiben.
Aber ver.di schaut nicht nur an die Spitze, sondern auch mehr an die Basis der Alterspyramide. Die Auszubildenden sollen tariflich keinesfalls zu kurz kommen?Christine Behle | Die Azubis sollen von einer überproportionalen Erhöhung profitieren, deshalb haben wir uns entschlossen, für sie einen ordentlichen Festbetrag zu fordern. Ganz wichtig ist darüber hinaus, dass die gerade ausgelaufene Regelung erneuert wird, die den erfolgreich Ausgelernten eine verbindliche Übernahme zusicherte. Wir wollen dafür jetzt eine vernünftige Anschlussregelung.
Hellsehen geht nicht, aber ein Blick voraus auf den Verhandlungsverlauf?Christine Behle | Die Verhandlungen haben im März mit dem üblichen Schlagabtausch begonnen. Im April geht es nun richtig zur Sache. Die Arbeitgeber stellen sich quer, das wissen wir heute schon. Sie halten unsere SechsProzentForderung für überzogen und werden auf Einschnitte bei der betrieblichen Altersvorsorge bestehen. Das zeigt klar: Es wird nicht ohne Gegenwehr gehen! Wir sind unbedingt auf die Beteiligung der Beschäftigten angewiesen, wenn ein anständiges Ergebnis erzielt und der Angriff auf die Altervorsorge pariert werden soll. DIE FRAGEN STELLTE HELMA NEHRLICH
Kriegt ver.di den Hals nicht voll?
aktuell erleben wir, dass tariflich vereinbarte gute Arbeitsbedingungen, guter Lohn und der Schutz der Beschäftigten im öffentlichen Personennahverkehr Wettbewerbsinteressen zum Opfer fallen. Und das zum Nachteil der Allgemeinheit. Nach dem Stadtverkehr in Pforzheim müssen nun auch die Beschäftigten des Stadtverkehrs aus Hildesheim um den Fortbestand ihres Unternehmens bangen. In beiden Städten ist es die Deutsche Bahn, die mit Tochterunternehmen die kommunalen Verkehrsbetriebe in ihrer Existenz bedroht. Wie kann das sein?
Nach europäischem Recht können Kommunen den Nahverkehr ausschreiben oder aber direkt an ein eigenes Unternehmen vergeben (Direktvergabe). Dabei knüpfen viele Kommunen an die Verkehrsvergabe verbindliche Vorgaben für die Qualität der Verkehrsversorgung und für soziale Bedingungen. Auch gelten in vielen Bundesländern Tariftreuegesetze für den Verkehrssektor. ver.di ist es seinerzeit zusammen mit
der Europäischen Transportarbeiterföderation (ETF) gelungen, europaweit die Möglichkeit der Vorgabe von Tarifverträgen und sozialen Standards und die Direktvergabe bei der Vergabe von Nahverkehren zu verankern. Ebenso konnten wir in vielen Bundesländern entsprechende Tariftreuegesetze durchsetzen.
Doch die CDU/CSU/FDPRegierung hatte 2013 für Deutschland im neuen Personenbeförderungsgesetz einen Sonderweg erdacht, um mehr Wettbewerb zu erreichen. Dieser Weg beinhaltet den Vorrang eigenwirtschaftlicher Anträge (Verkehre), der die Vorgabe von Qualitäts und Sozialstandards, beziehungsweise die Direktvergabe an eigene Unternehmen und damit Tariftreuegesetze, sofort verdrängt. Das bedeutet: Bei uns dürfen die Kommunen nicht frei entscheiden, wie der ÖPNV gestaltet sein
soll. Sie sind gezwungen, Billigangebote anzunehmen, die sich an keinerlei sozialen Standards oder Tariftreuegesetzen orientieren müssen. Sie verlieren damit zugleich jede Mitsprache bei der Durchführung des Verkehrs, was zulasten der Nutzer gehen dürfte. Und die Beschäftigten verlieren im schlimmsten Fall ihren Arbeitsplatz. Oder ihre Arbeitsbedingungen und Löhne – also ihre erkämpften tarifvertraglichen Rechte – werden dem Wettbewerb geopfert.
Ein Stück aus dem Tollhaus: ein großes öffentliches Unternehmen, die Deutsche Bahn AG, drückt über Billigangebote (eigenwirtschaftliche Verkehre) öffentliche Nahverkehrsunternehmen aus dem Markt. Das ist nichts anderes als Wettbewerbskannibalismus; das geht zulasten der Nutzer, der Beschäftigten, der Kommunen und der Tarifbindung. Das muss sich ändern.
FRANK BSIRSKE, ver.di-VORSITZENDER | FOTO: KAY HERSCHELMANN
FRANK BSIRSKE
Ein Stück aus dem Tollhaus: die Deutsche Bahn drückt über Billig angebote öffentliche Nahverkehrs unternehmen aus dem Markt.
Die gewerkschaftliche Lohnforderung trägt den gestiegenen Leistungen der Beschäftigten Rechnung
CHRISTINE BEHLE | FOTO: DIE HOFFOTOGRAFEN
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Kommunalverkehr sind über 130.000 Menschen beschäftigt und in den kommenden Jahren wird über die Hälfte der Verkehrsverträge neu vergeben. Deshalb fordern wir noch in dieser Legislaturperiode des Deutschen Bundestags von den politischen Parteien im Bund wie in den Bundesländern, den Vorrang eigenwirtschaftlicher
Verkehre wieder abzuschaffen. Dafür werden wir uns gemeinsam mit aller Kraft einsetzen!
Euer
3
Kristin Nolden (24), stellv. JAVVorsitzende Kölner Verkehrsbetriebe
„Ich lerne bei den Kölner VerkehrsBetrieben im 2. Lehrjahr Industriekauffrau. Ich möchte meine Ausbildung im Sommer vorfristig abschließen und mir im Unternehmen eine berufliche Perspektive aufbauen. Zur Zeit bekomme ich mit meiner kleinen Familie 905 Euro Ausbildungsvergütung. Doch auch andere Azubis haben schon ein Kind, wohnen allein oder brauchen – wie ich – für einen weiten Anfahrtsweg ein Auto. Wir als Jugend und Auszubildendenvertreter unterstützen die Forderung nach einem Festbetrag für Azubis in dieser Tarifrunde. Eine prozentuale Erhö
hung würde bei unseren Bruttoeinkünften kaum etwas bringen. Außerdem: Es geht ja darum, den öffentlichen Dienst für junge Leute attraktiv zu machen. Woher soll der Nachwuchs kommen, wenn in der Chemiebranche, bei Banken oder Versicherungen von Anfang an viel mehr verdient wird? Deshalb ist für uns in der Tarifrunde auch eine Übernahmeregelung sehr wichtig. In unserem Betrieb sieht es für Ausgelernte zwar nicht schlecht aus, im technischen Bereich wird jetzt schon zu fast 100 Prozent übernommen, und das unbefristet. Der Personalbedarf wird durch die demografische Entwicklung weiter wachsen. Aber tarifvertragliche Übernahmeregelungen sind natürlich noch besser. Sie bringen planbare Zukunftsperspektive. Sie gestatten uns Jungen, Berufserfahrung, die überall erwartet wird, auch zu sammeln. Und sie würde für alle gelten. Da denken wir sehr solidarisch auch an andere Unternehmen, wo es für Azubis nach der Ausbildung nicht so gut aussieht.“
Thomas Oberwinter (38), ver.di Vertrauensmann und Betriebsratsmitglied, KVB AG
„Vereinfacht gesagt, arbeite ich als Signalelektroniker. Ich bin für die rechnergesteuerten Fahrsignalanlagen und Stellwerke bei der KVB AG zuständig, seit 2011 als Dienststellenleiter. Da kann man zwar viel am Computer regeln, Störungen muss man oft aber vor Ort beheben. Ich bin seit 1996 im Unternehmen, habe hier bereits meine Ausbildung absolviert, und meine Arbeit hat mir immer viel Spaß gemacht – zumal ich mittlerweile natürlich einen ziemlich guten Überblick habe. Auch der technische Wandel in der Signaltechnik ist spannend. Inzwischen haben wir mit 11 fast viermal so viele elek
tronische Stellwerke wie noch im Jahr 2000 und 13 oberirdisch liegende Fahrsignalanlagen.
Die Forderung in der Tarifrunde ist für mich angemessen, auch wenn die Arbeitgeber sie natürlich überzogen finden. Doch wir leisten ordentlich was. Mir liegt auch dran, dass die Schere zwischen Gering und Besserverdienenden nicht weiter aufgeht. Da sind Festbeträge für Azubis und Praktikanten ein Anfang. Und was die RentenZusatzversorgung angeht, da gibt’s überhaupt nichts dran zu rühren. Wir sind alle froh, dass es sie gibt. Auch bei mir hat sich über die Jahre schon etliches in der betrieblichen Altersvorsorge angesammelt, sie ist Teil der Lebensplanung, war bisher eine ‚sichere Bank’ und soll das auch bleiben! Ich bin bereit, für unsere Tarifziele auch zu kämpfen. Sollte sich in den Verhandlungen nichts bewegen, sind wir notfalls auf Streik vorbereitet. Wir hoffen, dass die Medien mitziehen und unseren Fahrgästen die Notwendigkeit auch klargemacht wird. Denn öffentlichen Nahverkehr legt man nicht gern lahm, sondern nur, wenn es sein muss.“
Gespräche sind das Eine – wir können aber auch Zeichen setzenIm Betriebsratsbüro des Flughafens hat sich eine Runde von ver-di- Vertrauensleuten, Betriebsratsmit-gliedern und ver.di-Sekretären zu-sammengefunden. Es sei eine eher schwierige Tarifrunde im öffentlichen Dienst, die jetzt angelaufen sei. Aber eine, die es in sich habe, ist man sich einig. Sven Schwarzbach ist zuver-sichtlich, dass die Feuerwehrleute den „Einstieg schaffen“ in eine tarifliche Regelung, die ihren körperlichen Be-lastungen und dem demografischen Bedingungen Rechnung trägt. Er setzt auch auf die „Durchsetzungskraft“ der Berufsgruppe, die notfalls einen Flughafen komplett lahmlegen könn-te. Doch so weit muss es nicht kom-men. „Wir sind gesprächsbereit“, meint Marco Steinborn. Der ver.di-Vertrauensleutesprecher der KVB AG und Betriebsrat weiß: „Manche sind der Auffassung, dass die Forderungen hoch sind.“ Doch die Beschäftigten im öffentlichen Dienst seien nicht die-jenigen, an denen sich „die verfehlte Haushaltspolitik der vergangen Jahre gesundschrumpfen“ ließe. „Wir sind arbeitskampffähig“, sind er und Ken-an Millihuzin, der für die KVB zustän-dige Gewerkschaftssekretär, einig: „Wenn die Arbeitgeber ein Zeichen brauchen, werden sie es bekommen!“
Nüretdin Aydin, Aufsichtsrats- und freigestelltes Betriebsratsmitglied bei der Flughafen GmbH, liegen seine Kollegen bei den Gepäckdiensten be-sonders am Herzen: Auch wenn es Hilfsmittel wie Vaculex-Vorrichtungen im Gepäckkeller gibt: Der Arbeitsdruck ist weiter gestiegen. Innerhalb von 30 Minuten muss eine Maschine be- oder
entladen sein. „Unsere Leute wollen mehr Geld sehen, ganz klar. Für sie ist die jetzige 6-Prozent-Forderung noch moderat. Aber mit einem ordentlichen monatlichen Festbetrag könnten sie auch leben“, so Aydin. Dass die Bodenverkehrsdienstleister – bis auf etwa 150 Leiharbeiter – in Köln-Bonn noch direkt bei der Flughafengesell-schaft angestellt sind und Ausglie-derungen bisher verhindert werden konnten, sieht er als gemeinsamen Erfolg. ver.di, die Aktiven vor Ort, Be-triebsräte und die gewerkschaftlichen Vertreter im Aufsichtsrat ziehen da auch künftig am selben Strang.
Einig sind alle, dass in der Tarif-runde ein Angriff auf das Leistungs-recht der betrieblichen Altersver-sorgung – „ein ganz hohes Gut“ – gemeinsam abgewehrt werden muss. „Jeglicher Eingriff in die Zusatzver-sorgungskassen muss unterbunden werden“, betont Frauke Bendokat, ver.di-Betreuungssekretärin für den Flughafen. „Schon an der gesetz-lichen Rente wird permanent gedreht. Umso weniger dürfen wir uns das zweite Standbein beschädigen las-sen.“ Es gäbe keinerlei Grund zu Ein-schnitten, „zumal die Zusatzver-sorgungskasse Köln auch finanziell sehr gut aufgestellt ist.“
FACHBEREICH VERKEHR 01 | 2016
… so lautet das Motto des StadtwerkeKonzerns in der Rheinmetropole. „Da für Köln“ sind vor allem Tausende Beschäftigte im kommunalen Energieunternehmen, in Häfen und Güterverkehrsgesellschaft, bei der Abfallwirtschaft, in den Bäderbe
Da sein für KölnA K T U E L L E S
Ein Besuch mit Blick auf die im März gestartete Tarifrunde im öffentlichen Dienst
trieben und der Wohnungsgesellschaft. Ganz wichtig auch: Die Kölner VerkehrsBetriebe AG mit rund 3.300 Mitarbeitern, die jährlich 275 Millionen Fahrgäste bewegen. Mit Linie 161 auch zum Köln Bonn Airport. Da der Flughafen als „gemischtöffent
liches Unternehmen“ zu über 30 Prozent mehrheitlich der Stadt Köln gehört, sind auch die 1.800 direkt bei der Flughafengesellschaft Beschäftigten Teil der aktuellen Tarifrunde im öffentlichen Dienst. Wir sprachen mit Beteiligten und Betroffenen.
Die Feuerwehrleute in den beiden AirportFeuerwachen üben den Traumberuf vieler Jungen aus. Und sie sind mit höchstem Engagement bei der Sache. „Safety first“ heißt es. Ohne funktionierende Feuerwehr darf hier kein Flugzeug starten oder landen. Mit dieser Verantwortung, aber auch gesundem Selbstbewusstsein gehen die Männer zu Werke. Innerhalb von drei Minuten müssen sie im Ernstfall an jedem Ort des 1.000 Hektar großen Flughafens sein. Unter allen Bedingungen, auch nachts. „Ein Feuerwehrmann schläft nie, er ruht“, erklären sie mit Blick auf ihren täglich wechselnden 24StundenDienst. Eine Schicht umfasst je acht Stunden Arbeit, Bereitschaftsdienst und Ruhezeit. Die 100 Männer der Flughafenfeuerwehr trainieren ständig, halten sich selbst mit einer Stunde Dienstsport täglich körperlich fit und warten ihre moderne Technik permanent. „Wie ein riesiger Werkzeugkasten“ sieht so ein Löschfahrzeug innen aus. Oberfeuerwehrmann Marc Helfer erklärt: Jedes Teil wird funktionstüchtig gehalten und hat seinen festen Platz. Das wird mit Checklisten je nach Fahrzeugtyp überprüft. Denn es gibt „wasserführende Fahrzeuge“, darunter hilfeleistende Löschfahrzeuge, am häufigsten im Einsatz sind die Rettungswagen, danach die Fahrzeuge, die Ölspuren beseitigen. „Florian 21“ etwa ist eigentlich eine riesige leiterfahrbare Treppe, die auch an den größten Airbus angelegt werden kann. Der Stolz der Feuerwehrleute aber sind die riesigen „Panther“. Sie sind die „Speerspitze“ für die Flugzeugbrandbekämpfung, haben zwei 700 PSMotoren, einen 12.500Liter Wassertank und zwei Schaummitteltanks. Zu den ausfahrbaren Rettungsgeräten auf dem Dach zählt ein CobraSchneidsystem,
Ein Feuerwehrmann schläft nie...
das eine Flugzeughülle in kürzester Zeit durchtrennen kann.
Doch nicht nur der Einsatz der Technik, auch die Funktionsverteilung der Löschtrupps beim Einsatz liegt fest. Der, der fährt, ist etwa zugleich Maschinist, der die Pumpe bedient und die Einsatzstelle sichert. Jedem ist klar, was er zu tun hat. Doch 25 bis 30 Kilogramm wiegt allein die Ausrüstung am Mann: Stiefel, Anzug, Helm und Atemschutzgerät. Wenn noch Gerätschaften zu tragen sind, werden schnell 60 Kilogramm erreicht. Und es gilt: „Die TwinpackAtemschutzgeräte geben mir etwa eine halbe Stunde Sauerstoff. Ich muss meine Einsatzzeit genau einteilen, denn für den Rückweg vom Brandherd muss ich doppelt so viel Zeit einplanen wie für den Hinweg.“ Nicht nur solche Regeln müssen die Männer verinnerlicht haben, sie müssen auch mit verschiedensten Materialien und Werkzeugen umgehen, über
Messgeräte in einer kleinen mobilen Einsatzzentrale vor Ort chemische Stoffe bestimmen können, müssen als Rettungssanitäter und im vorbeugenden Brandschutz einsetzbar sein. Und sich ständig weiterbilden. Der 19jährige Justin Kapellen und drei weitere FeuerwehrmannAnwärter, die gerade im 2. Lehrjahr ihre IHKAusbildung absolvieren, haben das Problem noch nicht, aber für manch Älteren wird es existenziell: Jeder muss regelmäßig eine Prüfung auf Atemschutztauglichkeit ablegen, ab 50 jährlich. Besteht ein Feuerwehrmann die nicht mehr, ist er nicht mehr alarmdiensttauglich. Was dann? In Köln/Bonn bemüht man sich, individuell andere Einsatzmöglichkeiten zu finden, weiß Unterbrandmeister Achim Kann. Dann ver lieren die Leute allerdings ihre Zulagen, 1.000 Euro Einbußen im Monat sind keine Seltenheit. Und: Eine generelle Lösung ist das nicht. Feuerwehrmann, Betriebsrats und Aufsichtsrats
mitglied Sven Schwarzbach erklärt: „Bei einer Werksfeuerwehr wie der unseren liegt das Rentenalter bei 67 Jahren. Ab 60 – da geht man als Beamter bei der öffentlichen Feuerwehr in Ruhestand – ist man eigentlich nicht mehr atemschutztauglich. Es muss also eine Lösung für ältere Kolleginnen und Kollegen her – am besten eine tarifliche.“ Deshalb haben die ver.diMitglieder bei Flughafenfeuerwehren für die TVÖD
Tarifrunde 2016 auch spe zielle Forderungen aufgemacht. Sie möchten tarifvertraglich vereinbaren: Prävention – bezahlten Dienstsport während der Arbeitszeit; Regelungen und Bestandsschutz bei zeitlich oder dauerhaft eingeschränkter Atemschutzuntauglichkeit. „Safety first“ gilt schließlich auch für die Feuerwehrleute selbst.
TEXTE: HELMA NEHRLICH FOTOS: JÜRGEN SEIDEL
EINIG IN SACHEN TARIFRUNDE: FRAUKE BENDOKAT, KENAN MILLIHUZIN, MARCO STEINBORN, SVEN C. SCHWARZBACH UND NÜRETDIN AYDIN (V.L.)
4 L U F T V E R K E H R FACHBEREICH VERKEHR 01 | 2016
FOTO: KAY HERSCHELMANN
Unser Mann fürs Knifflige: Verbindlich, ruhig und freundlich ist Markus Müller, wie sich das für einen erfahrenen ChefSteward gehört.
Seit 27 Jahren übt er seinen Beruf in der Kabine aus, ab 1999 als Purser bei der Condor Flugdienst GmbH. Doch wer hört, was Müller sonst noch alles tut, wundert sich wohl, dass der Mann nicht permanent in Hektik gerät: Als Kabinenbeschäftigter arbeitet er seit Langem in der CondorPersonalvertretung, dem Wirtschaftsausschuss und in der ver.diTarifkommission für die Airline mit. Auch im Europäischen Betriebsrat der Thomas Cook Group ist er Mitglied. Er kennt sich bestens mit Mitbestimmung und den nationalen rechtlichen Grundlagen dazu aus, mit dem Betriebsverfassungsgesetz und diversen Ausnahmen für den Luftverkehr – die „gehören endlich ab geschafft!“ – meint er. Weil Müller darüber hinaus Erfahrungen mit den europäischen Regelungen besitzt, hat ver.di ihn in die European Cabin Crew Community entsandt. Das ist die europäische Gewerkschaftsvertretung für das Kabinenpersonal unter dem Dach der Europäischen TransportarbeiterFöderation (ETF). So weiß Markus Müller genau, dass Flugzeugbesatzungen von nationalen Arbeitszeitregelungen – wie dem deutschen Arbeitszeitgesetz – ausgenommen sind und stattdessen europäischen Richtlinien unterliegen. Und er hat erfahren, dass Verhand lungen, die deshalb auf europäischer Ebene stattfinden müssen, mitunter viel härter ausgetragen werden als nationale Tarifverhandlungen. Man brauche deshalb „tierisches Interesse“ an solchen Dingen und sollte viel Stehvermögen mitbringen. Dafür sei es auch spannend, sich auf europäischem Parkett zu bewegen und vor allem dringend nötig, Verbesserungen für Besatzungen europaweit durchzusetzen.
Dass Müller sich viel Hintergrundwissen aneignet und selbst in turbulenten Situationen den Überblick bewahrt, nützt ihm auch als ehrenamtlicher Richter. Erst kürzlich ist er in dieser Funktion vom Berliner Arbeitsgericht ins Landesarbeitsgericht Berlin/Brandenburg „aufgestiegen“. NEH
Neu in der Crew:Hülya Grünefeld ist bei ver.di ab sofort für Tariffragen der Kabinenbeschäftigten im Luftverkehr zuständig.
Auf ihrem Schreibtisch liegen Tarif-material und EU-Verordnungen. Hülya Grünefeld liest sich ein. Zum 1. März hat sie in der ver.di-Bundesverwaltung auf einem für sie ganz neuen Arbeits-gebiet angefangen: Sie wird sich als ver.di-Sekretärin ab sofort um die Tariffragen für die Kabinenbeschäftig-ten im Luftverkehr kümmern und fin-det das „total spannend“. Mit einem
Bereich, wo es konkurrierende gewerk-schaft liche Vertretungen gibt, hatte sie zuvor schon zu tun, als sie bei ver.di in Stuttgart für den Bereich Finanzdienst-leistungen tätig war.
Eigentlich stammt die 32-Jährige aus Heilbronn. Sie hat zunächst eine Ausbil-dung zur Krankenschwester absolviert und drei Jahre auf einer Onkologie-Station im Schichtdienst gearbeitet. Sie war dort in der Jugend- und Auszu-bildendenvertretung und im Betriebs-rat aktiv. Dann begann sie, in Hamburg Sozialökonomie zu studieren und schloss das Studium 2012 mit einem
Bachelor of Arts ab. „Nebenbei“ war sie ehrenamtlich bei ver.di sehr aktiv, etwa als stellv. Bundesvorsitzende der ver.di Jugend. Und eine Weltreise un-ternahm Hülya außerdem…
Doch schon seit geraumer Zeit zog es sie privat mehr und mehr in die Hauptstadt. Mit der neuen Stelle ist die „Pendelbeziehung“ zwischen Stuttgart und Berlin jetzt Richtung Norden entschieden. Aber wer weiß, zumindest der Flughafen in Stuttgart gehört im weitesten Sinne noch immer zu ihrem Arbeitsfeld. Und Hülya liest sich nicht nur ein, sondern lernt jetzt auch ver.di-Kabinenbeschäftigten in den verschiedenen Airlines bei ihrer Arbeit kennen. NEH
Am 17. Februar 2016 ist die neue Flugdienst und Ruhezeitenregelung der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) europaweit in Kraft getreten. Das ist ein großer Erfolg. Auch wenn die Airlines die endgültige Umsetzung der Richtlinie über die ohnehin zweijährige Übergangsfrist hinaus noch bis April dieses Jahres verzögert haben: Nun kommt sie unwiderruflich. Und sie bringt wesentliche Verbesserungen.
Viele Jahre hat es allerdings zuvor gedauert, bis man zu einer gemeinsamen, verständlichen Regelung gekommen ist. Erarbeitet wurde sie von Vertretern europäischer Fluggesellschaften, einer Expertengruppe, EASABevollmächtigten und nicht zuletzt Vertretern der europäischen Gewerkschaften, darunter den in der Europäischen TransportarbeiterFöderation (ETF) verbundenen. In der ETF gibt es einen Arbeitskreis der europäischen Flugbegleiter und Cockpitbesatzungen, in den ich für ver.di entsandt bin.
Die bisherige EUOperationsRegelung läuft aus. Wir haben uns besonders mit dem dortigen Abschnitt „Q“ auseinandergesetzt, der die Flugdienst und Ruhezeiten regelt. Viele Teilnehmer wollten Verbesserungen, wir konnten auch auf Erfahrungen aus Ländern wie Frankreich verweisen, wo es vergleichsweise schon sehr gute Bestimmungen gibt. Aber es war nicht einfach, die unterschiedlichen Interessen unter einen
Hut zu bringen. Vor allem die Vertreter der Fluggesellschaften sahen sich in ihrer Flexibilität eingeschränkt und prophezeiten wirtschaftliche Katastrophen. Wir Gewerkschaftsvertreter betonten immer wieder den Aspekt von Gesundheitsschutz und Flug sicherheit und versuchten, die Mitglieder des Europäischen Parlaments vom Nutzen neuer, verantwortungsvoller Regeln zu überzeugen. Mit Parlamentsmitgliedern aus sieben Ländern haben wir debattiert. Ich selbst sprach auch mit dem damaligen Vorsitzenden des Verkehrsausschusses.
Ruhezeiten zwischen Bereitschaftsdiensten geregelt
Flugsicherheit stand für uns ganz obenan. Kaum jemandem ist zum Beispiel klar, dass Crewmitglieder nach bisherigen deutschen Regelungen mehrere Tage hintereinander je 24 Stunden Bereitschaftsdienst haben und dann in letzter Minute noch zur maximalen Flugdienstzeit aktiviert werden konnten. Ein Unding! Erarbeitet wurde nun eine neue europäische „Bereitschaftsdienstregelung“, die erstmals „entspannende“ Faktoren enthält: Eine maximale Dienstlänge und Ruhezeiten zwischen den Bereitschaftsdiensten. Außerdem muss jetzt die Zeit berücksichtigt werden, die ein Besatzungsmitglied schon wach ist. Das kann die noch zu leistende maximale Flugdienstzeit merklich verkürzen.
Auch die hinzugezogenen Experten bemühten sich sehr, die Arbeitgebervertreter
von den Gefahren zu überzeugen, die vor allem von der Ermüdung ausgehen. Es gibt dazu mittlerweile sehr aussagefähige Studienergebnisse, zum Beispiel den sogenannten „Moebius Report“. Mit Fakten daraus gelang es in den Verhandlungen auch, die maximale Flugdienstzeit in der Nacht weiter zu reduzieren. Um geringe zulässige Abweichungen etwa für Nachtdienste nutzen zu können, müssen die Fluggesellschaften künftig einen Nachweis bringen. Generell wird ein „Fatigue Risk Management System“ eingeführt, um Gefahren durch Ermüdung von Flugpersonal entgegenzuwirken. Jedes Besatzungsmitglied ist verpflichtet, einen „Ermüdungsreport“ zu erstellen, wenn es sich durch den Flugdienst besonders belastet fühlt. Und niemandem darf daraus ein Nachteil entstehen!
Der sogenannte Kommandantenentscheid, mit dem bisher leicht zwei Stunden Zusatzdienst bis auf maximal 15 Stunden angeordnet werden konnten, ist ebenfalls neu geregelt.
Neu: Ein Blick auf die innere Uhr der Besatzungsmitglieder
Hinzu kommt: Die Ruhezeiten werden zum Teil völlig neu berechnet. Ging man bislang ausschließlich von der vorausgegangenen Flugdienstzeit aus, so wird jetzt zusätzlich die „innere Uhr“ des Besatzungsmitgliedes beachtet. Bei einer Zeitzonenüberschreitung größer als zwei Stunden errechnet sich die
Wir tun etwas gegen ErmüdungDie neue europäische Flugdienst und RuhezeitenRegelung ist in Kraft getreten
Ruhezeit auch danach, in welchem Zustand sich der Körper des Kabinenpersonals befindet. Dabei wird grundsätzlich von der örtlichen Abflugzeit ausgegangen. Für die Berechnung der Maximalarbeitszeit ist mit 110 Stunden innerhalb von 14 Tagen außerdem eine neue Grenze eingezogen worden.
Völlig neu ist die Regulierung von Ruhemöglichkeiten an Bord. Nun ist erstmals bestimmt, wie die Ruhemöglichkeiten an Bord beschaffen sein müssen und wie viele Ruhezeiten zu gewähren sind. Da einige Airlines ein Veto einlegten, muss die vollständige Umsetzung dieser Bestimmungen in Deutschland und einigen anderen EULändern allerdings erst bis Februar 2017 erfolgen.
Wir als ver.diVertreter arbeiten weiter mit den europäischen Arbeitsgruppen der ETF zusammen, um die nun gültige EASARegelung künftig noch sicherer zu gestalten. Da werden Erfahrungen nützlich sein, wie die neue Regelung sich praktisch bewährt und was sich bei der Umsetzung zeigt. Außerdem gibt es auch Forderungen, die wir für wichtig halten, aber bisher nicht durchsetzen konnten: Etwa eine Regelung zu Nachtdiensten in Folge, Ruhe Pausenmöglichkeiten auf der Kurz und Mittelstrecke, sowie eine Verringerung der sogenannten „Awaketime“. Jedenfalls werden wir Gewerkschafts vertreter bestimmt nicht „müde“, uns weiter für unsere Mitglieder beim fliegenden Personal und überhaupt für einen sicheren Luftverkehr einzusetzen. MARKUS MÜLLER
FOTO: EU
FOTO: PRIVAT
5FACHBEREICH VERKEHR 01 | 2016 L U F T V E R K E H R
+++ Tarifmeldungen Luftverkehr +++Piloten am DHLHub Leipzig jetzt mit Tarifvertrag
Nach langwierigen Verhandlungen ist es zu Jahresbeginn gelungen, erstmals einen Mantel und Entgelttarifvertrag für die Besatzungsmitglieder der European Air Transport Leipzig GmbH (DHL) durchzusetzen. Die ver.diMitglieder haben sich mit deutlicher Mehrheit für die Annahme des Gesamtpakets ausgesprochen, das die Arbeits und Einkommensbedingungen aller auf der Basis Leipzig beschäftigten Pilotinnen und Piloten ab 1. Januar 2016 sichert.
Beim Entgelt konnte u. a. durchgesetzt werden, dass die Grundvergütungen in drei Stufen bis zum 1. April 2018 um je zwei Prozent steigen, dass der bisher
variable Bonus fix auf die Entgelte umgelegt wird und dass jährlich Senioritätssteigerungen fortgeführt werden. Die Manteltarifregelungen bringen eine Erhöhung des Urlaubsanspruchs, Verbesserungen bei der Arbeitszeitplanung, freie BlockWochenenden, längere Ruhezeiten bei Wechsel des Tag und Nachteinsatzes und weitere Verbesserungen.
Die ver.diTarifkommission EAT Piloten und Verhandlungsführer Holger Rößler schätzen ein, dass Kern forderungen im Interesse der Besatzungen durchgesetzt und mit dem Tarifwerk eine solide Basis für die Zukunft ge schaffen werden konnten. Eine Regelung zur arbeitgeberfinanzierten Altersversorgung und zum Altersübergang steht aus und bleibt weiter auf der Tages ordnung.
Bei Condor werden Vergütungen für Kabine, Boden und Technik verhandelt
Bei der Condor Flugdienst GmbH, der viertgrößten deutschen Fluggesellschaft, müssen die Vergütungen für die Kabinenbeschäftigten sowie die Beschäftigten von Boden (CFG Boden) und Technik (CIB Technik) neu verhandelt werden. Die ver.diTarifkommis sionen hatten zuvor die fristgerechte Kündigung der Tarifverträge zum 31. Dezember 2015 bzw. 31. März 2016 beschlossen.
Für das Kabinenpersonal laufen seit Monaten auch Verhandlungen über Änderungen der Manteltarifverträge, die sich aus den Neuregelungen der Flugdienst und Ruhezeitenregelung der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA OPS) ergeben. Dazu sind mehrere
ArbeitszeitBlockModelle in der Diskussion. ver.di strebt an, dass die Beschäftigten gleiche Bedingungen und Planstabilität, aber auch individuelle Wahlmöglichkeiten erhalten.
Berliner Flughafenbeschäftigte fordern 5,5 Prozent
Mit einer Forderung von 5,5 Prozent ist ver.di in die VergütungsTarifrunde 2016 für die Beschäftigten der Berliner Flughäfen gestartet, die seit Ende Februar läuft. Neben der Entgeltsteigerung mit linearer Tabellenerhöhung geht es der gewerkschaftlichen Tarifkommission auch um Urlaubsgeld und Vorarbeiterzulage. Für die befristet Beschäftigten soll eine tariflich gesichertere Perspektive und Freizeitausgleich bei Mehrarbeit durchgesetzt werden.
Bislang keine Annäherung bei Tarifen für Cockpit und Kabine von easyJet
Die seit November 2015 laufenden Vergütungstarifverhandlungen für die Cockpit und Kabinenbeschäftigten von easyJet Berlin/Hamburg gestalten sich äußerst schwierig. Die ver.diTarifkommission hat nach Mitgliederbefragungen Vorschläge für Entgeltsteigerungen und eine differenzierte Entgeltstruktur vorgelegt. Das Gegenangebot der Arbeitgeberseite sei allerdings weit von diesen Forderungen entfernt und trage den gestiegenen Lebenshaltungskosten keine Rechnung. Auch bei den parallel laufenden Manteltarifverhandlungen, wo es unter anderem um Arbeitszeit regelungen und eine betriebliche Alters versorgung geht, gibt es bislang kaum Annäherung.
800 Gepäckstücke bewegt jemand wie Chris im Schnitt pro Schicht. Da können locker eineinhalb Tonnen Gewicht zusammenkommen. Guinnessbuch? Vergiss es, das ist bei Ladern im Bodenverkehrsdienst auf dem Frankfurter Flughafen ganz normal. Freilich spüren sie die Lasten abends im Rücken. Manchen drückt schon morgens Nervosität auf den Magen und fast allen sitzt tagsüber der Zeitdruck im Nacken. Das Schlimmste aber: Wenn einer wie Chris zum Feierabend zusammenrechnet, was er heute verdient hat, kommt meist nicht mal ein Hunderter zusammen. Für eine solche nur durch Warten unterbrochene Schufterei! Acciona, der zweite große Bodendienstleister auf dem Frankfurter Flughafen, zahlt Ladern nach zwei Jahren 11,65 Euro pro Stunde. Da landet mit Zuschlägen
2.000 Antworten auf Fragebögen waren auszuwerten: ver.di hatte im Sommer 2015 Beschäftigte von Ram
Kein Schuften ohne Aussicht
Tempo vor Gesundheit und Sicherheit?
ver.di führt den Kampf um eine menschenwürdige Altersrente
ver.di befragte Beschäftigte der Bodenverkehrsdienste – Tarifvertrag „Gesund und sicher im BVD“ geplant
trotz 40StundenWoche am Monatsende mal gerade soviel auf dem Konto, dass Chris damit auskommt, ohne sich zwingend noch einen Zweitjob suchen zu müssen. Es ist immer noch mehr als bei seiner Freundin Jule, die jetzt in die gleiche Firma gewechselt ist und vor ein paar Wochen am CheckIn für 9,82 Euro angefangen hat. Große Sprünge können beide nicht machen. Schon gar nicht sparen oder zusätzlich was für die Altersvorsorge abknapsen. Wenn es soweit ist, wird Chris kriegen, was ihm die Rentenversicherung ausrechnet. Keinen Cent mehr. Ob er diesen Job bis 67 durchhalten kann, ist ohnehin fraglich. Wenn nicht, drohen Abschläge. Zu seinem regulären Rentenbeginn 2038 hätte er zwar 45 Beitragsjahre, bekäme aber kaum mehr als 800 Euro Rente. Jule, mit ihren Beitragslücken,
pe, Vorfeld und Passage sowie CheckIn von zehn bundesdeutschen Flughäfen befragt – egal, ob sie in
wird die 45 Jahre nicht voll bekommen. Wenn sich an ihrem Verdienst nichts ändert, landet sie als Rentnerin bestenfalls auf HartzIVNiveau.
Zugegeben. Unsere Beispiele sind fiktiv. Doch die Fakten sind real. Im bundesdeutschen Schnitt beliefen sich die Altersbezüge 2014 auf knapp 800 Euro. „Neurentner“, die 2014 in Rente gingen, erreichten durchschnittlich nur 750 Euro. Sofern diese Senioren in 22 Jahren, wenn „Chris“ in Rente geht, noch leben, hätten ihre Renten bei einer durchschnittlichen Teuerungsrate von 2 Prozent noch eine Kaufkraft von unter 500 Euro. Gut, so einfach ist das alles nicht. Inflationsraten oder Rentensteigerungen lassen sich so wenig prognostizieren wie eventuelle Tariferhöhungen bei Jule und Chris. Fest steht aber zum Beispiel, dass sich die Zahl der „Armutsrentner“, also derer, die neben ihrer Rente
noch Leistungen der Grundsicherung beziehen müssen, in den vergangen zehn Jahren fast ver doppelt hat. Wurden 2005 bundesweit 343.000 solche Senioren gezählt, waren es 2015 schon 512.000. Sozialverbände gehen davon aus, dass die Zahl der Armutsrentner eigentlich noch höher ist, weil viele gar keine Anträge stellen oder ihre schmale Rente durch weitere Erwerbstätigkeit aufbessern. Über eine Million Rentner tun das, oft aus reiner Not. Und Studien des DGB rechnen vor, dass die Zahl der Neurentner, die auf Grundsicherung angewiesen sind, in den nächsten 15 Jahren auf 30 Prozent steigen könnte…
Alles keine guten Aussichten für Jule und Chris. Sie haben sich auf den legendär gewordenen NorbertBlümSatz „Die Rente ist sicher“ verlassen. Lange Zeit galt das deutsche Rentensystem auch inter national als vorbildlich. Doch mittlerweile wird es immer mehr ausgehöhlt.
Statt etwa Rentenansprüche von früheren DDRBürgern als gesamtstaatliche Aufgabe zu sehen und sie aus Steuermitteln zu finanzieren, wurden sie dem Rentensystem übergeholfen und das damit überfordert. Eine Rentenreform jagte seither die Nächste. Das Ergebnis: Das Rentenniveau, was gegenwärtig etwa bei 48 Prozent des Durchschnittseinkommens liegt, wird bis 2030 auf 43 Prozent sinken. Auch die Änderungen, die die Große Koalition auf Initiative von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles 2014 beschlossen hat, retten wenig. Die Altersgrenze für die vielbeschworene „Rente mit 63“ gilt etwa nur für vor 1953 Geborene. Damit hat sie sich schon fast erledigt. Von der „Mütterrente“ profitieren gerade besonders bedürftige Frauen nicht, weil diese Rentenpunkte voll auf die Grundsicherung angerechnet werden.
ver.di hat den Kampf für eine menschenwürdige Altersrente deshalb nun ganz oben auf die Tagsordnung gesetzt. „Die Entwicklung des Rentenniveaus ist eine der zentralen sozialpolitischen Aufgaben der nächsten Jahre“, sagt ver.diVorsitzender Frank Bsirke. Nachdem der Mindestlohn durchgesetzt sei, gehe es jetzt um Alterssicherung. Zwei Wege gibt es: Zum einen steuert ver.di tarifpolitisch dagegen und versucht überlall, wo das durchsetzbar ist, höhere Entgelte zu vereinbaren, die auch höhere Rentenbeiträge bedeuten. Gerade in den Bodenverkehrsdiensten ist das ziemlich schwer, aber erste bundesweite Schritte zu einer Tarifkommission sind getan (siehe untenstehender Beitrag). Tariflich können außerdem Vereinbarungen zur Altersvorsorge in Betrieben und Konzernen ausgehandelt werden. Das klappt freilich nur dort, wo ver.di stark ist und Kolleginnen und Kollegen das durchfechten. Doch ver.di wird auch den Gesetzgeber nicht aus der Verantwortung lassen: Mit Druck auf Politik und Wirtschaft soll dafür gesorgt werden, dass alle Beschäftigten – also auch die im Verkehrssektor Tätigen – nach einem langen Arbeitsleben eine auskömmliche Rente bekommen. So hat es auch der ver.di Kongress beschlossen. Und das ist Ziel der ver.diKampagne gegen Altersarmut. NEH
FOTOS (2): JÜRGEN SEIDEL
Voll oder Teilzeit, als Stammbeschäftigter, befristet oder als Leiharbeiter tätig sind. Inzwischen liegen die Ergebnisse vor. Sie können nicht überraschen, dennoch blieben die Problem lange Zeit eher „unsichtbar“. Nun liegen sie offen und können nur alarmieren:
So gaben 83 Prozent aller Befragten an, dass ihr „unsicheres Monatsgehalt“ für sie ein großes Problem bedeutet. Drei Viertel kritisieren immer mehr Befristungen. 84 Prozent beklagen fehlende Einarbeitung und Qualifizierung als Problem, 34 Prozent schätzen das sogar als „uner
träglich“ ein; 72 Prozent der Befragten weisen darauf hin, dass deshalb Sicherheits und Qualitätsvorgaben oft nicht eingehalten werden könnten. Für 71 Prozent ist auch die Fluktuation und die ständige wechselnde Belegschaft ein Kritikpunkt. Zwei Drittel aller Antwortenden weisen auf „Hetze und Zeitdruck“ hin, die sie bei ihrer Arbeit belasten. Über Rückenschmerzen klagen etwa 69 Prozent aller Befragten, viele auch über Gelenk oder Kopfschmerzen. Dass Familie und Beruf mit ihrer Tätigkeit schlecht vereinbar sind, mahnen mehr als die Hälfte, 59 Prozent, an. Und schließlich gehen 64 Prozent aller 2.000 Befragten davon aus, dass sie ihre
jetzige Tätigkeit unter den derzeitigen Bedingungen nicht bis zur Rente werden ausüben können. Der betriebliche Gesundheitsschutz tue viel zu wenig.
Die Ergebnisse sind ein klarer Arbeitsauftrag für die ver.diAktiven bei den Bodenverkehrsdiensten an den deutschen Verkehrsflughäfen: Wir brauchen existenzsichernde Tarifverträge, gesundheitserhaltende Arbeitsbedingungen und klare Qualifikations und Einarbeitungsstandards für alle. Im ersten Schritt ruft ver.di daher noch diesen Sommer alle BVDUnternehmen auf, einen Tarifvertrag zum Thema „Gesundheit und Sicherheit“ abzuschließen. Alle Infos unter www.verdiairport.de K.W/H.N
6 Ö P N V FACHBEREICH VERKEHR 01 | 2016
105 Jahre lang haben die Beschäftigten des Stadtverkehr Pforzheim (SVP) für qualitativ hochwertigen Nahverkehr gesorgt. Jetzt soll eine Tochter der Deutschen Bahn AG, die Regionalbusverkehr Südwest GmbH (RVS), die Aufgaben im Nahverkehr übernehmen.
Möglich ist das, weil die schwarzgelbe Regierungskoalition 2013 das Personenbeförderungsgesetz geändert hat. Will eine Kommune den Nahverkehr neu vergeben, haben eigenwirtschaftliche Angebote Vorrang. Wer – wie die Bahntochter RVS – sagt, er brauche für die geforderten Leistungen keine öffentlichen Zuschüsse, der bekommt den Zuschlag. Auch, wenn er deutlich schlechter bezahlt oder auf Subunternehmer zurückgreift. Auch, wenn – wie in Pforzheim – knapp 250 tariflich abgesicherte Beschäftigte dadurch ihre bisherigen Arbeitsplätze verlieren sollten.
ver.di in BadenWürttemberg hat Ende 2015 eine Einigung mit der RheinNeckarVerkehrs GmbH (RNV) erreicht, um den Auswirkungen des demografischen Wandels für die 2.000 Beschäftigten im Unternehmen effektiv zu begegnen. Anfang Februar 2016 wurde dazu ein Demografietarifvertrag unterzeichnet. Das vereinbarte Modell für ein altersgerechtes Arbeiten ist bundesweit in der Branche bisher einmalig und beispielgebend. Es macht in einem Bereich mit „nicht gerade üppigen“ Gehältern für die Beschäftigte einen gleitenden Übergang in die Rente möglich.
Die Verhandlungen zum betrieblichen DemografieTarifvertrag für die RNVBeschäftigten in Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg waren schwierig und zogen sich über zwei Jahre hin. Schließlich konnten sie nur dank einer Schlichtung mit Unterstützung des früheren Oberbürgermeisters Gerhard Widder und der ehemaligen Bundesjustizministerin Herta DäublerGmelin abgeschlossen werden. ver.diVerhandlungsführerin Sabine Schlorke begrüßte das Ergebnis: „Die Kürzungen in der gesetzlichen Rente zwingen Beschäftigte auch in dieser Branche bis zum letzten Tag vor dem Renteneintritt voll zu arbeiten, ob es ihre Gesundheit zulässt oder nicht. Bei der RNV gibt es künftig eine gute Alternative.“
Bei einem Betreiberwechsel gibt es in RheinlandPfalz jetzt eine verbindlich vorgeschriebene Überleitung des Personals zu bisherigen Bedingungen. So schreibt es das geänderte Landestariftreuegesetz (LTTG) vor. Nach der Evaluierung des geltenden Tariftreuegesetzes hatten sich ver.di und der DGB in den vergangenen Monaten für einen besseren Beschäftigtenschutz im ÖPNV stark gemacht. Mit Erfolg: SPD und Grüne im Landtag machten sich die Überleitungsforderung zu eigen und schrieben sie ins Änderungsgesetz zum LTTG. Auch eine neutrale Prüfbehörde zur Einhal
Im öffentlichen Personennahverkehr sind angesichts steigender Fahrgastzahlen in den Kommunen dringend Ausbau und Modernisierungsmaßnahmen notwendig. Dazu werden Finanzierungshilfen aus Bund und Ländern benötigt. Gleichzeitig müssen die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten verbessert und das Angebot für die Kunden attraktiver gestaltet werden. Das ergab eine Meinungsbefragung bei Vorständen sowie Betriebs und Personalräten der ÖPNV
Im Nahverkehr droht Dumpingwettbewerb
Gleitender Übergang in die Rente möglich
Dringender Handlungsbedarf im ÖPNV
Landestariftreue-Gesetz in Rheinland-Pfalz erweitert
250 Stadtverkehrsbeschäftigte in Pforzheim verlieren ihre tariflich abgesicherten Stellen
ver.di erreicht Demografietarifvertrag mit Rhein NeckarVerkehr GmbH – freie Tage ab 55
Eigenwirtschaftlicher AntragNach dem Personenbeförderungsgesetz haben bei Vergaben im Nahverkehr eigenwirtschaftliche Anträge Vorrang. Dabei zählen weder soziale Standards noch Tariftreuegesetze. Die Begründung: Da bei eigenwirtschaft
lichen Anträgen keine öffentlichen Zuschüsse – außer Landesmittel für den Transport von Schüler/innen und Schwerbehinderten – gezahlt werden, gelten sie auch nicht als öffentlicher Auftrag.
ver.di fordert die politisch Verantwortlichen auf, dieses Gesetz dringend zu korrigieren und den unseligen Dumpingwettbewerb zu stoppen. Denn Unternehmen mit guten Tarifverträgen, Betriebsräten, Betriebsvereinbarungen und langjährigen Beschäftigten haben keine Chance, seien sie nun kommunal oder privat geführt. Die Beschäftigten verlieren alles – und das womöglich alle zehn Jahre erneut. „Diese Regelung entspricht nicht europäischem Recht“, so Mira Ball, Bundesfachgruppenleiterin Straßenpersonenverkehr. „ver.di hat bereits im Gesetzgebungsverfahren vor den Folgen gewarnt.“
Und wenn nicht schnell etwas getan wird, bleibt Pforzheim kein Einzelfall. Auch in Hildesheim hat die DB AG angekündigt, für den Stadtverkehr einen eigenwirtschaftlichen Antrag zu stellen. Auch andere Anbieter könnten diesen Weg gehen, einzige Voraussetzung sind geringere Personalkosten. MIRA BALL
Tarife im Omnibusgewerbe in Bayern sind allgemeinverbindlichKeine Busfahrerin und kein Busfahrer in Bayern dürfen mehr unter 11,49 Euro – bzw. ab 1. April unter 11,65 Euro – beschäftigt werden.
Denn nach fast zehn Jahren haben die Busfahrer im privaten Omnibus-gewerbe in Bayern rückwirkend zum 1. Januar 2016 wieder einen allgemein-
verbindlichen Lohntarifvertrag. Den hat der Tarif ausschuss beim bayerischen Arbeitsministerium auf Grundlage des vom Landesverband Bayerischer Omni-busunternehmen (LBO) mit ver.di im Februar 2015 abgeschlossenen Lohn-tarifvertrages Nr. 27 mit allen Zuschlags-regelungen bestätigt. Damit erhalten vollzeitbeschäftigte Fahrer im Schnitt einen Monatsgrundlohn von mehr als
2.000 Euro brutto. „Mit Lohndumping bekommt man nur schlechtere Qualität, denn gute Fahrer arbeiten nicht für Niedriglöhne. Diesen Negativkreislauf haben wir nun mit der Allgemeinver-bindlichkeitserklärung durchbrochen“, sagte ver.di-Landesfachbereichsleiter Manfred Weidenfelder. Qualifiziertes und gutes Personal bekomme man nur durch faire Bezahlung. RED.
Dritter Streiktag im Pforzheimer Nah v erkehr für einen Sozialtarifvertrag: ver.di hatte die Beschäftigten am 16. März erneut zum Warnstreik aufgerufen. Die über 240 Beschäftigten kämpfen für eine vernünftige Absicherung und eine Zukunft nach dem 31. Dezember 2016, wo der Betrieb endgültig eingestellt werden soll. Da auch eine Verhandlung am 22. März „keinen Millimeter“ voranbrachte, muss mit weiteren Ausständen
gerechnet werden. ver.di wird zeitnah zu einer Urabstimmung rufen. Sollten über 75 Prozent der ver.diMitglieder zustimmen, sind unbefristete Streiks möglich.
ver.di hatte zuvor angekündigt, die Streiks unverzüglich einzustellen, wenn zumindest zu den Hauptpunkten ein ernsthaftes Verhandlungsangebot vorgelegt wird. Dies ist bisher nicht geschehen. Statt auf den gewerkschaftlichen Vorschlag einzugehen, die Bevölkerung
über Streikmaßnahmen vorher zu informieren, wenn im Gegenzug keine Ersatzverkehre eingesetzt werden, hat das Unterenehmen den Konflikt weiter verschärft und eine einstweilige Verfügung gegen die Warnstreiks beantragt. Rüdiger Steinke, ver.diVerhandlungsführer: „Die Wut und Enttäuschung der Beschäftigten wächst mit jedem Tag, den Stadt und Unternehmen verstreichen lassen, ohne zu einer akzeptablen Lösung zu kommen.“
Kern der Vereinbarung ist die Möglichkeit, dass Beschäftigte ab dem 55. Lebensjahr bei einem Gehaltsverzicht von drei Prozent bis zu 51 zusätzliche freie Tage pro Jahr zu erhalten. Die Freistellungen starten mit 6,5 Tagen für 55Jährige und steigen bis zum 66. Lebensjahr auf letztlich 51 Tage an. Das Zeitgutschriftenmodell gilt ab Oktober 2016.
Ab 2018 zahlt der Arbeitgeber außerdem für alle Beschäftigten 0,4 Prozent seiner Personalkosten in ein Zeitwertkonto ein. Alle Arbeitnehmer/innen, die am DemografieModell teilnehmen, können sich über dieses Zeitwertkonto individuell zusätzliche freie Zeiten finanzieren, indem sie Mehrarbeit oder Überstunden bzw. Entgeltbestandteile wie Leistungsprämien einbringen und „ansparen“. Insgesamt werden so 30 bis 40 weitere freie Tage ermöglicht. Zusätzlich können arbeitnehmerfinanzierte Beiträge freiwillig einbezahlt werden, die die Freistellungsansprüche noch erhöhen. Rudolf Hausmann, ver.diFachbereichsleiter Verkehr in BadenWürttemberg, schätzt ein: „Für die hochbelasteten Beschäftigten im Verkehrsbereich ist dieses Modell sehr attraktiv. Jetzt haben sie die Chance, im Alter kürzer zu treten, ohne dramatische finanzielle Einbußen oder Rentenkürzungen in Kauf nehmen zu müssen.“ NEH
tung der Landestariftreue sieht das Gesetz nun vor.
Speziell die verpflichtende Personalüberleitung, so Andreas Jung, ver.diLandesfachbereichsleiter Verkehr, sei ein „wichtiges Instrument“ im Interesse der Beschäftigten. Ermöglicht werde es auf Basis der EUVerordnung 1370/2007. Bislang beruhte ihre Umsetzung in RheinlandPfalz allerdings auf Freiwilligkeit der Behörden. Nun ist sie per Landesgesetz festgeschrieben, das Ende Februar noch vor der Landtagsneuwahl im März mit den Stimmen der alten rheinlandpfälzischen Regierungskoalition beschlossen wurde.
Unternehmen, die ver.di und die HansBöcklerStiftung 2015 in Auftrag gegeben haben: „Es ist klar geworden, dass das Thema Finanzierung des ÖPNV und seiner Infrastruktur Teil der bundesdeutschen Verkehrspolitik sein muss“, betont ver.di Bundesvorstandsmitglied Christine Behle.
Die Umfrage bei den ÖPNVUnternehmensvorständen ergab ein zwiespältiges Stimmungsbild. Einerseits erwarten mehr als Dreiviertel ein Wachstum des ÖPNV und
Allerdings hatte ver.di weitere Forderungen, das geltende Landestariftreuegesetz zu ergänzen, die nicht berücksichtigt worden sind. Sie betrafen vor allem die Nachwuchsförderung durch eine Ausbildungsverpflichtung. „Wer derzeit ÖPNVLeistungen erbringt und gleichzeitig ausbildet, hat mittelfristig einen finanziellen Wettbewerbsnachteil“, macht ver.di geltend. Auch eine Preisgleitklausel bei Tariferhöhungen sowie die Entgeltgleichheit für Männer und Frauen hätten aus gewerkschaftlicher Sicht das Landestariftreuegesetz weiter aufgewertet. Nun bleiben das Themen, die unter der neuen Landesregierung weiter beackert werden müssen. NEH
planen zu 84 Prozent Verbesserungen im Angebot. Andererseits befürchten nahezu 70 Prozent sinkende Investitionsmittel. Auch die 207 befragten Mitglieder von Betriebs und Personalräten sind skeptisch. 72 Prozent rechnen mit einer Verschlechterung der finanziellen Ausstattung. NEH
Die komplette Studie der BöcklerStiftung zum Download unter: www.boeckler.de/pdf/p_study_hbs_302.pdf
FOTO: JÜRGEN SEIDEL
FOTO: ver.di
7FACHBEREICH VERKEHR 01 | 2016 J U G E N D
Mehr Geld, mehr Freizeit, bes
sere Perspektiven nach der Aus
bildung… Das wünschen sich
auch die Azubis der Bochum
Gelsenkirchener Straßenbah
nen AG (BOGESTRA). Und genau
hierfür wollen sie sich in der
aktuellen Tarifrunde für den
öffent lichen Dienst einsetzen.
Doch was halten wir der Arbeit-
geberseite entgegen, wenn sie un-
sere Forderungen als utopisch und
unbezahlbar zurückweist? Diese
Fragestellung nahm die JAV der
BOGESTRA in einer Jugend- und
Auszubildenden-Versammlung auf,
um darüber mit ihren Azubis zu
diskutieren.
Klar ist, den Azubis wird nix
geschenkt. Klar ist aber auch, dass
wir in der Tarifrunde nicht nur
zuschauen werden. Wir setzen uns
für unsere Forderungen ein, auch
wenn’s mal unbequem wird. Denn
unsere Forderungen sind nicht
gierig! LISA GNEIßE
Die Azubis der Leipziger Aus und Weiterbildungsbetriebe GmbH (LAB), einer 100prozentigen Tochter der Leipziger Verkehrsbetriebe LVB, gingen mit einer dreisten Forderung in die letzten Tarifverhandlungen: Die Angleichung der Ausbildungsvergütung an den TVAöD! Denn aktuell liegt ihre Azubivergütung gut 300 Euro unter der, die ihre MitAzubis bei kommunalen Verkehrsbetrieben erhalten.
Vor der letzten Verhand-lungsrunde ging es deshalb mit einer kleinen Aktion ins Bil-dungszentrum, in die Kunden-
zentren und natürlich die Zentrale, wo die Verhandlungen stattfanden.
Zwar konnte das Ziel nicht ganz erreicht werden, aber mit ihrer Aktion haben sie dazu beigetra-gen, dass die Lücke ein gutes Stück kleiner geworden ist.
Besser unbequem – Tarifkampagne 2016
Utopisch? Überzogen? Leipziger Azubis forderten Angleichung an den Tarifvertrag
Bochum bereitet sich auf die Tarifrunde vor
Nach der erfolgreichen JAVKonferenz im letzten Jahr wird es auch in diesem Jahr wieder eine Konferenz für Jugend und Auszubildendenvertreter im Fachbereich Verkehr geben.
Auch der Termin steht schon fest: Stattfinden wird sie vom 14. bis 16. Dezember 2016 in Göttingen. Also… tragt Euch diesen Termin schon jetzt in die Kalender ein!
Vorankündigung 5. bundesweite JAV-Konferenz im Dezember
FOTOS (4): ver.di
8
Ein weiterer Schritt in Richtung Tarifvertrag Automatisierung/Digitalisierung beim Terminalbetreiber Eurogate ist gemacht: Nach drei Tagen intensiver Beratung unter Begleitung von Experten zum Thema Digitalisierung hat die ver.diTarifkommission Eurogate bei ihrer Klausurtagung im März in Berlin die aktuelle Situation und die vom Arbeitgeber eingebrachten Vorschläge bewertet.
Dabei wurde eines schnell deutlich: Modelle, die Beschäftigte mit einem neuen Arbeitsvertrag in eine Personal-Holding drücken und somit zur Ver-schiebemasse in der Eurogate-Gruppe (Hamburg, Bremerhaven, Wilhelms-haven) lassen würden, wurden klar ab gelehnt. Die intensive Debatte in der Tarifkommission hat vielmehr er-geben, dass ein anderer Weg einge-schlagen werden soll.
„Hinter diesem Projekt steht die Gesamtorganisation ver.di“, unter-strich Christine Behle, im ver.di-Bun-desvorstand zuständig für den Bun-desfachbereich Verkehr, während der
Tagung. ver.di will tarifliche Regelun-gen, die das Thema Automatisierung und Digitalisierung als Ganzes behan-deln. Damit soll verhindert werden, dass Beschäftigte an verschiedenen Standorten gegeneinander ausge-spielt werden. „Außerdem ist dieses Thema viel breiter, als es die Vorschlä-
ge der Arbeitgeber bislang erscheinen lassen“, erklärte ver.di-Verhandlungs-führer Torben Seebold und kündigte an: „Wir werden das in einem Vor-schlag auch sehr deutlich machen.“ Über die Zwischenschritte soll parallel zu den Verhandlungsrunden weiter informiert werden. RED.
FACHBEREICH VERKEHR 01 | 2016H Ä F E N
Ausgelöst durch die Schiffsgrößenentwicklung hält Automation weltweit in den Häfen Einzug. Das betrifft auch die wichtigen kontinentaleuropäischen Häfen an der Nordsee. Über sie, die sogenannte North Range, werden etwa 80 Prozent des europäischen Im und Exports abgewickelt. Im größten europäischen Seehafen Rotterdam ist mittlerweile die weitreichendste Form der Automatisierung eingeführt worden, was zum Verlust von hunderten Arbeitsplätzen geführt hat. So entspricht allein die Kapazitätserweiterung in Rotterdam auf der Maasvlakte II etwa der
Umschlag auf den Container terminals, weil immer größere Schiffe bei geringerer Anzahl von Schiffsanläufen eine gleichmäßige Auslastung nicht mehr zulassen. Da die vorhandene Transportmenge nicht zum Aufbau der Flottenkapazitäten passt, optimieren die Reeder ihr Geschäft zulasten der Hafenstandorte. Gleichzeitig werden Reeder wirtschaftlich durch Steuer geschenke und unverantwortliche Subventionen belohnt und dadurch in diesem unsozialen Verhalten weiter bestärkt. Die Zeche hierfür bezahlen der Steuerzahler und die Hafenstandorte, die im Wettbewerb erpresst werden.
Die negativen Auswirkungen, die Bau und Betrieb solcher Megaschiffe auf
Neben den globalen wirtschaftlichen Entwicklungen sieht die ver.diBundestarifkommission Häfen auch nationale Faktoren, die für die kommenden Tarifverhandlungen für die Hafenbeschäftigten wichtig sind. Dazu zählen:
Die Inflationsrate lag im Monat Februar bei 0,00 Prozent, die wiederum den Verteilungsneutralen Spielraum
Um auf die Herausforderungen des demografischen Wandels in den deutschen Seehäfen reagieren zu können, hat die ver.diBundestarifkommission ihre sozialpolitische Verantwortung wahrgenommen und auf der Frühjahrsklausur einstimmig einen mit dem Zentralverband Deutscher Seehäfen (ZDS) ausgehandelten DemografieTarifvertrag gebilligt.
Ein solches Tarifwerk ist dringend erforderlich geworden aufgrund der Tatsache, dass Belegschaften in den deutschen Seehäfen immer älter werden und Einzelne durch gesetzliche Veränderungen, wie die Heraufsetzung des Rentenalters auf 67 Jahre, immer länger arbeiten müssen: Daraus ergeben sich verändernde Anforderungen an Belegschaften, was die Qualifikation sowie die Notwendigkeit betrifft, alters, alterns und leistungsgerechte Arbeitsbedingungen zu schaffen.
Die tarifliche Vereinbarung bestimmt, dass die Tarifvertragsparteien betriebliche Demografiefonds einrichten. Aus denen werden dann die Mittel entnommen zum Beispiel für demografiegerechte Arbeitszeitregelungen, für Maßnahmen zur Gesundheitsförderung, für entsprechende Fortbildung und Qualifizierung oder Maßnahmen für eine lebensphasenorientierte Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Individuelle Ansprüche auf in den Fonds eingezahlte Mittel bestehen nicht. Alle Regelungen der Entnahme werden als kollektive Regelungen ausgestaltet. Während
wird. „Daher ist es umso wichtiger, dass wir im Rahmen unseres Flächentarifvertrags solidarisch zusammenstehen und so verhandeln, dass künftig alle Mitglieder mehr Geld in ihre Tasche haben – unabhängig davon, in welchem Betrieb sie arbeiten. Das ist das Kernstück solidarischer Tarifpolitik, wir lassen Keine/n zurück!“, fasst ver.diVerhandlungsführer Torben Seebold die Ausgangslage für die diesjährige Lohnrunde zusammen. T.S.
Gesamtkapazität des Hamburger Hafens. Dabei wurden in den vergangenen Jahren die vorhandenen Hafenflächen um 20 Prozent auf 6.000 ha aufgestockt und drei neue Containerterminals geschaffen.
Da insgesamt in der HamburgLe Havre Range und in Großbritannien zusätz liche Containerterminals entstanden sind und erhebliche Kapazitätserweiterungen stattgefunden haben, ist der Wettbewerbsdruck enorm gestiegen. Gleichzeitig hat der Trend zu immer größeren Schiffen zu einem rasanten Kapazitätsaufbau der Flotten geführt. Das Resultat: Belastungsspitzen im
Beschäftigung und Infrastruktur haben, sind jetzt auch in den Fokus der OECD geraten. Das Verhalten der Reeder und die Folgen auf die Volkswirtschaften werden zunehmend kritisch betrachtet. Über Jahrzehnte gewachsene Strukturen in den Häfen geraten unter Druck. Den Beschäftigten droht der Verlust des Arbeitsplatzes. Die Forderung nach immer größerer Flexibilität ohne Ausgleich solcher Belastungsspitzen wird für die Beschäftigten auf längere Sicht nicht ohne gesundheitliche Folgen bleiben.
Die Probleme in der North Range und den deutschen Seehäfen setzen auch die Gewerkschaften und ihre Mitglieder unter
Druck. „Die richtige Antwort hierauf kann nur sein, gewerkschaftliche Gegenmacht aufzubauen, in der North Range eng und solidarisch zusammenzuarbeiten sowie die Reeder als Treiber dieser Entwicklung öffentlich kenntlich zu machen“, meint der ver.diBundesfachgruppenleiter Häfen Torben Seebold.
„Außerdem muss in der Politik endlich ankommen: Wer maßgeblich für eine Entwicklung verantwortlich ist, der ist auch an den Kosten zu beteiligen. Am Ende dürfen nicht die Beschäftigten die Zeche zahlen“, fasst Thomas Mendrzik, der Vorsitzende der Bundesfachgruppe Häfen, zusammen. T.M./H.N.
(Preisentwicklung + Produktivitätssteigerung) nach unten schraubt.
Wachsende Überkapazitäten auf den Terminalflächen der North Range Häfen führen zu einer harten Wettbewerbssituation.
Neue ReederAllianzen üben Druck auf die Terminalbetreiber aus.
Es ist also davon auszugehen, dass die diesjährige Tarifrunde erneut nicht einfach
der Laufzeit des jeweiligen Lohntarifvertrages wird der Demografiebeitrag gesondert vereinbart.
Maßnahmen, für die eine gesetzliche, tarifliche oder betriebliche Verpflichtung besteht, dürfen aus diesem Fonds nicht finanziert werden; er steht ausschließlich für darüber hinausgehende Projekte offen. Um Missbrauch auszuschließen, sind die betrieblich vereinbarten Maßnahmen den zentralen Tarifvertragsparteien zur jährlichen Bewertung zur Kenntnis zu geben.
Für die Verwaltung des Demografiefonds wird in den Häfen eine paritätisch besetzte betriebliche Demografiekommission eingesetzt, die über Verwendung und Mittelabflüsse entscheidet. Für die ersten vier Jahre sind in der Regel keine Abflüsse geplant, dieser Zeitraum soll als Aufbauphase für die Fonds genutzt werden. Da die Tarifvertragsparteien mit diesem Tarifvertrag Neuland betreten, werden mit Sicherheit gesetzliche und gesellschaftliche Veränderungen in die Ausgestaltung mit einfließen. „Allen, die diesen Tarifvertrag ausgestalten und nutzen, muss klar sein, dass es sich um ein neuartiges, lernendes Tarifwerk handelt, dass noch nicht perfekt sein kann, aber weiter entwickelt werden soll“, so die Einschätzung von Thomas Mendrzik, Vorsitzender der ver.diBundesfachgruppe Häfen.
Der Tarifvertrag kann erstmals zum 31. März 2020 gekündigt werden. Eine Nachwirkung ist ausgeschlossen und die zu diesem Zeitpunkt eingespeisten Mittel würden bei Kündigung zwingend im Sinne dieses Tarifvertrages verwendet. T.M.
Angespannte Situation in den North Range-Häfen
Lohnrunde Häfen wird nicht einfach
Demografisch fit gemacht
Überkapazitäten, Automation und Schiffsgrößenentwicklung in der Nordsee setzen Gewerkschaften unter Druck
Bundestarifkommission Seehäfen beschließt DemografieTarifvertrag
DREI NEUE CONTAINERTERMINALS ENTSTANDEN AUF DER MAASVLAKTE II VOR ROTTERDAM. FOTO: VON MICHIELVERBEEK – EIGENES WERK, CC BYSA 3.0, HTTPS://COMMONS.WIKIMEDIA.ORG/W/INDEX.PHP?CURID=31735816
FOTO: EUROGATE/CONTAINERSCHIFF AM EUROGATE CONTAINER TERMINAL HAMBURG
Keine Verschiebemasse