Post on 09-Feb-2021
Urbanität contra Lärm?
Soundscape und
Geräuschmanagement
Brigitte Schulte-Fortkamp
Urbanes Leben und Lärm
Wie viel Lärm verträgt die Stadt - und wie viel braucht sie?
Urbanität und Lärm
• Urbanität ist Lebensstil und sozialräumliche Struktur, es geht
um gebaute und gesellschaftliche Stadt, Habitus und
Umgangsformen.
• Lärm gilt als unerwünschter, störender oder schädigender Schall.
• Lärm ist das Geräusch der Anderen
Tucholsky
Lärm
• Lärm ist keine Pegelgröße, sondern eine Reaktion auf einen Schalleintrag
• Hörschall, der die Ursache für Belästigungen, Beeinträchtigungen oder gar Schäden sein kann
• Störender und / oder gesundheitsschädlicher Schall (DIN 1320)
• Unerwünschter Schall, der Beeinträchtigungen in vielen unterschiedlichen Bereichen bewirken kann, die psychischer, physischer, sozialer und ökonomischer Art sein können
• Es hängt von der Verfassung, den Vorlieben und der Stimmung eines Menschen ab, ob ein Geräusch als Lärm wahrgenommen wird.
• Nicht das Geräusch, sondern die negative Reaktion darauf entscheidet, ob Lärm vorliegt.
• Schall, der irgendjemanden stört, belästigt, beunruhigt, aufregt oder nervös macht.
Gesetzliche Beurteilung von Lärm
Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) und
Bundesimmissionsschutzverordnungen (z.B. 16. BImSchV-
Verkehrslärmschutzverordnung)
Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm)
EU Umgebungsrichtlinie 2002/49/EC
ISO 1996/1-3: Acoustics-Description and measurement of environmental
noise
DIN 45645-1: Ermittlung von Beurteilungspegeln aus Messungen.
Geräuschimmissionen in der Nachbarschaft
RLS-90: Richtlinien für den Lärmschutz an Straßen
DIN 18005-1: Schallschutz im Städtebau
Aber: nur 33% der Belastung werden durch akustische physikalische
Bewertungsverfahren aufgeklärt.
Beiträge zur Reaktion auf Schalleinträge
multisektorielle Umwelt- und
Gesundheitsverträglichkeitsprüfun
gen
die Perspektive einer
nachhaltigen Entwicklung
Bürgerbeteiligungdie Anerkennung des Bedarfs von
Ruhezonen
das Ausweisen von “sensiblen
Gebieten”
das Design von “entwicklungsunt
erstützender Umwelt”
Lärm ist keine Pegelgröße
Kontext
Gesundheit
Ökonomie
Beeinträchtigung
Urbanität
Vernetzung
Diversität
Interkulturalität
Freiheit
Toleranz
Soziale Distanz
3 Beurteilungsebenen
1 Die „technische Beurteilung“ auf der Grundlage der bisher in vorhandenen und
Gesetzen festgelegten Lärmindizes, der Betroffenenanzahl und von Dosis-Wirkungs-
Relationen (zur Aggregation der Bewohner je Pegelklasse zu einem Betroffenen-Index)
als Ausgangsbasis für die Beurteilung der Belästigung bzw. Störung.
2 Die „Lärmrobustheit“ von Stadtstrukturen zur vertiefenden Betrachtung abgrenzbarer
Stadtbereiche hinsichtlich der tatsächlichen Nutzungs- und bautypologischen Struktur
und Robustheit gegenüber dem dort vorhandenen Lärm.
3 Der „Soundcheck“ als ergänzende Beurteilungsebene der raumbezogenen
Interpretation,der Geräuschsituation (akustisches Design) für Stadtbereiche oder örtliche
Situationen nach Kriterien der psychoakustischen Wahrnehmung.
Dreiteiliges Beurteilungsschema; Quelle: ExWost-Studie: Lärmrelevanz und EU-Anforderungen; Hrsg.:H.
Mazur, W. Theine, D. Lauenstein, S. Schuster, C. Weisner (2007), S. 80
Quelle: ExWost-Studie: Lärmrelevanz und EU-Anforderungen;
Hrsg.:H. Mazur, W.Theine, D. Lauenstein, S. Schuster, C. Weisner (2007), S. 46
Lärmquellen
• Die häufigste Quelle von Belästigung in der Bevölkerung – der Verkehrslärm – ist zumeist untrennbar von anderen sensorischen Modalitäten begleitet wie Luftverschmutzung und Erschütterungen..
Bewertungen
.
• Quantitative Metaanalysen aus den mittlerweile etablierten Lärm-Forschungs - Archiven haben z.B. persönliche Variablen, demographische Eigenschaften und Einstellungen als Hauptmoderatoren identifiziert.
• Die Berücksichtigung dieser Faktoren konnte die Varianzaufklärung zwar verbessern (im Durchschnitt auf rund 50%), aber nicht Lösungsansätze für wesentliche Grundprobleme der vor Ort tätigen Verantwortlichen.
Wesentliche Moderatoren
saisonale Variationen, Meteorologie und Topographie
Lebensstil
bebaute Umwelt
Wohnsituation
Grundsätze von Umweltpolitik
Die Formulierung neuer Umweltpolitikgrundsätze
• Agenda 21
• WHO-guidelines on noise management
• London conference on traffic, environment & health
• Umweltlärmrichtlinie der EU
machen eine veränderte Perspektive auch in der Lärmbewertung notwendig.
Tendenzen
• Das Präventions- und Vorsorgeprinzip verlangt dezidiert eine stärkere Gestaltung der Umwelt hin auf Nachhaltigkeit und ist nicht ausschließlich auf Schutz orientiert.
• Instrumente, wie die Umweltverträglichkeitsprüfung und die strategische Prüfung von Plänen und Vorhaben erweitern das Potential zur gesundheitsorientierten Gestaltung
(Stichwort „supportive environments“).
• Diese Prüfungen (wie auch klassische gewerberechtliche Fragestellungen) betreffen meist kleinräumige Einheiten wo der lokale Kontext stärker wirksam ist und spezifischere Lösungen für Raumplanung und Lebensqualität erfordert.
Das Soundscape Konzept als Neue Option
• Die Harmonisierung von Indikatoren und Noise Mapping, wie von der Neuen Umweltlärm-Direktive eingefordert, liefert grundsätzliche administrative Information im Vergleich innerhalb der europäischen Länder.
• Diese Aktivitäten liefern jedoch keinerlei Instrumentarium oder wesentliche Erkenntnisse für die weit schwierigeren Aufgaben, die für Umweltverträglichkeitsprüfung und für Design und Planung von gesundheitsfördernden Umweltprogrammen erforderlich sind.
• An dieser kritischen Wegkreuzung zielt die Soundscape Forschung darauf ab, die bestehenden Lücken zu schliessen.
Soundscape
• Soundscapes sind akustische Umwelten, die sich von einander
abgrenzen nach ihren typischen akustischen Merkmalen.
• Soundscape - so Murray Schafer – ist die Gesamtheit von
Schallereignissen, aus denen sich eine Landschaft, ein Ort, ein
Raum zusammen setzt
• Soundscape ist die akustische Hülle, die den Menschen in seinem
Alltag umgibt.
Soundscape
• An environment of sound with emphasis on the way it is perceived
and understood by the individual, or by a society.
• It thus depends on the relationship between the individual and any
such environment.
• The term may refer to actual environments, or to abstract
constructions such as musical compositions and tape montages,
particularly when considered as an artificial environment.
Handbook for Acoustic Ecology Vancouver, 1978
• Die Frage nach den Kriterien, nach einem “guten” Soundscape oder
nachdem was ein “sensibles” Soundscape ist, oder nachdem was
die Soundscape -Erfordernisse sind für ein “akustisches
Erholungsgebiet” oder eine “Ruhezone”, die es zu erhalten gilt, sind
wesentlich in Bezug auf den Ursprung des Soundscape Gedankens.
Soundscape Konzept
Soundscape Schallausbreitgn.
Gesundheit
Coping /
AnpassungsfähigkeitEinstellungen /Empfindlichkeiten
GrundstücknutzungHabitus/ Lifestile
nicht schallgebundene
Ausbreitungen
UmgebungTopographie / NaturKlima / Jahreszeiten
Quelle
Situation/Wohnung
Kontextweite
nach Botteldooren und Schulte-Fortkamp 1999
Herranz Pascual, K.,Aspuru,I. Garcia, I. 2010 Proposed Conceptual Model of Environmental Experience as Framework to Study the Soundscape’,InterNoise, Lisboa
ISO/TC 43/SC 1/WG 54
ISO 12913-1 "Acoustics – Soundscape – Part 1: Definition and conceptual framework"
2.3
Soundscape - acoustic environment as perceived or experienced
and/or understood by a person or people, in context.
…the process of perceiving or experiencing and/or understanding an
acoustic environment, highlighting seven general concepts and
their relationships: (1) context, (2) sound sources,(3) acoustic
environment, (4) auditory sensation, (5) interpretation of auditory
sensation, (6) responses, and (7) outcomes.
• Weitere klassische Fragen der Akustik, wie nach der Rolle des
Hintergrundlärms, der Hörbarkeit, der Störung unter kritischen
Bedingungen, unter Bedingungen kombinierter Lärmquellen und
dem Zeitmuster werden neu gestellt, um das Verständnis zu
vertiefen.
Geräusch-Beschreibung
Klassifizierung
eines Geräusches
Pegel, lin.,
A-, B-, C-bew.
Dauer
Energie
Spektrale
Verteilung
Anzahl
Position
Räumliche
Verteilung
Bewegung
Subjektive
Einstellung
Signal
Information
Physikalischer AspektPsychoakustischer AspektBinauraler AspektKognitiver Aspekt
Zeitliche
Struktur
Geräusche im Vergleich
Zeitdaten und Terzspektrum von zwei Geräuschen
Ähnliche
Terzpegel und Gesamt-
schalldruckpegel (lin)
Vergleichbar:
Schalldruckpegel
Terzspektrum
Sehr
unterschiedliche
Geräuscheindrücke
40
50
60
80
L/d
B[S
PL
]
f/Hz20 100 2000 20k
Noise
40
50
60
80
L/d
B[S
PL
]
f/Hz20 100 2000 20k
Impuls
40
50
60
80L
/dB
[SP
L]
f/Hz20 100 2000 20k
Diesel
3rd Octave Spectrum
Impulse
Geräusche im Vergleich
Anwendungen der Psychoakustik
Physikalischer Aspekt Psychoakustischer Aspekt Psychologischer Aspekt
Zeitvariante Lautheit DIN 45631/A1
Officially DIN website
Abhängigkeiten der Lautheit
Frequenz Töne mit gleichem Pegel aber unterschiedlicher Frequenz werden
nicht gleich laut wahrgenommen
Spektrale Verteilung Breitbandige Schalle wirken lauten als schmalbandige bei gleichem
Pegel
Pegel Pegeländerungen führen nicht im gleichen Maße 1:1 zu
Lautheitsänderungen
Simultan-Verdeckung Bei gleichem Pegel ändert sich die Lautheit durch unterschiedliche
Verdeckungen im Spektralbereich
Vor- und Nachverdeckung Die zeitliche Struktur wirkt sich auf die Lautheit aus
Zeitliche Dauer Die Lautheit nimmt mit der Dauer der Empfindung zu,
erst nach ca. 1 Sekunde wird die endgültige Lautheit erreicht
Entfernungsabhängigkeit
Bedeutung der Lärmkartierung
Lärmkartierung basierend auf berechnete A-bewertete
Schalldruckpegel ist der erste Schritt in Richtung einer akustisch
besseren Umgebung
Die Lärmkartierung ist notwendig aber nicht hinreichend
Wenn die Lärmkartierung kritische Bereiche ausweist, so besteht
auf jeden Fall ein Handlungsbedarf
Die Umkehrung gilt nicht, wenn die berechneten dB(A) Werte in
einem vermeintlich unkritischen Bereich liegen, können trotzdem
Belästigungen durch Lärm vorliegen
Letztendlich bedeutet die Lärmkartierung eine dB(A)-Kartierung,
Lärm ist deutlich komplexer
Fallbeispiel: Lärmkarte – „Schalldruckpegelkarte“
Lärm ist unerwünschter Hörschall, der zu Störungen, Belästigungen oder Schädenführen kann (DIN 1320)
Die Belästigung durch Schall
stellt die individuell bewertete
Beeinträchtigung durch eine
Schalllast dar (DIN 1320)
D.h. es geht neben dem
Verhüten von pathogenen
Gesundheitsschäden
gleichermaßen um das
Vermeiden von unzumutbaren
Belästigungen
Eigene Daten - Prof. Dr. Schulte-Fortkamp
Schärfe (nach DIN 45692)
DIN 45692 „Mess-
technische Simulation der
Hörempfindung Schärfe“ ,
[acum]
mit zunehmender Schärfe
werden Geräusche
üblicherweise als
aggressiver und häufig als
lästiger beurteilt
Rauigkeit (nach Gehörmodell Sottek)
Aktuell Bestrebungen
hinsichtlich der
Standardisierung des
psychoakustischen
Parameters Rauigkeit,
klassifiziert die Empfindung
von Hüllkurvenschwankungen,
die zeitlich nicht mehr einzeln
auflösbar sind
[asper]
Das Gehörmodell ermöglicht
Analysen im Spektralbereich,
bei denen Zeit- und
Frequenzauflösung denen des
menschlichen Gehörs
entsprechen (Filterbank,
bestehend aus einer großen
Anzahl überlappender
Bandpassfilter)
Maskierungen oder ”neue Aufmerksamkeiten”
Stop
Verkehrsgeräusche
Verkehrgeräusche und
Waldvögel
Verkehrgeräusche und
Stadtvögel
Verkehrgeräusche und
Kiesstrand
Lokale Expertise und “Maskierung”
Spectren „Artemis“ / HEAD acoustics
Wirkungspfade: Lärmexposition-Gesundheit
Nachteilige Gesundheitswirkungen
Lärmbelastung durch Verkehr
Varianzaufklärung Circa 10-25%
Dire
kte
r W
irku
ng
sp
fad
Umwelt und Lebensstil
Wahrnehmung und Wohlfühlen
Bemerken Einschätzen Belästigung Stress
Circa 75-90 %
Ind
ire
kte
r W
irku
ng
spfa
d
Stress
Perspektive
Bewältigungs-
perspektive
Restorations-
Perspektive
Vor-
stellung
Starke
Belastung
behindert
Anpassung
Verfügbare
Ressourcen
unterstützen
Anpassung
Anpassung
benötigt
periodische
Restoration
Um-
setzung
Intervention
eliminiert
verringert
Belastung
Intervention
schafft
verfügbare
Ressourcen
Intervention
schafft
Optionen für
Restoration
Theoretische und praktische Vorstellungenin einem solchen Gesundheitsansatz
Nach Hartig, Bringslimark & Patil (2008); Hartig (2008)
MUI-Sozialmedizin
Prävention
Abwehr von
Gefahren
Erhaltung
Lebens
qualität
Promotion
Wiederher
stellung und
Erholung
Prozentsatz stark Belästigter steigt an
Gesichertes Gefahrenpotential
Gesundheitsgefahr nicht auszuschließen
Hoher Prozentsatz stark Belästigter >25%
>65 dBA
55-64 dBA
35-44 dBA
65 dBA
55-64 dBA
35-44 dBA
Behörden
AkteureArchitekten
Entwickler
Berater
Anwohner
Lokale Actions
KomitteesSoundscape
die neue Governance
Belange
Soziales
Ökonomie
Akustische
und Visuelle
ÄsthetikSicherheit
Transport/
Mobilität
Umgebung
Nachhaltigkeit
Gemeinsame Akteure im akustischen Brennpunkt
Zusammenfassung
Menschen verstehen und bewerten Geräusche unabhängig vom A-
bew. Pegel, d.h. gewollte Urbanität muss nicht zu erhöhter
Lärmbelastung führen.
Lärmbelästigung kann auf keinen Fall nur mit der herkömmlichen
Schallmesstechnik bestimmt werden
Zur Vorhersage der Wirkung von Umweltgeräuschen benötigen wir
mehr Wissen über die Bewertungskontexte
Einzelmaßnahmen sind oft bedeutsamer für die empfundene
Belästigung als absolute Größen wie z.B. das dB(A)
Der Alltagsrhythmus und die Bedeutung von Geräuschen sind es, die die akustische Urbanität ausmachen
Wenn Partizipation bei Planungen für städtische Bereiche die Regel wird sollten sich Akzeptanzen herausbilden.
Danke für Ihre
Aufmerksamkeit!
Brigitte Schulte-Fortkamp
Urbanes Leben und Lärm
Wie viel Lärm verträgt die Stadt - und wie viel braucht sie?