Post on 03-Apr-2016
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Vielfalt als ChanceSonderpdagogische Frderung in Sachsen
Liebe Leserinnen und Leser, liebe Eltern,
die Vielfalt der Schler(1) anzunehmen und als Chance zu begreifen fr diesen Anspruch steht
das Motto schsischer Bildungspolitik. Jeder zhlt gilt gerade fr Schler mit sonderpdago
gischem Frderbedarf, die unsere besondere Aufmerksamkeit verdienen.
Eine wichtige Aufgabe von Schule ist es, die gleichwertige Teilhabe am gesellschaftlichen Leben
zu ermglichen. Deshalb sind die Erwartungen gro, dass mit der Umsetzung der Behinderten
rechtskonvention der Vereinten Nationen Barrieren abgebaut werden. Wir werden deshalb den
ersten Aktions und Manahmeplan fortschreiben und auch mit der Novelle des Schulgesetzes
wichtige Akzente setzen. Inklusion darf aber auch nicht dazu fhren, dass die spezifische Fr
derung, die Schler mit einer Behinderung brauchen, infrage gestellt wird. Deshalb baut Sachsen
die integrative Frderung weiter aus, bekennt sich aber zur Vielfalt der Frderorte und damit
auch knftig zu Frderschulen. Viele Frderschulen unterrichten ihre Schler temporr, um sie
auf den Unterricht an einer Regelschule(2) vorzubereiten. Insbesondere die Sprachheilschulen
sind Durchgangsschulen im besten Sinne.
ber die Hlfte der Schler mit einer krperlichen oder motorischen Beeintrchtigung werden
integrativ unterrichtet. Bei blinden und sehbehinderten Schlern ist es ber ein Drittel und bei
gehrlosen und hrgeschdigten Schlern die Hlfte der Betroffenen. Schler mit sonderpda
gogischem Frderbedarf im Bereich der emotionalen und sozialen Entwicklung werden sogar
zu rund 60 Prozent integrativ unterrichtet.
Die bestehenden Angebote sonderpdagogischer Frderung sind beachtlich. Die vorliegende
Broschre soll das Spektrum der Mglichkeiten aufzeigen. Die Beispiele machen deutlich, mit
welcher Kompetenz und Empathie Schler mit sonderpdagogischem Frderbedarf sowohl an
den acht verschiedenen Typen von Frderschulen als auch integrativ an einer Grundschule,
einer Oberschule(3) oder einem Gymnasium unterrichtet und individuell gefrdert werden. Die
in den verschiedenen Frderschwerpunkten ausgebildeten sonderpdagogischen Lehrkrfte
bringen ihre ganz spezifische und auch knftig wichtige Qualifikation in diese besondere Form
der individuellen Frderung ein. Mastab, ob ein Kind mit sonderpdagogischem Frderbedarf
an einer Regelschule oder an einer Frderschule unterrichtet wird, ist immer das Kindeswohl.
Das kann nur in jedem Einzelfall entschieden werden. So unterschiedlich Art und Umfang des
sonderpdagogischen Frderbedarfs ausfallen knnen, so vielfltig mssen die schulischen Frder
orte sein.
Mit dieser Broschre knnen Sie sich selbst ein Bild machen ber die Mglichkeiten und Wege
der sonderpdagogischen Frderung. Dabei steht das Kind immer im Mittelpunkt, denn jedem
Schler soll der beste Lernort ermglicht werden. Mein Dank gilt allen Lehrern sowie den vielen
untersttzend ttigen Fachkrften, die sich dieser Aufgabe stellen.
Brunhild Kurth
Schsische Staatsministerin fr Kultus
(1) In der Broschre wird durchgngig die Bezeichnung Schler und Lehrer verwendet. Sie steht fr Schlerinnen und Schler sowie Lehrerinnen und Lehrer.
(2) Regelschulen sind die allgemeinbildenden Schulen ohne die allgemeinbildenden Frderschulen demnach die Grundschulen, die Oberschulen und die Gymnasien.
(3) Die Schulen der Schulart Mittelschule werden ab 1. August 2013 als Oberschule bezeichnet.
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Vielfalt als Chance Sonderpdagogische Frderung in Sachsen
Besondere Bedrfnisse und Lernvoraussetzungen verlangen nach einer besonderen Hinwendung
Jeder Mensch ist einmalig und unverwechselbar. Er besitzt eine unver
uerliche Wrde. Dies zu leben setzt die Akzeptanz und Wertscht
zung von Verschiedenheit sowie der Vielfalt menschlichen Seins in der
Gesellschaft voraus. Vielfalt als Chance zu begreifen ist ein Leitgedanke
auch fr das Bildungswesen. In ihrer tglichen Arbeit stehen die Lehrer
vor der Herausforderung, die Schler entsprechend ihren Begabungen
individuell zu frdern. Individuelle Frderung ist eine Kernaufgabe p
dagogischer Arbeit in allen Schularten. Die sonderpdagogische Fr
derung ist eine besondere, spezialisierte und vertiefende Form der
individuellen Frderung. Sie kommt fr Schler infrage, die eine spe
zifische Untersttzung bentigen, um erfolgreich lernen zu knnen.
Zuerst steht die Entscheidung ber das Ob einer sonderpdagogischen
Frderung, danach muss die Entscheidung ber das Wie und Wo
gefllt werden.
Jedem Schler soll dabei der fr ihn beste Lernort ermglicht werden.
Deshalb wird bei der Realisierung sonderpdagogischer Frderung dem
Grundsatz entsprochen, so viel gemeinsamen Unterricht wie mglich
und so viel intensive sonderpdagogische Frderung an Frderschulen
wie ntig anzubieten.
Diese Broschre widmet sich den unterschiedlichen Formen und An
geboten der sonderpdagogischen Frderung an allgemeinbildenden
Schulen.(4)
Stichwort Inklusion
Die Bundesrepublik hat 2009 die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (VNBRK) ratifiziert. Sie ist damit fr die Bundesrepublik vlkerrechtlich verbindlich.
Art. 24 VNBRK enthlt die fr die Bildung und Erziehung von Kindern mit Behinderungen mageblichen Vorschriften. Hiernach sind die Vertragsstaaten verpflichtet, ein inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen zu gewhrleisten und sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen in der Gemeinschaft, in der sie leben, Zugang zu einem inklusiven, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an Grundschulen
und weiterfhrenden Schulen haben. Die Umsetzung der VNBehindertenrechtskonvention und das Bekenntnis zu Frderschulen sind dabei kein Widerspruch im Gegenteil: Es ist erklrtes Ziel, dass jeder Schler ob mit oder ohne sonderpdagogischen Frderbedarf die jeweils bestmgliche Untersttzung erfhrt und den ihm hchstmglichen Schulabschluss erreicht. Angestrebt wird zudem eine erhhte Durchlssigkeit zwischen den Schulen mit verbesserten Wechselmglichkeiten von der Frderschule in eine der Regelschulen.
Das schsische Schulsystem wird im Sinne der Inklusion weiter ausgestaltet.
Die Umsetzung der VNBRK wird auch in Sachsen ein Schwerpunkt in der bildungspolitischen Entwicklung in den nchsten Jahren sein. Dazu hat die Schsische Staatsregierung einen Aktions und Manahmeplan zur Umsetzung von Artikel 24 der VNBRK erarbeitet. Gemeinsam mit allen Beteiligten sollen die besten Lsungen gefunden werden. Das Wohl des Kindes steht dabei immer im Vordergrund.
Die VNBRK kann nur in einem lngerfristigen Prozess umgesetzt werden. Alle sind aufgefordert, diesen Prozess aktiv zu gestalten. Das erfordert, eigene Haltungen und Einstellungen zu verndern sowie Vorbehalte und Barrieren im Denken und Handeln abzubauen.
Viele Wege, ein Ziel
Die Umsetzung sonderpdagogischer Frderung geschieht auf vielfl
tigen Wegen und es kommen verschiedene Frderorte in Frage. Fr
Schler mit sonderpdagogischem Frderbedarf sieht das schsische
Schulsystem gemeinsamen Unterricht an einer Regelschule (Grund
schule, Oberschule, Gymnasium) und/oder Unterricht an einer Frder
schule vor.
Die Entscheidung ber den optimalen Lern und Frderort ist fr jeden
Schler individuell zu treffen. Das Ziel ist, dass der Einzelne den ihm
hchstmglichen Schulabschluss, die grtmgliche Selbststndigkeit
und Teilhabe am beruflichen und gesellschaftlichen Leben erreicht.
In allen Formen der sonderpdagogischen Frderung gibt es fr jeden
Schler einen individuellen Frderplan. Die Ziele und Manahmen der
sonderpdagogischen Frderung sind darin ebenso wie die Ergebnisse
fortlaufend zu dokumentieren. Dazu gehrt auch die regelmige
berprfung, ob der sonderpdagogische Frderbedarf fortbesteht.
Frderorte
Gemeinsamer Unterricht von Schlern
mit und ohne sonderpdagogischen Frderbedarf
Schler, bei denen sonderpdagogischer Frderbedarf im Rahmen des
Verfahrens zur Feststellung sonderpdagogischen Frderbedarfs gem
13 der Schulordnung Frderschulen (SOFS) festgestellt wurde, knnen
zusammen mit nichtbehinderten Schlern in einer Regelschule unter
richtet werden, wenn und solange gewhrleistet ist, dass sie in dieser
Schule die erforderliche pdagogische und bei Bedarf sonderpdago
gische Frderung erhalten.
Zu unterscheiden sind die lernzielgleiche und die lernzieldifferente
Unterrichtung.
Die lernzielgleiche Unterrichtung wird in den Frderschwerpunkten
Hren, Sehen, Sprache, krperliche und motorische Entwicklung sowie
emotionale und soziale Entwicklung realisiert. Bei lernzielgleicher
Unterrichtung werden alle Schler nach den gleichen Lehrplnen
unterrichtet. Das setzt voraus, dass an der Schule die entsprechenden
Bedingungen gegeben sind. Gemeint sind z. B. besondere Sehhilfen fr
sehbehinderte Kinder (Lesegerte, Lichtverhltnisse etc.) oder techni
sche Hrhilfen fr die Kinder mit Hrbeeintrchtigung (z. B. Induk
tionsschleifen fr drahtlose Hrgerte).
Bei lernzieldifferenter Unterrichtung werden die Schler nach ver
schiedenen Lehrplnen unterrichtet. Lernzieldifferenter Unterricht ist
fr Kinder mit Frderbedarf in den Schwerpunkten Lernen oder gei
stige Entwicklung an Grundschulen mglich. So werden Schler mit
einer kognitiven Behinderung oder erheblichen Beeintrchtigungen
beim Lernen nach den Lehrplnen der Schule fr geistig Behinderte
oder der Schule zur Lernfrderung unterrichtet und die anderen Kinder
der Schulklasse nach den Lehrplnen der Grundschule.
Derzeit wird auch die lernzieldifferente Unterrichtung an weiterfh
renden Schulen im Rahmen eines Schulversuchs erprobt. Ziel ist die
berfhrung in den Regelschulbetrieb nach Schaffung der schulrecht
lichen Grundlagen.
Neben dem gemeinsamen Unterricht von Schlern mit und ohne sonder
pdagogischem Frderbedarf an der Regelschule besteht die Mg
lichkeit, dass Schler einer Frderschule die Regelschule in einzelnen
Unterrichtsfchern besuchen. Auch knnen Schler der Frderschule in
Partnerklassen an einer Regelschule unterrichtet werden.
Unterricht an der Frderschule
Sind Kinder in ihren Bildungs, Entwicklungs und Lernmglichkeiten
so beeintrchtigt, dass sie im Unterricht in der Regelschule nicht aus
reichend integriert und ihren Bedrfnissen entsprechend unterrichtet
werden knnen, werden sie in einer Frderschule sonderpdagogisch
gefrdert.
Die sonderpdagogische Frderung an der Frderschule ist durch die
Spezifik des jeweiligen Frderschwerpunktes geprgt. Sie zeichnet sich
durch eine sehr individuelle Frderung aus und frdert grundlegende
Entwicklungs, Lern und Erziehungsprozesse. Dabei orientiert sich die
Frderschule an den potenziellen Fhigkeiten, Mglichkeiten und Str
ken der Schler. Die Frderschulen legen einen besonderen Schwer
punkt auf die Persnlichkeitsentwicklung der Schler, begleiten sie zu
einem Schulabschluss und bereiten sie auf ein selbststndiges Leben
in der Gesellschaft und eine berufliche Ttigkeit vor.
Wichtige Aufgaben der Frderschule sind
sonderpdagogische Frderung von Schlern mit umfnglichem und schwerwiegendem sonderpdagogischen Frderbedarf
in Frderschulen,
Beratung zu und Begleitung von schulischer Integration/gemeinsamer Unterrichtung (Schler und Eltern sowie Schulen, Lehrer
und weitere Partner aus anderen Fachdisziplinen),
Wahrnehmung prventiver Manahmen im Sinne von Frherkennung, Frherfassung und Frhfrderung durch
Frderpdagogische Beratungsstellen an Frderschulen,
Kooperation mit allen anderen Schularten und auerschulischen Partnern (Jugendhilfe, Sozialhilfe, Arbeitsagenturen, Jugend
berufshilfe, ).
Die Frderschulen sind ein wichtiger Bestandteil des schsischen Schul
systems. Ihre Arbeit ermglicht es, dass Schler mit sonderpdagogi
schem Frderbedarf entweder gemeinsam mit anderen Schlern in der
Regelschule oder in einer auf den Frderschwerpunkt ausgerichteten
Umgebung, die die Frderschule bietet, lernen knnen.
(4) Allgemeinbildende Schulen sind die Grundschule, die allgemeinbildende Frderschule, die Oberschule und das Gymnasium.
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Grundlegende Informationen zu den sonderpdagogischen Frderschwerpunkten
Vertiefende Informationen zu den entsprechenden Frderschultypen
stehen unter www.schule.sachsen.de/1800.htm zur Verfgung.
Frderschwerpunkt Sprache Im Frderschwerpunkt Sprache werden Schler unterrichtet, deren Fhig
keit zur Kommunikation betrchtlich eingeschrnkt ist. Die sonderp
dagogische Frderung muss frhzeitig einsetzen, denn Sprache ist eine
zentrale Grundlage schulischen Lernens.
Die Schler lernen, mit sprachlichen Beeintrchtigungen und deren Aus
wirkungen umzugehen und diese zu berwinden. Die Frderung hat das
Ziel, eine umfassende sprachliche Handlungskompetenz und eine selbst
bestimmte Verstndigungsfhigkeit zu vermitteln. Dabei wird im An
fangsunterricht dem Erwerb der Schriftsprache und ab der Sekundarstufe
I dem Erlernen einer Fremdsprache besondere Aufmerksamkeit zuteil.
Ca. 60 % der Schler im Frderschwerpunkt Sprache werden integrativ
in Regelschulen unterrichtet
Die Sprachheilschule umfasst die Klassenstufen 1 bis 4 und fhrt grund
stzlich in die anderen allgemeinbildenden Schulen zurck (Sprach
heilschule als Durchgangsschule). Durchschnittlich sind die Schler nur
2,7 Jahre an der Sprachheilschule. Der temporr geschtzte Raum der
Sprachheilschule ist bei ausgeprgten Sprachstrungen wichtig.
Bei schwerwiegenden sprachlichen Beeintrchtigungen kann der
Unterricht in der Sekundarstufe I an der Sprachheilschule fortgefhrt
werden; in diesen Ausnahmefllen knnen die Schulabschlsse der
Oberschule an der Sprachheilschule erworben werden. In der Primar
stufe wird nach den Lehrplnen der Grundschule und in der Sekundar
stufe I nach denen der Oberschule unterrichtet.
Frderschwerpunkt Sehen In diesem Frderschwerpunkt lernen Kinder, deren Sehvermgen be
eintrchtigt ist. Sie werden auf ein Leben in einer vorwiegend optisch
ausgerichteten Umwelt so vorbereitet, dass sie spter ihr Leben aktiv
und in sozialer Integration bewltigen knnen. Bei der Entwicklung
sehbehindertenspezifischer und blindenspezifischer Kompetenzen wird
der Umfang der individuellen Sehbeeintrchtigung ebenso beachtet
wie die persnlichen Fhigkeiten und Lernstrken. Neben dem Unter
richt erhalten die Schler deshalb nach Bedarf auch medizinische, pfle
gerische, technische und psychologische Untersttzung. Zahlreiche
Hilfsmittel kontrastreiche, vergrerte Darstellungen, Modelle, Ton
bandaufzeichnungen erleichtern das Lernen.
Spezifische Hilfsmittel dafr sind unter anderem Computer mit Braille
Schrift und Sprachausgabe, Vergrerungssoftware, Bildschirmlesege
rte und sprechende Taschenrechner. Eine gute Organisation des
Schulalltages erleichtert das Lernen. Eine klare Ordnung im schulischen
Umfeld und in der direkten Umgebung erleichtert ebenfalls das Lernen
und die Lebensbewltigung. Spezielle Sicherheitsvorkehrungen helfen,
Verletzungen zu vermeiden.
Ca. ein Drittel der Schler im Frderschwerpunkt Sehen wird integrativ
in Regelschulen unterrichtet.
Der Unterricht an der Schule fr Blinde und Sehbehinderte erfolgt
grundstzlich nach den Lehrplnen der Grund und Oberschulen. Die
Schulabschlsse der Oberschule knnen erworben werden. Ergnzt wird
die Stundentafel durch Fcher wie Orientierung/Mobilitt, Maschine
schreiben und Blindenkurzschrift (Braille). Dabei erwerben die Schler
lebenspraktische Fertigkeiten, Mobilitt und damit die Voraussetzung
fr eine selbststndige Lebensgestaltung. Die Lehrkrfte werden durch
pdagogische Unterrichtshilfen untersttzt. Um dem besonderen Fr
derbedarf gerecht zu werden, bercksichtigt die Primarstufe ein Deh
nungsjahr. Ist das Lernen durch weitere Beeintrchtigungen erschwert,
wird nach den Lehrplnen der Schule fr geistig Behinderte oder der
Schule zur Lernfrderung unterrichtet.
Frderschwerpunkt Hren In diesem Frderschwerpunkt lernen Kinder und Jugendliche mit einer
Hrschdigung. Mit besonderen frderpdagogischen Mglichkeiten
wird versucht, bei gehrlosen oder hochgradig schwerhrigen Kindern
und Jugendlichen Lautsprache zu entwickeln. Schler, die nicht sprechen
knnen, haben die Mglichkeit, die Gebrdensprache zu erlernen. Im
Unterricht werden zustzliche Kommunikationsmittel von speziell aus
gebildeten Lehrkrften zur Verbesserung des Hr und Sprachverstehens
eingesetzt.
Die Schler eignen sich darber hinaus manuelle Kommunikationsformen
an. Die Vielfalt der Kommunikationsformen soll zur Bewltigung schu
lischer Lernprozesse und zur mglichst selbststndigen Lebensgestaltung
beitragen. Bei der Frderung wird der Umfang der individuellen Hrbe
eintrchtigung ebenso beachtet wie die persnlichen Fhigkeiten und
Lernstrken. Unterricht und Erziehung bereiten auf das knftige Leben
in der hrenden Lebens und Arbeitswelt vor. Die Schler nutzen spezi
fische Hilfsmittel wie Piktogramme, Symbole, Modelle, Bilder, Karten
und Filme mit Untertiteln.
Gut die Hlfte der Schler im Frderschwerpunkt Hren wird integrativ
in Regelschulen unterrichtet.
Grundlage fr den Unterricht an der Schule fr Hrgeschdigte sind
grundstzlich die Lehrplne der Grund und Oberschulen. Die Schulab
schlsse der Oberschule knnen erworben werden. Um dem besonderen
Frderbedarf gerecht zu werden, wird in der Primarstufe ein Dehnungs
jahr genutzt. Ist das Lernen durch weitere Beeintrchtigungen er
schwert, wird nach den Lehrplnen der Schule fr geistig Behinderte
oder der Schule zur Lernfrderung unterrichtet.
Frderschwerpunkt krperliche und motorische Entwicklung
In diesem Frderschwerpunkt lernen sowohl Kinder und Jugendliche mit
Schdigungen des Sttz und Bewegungssystems, anderen organischen
Schdigungen, chronischen Erkrankungen und weiteren Formen mo
torischer Beeintrchtigungen als auch Kinder und Jugendliche, die
mehrfach behindert sind. Bei der sonderpdagogischen Frderung werden
die individuelle Ausprgung der krperlichmotorischen Besonderheiten
und die Auswirkungen auf weitere Bereiche ebenso beachtet wie die
persnlichen Fhigkeiten, Strken und Entwicklungsmglichkeiten. Der
Unterricht dient zudem dazu, eine strkere Sicherheit im Umgang mit
der krperlichen und motorischen Beeintrchtigung zu vermitteln. Be
wegungsfrderung und Bewegungserleichterung begleiten den Unter
richt in allen Fchern. Neben dem Unterricht erhalten die Schler des
halb auch medizinische, therapeutische, pflegerische und technische
Untersttzung. Zahlreiche Hilfsmittel Schreib und Zeichenhilfen,
Computer, angepasste Arbeitspltze und Lehr und Lernmittel er
leichtern das Lernen.
Die Schler lernen im Umgang mit modernen Medien, ihre eingeschrnk
ten Mglichkeiten auszugleichen. Ein besonderer Schwerpunkt ist die
Frderung der sozialen Kompetenz.
Gut die Hlfte der Schler im Frderschwerpunkt krperliche und moto
rische Entwicklung wird integrativ in Regelschulen unterrichtet.
Der Unterricht an der Schule fr Krperbehinderte erfolgt grundstzlich
nach den Lehrplnen der Grund und Oberschulen. Die Schulabschlsse
der Oberschule knnen erworben werden. Die Lehrer werden durch
pdagogische Unterrichtshilfen untersttzt. Um dem besonderen Fr
derbedarf gerecht zu werden, bercksichtigt die Primarstufe ein Deh
nungsjahr. Ist das Lernen durch weitere Beeintrchtigungen erschwert,
wird nach den Lehrplnen der Schule fr geistig Behinderte oder der
Schule zur Lernfrderung unterrichtet. Die ganzheitliche Frderung in
Unterricht und Schulalltag erfolgt in enger Teamarbeit der an den Schu
len fr Krperbehinderte zur Verfgung stehenden unterschiedlichen
Professionen. So knnen die Schler u. a. ergnzend zum Unterricht und
integriert im Schulalltag eine individuelle therapeutische Betreuung
erhalten.
Frderschwerpunkt geistige Entwicklung
In diesem Frderschwerpunkt lernen Kinder und Jugendliche, die
schwerwiegend in ihrer Sprache, im Denken und Handeln eingeschrnkt
sind. Vielfach treten zustzlich krperliche, psychische und soziale Be
eintrchtigungen auf.
Im Frderschwerpunkt geistige Entwicklung sollen Schler im Rahmen
ihrer individuellen Mglichkeiten zu grtmglicher Selbststndigkeit
gefhrt werden. Vornehmlich geht es um Fragen der praktischen Lebens
bewltigung mit dem Ziel einer aktiven Teilhabe am gesellschaftlichen
Leben. Einen hohen Stellenwert hat die Vorbereitung auf die Arbeits
welt. Durch die Bercksichtigung der individuellen Lernvoraussetzun
gen gilt es vielfltige Lernsituationen zu schaffen, die zu einer Strkung
der Handlungskompetenz und zu einem Mehr an Eigenverantwortung
beitragen.
Schler im Frderbedarf geistige Entwicklung werden nach einem eige
nen Lehrplan unterrichtet; es erfolgt keine Benotung.
Eine integrative, lernzieldifferenzierte Unterrichtung ist bisher in der
Grundschule mglich. Nur ein kleiner Anteil der Schler mit dem Frder
schwerpunkt geistige Entwicklung wird in Regelschulen integrativ
unterrichtet.
Die Schule fr geistig Behinderte gliedert sich in Unter, Mittel, Ober
und Werkstufe. Der Besuch einer Stufe umfasst drei Jahre. An diesen
Schulen gibt es spezielle Lernangebote. Die Schler werden so gefr
dert, dass die Verrichtungen des tglichen Lebens nach Mglichkeit
ohne fremde Hilfe bewltigt werden knnen. Die Schler knnen den
erfolgreichen Abschluss der Schule fr geistig Behinderte erreichen.
Der Tagesablauf mit Unterricht, Therapie, Pflege und Ruhephasen ist
den besonderen Bedrfnissen dieser Schler angepasst. Dabei erfahren
die Schler durch Lehrkrfte und pdagogische Unterrichtshilfen viel
Untersttzung und Zuwendung.
Frderschwerpunkt Lernen
In diesem Frderschwerpunkt lernen Kinder und Jugendliche, deren
schulisches Lernen durch Beeintrchtigungen der kognitiven, sprach
lichen, sozialen und emotionalen sowie ggf. der motorischen und
sensorischen Fhigkeiten geprgt ist. Auswirkungen auf alle grundle
genden Entwicklungsbereiche sind die Folge. Offene Unterrichtsformen,
projektorientierter Unterricht und Phasen von Einzel und Gruppen
arbeit ermglichen es, die individuellen Fhigkeiten, Neigungen und
Interessen der Schler zu bercksichtigen. Neben dem Erwerb von an
wendungsorientiertem Wissen wird besonderer Wert auf die Entwick
lung von praktischen Fhigkeiten und Fertigkeiten sowie die Sozial
kompetenz und Werteorientierung gelegt. Eine intensive Vorbereitung
auf die Arbeitswelt und eine berufliche Ttigkeit/eine Berufsausbildung
ist wichtiger Bestandteil des Lernens an der Schule zur Lernfrderung.
Eine integrative, lernzieldifferenzierte Unterrichtung ist bisher nur in
der Grundschule mglich. Nur ein kleiner Anteil der Schler mit diesem
Frderschwerpunkt wird integrativ in Regelschulen unterrichtet.
Die Bildungsinhalte des Lehrplans der Schule zur Lernfrderung sind
mit denen der Grund und Oberschule abgestimmt, aber nicht mit ihnen
identisch. Der Unterricht begleitet in besonderer Weise die Persnlich
keitsentwicklung der Schler. Im Unterricht werden Themen aus der
Lebenswelt des Schlers zum Lernanlass genommen. Dabei lernen die
Schler durch konkretpraktisches Handeln. Fr erfolgreiches Lernen
bentigen die Schler klare und verlssliche Strukturen innerhalb des
Schulalltags und jeder einzelnen Unterrichtsstunde.
Leistungsstarke Schler haben an ausgewhlten Schulen zur Lernfr
derung die Mglichkeit, den Hauptschulabschluss zu erlangen. Dazu
wird die Schulzeit um ein Jahr verlngert. Der Unterricht erfolgt ab
Klassenstufe 8 nach dem Lehrplan fr den Hauptschulbildungsgang
der Oberschulen. Die anderen Schler knnen den erfolgreichen Ab
schluss der Schule zur Lernfrderung erreichen, wenn sie unter anderem
eine lebenspraktisch orientierte Komplexe Leistung erarbeiten und dar
stellen knnen.
Frderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung
In diesem Frderschwerpunkt werden Kinder und Jugendliche unter
richtet, deren emotionale und soziale Entwicklung durch unterschied
liche, hufig komplexe Ursachengefge beeintrchtigt ist.
Die Frdermanahmen zielen darauf ab, Verhaltensmuster zu ndern
sowie emotionale und soziale Fhigkeiten zu entwickeln und zu festigen.
Die Frderung soll den Schlern helfen, positive Einstellungen und
Werthaltungen aufzubauen und zu festigen. Durch spezifische Angebote
lernen die Schler, wie sie mit Belastungen im Bereich des Erlebens und
der sozialen Erfahrungen umgehen sowie stabile Beziehungen gestalten
knnen. Wichtige Ziele sind der Erwerb angemessener Verhaltensweisen,
der Aufbau einer Lern und Leistungsmotivation, die Entwicklung trag
fhiger Konfliktlsungsstrategien sowie die Stabilisierung des Selbst
wertgefhls. Die besondere persnliche Zuwendung und eine klare
Strukturierung des Unterrichts und des Schultages strken die Bezie
hungsfhigkeit der Schler. Die Lehrkrfte werden durch pdagogische
Unterrichtshilfen untersttzt. Ca. 60 % der Schler in diesem Frder
schwerpunkt werden integrativ in Regelschulen unterrichtet.
Die Schule fr Erziehungshilfe umfasst als Durchgangsschule die Klas
senstufen 1 bis 4 und fhrt grundstzlich in die anderen allgemeinbil
denden Schulen zurck. In Ausnahmefllen kann der Unterricht bis
Klassenstufe 10 fortgefhrt werden. Es wird nach den Lehrplnen der
Grund und Oberschulen unterrichtet. Die Schulabschlsse der Ober
schule knnen erworben werden.
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Frderschwerpunkt Unterricht kranker Schler
Kranke Schler, die sich lngere Zeit oder wiederholt in einer Klinik, im
Krankenhaus oder in einer Kurklinik befinden, werden in der Klinik und
Krankenhausschule unterrichtet und erfllen damit ihre Schulpflicht.
Fr Schler, die lange Zeit krank sind, ist Unterricht ein wichtiges Ele
ment im therapeutischen Prozess und fr die Teilnahme am Leben in
der Gemeinschaft. Ziel dieses Frderschwerpunktes ist es, ein erfolg
reiches Lernen trotz Krankheit zu ermglichen und eine Wiedereinglie
derung in die jeweilige Schule zu erleichtern. Durch Unterricht trotz
Krankheit sollen die Kinder und Jugendliche ihre Fhigkeit des Lernens
erhalten und weiterentwickeln. Ihr Wille zur Genesung kann dadurch
untersttzt werden. Erfolgserlebnisse beim Lernen und persnliche Zu
wendung frdern Selbstvertrauen sowie Lern und Lebensfreude. Auch
mssen notwendige Krankenhausaufenthalte nicht auf die Ferien ver
schoben werden und der gnstigste Zeitpunkt fr eine medizinische
Behandlung kann genutzt werden.
Der Umfang des Unterrichts wird mit dem behandelnden Arzt abge
stimmt. Der Unterricht findet in der Regel jahrgangsbergreifend in
Gruppen mit bis zu sechs Schlern statt. Nach Mglichkeit kann auch
Einzelunterricht oder Unterricht zu Hause gewhrt werden. Ziele, In
halte, Methoden, Lernorganisation und Medien werden individuell aus
gewhlt, wobei Grundlage die Lehrplne der jeweiligen Schulart und
Klassenstufe sind.
Der Unterricht erfolgt in engem Kontakt mit der Stammschule des
Schlers. Eine Leistungsbewertung erfolgt nur, wenn dies pdagogisch
und medizinisch zu vertreten ist. Nach der Entlassung schreibt die Klinik
und Krankenhausschule an die Stammschule einen Abschlussbericht,
der Aussagen zum erteilten Unterrichtsstoff und der Entwicklung des
Schlers in schulischer Hinsicht enthlt.
Schler mit autistischem Verhalten
Bei Kindern und Jugendlichen mit autistischem Verhalten liegt eine
tiefgreifende Entwicklungsstrung vor. Ihre Lebenssituation ist durch
kommunikative, emotionale, soziale, sensorische und motorische Pro
bleme erschwert. Von zentraler Bedeutung sind Beeintrchtigungen
der sozialen Interaktion sowie begrenzte und stereotype Verhaltens
weisen und Interessensmuster.
Bei autistischem Verhalten handelt es sich um eine sehr vielgestaltige
Erscheinung. Fr Kinder und Jugendliche mit autistischem Verhalten
gibt es keinen eigenen Schultyp. Die sonderpdagogische Frderung
kann in Regelschulen oder in einer Frderschule erfolgen.
In jedem Einzelfall wird entschieden, welches schulische Angebot und
welche pdagogischen Bedingungen geeignet sind und in welchem der
Frderschwerpunkte die Schler die entsprechende sonderpdagogi
sche Untersttzung erhalten knnen.
Frderschwerpunkt Hren
Wenn Technik die Stille vertont Eine rege Unterhaltung ist im Gange. Drei Jungen fhren sie am Tisch im Foyer der Schsischen
Landesschule fr Hrgeschdigte. Praktikanten? Gste? Ein Schwarm Mdchen kommt vorbei,
lustig plaudernd auf dem Weg zur nchsten Stunde. Hren kann hier jedes Kind, und alle lernen
sprechen. Moderne Technik holt sie aus der Stille. So kann auch Jasmin den Igel im Laub rascheln
hren, dort, wo noch so viele andere Tiere des Waldes wohnen. Die zhlt sie nun zusammen mit
ihren Mitschlern auf. Sachunterricht in der vierten Klasse. Danke, sagt schlielich die Lehrerin.
Dabei fhrt sie ihre gestreckte Hand im Bogen vom Kinn vor die Brust. Begleitend nutzen sie
und ihre Kollegen die Gebrdensprache. Doch Ziel ist es, dass alle Schler ihre Stimme gebrauchen
und mglichst gut sprechen lernen. So war es im 18. Jahrhundert die Intention des Grnders
der einstigen TaubstummenAnstalt, Samuel Heinicke. Noch immer ist die Schule nach ihm
benannt, doch vieles hat sich verndert. Rund 190 Mdchen und Jungen besuchen das altehr
wrdige Gebude im Leipziger Sden. Frher waren es mehr als 300. Fast alle wohnten auch
dort. Inzwischen lebt nur noch ein knappes Dutzend im angeschlossenen Heim. Schler, die
einen sonderpdagogischen Frderbedarf nur im Bereich Hren haben, lernen heutzutage mit
Integrationsstatus an Regelschulen, sagt die Schulleiterin. Mit Hrgerten oder dem sogenann
ten CochleaImplantat seien sie in der Lage, dem ganz normalen Unterrichtsgeschehen zu fol
gen. Jasmin besucht zwar noch das Frderzentrum, wo die Grundschulzeit auf fnf Jahre
gedehnt wird. Ihr Implantat aber ermglicht es ihr, knftig an einem Gymnasium zu bestehen.
Mit ihren beiden Hrgerten fhlt sich auch Sophie kaum gehandicapt. Sie geht in die sechste
Klasse. Im Biologieunterricht wiederholt sie den Aufbau des menschlichen Auges. Die Lehrerin
lsst ein Modell reihum gehen und gebrdet die Begriffe dazu. Die sieben Schler haben ganz
unterschiedliche Sprachfhigkeiten. Sophie ist gut nur, wenn sie aufgeregt ist, spricht sie sehr
leise und scheint jedes Wort genau zu bedenken. Klassenstrken von hchstens neun Kindern
geben den Lehrern fr individuelle Zuwendung genug Raum. Schlielich stehen das Sprechen
und das Lesen im Zentrum der schulischen Ausbildung, der Deutschunterricht nimmt einen be
sonderen Platz im Stundenplan ein. Schreibt eine Fantasiegeschichte, heit die Aufgabe im
Deutschunterricht, und Sophie lsst auf dem PC im Computerkabinett eine Elfe ber rosa Wiesen
in einen grnen Himmel hineintanzen.
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Gute Integration
Ausgleich auf Augenhhe Es glitzert hinter Celinas Ohren. Pink und leuchtend orange. Die Farben
durfte ich mir selbst aussuchen, sagt die Achtjhrige und streicht die
langen Haare vor ihren Hrgerten zurck. Dann reicht sie ihrer Leh
rerin einen kleinen schwarzen Apparat. Die ganze Unterrichtsstunde
lang wird die ihn an einem Band um den Hals tragen. ber einen Sen
der filtert er die Strgerusche, die im Klassenzimmer durch das Ra
scheln der Buchseiten und das Kramen in Federkstchen entsteht, und
lsst die Stimme der Pdagogin in Celinas Ohren klarer klingen. Celina
ist schwer hrgeschdigt und besucht eine Regelschule. Ihre Eltern
haben sich gegen die Anmeldung an einer Schule fr Hrgeschdigte
entschieden und an der Grundschule Naunhof einen geeigneten Ort
zum Lernen fr ihre Tochter gefunden. Im Klassenzimmer steht Celinas
Schulbank gleich neben dem Lehrertisch und seitlich zur Klasse, so dass
das Mdchen auch die Gesichter der anderen Kinder sieht. Das ist
wichtig, damit Celina beim Zuhren den Mitschlern zustzlich von
den Lippen lesen kann, erklrt Anke Engelmann. Mit den Lauten g und
k sowie d und t habe sie noch Schwierigkeiten. Diktate bewertet die
Deutschlehrerin deshalb differenziert. Weil Celinas Hrschdigung erst
erkannt wurde, als sie schon zwei Jahre alt war, fehlen ihr heute noch
immer einige Begriffe im Wortschatz. Auch das bercksichtigt die Leh
rerin bei der Leistungsermittlung und bewertung mit Nachteilsaus
gleich. Erfahrung mit Integrationsschlern hatte die Klassenleiterin
noch nicht, als die Schulleitung sie fragte, ob sie ein Kind mit sonder
pdagogischem Frderbedarf im Bereich Hren unterrichten wrde.
Heute sieht sie es als Bereicherung an, ein Kind in der Klasse zu haben,
das eben etwas anders ist und mehr Zuwendung braucht. Die Schler
akzeptierten das schnell. Ich habe ihnen ja gleich am Anfang erklrt,
warum ich solche Gerte trage, sagt Celina. Die Atmosphre in der
3. Klasse ist fr ein Integrationskind optimal. Die insgesamt 21 Schler
arbeiten ruhig, das erleichtert Celina das Hren und Verstehen. Wenn
ihre Lehrerin eine Aufgabe oder neuen Stoff erklrt, spricht sie zuerst
zur Klasse. Dann setzt sie sich an Celinas Tisch, um zu wiederholen, was
bei ihr noch nicht vollstndig angekommen ist. Deshalb hat Celina
keine Banknachbarin. Auer Anke Engelmann sitzt auf dem freien Platz
in zwei Stunden pro Woche eine zustzliche Lehrerin. Sie hat dann nur
fr Celina Zeit. Drei bis vier Mal im Schuljahr ist zudem die Lehrerin
der betreuenden Schule fr Hrgeschdigte zu Gast. Sie hospitiert, um
sich ein Bild von Celinas schulischer Entwicklung zu machen, und passt
den individuellen Frderplan fr sie entsprechend an ein dichtes Netz
fr gleiche Chancen trotz Handicap.
Frderschwerpunkt Unterricht kranker Schler
Geknickten Seelen Halt geben Der Mlleimer sperrt sein Maul auf. Rein mit all euren Sorgen und ngsten!, scheint er zu sagen.
Auf seinen Bauch ist geschrieben, was Kinder bedrckt: Traurigkeit, Frust, Enttuschung. Wenn
Maria, Ludwig und die anderen morgens ins Klassenzimmer der Klinik und Krankenhausschule
Groschweidnitz kommen, drfen sie ihre Nte auf Papier schreiben, es zerknllen und in den
Eimer werfen. Wirklich weg sind sie damit nicht, das wissen die Lehrer nur zu gut. Doch ein wenig
Erleichterung scheint der Ritus den Schlern zu verschaffen. Die sind mit schlimmen Erfahrungen
und Erlebnissen in die dorfhnliche KrankenhausAnlage gekommen. Wegen psychischer Krank
heiten werden sie stationr behandelt. In der Regel betrgt die wchentliche Beschulung hch
stens 12 Unterrichtsstunden. Der Umfang des Unterrichts wird mit dem behandelnden Arzt ab
gestimmt. Ihr Zuhause auf Zeit ist die Klinik und dort gehen sie zur Schule. Wie andere Mdchen
und Jungen packen sie morgens in ihren Zimmern den Ranzen, ziehen die Jacke ber und ma
chen sich auf den Schulweg ein Ablauf, der selbstverstndlich sein sollte, fr viele der rund
60 Klinikschler aber eine echte Aufgabe bedeutet. Ziel der rzte, Therapeuten und Pdagogen
ist es, die Kinder und Jugendlichen Hand in Hand fr ihren Alltag jenseits der Krankenhaus
Mauern zu strken. In kleinen Gruppen von maximal sechs Schlern lernen sie, was Gleichaltrige
drauen im Unterricht auch behandeln. Sie bekommen Hausaufgaben, aber keine Noten. Man
chen ist es recht, ohne Notendruck zu lernen, andere vermissen den Leistungsvergleich. Auf
eine Einschtzung der eigenen Lernfortschritte muss dennoch kein Schler verzichten. Das die
Schler gern und gelst die Schulstunden verbringen, steht jedoch im Fokus des 18kpfigen
LehrerTeams. Pack bitte dein Frhstck aus, sagt Marias Lehrerin in sanftem Ton und das
Mdchen holt eine Plastikdose hervor. Langsam beginnt die 13Jhrige ihren Quark zu lffeln.
Mit extremem Untergewicht kam sie in die Klinik. Dass sie nun regelmig isst, verstehen Pda
gogen wie rzte als ihre gemeinsame Verantwortung. Wenn mglich, beziehen sie die Eltern
ein. Ludwig wurde morgens von seinem Vater zur Schule begleitet, am frhen Nachmittag wird
der ihn wieder abholen. Gemeinsam leben sie in einer ElternKindWohnung auf dem Klinikareal.
In diesem geschtzten Rahmen lernt Ludwigs Vater einen verlsslichen, zugewandten Umgang
mit seinem Sohn. So kann die Zeit in der Klinik der Start in ein stabileres Familienleben sein.
Eine Weinranke gedeiht nur und trgt Trauben, wenn sie ein Gerst sttzt das Bild haben die
Kliniklehrer immer vor Augen. Wir geben unseren Kindern Halt, sagen sie.
12 | 13
Gute Integration
Unterricht im Kinderzimmer
Hausaufgaben erledigt. Rosalie klappt ihren Biologiehefter zu. Das
heit, sie schliet den Ordner am Computer. Zettelkram kennt sie nicht,
hchstens von ihren Klassenkameraden. Mit einigen von ihnen skypt
die 13Jhrige regelmig. Was andere Mdchen ihres Alters auf dem
Schulhof bereden, kann Rosalie nur am Rechner schreiben. Ein schwe
res, chronisches Muskelleiden hindert sie zwar daran, mit dem Stuhl
zu kippeln, bis der Lehrer schimpft, zur tglichen bung an der ver
deckten Tafel zu schwitzen oder eben Mitschriften in Pappheftern zu
sammeln. Doch die Schule besucht sie trotzdem. Besser gesagt: Die
Schule besucht Rosalie. Insgesamt neun Lehrer kommen an ihr Bett und
unterrichten das Mdchen in den regulren Fchern. Weil Rosalie das
Haus nur mit Untersttzung verlassen kann, maschinell beatmet und
per Sonde ernhrt wird, findet der Unterricht nicht in ihrer Stamm
schule, der Schule fr Krperbehinderte in Hoyerswerda, sondern in
ihrem eigenen Zimmer statt. Bevor die Gymnasiastin fr den nchsten
BioTest die Fotosynthese gepaukt hat, stand Kunst auf dem Stunden
plan: das rumliche Zeichnen von Krpern. Den Stift zwischen die
schmalen Finger geklemmt, zog sie auf dem Rcken liegend die gefor
derten Linien. Anstrengend war das, doch sie hat es geschafft all die
sichtbaren und unsichtbaren Kanten. Jetzt ist der Schultag zu Ende
und Rosalie freut sich auf den neuen Geolino. Ihre Mutter spannt die
Zeitschrift in einen speziellen Apparat ein. Mit seiner Hilfe kann Rosalie
die Seiten von Magazinen und Bchern umblttern. ber ein Steuer
element bewegt Rosalie verschiebbare rotierende Gummiwalzen, die
schlielich die gewnschte Seite erfassen und platzieren. Das geht viel
langsamer als mit der Hand und braucht unermesslich viel Geduld.
Doch die Schlerin kann nur noch Augen und Finger bewegen und ist
auf das Hilfsmittel angewiesen. Jede Menge Geduld brauchten auch
Rosalies Eltern, als sie nach der Grundschulzeit ihrer Tochter eine pas
sende weiterfhrende Schule suchten. Bis dahin hatten Lehrer der Kli
nikschule Groschweidnitz und der Grundschule Kleindehsa das Kind
zu Hause unterrichtet. Offiziell ist Rosalie Schlerin der Schule fr Kr
perbehinderte in Hoyerswerda. Wegen der groen rumlichen Entfer
nung erklrten sich Leitung und Lehrerschaft des GeschwisterScholl
Gymnasiums Lbau bereit, die Beschulung zu bernehmen vlliges
Neuland fr die meisten. Inzwischen haben sich alle auf die auerge
whnliche Situation eingestellt und zeigen ein groartiges Engage
ment. Die Pdagogen organisierten Lehrbcher in digitalisierter Form,
damit Rosalie mit ihnen am Computer arbeiten kann. Vor ihrem Bett
bauen Fachlehrer ganze Versuchsanordnungen fr Experimente in Che
mie oder Physik auf. Ist das zu schwierig oder gefhrlich, hilft ein Vi
deofilm aus dem Fachkabinett. Sogar einen Ausflug zum Optiker haben
Lehrer und Eltern mit Rosalie unternommen. Wie Immanuel Kant sagte:
Ich kann, was ich will, weil ich muss.
Frderschwerpunkt Lernen
Leichter schwer lernen Es donnert und drhnt. Ein Raum voller Rhythmen. Mit flachen Hnden schlgt Sarah ihre Trom
mel. Immer strker, immer regelmiger, bis sich ihr Takt auf den des Nachbarn einspielt. Nico
hat ebenfalls eine afrikanische Djemb gegriffen. Nicht nur im Musikunterricht, sondern auch
im Rahmen eines Ganztagesangebotes drfen die Kinder der Pirnaer Schule zur Lernfrderung
Kurt Krenz trommeln. Spa sollen die Kinder dabei haben, Konzentration ben und aufeinander
hren lernen. Rund 190 Mdchen und Jungen der ersten bis neunten Klasse besuchen den hellen
Neubau mit groem Foyer und Rumen fr alles, was man im Leben brauchen kann: Schlerkche,
Nhstube, KeramikAtelier, Werkstatt, Theater und Computerkabinett. Klassenzimmer und Fach
kabinette auerdem. Einen Schulgarten gibt es und einen Kletterfels, drauen, wo sich Kinder
wie Sarah und Nico in der Pause vom Stillsitzen erholen. Sport, Mathe, Bio, Kunst, das sind alles
meine Lieblingsfcher, sagt die 13Jhrige. Nico htte am liebsten jede Stunde Sport. Dann
wre manches fr ihn leichter. Sachsenweit gibt es 57 Schulen zur Lernfrderung. Auch dort
mssen sie mit Gleichungen und Satzgliedern kmpfen. Doch verglichen mit dem Lehrplan an
Regelschulen ist ihrer im Anspruch abweichend, vor allem strker auf lebenspraktische Kompe
tenzen und die Vorbereitung auf Ausbildung und Beruf orientiert. Neben Deutsch und Mathe
matik werden sie in Grundlagen der Fremdsprache Englisch sowie allgemein in Naturwissenschaften
unterrichtet. Fr Nico wre die Oberschule kein optimaler Ort. Denn dem Zwlfjhrigen fllt
das Lernen extrem schwer. Schon bald htte er die Freude am Unterricht verloren. Schlechte
Noten, keine Lust mehr auf Schule, keine Motivation und Hoffnung auf einen schnen Beruf.
Ich will Polizist werden, sagt Nico und schiebt die Unterlippe vor. Ein wenig trotzig sieht das
aus. Sarah zuckt die Schultern: Keine Ahnung, was ich mal werde. Im Moment interessiert sie
sich viel mehr fr die Hexenkostme auf der Kleiderstange. Die hngen in einem Raum, bis unter
die Decke gefllt mit Spielen und Material zum Basteln, Musizieren und Verkleiden. Ein Fundus
fr die 23 Lehrer der Schule und ein Abenteuer fr Kinder, die dort hineinlugen drfen. Die
Hexe ist schnell uninteressant, der FeenHut viel besser. Dann kommt Sarah ein Einfall: Sie will
Kleopatra, den Knigspython, besuchen. Im Biologieunterricht hat sie ihn schon beobachtet
und sich mit der Pflege einer solchen Schlange beschftigt. ber den Namen haben die Schler
gemeinsam abgestimmt. Alle zwei Wochen drei Muse frisst sie, erklren sie eifrig. Dann ist Essens
zeit auch fr die Mdchen und Jungen. Mittagspause im lichten Foyer.
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Gute Integration
Schulstoff auf geraden Bahnen
Florentine ist anders seit ihrer Geburt. Das fiel schon ihren Erzieherin
nen im Kindergarten auf. Nicht, solange die Kleine im Sandkasten Tun
nel grub, mit den KitaKindern sang oder ihre Puppen umhertrug. Ging
es jedoch um gezielte Aufgaben, blieb Florentine nur schwer bei der
Sache, wirkte versonnen und abwesend. Als Integrationskind mit dem
Frderschwerpunkt Lernen kam sie schlielich in die erste Klasse der
CarlvonLinnGrundschule in Leipzig. Inzwischen lernt sie in Klasse 2.
Zwei Stunden Deutsch, Mathe, Kunst und Musik stehen donnerstags
auf dem Stundenplan. An die Tafel sind Zeichen fr die verschiedenen
Fcher geheftet. Daran kann Florentine leicht erkennen, was der Schul
tag fr sie bereithlt. Ihre Welt braucht bersicht, gerade Wege ohne
Kreuzungen und Nebenpfade. Zu viele Mglichkeiten verwirren das
Mdchen und lassen es verzagen. Seine besondere Art der Wahrneh
mung funktioniert nur auf gerader Bahn. Wollen die Lehrer Florentines
Wissen mehren, im Unterricht zur Anwendung bringen oder in Tests
prfen, mssen sie die Form der Abfrage anpassen. Verstnde die Sch
lerin schon die Aufgabenstellung nicht, wie sollte sie sich dann neuen
Stoff erschlieen? Kurz und knapp formulieren ihre Lehrerinnen des
halb Aufgaben, die im Unterricht gefragt sind. Oft bieten sie ihr ver
einfachte Darstellungen an, damit die Achtjhrige besser erfasst, was
die Pdagogen von ihr fordern. Niemals lassen sie Florentine mit auf
einanderfolgenden Anforderungen allein. Denn das Mdchen hat aller
grte Mhe, sich selbst und ihr Umfeld zu organisieren, und vermag
es kaum, mehrere Arbeitsschritte in Folge oder gar parallel zu planen.
Ziel ist es jedoch, dass Florentine ihre Aufgaben selbststndig lst. Dazu
gehrt auch, ihr Orientierung ber komplexere Ablufe im Schulalltag
zu geben. Jahres und Wochenplne hngen im Klassenzimmer aus.
Nicht nur fr Florentine. Mit ihr lernen noch andere Integrationskinder,
darunter vier aus der Lindenhofschule, einer Schule fr geistig Behin
derte. Der Schulstoff wird ber drei Lehrplne vermittelt fr die Md
chen und Jungen mit unterschiedlichen Frderschwerpunkten und die
anderen Grundschler. Umgangsregeln gelten fr alle gleichermaen.
Das besondere Modell verlangt einen hheren personellen Einsatz, als
er sonst blich ist. Deshalb unterrichten in rund 20 Wochenstunden
zwei Lehrerinnen die Klasse zusammen: Eine Grundschullehrerin und
eine Frderschullehrerin sind seit Jahren ein erfahrenes Team, das Kin
dern wie Florentine hilft, leichter zu lernen.
Frderschwerpunkt Sprache
Sprechen lernen, Sprache heilen Hallo, meine Lieben der Gru scheint im Laub zu schweben. Zwischen starken Bumen steht
er als als Skulptur meterhoch und begrt die Schler des Frderzentrums Sprache Dresden.
Die sogenannten Worte zum Anlehnen begleiten die rund 160 Mdchen und Jungen durch
ihren Schulalltag: Sie finden sie gemalt an Fassaden, im Hof und im Schulhaus. Rad schlagen,
Spa, klettern, schaukeln. Worte eines Kinderlebens. Sichtbare Sprache. Hier und da lsst
sie sich anfassen, geformt aus Holz, Metall oder Ton. Wer am Frderzentrum lernt oder von den
dort angestellten Experten als Integrationsschler an einer Regelschule betreut wird, ringt mit
ihr. Mit der eigenen und der anderer Menschen. Die Kinder kommen an die Sprachheilschule,
weil sie nicht verarbeiten knnen, was man ihnen sagt, weil ihr Hirn die Grammatik nicht zu er
fassen vermag, weil mangelnde Merkfhigkeit Kommunikation strt. Auch das Hren kann Sprache
behindern, wenn Kinder die Laute nicht in richtiger Abfolge wahrnehmen und sprechen knnen.
Stottern und Stammeln sind weitere Grnde fr einen sonderpdagogischen Frderbedarf. Einige
Kinder sprechen gar nicht. So wie Loreen, als sie in die erste Klasse kam. Kaum mehr als Mama
und Papa vermochte sie zu sagen, trotz groen Engagements ihrer Eltern. Inzwischen ist Loreen
acht Jahre alt und plaudert ohne Scheu darauf los. Zusammen mit ihrer Freundin Jasmin erklrt
sie ein Spiel, das die Lehrerin gebastelt hat. Auf Krtchen sind rasch markierte Felder zu erfassen,
und die Mdchen kichern, wenn Ungebte ihre liebe Not damit haben. Genau wie mit dem Ge
brdenABC, das alle Schulanfnger lernen und das jeweils ein Zeichen fr einen Laut bereit
hlt. Sie untersttzen die Wahrnehmung der Laute, wenn Kinder zum Beispiel g und k oder
b und p nicht auseinanderhalten knnen. Um lesen und schreiben zu lernen, bekommen sie
die ersten beiden Schuljahre lang Zeit und werden nach einem eigens am Frderzentrum ent
wickelten LeseRechtschreibKurs unterrichtet. Loreen steht vor einem Spiegel im Klassenzim
mer und gebrdet ihren Namen. Ganze Stze kann sie damit sagen. Doch zuvor steht noch eine
Stunde Bewegungserziehung auf dem Stundenplan. Er findet neben einem speziellen und ganz
individuellen Therapieprogramm statt. Erwrmung mit Seilspringen, dann Gleichgewichtsbungen
auf einem Kippelkissen. Spter legen die Kinder HulaHoopReifen in einer Reihe auf und springen
in regelmiger Abfolge mit je einem Fu und beiden zusammen hinein. Dazu rufen sie links,
links, bumm und rechts, rechts, bumm. Fr viele von ihnen ist das eine groe Anstrengung.
Sie mssen die Harmonie von Krperempfinden, Rhythmusgefhl und Sprache erst noch finden.
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Gute Integration
Vom Sprachheilschler zum Schlersprecher an der Oberschule
Mit seinem Bruder hat sich Florian immer verstanden. Im Spiel wie im
Streit. Die Jungen sprachen eine gemeinsame Sprache, doch der Rest
der Welt hrte auf eine andere. Mein Bruder ist anderthalb Jahre
jnger als ich. Als Kleinkinder haben wir uns super miteinander ver
stndigt, erzhlt Florian. Problematisch wurde die Fantasiesprache aus
Lauten, Gesten und wenigen Worten jedoch, als sich der Wortschatz
auch im Kinderkrippenalter kaum erweiterte. Whrend seiner Kinder
gartenzeit bte Florian in der Logopdie und der Ergotherapie. In der
Grundschule bescheinigten ihm Fachleute einen sonderpdagogischen
Frderbedarf Sprache und eine LeseRechtschreibSchwche. Richtig
zu sprechen blieb fr den heute 16Jhrigen ein Dauerthema. Er kam
auf die Sprachheilschule. Seit der fnften Klasse jedoch ist Florian
Schler an der 36. Oberschule in DresdenLbtau. Sie hat sich auf die
Integration von Schlern mit Sprachbehinderung spezialisiert und ar
beitet eng mit der Sprachheilschule Dresden zusammen. Zum Beispiel
fr den sogenannten Sttzunterricht. Dort erhalten ehemalige Frder
schler in kleinen Gruppen zustzlich Untersttzung im Deutschunter
richt. Diesen bernehmen zwei Lehrerinnen vom Frderzentrum
Sprache an zwei Tagen in der Woche. In weiteren Stunden lehren spe
zialisierte Kollegen der Oberschule. Bis zur sechsten Klasse lernten
Florian und seine Mitschler in reinen Sprachheilklassen. Ab der
siebenten wurden wir auf die anderen Klassen verteilt, erklrt der
Neuntklssler. Von seinen Mitschlern fhlt er sich akzeptiert. Nur am
Anfang galten wir als die Frderschler, inzwischen aber gehren wir
ganz normal dazu. Damit nicht genug. Dass sich Florian frher sehr
schwer verstndlich machen konnte, ist kaum mehr vorstellbar. Nchs
tes Jahr mchte er sich zum Schlersprecher whlen lassen, als amtie
render Stellvertreter hat er gute Chancen. Auch seinem Freund Fritz
ist im Gesprch nichts mehr anzumerken. Stolperte er ehemals ber
einfache Wrter, macht ihm heute im Wesentlichen nur noch seine
LeseRechtschreibSchwche zu schaffen. Auch deshalb sitzt er mit
fnf Mitschlern im DeutschFrderkurs. Dort bespricht die Lehrerin
mit ihnen das Thema Motive anhand Lessings Fabel Der Besitzer des
Bogens. Im Frderunterricht erweitern die Schler ihren Wortschatz.
Sie ben, Stze gut zu formulieren sowie den Sinn von Texten korrekt
zu erfassen und selbst frei zu schreiben. Whrend des Unterrichts im
Klassenverband gesteht ihr IntegrationsStatus ihnen den sogenannten
Nachteilsausgleich zu. Das bedeutet, sie bekommen je nach Frder
schwerpunkt mehr Zeit, um sich beispielsweise vor Klassenarbeiten die
Aufgabenstellungen durchzulesen und schriftliche Aufgaben zu erle
digen. Mit dem Sinn des Wortes Motiv kommt Florian gut klar. Seins
liegt auf der Hand: Er will Anliegen der Schlerschaft geschliffen kund
tun. Furcht vor groem Publikum hat er schon lngst nicht mehr.
Frderschwerpunkt krperliche und motorische Entwicklung
So viel wie mglich allein knnen Paul hat alle Hnde voll zu tun. Doch sie gehorchen ihm schwer. Auf Schrauben muss der
15Jhrige Flgelmuttern drehen. Das habe ich noch nie gemacht, sagt er und mht sich
weiter. Spastische Lhmungen lassen seine Finger ungelenk erscheinen. Filigrane Aufgaben in
der Schule fr Krperbehinderte Dresden sind nicht nur fr Paul eine immense Herausforderung.
An den Arbeitstischen neben ihm ist ein Dutzend Jugendlicher damit beschftigt, kurze und
lange Holzdbel zu sortieren, Becher mit abgezhlten Metallstcken zu fllen oder Karten in
Tten zu stecken. All das sind Vorbereitungen auf eine knftige berufliche Ttigkeit ggf. auch
in einer Werkstatt fr behinderte Menschen. Ich will einen Beruf haben und so viel wie mglich
selbststndig knnen, sagt Paul und rckt seinen Rollstuhl zur Seite. Drauen steht mein Rol
lator, mit dem kann ich kleine Strecken allein laufen, erklrt der Jugendliche. Ben wird das
wohl nie knnen. Whrend Paul bald am Ende seiner Schulzeit angelangt ist, beginnt der Sieben
jhrige seine gerade erst. Auch Ben sitzt im Rollstuhl. Whrend die Groen konzentriert arbeiten,
verklingt bei den Kleinen ein paar Tren weiter das Morgenlied. Auf Bens Schulbank steht ein
Lerncomputer. Mit Untersttzung drckt der Blondschopf den Button mit einem WetterZeichen.
Sprechen kann er kaum, das bernimmt die Technik fr ihn. Denn auch das Gesprch ber den
aktuellen Wetterbericht gehrt zur Begrung des neuen Schultages. Mdchen und Jungen
lernen gemeinsam im Dehnungsjahr. Dadurch verlngert sich die Grundschulzeit um ein Schul
jahr auf fnf Jahre. So knnen sie sich in Ruhe an den Schulalltag gewhnen. Viele von ihnen
arbeiten sehr langsam. Das Zurechtlegen der Arbeitsmittel, das Schreiben und auch der Wechsel
von Station zu Station whrend der Freiarbeit dauern entsprechend lnger. Nicht wenigen Sch
lern machen zustzliche Besonderheiten zu schaffen. Max in der sechsten Klasse hat schwere
Diabetes. Jederzeit muss seine medizinische Versorgung gesichert sein. So kmmern sich um
die rund 190 Schler des Frderzentrums neben 40 Lehrern und 20 pdagogischen Unterrichts
hilfen auch zehn fest angestellte Physiotherapeuten, drei Krankenschwestern sowie freiberufliche
Logopden und Ergotherapeuten. Von versteckter Therapie sprechen sie, wenn beispielsweise
ein Kind seinen Unterricht statt sitzend im Stehtrainer verbringt, was Kreislauf und Muskulatur
strkt. Auch Paul hat das Sitzen satt und seinen SaugnapfGriff dabei. Den heftet er an die
Tischplatte, stemmt sich hoch, steht und lacht.
18 | 19
Gute Integration
Mit dem Laufrad auf Tour Zehn Runden Lauf zur Erwrmung die Order geht an alle. Nicht an
25 Siebtklssler, sondern an alle 26. Erste Stunde Sportunterricht am
VitzthumGymnasium Dresden. Die Mdchen und Jungen beginnen im
Kreis zu traben. Zwischen ihnen rollt Niklas bers Parkett. Seine Beine
geben dem Leichtlaufroller unter ihm Schwung. Nach fnf Runden ist
Niklas Gesicht rot wie das der anderen, doch er dst weiter im Strom
seiner Klassenkameraden. Wenig vor ihm beendet Moritz seine letzte
Runde und feuert Niklas an. Er ist dessen Banknachbar und Freund,
seine rechte Hand. Denn Niklas kann kaum laufen, im Klassenzimmer
schafft er den Weg von seinem Platz bis zur Tafel mit Gehhilfen. Fr
lngere Strecken nutzt er seinen Roller. Mit dem ist der 13Jhrige viel
flotter auf den breiten, barrierefreien Fluren des Schulneubaus unter
wegs. Niklas ist einer von 20 Schlern mit sonderpdagogischem
Frderbedarf am VitzthumGymnasium. Als Kleinkind erkrankte Niklas
an Leukmie und wurde therapiert. Doch der Blutkrebs kam wieder.
Heute leidet Niklas unter den Folgen einer rettenden Knochenmarks
transplantation. Seine verkrzten Sehnen behindern ihn beim Gehen
und Greifen. Deshalb hilft ihm sein Freund Moritz, beim Auspacken der
Arbeitsmittel oder wenn der Ranzen eingepackt und getragen werden
muss. Deshalb hat Niklas zwei Stze Schulbcher der eine liegt fr
die Erledigung der Hausaufgaben zu Hause, der andere lagert griffbe
reit fr jede Unterrichtsstunde im SchulSchliefach. In der Grund
schule und am Anfang der fnften Klasse untersttzte den Jungen ein
Schulbegleiter. Inzwischen ist diese stndige Betreuung durch einen
Erwachsenen nicht mehr ntig und Niklas auch nicht recht. Er will sein
wie alle und steckt nur selten zurck. Zum Beispiel, wenn seine Mit
schler im Gertturnen den Handstand ben. Dann richtet ihm seine
Zweitlehrerin im Fach Sport einen Trainingsplatz am Rand der Halle
ein. Dort hilft sie ihm bei speziellen Dehnungsbungen, arbeitet mit
ihm auf einem extra angeschafften Hometrainer am Muskelaufbau und
ist whrend des Sportunterrichts stets in der Turnhalle, fr den Fall,
dass Niklas Untersttzung braucht. Auch andere Lehrer und Schler
greifen zu, beispielsweise, wenn eine Exkursion in den schlammigen
Lockwitzgrund fhrt, wie in einem vergangenen Schuljahr. Solche Aus
flge unternimmt Niklas im Rollstuhl, den bei Bedarf krftige Hnde
packen und ber unwegsames Gelnde schieben. Fachlehrer und Lehrer
des Frderzentrums fr Krperbehinderte suchen gemeinsam Lsun
gen, damit Niklas gleichberechtigt am Schulalltag teilnehmen kann.
Auerdem entwickelt die Integrationslehrerin nach Absprache mit der
Klassenleiterin einen individuellen Frderplan fr jedes Schuljahr. Und
auch Niklas spricht immer mit.
Frderschwerpunkt Sehen
Ordnung ist das ganze Leben Josephines schmale Hand tastet nach dem Lineal. Das muss alles ganz ordentlich sein, sagt
sie und rckt die flache Box mit den GeometrieUtensilien an den oberen rechten Rand der
Schulbank. Als ich einmal mit meinen Eltern im Auto gefahren bin, hat die Sonne meine Augen
gekitzelt und wir dachten, ich kann ein bisschen sehen, sagt die Zehnjhrige, aber es stimmt
nicht. In der vierten Klasse der Landesschule fr Blinde und Sehbehinderte Chemnitz hat die
Freiarbeit begonnen. Eine Unterrichtseinheit lang drfen sich die zehn Kinder ihre Aufgaben
selbst heraussuchen. Josephine zeichnet ein Dreieck. Dabei gengt es nicht, Linien auf weien
Grund zu ziehen, den Zirkel anzusetzen und Punkte miteinander zu verbinden. Die Schlerin
hantiert in vollkommener Dunkelheit. Deshalb gehren Haushaltgummis und Pinnwandnadeln
zu ihren Arbeitsmitteln. Die spannt und befestigt Josephine auf einem Reibrett, fhlt die Mar
kierung und setzt das Lineal an. Das verlangt mehr Zeit, als sehende Kinder brauchen. Karl ist
sehbehindert, aber auch flott. Er puzzelt. Doch auch er muss extra Schritte gehen, um ans Ziel
zu gelangen. Die Ziffern auf den Puzzleteilen erkennt er am besten mit seinem Lesestein. Der
funktioniert wie ein besonders starkes Vergrerungsglas. Leichter htte es der Viertklssler am
Lesegert, auf dessen Monitor Textzeilen ganz nach Bedarf vergrert werden knnen. Doch
dort sitzt schon eine andere Leseratte, spter wird Karl die Mitschlerin ablsen. Jede Schulbank
im Klassenraum ist mit einer Arbeitsplatzleuchte ausgestattet. Viele Kinder tragen ein Monokular
um den Hals. Wie durch ein Fernglas holen sie sich damit das Tafelbild heran. Wegen all dieser
Erschwernis dauert die Grundschulzeit fnf statt der blichen vier Jahre. Die ltesten Schler
am Frderzentrum besuchen die zehnte Klasse oder bei zustzlichem Frderbedarf in der gei
stigen Entwicklung die sogenannte Werkstufe. Dort lernen sie einfache handwerkliche und
hauswirtschaftliche Ttigkeiten. Josephine schreibt derweil auf ihrer Punktschriftmaschine. Die
Blindenschrift gehrt zum Schulstoff. Ich beginne gerade, die Blindenkurzschrift zu lernen,
sagt Josephine. Wenn ich einmal Schriftstellerin sein werde, msste ich sonst fr ein Buch min
destens fnf Bnde vollschreiben. Mit der Kurzschrift gehe das knapper. Auerdem steht das
Fach Orientierung/Mobilitt auf dem Stundenplan. Ziel ist es, sich auch auerhalb des Schulge
lndes sicher zu bewegen. Jetzt gehe ich noch an Muttis Hand, aber spter wre das ja peinlich,
sagt Josephine. Der richtige Umgang mit dem Blindenstock will gebt sein. Schlielich steht
drauen nicht alles so ordentlich an seinem Platz, wie sie es von ihrem Klassenraum gewhnt ist.
20 | 21
Gute Integration
Der perfekte Blickwinkel Der Tafeldienst htte sich mehr Mhe geben sollen. Graue Schlieren
berziehen den moosgrnen Grund. Ideal ist es fr Denise nicht, wenn
die Lehrerin die verschiedenen Verwitterungsarten von Gesteinen dar
auf schreibt. Letzter Akt im Stundenplan: Geographie. Die Schler der
zehnten Klasse am Chemnitzer Dr.WilhelmAndrGymnasium schauen
einen Film ber die physikalische und chemische Gesteinszerstrung.
Denise sitzt in der Fensterreihe, zweite Bank von vorn. Von da aus sieht
sie am besten Lichteinfall und Blinkwinkel stimmen. Das junge Md
chen mit der getnten Brille hat eine Sehkraft von rund 50 Prozent. Je
nach Tagesform auch mal etwas weniger. Weil die nchste Mglichkeit
der Abiturstufe fr Blinde und Sehbehinderte zu weit weg gewesen
wre, entschied sie sich fr das AndrGymnasium. Dort fhlt sie sich
bestens aufgehoben. Bis zur zehnten Klasse besuchte Denise das spe
zielle Frderzentrum in Chemnitz. Dann kam sie fr vier Wochen zur
Probe in ihre jetzige Schule. Die Zehnte wiederhole ich, um den An
schluss besser zu schaffen, erklrt sie. Trotzdem fllt ihr das Lernen
nicht leicht. Stumme Karten zu lesen, damit haben auch gut sehende
Schler ihre liebe Not. Doch fr Denise kommen besondere Schwierig
keiten hinzu: die feinen Linien zu erkennen, mit denen Flusslufe und
Landesgrenzen dargestellt sind, zum Beispiel. Auerdem kann sie Farb
nuancen kaum unterscheiden und deshalb die Hhen und Tiefen
unterschiede auf Gebirgs und Meeresabbildungen nur sehr schwer
identifizieren. In Mathematik kmpft sie mit dem Taschenrechner, des
sen Display allzu kleine Schrift und schwache Kontraste zeigt. Ich
werde mir einen Laptop kaufen, an den kann ich den Taschenrechner
anschlieen und so die Ziffern ber den Bildschirm gro genug sehen,
sagt die 16Jhrige. Auch im Sportunterricht ist Denise gehandicapt.
Beim Tischtennis sieht sie den kleinen Ball nicht und beim BockSpringen
das Brett richtig zu treffen, ist ebenfalls eine Herausforderung. Doch
fr fast jedes Problem gibt es eine Lsung. Seit drei Jahren arbeitet das
Kollegium des AndrGymnasiums eng mit dem Frderzentrum, der
Landesschule fr Blinde und Sehbehinderte, zusammen. Denises Geo
graphieLehrerin wird Landschaftskarten heraussuchen, die mglichst
kontrastreich gestaltet sind, und in Klassenarbeiten und Tests bekommt
die Integrationsschlerin ihre Aufgabenbltter in extra groer Schrift
ausgedruckt. Der Kontakt zur Frderschule ist eng. Denises Klassenlei
terin erstellt einen Frderplan mit Zielen, die das Mdchen erreichen
will. Zu Beginn jedes Schulhalbjahres wertet eine Frderschulpdagogin
mit Denise, ihren Eltern und Lehrern das Vorjahr aus. Und ihre Klas
senkameraden untersttzen Denise, wo sie nur knnen. Sie gehen ganz
entspannt mit mir um und sind fast ein wenig besorgt um mich.
Frderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung
Tglich um Regeln ringen Zum Klassenzimmer in die zweite Etage hinauf steigt Henry ber groe Worte. STRKEN,
MOTIVIEREN, LEHREN steht auf den Stufen des Treppenhauses seiner Schule. Der Elfjhrige kann
nicht anders, als sie mit Fen zu treten. Viel wichtiger aber ist seinen Lehrern: Er geht auf si
cherem Grund. Vielleicht gelingt das nur an diesem Ort zwischen bunter Malerei an den Wnden
und Merkzetteln an der Tafel. Henry besucht die sechste Klasse der Schule fr Erziehungshilfe in
BrandErbisdorf. Dort haben sich morgens acht Jungen mit ihren Brotdosen um den Frhstcks
tisch versammelt. Auch ihre Lehrerin sitzt dabei und beginnt ein Gesprch. Zwei Schler sind
gerade von einem Workshop zurck, sie drfen sich nun Streitschlichter nennen. Die Pdagogen
mssen viele Auseinandersetzungen, die in der Schule zur Tagesordnung gehren, befrieden. Et
liche aber knnen und sollen auch die Schler selbst in den Griff bekommen. Deshalb gehren
bungen gegen Zank, Wut und Handgreiflichkeiten zum Unterricht. Besonders engagierte Sch
ler drfen in ein Camp fahren, wo sie mit Kindern aus anderen Schulen AntiStreitStrategien
lernen. Henrys Freunde haben dabei eine Erfahrung gemacht: Sie fielen in der Gruppe wegen
ihrer deftigen Ausdrcke unangenehm auf und wurden gemieden. Dass andere Menschen auf
Abstand zu ihnen gehen, erleben sie jenseits des Schulgelndes oft. Niemand sieht ihnen ihr
Handicap an, man hlt sie schlicht fr unerzogen. Wie viel mehr dahintersteckt, das wissen ihre
Lehrer und Therapeuten. Gegen Kraftausdrcke arbeiten sie trotzdem. Doch vorerst warten die
neuen Vokabeln. Im Lehrbuch schneit und regnet es: eine Lektion Wetter fr die acht Jungen
an ihren Einzeltischen. Sie alle haben einen sonderpdagogischen Frderbedarf in der emotio
nalen und sozialen Entwicklung. Aufmerksamkeitsstrungen, Trotzverhalten, Autismus und
Schwierigkeiten in der Persnlichkeitsentwicklung knnen ebenso der Grund dafr sein wie Ver
nachlssigung und Misshandlung. Manche Kinder sind durch Gewalt oder Verlust traumatisiert
oder es fehlt ihnen an Zuwendung in der eigenen Familie. Welche Brde sie auch tragen, im
Klassenzimmer gelten fr alle gleiche Regeln: Nicht ber Tische und Bnke gehen, niemanden
auslachen, bedrngen oder schlagen. Auerdem nehmen sich Henry und seine Mitschler per
snliche Ziele vor: Hausaufgaben erledigen, nicht reinquatschen, beim Sitzen die Beine unterm
Tisch behalten. Manchem der insgesamt 80 Schler der Schule sollen Medikamente helfen, andere
mssen lernen, mit ihren Wut oder Panikanfllen so umzugehen, dass sie niemanden gefhrden.
Der Englischunterricht in Henrys Klasse verluft an diesem Tag ruhig. Es scheint die Sonne im April.
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Gute Integration
Der Wut keinen Lauf lassen
Dustins Wut ist ein ernstes Thema. Fr Schler, Lehrer und Eltern. Wie
sollen sie einen Jungen in ihrer Mitte begren, den sie lieber aus
sicherer Entfernung beobachten? Ein Kind, das bereits eine Klasse ver
lassen musste, weil es Vorkommnisse gab. Dustin selbst rckt nur
schwer mit der Wahrheit heraus. Oder er hat seine eigene. Darber, wie
beim Gerangel mit einem Klassenkameraden aus Spa Ernst wurde und
er das andere Kind verletzte. Da hatte Dustin als Integrationsschler
gerade das erste Halbjahr am GeschwisterSchollGymnasium in Frei
berg hinter sich. Zuvor war der heute 14Jhrige auf die Schule fr Er
ziehungshilfe gegangen. Er lernte dort gut, sein kluger Kopf brauchte
mehr Futter. Dustins Verhalten blieb ein Wagnis, doch der Junge ver
diente eine Chance. Um nach der Frderschule leichter Anschluss an
die Regelschule zu finden, wiederholte er dort die fnfte Klasse. Sich
zu benehmen ist der Kern seines Frderplanes, ein Ziel, auf das sich
Dustin eingelassen und mit seinen Lehrern geeinigt hat. Die Leiterin
der Frderschule fr Erziehungshilfe steht Dustins Klassenlehrerin und
der Integrationslehrerin des Gymnasiums beratend zur Seite. Die Pda
gogen halten Kontakt zum Elternhaus und der zustndigen Familien
helferin. Das enge Netz soll Dustin Halt geben. Aber er brach durch die
Maschen im Zorn, der so schwer zu berechnen ist und ihn alles ver
gessen lsst. In Zusammenarbeit mit dem Jugendamt entschieden sich
die Verantwortlichen fr eine letzte Chance: Im zweiten Schulhalbjahr
musste Dustin in die Parallelklasse wechseln. Dort lernt Dustin nun seit
einem Jahr. Zwischen seinen jngeren Mitschlern fllt der zarte Junge
nicht auf solange er nicht verhaltensauffllig wird. Manchmal ist er
das im positiven Sinn. Wie an diesem Morgen, als Erich Kstner Thema
des Deutschunterrichts ist. Die Gedanken der Schler kreisen um Klaus
im Schrank. Das Theaterstck werden sie demnchst sehen. Darin geht
es um Kinder, die von ihren Eltern vernachlssigt werden. Dustin knnte
dazu viel aus seinem eigenen Leben erzhlen. Was, meint ihr, wrde
passieren, wenn Erwachsene und Kinder die Rollen tauschten?, will die
Lehrerin wissen. Dustin sitzt in der ersten Reihe zwischen zwei Freun
den. Das Trio spinnt eifrig Gedanken: Es wrde ganz schn chaotisch
zugehen, vermutet Dustin, Die Kinder wrden gar nicht auf Natur
schutz achten und ganz viele Sigkeiten kaufen. Nichts Gutes wre
zu erwarten? Doch, Sport wrde eine viel grere Rolle spielen. Darin
ist Dustin ein Ass, Sport bringt ihm Erfolg und Anerkennung. Seine Zu
flucht, wie sie Karl im Schrank findet, eine fantastische Welt. Doch
auch die braucht Regeln.
Frderschwerpunkt geistige Entwicklung
Mageschneiderte Frderplne Dominik muss genau aufpassen. Er hlt Wache an der groen Glastr. Wer hindurch will, stoppt
zunchst am Pfrtner und seiner Liste. Beim Kommen und Gehen tragen sich Schler, Lehrer
und Besucher der Sonnenbergschule fr geistig Behinderte suberlich in die Tabelle ein. Dominik
nimmt seine Aufgabe ernst. Will sich jemand an ihm vorbeimogeln, rckt er sein Lieblingsbase
cap zackig zurecht und winkt mit dem Kugelschreiber. Insgesamt 62 Kinder und Jugendliche
lernen an der Werdauer Frderschule. Sie werden nach 62 verschiedenen Frderplnen unter
richtet. Jeder Schler hat seinen eigenen. Akkurat laminiert hngen sie in den Klassenzimmern.
Whrend manch 13Jhriger die Ziffern 1, 2 und 3 mithilfe von Schablonen schreiben bt, rechnen
andere im Zahlenraum bis 10000. Die Schulpflicht gilt fr alle Kinder, doch deren Voraussetzun
gen sind sehr unterschiedlich. Unter ihnen sind mehrfach und schwerstmehrfachbehinderte
Mdchen und Jungen. Deshalb erstellen die insgesamt 13 Lehrerinnen individuelle Frderplne.
Wahrnehmung und Denken, Kommunikation und Lautsprache, Lesen und Schreiben, Mathe
matik, Natur und Umwelt, Liebe Freundschaft Sexualitt in all diesen Bereichen des Lebens
bilden die Pdagogen, untersttzt von zehn pdagogischen Unterrichtshilfen, Einzelfallhelfern
und Praktikanten, die Kinder und Jugendlichen aus. Auch Musik Tanz Rhythmus, Sport,
Kunsterziehung und Hauswirtschaft gehren dazu. Von den zwlf regulren Schuljahren widmen
sie die letzten drei der praktischen Arbeit. In der Werkstufe bereiten sich die jungen Leute darauf
vor, mglichst selbststndig zu wohnen und einer fr sie geeigneten Arbeit nachgehen zu knnen.
Dafr erledigen sie Einkufe, kochen Mittagessen, reinigen Rume, gestalten Bilder fr den Ver
kauf zugunsten der Schule, arbeiten in der Werkstatt und in benachbarten Unternehmen. Oder
sie behalten als Pfrtner den berblick, so wie Dominik. Er hat das DownSyndrom und gute
Chancen, wichtige Herausforderungen seines knftigen Alltages auerhalb der Schule aus eigener
Kraft zu stemmen. Dabei hilft es, lesen zu knnen. Doch nicht alle Schler sind in der Lage, die
Schriftsprache zu lernen. Fr sie haben die Lehrer Wrterbcher selbst erstellt. Sie setzen auf
die Wiedererkennung von Bild oder Piktogramm und Wort. Selbst zu schreiben, diese Hrde
nehmen viele Schler zwar nicht. Aber sie knnen sich spter einmal eine Einkaufsliste zu
sammenstellen und Begriffe in ihrer Umwelt wahrnehmen. Wenn ich einmal gro bin , trumen
die Sonnenbergschler, genau wie andere Kinder. Akzeptanz und Selbststndigkeit geben ihnen
diese Gre.
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Gute Integration
Sternstunde im Klassenzimmer In gestochener Schrift schreibt Peer mit weier Kreide auf grnen
Tafelgrund: Liebe Mama, ich wnsche dir ein schnes Weihnachtsfest,
dein Parham. Das ist sein Kosename. Auch seine Schulfreunde nennen
ihn so. Seit zwei Jahren lernt er mit ihnen zusammen. Denn Peer be
kommt individuelle Aufgaben. Er ist Schler der Frderschule Linden
hof fr geistig Behinderte, verbringt jedoch den grten Teil seines
Schulalltags in der Klasse 2 der CarlvonLinnGrundschule. Frder
schule und Regelschule haben ein gemeinsames Dach. Darunter ist ein
beeindruckendes Konzept gewachsen. Seit zwlf Jahren kooperieren die
beiden Leipziger Schulen, Eltern von Kindern mit dem Frderschwer
punkt geistige Entwicklung hatten diesen Versuch einst mit initiiert.
Zunchst wurden drei Frderschler stundenweise gemeinsam mit Regel
schlern unterrichtet. Inzwischen gibt es gemischte Klassen. Peer ist einer
von vier Lindenhofschlern in seiner Klasse. Zu den anderen 16 Mdchen
und Jungen gehren zudem Integrationsschler mit sonderpdagogi
schem Frderbedarf im Lernen und in der geistigen Entwicklung. All diese
unterschiedlichen Bedrfnisse im Schulalltag bringen zwei Pdagogen
unter einen Hut: Rund 20 Stunden die Woche unterrichten eine Fr
derschul und eine Grundschullehrerin gemeinsam. Dieser Tag beginnt
mit einer Schreibreise: Jedes Kind bekommt ein Krtchen, auf dem ein
Wort steht. Mucksmuschenstill wandern die Schler mit ihren Heften
durch den Raum, von Tisch zu Tisch, um auch die Begriffe der anderen
aufzuschreiben. Welche Farbe dabei die Schulbnke haben, ist ihnen
egal. Dass es da Unterschiede gibt, hilft lediglich den Lehrern, um auf
einen Blick zu wissen, welcher Platz einem Kind gehrt, das mit greren
Schwierigkeiten ringt als andere. Doch wie wird diese Schule denen
gerecht, die extrem leicht lernen? Eltern hatten ihre Bedenken: Geht
mein Kind nicht unter, wenn immer andere viel mehr Aufmerksamkeit
brauchen? Diese Sorge nahmen die Verantwortlichen des Schulmodells
sehr ernst. Auch kleine Superhirne mssen besonders gespeist werden,
darauf achten die Pdagogen, und die Eltern gewannen Vertrauen.
Peer, ein Schler mit AutismusSpektrumStrung, ist auf ein stabiles
Lernumfeld angewiesen. Vernderungen ngstigen und verunsichern
ihn. Wenn er sich mit den anderen Kindern ein gemeinsames Thema
erarbeitet, wie zum Beispiel die Wortarten im Deutschunterricht, geben
ihm feste Ablufe Halt. Alle Aufgaben sind in mindestens drei verschie
dene Schwierigkeitsgrade gestaffelt. Peer wei genau, wo er whrend
der Freiarbeit seine findet. Noten bekommt er nicht, dafr Sternchen,
die ihm zeigen, wenn er sich verbessert hat. Die meisten Sterne glnzen
fr ihn beim Rechnen, Lesen und Schreiben. Dann leuchten Peers Augen,
so wie bei seiner schnen Schrift an der groen Tafel.
Adressen
Das Verfahren zur Feststellung des sonderpdagogischen Frderbedarfs
wird von der zustndigen Regionalstelle der Schsischen Bildungsagentur
eingeleitet, wenn Anhaltspunkte einen sonderpdagogischen Frder
bedarf vermuten lassen. Die Regionalstellen knnen auf die zustndigen
Dienste und Leistungstrger hinweisen, insbesondere wie
Gesundheits, Sozial und Jugendmter, schulpsychologische, schul und fachrztliche Dienste, Einrichtungen der Frhfrderung, Arbeitsagenturen, Kammern und Betriebe, Beratungsstellen.
Schsische Bildungsagentur
Regionalstelle Bautzen
Hausanschrift: OttoNagelStrae 1, 02625 Bautzen
Postanschrift: Postfach 4444, 02634 Bautzen
Telefon: 03591 6210
EMail: poststelle@sbab.sachsen.de
Brgerbeauftragte(r)
Telefon: 03591 621326
Regionalstelle Chemnitz
Hausanschrift: Annaberger Strae119, 09120 Chemnitz
Postanschrift: Postfach 1334, 09072 Chemnitz
Telefon: 0371 53660
EMail: poststelle@sbac.sachsen.de
Brgerbeauftragte(r)
Telefon: 0371 5366105
Regionalstelle Dresden
Hausanschrift: Groenhainer Strae 92, 01127 Dresden
Postanschrift: Postfach 230120, 01111 Dresden
Telefon: 0351 84390
EMail: poststelle@sbad.sachsen.de
Brgerbeauftragte(r)
Telefon: 0351 8439450
Regionalstelle Leipzig
Hausanschrift: Nonnenstrae 17 A, 04229 Leipzig
Postanschrift: Postfach 10 06 53, 04006 Leipzig
Telefon: 0341 494550
EMail: poststelle@sbal.sachsen.de
Brgerbeauftragte(r)
Telefon: 0341 4945666
Regionalstelle Zwickau
Hausanschrift: Makarenkostrae 2, 08066 Zwickau
Postanschrift: Postfach 200942, 08009 Zwickau
Telefon: 0375 44440
EMail: poststelle@sbaz.sachsen.de
Brgerbeauftragte(r)
Telefon: 0375 4444333
Die Adressen aller schsischen Schulen
finden Sie in der Schsischen Schuldatenbank unter:
https://schuldatenbank.sachsen.de
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Herausgeber Schsisches Staatsministerium fr Kultus Carolaplatz 1, 01097 Dresden Brgertelefon: +49 (0)351 5642526 EMail: info@smk.sachsen.de Internet: www.bildung.sachsen.de
Texte Schsisches Staatsministerium fr Kultus, Referat 43 (Seiten 4 bis 9) Nadja Laske (Seiten 10 bis 25)
Fotos Steffen Giersch, Dresden Fotolia.com: raven (Seite 13)
Auflagenhhe 15.000 Stck
Realisierung www.oegrafik.de
Druck SDV Direct World GmbH, Dresden
Redaktionsschluss Mrz 2014
Bezug Diese Druckschrift kann kostenfrei bezogen werden bei: Zentraler Broschrenversand der Schsischen Staatsregierung Hammerweg 30, 01127 Dresden Telefon: +49 351 2103671, Telefax: +49 351 2103681 EMail: publikationen@sachsen.de, www.publikationen.sachsen.de
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Copyright Diese Verffentlichung ist urheberrechtlich geschtzt. Alle Rechte, auch die des Nachdruckes von Auszgen und der fotomechanischen Wiedergabe, sind dem Herausgeber vorbehalten.
Titel der Broschre Vielfalt als ChanceVielfalt als Chance Sonderpdagogische Frderung in SachsenBesondere Bedurfnisse und Lernvoraussetzungen verlangen nach einer besonderen HinwendungStichwort Inklusion
Viele Wege, ein ZielFrderorte
Grundlegende Informationen zu den sonderpdagogischen FrderschwerpunktenFrderschwerpunkt SpracheFrderschwerpunkt SehenFrderschwerpunkt HrenFrderschwerpunkt krperliche und motorische EntwicklungFrderschwerpunkt geistige EntwicklungFrderschwerpunkt LernenFrderschwerpunkt emotionale und soziale EntwicklungFrderschwerpunkt Unterricht kranker SchulerSchuler mit autistischem Verhalten
Frderschwerpunkt Hren Wenn Technik die Stille vertontAusgleich auf Augenhhe
Frderschwerpunkt Unterricht kranker Schuler Geknickten Seelen Halt gebenUnterricht im Kinderzimmer
Frderschwerpunkt Lernen Leichter schwer lernenSchulstoff auf geraden Bahnen
Frderschwerpunkt Sprache Sprechen lernen, Sprache heilenVom Sprachheilschuler zum Schulersprecher an der Oberschule
Frderschwerpunkt krperliche und motorische Entwicklung So viel wie mglich allein knnenMit dem Laufrad auf Tour
Frderschwerpunkt Sehen Ordnung ist das ganze LebenDer perfekte Blickwinkel
Frderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung Tglich um Regeln ringenDer Wut keinen Lauf lassen
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AdressenSchsische Bildungsagentur
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