Post on 05-Apr-2015
Varietäten des Französischen in Kamerun
Ulrich Dausendschön-GayBielefeld
ÜBERSICHT
Kamerun als mehrsprachiges Territorium Beschreibungsaspekte für Mehrsprachigkeit Ein Beispiel Exkurs: Sprachdokumentation Frankophonie
Protoypen der Beschreibung Klassifikation der Varietäten Phänomenologie und Hörbeispiele
Camfranglais Fazit
KAMERUNKAMERUN
16,4 Millionen Einwohner Kolonisierung durch Portugiesen (15.Jhd.,
Namensgebung), Niederländer, Deutsche (bis 1916), Franzosen und Engländer (Teilung der ehemals deutschen Kolonie 1918)
Unabhängig seit 1960, Vereinigung frankophoner und anglophoner Teil 1961
Französisch und Englisch als offizielle Landessprachen, Territorialitätsprinzip
KAMERUNKAMERUN
Mehr als 200 verschiedene Ethnien und Sprachen
Ca 18% der Bevölkerung „relle“ Frankophone (vor allem in urbanen Zentren und unter „Prestigesprechern“), 25% „okasionelle“
Im anglophonen Westen Verkehrssprache Pidgin gut verbreitet, insgesamt weniger als 10% der Bevölkerung
KAMERUNKAMERUN
Alltagskommunikation außerhalb der Alltagskommunikation außerhalb der staatlichen Institutionen nach den staatlichen Institutionen nach den Prinzipien Prinzipien
„„Präferenz für ethnische Sprache“ und für ethnische Sprache“ und
„„Effizienz durch Vehikularsprache wenn Effizienz durch Vehikularsprache wenn nötig“ nötig“
MEHRSPRACHIGKEITMEHRSPRACHIGKEITBeschreibungsaspekteBeschreibungsaspekte
Ausgewählte Kriterien zur Beschreibung von territorialer und individueller Mehrsprachigkeit (Lüdi/Py, Müller et al.)
Beteiligte Sprachen (Typologisches Verhältnis, Prestige, Kommunikative Verwendbarkeit in Diskursen/Milieus, Sprache vs Dialekt
MEHRSPRACHIGKEITMEHRSPRACHIGKEITBeschreibungsaspekteBeschreibungsaspekte
Erwerbsprozesse, soziale Bedingungen des Erwerbs, zeitliche Reihenfolgen
Art der Kompetenz (Tests, Ausgewogenheit, Autonomie der Sprachsysteme, Wechselkompetenz („le parler bilingue“)
Kommunikative Praxis (zeitliche und räumliche Verteilung der Sprachen, funktionale Zuordnung, Situationen
MEHRSPRACHIGKEITMEHRSPRACHIGKEITBeschreibungsaspekteBeschreibungsaspekte
Sprachplanung und Sprachpolitik (zweisprachige Erziehung, Fördermaßnahmen, „Nationalsprache“)
Folgen der territorialen und kommunikativen Koexistenz von Sprachen
Sprachkontakt, Hybridisierung
EIN BEISPIELEIN BEISPIEL
Leslie Moore (im Druck)
Sprachrepertoire von Isaac (Wandala)(Selbsteinschätzung und Testverfahren)
Mutter: Wandala, ArabischVater: WandalaIsaac: Wandala, Französisch, Arabisch,
Fulfulde (im Test Kompetenz nicht bestätigt)
EIN BEISPIELEIN BEISPIEL
Sprachrepertoire von Jonas (Montagnard)(Selbsteinschätzung und Testverfahren)
Mutter: Wuzlam, Pelasla, Wandala, Fulfulde
Vater: Pelasla, Wuzlam, WandalaJonas: Wuzlam, Pelasla, Wandala,
Französisch, Mada, Englisch, Fulfulde, Zulgwa
EIN BEISPIELEIN BEISPIEL
Vermutete Bedingungsfaktoren
MONTAGNARDS WANDALA
“dominiert” “dominierend”Animisten MuslimeMehrsprachig Ein- oder mehrsprachigNatürlicher Erwerb Gesteuerter ErwerbPatrilokal mit Erhalt der Patrilokal, patrilingual,
hoherEthnischen Identität der Frau AnpassungsdruckFeldarbeit der Frauen, Frauen bleiben im DorfMitnahme der Kinder
KOMMENTARKOMMENTAR
Das ist ein interessantes Beispiel für die Bedingungen der Mehrsprachigkeit und des Spracherwerbs, es erlaubt aber keine Systematisierung und Generalisierung.
Methodisches Problem der Sprachdokumentation
EXKURS: SprachdokumentationEXKURS: SprachdokumentationEthnologueEthnologue
1. Primary language name1. Primary language name 2. 2. Alternate names names 4. Country speaker population4. Country speaker population 5. Monolingual population5. Monolingual population 8. Ethnic population8. Ethnic population 10. Linguistic affiliation10. Linguistic affiliation 11. Dialect names11. Dialect names 12. Intelligibility and dialect relations12. Intelligibility and dialect relations
EXKURS: SprachdokumentationEXKURS: SprachdokumentationEthnologueEthnologue
13. Lexical similarity 14. Language function 18. Language attitudes 19. Bilingual proficiency levels 21. Literacy rates 25. Linguistic typology 27. Religion
EXKURS: SprachdokumentationEXKURS: SprachdokumentationLehmann (2001/2004)Lehmann (2001/2004)
Unterscheidung
Sprachdokumentation: (Video)-Sprachdaten, die für die Sprachstruktur und die Verwendungskontexte repräsentativ sind
Sprachbeschreibung: Bestimmung der Strukturen, die den Sprachdaten zu Grunde liegen
EXKURS: SprachdokumentationEXKURS: SprachdokumentationLehmann (2001/2004)Lehmann (2001/2004)
Beide sind theoretisch unabhängig von einander, aber beide implizieren theoretische Fundierungen :
Sprachdaten sind kein Rohmaterial, sondern bearbeitete Repräsentationen, z.B. morphemischer Art
Sprachbeschreibung impliziert neben den klassischen Domänen Phonologie, Grammatik und Lexikon auch Ethnographie, soziale und genetische Eigenschaften, und Sprachgeschichte
EXKURS: SprachdokumentationEXKURS: SprachdokumentationLehmann (2001/2004)Lehmann (2001/2004)
Anforderung an Dokumentationen: Qualität (Feld vs Studio) Repräsentativität für Gebrauch und
System Gebrauchsdokumentation: Beteiligte,
Kontext, kommunikative Aufgabe, Thema, Code, Medium
KOMMENTARKOMMENTAR
Sprachdokumentationen und –beschreibungen, die diesen Ansprüchen genügen, liegen bislang nur wenige vor, meines Wissens keine für frankophone Varietäten.
FRANKOPHONIEFRANKOPHONIEPrototypen der BeschreibungPrototypen der Beschreibung
La grille de Chaudenson:
STATUS Offizieller Gebrauch der Sprache(n) Institutioneller Gebrauch Erziehungswesen Massenmedien Berufswelt
FRANKOPHONIEFRANKOPHONIEPrototypen der BeschreibungPrototypen der Beschreibung
CORPUS Spracherwerb ungesteuert Spracherwerb gesteuert Vernakuläre Funktion der Sprache(n) Vehikuläre Funktion der Sprache(n) Diskursive Kompetenzverteilung Kommunikative Praxis: Menge an Output
und Input
FRANKOPHONIEFRANKOPHONIEPrototypen der BeschreibungPrototypen der Beschreibung
Anwendung auf Kamerun:
STATUS Officialité 6/12 Usages institutionnels 2/4
(religion 1/4) Education 7/10 Communication de masse 4/5 Communication professionnelle 15/20
FRANKOPHONIEFRANKOPHONIEPrototypen der BeschreibungPrototypen der Beschreibung
Anwendung auf Kamerun:
CORPUS Acquisition ?? Apprentissage 12/20 Vernacularisation ?? Véhicularisation 8/10 Compétence 5/20 Production langagière 4/10 Consommation langagière 5/10
FRANKOPHONIEFRANKOPHONIEPrototypen der BeschreibungPrototypen der Beschreibung
Dumont/Maurer (1995): Methoden der „corpus“-Erhebung
Kommunikative Praxis: Teilnehmende Beobachtung: Protokoll und
Interaktionsbeteiligung Emische Kompetenz Schriftliche Dokumente
Repräsentationen Interviews Schriftliche Äußerungen Umfragen
FRANKOPHONIEFRANKOPHONIE Klassifikation der Varietäten Klassifikation der Varietäten
Dumont/Maurer (Beispiel Djibouti):
Élémentaire (basilecte, créolisation) Occasionnel (fonctionnel: commerce) Usuel (régional, diversité fonctionnelle) De prestige (acrolecte, standard
international)
FRANKOPHONIEFRANKOPHONIEKlassifikation der VarietätenKlassifikation der Varietäten
Boutin (Beispiel Côte d‘Ivoire, Kategorisierungen durch Befragte): Nach sozialen Kriterien (académique,
standard, de Moussa oder des intellectuels, de la rue, des élèves, de ceux qui ne travaillent pas)
Nach „Registern“ (soutenu, intermédiaire, relâché, argotique [nouchi])
FRANKOPHONIEFRANKOPHONIEKlassifikation der VarietätenKlassifikation der Varietäten
Boutin (Sprachensituation insgesamt): Langues africaines Nouchi Français populaires ivoiriens Français ivoirien Français académique de Côte d’Ivoire Français standard de France
FRANKOPHONIEFRANKOPHONIEPhänomenologiePhänomenologie
Auflistungen bei Dumont/Maurer und Mendo Ze in der Nachfolge von Valdman, Manessy und anderen nach den Kategorien
Traits phoniques
Morphosyntaxe
Lexique, speziell Verfahren der Wortbildung
FRANKOPHONIEFRANKOPHONIEPhänomenologiePhänomenologie
Gründe für die Entstehung der „particularismes“
Soziolinguistisch (Gebrauchsdomänen des Französischen)
Kontaktsprachlich („Interferenzen“) Soziokulturell (Alltagsrhetorik, sozialer
Stil)
FRANKOPHONIEFRANKOPHONIEPhänomenologiePhänomenologie
Artikulatorische „Besonderheiten“ /l/ und /r/ Nasale und Vokalpositionen Wegfall von Oppositionen (Vorder- Hintervokal) Diphtongisierung Veränderung der Silbenstruktur durch Elision
und e-muet Prosodie der Einheitenbildung Rhythmus, Melodie
FRANKOPHONIEFRANKOPHONIEPhänomenologiePhänomenologie
Morphosyntax Artikel (Wegfall, best. Art. als Partitiv) Fehlen der Subordination Verringerung der Verbvalenzen (savoir
préparer) Neue Typen von complément (compliquer
quelqu‘un) Tempus Direkte vs indirekte Rede
FRANKOPHONIEFRANKOPHONIEPhänomenologiePhänomenologie
Listen von Afrikanismen Neologismen erweiterte Extension (frère) Umdeutung Einfluss afrikanischer Sprachen Einfluss des Pidgin Phraseologismen Proverbes Kommunikative Rituale
FRANKOPHONIEFRANKOPHONIEPhänomenologiePhänomenologie
Beispiel aus Fouda: Le franco-faufilé
Client dans un tournedos:mamie, c‘est comment
Propriétaire:ha, ne me tensionne pas
FRANKOPHONIEFRANKOPHONIEPhänomenologiePhänomenologie
Kuete : Korrekturliste für SchülerKuete : Korrekturliste für Schüler
il empêche aux gens d‘entreril empêche les gens d‘entrer
ce sont les quiqui sont-ils
couper une bière avec qnpartager une bière avec qn
je ne connais pas là-basje ne connais pas ce lieu-là
Hörbeispiel „compliments“
Phonologie
Stil
FRANKOPHONIEFRANKOPHONIEHörbeispieleHörbeispiele
Hörbeispiel „garagiste“
Formulierungsprozesse
Formelhaftigkeit
FRANKOPHONIEFRANKOPHONIEHörbeispieleHörbeispiele
FRANKOPHONIEFRANKOPHONIERésuméRésumé
Der gängige Beschreibungsstandard für Varietäten
orientiert sich an der Differenz zum idealisierten afrikanischen und internationalen Standard
thematisiert Probleme der Normierung und der Herausbildung des „kamerunischen Französisch“
Konzentriert sich weitgehend auf die klassischen Domänen Phonologie, Grammatik, Lexikon
FRANKOPHONIEFRANKOPHONIERésuméRésumé
Der gängige Beschreibungsstandard für Varietäten
erklärt Phänomene (Einfluss des Ewondo auf das mesolektale Französisch), aber nicht strukturellen Wandel und kommunikative Praktiken
Verwendet vornehmlich Methoden der strukturalen oder generativen Grammatik und der soziolinguistischen Feldforschung
CAMFRANGLAISCAMFRANGLAIS
Hörbeispiel I Code switching
Hörbeispiel II Inszenierung
CAMFRANGLAISCAMFRANGLAIS
Textbeispiel I: Beispiel aus einem Chat in Camfranglais
beaucoup de personnes ont deja repondu au gest qui joue les civilisés ici.je n’en rajouterais pas !!but all what a bi propose ne say we must regularise dis tok dan mi say on doit fall d’accord sur l’orthographe et l’usage d’un mot.
CAMFRANGLAISCAMFRANGLAIS
car qd chacun hold ca a son level et fait ce kil want ca ne tcha plus .par ex le mot petit comment doit t’on l’écrire ?? smo ?smol? et puis on doit fall d’acc sur un point soit on speech le pidgin soit on topo le camfranglais !!
je wait vos reactions !!
CAMFRANGLAISCAMFRANGLAIS
Textbeispiel II: Aus dem gleichen Chat
Salut les gars,Je cherche des gars qui discuteront avec moi ici en Camfranglais des thèmes proposés.i tink cé, wi can accepté cé, „Parler“ na di sém tink laka „tok“. Na correct way fo write dat
word. Wat do tink Mola?
CAMFRANGLAISCAMFRANGLAIS
If you cé „tok“ is better, so tel mi why? Forget „talk“ bo, na Glissy word! So a di wêt your toli. If you mimba cé, a don dou some erreur, dan tel mi wèr, massa.On se mit!!Hilaire
CAMFRANGLAISCAMFRANGLAIS
Die bekannten morphonologischen Erscheinungen gesprochener Sprache
Unsichere Phonation für Entlehnungen aus dem pidgin, manchmal an der Orthographie orientiert (do)
CAMFRANGLAISCAMFRANGLAIS
Abkürzungen, verlan
Entlehnungen und Neologismen ma macho mimba que je vais lost mon bacho (ma mère croit que je vais rater mon bac)
CAMFRANGLAISCAMFRANGLAIS
Kaum syntaktische Auffälligkeiten (Prinzip der ML)
Keine morphologische Integration der Lexeme, keine Artikel:
on va pas schoolla wa-là aime ya qu‘elle whitise (cette fille aime entendre dire
(savoir) qu‘elle parle comme une blanche)
CAMFRANGLAISCAMFRANGLAIS
Aber belegt: j‘ai pas ya ce que tu tchatchais hier soir en backant (j‘ai pas compris ce que tu disais hier soir en rentrant)
Formelhaftes Sprechen Inszenierungstechniken
CAMFRANGLAISCAMFRANGLAIS
Ein schwieriger Fall für die Beschreibung: Mangel an Systematizität Große Variationsbreite Hauptaspekte
Identität und Gruppe Unverständlichkeit Spiel Performanz
FAZITFAZIT
Methodische und theoretische Ausrichtung der bisherigen Forschung ermöglicht keine gesicherten Aussagen über die Eigenschaften und Funktionen der Varietäten
FAZITFAZIT
Erkennbare „Ideologisierung“ der Diskussion:
français régional vs français décolonisé (Kom)
FAZITFAZIT
Gesicherte Erkenntnis: emergierende Französischvarietäten werden zur Konkurrenz für ethnische Sprachen (Beispiele nouchi und basilecte, Konzept der „glottophagie“ bei Calvet)
FAZITFAZIT
Eine mögliche Erklärung: Theorie des linguistischen
Kapitals (Bourdieu, Heller)
BIBLIOGRAPHIEBIBLIOGRAPHIE
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