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546 ZUM 7/2015 Holtz, Unterschiedliche Kriterien der öffent lichen Wiedergabe für Urheber- und Lcisrungsschutzrechte?
Unterschiedliche Kriterien der öffentlichen Wiedergabe für Urheberund Leistungsschutzrechte?
Anmerkung zu LG Köln, Vorlagebeschluss vom 20. Februar 2015 - 14 S 30/14 (ZUM 2015, 596)
Von Dr. Marco Holtz':', Berlin
1. Einleitung
Der Vorlagebeschluss des LG Köln l betrifft die insbesondere für Tatbestände der Rundfunkwiedergabe äußerst praxisrelevante Frage, ob die vom EuGH entwickelten Kriterien für e ine öffentliche Wiedergabe in Bezug auf Urheber- und Leistungsschutzrechte einheitlich anzuwenden sind.
Anlass der Vorlage sind die Urteile des EuGH in Sachen »SCF/Marco Dei Corso2«, »PPL/Irland3« und »OSA/Lecebne lazne4«, in denen der EuGH auf Grundlage der Vermiet- und Verleihrichtlinie 2006/115/EGS für Leistungsschutzrechte scheinbar höhere Anforderungen an das Vorliegen einer öffentlichen Wiedergabe gestellt hat als an die öffentliche Wiedergabe urheberrechtlich geschützter Werke nach der Informationsgesellschaftsrichtl inie 2001/29/EG6.
Dies führt zu Schwierigkeiten, wenn, wie in dem vom LG Köln zu entscheidenden Fall einer öffentlichen Wiedergabe von Fernsehprogrammen, durch eine einhei tl iche Nutzungshandlung gleichzeitig Urheber- und Leistungsschutzrechte betroffen sind. Hier stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien das Vorliegen einer öffentlichen Wiedergabe zu beurteilen ist.
Die Urtei le des EuGH stehen zudem im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs? und der überwiegenden Auffassung in der Rechtswissenschaft&, die übereinstimmend für eine richtlinienübergreifend einheitliche Auslegung des Begriffs der öffentlichen Wiedergabe plädieren.
II. Der Vorlagebeschluss des LG Köln
1. Sachverhalt
Gegenstand des Vorlagebeschlusses ist eine Schadensersatzklage der GEMA gegen den Betreiber eines Rehabilitationszentrums, der in zwei Warteräumen und einem Trainingsraum Fernsehgeräte installiert hat, zu denen er ein Sendesignal übermittelt und so Fernsehsendungen für die sich dort aufhaltenden Personen wahrnehmbar macht. Bei diesen Personen handelt es sich nach den Feststellungen des Landgerichts überwiegend um Patienten, die s.ich zur Behandlung in das Rehabilitationszentrum begeben.
Die GEMA macht in dem Verfahren nicht nur Ansprüche der von ihr vertretenen Komponisten und Textdichter geltend, sondern im Rahmen einer Inkassokommission auch Ansprüche weiterer Verwertungsgesellschaften, insbesondere der VG WORT, VG BildKunst und GVL, sodass vorliegend sowohl Vergütungsansprüche von Urhebern als auch Ansprüche von Leistungsschutzberechtigten im Streit stehen.
2. Die Vorlagefragen des Landgerichts Köln
Das LG Köln hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH insgesamt vier Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Das Landgericht fragt erstens, ob sich eine öffentliche Wiedergabe im Sinne von Art. 3 Abs. l der Richtlinie 2001129/EG und/oder im Sinne von Art. 8 Abs. 2 Richtlinie 2006/115/EG stets nach denselben Kriterien beurteilt.
Zweitens möchte die Kammer wissen, ob sich in Fällen wie im Ausgangsverfahren die Frage einer öffentl ichen Wiedergabe nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 200 1/29/EG oder nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie
* Der Verfasser ist Rechtsanwalt in Berlin und Syndikus der VG Media, die als Verwertungsgesellschaft nahezu alle privaten deutschen TV- und Radiosender sowie viele deutsche Presseverlage verrritt. Weder die VG Media noch der Verfasser sind oder waren an dem Verfahren vor dem AG Köln oder dem LG Köln beteiligt. Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Auffassung des Verfassers wieder. LG Köln ZUM 2015, 596; Vorinstanz AG Köln, Urt. v. 9. Jul i 2014 - 125 c 134/14.
2 EuGH ZUM-RD 2012, 241 Rn. 78 f. - SCF/Marco Dei Corso. 3 EuGH ZUM 20 12, 393 Rn. 29 f. - PPUlrland. 4 EuGH ZUM 20 14, 395 Rn. 35 - OSA/Lecebne lazne. 5 Richtlinie 2006/1 15/EG des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 12. Dezember 2006 zum Vermietrecht und Vcrleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums, ABI. Nr. L 376, S. 28.
6 Richtlinie 200 1/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 200 1 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schut7.rcchte in der Informationsgesellschaft, ABI. Nr. L 167, S. 10.
7 BGH ZUM 2013, 662 Rn. 15 - Die Realität; ZUM 20 12. 889 Rn. 14 - Breitbandkabel.
8 v. Lewi11ski, in: Waltcr/v. Lewinski, European Copyright Law. 2010, Rn. 11.3.46; Leistnei; GRUR 20 14, 1145. 1149: v. U11f?er11-Stemhe111, GRUR 20 14, 209, 21 1; ders .. GRUR 20 15. 205, 207; Handig, ZUM 2013, 273 f.
Hvlr~. Unterschied liche Kriterien der öffentlichen Wiedergabe für Urheber- und Leistungsschutzrechte'1 ZUM 7/2015 547
2006/ 1 15/EG beurteilt, wenn mit den wahrnehmbar gemachten Fernsehsendungen die Urheberrechte und Leistungsschutzrechte einer Vielzahl von Beteiligten betroffen sind.
Drittens ste llt das Landgericht die Frage, ob in Fällen wie im Ausgangsverfahren eine öffentliche Wiedergabe gemäß Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001 /29/EG oder gemäß Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2006/115/EG vorliege und, sollte dies zu bejahen sein, ob viertens der EuGH vor diesem Hintergrund seine Rechtsprechung in Sachen »SCF/Marco Dei Corso« aufrechterhalte.
3. Begründung des Vorlagebeschlusses
Die Kammer begründet die Vorlage an den EuGH damit, dass der Erfolg der Berufung von der Auslegung bzw. Anwendbarkeit des Begriffes der öffentlichen Wiedergabe in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG einerseits sowie in Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2006/J 15/ EG andererseits abhänge. Denn sie gelange bei Anwendung der vom EuGH zur öffentlichen Wiedergabe entwickelten Kriterien zu unterschiedlichen Ergebnissen, j e nachdem, welche Richtlinie sie zugrunde lege. Im vorliegenden Rechtsstreit seien jedoch beide Richtlinien einschlägig, da von der Fernsehwiedergabe der Beklagten sowohl Urheberrechte als auch Leistungsschutzrechte betroffen seien.
a) »Personen allgemein/private Gruppe«
Unterschiede ergäben sich zum einen daraus, dass der EuGH in der Entscheidung »SCF/Marco Dei Corso« unter Anwendung der Ri chtlinie 2006/J 15/EG für die Patienten einer Zahnarztpraxis angenommen habe, es handele sich nicht um »Personen allgemein«, da andere Personen grundsätzlich keinen Zugang zur Behandlung durch den Zahnarzt hätten9. Nach diesen Grundsätzen wäre jedoch auch im Ausgangsfall nicht davon auszugehen, dass es sich um »Personen allgemein« handele. Denn auch die Patienten der Beklagten wären dann als »private Gruppe« anzusehen, da andere Personen grundsätzlich keinen Zugang zur Behandlung bei der Beklagten haben.
Dies weicht nach Auffassung des Landgerichts von den zur Richtlinie 200 1 /29/EG entwickelten Kriterien ab. Zum Zahnarzt und dessen Räumlichkeiten habe grundsätzlich jeder Zugang. Er müsse sich nur dorthin begeben und werde entweder nach gewisser Wartezeit - oder als sogenannter Schmerzpatient im Zweifel sofort - behandelt, oder er müsse sich einen Te1min geben lassen und schon erhalte er Zugang zu den Räumlichkeiten. Patienten seien keine »private Gruppe«. Patienten seien einander in der Regel unbekannt und stimmten sich auch nicht in irgendeiner Weise für den Besuch beim Zahnarzt ab. Auch folgten die Patienten in der Regel schnell aufeinander.
h) »Meh rzahl von Personen«
Nach Auffassung des Landgerichts habe der EuGH in der Entscheidung »SCF/Marco Dei Corso« auch das Kriterium einer »Mehrzahl von Personen« enger ausgelegt als in den Entscheidungen zu Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG. Nach Auffassung des EuGH handle es sich bei den Patienten eines Zahnarztes um eine nur unerhebliche oder sogar unbedeutende Mehrzahl von Personen, da der Kreis der gleichzeitig in der Praxis eines Zahnarztes anwesenden Personen im Allgemeinen sehr begrenzt sei 10.
Lege man diesen Maßstab an den vorliegenden Fall an, wäre auch der Kreis der Patienten der Beklagten als begrenzt anzusehen, sodass auch dieser Umstand dem Merkmal der »Öffentlichkeit« entgegenstehen dürfte. Diese Wertung sei aber mehr als fraglich, da Patienten regelmäßig im schnellen Rhythmus wechselten, wodurch insgesamt eine beträchtliche Zahl an Personen die Werke wahrnehmen könne. Ein Unterschied insbesondere zu den Gästen von Hotels und Besuchern von Gastwirtschaften sei nicht erkennbar.
c) »Aufnahmebereitschaft«
Auch die Erwägung des EuGH in dem Urteil »SCF/ Marco Dei Corso«, einer öffentl ichen Wiedergabe stehe entgegen, dass die normalen Patienten eines Zahnarztes für die Wiedergabe von Musik in den Räumlichkeiten des Zahnarztes nicht aufnahmebereit seien, da sie diese zufällig und unabhängig von ihren Wünschen genössen 11, führt nach Auffassung des Landgerichts im vorliegenden Fall dazu, dass keine öffentliche Wiedergabe vorliege. Denn auch die Patienten des Rehabilitationszentrums nähmen die Fernsehsendungen in den Warteund Trainingsräumen unabhängig von ihren Wünschen und ihrer Auswahl wahr, die Auswahl treffe vielmehr das beklagte Rehabilitationszentrum.
Auch diese Einordnung entspricht jedoch nach Einschätzung des Landgerichts nicht der Rechtsprechung des EuGH zur Richtlinie 2001 /29/EG. Bei der Yerschaffung des Zugangs zu Rundfunk- und Fernsehübertragungen könne es nicht auf die Wünsche der Patienten ankommen, welche Werke ihnen wiedergegeben werden. Dies entspreche insbesondere auch nicht der Rechtsprechung des EuGH zu Hotels, Gaststätten und Kureinrichtungen sowie der von derselben Kammer des Gerichtshofs am
. selben Tag getroffenen Entscheidung »PPL/lrland« zu A,.rt. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2006/115/EG. Es sei Rundfunk- 'Und Fernsehübertragungen immanent, dass das jeweilige„Sendeuntcrnehmcn die Zeit und die Reihenfol-
9 EuGH Z UM-RD 20 12. 24 1 Rn. 95 - SCF/Marco Dei Corso. 10 EuGH Z UM-RD 20 12, 24 1 Rn. 96 - SCF/Marco Dei Corso. 1 1 EuGH Z UM-RD 20 12. 24 1 Rn. 97 f. - SCF/Marco Dei Corso.
548 ZUM 7/2015 Holtz. Unterschiedl iche Kritt:ricn der öffentlichen Wiedergabe flir Urheber- und Leistungsschutzrechte?
ge der ausgestrahlten Werke bestimme und nicht derjenige, der die ausgestrahlten Werke wahrnehme. Vielmehr sei auch hier maßgeblich, dass der Zahnarzt die Musikwerke nicht zweckfrei oder gar sinnlos ausstrahle. Er bezwecke vielmehr damit die Verbesserung der Atmosphäre in seiner Praxis, insbesondere im Behandlungszimmer. Und gerade auch für den Zahnarztbesuch, der von einem nicht unerheblichen Teil der Patienten als wenig angenehm empfunden werden, gelte, dass jede Verbesserung der Behandlungsatmosphäre geeignet sein kann, die Zufriedenheit mit der Behandlung zu steigern. Damit sei die Ausstrahlung der Werke geeignet, die Patienten zu binden und ggf. weitere Patienten anzuziehen und so die Rentabilität der Zahnarztpraxis zu steigern. Letztlich diene die Ausstrahlung somit gewerblichen Zwecken.
4. Urteil des Amtsgerichts Köln als Vorinstanz
Das Amtsgericht Köln hatte der Klage in erster Instanz stattgegeben12. Die Beklagte sei schadensersatzpflichtig, da sie eine öffentliche Wiedergabe der Fernsehsendungen vornehme. Die Wiedergabe sei gemäߧ 15 Abs. 3 UrhG öffentlich, da es sich bei den Besuchern und Benutzern der Einrichtung um eine Vielzahl von Personen handele, die mit der Beklagten bzw. ihrer Geschäftsführung oder den anderen Besuchern und Benutzern regelmäßig nicht durch persönliche Beziehungen verbunden seien. Daran ändere auch die Entscheidung des EuGH in Sachen »SCF/Marco Dei Corso« nichts. Das Urteil sei missverständlich formuliert, da es den Eindruck erwecke, den Öffentlichkeitsbegriff bei der Nutzung von Urheberrechten allgemein einschränken zu wollen. Dies sei aber ersichtlich nicht der Fall , da der EuGH in der Entscheidung »OSA/Lecebne lazne« ausdrücklich klargestellt habe, dass der Begriff der öffentlichen Wiedergabe außerhalb des Anwendungsbereichs von Att. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG, insbesondere im Bereich der Anwendung von Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2006/ 1 J 5/EG, nicht gelte.
Das Amtsgericht geht also offensichtlich davon aus, dass für die Auslegung des Begriffs der öffentlichen Wiedergabe in den Richtlinien 200 1 /29/EG und 2006/ 115/EG, also für Urheberrechte einerseits und für Leistungsschutzrechte andererseits, unterschiedl iche Voraussetzungen gelten. Die sich daraus ergebende Anschlussfrage, die für das LG Köln Anlass für die Vorlage zum EuGH war, nämlich welche Kriterien gelten, wenn - wie regelmäßig - eine einheitliche Nutzungshandlung sowohl Urheberrechte als auch Leistungsschutzrechte betrifft, thematisiert das Amtsgericht nicht.
III. Bewertung
Der Vorlagebeschluss illustriert anschaulich die Schwierigkeiten t3, die sich für die Rechtspraxis aus der
Anwendung der vom EuGH e ntwickelten Kriterien zum Begriff der öffentlichen Wiedergabe ergeben.
J. Zielrichtung des Vorlagebesc:hlusses
Ziel des Vorlagebeschlusses ist in erster Linie, den EuGH zu e iner Klarstellung seiner Rechtsprechung dahingehend zu bewegen, den Begriff der öffentlichen Wiedergabe richtlinienübergreifend einheitlich auszulegen. Dies ergibt sich deutlich aus der Frage 1 des Vorlagebeschlusses, die dieses Ergebnis nahelegt, und aus Frage 4, die den nach Auffassung des Landgerichts sinnvollen Weg dorthin aufzeigt, nämlich eine Aufgabe der Rechtsprechung gemäß dem Urteil »SCF/Marco Dei Corso« durch den EuGH.
In zweiter Linie ziel t der Vorlagebeschluss in den Fragen 2 und 3 darauf ab, der Kammer eine Entscheidungsgrundlage für die Bewertung von Verwertungshandlungen zu verschaffen, die sowohl Urheber- als auch Leistungsschutzrechte betreffen, sollte der EuGH von seiner Rechtsprechung in den Urteilen »SCF/Marco Dei Corso« und »OSA/Lecebne lazne« nicht abrücken. Ein (möglicherweise vom Landgericht auch intendierter) Nebeneffekt der Fragen 2 und 3 könnte sein, dem EuGH die praktischen Konsequenzen seiner Rechtsprechung im Sinne eines »argumentum ad absurdum« zu veranschaulichen.
2. Interpretation der EuGH-Rechtsprechung durch das Landgericht
Das Landgericht versteht d ie Entscheidungen »SCF/ Marco Dei Corso« und »OSA/Lecebne lazne« dahingehend, dass fü r die in der Richtlinie 2006/115/EG geschützten Leistungsschutzrechte lewlich engere Voraussetzungen gelten als für den Urheberrechtsschutz gemäß der Richtlinie 2001/29/EG.
Dieses Verständnis ist durchaus nachzuvollziehen. Denn der EuGH betont in der Entscheidung »OSN Lecebne lazne« ausdrücklich die Unterschiede zwischen Leistungs- und Urheberrechtsschutz und führt aus, dass die aus dem Urteil »SCF/Marco Dei Corso« hergeleiteten Grundsätze in der Rechtssache »ÜSA/Lecebne lazne« nicht einschlägig seien, da dieses Urteil nicht das Urheberrecht betreffe, sondern das Recht mi t Entschädigungscharakter der ausübenden Künstler und der Tonträgerhersteller nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2006/115/ EGI4.
12 AG Köln, Urt. v. 9. Jul i 2014 - 125 C 13.i/1 4. 13 Bei l.:onsequcnter Anwendung ihres Verständnisses der F.uGH
Rechtsprechung hätte die Kammer der Klage letztl ich wohl hinsichtlich der Yt:rgütungsanspriiche der Urheber stattgeben und
. hi11sichtlich der Ansprüche der Leistung~schutzberechtigten abweisen müssen.
14 EuGH ZUM 2014, 395 Rn . 35- OSA/Uccbne l;izne.
l/o/r:;, Unterschiedliche Kriterien der öffentlichen Wiedergabe für Urhcher- und Leistungsschut:trechtc? ZUM 712015 549
Dieses Verständni s entspricht auch der überwiegenden Auffassung in der deutschen Rechtswissenschaft, die die Entscheidung »OSA/Lecebne lazne« als weiter vertiefte Ungleichbehand lung von Ausschl ießlichkeitsrecht (zumeist der Urheber) und Verg ütungsansprüchen der Leis tungsschutzberechtigten 15 bzw. zumindest als Fe!-.t legung dahingehend versteht, dass dem Kriterium des Erwerbszwecks bei der Bestimmung des Inhalts der Rechte der ausübenden Künstler und der Tonträgerhersteller im Unionsrecht e ine größere Bedeutung zukommen könnte als beim Urheberrecht, weil diese Rechte im Wesentlichen wirtschaftlich seient6.
Der Bundesgerichtshof hat sich - soweit ersichtlich -bislang noch nicht zum Verständnis des Urte ils »OSA/ Lecebne lazne« geäußert. Beide Urteile17, in denen sich der Bundesgerichtshof für eine richtlinienübergreifend einheitliche Auslegung des Begriffs der öffentlichen Wiedergabe ausgesprochen hatte, datieren zeitlich vor der Verkündung des EuGH-Urteil s »OSA/Lecebne lazne«. Hier bleibt abzuwarten, ob und in welcher Form der Bundesgerichtshof die Entscheidung »OSA/Lecebne lazne« argumentativ aufgreift.
3. Berechtigung einer Ungleichbehandlung zwischen Urheber- und Leistungsschutzrechten
Die Begründung des EuG H für die unterschiedliche Be handlung von Urheber- und Leistungsschutzrechten im Bereich der öffentlichen Wiedergabe ist wenig überzeugend. Der E uGH verweist hie rzu schlicht in einem Halbsatz auf den Investitionsschutzcharakter der Leistungsschutzrechte der ausübenden Künstler und der Tonträgerherstelleri s. Dieser Unterschied kann für sich genommen jedoch keine unterschiedliche Auslegung rechtfertigen 19. Zum einen sind diese Unterschiede in der Regel bere its in der Ausgestaltung der übrigen Tatbestandsmerkmale und Schranken der Urheber- und Leistungsschutzrechte wie Schutzdauer, E intrittsentgelterforderni s in Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2006/11 5/EG usw. ausreichend berücksichtigt. Zum anderen spricht insbesondere der Grundsatz richtlinienübergreifend e inheitlicher Auslegung übereinstimmender Begriffe im Unionsurheberrecht für gle iche Maßstäbe20. Diesen Aspekt der Einheit und Kohärenz der Unionsrechtsordnung hat auch der EuGH gerade für den Begriff der öffentlichen Wiedergabe ausdrücklich betont21. Hinzu kommt, dass die Auswertung heutiger, komplexer Medienprodukte in der Regel einen gebündelten Rechteerwerb von Urhebern und Leistungsschutzberechtigten erfordert, wie de r vorliegende Sachverhalt zeigt, und auch aus diesem Grund eine parallele Ausgestaltung der Rechte dringend notwendig ist22.
4. Materielle Kritik des Landgerichts an der Entscheidung »SCF!Marco Dei Corso«
Unabhängig von der Frage, ob im Bereich der öffentlichen Wiedergabe überhaupt unterschiedliche Kriterien für Urheber- und Leistungsschutzrechte anzuwenden sind, ist jedenfalls der materiellen Kritik des Landgerichts an der Entscheidung »SCF/Marco Dei Corso« zuzustimmen.
Zum Teil werden die Sinnhaftigkeit und Praktikabilität der vom EuGH zur öffentlichen Wiedergabe entwickelten Kriterien insgesamt mit deutlichen Worten (und guten Argumenten) kritisiert23. Jedenfalls sind aber die konkreten Wertungen des EuGH im Urteil »SCF/ Marco Dei Corso« kaum überzeugend. Insbesondere die Ausfü hrungen des EuGH zu den Kriterien »Personen allgemein/private Gruppe«, »Mehrzahl von Personen« und »Erwerbszweck/ Aufnahmebereitschaft« werfen mehr Fragen auf als sie beantworten. Hier befindet sich der EuGH in unauflösbaren Wertungswidersprüchen zu seinen diversen Entscheidungen zu Hotels, Gaststätten und Kureinrichtungen. Zur Detai lkritik des Urteils »SCF/Marco Del Corso« kann in vollem Umfang auf die sehr sorgfältig begründete Entscheidung des Landgerichts verwiesen werden24.
IV. Fazit
Dass ein Landgericht, wenn auch in der Berufu ngsinstanz, einen Vorlagebeschluss zum EuGH fasst, ist ungewöhnlich und verdeutlicht den Klarstellungsbedarf der Rechtspraxis zu Verwertungshandlungen, die sowohl Urheber- als auch Leistungsschutzrechte betreffen. Das Landgericht verweist hierzu ausdrücklich auf die Vielzahl gleichgelagerter Fälle, die e iner Entscheidung harren.
Ei ne Ungleichbehandlung von Urheber- und Leistungsschutzrechten im Bereich der öffentlichen Wieder-
15 Leist11e1; GRUR 2014, 1145, 1153. 16 v. Ungern-Sternberg, GRUR 2015. 205, 208. 17 BGH ZUM 20 13, 662 Rn. 15 - Die Realität; ZUM 2012. 889
Rn. 14 - Breitbandkabel. 18 EuGH ZUM 2014, 395 Rn. 35 - OSA/Lecebne lazne. Unabhän
gig von der rechtlichen Tragfähigkeit des Arguments, erscheint di es auch sachlich zwei fe lhaft, da zumindest das Leistungsschutzrecht der ausübenden Künstler auch eine persönlichkeitsrechtlichc Komponente enthält (vgl. für das deutsche Urheberrecht §§ 74, 75 UrhG).
19 I'. Ungern-Sternberg. GRUR 2014, 209 , 211 ; U' is111e1; GRUR 20 14. 11 45, 1149. 11 53.
10 /,ei~i11e1; GRUR 20 14, 1145, 1153. 2 1 EuGH ZUM2011 ,803Rn.188- Murphy. 22 v. Ungern-Sternberg. GRUR 20 14, 209, 2 11. 23 Vgl. Haberstru1111~f. GRUR lnt. 2013, 627. 633: »[Die vom
EuGH entwickelten] Kriterien sind jedoch weder einzeln noch in ihrer .Kumulation notwendig und hinreichend für die /\nnahme von Öffentlichkeit«.
24 Vgl. hierzu auch vorstehend II. 3.
550 ZUM 712015
gabe ist, wie der vorl iegende Sachverhalt illustriert, letztlich nicht sachgerecht und abzulehnen. Es bleibt zu hoffen, dass der EuGH den Vorlagebeschluss des Landgerichts aufgreift und seine Rechtsprechung in Sachen »SCF/Marco Del Corso« und »OSA/Lecebne lazne« korrigiert.
Abschließend sei bemerkt, dass das Landgericht wohl die Möglichkeit gehabt hätte, der Klage vollumfänglich stattzugeben, ohne die Angelegenheit dem EuGH vorzulegen. Denn wegen der nach aJlgemeiner Auffassung nur Mindeststandards setzenden Richtlinie
Der grüne Weg als Sackgasse?
Gol/a/Lück. Der grüne Weg als Sackgasse?
2006/ 1 15/EG kann nach überwiegender Auffassung für das deutsche Recht sowohl für Urheber als auch für Leistungsschutzberechtigte einhe itlich an die Kriterien der Rechtsprechung zu Art. 3 Abs. 1 der Richtli nie 200 l/ 29/EG angeknüpft werden, ohne gegen Richtlinienvorgaben zu verstoßen25. 0
25 Leistner, GRUR 201 4, 1145, 11 53; v. Ungem -Stemberg, GRUR 20 15, 205, 208.
Zur Rechtsnatur des sogenannten Zweitveröffentlichungsrechts nach § 38 Abs. 4 UrhG
Von Sebastian J. Golla* und Benjamin Lück**, Berlin
1. Einleitung
Der Urheber eines wissenschaftlichen Beitrags hat nach § 38 Abs. 4 UrhG unter bestimmten Voraussetzungen »auch dann, wenn er dem Verleger oder Herausgeber ein ausschließliches Nutzungsrecht eingeräumt hat, das Recht, den Beitrag [ ... ] öffentlich zugänglich zu machen.« Die Rechtsnatur dieses sogenannten Zweitveröffentlichungsrechts ist j edoch soweit ersichtlich noch nicht geklärt1• Die Einordnung des Zweitveröffentlichungsrechts nach seiner Rechtsnatur ist praktisch von Bedeutung - so etwa für die Bestimmung der internationalen Reichweite des Zweitveröffentlichungsrechts2 und die Möglichkeit zu seiner Sublizenzierung. Grundsätzliche Bedeutung kommt der Einordnung des Zweitveröffentlichungsrechts auch bei der Frage nach der europarechtlichen Zulässigkeit zu.
In einem Aufsatz für diese Zeitschrift gründeten Bruch/Pflüger ihre Kritik an § 38 Abs. 4 UrhG unter anderem auf die Annahme, dass das Zweitveröffentlichungsrecht ein gesetzlich zugeordnetes e infaches Nutzungsrecht darste1Je3. Andere vertre ten, dass das Zweitveröffentlichungsrecht eine Schranke des Urheberrechts sei4. Dieser Beitrag wird diese Ansichten untersuchen. Er wird zeigen, dass das Zweitveröffentlichungsrecht weder ein einfaches Nutzungsrecht noch eine Schranke des Urheberrechts darstellt. Auch eine relative Beschränkung des Verbotsrechts des Verlegers oder Herausgebers begründet das Zweitveröffentlichungsrecht ni cht. Vielmehr stellt das Zweitveröffentlichungsrecht ein Recht des Urhebers zur öffentlichen Zugänglichmachung dar, an dem er keine ausschließlichen Nutzungsrechte einzuräumen vermag. Die Ein-
räumung mehrerer einfacher Nutzungsrechte an diesem Zweitveröffentlichungsrecht, etwa an Repositorien, ist dem Urheber aber sehr wohl möglich.
II. Das Zweitveröffentlichungsrecht als gesetzlich zugeordnetes einfaches Nutzungsrecht
Wie bereits dargestellt, gewährt § 38 Abs. 4 Satz 1 UrhG Urhebern nach einer Auffassung unter bestimmten Voraussetzungen »das einfache Nutzungsrecht«S, ihr Werk nach Ablauf von zwölf Monaten seit der Erstveröffentlichung in der Ma nuskriptversion öffentlich zugänglich zu machen, soweit dies keinem gewerblichen Zweck dient.
Das Zweitveröffentlichungsrecht würde demnach ein einfaches Nutzungsrecht im Sinne des § 31 Abs. 2
* Der Verfasser ist Rechtsreferendar am Kammergericht. ** Der Verfasser ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Alexander
von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft, Berlin . Der Großteil der bisherigen Publikationen enthält keine Ausführungen zur Rechtsnatur, vgl. etwa Klass, GRUR Int. 201 3. 881, 893; Krings/Henrsch , ZUM 20 13, 909, 91 1; Sa11dberge1: ZUM 20 13, 466, 470 ff. Peife1; NJW 2014, 6, l I spricht von einem »zwingenden Eigennutzungsrecht«, Wandtke/Grunert, in: Wandtke/Bullinger, UrhR, 4. Aufl . 2014, § 38 UrhG Rn. 2 1 von
· einem »Recht, den eigenen wissenschaftlichen Beitrag (erstmals " oder erneut) öffentlich zugäng lich zu machen«.
2 Vgl. Fehling, OdW 20 14, 179, 183 f.. der in seiner »unklaren internationalen Reichweite« das »Hauptproblem« des § 38 Abs. 4 UrhG sieht.
3 Br11ch/P.fiüge1: ZUM 20 14, 389, 394. 4 Sprang, ZUM 201 3, 46 1, 465; vgl. auch Miijlig . JZ 20 15. 22 1.
229. 5 Brnch/Pflüger, ZUM 20 14, 389.