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Weigelt / Müller / Schaarschmidt / Schmeitzner, Todesurteile sowjetischer Militärtribunale gegen Deutsche (1944–1947)

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Vandenhoeck & Ruprecht

Schriften des Hannah-Arendt-Institutsfür Totalitarismusforschung

Herausgegeben von Günther Heydemann

Band 56

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Vandenhoeck & Ruprecht

Todesurteile sowjetischerMilitärtribunale gegen Deutsche

(1944–1947)Eine historisch-biographische Studie

Herausgegeben von Andreas Weigelt,Klaus-Dieter Müller, Thomas Schaarschmidt

und Mike Schmeitzner

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind

im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-525-36968-5Weitere Ausgaben und Online-Angebote

sind erhältlich unter www.v-r.de.

Mit 22 Grafiken.

Umschlagabbildung: Berlin: The Capture and Aftermath of War 1945–1947A German civilian looks at a vast painting of Stalin on the Unter-den-Linden in Berlin.

Quelle: Imperial War Museum London, Foto: BU 8572

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Inhalt

Vorwort der Herausgeber 7

Andreas WeigeltZur Quellenlage 11

Klaus-Dieter MüllerVerbrechensahndung und Besatzungspolitik.Zur Rolle und Bedeutung der Todesurteiledurch Sowjetische Militärtribunale 15

Mike SchmeitznerKonsequente Abrechnung?NS-Eliten im Visier sowjetischer Gerichte 1945–1947 63

Andreas WeigeltUrteile sowjetischer Militärtribunale gegen Angehörigedes Polizeibataillons 304 Chemnitz.Ein unbekanntes Kapitel justizieller NS-Aufarbeitung 103

Andreas WeigeltFallgruppenübersicht und Erschließungsregister –Leitfaden für die biographische Dokumentation 159

Anhang 417

Verzeichnis der Literatur und der gedruckten Quellen 417Abkürzungsverzeichnis 452Personenverzeichnis 457Verzeichnis der Herausgeber 488

Anlage

Andreas WeigeltKurzbiographien 489

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Vorwort der Herausgeber

Mit der hier vorgelegten Publikation soll eine schmerzliche Lücke in der Erfor -schung des Stalinismus und der deutschen Nachkriegsgeschichte geschlossenwerden. Es geht um die durch Sowjetische Militärtribunale ( SMT ) von 1944 bis1947 zum Tode verurteilten deutschen Zivilisten.

Nachdem das Hannah - Arendt - Institut für Totalitarismusforschung bereits vorJahren zwei umfassende Studien zu den SMT - Urteilen gegen deutsche Soldatenund Zivilisten vorgelegt hatte,1 stand eine grundlegende Untersuchung derTodesurteile, die Sowjetische Militärtribunale von 1944 bis 1947 und von 1950bis 1953 verhängt hatten, gegen deutsche Zivilisten noch aus. Für den Zeitraumnach der Wiedereinführung der Todesstrafe in der Sowjetunion erschien 2005ein biographisches Handbuch unter dem Obertitel „Erschossen in Moskau“, zudessen Recherchen auch an der jetzigen Studie beteiligte Institutionen Materia -lien beigesteuert hatten.2 Etwa 1100 Schicksale zwischen 1950 und 1953 hin-gerichteter Deutscher sind in dieser Publikation verzeichnet.

Einer systematischen Erforschung harrten weiterhin die von 1944 bis 1947gegen deutsche Zivilisten verhängten und vollstreckten Todesurteile. Über derenGesamtzahl und die Hintergründe der Verurteilungen bestanden keine verläss-lichen Informationen oder systematisch zusammengestellte biographischeSammlungen.3

1 Andreas Hilger / Ute Schmidt / Günther Wagenlehner ( Hg.), Sowjetische Militärtribu -nale, Band 1 : Die Verurteilung deutscher Kriegsgefangener 1941–1955, Köln 2001;Andreas Hilger / Mike Schmeitzner / Ute Schmidt ( Hg.), Sowjetische Militärtribunale,Band 2 : Die Verurteilung deutscher Zivilisten 1945–1955, Köln 2003.

2 Arsenij Roginskij / Jörg Rudolph / Frank Drauschke / Anna Kaminsky ( Hg.), „Erschossenin Moskau ...“. Die deutschen Opfer des Stalinismus auf dem Moskauer FriedhofDonskoje 1950–1953, Berlin 2005. Inzwischen ist 2008 eine dritte, vollständig überar-beitete Auflage erschienen. Das große Interesse an dem biographischen Handbuch hatauch dazu geführt, dass verschiedene Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staats -sicherheitsdienstes der ehemaligen DDR für ihre Bundesländer eigene Auszüge aus derStudie veröffentlicht haben.

3 Zwar waren im Rahmen der SMT - Forschungen des Hannah - Arendt - Instituts auchTodesurteile mit erfasst worden, die entsprechenden Übersichten aus dem Jahr 2003wiesen jedoch bei weitem nicht die Gesamtzahl aus. Auch die DokumentationsstelleDresden der Stiftung Sächsische Gedenkstätten ( StSG ) hatte im Rahmen ihrer biogra-phischen Sammlungen zu SMT - verurteilten Häftlingen Hunderte von Todesurteilen ver-zeichnet. Beide Sammlungen waren jedoch nicht in Bezug auf Todesurteile systematischerfolgt. Hilger und Petrov geben insgesamt 1786 Todesurteile für den Zeitraum 1945–1947 an, vgl. Andreas Hilger / Nikita Petrov, „Im Namen der Union der SozialistischenSowjet republiken“. Sowjetische Militärjustiz in der SBZ / DDR von 1945–1955. In :

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Die nunmehr vorliegende biographische Sammlung zu den Todesurteilen von1944 bis 1947 hat den Kenntnisstand erheblich erweitern können. Insgesamtwurden für den fraglichen Zeitraum 3 301 Todesurteile ermittelt, von denen2 542 vollstreckt wurden.4

Bei den Hingerichteten von 1950 bis 1953 handelt es sich fast ausschließlichum Personen, die im Zusammenhang mit Widerstandshandlungen oder wider-ständigen politischen Haltungen gegen die sowjetische Besatzungsmacht oderdie SED - Diktatur hingerichtet wurden. Ihre Urteile wurden zudem im Rahmendes russischen Rehabilitierungsgesetzes5 aufgehoben. Insofern ist auch derBegriff des „Opfers des Stalinismus“ richtig gewählt. Dies trifft auf die von unsuntersuchte Gruppe in dieser Form nicht zu. Ursächlich liegt es daran, dass –zumindest in der Größenordnung auch für uns überraschend – die Verurteilun -gen wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit einenherausragenden Anteil unter allen Todesurteilen von 1944 bis 1947 ausmachen.Mehr als zwei Drittel weisen entsprechende Anklagen auf. Folglich ist auch derAnteil der Rehabilitierungen unter diesen Verurteilten mit rund einem Drittelrelativ gering.

Das vorliegende Buch ist daher seinem Wesen nach weder ein Gedenk - nochein Opferbuch, sondern zunächst einmal ganz nüchtern eine Darstellung, diezeigen will, in welchen Größenordnungen Sowjetische Militärtribunale deutscheZivilisten in der Frühphase der sowjetischen Besatzungsherrschaft zum Todeverurteilt haben und welche Anklagen den Urteilen zu Grunde lagen. Laut denErgebnissen dieser Studie spielt die Ahndung von Verbrechen, die Deutsche inder NS - Zeit begangen hatten, die Hauptrolle bei diesen Urteilen. Insofern stelltdieser Band auch einen Beitrag zu den aktuellen Debatten um „TransitionalJustice“ dar. Wenn diese auch primär von der Frage bestimmt werden, welcheRolle die juristische und gesellschaftliche Aufarbeitung von Verbrechen diktato-rischer Regime beim Übergang zur Demokratie spielt, ist die sowjetischeAhndung von NS - Verbrechen – schon allein wegen der Mitwirkung derSowjetunion am Nürnberger Kriegsverbrechertribunal – als eine besondereForm von „Transitional Justice“ nach dem Zweiten Weltkrieg zu betrachten.6

Arsenij Roginskij / Frank Drauschke / Anna Kaminsky ( Hg.), „Erschossen in Moskau ...“.Die deutschen Opfer des Stalinismus auf dem Moskauer Friedhof Donskoje 1950–1953, 3. Auflage Berlin 2008, S. 21–37, hier 33; vgl. Andreas Hilger, Einleitung : SmerťŠpionam ! – Tod den Spionen ! Todesstrafe und sowjetischer Justizexport in die SBZ /DDR, 1945–1955. In : ders. ( Hg.), „Tod den Spionen !“ Todesurteile sowjetischerGerichte in der SBZ / DDR und in der Sowjetunion bis 1953, Göttingen 2006, S. 7–35,hier 26 f.

4 Auch diese Zahlen sind vorläufig, da es nirgends Listen aller Todesurteile gibt. 5 Siehe hierzu Abschnitt V im Aufsatz von Klaus - Dieter Müller in diesem Band : Verbre -

chensahndung und Besatzungspolitik.6 Wolfgang Form, Transitional Justice. Alliierte Kriegsverbrecherprozesse nach dem

Zweiten Weltkrieg in Europa. In : Kerstin van Lingen ( Hg.), Kriegserfahrung und natio-nale Identität in Europa nach 1945, Paderborn 2009, S. 52–73; Neil J. Kritz ( Hg.),Transitional Justice. How emerging democracies reckon with former regimes, 3 Bände,Washington 1995.

8 Vorwort der Herausgeber

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Dass der deutschen Öffentlichkeit weder damals noch heute in dem notwen-digen Maße bekannt geworden ist, wie hoch der Anteil von NS - Delikten bei den1944 bis 1947 zum Tode Verurteilten war, liegt nicht in erster Linie an eineretwaigen Weigerung, Verbrechen oder moralische Schuld anzuerkennen, son-dern an der spezifischen Durchführung der Prozesse und der Informations -politik der Sowjetunion. Fast alle Verfahren mit Todesurteilen waren – ebensowie die sonstigen SMT - Verfahren – Geheimprozesse, fanden also unter Aus -schluss der Öffentlichkeit statt. Hinzu kam, dass den Angehörigen in vielenFällen keine Informationen über den Prozess bzw. seinen Ausgang gegeben wur-den, trotz vielfältiger Nachfragen bei sowjetischen und deutschen Behörden.Nicht einmal die Tatsache, dass überhaupt Prozesse stattgefunden hatten, wurdein diesen Fällen eingestanden. Die Zusammenarbeit zwischen dem deutschenund dem sowjetischen Roten Kreuz bot seit den späten 1960er Jahren dieMöglichkeit, Nachrichten vom Tod der Angehörigen zu erhalten, wenn auch dieAngaben zum Todesdatum teilweise gefälscht waren. Viele Verurteilte warenaber für ihre Angehörigen einfach verschwunden und blieben es auch bis Anfangder 1990er Jahre, als die Öffnung der Archive in der ehemaligen UdSSR bzw.der untergegangenen DDR, ebenso wie das russische Rehabilitierungsgesetz,die Möglichkeit zu Nachforschungen und Schicksalsklärungen ermöglichten.

Die Ergebnisse der vorliegenden biographischen Recherchen verlangen einehistorische Einordnung. Vier Beiträge, die den Biographien vorangestellt sind,zeigen, aus welchen Motiven und unter welchen Bedingungen die Ermittlungenund Prozesse in der Sowjetischen Besatzungszone stattfanden. Die einführen-den Beiträge behandeln die ganze Bandbreite von Handlungen – von Kriegs -und NS - Verbrechen über politisch motiviertem Widerstand bis hin zu kriminel-len Handlungen –, die den Todesurteilen zugrunde lagen.

In vielen der von uns recherchierten Fälle, besonders bei den wegen Kriegs -verbrechen angeklagten Personen, ist es heute nicht mehr möglich, eindeutigindividuelle strafrechtliche Schuld nachzuweisen oder auf der anderen Seite denUnschuldsbeweis wegen fehlender Rehabilitierung zu führen.7 Dies hat uns letzt-lich dazu bewogen, zunächst einmal von den sowjetischen Anklagepunkten bzw.Beschuldigungen auszugehen, wie sie in den Unterlagen verzeichnet sind, unddiese zu bewerten, wenn weitere Quellen zugänglich sind. Daraus ergab sichein differenziertes Bild. Zum einen kann festgestellt werden, dass sich unter denVerurteilten eine größere Anzahl Personen befindet, die ganz offensichtlich zuRecht wegen ihres Einsatzes im Krieg gegen die UdSSR vor Gericht gestellt wor-den sind ( so z. B. Angehörige des Polizeibataillons 304 aus dem Raum Chem -nitz). Zum anderen ergab sich aus den Recherchen aber auch, dass nicht jederwegen Kriegsverbrechen Angeklagte tatsächlich schuldig war.

In vielen Fällen beinhalten die biographischen Skizzen nicht die vollständi-gen bekannten Angaben, sondern lediglich Kerndaten wie Name, Vorname,Geburtsjahr, Geburtsort, Verurteilungsparagraph mit Einordnung in „Vorwurf

7 Siehe hierzu die Angaben von Andreas Weigelt zur Quellenlage.

Vorwort der Herausgeber 9

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Kriegsverbrechen“ oder „Vorwurf politischer Widerstand“, Todestag. Familien -angehörige, die ggf. zum ersten Mal konkret von der Verurteilung eines damalsVerschwundenen erfahren, sollten sich deshalb an die DokumentationsstelleDresden wenden, wenn sie weitere Informationen wünschen.8 Umgekehrt sinddie Herausgeber daran interessiert, ergänzendes Material über verurteilte Ange -hörige zu erhalten, um so weitere Forschungen und Schicksalsklärungen mög-lich zu machen.

Wir hoffen, dass die Publikation dazu beitragen kann, einen Bereich zubeleuchten, der bislang eher im Dunklen lag. Wenn das Bewusstsein auf deut-scher und russischer Seite dafür wächst, die Wahrnehmung der jeweils anderenSeite zu verbessern, wäre schon ein wichtiger Schritt getan, ein angemessenesBild der Abfolge und des Nebeneinanders von NS - Verbrechensahndung undDiktaturdurchsetzung in der Verurteilungspraxis der sowjetischen Besatzungs -macht zu entwickeln.

Zum Schluss bleibt die angenehme Pflicht der Danksagung. Zu aller erst dan-ken die Herausgeber der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED - Diktatur,die die Anfertigung der Studie dreieinhalb Jahre lang gefördert hat. Ein ebensogroßer Dank gilt überdies den am Projekt beteiligten Institutionen ( Hannah -Arendt - Institut Dresden, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam,Stiftung Sächsische Gedenkstätten Dresden ), die maßgeblich zu dessen Gelin -gen beigetragen haben. Zu danken ist aber auch dem DRK - Suchdienst Mün -chen, dem Bundesarchiv sowie dem Archiv des Bundesbeauftragten für dieStasi- Unterlagen für deren bereitwillige und engagierte Unterstützung. Dank giltauch vielen Angehörigen, mit denen die Herausgeber in Kontakt getreten sindund die ihnen bereitwillig viele Materialien zur Verfügung gestellt haben.Andreas Weigelt hat hier – wie im gesamten Projekt – die Hauptarbeit geleistet.Außerdem gilt der Dank Katharina Täufert, Vitus Reiners und Daniel Hilgert,die mit ihrer redaktionellen Mitarbeit an der Entstehung des Werkes beteiligtwaren.

Dresden / Potsdam / Lieberose im Dezember 2014

Andreas Weigelt / Klaus - Dieter Müller / Thomas Schaarschmidt / Mike Schmeitzner

8 Dasselbe gilt für Personen, die bis heute Angehörige vermissen und annehmen, dassdiese von der Besatzungsmacht verhaftet und ggf. verurteilt worden sind. Die Dokumen -tationsstelle Dresden der Stiftung Sächsische Gedenkstätten führt ihre Auskunfts - undSammlungstätigkeit zu diesem Personenkreis, im Auftrag des Auswärtigen Amtes, auchin den nächsten Jahren fort.

10 Vorwort der Herausgeber

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Zur Quellenlage

Andreas Weigelt

Als Ausgangsbasis für das Vorhaben dienten zwei bei der Dokumentationsstelleder Stiftung Sächsische Gedenkstätten in Dresden sowie im Hannah - Arendt -Institut für Totalitarismusforschung ( HAIT ) in Dresden angelegte Datenbankenzu Opfern der Repression in der SBZ und in der DDR, aus denen die das Vorha -ben betreffenden Fälle herausgefiltert, zusammengeführt und abgeklärt wurden.

Die darin enthaltenen Datensätze zu Todesurteilen dieser Periode waren aufzwei Wegen entstanden. Die Dokumentationsstelle ist seit vielen Jahren Anlauf -stelle von Angehörigen zur Antragstellung von Rehabilitierungsanträgen und zurEinsichtnahme in die Haft - bzw. Urteilsakten in den Archiven der RussischenFöderation. Hier werden die Antragsteller beraten und die entsprechendenFormulare über das Auswärtige Amt und seit 2009 direkt durch die Dokumen -tationsstelle an die russische Rehabilitierungsbehörde übersendet. Die ausge-werteten etwa 1000 positiven wie negativen Rehabilitierungsbescheide zurGruppe der frühen Todesurteile bilden eine wichtige Quelle für die Erhebungder Kerndaten einzelner Fälle, wie die Geburtsdaten, Wohnort, Beruf, Verhaf -tungsdaten, Urteilsdaten, Gericht und Rechtgrundlage sowie Angaben zur Voll -streckung des Urteils. Wurde eine Rehabilitierung ausgesprochen, besteht nachrussischer Rechtslage die Möglichkeit auf Akteneinsicht. In etwa 350 Fällen sindHaftakten auszugsweise kopiert worden, wie etwa Vernehmungsprotokolle,Urteile, in wenigen Fällen Vollstreckungsprotokolle oder auch persönlicheDokumente der Verurteilten. Vielfach sind nach der Änderung von Rehabilitie -rungsverfahren um das Jahr 2000 von russischer Seite nur noch kurze Archiv -auskünfte als Bescheid übergegeben worden, die ebenfalls zusammenfassendeAngaben enthalten.

Beim HAIT war seit Mitte der 1990er Jahre das erste umfassende Vorhabenzur Erforschung der Tätigkeit sowjetischer Militärtribunale in Deutschlandsowie gegen deutsche Kriegsgefangene auf dem Territorium der Sowjetunion inder Zeit von 1941 bis 1955 angesiedelt, das 2001 und 2003 seine Ergebnisseveröffentlichte. Auf dem Wege der wissenschaftlichen Kooperation mit russi-schen Archiven flossen Angaben aus Personenakten in die Datenbank ein. EinTeil der biographischen Angaben wurde in den Sammelbänden ebenfalls veröf-fentlicht.1

1 Andreas Hilger / Ute Schmidt / Günther Wagenlehner ( Hg.), Sowjetische Militärtribu -nale, Band 1 : Die Verurteilung deutscher Kriegsgefangener 1941–1955, Köln 2001;

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Begonnen wurde die biographische Recherche des hier vorgestellten Vorha -bens im Jahr 2008 mit 2 300 bekannten Todesurteilen, von denen ein Teil nichtvollstreckt worden ist und aus der Bearbeitung ausschied. Nach dem Ende derRecherchen können 3 301 Todesurteile dokumentiert werden, von denen 2 542vollstreckt bzw. wahrscheinlich vollstreckt wurden.

Aus russischen Archiven konnten durch die dankenswerte Unterstützung vonDr. Andreas Hilger, Hamburg, etwa 320 Begnadigungsvorgänge aus den Proto -kollen der Kommission für Gerichtssachen des Politbüros der KPdSU ( B ) ausdem Russischen Staatlichen Archiv für Sozialgeschichte ( RGASPI ) für die Zeitzwischen August 1944 und April 1947 eingearbeitet werden.

Auf der Ebene des Präsidiums der Obersten Sowjets der UdSSR konnten fürden Zeitraum April 1945 bis Mai 1947 Gnadenvorgänge zu 480 Fällen aus demStaatsarchiv der Russischen Föderation ( GARF ) ausgewertet werden.

Nach sowjetischen Angaben sind im Bereich der Abteilung Speziallager derSMAD mehr als 700 Todesurteile vollstreckt worden. Die entsprechendenUnterlagen der Abteilung Speziallager aus dem GARF zu den als Vollstreckungs -orte bekannten Spezialgefängnissen Nr. 5 in Strelitz, Nr. 6 in Berlin - Lichtenbergund Nr. 7 in Frankfurt / Oder sowie zu den Speziallagern Nr. 4 in Bautzen undNr. 10 in Torgau und die Korrespondenz der Abteilung Speziallager zu denTodesurteilen wurden ausgewertet, ergaben hingegen nur rund 300 nachweis-bare Fälle.

Wichtigste Quelle zur Identifizierung und weiteren biographischen Veror -tung von Personen, deren Namensschreibweise aus rückübersetzten russisch -sprachigen Quellen bekannt geworden sind, war die Zentrale Namenskartei(ZNK ) des Suchdienstes des Roten Kreuzes in München, dessen früheremLeiter, Herrn Dr. Hansjörg Kalcyk, und dessen Archivleiter, Herrn Dr. ChristianSachse, herzlich zu danken ist. Dort konnten teils manuell, teils bereits auf derGrundlage der verscannten Bestände der ZNK rund 2 300 sicher bzw. vermut-lich hingerichtete Personen abgeprüft werden, von denen mehr als 1600 iden-tifiziert wurden. Unter den meist in den 1950er Jahren gemachten Angaben dersuchenden Angehörigen fanden sich wichtige Daten wie der Verhaftungstag, derHaftort, Angaben zum Beruf und zur letzten Tätigkeit, ja nicht selten Angabenzu Mitinhaftierten, aber auch zur Todesstrafe selbst und deren Vollstreckungund schließlich sogar ( häufig zutreffende ) Vermutungen über den Haft - bzw.Urteils grund des Betreffenden.

Die Identifizierung der Personen ermöglichte schließlich in einem weiterenSchritt eine gestaffelte Antragstellung beim Bundesbeauftragten für die Unterla -gen des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes der DDR ( BStU ) zu den einzel-nen Personen. Neben dieser personenbezogenen Recherche waren die Sach -recherchen in den bereits erschlossenen Zentralen Untersuchungsvorgängen desMfS ( ZUV ) und in den Akten zu Rechtshilfeersuchen ( RHE ) der Hauptabtei -

Andreas Hilger / Mike Schmeitzner / Ute Schmidt ( Hg.), Sowjetische Militärtribunale,Band 2 : Die Verurteilung deutscher Zivilisten 1945–1955, Köln 2003.

12 Andreas Weigelt

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lung IX /11 nach Material sowjetischer Militärtribunale wichtig und gewinnbrin-gend. Solches Material hatten die Mitarbeiter der Hauptabteilung IX /11 desMfS, das in der DDR „Untersuchungsorgan“ zur Verfolgung von NS - Straftatenwar, immer dann beim KGB in Moskau angefordert, wenn sie entsprechende„Verbrechenskomplexe“ systematisch bearbeiteten und zu jeder Person Aus -kunft erbaten, die sich identifizieren ließ. Wurden dann in Moskau Unterlagender SMT gefunden, erhielten die MfS - Mitarbeiter Kopien von Vernehmungs -protokollen, in wenigen Fällen sogar Urteilsabschriften oder Protokolle derGerichtsverhandlungen. Auf diesem Wege sind wahrscheinlich zu HundertenSMT - Fällen Materialien in die DDR gelangt, die heute ausgewertet werden kön-nen.2 Durch diese Akten wurde der Autor erst aufmerksam auf die wohl größtezusammenhängende zum Tode verurteilte Gruppe : 90 Angehörige des Polizei -bataillons 304.

Leider hat das Archiv des BStU die Tiefenerfassung dieser beiden Sachakten -gruppen nicht fortgesetzt, so dass ohne eigentliche Findmittel aus Zeitgründenim Rahmen des Vorhabens nicht alle Archivakten dieser Art einbezogen werdenkonnten. Dennoch konnten bereits durch diese unvollständig gebliebeneSachrecherche ca. 300 neue Fälle dokumentiert werden. Hinzu kommenanhand der Personenrecherche zu 2 300 Fällen wesentliche neue Angaben zurund 40 Prozent der angefragten Personen. Diese Angaben stammen zum einenaus den beim MfS archivierten Anfragen von in der DDR lebenden Angehörigenaus den 1950er Jahren entweder direkt an das MfS oder an andere DDR - Institu -tionen, die überwiegend unbeantwortet blieben. Weitere Daten konnten ausdem sogenannten NS - Archiv der Hauptabteilung IX /11 gewonnen werden,wenn es sich um Fälle mit NS - Bezug handelte. Das konnten Mitgliedslisten inNS - Organisationen sein, Aktenüberlieferungen der Waffen - SS und diverserMinisterien und Dienststellen, aber auch zahllose Hinweise auf dezentral in derDDR ( heute in den Landesarchiven der ostdeutschen Bundesländer ) archiviertehistorische Materialien und auf Unterlagen, die seit 1990 im Bundesarchiv auf-bewahrt werden.

An dieser Stelle muss besonders Ulrich Müller, Sachgebietsleiter im ReferatAU 6 des BStU, und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern seines Sachgebietsgedankt werden. Herr Müller ist ein Kenner der Überlieferungen der Verfol -gungsorgane des MfS, aber auch der sowjetischen Geheimpolizei im Archiv desBStU. Durch sein besonderes Engagement und seine historischen Kenntnissewurden neue Fälle und Fallgruppen bekannt. Sehr zu schätzen lernte der Autorauch das Bemühen der Archivmitarbeiter des BStU, die selbst bei nicht korrekteingereichten Namensschreibweisen oder unvollständigen Lebensdaten in Hun -derten Fällen die richtige Karteikarte fanden und so Personen identifiziert wer-den konnten.

2 Diese Aktengruppe, jedoch einengend nur auf die Gruppe der Kriegsgefangenen bezo-gen, wird kurz erwähnt in Henry Leide, NS - Verbrecher und Staatssicherheit. Diegeheime Vergangenheitspolitik der DDR, Göttingen 2005, S. 185.

Zur Quellenlage 13

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Im Bundesarchiv Berlin befindet sich ein weiterer Bestand von AnfragenAngehöriger zur Schicksalsklärung, die beim Ministerium des Innern der DDRoder beim DRK - Suchdienst eingegangen waren und ausgewertet wurden.

An Gedenkorten von Speziallagern oder früheren Gerichtsorten von SMT ingrößeren sowjetischen Gefängnissen war die Einsichtnahme in die entsprechen-den Spezialarchive der dort tätigen Gedenkstätten sehr hilfreich. Ausgewertetwurde Material aus Potsdam ( Lindenstraße ), Halle, Bautzen, Torgau, Schwerin,Dresden, Berlin - Hohenschönhausen, Sachsenhausen, Buchenwald, Jamlitz undMühlberg.

Sehr fruchtbar war die Zusammenarbeit mit Leonore Lobeck aus Schwarzen -berg, die zu den Nachkriegsverhaftungen im Kreis Schwarzenberg forscht undes erreicht hat, dass heutige russische Amtsstellen nicht nur zu in den Spezial -lagern Inhaftierten Auskünfte gaben, sondern ihr auch Archivbescheinigungenoder Rehabilitierungsentscheidungen direkt auf dem diplomatischen Wegzukommen ließen, wodurch einerseits neue Fälle von Todesurteilen bekanntwurden und andererseits Angaben zu bereits erfassten Fällen ergänzt werdenkonnten.

Korrespondenzen mit Angehörigen wurden partiell geführt, mussten aberwegen des den Rahmen des Projektes sprengenden Umfangs eingeschränkt bleiben.

Zahlreiche für das Vorhaben wichtige biographische Bezüge vor allem zu denFällen mit Nachkriegsbezug waren in der inzwischen zahlreichen Erinnerungs -und Dokumentationsliteratur, darunter einer großen Anzahl sogenannter grauerLiteratur, zu finden und sind in die Darstellung der Kurzbiographien wie auchder hier vorgestellten Fallgruppen einbezogen worden.

Bei einigen Fallgruppen mit NS - Bezug konnte wissenschaftliche Literatur zurBestimmung der historischen Bedeutung einzelner Personen und von derenTaten verwendet werden, obwohl in ihr die juristische Ahndung von Kriegs -verbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit oft keine Rolle spielte.Über die Vielfalt derartiger Belege, auch bei den anderen Fallgruppen, gibt dieLiteraturauswahl im Anhang Auskunft. Neben den im Buchteil „Fallgruppen -übersicht und Erschließungsregister. Leitfaden für die biographische Doku -mentation“ in den Fußnoten genannten Publikationen werden dort andereQuellen nur ausnahmsweise angegeben, so dass sich alle ansonsten verwende-ten Angaben auf die Projektdatenbank als Quelle beziehen.

14 Andreas Weigelt

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Verbrechensahndung und Besatzungspolitik.Zur Rolle und Bedeutung der Todesurteile durch

Sowjetische Militärtribunale

Klaus - Dieter Müller

I. Einleitung

Wenn heute über deutsch - russische bzw. deutsch - sowjetische Beziehungenreflektiert wird, so stellen sie sich in der öffentlichen Erinnerung häufig fast aus-schließlich als eine Abfolge von Kriegs - und Gewalterfahrungen dar. Geradedurch die öffentliche Erinnerung anlässlich von Jahrestagen, die auf Kriegsereig -nisse des 20. Jahrhunderts bezogen sind, führt dies leicht dazu zu vergessen,dass die deutsch - sowjetischen Beziehungen der Vergangenheit und heutigeBeziehungen Deutschlands mit den Nachfolgestaaten der UdSSR mitnichtenallein auf Krieg und Gewalterfahrung reduziert werden können.

Freilich hat gerade das Ende der UdSSR 1991 und der mit ihm einherge-hende Prozess der Demokratisierung der postsowjetischen Gesellschaften – wiewidersprüchlich und diskontinuierlich auch immer – zu dem scheinbar parado-xen Ergebnis geführt, dass die von Gewalt geprägten Phasen der gemeinsamenGeschichte erneut verstärkt in das Bewusstsein der Öffentlichkeit geraten sind.Denn mit der Öffnung der postsowjetischen Archive Ende der 1980er / Anfangder 1990er Jahre waren nicht nur für Inländer bessere oder erstmals möglicheAktenzugänge zu Bereichen gegeben, die bislang verschlossen waren und indenen Unterlagen zu den vielfältigsten Repressionen gegen sowjetische Bürgerlagern, aber auch zu Repressionen von sowjetischen Behörden gegenüber Aus -ländern. Auch Kooperationen in bis dato unvorstellbaren Bereichen sind ent-standen und ermöglichten damit erstmals die Bearbeitung von Unterlagen zuenormen Opfergruppen wie sowjetischen Kriegsgefangenen in deutscher Handoder den deutschen Kriegsgefangenen in sowjetischem Gewahrsam.

Und noch aus einem anderen Grund hat die Erinnerung an die gewaltbehaf-teten Seiten der gemeinsamen Geschichte noch lange nicht an Bedeutung ver-loren. Noch leben Millionen Menschen in Europa, welche die damaligen Ereig -nisse unmittelbar miterlebt und in ihren Familien tradiert haben, noch sind

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Hunderttausende von ungeklärten Schicksalen aus der Kriegs - und Nachkriegs -zeit eine Hypothek, die der Abtragung bedarf und nur durch Kooperation zwi-schen allen damals beteiligten Staaten erfolgreich durchgeführt werden kann.1

Die historische Last wiegt dabei schwer. Bereits während des Ersten Welt -kriegs waren auf Seiten des russischen Zarenreiches im Kampf gegen dieMittelmächte 1,15 Mio. Soldaten zu Tode gekommen, ungefähr eine Mio. Zivi -listen hatte durch Kriegsereignisse oder - folgen das Leben verloren. Von denetwa 3,4 Mio. russischen Kriegsgefangenen waren 190 000 umgekommen.2 AufSeiten des Deutschen Kaiserreiches waren an der Ostfront 317 000 Soldatengefallen, in Kriegsgefangenschaft sind etwa 56 000 – davon die meisten in rus-sischer Kriegsgefangenschaft – umgekommen.3

1941 griff das Deutsche Reich die Sowjetunion an und überzog sie mit Ver -wüstung. Etwa 26,5 Mio. Menschen verloren insgesamt auf sowjetischer Seiteihr Leben, davon allein 7,6 Mio. als Soldaten in Kampfhandlungen sowie wohlca. 2,6 Mio. in deutscher Kriegsgefangenschaft.4 Auch auf deutscher Seite warendie Verluste an der Ostfront am höchsten. Zu knapp 2,5 Mio. Gefallenen – etwa80 Prozent aller Verluste in dieser Zeit – kommen nochmals 400 000 in sowje-tischer Kriegsgefangenschaft Umgekommene hinzu.5 Die Ereignisse zwischen1941–1945 und ihre Folgen waren eine Tragödie von bis dahin unvorstellbaremAusmaß.6

Eine Jahreszahl spielt daher im kollektiven Gedächtnis des russischen, teilsauch des deutschen Volkes eine zentrale Rolle : Der Beginn des Krieges gegendie UdSSR am 22. Juni 1941, des eigentlichen Kerns des Zweiten Weltkriegs.Dieser Teil des Krieges ist heute fast überall in der Russischen Föderation immernoch als „Großer Vaterländischer Krieg“ im Gedächtnis ihrer Völker eingegra-

1 Jede Publikation oder Information über diese Opfergruppen führt immer wieder zu viel-fältigen Anfragen, so z. B. die Veröffentlichung von entsprechenden Suchdatenbankendurch die Dokumentationsstelle Dresden im Internet oder von Findbüchern.

2 Vadim V. Ėrlichman, Poteri narodonaselenija v XX veke. Spravočnik, Moskva 2004,S. 018.

3 Ebd., S. 42.4 Ebd., S. 20. Die Gesamtzahl der umgekommenen sowjetischen Kriegsgefangenen ist bis

heute nicht verlässlich zu ermitteln. Die Angaben schwanken zwischen der oben genann-ten Zahl und mehr als vier Millionen. Hinzu kommen weitere 1,7 Millionen Getöteteaufgrund stalinistischer Bestrafungsaktionen. Ėrlichman fasst sie unter der Bezeichnung„Terror 1941–1945“ zusammen.

5 Ebd., S. 42.6 Der Begriff der Tragödie wird in Zusammenhang mit den Opfern des Zweiten

Weltkriegs auch in Osteuropa häufig verwendet. Vgl. zum Beispiel Vasilij Christoforov,Die schweigenden Zeugen der Tragödie des Krieges, sowie Nikolaj Klimowič, DieTragödie der Geschichte. In : Norbert Haase / Alexander Haritonow / Klaus - DieterMüller ( Bearb.), Für die Lebenden. Der Toten gedenken. Ein internationales Gemein -schaftsprojekt zur Erforschung des Schicksals sowjetischer und deutscher Kriegsgefan -gener und Inter nierter, Dresden 2003, S. 12–21. V. Christoforov ist Leiter der Archiv -verwaltung des FSB der Russischen Föderation, N. Klimowič war stellvertretender Leiterdes Zentral archivs der KGB der Republik Belarus. In diese Kriegsgeschehnisse war einerheblicher Teil der von 1945–1947 zum Tode Verurteilten involviert.

16 Klaus-Dieter Müller

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ben und präsent. Er hat nicht nur für die Älteren eine herausragende Bedeutung.Für Deutschland ist mit diesem Datum erstens der Beginn des beispiellosenVerbrechens des Völkermordes an den europäischen Juden verbunden, dasdurch den Einmarsch der Wehrmacht in die UdSSR möglich und dann systema-tisch umgesetzt wurde, zweitens ein Besatzungsregime, das Völkermord an denslawischen Völkern zumindest vorsah und teilweise auch realisierte, und drittensdie verbrecherische Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener und die Ver -schleppung von Millionen Zivilisten als Zwangsarbeiter nach Deutschland.7 FürDeutschland bedeutet dieser Tag den Beginn einer historischen Erbschaft, diebis heute wirkt, das Bild des Zweiten Weltkriegs noch lange prägen wird undgerade von der deutschen Wissenschaft einfordert, sich mit den Zielen, Hand -lungen und Verbrechen von NS - Staat und Wehrmacht weiter intensiv zubeschäftigen.

Ein weiterer Grund macht die deutsch - sowjetische Geschichte im 20. Jahr -hundert immer wieder zu einem umstrittenen Thema politischer, publizistischerund wissenschaftlicher Debatten : Als totalitäre Diktaturen hatten beide Staatenin den 1930er und 1940er Jahren eine politische Ordnung, die sie fundamentalvon den anderen Akteuren der europäischen Geschichte unterschied. DieAuseinandersetzung mit der totalitären Vergangenheit ist daher nicht nur fürDeutschland von besonderer Bedeutung, sondern auch für die Nachfolgestaatender UdSSR. Sowohl das Deutschland Hitlers als auch die Sowjetunion Stalinsmachten die Erfahrung eines massenhaften Terrors.8 Als die NS - Führung ihreDiktatur errichtete und den europäischen Kontinent mit einem beispiellosenKrieg überzog, prägten die blutigen „Säuberungen“ Stalins den sowjetischenJustizapparat über die Zäsur von 1945 hinaus.

Anders als in den drei Westzonen schloss sich im östlichen Teil Deutschlandsbald nach 1945 eine weitere Diktatur an, für deren Errichtung die Sowjetunionletztlich entscheidend war. Diese Abfolge führte zu einer Überformung derErfahrungen im Nationalsozialismus und zu einer Überlagerung von Täter - undOpferzuschreibungen, die nach 1989 zum Gegenstand grundsätzlicher Debat -ten in der öffentlichen Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte im20. Jahrhundert wurden. Nicht erst der Diskurs um die Entschädigung derZwangsarbeiter machte deutlich, dass die Memorialisierung der Diktaturerfah -rung in Deutschland keine rein nationale Angelegenheit war. Die NS - Gedenk -

7 Zu den Opferzahlen siehe Ėrlichman, Poteri narodonaselenija v XX veke; G. F. Krivo -šeev u. a. ( Hg.), Rossija i SSSR v vojnach XX veka. Poteri vooružënnych sil. Statisti -českoe issledovanie, Moskva 2001.

8 Zur Vergleichbarkeit von NS - Diktatur und sowjetischer Diktatur Henry Rousso ( Hg.),Stalinisme et nazisme. Histoire et mémoire comparées, Brüssel 1999; Timothy Snyder,Bloodlands. Europa zwischen Hitler und Stalin, 2. Auflage München 2014; Ja. C. Drab -kin / N. P. Komolova u. a. ( Hg.), Totalitarizm v Evrope XX veka. Iz istorii ideologij, dviženij, režimov i ich preodolenija, Moskva 1996; Klaus - Dieter Müller, Handlungs -bedin gungen von Systemgegnern. Widerstand in den totalitären Diktaturen des20. Jahrhunderts. In : Günther Heydemann / Eckhard Jesse ( Hg.), Diktaturvergleich alsHerausforderung. Theorie und Praxis, Berlin 1998, S. 121–153.

Verbrechensahndung und Besatzungspolitik 17

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stätten an den Orten ehemaliger Konzentrations - und Vernichtungslager dien-ten von vornherein internationalem Erinnern an ein gemeinsames Verfol gungs -schicksal. So wie die Erinnerung an das Leid sowjetischer Soldaten in deutscherKriegsgefangenschaft deutsche und postsowjetische Diktaturerfah rung mitei-nander verbindet,9 gilt das auch für die sowjetischen Speziallager in der SBZ /DDR, insbesondere dort, wo die Besatzungsmacht nationalsozialistische Kon -zentrationslager als Haft - und Internierungsort weiternutzte. Beides – Kriegsge -schehen und sowjetische Justiz in der Nachkriegszeit – gehört in einen Gesamt -zusammenhang und kann auch in diesem Bereich als Teil der deutschen undsowjetischen / russischen Geschichte im 20. Jahrhundert weder isoliert betrach-tet noch auf ausschließlich nationaler Grundlage hinreichend aufgearbeitet wer-den. Die Todesurteile gegen deutsche Zivilisten und Soldaten in der unmittel-baren Nachkriegszeit waren ein integraler Bestandteil des sicherheitspolitischenund strafrechtlichen Vorgehens sowjetischer Organe in der Sowje tischen Besat -zungszone, das sich nur im Kontext der unmittelbaren Kriegs erfahrung verste-hen lässt. Für eine angemessene Beurteilung müssen vor allem die Handlungenund das Verhalten von Wehrmacht und deutschen Zivilisten gegenüber sowjeti-schen Bürgern in den besetzten Gebieten der UdSSR, aber auch im DeutschenReich berücksichtigt werden. Für die von 1944 bis 1947 verhängten Todesurteilehatten diese Sachverhalte eine herausragende Bedeutung.

Auch wenn die juristische Praxis der Sowjetischen Militärtribunale praktischnichts mit rechtsstaatlichen Verfahren gemein hatte, lässt sich feststellen, dassein Teil der deutschen Angeklagten zu Recht wegen Kriegs - und Gewaltverbre -chen von sowjetischen Gerichten verurteilt worden ist.10 Dies betrifft zum Bei -spiel Urteile, die gegen SS - Einsatzgruppenmitglieder und Mitglieder der Polizei -bataillone oder gegen ehemalige deutsche Soldaten und Zivilisten wegen ihrerTaten in den besetzten sowjetischen Territorien ergingen. Angeklagt und verur-teilt wurden Unternehmer und Landwirte wegen der Beschäftigung und Miss -handlung von Zwangsarbeitern, die Verantwortlichen des Krankenmords undAngehörige der KZ - Wachmannschaften wie beispielsweise im Prozess zum„Konzentrations lager Sachsenhausen“.

9 Die Erforschung und öffentliche Darstellung des Schicksals sowjetischer Kriegsgefan -gener in der Gedenkstätte Zeithain, in der Nähe von Riesa in Sachsen, auf deren Terri -torium sich mit etwa 30 000 Gräbern der größte Friedhof mit sowjetischen Kriegs -gefangenen in Deutschland befindet, hat gerade für Osteuropa eine besondereBedeutung.

10 Vgl. die Ausführungen von Alexander J. Morin, Die strafrechtliche Verfolgung von Nazi-Kriegsverbrechern. Zur Arbeit der sowjetischen Rechtsbehörden bei der Ermittlung undAufklärung von Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen den Frieden und die Mensch -lichkeit. In : Sowjetische und deutsche Kriegsgefangene in den Jahren des Zweiten Welt -krieges. In diesen geht er auf die Schauprozesse ( öffentlichen Prozesse ) in der UdSSRund der SBZ ein. Morin, damals General der Militärstaatsanwaltschaft, betrachtet diedamaligen Urteile auch heute noch als zu Recht bestandskräftig. Der Beitrag ist unterdemselben Titel publiziert in : Sowjetische und deutsche Kriegsgefangene in den Jahrendes Zweiten Weltkrieges. Hg. von Alexander Haritonow, Klaus - Dieter Müller, Vyaches -lav Selemenev und Jurij Zverev, Dresden 2004 ( in dt. und russ. Sprache ), hier S. 470–509.

18 Klaus-Dieter Müller

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Ebenso lässt sich aber festzustellen, dass die meisten Deut schen, die aufgrundsogenannter konterrevolutionärer Strafbestimmungen ab 1947/48 angeklagtwurden, aus rein politischen Gründen und damit zu Unrecht verurteilt wurden.Das hatte zur Folge, dass sie nach 1990 zumeist rehabilitiert wurden, wenn ent-sprechende Anträge gestellt worden waren. Damit erkennt der Nach folgestaatder Sowjet union, Russland, offiziell und auch für den deutschen Staat bindendan, dass damals Unrecht geschah. Er ermöglicht damit zumindest eine Teil -wiedergut machung dieses Unrechts.

II. Verhaftungen und Verurteilungen durch sowjetische Organe

Ab Ende 1944 kamen mit dem Überschreiten der deutschen Ostgrenze erstmalsMillionen deutscher Zivilisten unter sowjetische Besatzung und Verwaltung.Hunderttausende von ihnen wurden verhaftet und entweder teils unmittelbar,teils erst einige Jahre später zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert, inSpeziallager der sowjetischen Besatzungsmacht eingewiesen oder von Sowje -tischen Militärtribunalen verurteilt.

Man kann die in den letzten Kriegsmonaten und dem ersten Nachkriegs -jahrzehnt Verhafteten grundsätzlich in vier verschiedene Gruppen einteilen :

Erstens wurden nach einem Bericht von Innenminister Beria an Stalin undMolotov vom 15. Dezember 1944 etwa 550 000 in Osteuropa lebende Ange -hörige der dortigen deutschen Minderheit registriert, unter ihnen mehr als300 000 Frauen.11 Diese sollten nach einem Befehl Stalins von Dezember 1944zum Arbeitseinsatz in die Sowjetunion verbracht werden. Nach Abwägung derunterschiedlichen Arbeitsfähigkeit dieses Kontingents erließ das Staatliche Ver -teidigungskomitee am 16. Dezember 1944 den Geheimbefehl 7161ss12 zurMobilisierung aller arbeitsfähigen Deutschen. 110 000 von ihnen, hauptsächlichältere Männer, Frauen und Kinder, wurden tatsächlich deportiert. AlleinigerZweck dieser Maßnahme war die Linderung des großen Arbeitskräftemangelsin der UdSSR. Politische Gesichtspunkte – etwa Säuberungsaspekte, Sicher -heitsaspekte oder gar die Ahndung von NS - Verbrechen – spielten hierbei keineRolle. So ist in den Personalakten der Deportierten auch kein eigentlicherHaftgrund vorhanden.13

Eine zweite Gruppe von Deutschen geriet ab Anfang 1945 in sowjetischeHand. Nach einem Befehl des Staatlichen Verteidigungskomitees vom 8. Januar1945 wurden etwa 100 000 Deutsche – hauptsächlich aus Ostpreußen und

11 Die grundlegenden Befehle und Rechenschaftsberichte zum Vorgehen sowjetischerOrgane sind abgedruckt in Ralf Possekel ( Bearb.), Sowjetische Speziallager in Deutsch -land 1945 bis 1950, Band 2 : Sowjetische Dokumente zur Lagerpolitik. Hg. von SergejMironenko, Lutz Niethammer und Alexander von Plato in Verbindung mit VolkhardKnigge und Günter Morsch, Berlin 1998.

12 Abgedruckt in Possekel, Sowjetische Speziallager, Band 2, S. 133–135.13 In den Archivbescheinigungen der russischen Militärstaatsanwaltschaft heißt es aus-

drücklich, ein Inhaftierungsgrund sei nicht ersichtlich.

Verbrechensahndung und Besatzungspolitik 19

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Oberschlesien – interniert und anschließend unmittelbar zum Arbeitseinsatz indie Sowjetunion deportiert, ehe am 18. April 1945 diese Aktion abrupt, kurzvor Beginn des Sturmes auf Berlin, gestoppt wurde. Die Personalakten dieserVerschleppten belegen, dass politische Gründe – d. h. politische Belastungen –im Grunde keine Rolle gespielt haben. Es ging tatsächlich um Arbeitskräfte fürdie Behebung der exorbitanten Kriegsschäden in der Sowjetunion.14

Am 11. Januar 1945 erließ wiederum Beria als Innenminister den BefehlNr. 0016 „Über Maßnahmen zur Säuberung des Hinterlandes der Roten Armeevon feindlichen Elementen“.15 Für jede Front ( Armeegruppe ) war jeweils einFrontbevollmächtigter ernannt. Ihre Hauptaufgabe bestand in der Durchfüh -rung sogenannter tschekistischer Maßnahmen. In dem Befehl sind zum erstenMal Kategorien von Personen genannt, die inhaftiert werden sollten : Spione,Diversanten, Terroristen, Betreiber von Druckereien, Radiosendern und Waffen -lagern; weitere Kategorien waren Angehörige staatlicher Verwaltungsorgane,deutscher Sicherheitsdienste, des Justizapparates und Militärapparates, aberauch einfach Mitglieder faschistischer Organisationen. Sie wurden als Gruppe B:Internierte - Verhaftete zusammengefasst. Knapp einen Monat später wurde die-ser Befehl noch einmal bekräftigt ( Befehl des Staatlichen VerteidigungskomiteesNr. 7467ss vom 3. Februar 1945).16

Auf frischer Tat gestellte Terroristen und Diversanten waren nach BefehlNr. 7467ss an Ort und Stelle zu erschießen ( siehe Beispiele in diesem Band ).Gleichzeitig wurde befohlen, alle deutschen Männer im Alter von 17 bis 50 Jah -ren zu mobilisieren und in die UdSSR zum Zwangsarbeitseinsatz zu deportie-ren, als Gruppe G, Internierte und Mobilisierte, bezeichnet. Beides – Internie -rung von angeblichen oder wirklichen gefährlichen oder politisch belasteten wievon arbeitsfähigen Deutschen – wurde vermischt. Beide Gruppen sollten in dieUdSSR gebracht werden. Die Vermischung beider Kategorien war wohl auchtaktisch bedingt, denn insgesamt firmierten Verhaftung und Deportation offi-ziell als Sicherungsmaßnahmen, nicht als Reparationsleistungen.

Ihren Abschluss fand die Deportation dieser Gruppen im April 1945. Am17. April 1945 legte Beria Stalin eine Bilanz der bisherigen Arbeit seiner Organevor.17 Danach waren 215 000 Personen inhaftiert worden, davon 138 000 Deut -sche. Die größte Gruppe unter ihnen bildeten 123 000 einfache Mitglieder oderniedere Funktionäre von NS - Organisationen. Fast entschuldigend hieß es dazu,sie seien allein aus Gründen der schnellstmöglichen Säuberung inhaftiert wor-den. Auch stellte der Bericht fest, dass nur die Hälfte der Deportierten in denGUPVI - Lagern sich als arbeitsfähig erwiesen hatte.

14 Einzelakten dieser Verschleppten aus dem GUPVI - Bestand ( Kriegsgefangene und Inter -nierte ) sowie aus einem Interniertenlager in der Komi - Republik zeigen, dass jeweils nurein kurzes Verhör geführt und anschließend von den NKVD - Organen die Überführungin die UdSSR festgelegt wurde.

15 Abgedruckt in Possekel, Sowjetische Speziallager, Band 2, S. 142–146.16 Ebd., S. 146–151.17 Schreiben von Beria an Stalin vom 17.4.1945, abgedruckt in ebd., S. 175–177.

20 Klaus-Dieter Müller

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Zwei Dinge fallen an diesem Bericht weiterhin auf : Erstens wurde vorgeschla-gen, die Deportation in die UdSSR abrupt zu stoppen, und zweitens sollten dieInhaftierungskategorien schärfer gefasst und die Verhafteten in der Sowje -tischen Besatzungszone in Speziallagern belassen werden. Obwohl ein weitererBefehl 0062 vom 6. Februar 194518 insgesamt etwa 500 000 Deportierte dieserGruppen verlangt hatte, war es nur gelungen, knapp 100 000 Menschen in dieUdSSR zu verbringen, unter ihnen viele Frauen und auch Kinder.

Als dritte Gruppe können verhaftete Deutsche zusammengefasst werden, diein der SBZ bis Ende 1946 von NKVD - Operativgruppen in örtliche sowjetischeSpeziallager eingewiesen und dort festgehalten wurden. Etwa 130 000 Men -schen – unter ihnen einige Tausend aus westalliierter Kriegsgefangenschaft ent-lassene und erneut verhaftete deutsche Soldaten – traf dieses Schicksal. DieseGruppe umfasste etwa 14 Prozent Frauen sowie etwa 10 Prozent Jugendliche.Bei der Mehrzahl von ihnen lagen allgemeine politische Beschuldigungen alsNS- Belastete vor, ähnlich dem in den westalliierten Besatzungszonen Deutsch -lands praktizierten automatischen Arrest, ohne dass ihnen konkrete Vergehenoder Verbrechen vorgeworfen wurden.19

Zur vierten Gruppe gehören Menschen, die von Militärtribunalen wegen NS-Verbrechen ( Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit ) oder Ver -brechen gegen die Besatzungsmacht und die DDR abgeurteilt wurden. NachAngaben des FSB umfasst diese Kategorie etwa 35 000 Menschen.

Damit kamen insgesamt etwa 380 000 deutsche Zivilisten in sowjetischeHaft. Etwa ein Drittel der in die UdSSR Deportierten wie auch der Spezial -lagerhäftlinge auf dem Gebiet der SBZ hat die Haft nicht überlebt.20 Hinrich -tungen und Haftbedingungen dürften bei etwa 20 Prozent der ca. 35 000 ver-urteilten Zivilisten als Todesursache anzusehen sein. Im Schnitt wurde gegen17,6 Prozent der von Sowjetischen Militärtribunalen verurteilten deutschenZivilisten die Todesstrafe verhängt, 13,3 Prozent wurden hingerichtet.21

18 Abgedruckt in Possekel, Sowjetische Speziallager, Band 2, S. 152–153.19 Zu etwa 140 000 von Anfang 1945 bis Ende 1946 verhafteten Nicht - Verurteilten (ein

Teil wurde nach kurzer Zeit wieder entlassen) liegen sowohl Auszüge aus den sowjeti-schen Lagerjournalen sowie Personenangaben des FSB ( früher KGB ) vor, aus denenHaftgrund, Haftdauer sowie Lageraufenthalte, Sterbe - oder Entlassungsdaten zu ermit-teln sind. Diese Daten wurden der Dokumentationsstelle Dresden vom Suchdienst desDRK in München zur Verfügung gestellt.

20 Klaus - Dieter Müller, „Jeder kriminelle Mörder ist mir lieber ...“. Haftbedingungen fürpolitische Häftlinge in der Sowjetischen Besatzungszone und der Deutschen Demokra -tischen Republik und ihre Veränderungen von 1945–1989. In : ders. / Annegret Stephan( Hg.), Die Vergangenheit lässt uns nicht los. Haftbedingungen politischer Gefangenerin der SBZ / DDR und deren gesundheitliche Folgen, Berlin 1998, S. 15–137, hier 31–39, 127–133.

21 Andreas Hilger, Einleitung. In : ders. ( Hg.), „Tod den Spionen !“ Todesurteile sowjeti-scher Gerichte in der SBZ / DDR und in der Sowjetunion bis 1953, Göttingen 2006,S. 7–35, hier 28.

Verbrechensahndung und Besatzungspolitik 21

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III. Die sowjetischen Sicherheits - , Justiz - und Verfolgungsorgane

1. Der Sicherheitsapparat : Die sowjetische Geheimpolizei NKVD /MGB /MVD22

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden in allen vier Besatzungszonenalliierte Militäradministrationen eingerichtet, welche für die Verwaltung desjeweiligen Besatzungsgebietes verantwortlich waren. Mit der Anordnung dersowjetischen Regierung vom 6. Juni 1945 und Befehl Nr. 1 wurde in Karlshorstbei Berlin am 9. Juni 1945 die Sowjetische Militäradministration in Deutschland( SMAD, ab 1949 in Sowjetische Kontrollkommission – SKK – umbenannt )installiert. Sie hatte bis 1955 die oberste Gewalt in der Sowjetischen Besatzungs -zone ( SBZ ) inne. Neben der Zentrale in Karlshorst wurden Administrationenauf der Ebene der Länder eingesetzt.

Deren Hauptaufgabe bestand in den ersten Jahren hauptsächlich in der Neu-Organisation, Wiederingangsetzung und Überwachung des politischen, sozia-len und wirtschaftlichen Lebens in der SBZ. Daneben war sie mit Entnazifi -zierungs - wie auch mit Reparationsfragen befasst.23

Integraler Bestandteil – und trotzdem nicht der Befehlsgewalt der SMADunterstellt – war der sowjetische Sicherheitsapparat. Dieser unterstand direktdem sowjetischen Innenministerium in Moskau. Die Verklammerung mit derSMAD erfolgte bis 1947 über die sowjettypische Funktion des Chefs des Sicher -heitsapparates als gleichzeitigem ersten Stellvertreter des SMAD - Chefs. GeneralIvan Serov war als Angehöriger des NKVD oberster Chef aller Geheimpolizei -angehörigen in der SBZ und zugleich nach Befehl Nr. 1 des Obersten Chefs derSowjetischen Militäradministration in Deutschland Marschall Shukow vom9. Juni 1945 über die Bildung der Sowjetischen Militärverwaltung dessen ers-ter Stellvertreter.

Der Sicherheitsapparat der Sowjetunion betrat mit dem Einmarsch inDeutschland keineswegs absolutes Neuland. Bereits bei der Säuberung Ost -polens 1939/40 und der Baltischen Staaten 1940/41 und wieder ab 1944 hatteer seine Aufgaben in den gerade befreiten oder eroberten Gebieten erledigt.24

22 Eine Übersicht zum sowjetischen Sicherheitsapparat ist abgedruckt in Jan Foitzik, Sow -jetische Militäradministration in Deutschland ( SMAD ). In : Martin Broszat / HermannWeber ( Hg.), SBZ - Handbuch. Staatliche Verwaltungen, Parteien, gesellschaftliche Orga -nisationen und ihre Führungskräfte in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands1945–1949, München 1990, S. 7–69, hier 59 f. Ausführlich dann : ders., SowjetischeMilitäradministration in Deutschland ( SMAD ) 1945–1949. Struktur und Funktion,Berlin 1999, hier S. 161–167. Als neueste Übersicht zum Sicherheitsapparat siehe JanFoitzik / Nikita Petrov, Die sowjetischen Geheimdienste in der SBZ / DDR von 1945 bis1953, Berlin 2009.

23 Vgl. z. B. Norman Naimark, Die Russen in Deutschland. Die Sowjetische Besatzungs -zone 1945 bis 1949, Berlin 1997.

24 Entstanden als kleiner Apparat unmittelbar nach dem Oktober - Putsch der Bolschewiki,wurde er bald an allen Brennpunkten sowjetischer Expansions - oder Rückeroberungs -kämpfe eingesetzt und enorm ausgeweitet : Vom Kaukasus 1921–23 über den sowjeti-

22 Klaus-Dieter Müller

ISBN Print: 9783525369685 — ISBN E-Book: 9783647369686© 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen

Weigelt / Müller / Schaarschmidt / Schmeitzner, Todesurteile sowjetischer Militärtribunale gegen Deutsche (1944–1947)

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Gegründet als Außerordentliche Kommission zum Kampf gegen die Konter -revolution und Sabotage am 20. Dezember 1917, wurde die WTscheka ( so dierussische Bezeichnung ) unter wechselnden Namen und Bezeichnungen zueinem immer größeren Terror - Apparat ausgebaut. Vom Politbüro unter Stalinmit zahlreichen Sondervollmachten ausgestattet, gaben Geheimbefehle ihr fastuneingeschränkte Macht. Oberstes Ziel der Ermittlungsverfahren war die Erlan -gung von Geständnissen, während Indizien und Beweise in der Regel nur eineuntergeordnete Rolle spielten. Anklagen und tatsächliche Handlungen derAngeschuldigten standen in den 1930er Jahren zumeist in einem groteskenMissverhältnis, häufig hatten sie gar nichts miteinander zu tun. Psychische undphysische Folter waren gängige und vom Politbüro 1937 schriftlich sanktionierteMittel zur Erlangung von Geständnissen. Das NKVD hatte bestimmte Soll -zahlen an Überführten zu liefern. Die Übererfüllung des Planes wurde mitPrämien honoriert.25

Die Arbeit des NKVD war auf die Sicherung der sozialistischen Ordnunggerichtet und stellte eines der wichtigsten Instrumente der Parteiführung zurNiederhaltung jedes potentiellen – oder auch vermeintlichen – Widerstands dar.

schen Osten bis zu den Massenverbrechen des Stalinismus wie Zwangskollektivierung,den großen Säuberungen bis zu ethnischen Säuberungen im Zweiten Weltkrieg. Hierbeihatte sich General Serov als Vertrauter Chruschtschows seine „Verdienste“ erworben.Zu Aufbau, Personal und Entwicklung des sowjetischen Sicherheitsapparates grund -legend Aleksandr I. Kokurin / Nikita V. Petrov / Rudol’f G. Pichoja ( Bearb.), Lubjanka -VČK - OGPU - NKVD - MGB - MVD - KGB, Moskva 1997.

25 Vgl. die Vorträge russischer Militärstaatsanwälte zu dieser Problematik in den Jahren1993–2002, so von W. A. Wolin, Russland rehabilitiert die durch sowjetische Militär -tribunale unschuldig Verurteilten; L. P. Kopalin, Gesetze der Sowjetunion und Russ -lands über die Rehabilitation der Opfer der politisch motivierten Repressionsmaßnah -men. Tätigkeit der Militärstaatsanwälte für die Rehabilitierung der unbegründetpolitisch verfolgten deutschen Staatsbürger; ders., Gesetzgebung der Russischen Föde -ration zur Rehabilitierung von Opfern politischer Repressalien. Die Tätigkeit der Mili -tärstaats anwälte zur Aufarbeitung von Archivakten der von den sowjetischen Gerichtenund außergerichtlichen Organen politisch verfolgten Bürger Deutschlands sowie zurReha bilitierung von zu Unrecht Verurteilten ( alle Dokstelle StSG). Für das russische Gebiet Tomsk hat A. S. Stromberg – von Beruf Chemieprofessor, deut-scher Nationalität, selbst Opfer der politischen Repression – eine repräsentative Stich -probenuntersuchung vorgenommen. Auf der Basis von mehr als 18 000 NamenVerfolgter ( Verhaftete und Erschossene ) wurde eine Zufallsgruppe von 1700 Namenuntersucht. Aus diesem sowie weiteren NKVD - Quellenmaterial geht hervor, dass dasörtliche NKVD 1937 bestimmte Sollzahlen an ermittelten Volksfeinden zu erfüllenhatte. Eine der Schlussfolgerungen Strombergs lautet, dass 1937/38 nicht persönlicheSchuld in Kombination mit dem Beruf Motiv für die Verfolgung war, sondern staatlicheVorgaben, nach denen Menschen als Mitglieder nicht - existenter antisowjetischer oderantisowjetisch - ethnischer Organisationen ermordet wurden ( so Sollzahlen an zu verhaf-tenden Polen oder Balten ). Vgl. A. S. Stromberg, Rasstrelometrie. Politische Repressionim Tomsker Gebiet 1928–1953, Manuskript, 21. S. ( Kopie Dokstelle StSG ) Rasstrelo -metrie, eine Wortneuschöpfung, bedeutet die Messung der Verteilung von Erschossenennach statistischen Methoden. Vgl. auch neuerdings: Jörg Baberowski, Verbrannte Erde.Stalins Herrschaft der Gewalt, München 2012, S. 549–554; Snyder, Bloodlands, Kap. 2und 3.

Verbrechensahndung und Besatzungspolitik 23

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Millionen Menschen – niemand kennt die genauen Zahlen – gerieten in dieFänge des NKVD, Millionen kamen in ihrem Imperium GULag um.26

In der Organisationsstruktur des Sicherheitsapparates der SMAD bildetendie Länder und Provinzen die sogenannten operativen Sektoren, die die Verhaf -tungen durchführten. Das Hauptquartier in Berlin bestand aus etwa 90 Offi -zieren, 18 Dolmetschern und 20 weiteren Mitarbeitern. Die mittlere Ebene stell-ten die operativen Bezirke dar, die aus ungefähr 15–20 Offizieren, zehn biszwölf Dolmetschern sowie einem Zug MVD - Soldaten bestanden. In den Kreisensowie in größeren Städten gab es die operativen Gruppen, die mit ungefähr dreibis zehn Offizieren, einigen Dolmetschern und in der Regel zehn MVD - Sol -daten ausgestattet waren. In Berlin und in den Landeshauptstädten befandensich die zentralen Untersuchungshaftanstalten des NKVD ( Berlin - Hohenschön -hausen, Berlin - Lichtenberg, Schwerin, Weimar, Halle, Potsdam, Dresden ).Daneben existierten in größeren Städten wie zum Beispiel Torgau, Greifswald,Magdeburg oder Leipzig weitere Untersuchungshaftanstalten, deren Gesamt -zahl bisher nicht exakt bekannt ist. Als letztes unterhielten die operativen Sekto -ren des NKVD eine Fülle von kleinen Gefängnissen, die zunächst zur Aufnahmeder Verhafteten dienten und in denen zumeist die ersten Verhöre vonstatten gin-gen. Es sind inzwischen mehr als 500 solcher Örtlichkeiten – im Volksmunddamals GPU - Keller genannt – nachgewiesen.27 Zur Unterstützung ihrer Arbeiterrichteten die operativen Sektoren von Anfang an ein weitverzweigtesSpitzelnetz, dem mehrere Tausend Deutsche angehörten. Genaue Zahlen sindnicht bekannt.

Dem NKVD oblag des Weiteren die Verwaltung und Überwachung derSpeziallager, die in der SBZ parallel zu den Internierungslagern in den west -lichen Besatzungszonen eingerichtet wurden, um Verantwortliche des NS -Regimes einzusperren und jeglichem Widerstand gegen die Besatzungsmachtvorzubeugen.28 Waren es Mitte 1945 zunächst zwölf Speziallagern ( Buchen -

26 Vgl. Nicolas Werth, Ein Staat gegen sein Volk. Das Schwarzbuch des Kommunismus,München 2002, S. 226–239; Jörg Baberowski, Der rote Terror. Die Geschichte desStali nismus, München 2003, S. 183–204; ders., Verbrannte Erde. Stalins Herrschaftder Gewalt, München 2012, S. 341 ff. Ralf Stettner, Archipel GULag. Stalins Zwangs -lager – Terrorinstrument und Wirtschaftsgigant. Entstehung, Organisation und Funk -tion des sowjetischen Lagerssystems 1928–1956, Paderborn 1996, S. 376–398; speziellzum Massenterror 1934–1938, Robert Conquest, Der große Terror. Sowjet union 1934–1938, München 1992.

27 Eine Zeitzeugenbefragung des Autors erbrachte mehr als 500 solcher Orte in der SBZ;für Thüringen allein hat die Gedenkstätte Buchenwald mehr als 70 nachgewiesen. Insge -samt umfasste der Sicherheitsapparat im Schnitt zwischen 2 200 und 2 600 Mitar -beitern, vgl. Foitzik, Sowjetische Militäradministration, 1999, S. 162; zu Aufbau undTätig keit der Sicherheitsorgane vgl. Andreas Hilger / Nikita Petrov, „Erledigung derSchmutz arbeit“ ? Die sowjetischen Justiz - und Sicherheitsapparate in Deutschland. In :Andreas Hilger / Mike Schmeitzner / Ute Schmidt ( Hg.), Sowjetische Militärtribunale,Band 2 : Die Verurteilung deutscher Zivilisten 1945–1955, Köln 2003, S. 59–152, hier76–105.

28 Lutz Niethammer, Alliierte Internierungslager in Deutschland nach 1945. Ein Vergleichund offene Fragen. In : Peter Reif - Spirek / Bodo Ritscher ( Hg.), Speziallager in der SBZ.

24 Klaus-Dieter Müller

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Weigelt / Müller / Schaarschmidt / Schmeitzner, Todesurteile sowjetischer Militärtribunale gegen Deutsche (1944–1947)

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wald, Sachsenhausen, Bautzen, Jamlitz, Fünfeichen, Torgau - Seydlitzkaserne,Torgau – Fort Zinna, Ketschendorf, Berlin - Hohenschönhausen, Frankfurt /Oder, Mühlberg, Weesow ), so wurden die Häftlinge nach 1947 in den dreiSpeziallagern Sachsenhausen, Buchenwald und Bautzen zusammengefasst. Indiesen Lagern wurden nicht - verurteilte und verurteilte Häftlinge getrennt von-einander untergebracht. Im Laufe der Jahre setzte eine gewisse funktionaleDifferenzierung ein. In einigen Lagern waren nur Nicht - Verurteilte, in anderenbegannen die Verurteilten zahlenmäßig zu dominieren.29 Ab Anfang 1947 wur-den alle operativen Gruppen ( MGB, SMERSCH, NKVD ) im MGB zusammen-geführt, so dass Serov nicht mehr für sie zuständig war, jedoch weiterhin dieAufsicht über die Lager und Gefängnisse der Inneren Truppen behielt.

2. Die Sowjetischen Militärtribunale ( SMT )

Das sowjetische Besatzungsregime bediente sich zur inneren Sicherung seinerBesatzungsherrschaft neben der Internierungspraxis des Instrumentes der Mili -tärtribunale. Diese hatten die Aufgabe, Verbrechen gegen die Sowjetunion ausder Kriegszeit sowie gegen die sowjetische Besatzungsmacht zu ahnden.

Die Militärtribunale waren während des Vormarsches und dann etwa bisHerbst 1946 den in der SBZ stationierten Truppenteilen der sowjetischen Streit -kräfte zugeordnet. Nach einer Konsolidierungsphase wurden Militärtribunaleals stationäre Einrichtungen bei der SMAD - Zentrale in Berlin - Lichtenberg sowieden Sowjetischen Militäradministrationen auf Länderebene in Schwerin, Pots -dam, Weimar, Dresden und Halle gegründet. Gerichtsverhandlungen dieserLänder - Militärtribunale fanden auch in anderen Städten der Länder statt.30

Gedenkstätten mit „doppelter Vergangenheit“, Berlin 1999, S. 103–116; AndrewBeattie, Die alliierte Internierung im besetzten Deutschland und die deutsche Gesell -schaft. Vergleich der amerikanischen und der sowjetischen Zone. In : Zeitschrift fürGeschichtswissenschaft, 62 (2014) 3, S. 239–256.

29 Siehe hierzu Sergej Mironenko / Lutz Niethammer / Alexander von Plato ( Hg.) in Ver -bindung mit Volkhard Knigge und Günter Morsch, Sowjetische Speziallager in Deutsch -land 1945 bis 1950, Band 1 : Studien und Berichte. Hg. und eingeleitet von Alexandervon Plato, Berlin 1998; eine Übersicht über sämtliche Speziallager sowie zu Strukturenund Haftbedingungen Natalja Jeske / Jörg Morré, Die Inhaftierung von Tribunalverur -teilten in der SBZ. In : Hilger / Schmeitzner / Schmidt ( Hg.), SMT 2, S. 610–661; fürBuchenwald Bodo Ritscher, Das Speziallager Nr. 2. Zur Geschichte des SpeziallagersBuchenwald 1945–1950, Weimar 1993; zu Bautzen Hunger - Kälte - Isolation. Erlebnis -berichte und Forschungsergebnisse zum sowjetischen Speziallager Bautzen 1945–1950.Bearbeitet von Cornelia Liebold und Bert Pampel, Dresden 1997; zu Mühlberg AchimKilian, Einzuweisen zur völligen Isolierung. NKWD - Speziallager Mühlberg / Elbe 1945–1948, 2. Auflage Leipzig 1993. Als neueste Publikation siehe Bettina Greiner, Verdräng -ter Terror. Geschichte und Wahrnehmung sowjetischer Speziallager in Deutschland,Hamburg 2010.

30 So belegen sowjetische Unterlagen zum Beispiel SMT - Verfahren in Torgau, Chemnitz,Bautzen oder Cottbus.

Verbrechensahndung und Besatzungspolitik 25

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