Post on 18-Oct-2020
Wer profitiert mehr vom Kindergarten?
Was macht der Migrationsstatus dabei aus? Eine soziologische Analyse
Dr. Birgit Becker Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES), Universität Mannheim
Frühkindliche Bildung und Betreuung heute – eine multidisziplinäre Herausforderung, Kooperationstagung der Robert Bosch Stiftung und des
Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin)
9. - 10. Dezember 2010, Berlin
Birgit Becker: Wer profitiert mehr vom Kindergarten?2
GliederungEinleitungBefunde aus der Literatur zum SpracherwerbTeil 1: Die Wirkung von Segregation im Kindergarten
DatenErgebnisse
Teil 2: Die Wirkung der AusstattungsqualitätDatenErgebnisse
Zusammenfassung und Diskussion
Birgit Becker: Wer profitiert mehr vom Kindergarten?3
EinleitungHauptthema in der Soziologie: Ungleichheit zwischen verschiedenen Gruppen in einer Gesellschaft und die Rolle von Institutionen (→Vergrößerung/ Reduktion der Ungleichheit)Ethnische Bildungsungleichheit: Unterschiede zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund in Bezug auf Schulleistungen und Bildungsergebnisse (vgl. Diefenbach 2007)Bisher oft im Blick: Rolle der Schule
Birgit Becker: Wer profitiert mehr vom Kindergarten?4
EinleitungAber: Der Grundstein für ethnische Bildungsungleichheit wird bereits vor Schulbeginn gelegt, da die Kinder die Schule mit unterschiedlichen Startvoraussetzungen beginnen (z.B. in Bezug auf sprachliche Kompetenzen)Daher: Rolle vorschulischer BildungsinstitutionenVermutung: Kompensatorische Wirkung des KindergartenbesuchsFokus des Vortrags heute: Rolle des Kindergartenbesuchs für die sprachlichen Kompetenzen von Migrantenkindern
Birgit Becker: Wer profitiert mehr vom Kindergarten?5
Befunde aus der LiteraturInternational:
Besuch vorschulischer Einrichtungen → positive Effekte auf Sprachfähigkeiten (z.B. Currie 2001)Migrantenkinder können dabei vom Besuch stärker profitieren als Einheimische (Magnuson et al. 2006)Es kommt aber v.a. auf die Qualität der Einrichtung an (z.B. NICHD 2002, 2004)
Deutschland:Hinweis für Wichtigkeit der Qualität (Tietze et al. 1998)Wirkung für Migrantenkinder?
Birgit Becker: Wer profitiert mehr vom Kindergarten?6
Der Kindergarten als Kontext zum Spracherwerb
Außerfamiliäre Lernkontexte (wie der Kindergarten) können einen Zugang zur Sprache bietenGerade für Migrantenkinder, die zu Hause durchschnittlich weniger Input in der deutschen Sprache bekommen, nehmen solche Kontexte wahrscheinlich eine Schlüsselstellung einNeben formalen Sprachförderprogrammen bieten sich vor allem durch alltägliche Interaktionen und dem Umgang mit anregenden Materialien vielfältige Möglichkeiten zur SprachförderungAber: Es kommt auf die konkreten Rahmenbedingungen an!
Birgit Becker: Wer profitiert mehr vom Kindergarten?7
Teil 1: Die Wirkung von Segregation
im Kindergarten
Quelle:Becker, Birgit (2006): Der Einfluss des Kindergartens als Kontext zum
Erwerb der deutschen Sprache bei Migrantenkindern. In: Zeitschrift für Soziologie 35, 6: 449-464.
Birgit Becker: Wer profitiert mehr vom Kindergarten?8
DatenOsnabrücker Schuleingangsuntersuchung der Jahrgänge 2000 bis 2005Komplette Jahrgänge werden erfasst → kaum NonresponseStandardisierte Erfassung der Entwicklung + kurzer ElternfragebogenFallzahl: N=646 Kinder mit türkischem MigrationshintergrundFallzahl Kindergärten: N=60
Birgit Becker: Wer profitiert mehr vom Kindergarten?9
Messung für sprachliche Kompetenz: Förderbedarf in Deutsch
Einschätzung durch die Schulärztin, ob Förderbedarf in Deutsch vorhanden ist oder nicht (anhand der Kommunikation mit dem Kind während der Untersuchung)Nur sehr grober Indikator; kann nur identifizieren, wer größere Probleme mit der dt. Sprache hatNicht für deutsche Kinder auswertbar, da <1 Prozent betroffenDichotome Variable:
0: kein Förderbedarf1: Förderbedarf
Birgit Becker: Wer profitiert mehr vom Kindergarten?10
KindergartenbesuchKindergartenbesuchsdauer:
Bis zu einem Jahr, bis zu 2 Jahren, bis zu 3 Jahren, länger als 3 Jahre
Segregation im Kindergarten:Anteil Migrantenkinder im jew. Jahrgang des besuchten KindergartensAnteil Kinder der türkischen Kinder im jew. Jahrgang des besuchten Kindergartens
Birgit Becker: Wer profitiert mehr vom Kindergarten?11
Ergebnisse aus logistic random intercept models
0.44R0 (Varianz des gruppenspez. Residuums)
Anteil tk. Kinder in Kita
Level 1:
0.06ρI (resid. Intraklassen-Korrelationskoeffizient)
Anteil Migrantenkinder in KitaLevel 2:
0.13-0.63-1.90
Kindergartenbesuch: (Ref. < 1 Jahr)bis 2 Jahrebis 3 Jahre> 3 Jahre
M1
In allen Modellen enthalten: Level 1: Alter, Geschlecht, Erhebungsjahr, Ausbildung und Erwerbsstatus beider Eltern, Geschwisteranzahl
Birgit Becker: Wer profitiert mehr vom Kindergarten?12
0
0,1
0,2
0,3
0,4
0,5
0,6
0,7
0,8
0,9
1
bis 1 bis 2 bis 3 mehr als 3
Kindergartenbesuchsdauer
Deu
tsch
förd
erbe
darf
_
niedrigmittel
hoch
Deutschförderbedarf im Kindergarten
Wirkung Kindergartenbesuch (Dauer)
Nur türkische Kinder
Birgit Becker: Wer profitiert mehr vom Kindergarten?13
Ergebnisse aus logistic random intercept models
0.200.370.44R0 (Varianz des gruppenspez. Residuums)
0.03Anteil tk. Kinder in Kita
Level 1:
0.010.040.06ρI (resid. Intraklassen-Korrelationskoeffizient)
0.01Anteil Migrantenkinder in KitaLevel 2:
0.13-0.60-1.81
0.13-0.60-1.88
0.13-0.63-1.90
Kindergartenbesuch: (Ref. < 1 Jahr)bis 2 Jahrebis 3 Jahre> 3 Jahre
M3M2M1
In allen Modellen enthalten: Level 1: Alter, Geschlecht, Erhebungsjahr, Ausbildung und Erwerbsstatus beider Eltern, Geschwisteranzahl
Birgit Becker: Wer profitiert mehr vom Kindergarten?14
Wirkung Kindergartenbesuch (Segregation im Kindergarten)
0
0,10,2
0,30,4
0,5
0,60,7
0,80,9
1
0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
Anteil türkischer Kinder im Kindergarten
Deu
tsch
förd
erbe
darf
niedrigmittelhoch
Deutschförderbedarf im Kindergarten
Nur türkische Kinder
Birgit Becker: Wer profitiert mehr vom Kindergarten?15
Teil 2: Die Wirkung der
Ausstattungsqualität
Quelle:Becker, Birgit (2010): Wer profitiert mehr vom Kindergarten? Die Wirkung
der Kindergartenbesuchsdauer und Ausstattungsqualität auf die Entwicklung des deutschen Wortschatzes bei deutschen und türkischen Kindern. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 62, 1: 139-163.
Birgit Becker: Wer profitiert mehr vom Kindergarten?16
DatenDFG-Projekt „Erwerb von sprachlichen und kulturellen Kompetenzen von Migrantenkindern in der Vorschulzeit“Stichprobe deutscher und türkischer Familien mit einem 3-4-jähigen Kind in 30 Städten und Gemeinden (aus Einwohnermeldedaten)Panel, bisher 2 Wellen, Panelmortalität 8%Bestandteile:
CAPI-Interview mit einem Elternteil (2007+2008)Test K-ABC mit dem Zielkind (2007+2008)Schriftliche Kindergartenbefragung (2007 + neue ergänzt in 2008)
Fallzahl: N=906 (466 dt. + 440 tk.)
Birgit Becker: Wer profitiert mehr vom Kindergarten?17
Messung für sprachliche Entwicklung: Ergebnis aus dem Wortschatztest
Den Kindern werden Bilder von Objekten gezeigt, die sie benennen sollten („Was ist das?“)Der Name des Objektes musste immer auf Deutsch gesagt werden24 Testaufgaben in aufsteigender Schwierigkeit Kind beim Test „Kaufman
Assessment Battery for Children“
Birgit Becker: Wer profitiert mehr vom Kindergarten?18
KindergartenbesuchKindergartenbesuchsdauer:
Monate im Kindergarten seit der ersten BefragungAusstattungsqualität im Kindergarten:
Index verschiedener Items aus der Kindergartenbefragung, in Anlehnung an KES-R (dichotomisiert: sehr gut vs. durchschnittlich):
o Sicheres Außengelände mit ausreichend Platz für die Kindero Spielmaterialien sind vollständig und in gutem Zustando Viele altersgerechte Bücher und Bildmaterialien vorhandeno Viele Materialien für musikalische Erfahrung vorhanden
Segregation im Kindergarten:Hoher Anteil Migrantenkinder
Birgit Becker: Wer profitiert mehr vom Kindergarten?19
Ergebnisse aus fixed effects Regressionen
0.02* tk. Migr. * Ausstattungsq.
0.060.00* Segregation in Kita
0.010.020.030.07Monate im Kindergarten
-0.09* tk. Migr. * Segregation
0.070.07* Ausstattungsqualität in Kita
0.150.130.12* tk. Migrationshintergrund
Interaktionen:Monate im Kindergarten
M4M3M2M1
In allen Modellen enthalten: Alter, kognitive Fähigkeit, Bücher, kommunikative Aktivitäten
Birgit Becker: Wer profitiert mehr vom Kindergarten?20
Wirkung Kindergartenbesuch
0.5
11.
52
2.5
33.
54
4.5
5
Zuw
achs
bei
m d
t. W
orts
chat
ztes
t
0 3 6 9 12 15 18Monate im Kindergarten seit der ersten Befragung
dt. Kinder, durchschnittl. Kiga-Ausstattungdt. Kinder, sehr gute Kiga-Ausstattungtk. Kinder, durchschnittl. Kiga-Ausstattungtk. Kinder, sehr gute Kiga-Ausstattung
Birgit Becker: Wer profitiert mehr vom Kindergarten?21
Zusammenfassung und DiskussionDauer des Kindergartenbesuchs:
Bei Migrantenkindern: positiver EinflussBei deutschen Kindern: kein Effekt, unbeobachtete Familienmerkmale
Anteil Migrantenkinder im KindergartenHoher Anteil kann sich bei Migrantenkindern negativ auf Erwerb der deutschen Sprache auswirken
Qualität der Kindergartenausstattung:Wirkt bei allen Kindern in gleichem Maße positiv
Birgit Becker: Wer profitiert mehr vom Kindergarten?22
Zusammenfassung und DiskussionSelektivität bei der Kindergartenwahl ist zu beachten! Kinder verteilen sich nicht „zufällig“ auf die Einrichtungen
26,334,739,0
57,628,314,1
Migrantenanteil:GeringMittelHoch
37,740,821,5
24,148,327,6
Ausstattungsqualität:GeringMittelHoch
Türkische Kinder
Deutsche Kinder
Besuch eines Kigas mit folgenden Merkmalen:
Quelle:
ESKOM-V
Anteile in Prozent
Birgit Becker: Wer profitiert mehr vom Kindergarten?23
Zusammenfassung und DiskussionImplikationen:
Segregation in den Kindergärten nur schwer steuerbar (Städteplanung?)Gute Ausstattung hat für alle positive Wirkung – hier lohnen sich Investitionen daher besonders
Birgit Becker: Wer profitiert mehr vom Kindergarten?24
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Kontakt:Birgit.Becker@mzes.uni-mannheim.de