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Abschlussbericht
Tiefengeothermie Reservoir-Charakterisierung und Monitoring TG-CHARMING
von
Thomas Kohl, Jens C. Grimmer, Emmanuel GaucherKarlsruher Institut für Technologie
Institut für Angewandte Geowissenschaften, Abteilung Geothermie
Detlev Doherr Hochschule Offenburg
Fakultät für Maschinenbau und Verfahrenstechnik
Manfred Josswig Universität Stuttgart
Institut für Geophysik
Kurt Bucher Universität Freiburg
Institut für Geowissenschaften, Mineralogie-Geochemie
Roman Zorn European Institute for Energy Research (EIFER) Karlsruhe
Eva Schill Karlsruher Institut für Technologie Institut für Nukleare Entsorgung
Förderkennzeichen: L7516020-16024
Laufzeit: 12.12.2017 – 30.04.2019
Die Arbeiten dieses Projekts wurden mit Mitteln des Landes Baden-Württemberg durchgeführt.
September 2019
2 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
Inhalt
I. KURZFASSUNGEN UND DANKSAGUNG ..................................................................................................... 3
KURZFASSUNGEN ...................................................................................................................................................... 3 DANKSAGUNG .......................................................................................................................................................... 4
II. BEGLEITUNG DER ARBEITSPAKETE ........................................................................................................... 5
AP1: ÖFFENTLICHKEITSARBEIT UND WISSENSTRANSFER IN DER GEOTHERMIE-FORSCHUNG..................................................... 5 1.1 Einleitung AP1 ............................................................................................................................................ 5 1.2 Arbeitsschritte ............................................................................................................................................ 5 1.3 Ergebnisse .................................................................................................................................................. 6
AP2: HOCHAUFLÖSENDES SEISMISCHES MONITORING ..................................................................................................... 8 2.1 Einleitung AP2: Vorwort und Rückblick zum Vorgängerprojekt ................................................................ 8 2.2 Datengrundlagen ....................................................................................................................................... 9 2.3 Missweisungen der Array-beams ............................................................................................................. 10 2.4 Ähnlichkeitsanalyse zur Ergänzung des Erdbebenkatalogs ..................................................................... 15 2.5 Zusammenfassung und Vergleich mit Daten des FERRY-Projekts ........................................................... 18 2.6 Literatur ................................................................................................................................................... 19
AP3: STRUKTURGEOLOGISCHE ANALYSE MIT DIGITALEN GELÄNDEMODELLEN .................................................................... 20 3.1 Einleitung AP3 .......................................................................................................................................... 20 3.2 Methodik .................................................................................................................................................. 20 3.3 Ergebnisse ................................................................................................................................................ 21 3.4 Diskussion der Ergebnisse ........................................................................................................................ 27 3.5 Publikationsaktivitäten im Rahmen des Projektes................................................................................... 27 3.6 Danksagung ............................................................................................................................................. 27 3.7 Referenzen ............................................................................................................................................... 28
AP4: UNTERSUCHUNG DES EINFLUSSES VON FEHLERN IN GESCHWINDIGKEITSMODELLEN AUF DIE RELATIVE LOKALISIERUNG VON
ERDBEBEN ZUR STEIGERUNG DER VERLÄSSLICHKEIT VON ERDBEBENLOKALISIERUNGEN ......................................................... 29 4.1 Einleitung AP4 .......................................................................................................................................... 29 4.2 Methodik .................................................................................................................................................. 31 4.3 Rittershoffen-Fallstudie............................................................................................................................ 31 4.4 Fazit .......................................................................................................................................................... 36 4.5 Präsentation der Ergebnisse aus AP4 ...................................................................................................... 37 4.6 Referenzen ............................................................................................................................................... 37
AP5: GEOCHEMISCHE CHARAKTERISIERUNG TIEFER RESERVOIRFLUIDE .............................................................................. 39 Zusammenfassung AP5 .................................................................................................................................. 39 5.1 Einleitung AP5 .......................................................................................................................................... 40 5.2 Methoden und Experimente .................................................................................................................... 40 5.3 Resultate .................................................................................................................................................. 42 5.4 Diskussion................................................................................................................................................. 46 5.5 Schlussfolgerungen .................................................................................................................................. 48 5.6 Zitierte Literatur und bisherige Veröffentlichungen des Projekts ............................................................ 48
AP6: BOHRLOCHSIMULATIONSMODELLIERUNG ............................................................................................................. 49 6.1 Einleitung AP6 .......................................................................................................................................... 49 6.2 OpenFOAM wrapping .............................................................................................................................. 49 6.3 PhreeqC wrapping .................................................................................................................................... 52 6.4 Validierung ............................................................................................................................................... 52 6.5 Baryt-Ausfällung / -Lösung ...................................................................................................................... 55 6.6 Zusammenfassung ................................................................................................................................... 56 6.7 Referenzen ............................................................................................................................................... 57
AP7: GEOLOGISCHE UNTERGRUNDMODELLIERUNG AM KIT CAMPUS NORD ...................................................................... 58 7.1 Einleitung AP7 .......................................................................................................................................... 58 7.2 Ergebnisse ................................................................................................................................................ 58 7.3 Literaturverzeichnis .................................................................................................................................. 63
3 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
I. KURZFASSUNGEN UND DANKSAGUNG
KURZFASSUNGEN
In der Tiefengeothermie spielen – unter den jeweiligen geologischen Rahmenbedingungen (AP3, AP7)
– thermische, hydraulische, chemische und mechanische (THCM-) Prozesse (AP5, AP6) eine
grundlegende Rolle hinsichtlich Wirtschaftlichkeit, Sicherheit und Nachhaltigkeit einer
geothermischen Nutzung. Die Etablierung einer neuen Technologie wird sich darüber hinaus ohne
Akzeptanz in der Bevölkerung mittel- und langfristig nicht behaupten können. Deshalb bilden
Transparenz (z.B. Überwachung der induzierten Seismizität; AP2, AP4) und ein Transfer von
Ergebnissen der Geothermie-Forschung in die Öffentlichkeit (AP1) wesentliche Grundlagen zur
Schaffung einer hinreichenden Akzeptanz der Tiefengeothermie. Im AP1 wurde unter anderem aus
diesem Grund die Homepage des Landesforschungszentrums für Geothermie (LFZG) überarbeitet und
modern gestaltet, was eine schnelle und umfassende Informationsbeschaffung über Tiefengeothermie
im Allgemeinen, aktuelle Ereignisse, aktuelle Forschungsprojekte und Ansprechpartner ermöglicht.
Inhalte können nun über die allgemein bekannten Sozialen Medien geteilt bzw. verbreitet werden. Um
induzierte Seismizität im Umfeld von Geothermie-Anlagen genauer detektieren und charakterisieren
zu können, wurde sich mit Methoden zur Detektion mikroseismischer Ereignisse beschäftigt (AP2,
AP4): Im AP2 wurde mit einem kleinräumigen seismischen Array im Geowissenschaftlichen
Gemeinschaftsobservatorium Schiltach (Black Forest Observatory; BFO) im zentralen Schwarzwald die
Möglichkeit einer Fern-Detektion mikroseismischer Ereignisse (ML ≥0,5) im Oberrheingraben zwar
erfolgreich getestet, allerdings erwies sich hierbei die Lokalisierung der Hypozentren als sehr ungenau.
Die Meßdaten konnten genutzt werden, um den lokalen Erdbebenkatalog zu vervollständigen. Für die
Detektion induzierter Seismizität ist die genaue Bestimmung von Lokation und Zeitpunkt sehr wichtig.
AP4 zeigt anhand eines innovativen probabilistischen Ansatzes von Modellierungen synthetischer
Daten, dass eine deutliche Verbesserung der Lokalisierung von Hypozentren mit der Methode der
relativen Lokalisierung unter Anwendung möglich ist. Deshalb sollte die relative Lokalisierung mit
probabilistischen Ansätzen von Hypozentren durch ein seismisches Netzwerk im unmittelbaren
Umfeld einer Geothermie-Anlage die Methode der Wahl für ein seismisches Monitoring sein.
Günstig orientierte Störungszonen stellen in der Tiefengeothermie ein wichtiges Ziel für Exploration
und Produktion dar. Lineamentanalysen können insbesondere in Kristallingesteinen gute Hinweise auf
die Verteilung spröder Störungen geben. Die GIS-basierten LiDAR-DGM-Lineamentanalysen des
mittleren und nördlichen Schwarzwaldes aus AP3 zeigen, dass das spröde Störungsinventar in den
kristallinen Gesteinen des mittleren und nördlichen Schwarzwaldes vor allem von NE-streichenden und
N-S-streichenden Strukturen kontrolliert wird. Für eine bessere zeitliche und kinematische Einordnung
der als Störungen interpretierten Lineamente wurden kombinierte Lineament- und
Störungsflächenanalysen in neogenen Gesteinen des Oberrheingrabens durchgeführt, die eine
wesentlich komplexere neogene Deformationsgeschichte dokumentieren als bisher bekannt und neue
Interpretationsmöglichkeiten für Beobachtungen in geothermischen Reservoiren ermöglicht.
AP5 und AP6 untersuchen direkt THCM-Prozesse im Reservoir. Während AP5 experimentelle Fluid-
Gesteins-Wechselwirkungen untersucht, arbeitet AP6 ausschließlich mit numerischen
Modellierungen. AP5 konnte wichtige Zusammenhänge und kinetische Daten bei der Freisetzung
bestimmter Elemente aus dem Gestein in die Fluidphase aufzeigen. Im AP6 ist es nun möglich, THCM-
Prozesse bis T ≤375 °C und P ≤1 kbar für hochsalinare Fluide, die auch Gasphasen enthalten können,
numerisch zu modellieren. Im AP7 wurden die ersten wesentlichen Untersuchungen für die Erkundung
und Entwicklung des geplanten, neuartigen Untergrundwärmespeichers am KIT Campus-Nord
durchgeführt. Die Arbeiten umfassen die Erstellung eines geologischen Untergrundmodells, eine
gravimetrische Meßkampagne sowie erste sedimentpetrographische Untersuchungen der Lithologie
eines potenziellen Speicherhorizontes.
4 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
Die wichtigsten Highlights der einzelnen Arbeitspakete sind in Kurzform:
• AP1: Fertigstellung der neuen LFZG-Internetseite mit Social Media Interaktionsmöglichkeit.
• AP2: Erstellung eines Python-Programms zur Verfeinerung und Vervollständigung des lokalen
Erdbebenkatalogs durch Ähnlichkeitsanalysen.
• AP3: Lineamentanalysen zeigen: Permische Strukturen dominieren sprödes Störungsinventar
in den Kristallingesteinen des mittleren und nördlichen Schwarzwaldes. Mehrphasige neogene
Deformation dokumentiert.
• AP4: Dokumentation der Vorteile probabilistischer Ansätze und relativer Lokalisierung von
Hypozentren induzierter Seismizität in geothermischen Reservoiren.
• AP5: Besseres Prozessverständnis der Fluid-Gesteins-Reaktionen in (simulierten) granitischen
Reservoiren.
• AP6: THCM-Modell mit T ≤375 °C, P ≤1 kbar) des Bohrlochsimulators abgeschlossen.
• AP7: Geologisches Untergrundmodell des Campus-Nord erstellt. Gravimetrie-Meßkampagne
abgeschlossen. Porositäts-Permeabilitäts-Beziehung in potenziellen Reservoirgesteinen wird
durch Calcit-Zement kontrolliert.
The highlights of the working packages are as follows:
• AP1: Relaunch of revised LFZG-website with the possibility for interaction with social media.
• AP2: Compilation of Python programs for refining and completing local earthquake catalogs
by similarity analysis.
• AP3: lineament analysis show: Permian structures prevail brittle fault inventory of central and
northern Black Forest. Neogene deformation history revealed.
• AP4: Documentation of the advantages of probabilistic approaches and the relative location
of induced seismicity in geothermal reservoirs.
• AP5: Improved understanding fluid-rock interactions in granitic reservoirs.
• AP6: THMC-model for complex reservoir conditions completed.
• AP7: Geological subsurface model generated. Gravimetric measurements completed.
Relationship between porosity and permeability is controlled by calcite cement.
DANKSAGUNG
Für die Initiierung dieses Verbundprojektes danken wir dem Landesforschungszentrum für Geothermie
(LFZG), für die konstruktive Projektbegleitung dem Projektträger Karlsruhe und für die finanzielle
Förderung dem Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft.
5 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
II. BEGLEITUNG DER ARBEITSPAKETE
AP1: Öffentlichkeitsarbeit und Wissenstransfer in der Geothermie-Forschung
• Projektleitung und Bearbeitung: Prof. Dr. D. Doherr, MA C. Schallwig. Hochschule Offenburg
1.1 Einleitung AP1 Die Hochschule Offenburg bearbeitet das AP1 mit dem Ziel, die Öffentlichkeitsarbeit in der Geothermie-Forschung zu optimieren und der breiten Bevölkerung einen transparenten Zugang zu aktuellen Aktivitäten, Forschungsergebnissen, Informationen und Veranstaltungen zur Verfügung zu stellen. Dabei sollen in einem praxisorientierten Rahmen sowohl wissenschaftliche Plattformen als auch soziale Netzwerke mit der LFZG-Webseite verknüpft und dadurch ein Wissenstransfer auch mit Forschungsinteressierten, Fachleuten und Forschenden initiiert werden.
1.2 Arbeitsschritte Es wurden folgende Schritte durchgeführt:
• Gezielte Auswertung bestehender Literatur, Studien und Empfehlungen zu den Themen: Social Media in der Wissenschaftskommunikation; Kommunikations- und PR-Konzepte zu Energieprojekten im Allgemeinen und zu tiefer Geothermie im Speziellen; Chancen und Risiken von Social Media
• Analyse und Nutzerverhalten der Zielgruppen: Akteure der breiten Öffentlichkeit; Forschungsinteressierte / Forschende; Intermediäre & Multiplikatoren (Politik, Medien, Branche).
• Analyse und Relevanz von Social-Media-Typen und Wissensplattformen: Soziale Medien (Facebook, Twitter); Video- u. Bildplattformen (YouTube, vimeo, Instagram); Berufliche Portale (XING, LinkedIn); Akademische Netzwerke (Research Gate, slideshare, mendeley, academia.eu); Fachplattformen (Geotis, GeORG, ISONG); sonstige (RSS-Feeds, Wikis, Blogs, FAQs, Newsletter, Messenger-Dienste wie WhatsApp).
• SWOT-Analyse: Stärken/Schwächen/Chancen/Risiken der Nutzung der neuen Medien für den Internetaufrtitt der LFZG-Webseite (Abb. 1.1.).
• In Absprache mit dem LFZG Umsetzung relevanter Punkte für die Neugestaltung der Webseite (Abb. 1.2):
• Umstellung des CMS-Systems von Contao auf Typo3
• Hosting auf dem Webserver der HS Offenburg (Gewährleistung Sicherheits-Updates)
• Implementierung leicht zu bedienender Plugins (Termine, News, Kalender)
• Optimierung der verschiedenen Browsereinstellungen für Desktop und mobile Geräte
• Farbgestaltung in Bezug auf Baden-Württemberg
• Aktualisierung und Ergänzung der Inhalte und Ansprechpartner
• Integration der Social-Media-Plugin-Lösung „shariff“, einem datenschutzfreundlichen Open-Source-Programm (entwickelt von c’t und heise online)
• Integration ausgewählter Social-Media-Kanäle (Facebook, twitter, XING, WhatsApp) und Fachplattformen, um Nutzern und Forschungspartnern die Möglichkeit zu geben, einzelne Inhalte der Webseite in ihren eigenen Netzwerken zu teilen.
• Anlegen eines Redaktionszugangs für das LFZG
• Erstellung eines User-Manuals
• Durchführung einer TYPO3-Schulung vor Ort
6 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
1.3 Ergebnisse Der Relaunch der neuen Webseite konnte im Dezember 2018 abgeschlossen werden. Die Webseite ist unter www.lfzg.de erreichbar. Die einzelnen Inhalte der Webseite (Aktuelles, Termine, Medien, Publikationen) können nun flexibel in ausgewählten Netzwerken geteilt werden (Abb. 1.2). Perspektive Unter Berücksichtigung der SWOT-Analyse (Abb. 1.1) können bei Bedarf in einem zweiten Schritt (Abb. 1.3) einzelne eigene Social-Media getestet werden (z.B. Facebook, Research Gate, XING).
• Stärken • Vernetzung mit Partnerinstitutionen und
Informationsportalen • Verknüpfung von Inhalten • Breiter Zugang zur Öffentlichkeit • Wissenschaft genießt Vertrauen
• Schwächen • Personeller und zeitlicher Aufwand • Erfordert spezielle kommunikative und
technische Fähigkeiten • Konkurrenz um Aufmerksamkeit
• Chancen & Potentiale • Sichtbarmachung der Kompetenz des LFZG
(Awareness) • Orientierungsfunktion im Netz • Akzeptanzsteigerung durch Information • Demokratisierung des wiss. Dialogs • Monitoring Zielgruppe
• Bedrohungen & Risiken • Präsenz um Präsenz willen • mangelnde Professionalität/Qualität durch
fehlende Kompetenz • unmoderierter „Shitstorm“ bei
Krisenereignissen • marginaler Nutzen
Abbildung 1.1: SWOT-Analyse zur eigenen LFZG-Präsenz in sozialen Netzwerken.
Abbildung 1.2: Screenshot aus dem News-Bereich der Webseite www.lfzg.de und Beispiel der Anwendung eines Social-Media-Share-Buttons.
7 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
Abbildung 1.3: Schematische Darstellung des konzeptionellen Entwicklungsmodells zur stärkeren Nutzung des
LFZG von Wissensplattformen und sozialen Medien.
Stufe 1
LFZG-Webseite bietet Inhalte zum Teilen an(News, Publikationen, Events, Media)
•Zielgruppen können Inhalte direkt von LFZG-Seite teilen und abonnieren z.B. teilbar auf: Xing, Research Gate, Facebook, Twitter, vimeo -> keine eigene Präsenz seitens LFZG in Netzwerken nötig
•LFZG-Partner liefern Inhalte und können diese auch auf ihren Kanälen teilen
Stufe 2
Eigene LFZG-Präsenz in Social Media > dialogische Kommunikation möglich
•Einrichtung von Kanälen
•LFZG veröffentlicht auf Social Media Kanälen zunächst nur Inhalte, die selbst auf der LFZG-Webseite angeboten werden (Qualitätssicherung)
8 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
AP2: Hochauflösendes seismisches Monitoring
• Projektleitung und Bearbeitung: Prof. Dr. M. Joswig, Dipl.-Geol. G. Mokelke, Universität Stuttgart
2.1 Einleitung AP2: Vorwort und Rückblick zum Vorgängerprojekt Aus dem Vorgängerprojekt (Mokelke & Joswig, 2016) ergaben sich Probleme und Fragen, die nur bei weiterer (automatisierter) Auswertung und mit einer größeren Datenlage beantwortet werden konnten: - Das beam-forming am BFO zeigt teilweise erhebliche azimuthale Abweichungen von über 20 °. Dies gilt unabhängig von der Entfernung für die Region Schwarzwald und dessen nähere Umgebung. - Die azimuthale Ungenauigkeit des beam-forming muss für den Fall eines seismischen Monitorings des zentralen Oberrheingrabens oder anderer Gebiete eingehender untersucht werden. - Inwiefern kann die Detektionsfähigkeit des Klein-Arrays am BFO durch Ähnlichkeitsanalysen („template-matching“) von Erdbeben aus dem etablierten Katalog des Landeserdbebendienstes (LED, Regierungspräsidium Freiburg) genutzt werden, um den Katalog zu kleineren Magnitudenbereichen hin zu verfeinern? Dies sollte aufgrund der großen Menge an Katalogdaten (bzw. registrierten Erdbeben) möglichst automatisiert erfolgen. Es wurden daher Computer-tools entwickelt, die hier Lösungen generieren sollten: Es wurde ein Python-Programm entwickelt, dass die Missweisungen anhand der bereits vorhandenen Daten des LED quantitativ und räumlich erfasst. So können Bereiche im zentralen ORG abgegrenzt werden, die entweder eine Abweichung im oder gegen den Uhrzeigersinn hinsichtlich des Azimuths der tatsächlichen Position aufweisen und die Lokalisierung so besser eingegrenzt werden. Es wurde ein Python-Programm geschrieben, dass anhand von templates (kurzen Ausschnitten von Wellenformdaten, die je nur ein Erdbeben enthalten) die bereits am BFO aufgezeichneten Daten nach ähnlichen Ereignissen durchsucht. So können für einen beliebig wählbaren Zeit- und Raumbereich weitere, schwächere Erdbeben gefunden werden, die das Bild der Seismizität im zentralen ORG ergänzen. Um die Bulletin-(Text)-Daten des LED und die Daten des BFO in Form von templates (zugehörig zu den Erdbeben im LED-Bulletin) für die o.g. Programme bereitzustellen, wurden zwei weitere Hilfs-tools programmiert. Die komplette Programm-Suite ermöglicht dann – im Kontext mit Tabellenkalkulations- und GIS-Anwendungen - ein unkompliziertes Auswerten von den erhobenen Daten. Die Programme im Quellcode-Format und eine Erläuterung für ihre Verwendung sind separat verfügbar. Als problematisch hat sich die doch sehr lange Berechnungszeit von template-Korrelationen erwiesen. Es ist nicht ohne weiteres möglich, mit einem einzelnen handelsüblichen Computer mit 2 oder 4 Kernen alle templates des zentralen ORG (Anzahl je nach geographischer Eingrenzung: bis zu 100) mit dem gesamten Datensatz, der sich über 3,5 Jahre erstreckt, zu vergleichen. Hier mussten Abstriche im Umfang des zeitlichen Korrelationsbereichs hingenommen werden. Die beigefügten Programme sind dazu geeignet, diese Zeitbereiche im Rahmen weitergehender Studien zu erweitern. Anmerkung: Wesentlicher Kern der Programme der vorliegenden Arbeit ist die obspy-Programmbibliothek (open-source; python-Skripte). Siehe https://github.com/obspy/obspy/wiki und: Beyreuther et al. (2010).
2.1.1 Das „Black Forest Observatory“ (BFO)
Die „Grube Anton“ befindet sich im Heubachtal nördlich von Schiltach im Zentral-Schwarzwald. Seit etwa 1972 hat dort die Universität Karlsruhe gemeinsam mit der Universität Stuttgart das „Black Forest Observatory“ (BFO) eingerichtet. Kennzeichnend ist die geringe Beeinträchtigung durch anthropogene und natürliche seismische Bodenunruhe. Die Forschungsziele des BFO sind im Bereich der langperiodischen Bewegungen des Erdkörpers verankert, während im Rahmen dieses Projekts der kurzperiodische Frequenzbereich und räumliche Nahbereich des ehemaligen Grubengebäudes
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untersucht werden sollte. Es wurde eine Zentralstation (3-C-Seismometer) sowie drei Außenstationen (1C-Seismometer) verbaut. Der Aufbau wurde mit dem Ziel eines großen Abstands der Aperturen zueinander konzipiert, richtet sich aber zwangsläufig auch an den Vorgaben der Ganggeometrien aus. Soweit möglich, wurden die Seismometer auf vorhandenen Betonsockeln positioniert. In der Vorgänger-Studie von Mokelke & Joswig (2016) sind detaillierte Lagepläne enthalten.
2.2 Datengrundlagen Datengrundlage waren natürlich zuallererst die Seismometeraufzeichnungen aus dem Zeitraum Mai 2015 bis Juni 2018. In der zweiten Jahreshälfte 2018 kam es zu unregelmäßig auftauchenden Datenlücken aufgrund von Fehlfunktionen des Digitizers, der daraufhin ausgetauscht wurde. Zudem reichten die Bulletindaten des LED nur bis Ende November, so dass ein Schnitt im Juli 2018 sinnvoll erschien. Technische Details seien hier kurz zusammenfassend aufgeführt: - Digitizer: Nanometrics-Centaur; Seismometer: Lennartz 3D / 1D / Mark-II - Samplingrate: 500 Hz - Täglicher Zuwachs der Daten um rund 300 MB (Stand März 2019) - Datenumfang gesamt: ca. 450 Gbyte (Stand März 2019) - Speicherung auf RAID-gesichertem Server in Stuttgart (endet mit Institutsschließung Anfang April 2019) und am BFO selbst - Verfügbarkeit auf Anfrage möglich Vom Landeserdbebendienst Baden-Württemberg, Regierungspräsidium Freiburg wurde freundlicher-weise auf Anfrage ein Katalogauszug der Jahre 2015-2018 mit den genauen Lokalisierungsdaten (u.a. sogenannte onset-times, also Einsatzzeiten der verschiedenen Erdbebenwellen) zur Verfügung gestellt. Der Datensatz umfasst 1143 Einträge, aufgetrennt in einzelnen Text-Dateien aus dem Gebiet 7.4 E - 9.2 E / 47.6 N – 49.3 N. Abb. 2.1 (links) gibt einen Überblick über diesen Bereich sowie die dort lokalisierten Erdbeben. Dieser Datensatz wird in einem python-tool mit den gespeicherten Seismometer-Daten (MSEED-dayfiles) abgeglichen und eine Tabelle erstellt, die in konzentrierter Form die Ereignis-Daten und BFO-spezifischen Informationen enthält. Anhand dieser Tabelle werden in einem zweiten Schritt in einem weiteren python-tool die sogenannten templates, also Vorlagen, in kurzen MSEED-Ausschnitten und auch als png-Dateien gespeichert. Diese templates und die oben genannte, kompakte Tabelle bilden die Grundlage für die weitere Prozessierung. Da der Fokus dieser Arbeit im wesentlichen auf den Bereich des zentralen Oberrheingrabens (ORG) westlich des BFO beschränkt ist, wurde zusätzlich eine Teilmenge aus dem Gesamtkatalog extrahiert, die nur einen begrenzten Bereich in der Region Offenburg umfasst (siehe Abb. 2.1 - rechts). Hier sind 29 Erdbeben mit verwertbaren MSEED-Dateien vertreten und dienen der genaueren Betrachtung von Array-Missweisung und der template-Korrelation mit den Seismometerdaten.
10 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
Abbildung 2.1: Übersichtskarten von Südwest-Baden-Württemberg (links) und der Region Offenburg (rechts). Die Erdbeben aus dem LED-Bulletin von 2015-2018 sind rot eingezeichnet. Die Lage des BFO im Zentralschwarzwald ist durch ein blaues Dreieck markiert. Die rechteckigen Markierungsrahmen kennzeichnen das Gesamtgebiet für das Daten zur Verfügung standen sowie den kleinräumigen Ausschnitt bei Offenburg, der einer detaillierteren Betrachtung unterzogen wurde. Daten vom Landeserdbebendienst Baden-Württemberg, Regierungspräsidium Freiburg, lgl-bw und openDEM.
2.3 Missweisungen der Array-beams Im Vorläuferprojekt (Mokelke & Joswig, 2016; Förderkennzeichen L7514002) wurden manuelle Auswertungen von array-beams mit Hilfe der institutseigenen Software Hypoline durchgeführt. Hierzu wurden 23 Erdbeben verschiedener Lokationen aus dem LED-Bulletin herangezogen und durch sorgfältige händische Korrelation der Erstausschläge die Richtungsangaben ermittelt und den theoretischen Richtungen gegenübergestellt. Hierbei ergaben sich teilweise drastische Missweisungen von bis zu 29° bei einem Mittelwert von rund 9°. In diesem Kapitel wird die automatische array-beam-Ortung behandelt und vergleichend der händischen Auswertungen gegenübergestellt sowie eine Karte der Missweisungen im Großbereich Südwest-Baden-Württemberg und Teilbereich Offenburg gezeigt. Angesichts der großen Zahl der Erdbeben im Betrachtungsbereich bzw. in Südwestdeutschland und der Frage nach der Reproduzierbarkeit wurde daher ein python-Programm geschrieben, dass die vorhandenen Daten auswertete. Das Programm liefert für jedes Erdbebenereignis Abweichungen vom theoretischen Azimuth. Insgesamt wurde dies für 701 Erdbeben durchgeführt, zu welchen Daten im Beobachtungszeitraum zur Verfügung standen und deren Einsätze mit einem P-Welleneinsatz im LED-Bulletin belegt sind. In Abb. 2.2 werden zwei Beispiele für die Azimuth-Bestimmung von Erdbeben im Bereich Offenburg gezeigt. In diesen Darstellungen ist die Stärke (eine dimensionslose Größe) auf der y-Achse gegen den Azimuth auf der x-Achse aufgetragen. Der theoretische Azimuth ist mit einem roten Pfeil markiert. Es wird deutlich, dass trotz der gleichartigen Magnitude und Entfernung die Abweichungen vom tatsächlichen Azimuth erheblich variieren können.
11 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
Abbildung 2.2: Darstellungen der berechneten Verteilungen des Azimuth des Array-beam, für zwei verschiedene Erdbeben mit ähnlicher Magnitude und Entfernung im Raum Offenburg. Die Linienlänge gibt die Stärke des Signals aus der betreffenden Richtung an. Die roten Pfeile geben jeweils den theoretischen Azimuth an.
2.3.1 Einfluss der Programmparameter
Es wurde die Annahme gemacht, dass ein Minimum an Missweisung den tatsächlichen Einflüssen des Untergrundes am besten Rechnung trägt. Große Abweichungen von über 45° werden als Artefakte bei der Berechnung angesehen, wobei diese Grenze nicht genau benannt werden kann, da natürlich auch Untergrundeffekte – welche zu quantifizieren letztlich auch Teil-Ziel des Projekts war - in die Kalkulation einfließen; hier ist also eine nicht quantifizierbare Mischrechnung gegeben. Allein bei der sorgfältigen manuellen Auswertung wurden bereits Missweisungs-Werte von über 10° trotz guter Signalqualität und -stärke festgestellt. Unter der Annahme, dass über einen großen Datensatz hinweg gesehen geringe Missweisungen die beste Lösung darstellen, wurde versucht ein Optimum bei der Wahl der Analyseparameter zu finden. Hierzu wurden sowohl die betrachtete Fensterlänge ab Signal-Einsatz, deren Unterteilung in einzelne kürzere Fragmente als auch zwei verschiedene Frequenzbereiche (1-30 Hz und 5-30 Hz) ausgewertet. Es stellte sich heraus, dass für den Bereich Offenburg und für das Gesamtgebiet SW-Baden-Württemberg leicht unterschiedliche Parameter optimal erscheinen. Für den Bereich Offenburg ist in Abb. 2.3 beispielhaft eine Auswertung mit sowohl optimalen als auch ungünstigen Parametern gezeigt. Die offensichtliche bimodale Verteilung der Werte bei optimalen Parametern (blaue Punkte im Graphen in Abb. 2.3) ist weder an die Magnitude noch an die Tiefenlage der Erdbeben gekoppelt. Ein gemeinsames Merkmal innerhalb der Gruppe mit der stärkeren Abweichung von -15° bis -35° ist jedoch die Lage im Südwesten des betrachteten Bereichs.
12 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
Abbildung 2.3: Darstellung der Missweisungen von 29 Erdbeben in der Region Offenburg. Die Werte sind der Größe nach geordnet. In Rot sind Werte eingetragen, die bei ungünstiger Parameterwahl entstehen; in Blau die Werte, die bei günstiger Parameterwahl entstehen.
2.3.2 Statistik für den Raum Südwest-Baden-Württemberg
Betrachtet man die Abweichungen des theoretischen und berechneten Azimuths für das Gesamtgebiet SW-Baden-Württemberg, so ergibt sich das in Abb. 2.4 gezeigte Histogramm der mengenmäßigen Verteilung. Die Werte zwischen -25° und +20 ° bilden zwar die deutliche Mehrheit, aber auch nicht unerhebliche Mengen an weit gestreuten Werten sind erkennbar. Werte <0 bedeuten, dass der berechnete Array-beam im Gegenuhrzeigersinn gegen den theoretischen Azimuth verdreht ist. Das Signal erscheint beispielsweise bei einem genau im Westen vom BFO liegenden Erdbeben als nach WSW oder SW verschoben. Umgekehrt sind positive Abweichungswerte als Abweichung im Uhrzeigersinn zu verstehen. Ein Erdbeben genau im Norden vom BFO erscheint dadurch nach ENE oder NE verschoben.
Abbildung 2.4: Histogramme der Missweisungen am BFO für das Gesamtgebiet SW-Baden-Württemberg. Unten ist ein vergrößerter Ausschnitt nur mit den Werten -45° bis +45° abgebildet.
13 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
2.3.3 Einfluss der Stärke eines Erdbebens
Bei der Frage nach dem Einfluss der Stärke des Erdbebens auf die beobachtete Abweichung kann eine eindeutige Antwort nur bedingt gegeben werden. Es sei hier auf Abb. 2.5 verwiesen. In dieser Abbildung sind die Ergebnisse der azimuthalen Fehler wiedergegeben, diesmal gegen die Magnitude aufgetragen. Es wurden dazu nur Erdbeben eines ähnlichen Entfernungsbereichs aufgenommen (40-50 km Distanz). Die Zahl starker Missweisungen über 45° scheint bei den kleinen Magnituden im Bereich zwischen ML=0,3 - 1,0 gehäuft zu sein, doch kann dies ohne weitere Analyse auch als Effekt der Ausdünnung der Gesamtzahl von Erdbeben nach höheren Magnitudenbereichen hingesehen werden. Eine extraordinäre Abweichung von 50° - 150° kann offensichtlich auch bei stärkeren Magnituden beobachtet werden.
Abbildung 2.5: Darstellung der Missweisungen, gegen die Magnitude aufgetragen. Es werden nur Erdbeben mit Epizentralentfernungen von 40-50 km gezeigt. Im Bereich niedriger Magnituden kommt es scheinbar zur Häufung starker (unrealistischer) Abweichungen. Allerdings sind auch Erdbeben mit höheren Magnitudenwerten (ML > 2,0) nicht zwangsläufig frei von starken Missweisungen.
2.3.4 Vergleich mit manuell ermittelten Abweichungen
Die automatisch erzeugten Werte für den Gesamtbereich SW-Baden-Württemberg wurden mit den Ergebnissen der manuellen Auswertung des Vorgängerprojekts abgeglichen. Es konnten von den 23 Erdbeben, die im Vorgängerprojekt ausgewertet wurden, 20 für einen Vergleich herangezogen werden. Drei wurden verworfen, da sie entweder außerhalb des Beobachtungsgebiets lagen oder nur Zeit-Einträge zum S-Welleneinsatz im Bulletin besitzen. Es zeigte sich eine in Teilen sehr gute Übereinstimmung (siehe Abb. 2.6), doch liegen die Werte der
manuellen Auswertung generell näher an denen der theoretisch wahren Azimuthe und Extrema über
10° Abweichung sind seltener. Eine manuelle Auswertung erscheint also der maschinellen überlegen,
sofern das für 20 Ereignisse bereits signifikant angesehen wird; allein die Menge der zu bearbeitenden
Wellenformdaten kann jedoch als Hinderungsgrund für eine umfassende händische Bearbeitung
angesehen werden.
14 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
Abbildung 2.6: Darstellung der von Hand (im Vorgängerprojekt) ermittelten Missweisungen (in grün) und der in der vorliegenden Studie berechne-ten Werte (in blau). Die Proben-zahl ist 20. Die händisch ermit-telten Werte besitzen tenden-ziell eine geringere Abweichung.
2.3.5 Kartendarstellungen der azimuthalen Abweichungen
Auf der Basis der ermittelten Daten lassen sich Kartendarstellungen der azimuthalen Abweichungen anfertigen. Dazu wurde eine triangulierte Flächendarstellung mit der matplotlib-library von python angewendet und die erzeugte Darstellung in einem GIS-System (hier: Quantum-GIS) georeferenziert. In der Abb. 2.7 (links) ist das Ergebnis für den Gesamtdatensatz von SW-Baden-Württemberg wiedergegeben und in Abb. 2.7 (rechts) das Ergebnis nur für den Teildatensatz der Region Offenburg.
Abbildung 2.7: Links: Kartendarstellung der Missweisungen im Gesamtgebiet SW-Baden-Württemberg. Das BFO ist mittig als blaues Dreieck eingezeichnet. Im zentralen Oberrheingraben dominieren eindeutig negative Abweichungen, während der Schwarzwald von positiven Abweichungen bestimmt wird. Rechts: Kartendarstellung der Missweisungen im Teilgebiet Offenburg. Das BFO ist rechts unten als blaues Dreieck eingezeichnet. Die Missweisungen liegen fast ausschließlich im negativen Gradbereich, was dazu führt, dass die Signale scheinbar aus Quellen südlich der eigentlichen Position herrühren. Bei 10 Grad negativer Abweichung (dem Durchschnitt für diese Region) wird beispielsweise ein in 50 km befindlicher Bebenherd scheinbar um ca. 8 km nach Süden versetzt.
15 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
Da die Parameter zur Bestimmung des array-beams für die Teilregion Offenburg von denen der Gesamtregion variieren, fällt die Kartendarstellung leicht unterschiedlich aus. Dennoch bleibt der generelle Aspekt erhalten, dass die Abweichungen im zentralen Oberrheingraben fast ausschließlich im negativen Bereich liegen. Die Grafik mit den Abweichungen im Raum Offenburg in Abb. 2.3 weiter oben hat dies bereits deutlich gemacht. Bemerkenswert und sehr auffällig erscheint in der Gesamtansicht die deutliche Abgrenzung vom Schwarzwald zum Rheingraben zwischen Freiburg und Karlsruhe sowie dem Stuttgarter/Pforzheimer Raum. Die Darstellung beschränkt sich auf die Werte von -22.5° bis +22.5°. Das begrenzt die Zahl der verwendbaren Datenpunkte beziehungsweise Missweisungswerte auf 500 (von 701), erscheint jedoch angesichts der Charakteristik der Streuung der Ergebnisse (siehe Histogramme in Abb. 2.4) als optimale Auswahl.
2.4 Ähnlichkeitsanalyse zur Ergänzung des Erdbebenkatalogs Bereits im Vorgängerprojekt wurde versucht, mittels visueller Begutachtung der Daten Ereignisse zu finden, die aufgrund ihrer geringen Magnitude nicht mehr im Erdbebenkatalog auftauchen. In dieser Arbeit wurde nun stattdessen ein python-tool geschrieben, welches selbsttätig templates mit den gesamten Wellenformdaten des BFO-arrays über eine Korrelationsanalyse abgleichen kann. Verwendet werden die vier Vertikalspuren der Array-Seismometer, wobei eine Korrelation als „erfolgreich“ gilt, also ein sogenanntes „true positive“ bildet, wenn mindestens drei Spuren einen Korrelationskoeffizienten über 0,5 aufweisen. Es stellte sich beim Testen der Software auf einem 3 GHz-Prozessor (-Kern) eines handelsüblichen Rechners heraus, dass die Zeitdauer, um ein einziges template mit den Wellenformdaten eines Tages abzugleichen, rund 15 Minuten beträgt. Um die 29 Ereignisse des Kleinbereichs Offenburg mit dem Gesamtdatensatz von knapp 1200 Tagen abzugleichen, würden 1200x29x15 Minuten benötigt. Das entspricht 8700 Stunden oder 362,5 Tagen. Es wurden daher zwei Programm-Varianten verfasst: a) Eine Variante, die es erlaubt, einen beliebigen Zeitraum zu durchsuchen. Hierzu wird eine Liste der Ereignisse übergeben, die dann in dem betreffenden Zeitraum als Vorlagen angewendet werden. So kann beispielsweise speziell bei einem „stärkeren“ Erdbeben (Magnitude ML>2) im Oberrheingrabenbereich ein größerer Zeitbereich vorher (als Vorbebensuche) oder im Zeitbereich nachher (als Nachbebensuche) durchsucht werden. b) Eine Variante, die für alle Ereignisse den Tag ihres Auftretens durchsucht. Zusätzlich kann mit einem Modifikator z.B. ein Tag zuvor oder danach (Modifikatoren +/-1) oder auch mit einem größeren zeitlichen Abstand (z.B. +/- 5) durchsucht werden. Abb. 2.8 zeigt beispielhaft das Ergebnis einer solchen Korrelationsanalyse. Ausgangspunkt war hier das template Nr. 483 vom 18.11.2016 (Raum Offenburg). Nach dem „Hauptbeben“ (Magnitude) können im Abstand von rund 10-12 Minuten drei weitere Erdbebensignale mit mittlerer bis hoher Ähnlichkeit identifiziert werden. Die Magnitude kann durch Vergleich der Amplituden des templates und der durch Korrelation gefundenen Erdbeben ermittelt werden.
16 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
Abbildung 2.8: Grafische Darstellung der Korrelationswerte für die vier am BFO verbauten Seismometer (Kanal-Kürzel HH0, HH1, HH2, HNZ). Die Länge der Zeitachse beträgt 15 Minuten. Nach dem ersten Signal links mit einer Korrelation von 1,0 (= Autokorrelation des templates) treten drei weitere Korrelationsspitzen über 0,5 auf. Die mittig eingeblendeten Seismogrammausschnitte zeigen 40-Sekunden Fenster. Das letzte Signal bildet etwa die untere Grenze der auf diese Weise ermittelbaren Erdbeben. Die Magnituden betragen in der Reihenfolge des Auftretens ML= 0,7 (Hauptbeben), 0,4, 0,6 und 0,3.
2.4.1 Abgrenzung der Größe des Korrelationsfensters
Die optimale Größe des Korrelationsfensters wird maßgeblich durch die Länge der regulär auftretenden Erdbeben-Coda oberhalb des Noise beeinflusst. Mit regulär ist die im Fokus stehende Menge an Erdbeben in einem bestimmten Entfernungsbereich gemeint (im vorliegenden Fall maximal rund 90 km für den Großraum SW-Baden-Württemberg). Im Verlauf der Projektbearbeitung zeigte sich, dass eine Korrelations-Fensterlänge von 15 Sekunden zufriedenstellende Ergebnisse liefert. Würden in einer Untersuchung nur Erdbeben in Enfernungen bis 30 km in Betracht gezogen, so könnte diese Fensterlänge auch reduziert werden (z.B. 10 Sekunden).
2.4.2 Kleinräumliche Ähnlichkeit von Erdbeben
Wenn Korrelationsanalysen mit den templates einer kleinen, eng abgegrenzten Region (wie die Region Offenburg in der vorliegenden Studie) durchgeführt werden, ist es von Bedeutung, das Ausmaß der Ähnlichkeiten dieser Erdbeben untereinander zu kennen. Eine gewisse Ähnlichkeit darf und sollte sicherlich vorliegen, da tektonische Einheiten wie die Störungen im ORG über viele Kilometer aushalten können. Dennoch sollte eine Abgrenzung der Erdbeben untereinander noch ausreichend sein, um den Informationsgehalt der Korrelationsanalyse nicht zu untergraben. Um das Ausmaß der Ähnlichkeit bzw. der Unähnlichkeit der Erdbeben im betrachteten Gebiet bei Offenburg abzuschätzen und zu veranschaulichen, wurde eine Kreuzkorrelation aller 29 Erdbeben des Erdbebenbulletins vorgenommen, welche für die kleinräumige Region um Offenburg von Bedeutung sind. In der Abb. 2.9 ist das Ergebnis der Kreuzkorrelation und das zugehörige Histogramm mit der Verteilung der Werte wiedergegeben. Es wird deutlich, dass trotz der räumlichen Nähe (siehe auch die Karte in Abb. 2.1 - rechts) eine bei weitem überwiegende Zahl der Korrelationswerte unter 0,5 liegt, meist sogar unter
17 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
0,2. Dies entspricht Werten, die auch bei einer Korrelation eines Erdbeben-Signals mit reinem Noise vorkommen. Nur vier Korrelationen liegen über einem Wert von 0,5 und stammen von Erdbeben, deren Epizentren nur 0,2 - 3,8 km Distanz voneinander hatten. Dies führt zu dem Schluss, dass eine Korrelationsanalyse mit dem Grenzwert von 0,5 hinreichend abgesichert erscheint gegen Verwechslungen in einer Region dieses Ausmaßes (ca. 25 x 40 km).
Abbildung 2.9: Kreuzkorrelation (links) und zugehöriges Histogramm der Korrelations-Werte (rechts). Für die Kreuzkorrelation wurden alle 29 Erdbeben des kleinräumigen Bereich Offenburg verwendet. In der Darstellung der Kreuzkorrelation links ist das weitgehend leere, fast weisse Segment unten rechts nur dort mit einem dunklen Farbwert versehen, wenn die Kreuzkorrelationswerte über 0,5 lagen. Nur vier Erdbeben korrelieren mit Werten über 0,5 miteinander. Diese Erdbeben haben einen geringen räumlichen Abstand von 0,2 – 3,8 km, gemäß den Bulletindaten des LED.
2.4.3 Großräumliche Ähnlichkeit von Erdbeben
Wie im vorangegangenen Abschnitt erläutert, ist es bedeutsam, die Ähnlichkeit von Erdbeben in einer kleinräumlichen Anordnung zu kennen, und damit ein Grenz-Maß für die Korrelationsanalyse zu ermitteln, was letztendlich die Verwechslungsgefahr innerhalb einer Region minimieren soll. Dasselbe gilt aber auch für alle Erdbeben, die ganz generell in einem gleichartigen Entfernungsbereich liegen, also nicht nur die Region Offenburg westlich vom BFO, wie im vorliegenden Fall, sondern beispielsweise auch die Region um Nagold im Nordosten oder die Schwäbische Alb im Osten. Es wurden daher die 29 Erdbeben des kleinräumlichen Bereichs von Offenburg mit allen Erdbeben des großräumigen Bereichs SW-Baden-Württemberg, welche im selben Epizentral-Entfernungsbereich liegen (25 - 60 km), miteinander verglichen. In Abb. 2.10 ist ein Teil der berechneten Korrelationswerte wiedergegeben. Die 29 Erdbeben des Nahbereichs sind nach oben hin aufgetragen und die ersten 100 Erdbeben des großräumlichen Bereichs nach rechts. Korrelationen von Erdbeben des großräumlichen Bereichs, welche nicht innerhalb des erwähnten Entfernungsbereichs liegen, sind für diese Art der Darstellung mit einem Korrelationswert von 0,0 versehen worden und erscheinen in weiß. Es zeigte sich bei dieser Analyse, dass keine Erdbeben außerhalb vom Bereich Offenburg mit Erdbeben innerhalb korrelieren (bei einem Grenzmaß der Korrelation von 0,5).
2.4.4 Ergebnisse der Ähnlichkeitsanalyse
Die Suche nach Erdbeben mit einem ausreichend hohen Korrelationswert von 0,5 wurde für verschiedene Zeitrahmen und für alle 29 im Nahbereich Offenburg gelegenen Erdbeben durchgeführt. Es wurde zum einen der Tag des Auftretens des einzelnen Erdbebens, sowie der Tag davor und danach durchsucht. Hierbei konnten acht "zusätzliche" Erdbeben mit einem Korrelationskoeffizienten über 0,5 festgestellt werden. Sie weisen Magnituden bis hinab zu ML = -0,3 auf. Die unten stehende Liste listet die template-Erdbeben (Nummern xyz) und die zugehörigen neu gefundenen Erdbeben (Nummerierungen xyz-1, xyz-2 etc.) auf. Darüber hinaus wurde ein ganzer Monatszeitraum ab dem Ereignis Nr. 483 (Raum Offenburg; 18.11.2016; Magnitude 0,7) nach ähnlichen Erdbeben durchsucht.
18 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
Bei dieser Suche konnte jedoch kein ähnliches Erdbeben gefunden werden.
Abbildung 2.10: Korrelationsanalyse der Ähnlichkeit der 29 Erdbeben im Bereich von Offenburg (nach oben hin aufgetragen) und den Erdbeben des SW-Baden-Württembergischen Raums mit ähnlichen Entfernungen zum BFO (nach rechts aufgetragen). Es sind hier nur beispielhaft die Korrelationen mit den ersten 100 Erdbeben der Bulletin-Liste gezeigt. Der dunkelblau eingezeichnete Korrelationswert ist die Autokorrelation des ersten Erdbebens bei Offenburg mit seiner Entsprechung im Gesamtkatalog.
2.5 Zusammenfassung und Vergleich mit Daten des FERRY-Projekts In der vorliegenden Arbeit wird gezeigt, dass… a) es systematische Abweichungen bei der Ortung von Erdbeben mittels des BFO-Klein-Arrays gibt. Diese Abweichungen können in einer Kartenübersicht wiedergegeben werden und zeigen charakteristische Ausprägungen der Missweisungen für den südwestdeutschen Raum. Der Bereich des zentralen Oberrheingrabens westlich des BFO ist eine Zone, aus der Erdbebensignale um 5-20° abgelenkt werden und mittels eines Kleinarrays verortete Erdbeben systematisch nach Süden verschiebt. Bei einer Beobachtung des zentralen Oberrheingrabens mittels Array-Technologien (speziell das beam-forming) ist dies zwingend zu berücksichtigen.
b) es möglich ist, durch Ähnlichkeitsanalysen und eine automatisierte template-Suche die Erdbebenstatistik für die Region Offenburg in kleinere Magnituden-Bereiche zu erweitern. Es konnten zu 29 Erdbeben in dieser Region acht weitere, beigeordnete, gefunden werden. Der betrachtete Zeitraum erstreckte sich dabei auf den Tag vor, während und nach dem vorgegebenen Erdbeben. Trotz des durch Computer-Rechenzeit eingeschränkten, kurzen Test-Zeitrahmens erscheint dieses Verfahren als hinreichend erfolgreich um auch in Zukunft angewandt zu werden. Für eine zukünftige Auswertung können die mitgelieferten Programme (mit)verwendet werden.
2.5.1 Vergleich mit den Ergebnissen des FERRY-Projekts:
Im Folgenden wird unter Verwendung von Textzitaten aus dem Vortrag von Hr. Dr. Lindenfeld und Hr. Prof. Dr. Rümpker während der DGG Jahrestagung 2019 in Braunschweig auf das FERRY-Projekt eingegangen: Das Taunus Array wurde im Rahmen des FERRY-Projekts (BMWi) in den Jahren 2014 - 2017 aufgebaut. Ziel war die Erforschung der Unabhängigen Überwachung der seismischen Aktivität im Bereich zukünftiger geothermischer Anlagen von zentraler Stelle aus. Details finden sich im Abschlussbericht von Lindenfeld & Rümpker (2017).
.
19 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
2.5.2 Unterschied und Gemeinsamkeiten zum BFO-Array und Vergleich der Ergebnisse: a) Räumliche Ausdehnung: die Apertur (Ausdehnung) des BFO-Arrays beträgt 300 (E-W) x 150 m (N-S); die Apertur beim Taunus-Array 720 m (E-W) x 1050 m (N-S) b) Zahl der Seismometer: Vier beim BFO-Array; zehn beim Taunus-Array c) Analyse der Missweisungen: Für die Region Offenburg ergibt sich beim BFO-Array eine Abweichung von (im Mittel) - 10 Grad. Die Analyse von Erdbebenclustern mittels Taunus-Array ergab Abweichungen im Mittel von rund + 5 Grad für die Region Darmstadt und Nieder-Ramstadt (Entfernungen rund 40-50 km in Richtung Süden) und +/- 0 Grad für die Region Bad-Schwalbach 40 km westlich des Taunus-Arrays. Für die Region Bad Brückenau im Osten wurde rund – 8 Grad ermittelt. Für das Gebiet zwischen Mannheim und Darmstadt im Rheingraben liegen Werte von rund - 12 Grad vor. d) Detektionsschwelle: Für das BFO-Array kann bei manueller Auswertung eine Vollständigkeitsgrenze von ML=0,4 für eine Entfernung von 50 km angesetzt werden (siehe Abschlussbericht des Vorgängerprojekts). Beim Taunus-Array wurde die Detektionsschwelle mittels STA-LTA-Trigger auf ML= 0,5 in 50 km Distanz festgelegt (hier ist aber noch keine Vollständigkeit erreicht).
2.6 Literatur Beyreuther, M., R. Barsch, L. Krischer, T. Megies, Y. Behr und J. Wassermann (2010) ObsPy: A Python Toolbox for Seismology, SRL, 81(3), 530-533 , DOI: 10.1785/gssrl.81.3.530 ) Häge, M. (2008) Entwicklung und Validierung eines neuen Verfahrens zur Kartierung seismisch aktiver Verwerfungen durch Kurzzeit-Kleinstbebenmessungen.- Dissertation, Stuttgart. Joswig, M. (2008) Nanoseismic monitoring fills the gap between microseismic networks and passive seismic.- First Break, 26(6), 121-128. Lindenfeld, M., Rümpker, G. (2017) "Seismische Fernüberwachung geothermischer Kraftwerke mittels Arraytechnologien – FERRY", Goethe Universität Frankfurt. Mokelke, G., Joswig, M. (2016) Seismische Mikrozonierung: Ermittlung der Ausrichtung und der seismischen Aktivität vorhandener Störungen mittels Klein-Arrays an einzelnen Bergwerken. PTKA-Förderkennziffer L7514002
20 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
AP3: Strukturgeologische Analyse mit Digitalen Geländemodellen
• Projektleitung und Bearbeitung: PD Dr. J.C. Grimmer, Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
3.1 Einleitung AP3 Günstig orientierte Störungszonen stellen in der Tiefengeothermie ein wichtiges Ziel für Exploration
und Produktion dar. Insbesondere Störungen mit struktureller Anbindung an den kristallinen Sockel
(`Grundgebirge´) sind für wirtschaftlich hinreichende und nachhaltige Fließraten attraktive Ziele in der
Exploration. Gleichzeitig können manche dieser Strukturen auch Risiken hinsichtlich natürlicher und
induzierter Seismizität darstellen. Ein besseres Verständnis dieser Strukturen im kristallinen Sockel
durch eine quantitative Erfassung ihrer räumlichen Verbreitung in den kristallinen Gesteinen des
Schwarzwaldes erfolgt durch Lineamentanalysen mithilfe hochauflösender GIS-basierter Digitaler
Geländemodelle. Die in einem Vorläuferprojekt im südlichen Schwarzwald durchgeführten
Lineamentanalysen (L75 14001-14004; Meixner et al., 2018) werden in diesem Projekt für den
mittleren und nördlichen Schwarzwald anhand von GIS-basierten LiDAR-DGM5-Daten ergänzt. Da
Lineamentanalysen keine Aussagen zu Alter und Kinematik der Störungen erlauben, wurden
ergänzend Störungsflächendaten aus künstlichen und natürlichen Aufschlüssen neogener, d.h. ≤25
Millionen Jahre (Ma) alte, Gesteine erhoben und mit den aus Lineamentanalysen ermittelten
Störungstrends verglichen.
3.2 Methodik
3.2.1 Lineamentanalyse
Für Baden-Württemberg wurde ein GIS-basiertes Digitales Geländemodell aus LIDAR-DEM5 Punktwolkendaten erstellt (Abb. 3.1). Details zu Grundlagen und Methodik der Gewinnung und Verarbeitung von LiDAR-DEM-Daten werden in Beckenbach (2016) ausführlich beschrieben, so dass hier nur die Bearbeitung der Daten beschrieben wird. Die Punktwolkendaten stellen x-y-z-Daten bestehend aus Gauß-Krüger-Koordinaten (DHDN GK Zone 3 E-N) mit zugehörigen Höhenangaben in m ü. NN dar. Für die Lineamentanalyse wurden diese Daten zu jeweils 10 km x 10 km großen `Datenkacheln´ des mittleren und nördlichen Schwarzwaldes zusammengefasst (Abb. 3.2, 3.3), georeferenziert in ArcMap importiert und in Rasterdateien umgewandelt. Diese Rasterdaten wurden im Schummerungsmodus hinsichtlich linearer Strukturen ausgewertet. Der Verschnitt einer Störung mit der Geländeoberfläche kann in Abhängigkeit von der Orientierung der Störungsflächen und Topographie linear oder gekrümmt bzw. kurvig sein: Störungsflächen mit einem (flachen) Einfallen ergeben im Verschnitt mit einer Topographie gekrümmte Linien und können deshalb nicht als Lineamente kartiert werden. Subvertikale Störungsflächen ergeben im Verschnitt mit einer Topographie lineare Strukturen, die als Lineamente kartiert werden können. Ohne signifikante Topographie – wie beispielsweise in der Rheinebene – bzw. einer Topographie, die parallel zum Streichen einer Störung ausgerichtet ist, lassen sich sowohl einfallende als auch subvertikale Störungen als Lineamente kartieren. Ein Abgleich mit topographischen Karten wurde durchgeführt, um anthropogene Strukturen wie beispielsweise Straßen, Kanäle, Gräben, Stromtrassen, Pipelines u.a. auszuschließen. Insbesondere in Kristallingesteinen bilden Störungen Angriffspunkte für Alteration, Verwitterung und – in der Folge – Erosion. Da im Gegensatz zu Sedimentgesteinen Störungsversätze in Kristallingesteinen in Ermangelung geeigneter Marker-Horizonte selten eindeutig kartierbar sind, bietet die Lineamentanalyse ein geeignetes Werkzeug, um mögliche Störungen in Kristallingesteinen zu identifizieren. Für eine weitergehende Diskussion der Methodik der Lineamentanalyse wird auf das Vorläuferprojekt (L75 14001-14004) und der daraus hervorgegangenen Publikation verwiesen (Meixner et al., 2018).
21 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
Abbildung 3.1: DGM-Übersicht von Baden-Württemberg mit Höhendarstellung in Grautönen (Zunahme der Höhe
von schwarz (min.: 86 m ü. NN) nach weiß (max.: 1493 m ü. NN)).
3.2.2 Störungsflächen- und Paläospannungsanalyse
Die Analyse von Störungsflächen dokumentiert und charakterisiert die relative zeitliche Abfolge der
Deformation in einem Gebiet. In der oberen Kruste werden in der Regel präexistierende Flächen als
Störungsflächen reaktiviert. Die Analyse von Strukturen auf einer Störungsfläche kann Hinweise auf
den Bewegungsvektor auf dieser Störungsfläche geben und charakterisiert eine Störung als Auf- oder
Abschiebung bzw. als Blattverschiebung. Aus felsmechanischen Laborexperimenten, deren Ergebnisse
Eingang in geowissenschaftliche Lehrbücher (z.B. Eisbacher, 1996; Twiss & Moores, 2007) gefunden
haben, ist bekannt, dass typische Bruchwinkel von Scherbrüchen 20-40° bezüglich der größten
Hauptnormalspannung betragen. Aus diesem Zusammenhang zwischen Spannung und Verformung
kann eine Spannungsinversion durchgeführt werden. Die Spannungsinversion der
Störungsflächendaten wurde mithilfe des Programms FaultKin 7.7.2 durchgeführt (Marrett &
Allmendinger, 1990). In geologischen Formationen sind Störungsflächendaten in der Regel heterogen.
Das bedeutet, dass die Störungsflächendaten nicht auf ein einziges Spannungsfeld zurückführbar sind.
Deshalb muss ein heterogener Störungsflächendatensatz in homogene Datensätze unterteilt werden.
Nur durch direkte Geländebeobachtungen lassen sich Informationen zur relativen Altersabfolge dieser
Datensätze gewinnen. Die relative zeitliche Einordnung invertierter homogener
Störungsflächendatensätze wird als Paläospannnungsanalyse bezeichnet. Für die methodischen
Details und theoretischen Hintergründe wird auf die aktuelle Übersichtsarbeit von Simon (2019)
verwiesen.
3.3 Ergebnisse
3.3.1 Lineamentanalyse Kristallingebiete mittlerer und nördlicher Schwarzwald
Die Lineamentanalyse des nördlichen und mittleren Schwarzwaldes beschränkt sich auf die
Kristallingebiete (Abb. 3.2, 3.3). Lineamente, die sich bis in die sedimentäre Überdeckung verfolgen
lassen wurden – von vereinzelten Ausnahmen abgesehen – nur bis an die Grenze Kristallin-
Sedimentgestein kartiert.
22 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
Abbildung 3.2: Lineamente mit hinterlegtem DGM5
im Schummerungsmodus mit Beleuchtungsszenario
315/45 (Grimmer, 2019); d.h. Beleuchtung aus NW
unter einem Winkel von 45°. Koordinaten: DHDN3
Gauß-Krüger Zone 3.
Abbildung 3.3: Lineamente mit hinterlegter
geologischer Karte (LGRB, 2006) der
Kristallingesteine im mittleren und nördlichen
Schwarzwald. Koordinaten: DHDN3 Gauß-Krüger
Zone 3.
Für die Ermittlung der Häufigkeitsverteilungen der Orientierungen der Lineamente wurden die
Lineamente in 500 m lange Abschnitte unterteilt, um eine Abhängigkeit der Orientierungen von der
Lineamentlänge zu vermeiden. Die Häufigkeitsverteilung der Orientierungen der Lineamente (Abb.
3.4) zeigt Maxima für NE-SW-(040-065°), NNW-SSE-(155-170°) und N-S-(170-010°) Richtungen sowie
Minima für E-W-(080-095°) und ESE-WNW-(100-125°) Richtungen (Grimmer, 2019).
Die dominierende Richtung der Lineamente sind NE-SW- und (N)NW-(S)SE-streichende Strukturen.
Diese sind vor allem auf NE-SW-orientierte oberkarbonisch-permische Becken zurückzuführen (z.B.
Rupf & Nitsch 2008). Im Unterschied zum südlichen Schwarzwald dominieren im mittleren und
nördlichen Schwarzwald die NE-SW-orientierten Lineamente. Während die NNW-SSE-Strukturen im
rezenten Spannungsfeld ein hohes Reaktivierungspotential für Dilatation (bei subvertikalen Flächen)
und Scherung (i.e. Abschiebungen bei einfallenden Flächen) aufweisen, weisen die NE-SW-Strukturen
im rezenten Spannungsfeld weder für Dilatation noch für Scherung relevante Reaktivierungspotenziale
auf (Meixner et al. 2018).
23 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
E-W-Strukturen treten sehr untergeordnet auf und sind in Baden-Württemberg vor allem aus dem
südlichen Schwarzwald als mylonitisch-kataklastische Scherzonen (Zinken-Elme-Zone, Badenweiler-
Lenzkirch-Zone) bekannt (z.B. KTB, 1986). Die wenigen E-W-orientierten Lineamente wurden nur im
nördlichen Schwarzwald in den Graniten des Nordschwarzwaldes kartiert (Abb. 3.2, 3.3). E-W-
Störungen weisen ein geringes Reaktivierungspotenzial für dextrale Scherung auf (Meixner et al.,
2018).
N-S- bis NNE-SSW-streichende Lineamente sind parallel zum strukturellen und morphologischen Trend
des westlich des Schwarzwaldes gelegenen Oberrheingrabens orientiert. N-S- bis NNE-SSW-orientierte
Lineamente mit relativ großen Streichlängen wurden im Triberg- und Nordschwarzwald-Batholith
kartiert (Abb. 3.2, 3.3). Diese Strukturtrends entwickelten sich während der spätvariszischen Extension
im Oberkarbon und wurden während des Känozoikums und wahrscheinlich auch während des
Mesozoikums reaktiviert (Grimmer et al. 2017); sie weisen im rezenten Spannungsfeld hohe
Reaktivierungspotenziale für sinistrale Scherung auf (Meixner et al., 2018).
Abbildung 3.4: Häufigkeitsverteilung von Orientierungen von Lineamenten im mittleren und nördlichen Schwarzwald. Orientierungen sind als Azimute (0-180°) in 5°-Intervallen zusammengefasst dargestellt.
3.3.2 Lineamente und Störungsflächenanalyse im Kaiserstuhl
Der Kaiserstuhl ist ein erodiertes Vulkangebäude, das neogene Karbonatite und SiO2-untersättigte,
alkali-betonte Vulkanite, Vulkaniklastika und Intrusiva aufschließt (z.B. Wimmenauer 2003). Die
vulkanischen Gesteine wurden zwischen 19 Ma und 16 Ma gefördert (Wimmenauer 2003; Kraml et al.
2006). Die untersuchten Strukturen und kartierten Lineamente sind somit also ≤19 Ma alt. Der
Kaiserstuhl wird von einem markanten NE-SW-orientierten Tal morphologisch in zwei Teile unterteilt.
Entlang dieser Linie wird auch das zentrale Karbonatitvorkommen nach Norden begrenzt, so dass in
diesem Tal möglicherweise eine Störung verläuft. NNE-SSW-orientierte Lineamente bilden die
dominante Richtung im Kaiserstuhl (Abb. 3.5). NW-SE-orientierte Lineamente treten vermehrt im
südlichen Teil des Kaiserstuhls auf.
24 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
Abbildung 3.5: Lineamentkartierung im Kaiserstuhl. Koordinaten: DHDN3 Gauß-Krüger Zone 3.
Störungsflächendaten aus Aufschlüssen im Kaiserstuhl zeigen (N)NW-(S)SE-, NNE-SSW- und NE-SW-
streichende Störungen (Abb. 3.6). Diese Richtungen finden sich auch in den kartierten Lineamenten.
Der Störungsflächendatensatz lässt sich in drei homogene Teil-Datensätze mit jeweils
unterschiedlichen Orientierungen der Extensionsrichtung unterteilen, d.h. NW-SE, N-S und NE-SW.
Abbildung 3.6: Flächentreue stereographische Projektion in die untere Hemisphäre von Störungsflächen und
Harnischlineationen (“Versatzvektoren”) aus Aufschlußuntersuchungen im Kaiserstuhl mit und den drei durch
Inversion abgeleiteten unterschiedlichen Paläospannungsfeldern. Rote Konturierung gibt die
Häufigkeitsverteilung der Orientierung der jeweils kleinsten Horizontalspannung wieder.
Diese drei unterschiedlichen Extensionsrichtungen werden auch von den tektonischen Klüften im
Kaiserstuhl abgebildet (Abb. 3.7). Innerhalb der letzten ca. 19 Ma lassen sich somit anhand von
Störungen, Klüften und Lineamentanalysen drei Deformationsphasen nachweisen (Abb. 3.6, 3.7). Die
stereographische Projektion in Abb. 3.6 (rechts) ist kompatibel mit einer Deformationsaufteilung in
NW-streichende Abschiebungen und N(NE)-S(SW)-streichende sinistrale Blattverschiebungen. Diese
25 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
Deformationsaufteilung ist typisch für Transtension und kompatibel mit der regionalen NE-SW-
Orientierung der kleinsten Hauptnormalspannung des rezenten Spannungsfeldes.
Abbildung 3.7: Kluftorientierungsdaten Kaiserstuhl in Großkreisdarstellung (links) und im Rosendiagramm
(rechts). Unterteilung im Rosendiagramm in 10°-Klassen. N: Anzahl der Meßwerte.
3.3.3 Strukturgeologische Untersuchungen in anderen oligozänen-miozänen Gesteinen
Zur Validierung der Ergebnisse vom Kaiserstuhl wurden in den 17-14 Ma alten Gesteinen des
Vogelsberges am nördlichen Ende des Oberrheingrabens eine Bachelorarbeit zur Deformationsanalyse
vergeben und betreut (Herrmann, 2018). Darüber hinaus wurden die aufgelassenen Steinbrüche des
känozoischen Olivin-Nephelinit-Vorkommens bei Forst i.d. Pfalz und die Tongrube „Dammstücker“ bei
Nußloch, die die unteren Meletta-Schichten (ca. 30 Ma) aufschließt (Abb. 3.8), strukturgeologisch
untersucht.
Abbildung 3.8: Links: NW-SE-orientierte Klüfte mit Fe-Oxidbelägen in tonig-siltig-mergeligen Meletta-Schichten in der Tongrube „Dammstücker“ bei Nußloch. Rechts: Meßwerte von Kluftflächen und ihre statistische Auswertung im Rosendiagramm (10°-Klassen).
26 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
Die strukturgeologischen Daten der Störungsflächen vom Vogelsberg lassen sich ebenfalls in drei homogene Störungspopulationen unterteilen (Herrmann, 2018). Deren Inversion ergab ebenfalls drei unterschiedliche Paläospannungsfelder mit NW-SE-, N-S- und NE-SW-Extensionsrichtungen. In den aufgelassenen Olivin-Nephelinit-Steinbrüchen bei Forst sind NW-streichende Störungen mit auffälligen Alterationserscheinungen aufgeschlossen, allerdings konnte aufgrund der schwierigen Begehbarkeit keine kinematischen Indikatoren gefunden werden. Die Orientierung der Abkühlungsklüfte deutet auf eine initiale NNE-SSW-Förderspalte hin, die von einer jüngeren NE-SW-orientierten Förderspalte überprägt wurde. Die Tongrube „Dammstücker“ schließt karbonathaltige, glimmerige Sande, Silte und Tone der unteren Meletta-Schichten auf. In diesen gering verfestigten Gesteinen treten Klüfte auf, die z.T. mit Fe-Oxiden belegt sind (Abb. 3.8). Eine ≥2 m mächtige Sandsteinlage im untersten Abschnitt der Tongrube wurde für petrographische Untersuchungen beprobt, die in AP 7 beschrieben werden.
3.3.4 Lineamentanalyse im Oberrheingraben
Lineamentanalysen im Oberrheingraben sind aufgrund der intensiven anthropogenen Überprägung (Siedlungen, Ackerbau, Infrastruktur) sehr herausfordernd. Eine erste Untersuchung der östlichen Seite des Oberrheingrabens in Baden-Württemberg mit LiDAR DGM5-Daten wurde von Beckenbach (2016) durchgeführt. Schwerpunkt dieser Arbeit waren die rechtsrheinischen fluvialen Strukturen und deren flussgeschichtliche Entwicklung. Die Arbeit von Beckenbach (2016) arbeitet mit extrem starken Überhöhungen und dem Programm Terrain View. Bevor mit eigenen Lineamentanalysen begonnen wurde, wurde die Arbeit von Beckenbach (2016) nach potenziellen Lineamenten durchsucht. Eine auffällige lineare Struktur mit morphologisch dokumentierbarem Sprung erstreckt sich südlich von Karlsruhe (Abb. 3.9). Anhand des eigenen Datensatzes wurde in GIS das Höhenintervall 110 m ü. NN bis 120 m ü. NN in Arc-GIS untersucht. Auch ohne Überhöhung ist die NNE-SSW-orientierte lineare und über >5 km verfolgbare Struktur deutlich erkennbar (Abb. 3.9). Diese lineare Struktur ist durch eine Geländestufe charakterisiert, wobei die westliche Seite relativ zur östlichen ≥2 m tiefer liegt. Im nördlichsten Abschnitt dieser Struktur ist dort ein ausgedehntes Feuchtgebiet zu beobachten.
Abbildung 3.9: Das digitale Geländemodell dokumentiert eine NNE-SSW-orientierte lineare Struktur in
pleistozänen-holozänen Sedimenten zwischen der Autobahn-Anschlußstelle Karlsruhe-Süd (AS KA-Süd) und dem
Hauptbahnhof Karlsruhe (Hbf.). Das aufgelöste Höhenintervall beträgt 10 m (110 m ü. NN bis 120 m ü. NN).
Im südlichen Abschnitt schneidet die Struktur Kiesrücken der pleistozänen Aufschotterungsebene ab. Hier fließt die Alb direkt entlang dieser linearen Struktur nach NNE bevor sie nach N abbiegt und
27 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
südwestlich des Hauptbahnhofes die NW-Richtung zum Rhein einschlägt. Die wesentlich markantere Fließrinne einer proto-Alb, die hier einen ausgeprägten 90°-Bogen beschreibt und sich westlich der rezenten Alb befindet, ist ebenfalls deutlich erkennbar. Ob der Verlauf der proto-Alb primär durch eine NW-orientierte Struktur oder durch rein erosive Tätigkeit erfolgte, ist anhand des DGM nicht eindeutig entscheidbar (Abb. 3.9). Aufgrund der lokal veränderten Topographie ist die Fließrichtung der Fließrinnen unmittelbar östlich der Struktur ostwärts gerichtet. Deshalb wird diese lineare Struktur hier als junge Störung interpretiert.
3.4 Diskussion der Ergebnisse Die Lineamentanalyse dokumentiert, dass die spröde Deformation des kristallinen Sockels im mittleren
und nördlichen Schwarzwald strukturell vor allem von den – inzwischen weitestgehend erodierten –
NE-SW-orientierten Permokarbon-Becken und assoziierten (N)NW-(S)SE-Strukturen dominiert wird.
Das ist ein wesentlicher Unterschied zum südlichen Schwarzwald, in dem WNW-ESE-orientierte
Lineamente dominieren (Meixner et al., 2018). Da NE-SW-Störungen im rezenten Spannungsfeld sehr
geringes Reaktivierungspotenzial aufweisen, sind diese Unterschiede zwischen dem südlichen und
dem mittleren bis nördlichen Schwarzwald die strukturgeologische Hauptursache für die
vergleichsweise geringere natürliche Seismizität.
Die Strukturdaten vom Kaiserstuhl, vom Vogelsberg, der Tongrube „Dammstücker“ und vom
Pechsteinkopf lassen sich in der Zusammenschau konsistent interpretieren: Sie dokumentieren eine
wesentlich komplexere und großräumiger nachweisbare neogene Deformationsabfolge als bisher
bekannt. Die WNW-Transtension war bis ins mittlere Miozän (ca. 16 Ma) aktiv und wurde von einer N-
S-Transtension abgelöst, die wahrscheinlich mit den großräumigen Hebungsprozessen in
Südwestdeutschland (Schwarzwald-Hegau) in Verbindung stand und im Zeitraum von ca. 16 Ma bis
ca. 5 Ma aktiv war – entsprechend dem regionalen Hiatus im Oberrheingraben. Das rezente
Spannungsfeld ist mit der diskordanten Ablagerung der pliozänen Sedimente auf ältere tertiäre
Gesteine wahrscheinlich seit ca. 5 Ma aktiv. Feinstratigraphische Untersuchungen im Pliozän könnten
diesen Zeitraum noch ein bisschen besser eingrenzen. Die Störungsflächendaten vom Kaiserstuhl
zeigen, dass (N)NW-(S)SE-orientierte Störungen in den letzten 19 Ma als sinistrale, dextrale
Blattverschiebungen und Abschiebungen reaktiviert wurden (Abb. 3.6). NE-SW-orientierte Störungen
waren als dextrale Schrägabschiebungen bzw. Blattverschiebungen während einer N-S-Transtension
aktiv (Abb. 3.6).
Die sinistralen (N)NE-(S)SW-orientierten Blattverschiebungen und die NW-SE-orientierten
Abschiebungen entsprechen den aus der Seismologie bekannten aktiven Störungssystemen in
Südwestdeutschland. Die für die Geothermie interessantesten Störungssysteme bilden hierbei die
NW-SE-streichenden Abschiebungen.
3.5 Publikationsaktivitäten im Rahmen des Projektes Die Ergebnisse vom Kaiserstuhl wurden auf der GeoBonn-Tagung im September 2018 und auf dem
European Geothermal Workshop in Straßburg im Oktober 2018 präsentiert (Grimmer, 2018a; b). Der
Tagungsbeitrag zur GeoBonn wurde vom Fachkollegium wahrgenommen und führte Ende November
2018 zu einer Vortragseinladung von J.C. Grimmer an die Universität Tübingen des internationalen
AlkCarb-Projektes (https://www.bgs.ac.uk/hiTechAlkCarb/blog.html#workshopInTübingen).
3.6 Danksagung Für den fachlichen Austausch und die gute Zusammenarbeit danke ich Herrn Dr. Jörg Meixner. Den
Behörden und Steinbruchbetreibern, die mir und dem BSc-Studenten Zugang zu Steinbrüchen gewährt
haben, sei ebenfalls für ihre Unterstützung gedankt. Für die unkomplizierte Bereitstellung der
Punktwolkendaten danke ich der LUBW Karlsruhe.
28 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
3.7 Referenzen Beckenbach, E. (2016) Geologische Interpretation des hochauflösenden digitalen Geländemodells
von Baden-Württemberg. Dissertation Universität Stuttgart, 307 S. Eisbacher, G.H. (1996) Einführung in die Tektonik. 2. Auflage, Enke Verlag, Stuttgart, 374 S. Grimmer, J.C., Ritter, J., Eisbacher, G.H., Fielitz, W. (2017) The late Variscan control on the location and
asymmetry of the Upper Rhine Graben. International Journal of Earth Sciences, 106/3, 827-853. Grimmer, J.C. (2018a) GIS-based DEM5-LiDAR lineament analysis and fault-slip data from the
Kaiserstuhl volcanic edifice and first structural data from the Vogelsberg volcanic field: Implications for Neogene deformation in the Upper Rhine Graben area. GeoBonn 2018 Abstracts, 100-101.
Grimmer, J.C. (2018b) Neogene deformation in the Upper Rhine Graben area: Implications from GIS-based DEM5-LiDAR lineament analysis and fault-slip data from the Kaiserstuhl volcanic edifice. 6th European Geothermal Workshop Strasbourg.
Grimmer, J.C. (2019) GIS-based LiDAR-DEM5 lineament analysis in crystalline basement rocks of the
central and northern Black Forest, SW-Germany. European Geothermal Workshop, Karlsruhe.
Herrmann, M. (2018) Strukturgeologische und petrographische Analyse der neogenen Deformation im Vogelsberg. BSc-Arbeit, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), 48 S.
Kraml, M., Pik, R., Rahn, M., Selbekk, R., Carignan, J., Keller, J. (2006) A New Multi-Mineral Age Reference Material for 40Ar/39Ar, (U-Th)/He and Fission Track Dating Methods: The Limberg t3 Tuff. Geostandards and Geoanalytical Research 30/2, 73-86.
KTB (1986) Kontinentales Tiefbohrprogramm der Bundesrepublik Deutschland – Ergebnisse der Vorerkundungsarbeiten Lokation Schwarzwald. 2. KTB-Kolloquium Seeheim/Odenwald, 160 S.
Meixner, J., Grimmer, J.C., Becker, A., Schill, E., Kohl, T. (2018) Comparison of different digital elevation models and satellite imagery for lineament analysis: Implications for identification and spatial arrangement of fault zones in crystalline basement rocks of the southern Black Forest (Germany). Journal of Structural Geology, 108, 256-268.
LGRB (2006) Geologische Karte des Schwarzwaldes, Maßstab 1:150.000. Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau.
Marrett, R.A., Allmendinger, R.W. (1990) Kinematic analysis of fault-slip data. Journal of Structural Geology 12, 973-986.
Rupf, I., Nitsch, E. (2008) Das Geologische Landesmodell von Baden-Württemberg: Datengrundlagen, technische Umsetzung und erste geologische Ergebnisse. LGRB Informationen 21, 82 S.
Simon, J.L. (2019) Forty years of paleostress analysis: has it attained maturity? Journal of Structural Geology 125, 124-133.
Twiss, R.J., Moores, E. (2007) Structural Geology. 2. Auflage, Freeman and Company, New York, 736 S. Wimmenauer, W. (2003) Geologische Karte von Baden-Württemberg 1: 25.000 Erläuterungen zum
Blatt Kaiserstuhl. Freiburg i. Br., Geologisches Landesamt Baden-Württemberg.
AP4: Untersuchung des Einflusses von Fehlern in Geschwindigkeitsmodellen auf die
relative Lokalisierung von Erdbeben zur Steigerung der Verlässlichkeit von
Erdbebenlokalisierungen
• Projektleitung und Bearbeitung: Dr. E. Gaucher, Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
4.1 Einleitung AP4 Die genaue Lokalisierung der induzierten Seismizität ist wesentlich im Zusammenhang mit der Nutzung unterirdischer Ressourcen insbesondere für die Geothermie. Die Interpretation der zeitlichen und räumlichen Verteilung der Induzierten Seismizität ist von entscheidender Bedeutung und zwar einerseits hinsichtlich der Risikominimierung und zum anderen im Hinblick auf die Entwicklung des geothermischen Reservoirs und damit die Wirtschaftlichkeit der Projekte. In diesem Projekt wird der Einfluss von Fehlern im Geschwindigkeitsmodell auf die Bestimmung der Erdbebenherd mit der Methode der relativen Lokalisierung modelliert und analysiert, um die Auswirkungen auf die räumliche Verteilung von Ereignissen besser zu verstehen. Dies gilt auch für den tiefengeothermischen Standort von Rittershoffen (Elsass), dem jüngsten Kraftwerk des Oberrheingrabens, das derzeit in Betrieb ist. Die seismische Überwachung ist ein Beobachtungsinstrument, das an jedem tiefengeothermische Standort eingesetzt werden muss, um die mit der Entwicklung und der Erzeugung des Reservoirs verbundene Erdbebengefährdung zu verringern und das Reservoir außerhalb der Bohrlöcher, insbesondere des Bruch- und Störungssystems, zu charakterisieren [Barth and Gaucher, 2012]. Beide Anwendungen verlassen sich auf die korrekte Überwachung des Gebiets, die nicht nur die lokale Seismizität erkennen sollen, sondern auch richtig lokalisieren müssen. Die räumliche Lage des Erdbebenherdes (i.e. des Hypozentrums) ist das primäre Attribut zusammen mit dem Ursprungszeit, auf dem viele Interpretationen und Auswertungen beruhen: Kartierung der Brüche und Störungen, Positionierung zukünftigen Geothermiebohrungen, thermo-hydromechanische Modellierung des Reservoirs u.a. Im Allgemeinen erfordert die Lokalisierung von Erdbeben 1) die Detektion der Ankunftszeiten der P- und S-Wellen auf den Seismogrammen, die von den Stationen des Netzwerks aufgezeichnet wurden, und 2) ein Ausbreitungsgeschwindigkeitsmodell für beide Wellen lokalisiert. Die Polarisation der P-Welle kann auch verwendet werden [Gaucher, 2016], insbesondere wenn die seismische Überwachung in tiefen Bohrlöchern durchgeführt wird [Oye and Roth, 2003; Kinscher et al., 2015]. Die Lokalisierung eines Erdbebens ist ein inverses Problem, das darin besteht, die Maximierung der Ähnlichkeit zwischen beobachteten Daten (Ankunftspicks seismischer Wellen) und modellierten Daten (Ausbreitung seismischer Wellen in einem gegebenen Geschwindigkeitsmodell), indem die erste Vermutung des Hypozentrums (und seines Ursprungszeit) variiert wird. Dieses Problem kann für ein Ereignis gelöst werden, das als "absolute Lokalisierung" bezeichnet wird, aber auch für mehrere Ereignisse gleichzeitig, das als "relative Lokalisierung" bezeichnet wird. Per Definition ist es nicht möglich mit relativer Lokalisierung, die absolute Position des Hypozentrums wiederherzustellen, obwohl es die Form von Erdbebenhaufen besser beschreiben sollte. Aber dieses Verfahren hat zwei Vorteile gegenüber dem ersten. Erstens wird das inverse Problem festgelegt, um die Ähnlichkeit zwischen beobachteten und modellierten Daten für alle oder paarige Ereignisse gemeinsam zu maximieren, was verbessert die Gesamtkonsistenz. Zweitens werden die beobachteten und modellierten Laufzeiten transformiert, um Laufzeitunterschiede an einer bestimmten Station für Ereignisse, die sehr ähnlich aussehen, darzustellen. Diese Technik soll die mit dem Geschwindigkeitsmodell in der Wellenausbreitungszone verbundenen Unsicherheiten beseitigen, die nicht zwischen den Paaren ähnlicher Ereignisse liegen. Erste Untersuchungen mit der Methode der relativen Lokalisierung stammen von Poupinet et al. [1984] und später von Waldhauser and Ellsworth [2000]. Obwohl relative Lokalisierung genauer als absolute Lokalisierung ist und die Tendenz, die seismischen Ereignisse zu clustern, hat, die ist nicht fehlerfrei. Variationen des Geschwindigkeitsmodells in der Nähe der Quelle werden jedoch häufig vernachlässigt, und wir möchten die damit verbundenen Effekte untersuchen. Nämlich, diese Fehler müssen richtig quantifiziert werden, um eine sinnvolle geometrische Interpretation der Ergebnisse zu ermöglichen.
30 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
Um dies zu untersuchen, teilen wir unsere Arbeit in drei Teile. Zunächst beschreiben wir den theoretischen Hintergrund des relatives Lokalisierungsverfahrens, das wir implementiert haben und die Unsicherheiten berücksichtigt. Nachdem wir die Methode an einem perfekten Fall getestet haben, stellen wir den tiefen geothermischen Standort vor, an dem sie angewendet wird und an dem Geschwindigkeitsmodellfehler existieren und modelliert werden können. Schließlich vergleichen wir die Ergebnisse der relativen Lokalisierung im falschen Geschwindigkeitsmodell mit denen, die im richtigen Geschwindigkeitsmodell erwartet werden.
4.1.1 Bayes´sche Ansätze für die relative Erdbebenlokalisierung
Um Unsicherheiten im Lokalisierungsproblem richtig zu berücksichtigen, wurde die von Poliannikov et al. [2013] Verfahren implementiert. Es ermöglicht die Lokalisierung von Erdbeben relativ zu einem Referenzbeben, dessen Hypozentrum als perfekt lokalisiert angenommen wird. Die Problemformulierung produziert als Ergebnis eine probabilistische Lokalisierung eines Erdbeben-Hypozentrums, d.h. die dreidimensionale Ungenauigkeit in der Lokalisierung eines Erdbeben-Hypozentrums wird quantifiziert. Darüber hinaus ist die nichtlineare Formulierung an jede Geschwindigkeitsmodellkomplexität angepasst, solange der zur Modellierung der theoretischen seismischen Ankunftszeiten verwendete Ray Tracer mit solch komplexen Modellen umgehen kann. Daher ist dieser Ansatz gut für die Überwachung von unterirdischen Lagerstätten geeignet, bei denen sich die geologischen und damit verbundenen elastischen Eigenschaften räumlich stark ändern. Gleichung 1 zeigt die Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion eines Erdbebenherds aus relativer Lokalisierung:
𝑝𝑟𝑒𝑙(𝑿|�̅�𝑜𝑏𝑠) =1
√(2𝜋)𝑛|𝛏|exp (−
1
2((�̅�𝑜𝑏𝑠 − �̅�𝑐𝑎𝑙(𝑿)) 𝛏−1 (�̅�𝑜𝑏𝑠− �̅�𝑐𝑎𝑙(𝑿))
𝑡)) Gleichung 1
mit 𝑿, der Erdbebenherd,
�̅�𝑜𝑏𝑠, der Vektor der beobachteten P- und/oder S-Ankunftszeitenunterschiede minus deren Durchschnitt,
�̅�𝑐𝑎𝑙(𝑿), der Vektor der theoretischen P- und/oder S- Ankunftszeitenunterschiede minus deren Durchschnitt,
𝝃, die Kovarianzmatrix der beobachteten Unsicherheiten der Ankunftszeitunterschiede,
𝑛, die Anzahl der Ankunftszeitenunterschiede.
Diese Formulierung ist der von Tarantola and Valette [1982] vorgeschlagenen Formulierung sehr ähnlich, die
allgemein akzeptiert wird und für absolute Erdbeben-Lokalisierung verwendet. Also, die
Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion eines Erdbebenherds aus absoluter Lokalisierung wird geschrieben:
𝑝𝑎𝑏𝑠(𝑿|�̅�𝑜𝑏𝑠) =1
√(2𝜋)𝑛|𝐂|exp (−
1
2((�̅�𝑜𝑏𝑠 − �̅�𝑐𝑎𝑙(𝑿)) 𝐂−1 (�̅�𝑜𝑏𝑠− �̅�𝑐𝑎𝑙(𝑿))
𝑡)) Gleichung 2
mit 𝑿, der Erdbebenherd,
�̅�𝑜𝑏𝑠, der Vektor der beobachteten P- und/oder S-Ankunftszeiten minus deren Durchschnitt,
�̅�𝑐𝑎𝑙(𝑿), der Vektor der theoretischen P- und/oder S-Ankunftszeiten minus deren Durchschnitt,
𝑪, die Kovarianzmatrix der beobachteten Ankunftszeitunsicherheiten,
𝑛, die Anzahl der Ankunftszeiten.
Daher, 𝝉 (in Gleichung 1) und 𝑻 (in Gleichung 2) sind durch die Gleichung 𝝉 = 𝑻 − 𝑻𝒓𝒆𝒇 verbunden, mit 𝑻𝒓𝒆𝒇
die Ankunftszeit der P- oder S-Welle des Referenzerdbebens.
Dieses relative Lokalisierungsverfahren unterscheidet sich jedoch von dem von Waldhauser and Ellsworth
[2000] vorgeschlagenen analytischen Ansatz, genannt HypoDD. In letzterem liegen alle Erdbeben relativ
zueinander und das Problem wird um die richtige Lösung linearisiert. Die Linearisierung ermöglicht es, das
Problem der relativen Position der Ereignisse zu lösen, indem eine große Matrix invertiert wird und zwischen
einer ersten Hypozentrumsschätzung und der optimalen iteriert wird. Eine zuverlässige Quantifizierung der
Unsicherheiten mit diesem Ansatz ist jedoch schwierig [Waldhauser and Ellsworth, 2000].
Die Ergebnisse beider Methoden werden später verglichen.
31 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
4.2 Methodik Um das relative Lokalisierungsverfahren im Vergleich zum absoluten Lokalisierungsverfahren und HypoDD
zu testen, haben wir die in der Abbildung 4.1 skizzierte Methodik angewendet. Diese Methode ähnelt der
von Kinnaert et al. [2016], die den absoluten Lokalisierungsfehler untersuchten.
Um die Fähigkeiten der Lokalisierungsmethoden ohne externe Verzerrung zu überprüfen und zu bewerten,
wird eine synthetische Modellierung durchgeführt. Zuerst wird eine Reihe von seismischen Quellen definiert
(1). Dann wird die Berechnung der Laufzeit der seismischen Wellen in einem festen Geschwindigkeitmodell
(2) unter Verwendung des von Podvin and Lecomte [1991] entwickelten Eikonal-Raytracers durchgeführt (3).
Es wird angenommen, dass das Geschwindigkeitsmodell die Realität darstellt. Dies führt zu einer Reihe von
P- und S-Wellen-Ankunftszeiten an den verschiedenen Stationen des Netzwerks (4). Nach der Einführung
Unsicherheiten (5) werden diese Ankunftszeiten als die tatsächlich beobachteten Ankunftszeiten
angenommen. Anschließend wird das Erdbeben in einem anderen Geschwindigkeitsmodell (5) lokalisiert, das
das reale Modell darstellen soll. Die unterschiedlichen Lokalisierungsansätze werden angewendet (6) und
führen zu einer unterschiedlichen Lokalisierung der synthetischen Erdbebenherden (7). Schließlich werden
die Relokalisierungen der Hypozentren mit den wahren Anfangshypozentren verglichen (8).
Abbildung 4.1: Skizze der Methodik zur Anwendung und zum Vergleich der Erdbebenlokalisierungsmethoden.
Dieses Verfahren ermöglicht die Unterscheidung zwischen 1) Ungenauigkeiten, die der Differenz zwischen
den anfänglichen und den verlagerten Hypozentren entsprechen, und 2) Unsicherheiten, die sich aus den
Ankunftunsicherheiten ergeben. Im Folgenden wird die Unsicherheit eines Hypozentrums durch die halbe
Länge der Längsachse des Ellipsoids mit einer Wahrscheinlichkeit von 68,3% quantifiziert.
4.3 Rittershoffen-Fallstudie
4.3.1 Geothermiefeld Rittershoffen - Hintergrundinformation
Rittershoffen liegt ca. 7 km südöstlich von Soultz-sous-Forêts im Nord-Elsaß in Frankreich (Abbildung 4.2).
Seit Mai 2016 erzeugt die geothermische Anlage 24 MWth bei 170 °C und 70 L/s. Die Erdwärme wird 15 km
von der Anlage entfernt in einem speziellen Kreislauf zu einer Bioraffinerie in Beinheim transportiert und
genutzt [Baujard et al., 2017]. Der Standort Rittershoffen liegt in einem Bereich einer großen thermischen
Anomalie mit einem hohen thermischen Gradienten. Anders als das geothermische Feld von Soultz-sous-
Forêts, bilden – ähnlich wie in Landau und Insheim – der triassische Buntsandstein und ein darunter
anstehender paläozoischer Granit das geothermische Reservoir. Zwischen 2012 und 2014 wurden die
32 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
Bohrungen und die Erschließung des Reservoirs durchgeführt. Beide Bohrlöcher der Dublette wurden bis zu
2500 m Tiefe gebohrt, entsprechend ca. 200 m unterhalb der Grenze zwischen Buntsandstein und Granit.
Um beide Gesteine anzubohren, zielen beide Bohrlöcher auf eine Abschiebung, die Buntsandstein gegen
Granit versetzt. Diese Störung streicht ca. N-S und fällt mit ca. 60° nach Westen ein. Die Vertikalkomponente
der Abschiebung beträgt ca. 200 m.
2013 wurden im ersten Bohrloch, GRT1, erfolgreiche Stimulationen durchgeführt, um die Konnektivität mit
dem Reservoir zu verbessern [Baujard et al., 2017]. Diese Operationen wurden im April 2013 bzw. im Juni
2013 in zwei Sequenzen angewendet; beide induzierten Seismizität [Maurer et al., 2015]. Mehrere hundert
Ereignisse wurden von einem seismischen Oberflächennetz aufgezeichnet, erfasst und lokalisiert, alle mit
einer lokalen Magnitude von weniger als ML = 1,6. Die Seismizität konzentriert sich um GRT1 und in einer
Tiefe zwischen 1,5 und 3,5 km. Die seismische Wolke ist in etwa N-S bis NNE-SSW orientiert und ist ungefähr
2 km lang, 1 km breit und 2 km hoch. Das zweite Bohrloch, GRT2, wurde nicht stimuliert, da aufgrund
artesischer Druckverhältnisse genug Wasser zur Verfügung stand.
Vor und während der Erschließung des geothermischen Reservoirs wurde das Gebiet durch ein mit der Zeit
zunehmend dichteres seismisches Netzwerk überwacht [Gaucher et al., 2013]. Diese Studie verwendet das
Netzwerk, das die chemischen und hydraulischen Stimulationen des Bohrlochs GRT1 (Juni 2013) überwacht.
Es wird als Referenz für die Standortfehleranalyse herangezogen. Es besteht aus 17 Oberflächenstationen,
allerdings konnten die beiden am weitesten entfernten Stationen nicht genutzt werden, weil das Signal-
Rausch-Verhältnis der induzierten Seismizität zu niedrig war. Wie in Abbildung 4.3 gezeigt, deckt dieses
Netzwerk nur den nördlichen Teil von GRT1 ab, und die damit verbundenen Fehler bei der Erdbebenortung
werden diskutiert.
Abbildung 4.2: Lage des Standortes Rittershoffen parallel zu den anderen geothermischen Standorten am Oberrhein.
Abbildung 4.3: Lage von seismischen Stationen Überwachung der Bohrlochstimulation GRT1.
4.3.2 Modellierungsparameter
Diese Arbeit kann als Erweiterung der Arbeit von Kinnaert et al. [2016] in Rittershoffen gesehen werden. Daher werden ähnliche Modellierungsparameter verwendet. Die induzierten Erdbeben liegen höchst-wahrscheinlich auf einer größeren Störungsfläche, die von der Bohrung GRT1 durchteuft wurde (Abbildung 4.5). Deshalb wurden für den Test der Lokalisierungsmethoden eine Serie von synthetischen Quellen im Abstand von jeweils 50 m auf einer als planar angenommenen Störungsfläche platziert (Schritt 1 von Abbildung 4.1).
LandauInsheim Bruchsal
Soultz-sous-Forêts
Rittershoffen
100 km
Upper Rhine Graben
33 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
Um die Geschwindigkeitsmodelle zu erstellen, werden Daten eines in GRT1 gemessenen zero-offset VSP und eines vollständigen akustischen Logs zusammengeführt, um ein 1D-Geschwindigkeitsmodell mit horizontalen Schichten zu erstellen. Die seismischen Geschwindigkeiten ändern sich in den wichtigsten stratigraphischen Schichten (Abbildung 4.4.4). Dieses 1D-Geschwindigkeitsmodell der Schichten wird verwendet, um die Erdbeben zu lokalisieren (Schritte 5 und 6 von Abbildung 4.1). Aus diesem 1D-Modell wird auch ein 3D-Modell erstellt, das den vertikalen Versatz entlang der Störungsfläche, die GRT1 kreuzt, berücksichtigt (Abbildung 4.5). Diese Störung setzt sich nach Norden mit einem Einfallen von 60° nach W weiter fort. Diese Information wurde in das Geschwindigkeitsmodell mit aufgenommen. Dieses 3D-Geschwindigkeitsmodell wird deshalb als einigermaßen realitätsnah angesehen und wird verwendet, um die an den Stationen gemessenen Zeiten zu berechnen (Schritte 2 bis 4 von Abbildung 4.1). Schließlich wurden die Unsicherheiten beim Aufnehmen der P- und S-Wellen-Ankunftszeiten als repräsentativ für die bei den realen Seismogrammen beobachteten Unsicherheiten angesehen und in Abhängigkeit von der seismischen Station auf ±20 ms und ±50 ms eingestellt (Schritt 5 von Abbildung 4.1).
4.3.3 Überprüfung des relativen Lokalisierungscodes
Ohne Variation des Geschwindigkeitsmodells zwischen Schritt 2 und 5 und mit ähnlichen Unsicherheiten bezüglich der Ankunftszeiten sollten die absoluten und relativen Lokalisierungsmethoden ähnliche Ergebnisse liefern. Darüber hinaus sollten die Ergebnisse der ursprünglichen Position der synthetischen Hypozentren entsprechen. Dies wurde überprüft und validiert mit den zur Lokalisierung der Ereignisse verwendeten numerischen Codes.
Abbildung 4.4: 1D-Geschwindigkeits-profile der P- und S-Modelle mit horizontalen Schichten.
Abbildung 4.5: 3D-Geschwindigkeitsmodel: der westliche Teil entspricht dem 1D-Geschwindigkeitsmodel, der östliche Teil ist entlang der Störung nach oben verschoben. Die Position der anfänglichen Hypozentren auf dem Fehler wird angezeigt (weiße Punkte).
4.3.4 Analyse der Lokalisierungsfehler
In diesem Fall repräsentiert das 3D-Geschwindigkeitsmodell die reale Erde und das 1D-Geschwindigkeitsmodell das Lokalisierungsmodell. Das 1D-Geschwindigkeitsmodell wird als Lokalisierungsreferenz verwendet, da solche Modelle häufig zur schnellen Lokalisierung von Erdbeben
34 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
verwendet werden, insbesondere in vorhandenen (halb-)automatischen seismologischen Softwares. Daher werden sie immer noch in vielen Anwendungen eingesetzt.
Absolute Relokalisierung aus NonLinLoc (Gleichung 2)
Um eine Referenz zu haben, wird zuerst die absolute Relokalisierung der synthetischen Ereignisse
durchgeführt. Die bekannte Software NonLinLoc [Lomax et al., 2000; Lomax, 2018] wurde mit der Gleichung
2 verwendet. Die Ergebnisse sind in Abbildung 4.6 und Abbildung 4.7 dargestellt.
Wie zu sehen ist (Abb. 4.6, 4.7), führt die Lokalisierung in dem 1D-Geschwindigkeitsmodell (anstelle des 3D-
Geschwindigkeitsmodells) zu großen Positionierungsungenauigkeiten. Tatsächlich sind die Quellen im
Durchschnitt 350 m östlich, 110 m tiefer und etwa 50 m südlich versetzt. Die Positionierungsunsicherheiten
erreichen ±225 m in den Sedimentgesteinen und ca. ±150 m im Granit. Somit sind die Ungenauigkeiten
größer als die Unsicherheiten. Man sieht auch, dass die ursprüngliche Fläche mit den Hypozentren verzerrt
und leicht desorientiert wurde. Unter Verwendung einer Hauptkomponentenanalyse ist die Planarität der
Relokalisierung gleich 0,9 (anstatt 1) und die Fläche ist hauptsächlich 1°N mit einer Neigung von 61°W
orientiert. Folglich wird die Form der anfänglichen seismischen Wolke nicht aufrechterhalten, was bedeutet,
dass die absolute Lokalisierung die Realität verändert.
Relative Relokalisierung aus Poliannikov (Gleichung 1)
In diesem Fall wurde die Gleichung 1 von Poliannikov angewendet. Neben der Verwendung der
Doppeldifferenzen wurde auch angenommen, dass die Seismogramme der synthetischen Quellen ähnlich
genug waren, um eine Seismikwellenabtastung durch Kreuzkorrelation zu ermöglichen, wodurch die
Ankunftsunsicherheiten auf ±3,3 ms verringert werden. Diese letzte Hypothese wirkt sich nur auf die
Relokalisierungsunsicherheiten aus, nicht auf die Ungenauigkeiten. Darüber hinaus soll die Referenz für die
relative Lokalisierung der zentrale Punkt der absoluten relokalisierten Hypozentren sein (da dies unser bestes
Wissen darstellen würde). Die Ergebnisse sind in Abbildung 4.8 und Abbildung 4.9 dargestellt.
Abbildung 4.6: Absolute Relokalisierung der Erdbebenherde. Die ursprünglichen Hypozentren (graue Punkte) und die neuen (farbige Fläche) werden angezeigt. Die Flächenfarbe repräsentiert die Relokalisierungsunsicherheit.
Abbildung 4.7: Histogramm der Fehler der absoluten Relokalisierung in alle Richtungen.
-1000
-500
0
500
1000
Northing (m)
-5000
500
Easting (m)
1000
1200
1400
1600
1800
2000
2200
2400
2600
2800
3000
3200
1100
1200
1300
1400
1500
1600
1700
1800
1900
2000
2100
2200
2300
2400
2500
2600
2700
28002900
30003100
32003300
Depth (m MSL)
Uncertainty (m)
0
25
50
75
100
125
150
175
200
225
35 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
Abbildung 4.8: Relative Relokalisierung der Erdbebenherde. Die ursprünglichen Hypozentren (graue Punkte) und die neuen (farbige Fläche) werden angezeigt. Die Flächenfarbe repräsentiert die Relokalisierungsunsicherheit.
Abbildung 4.9: Histogramm der Fehler der relativen Relokalisierung in alle Richtungen.
Erwartungsgemäß ändert die relative Lokalisierung die Ungenauigkeiten in Bezug auf die absolute
Lokalisierung nicht viel. Im Gegensatz dazu nehmen die Unsicherheiten an den relokalisierten Hypozentren
stark ab, wenn die Kreuzkorrelation simuliert wird und daher kleine Ankunftsunsicherheiten angewendet
werden. Die Positionierungsunsicherheiten erreichen nur ±40 m und im Granit liegen sie bei ca. ±25 m. Dies
bedeutet eine Verschlechterung als zuvor, da die Ungenauigkeiten viel größer sind als die Unsicherheiten.
Folglich sind die Unsicherheiten weit davon entfernt, die tatsächlichen Lokalisierungsfehler darzustellen.
Die Geometrie der ursprünglichen Erdbebenfläche scheint jedoch besser wiederhergestellt zu werden. Die
anfängliche Verbreitung der Quellen bleibt erhalten. Aus der Hauptkomponentenanalyse ergibt sich eine
durchschnittliche Planarität der neu lokalisierten Ereignisse von 0,91. Leider werden die Richtung und die
Neigung der Fläche immer noch nicht reproduziert: -2°N und 62°W werden erhalten. Die Verteilung der
relativ relokalisierten Erdbeben entspricht noch nicht der Realität.
Für die relative Lokalisierung muss ein Referenz- oder Kalibrierungspunkt definiert werden. Daher wurde
entschieden, einen Kalibrierungsschuss zu simulieren, für den die Position genau bekannt ist. Dieser
Kalibrierungsschuss wird in GRT1 im Schnittpunkt mit der Störung aufgenommen und entspricht dem
Mittelpunkt der anfänglichen Hypozentren. Es ist übliche Praxis beim hydraulischen Fracking in Öl- und
Gasfelder, einen Perforationsschuss vor Stimulationsstufe durchzuführen. Dieser Kalibrierungsschuss könnte
als ein solcher Perforationsschuss angesehen werden. Die Ergebnisse sind in Abbildung 4.10Abbildung 4.8 und
Abbildung 4.11Abbildung 4.9 dargestellt.
Offensichtlich befinden sich nun die relativen relokalisierten Hypozentren in der Nähe der ursprünglichen Hypozentren. Die relokalisierten Quellen sind im Durchschnitt 20 m westlich, 30 m tiefer und etwa 40 m südlich versetzt. Die Unsicherheiten bleiben im Allgemeinen im Bereich derjenigen, die im vorherigen Fall erhalten wurden. Infolgedessen liegen Ungenauigkeiten und Unsicherheiten nun in der gleichen Größenordnung, wodurch das Risiko einer falschen Interpretation der Seismizität nur aus den Unsicherheiten minimiert wird. Außerdem bleibt die ursprüngliche Quellenausbreitung erhalten. Darüber hinaus ergibt die Hauptkomponentenanalyse eine Planarität von 0,95 für die endgültige Erdbebenfläche mit einem Azimut von 0,5°N und einer Neigung von 57°W. Die Erdbebenverteilung ist also in allen Aspekten sehr nahe an der ursprünglichen.
-1000
-500
0
500
1000
Northing (m)
-500
0500
Easting (m)
1000
1200
1400
1600
1800
2000
2200
2400
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36 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
Abbildung 4.10: Relative Relokalisierung der Erdbebenherden mit Hilfe eines Kalibrierungschusses. Die ursprünglichen Hypozentren (graue Punkte) und die neuen (farbige Fläche) werden angezeigt. Die Flächenfarbe repräsentiert die Relokalisierungsunsicherheit.
Abbildung 4.11: Histogramm der Fehler der absoluten Relokalisierung in alle Richtungen.
Vergleich der relativen Relokalisierungen aus Poliannikov und HypoDD
Schließlich wird die relative Relokalisierung in Bezug auf das Bohrloch, die mit der Poliannikov-Methode
erhalten wurde, mit der HypoDD-Methode von Waldhauser and Ellsworth [2000] verglichen. Das Ergebnis ist
in Abbildung 4.12 dargestellt. Beide Methoden führen zu ähnlichen Ergebnissen, doch wie bereits erläutert,
quantifiziert die probabilistische Methode von Poliannikov im Gegensatz zur linearen HypoDD-Methode die
Unsicherheiten der Hypozentren korrekt.
4.4 Fazit Die Methode der relativen Lokalisierung von Poliannikov et al. [2013] wurde erfolgreich implementiert,
getestet und auf den Geothermiestandort Rittershoffen angewendet. Die Modellierung ermöglichte es, die
Auswirkungen der absoluten und relativen Lokalisierung auf Hypozentren von Erdbeben zu quantifizieren,
wenn das für die Lokalisierung verwendete Geschwindigkeitsmodell nicht für die Realität repräsentativ war.
Die durchgeführte Analyse zeigt, dass die relative Lokalisierung relativ zu einer absoluten Lokalisierung die
geometrische Interpretation einer Seismizität auf einer Störung, d.h. zumindest ihre Ausdehnung, Richtung
und Neigung, verbessern kann. Diese Formanalyse sollte jedoch nicht mit der exakten Position der
seismischen Wolke verwechselt werden. Die Analyse dokumentiert auch, dass sich bei Fehlen eines
bekannten Referenzpunkts die relative Relokalisierung die (absolute) Positionierung der Quellen überhaupt
nicht verbessern würde, wenn das Geschwindigkeitsmodell falsch ist. Im Gegenteil, es kann zu
Fehlinterpretationen kommen, wenn die Differenz zwischen Unsicherheit und Ungenauigkeit nicht gemacht
wird. In der Tat werden die relativen Relokalisierungsmethoden häufig parallel zu Methoden zur
Verbesserung der Seismikwellenabtastung angewendet, die zu einer Verringerung der Unsicherheiten
führen, jedoch keine Konsequenzen auf die Genauigkeiten haben. Die Definition eines Kalibrierungspunktes,
dessen Position genau bekannt ist, bleibt unerlässlich, um ein relokalisiertes Hypozentrum in der Nähe des
erwarteten zu finden und korrekte Interpretation der Seismizitätverteilung vorzunehmen. Die verwendete
relative Lokalisierungsmethode liefert vergleichbare Ergebnisse wie die HypoDD-Methode, quantifiziert die
Unsicherheiten allerdings genauer und ist auch auf komplexe 3D-Geschwindigkeitsmodelle anwendbar.
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37 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
Abbildung 4.12: Relative Relokalisierungen der Erdbebenherde mit Hilfe eines Kalibrierungsschusses aus Poliannikov (grüne Fläche) und aus HypoDD (blaue Fläche). Die ursprünglichen Hypozentren (graue Punkte) und die neuen (farbige Fläche) sind ebenfalls dargestellt.
4.5 Präsentation der Ergebnisse aus AP4 E. Gaucher präsentierte auf einem Poster mehrere Ergebnisse dieses Arbeitspaketes: 1. Auf dem Geothermie Kongress, der am 12. und 13. September 2017 in München stattfand [Gaucher, 2017]. 2. Auf der jährlichen Generalversammlung der Europäischen Geowissenschaftlichen Union (EGU), die vom
8. bis 13. April 2018 in Wien stattfand [Gaucher and Kohl, 2018]. Siehe Anhang 4.1
4.6 Referenzen Barth, A., and E. Gaucher (2012) Monitoring geothermaler Felder durch seismische Netzwerke: Vorgaben und
Chancen, BBR - Leitungsbau Brunnenbau Geothermie, 12, 56–61. Baujard, C., A. Genter, E. Dalmais, V. Maurer, R. Hehn, R. Rosillette, J. Vidal, and J. Schmittbuhl (2017)
Hydrothermal characterization of wells GRT-1 and GRT-2 in Rittershoffen, France: Implications on the understanding of natural flow systems in the rhine graben, Geothermics, 65, 255–268, doi:10.1016/j.geothermics.2016.11.001.
Gaucher, E. (2016) Passives Seismisches Monitoring über die Polarisation der seismischen Wellen, AP5, in Kombinierte Voruntersuchungen für Tiefengeothermie-Labor, LUBW Projekt - Abschlussbericht L75 14001-14004.
Gaucher, E. (2017) How reliable is the geometrical interpretation of induced seismicity in geothermal fields?, in Der Geothermie Kongress.
Gaucher, E., and T. Kohl (2018) Reliability of geometrical interpretation of induced seismicity in geothermal fields, in EGU General Assembly: Geophysical Research Abstracts, vol. 20, EGU2018-18886.
Gaucher, E., V. Maurer, H. Wodling, and M. Grunberg (2013) Towards a dense passive seismic network over Rittershoffen geothermal field, in European Geothermal Workshop 2nd.
Kinnaert, X., E. Gaucher, U. Achauer, and T. Kohl (2016) Modelling earthquake location errors at a reservoir scale: a case study in the Upper Rhine Graben, Geophysical Journal International, 206, 861–879, doi:10.1093/gji/ggw184.
Kinscher, J., P. Bernard, I. Contrucci, A. Mangeney, J. P. Piguet, and P. Bigarre (2015) Location of microseismic swarms induced by salt solution mining, Geophysical Journal International, 200(1), 337–362, doi:10.1093/gji/ggu396.
Lomax, A. (2018), The NonLinLoc home page, http://alomax.free.fr/nlloc/. Lomax, A., J. Virieux, P. Volant, and C. Berge-Thierry (2000) Probabilistic Earthquake Location in 3D and
Layered Models, in Advances in Seismic Event Location, Modern Approaches in Geophysics, edited by C. Thurber and N. Rabinowitz, pp. 101–134, Springer Netherlands.
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38 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
Maurer, V., N. Cuenot, E. Gaucher, M. Grunberg, J. Vergne, H. Wodling, M. Lehujeur, and J. Schmittbuhl (2015) Seismic monitoring of the Rittershoffen EGS project (Alsace, France), in World Geothermal Congress, IGA.
Oye, V., and M. Roth (2003) Automated seismic event location for hydrocarbon reservoirs, Computers & Geosciences, 29(7), 851–863, doi:10.1016/S0098-3004(03)00088-8.
Podvin, P., and I. Lecomte (1991) Finite difference computation of traveltimes in very contrasted velocity models: a massively parallel approach and its associated tools, Geophys J Int, 105(1), 271–284, doi:10.1111/j.1365-246X.1991.tb03461.x.
Poliannikov, O. V., M. Prange, A. Malcolm, and H. Djikpesse (2013) A unified Bayesian framework for relative microseismic location, Geophysical Journal International, 194(1), 557–571, doi:10.1093/gji/ggt119.
Poupinet, G., W. L. Ellsworth, and J. Fréchet (1984) Monitoring velocity variations in the crust using earthquake doublets: an application to the Calaveras fault, California, Journal of Geophysical Research, 89, 5719–5731.
Tarantola, A., and B. Valette (1982) Inverse problems = quest for information, Journal of Geophysics, 50, 159–170.
Waldhauser, F., and W. L. Ellsworth (2000) A double-difference earthquake location algorithm: Method and application to the Northern Hayward fault, California, Bull. Seismol. Soc. Amer., 90(6), 1353–1368.
Anhang 4.1
39 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
AP5: Geochemische Charakterisierung tiefer Reservoirfluide
• Projektleitung und Bearbeitung: Prof. K. Bucher, Universität Freiburg; Prof. I. Stober, Karlsruher Institut für
Technologie (KIT); seit 10/2018: LGRB Freiburg, seit 07/2019: Universität Freiburg; Dr. Roman Schmidt,
Karlsruher Institut für Technologie (KIT; bis 04/2019)
Zusammenfassung AP5 Im Projekt AP5 "Geochemische Charakterisierung tiefer Reservoirfluide" haben wir Granitgneis und andere charakteristische Gesteine des kristallinen Grundgebirges mit 2M NaCl Salzlösung (Sole: 117 g L-1), wie sie für Tiefenwässer auch im Rheintalgraben typisch ist, bei 200 ˚C in Autoklaven reagieren lassen. Der Druck war durch die Siedekurve gegeben und betrug ~ 16 bar. Zusätzliche Experimente wurden mit Reinwasser und mit verdünnter Salzsäure als reaktivem Fluid gemacht. Die Reaktionszeiten variierten von 9 bis 112 Tagen. Es wurden zwei Kornfraktionen von den Tiefengesteinen verwendet: Sand 0.3-0.5 mm und Kies 3-5 mm. Nach den Experimenten wurden an den Fluiden pH, EC und die Hauptinhaltsstoffe analysiert, an einigen Fluiden auch ausgewählte Spurenelemente u.a. Barium. Ziel der experimentellen Studie war die zeitliche Entwicklung der Zusammensetzung von geothermalen Reservoirfluiden im kristallinen Grundgebirge herzuleiten und die potentielle Beeinträchtigung des geothermalen Systems durch Ausfällungen auf Klüften und durch Scaling zu prognostizieren. Die Kies-Sole Experimente zeigen eine frühe Phase von Ca Freisetzung durch Lösen von sekundären Karbonaten im Gestein. Ca nimmt jedoch mit zunehmender Dauer der Experimente wieder ab als Folge von Ionenaustausch an den Korn-Oberflächen. Der K-Na-1 Ionenaustausch ist der wichtigste Mechanismus für den Anstieg von K in den Sole-Fluiden. Das Kalium wird hauptsächlich aus den K-Feldspäten freigesetzt. Die K Freigabe des Biotits erfolgt durch einen Lösung-Fällung Prozess und nicht durch Ionenaustausch. Die fortschreitende Gesamtreaktion wird die berechnete Temperatur aus dem Na-K Geothermometer nach etwa 1-3 Jahren mit der tatsächlichen experimentellen Temperatur (hier 200 °C) konsistent machen. Wegen des geringen Transfers von Cl in die produzierten sekundären Schichtsilikate (Chlorit, Kaolinit) hat sich das Cl/Br Verhältnis im Fluid nicht verändert (in der verwendeten Sole war Cl/Br auf Meerwasser eingestellt und entsprach somit den Verhältnissen im Rheingraben Grundgebirge). Sulfat nimmt mit zunehmender Reaktionszeit ab, dies als Folge der Prozesskette: Oxydation der primären Sulfide im Gestein, Lösung von produziertem Eisensulfat und schließlich Nukleation und Ausfällung von unlöslichem Sulfat wie Baryt und Eisen als Fe(III)-Oxydhydrate. Die Sole bleibt mit Quarz untersättigt in allen Experimenten. Dies zeigt, dass die Feldspatlösung sehr langsam vor sich geht und das Qz-Geothermometer erst nach viel längerer Zeit (≫ 112 Tage) equilibriert. Dieser Befund ist in scharfem Gegensatz zu den Experimenten mit reinem de-ionisiertem Wasser, wo die Quarz-Sättigung-Temperatur und die gemessene Autoklaven-Temperatur bereits nach 40 Tagen Reaktionszeit übereinstimmen. Experimente mit reaktivem Tief-pH-Fluid (0.1 n HCl) lösen in kurzer Zeit große Mengen Feststoffe durch Hydrolyse von Primärmineralen der Grundgebirgsgesteine. Die beobachteten Prozesse des Ionenaustauschs, sowie Auflösung und Ausfällung von Mineralen aus den Gesteinen des Reservoirs im Grundgebirge verändern auf komplexe Weise die chemische Zusammensetzung der Tiefenfluide. Die Einstellung eines Gleichgewichts-nahen stationären Zustands dürfte etwa 1 - 3 Jahre in Anspruch nehmen. Die neugebildeten Sekundärminerale haben ein größeres Volumen als die Primärminerale und reduzieren die Apertur der Klüfte welche als Fließwege der geförderten und re-injizierten Fluide dienen. Die Reduktion der hydraulischen Leitfähigkeit des Reservoirs ist bei Granitgneis Reservoiren langsamer als in Paragneis oder Amphibolit Reservoiren. Der Ionenaustausch zwischen Feldspäten und den NaCl Fluiden ist ein wichtiger und effizienter Prozess und führt u.a. zur Freisetzung von Barium, welches als Baryt-Scales Geothermie-Anlagen beeinträchtigt. Für Prognosen der Baryt-Scale Gefahr wären Ba-Analysen von Feldspäten der potentiellen Reservoir-Gesteine nützlich. Die beiden Autoklaven sollen ab September 2019 für Experimente mit der Barium-Freisetzung aus Tiefengesteinen im neu beantragten Projekt „SENG“ eingesetzt werden. Das Ba-Sulfat (Baryt) ist das wichtigste und störendste Scaling-Mineral in Geothermie-Anlagen im Oberrheingraben.
40 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
5.1 Einleitung AP5 Die tiefe Geothermie basiert auf dem Transfer von thermischer Energie aus der Erdkruste an die Erdoberfläche, wo sie in mechanische und elektrische Energie umgewandelt oder auch direkt als thermische Energie für Heizzwecke von Gebäuden verwendet werden kann. Die thermische Energie wird durch Förderung von heißem Wasser aus Speichergesteinen im Untergrund an die Oberfläche gebracht. Das Wärmetransfermittel ist ein natürlich in den Klüften der Speichergesteine vorkommendes und meist salzhaltiges Wasser. Je nach mineralischer Zusammensetzung und Temperatur der Speichergesteine enthalten die geförderten Thermalwässer unterschiedliche gelöste Inhaltsstoffe. In der Regel reagieren diese heißen Tiefenwässer mit dem auf Klüften durchflossenen Gesteinsmaterial. Durch die Förderung der Thermalwässer aus der Produktionsbohrung werden in einem größeren Volumen geklüfteten Gesteins Tiefenfluide bewegt. Dasselbe gilt für die Injektionsbohrung, mit der abgekühltes Wasser rückgeführt wird. In der Umgebung beider Bohrungen sind die Wässer nicht im Gleichgewicht mit dem Gestein und reagieren auf komplexe Weise mit den Gesteinen im Wärmereservoir. Die vielfältigen komplexen chemischen Interdependenzen und Auswirkungen der Reaktion von Tiefenfluiden mit den Reservoirgesteinen sind ungenügend bekannt. Mit modernen geochemischen Modellrechnungen und state-of-the-art Software sind die Gestein-Fluid Wechselwirkungen nur sehr unsicher modellierbar. Direkte experimentelle Nachbildung der chemischen Wechselwirkung zwischen Reservoirgesteinen und Tiefenfluiden ist deshalb notwendig und hilft die chemischen Vorgänge im Wärme-Reservoir zu verstehen und die potentiellen Auswirkungen auf die Geothermie-Anlage und die Gewinnung von Wärme aus der Tiefe zu prognostizieren. Im Vorgänger-Projekt (Zuwendungsnummer: L75 14003, Förderzeitraum: 1.5.2014 – 31.12.2015) haben wir Gesteine mit frischen Bruchoberflächen aus der Region Schwarzwald und Rheintal in groß-volumigen Autoklaven mit einer NaCl Lösung (Salzwasser) reagieren lassen. Eine Gruppe von Experimenten wurde bei 200 °C eine weitere Gruppe bei 260 °C gefahren. Dies entspricht einer Reservoirtiefe von 5 km resp. 6,5 km für den geothermischen Gradienten im zentralen Teil des Rheintales. Die meisten Experimente liefen zwischen 40 und 55 Tagen. Die Experimente haben gezeigt, wie die Gesteinsoberflächen chemisch angegriffen werden, die Zusammensetzung der Fluide verändert wird und Mineralneubildungen auf den Kluftflächen potentiell die hydraulische Leitfähigkeit des Reservoirs verändert. Die detaillierten Resultate wurden in folgenden Arbeiten veröffentlicht: Schmidt et al. 2014, 2015a, 2015b). In dem aktuellen Projekt, AP5 in „TG CHARMING“, haben wir Experimente mit dem Ziel durchgeführt, den zeitlichen Verlauf der Veränderungen der Thermalwässer als Folge der Reaktionen mit dem wichtigsten Gesteinstyp der Reservoire im Grundgebirge zu erfassen. Dies ist wichtig für die Prognose der Stabilität und Entwicklung der Ergiebigkeit eines geothermischen Reservoirs innerhalb der angestrebten Betriebsdauer einer Tiefengeothermie-Anlage.
5.2 Methoden und Experimente Die Autoklaven Limbo I aus dem Verbundprojekt Ia und Limbo II aus dem Verbundprojekt IIa (Abb. 5.1) haben ein Volumen von 450 ml und ein magnet-gekoppeltes Rührwerk. Limbo 1 wurde für die Reinwasser-Experimente, Limbo II für die Salzwasser-Experimente eingesetzt. Nach dem Verschließen der Autoklaven erfolgte eine kurze Aufheizungsphase, dann wurde unter Rühren das System auf der Zieltemperatur belassen. Nach der Reaktionszeit wurden die Autoklaven jeweils gekühlt und geöffnet, die Fluide beprobt und die flüchtigen Parameter, z.B. pH und Alkalinität, sofort gemessen. Alle anderen Parameter wurden später in den Laboren der Universitäten Freiburg und Bern analysiert. Im Projektzeitraum wurden 12 Experimente von insgesamt 310 Tagen Dauer durchgeführt. Jedes der Experimente dauerte 9 bis 36 Tage, im Mittel waren es 25 Tage. Je vier Experimente der Fluid-Gestein Reaktion liefen bei 200˚C mit reinem de-ionisierten Wasser, 2M NaCl Lösungen (etwa 120 g/l) und 0.1 n HCl Lösung (pH = 1). Das verwendete (künstliche) 2M NaCl Fluid hatte ca. 120 g/l NaCl, Steinsalz, gelöst. Diese Salinität ist typisch für die Tiefenfluide im Rheintal, z.B. in Soultz-sous-Forets, Bruchsal und Landau (Stober und Bucher 2014, 2015). Durch Zugabe von BrCl wurde das Cl/Br Massen-Verhältnis auf 288 eingestellt. Dies entspricht dem Cl/Br von Meerwasser. Die Reaktionstemperatur aller Experimente war 200 °C. Dies entspricht der Reservoir-Temperatur in 5 km Tiefe im Oberrheingraben bei Soultz. Es wurden Experimente mit zwei verschiedenen Kornfraktionen (Sand und Kies) und zwei verschiedenen Gestein/Fluid Verhältnissen durchgeführt. Die Sandfraktion hatte eine typische Korngröße von 1 - 2 mm, die Kiesfraktion eine solche von 1 - 2 mm.
41 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
Abbildung 5.1: Hydrothermalreaktor Autoklav Limbo II
5.2.1 Der Streifengneis als Proxy für kristallines Grundgebirge
Für die meisten Experimente wurde ein typischer Granitgneis verwendet, wie er große Teile der kontinentalen Erdkruste aufbaut. Auch im kristallinen Untergrund des Oberrheingrabens dominiert dieser Gesteinstyp. Der für die Experimente verwendete Streifengneis stammt aus dem Gotthard Basistunnel von der Grenze der Bauabschnitte Sedrun und Faido unter dem 3000 m hohen Piz Vatgira. Damit war gewährleistet, dass keine oberflächennahen Einflüsse das Gestein beeinflusst hatten (oberflächennahe Alteration). Seine Gesteins-Zusammensetzung und die Mineral-Zusammensetzungen sind aus zwei BSc-Arbeiten der Universität Freiburg bekannt. Der Streifengneis ist ein variskisch vergneister Granit von oberkarbonischem Alter. Solche entsprechenden Granitgneise sind im Schwarzwald-Kristallin und somit auch im Untergrund des Rheintals weit verbreitet. Der Streifengneis wird hier als Proxy für kristallines Grundgebirge (Basement) eingesetzt. Weitere Experimente wurden auch mit basischen Tiefengesteinen, Gabbro und Amphibolite, sowie mit Granit von einem Bohrkern von Soultz-sous-Forêts durchgeführt. Die Zusammensetzung des Streifengneis (Tabelle 5.1) fällt in die Mitte des Granitfeldes im QAP-Diagramm (QAP: Quarz-Alkalifeldspat-Plagioklas). Der Gehalt an mafischen Mineralen beträgt etwa 5,5 Vol.%, das meiste davon ist Biotit (5 %), etwas Muskovit und sehr kleine Anteile von Chlorit, Apatit, Ilmenite und Calcite. Der Anorthit-Gehalt des Plagioklases beträgt 23,5 mol %. Scaling-relevante Spurenelemente betragen (in ppm): Ba 659, Sr 111 und Rb 182. Chalcophile Spurenelemente sind niedrig. XMg des Gesteins = 0.32 und deckt sich mit dem XMg im Biotite (0.30). Anlässlich einer Evaluierung der laufenden TG CHARMING Projekte 2018 wurde bemängelt, dass unsere Experimente z.T. mit Gesteinsmaterial gemacht wurden, welches nicht aus dem Untergrund des Rheingrabens stammt. Der Grund für die Wahl des verwendeten Granitgneis aus dem Gotthard Basistunnels ist das Fehlen von Oberflächenalteration in diesem aus 2,5 km Tiefe stammenden Materials. Gesteine von Oberflächenaufschlüssen, z.B. Granit aus Steinbrüchen am Rheintalrand, unterscheiden sich wesentlich vom gleichen Granit in bis zu 5 km tiefen Reservoiren. Der Unterschied betrifft vor allem das Ausmaß an retrograder Alteration, z.B. Chloritisierung der Biotite, Verglimmerung der Feldspäte, Vorhandensein von sekundärem Karbonat und ähnlichem. Diese Veränderungen haben wir auch beim Streifengneis beobachtet. Proben von der Oberfläche (Piz Vatgira) sind deutlich alteriert, Proben aus dem darunter liegenden Tunnel zeigen keine solchen Veränderungen. Die unveränderten Proben sind wesentlich reaktiver als das alterierte oberflächennahe Material. Deshalb ist es für unsere Experimente mit kinetischem Schwerpunkt entscheidend wichtig, unalteriertes Material zu verwenden.
42 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
Tabelle 5.1: Zusammensetzung des Streifengneis (KB930). Alles Fe als FeO.
Die Experimente benötigen eine größere Menge Gestein. Bohrkerne von Granitgneis aus dem Untergrund des Oberrheingrabens standen für die Experimente nicht zur Verfügung, außer eine Kernprobe aus der Tiefbohrung Soultz-sous- Forêts. Deshalb sind die verwendeten Streifengneise das sinnvollste Material für die hier durchgeführten Experimente. Mittlerweile verfügen wir über genügend Material aus der >5 km tiefen Bohrung von Basel. Mit diesem Material sollen nach Abschluss des Projekts „TG CHARMING“ weitere Experimente im Projekt „SENG“ gemacht werden. Es handelt sich hierbei um einen Hornblende-haltigen Granodioriten bis Tonaliten. Es handelt sich bei diesen Gesteinen um reaktivere Gesteine als der verwendete Granitgneis.
5.3 Resultate In allen Experimenten wurde die Zusammensetzung der eingesetzten Fluide durch die Reaktion mit dem Gestein deutlich verändert. Die Effekte der Fluid-Gestein Reaktionen sind jedoch für den verwendeten Granitgneis sehr stark von der Zusammensetzung des initialen Fluids abhängig. In den Reinwasser- und Sole-Experimenten blieb der pH-Wert im neutralen Bereich (6,05 - 6,71 bei 25 °C). Magnesium ist sehr niedrig sowohl in Reinwasser als auch 2 M NaCl Experimenten, typischerweise unterhalb der Nachweisgrenze (Abb. 5.2). Dies ist in Übereinstimmung mit natürlichen Tiefenwässern aus dem granitischen Grundgebirge (Bucher et al. 2012). In tief-pH HCl Experimenten erreicht Mg 120 mg L-1 und wird dort durch die Hydrolyse von Biotit freigesetzt.
43 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
Abbildung 5.2: Kationen Konzentrationen der experimentellen Fluide nach 400 Tagen Reaktionszeit. Na der Sole Experimente ist nicht dargestellt.
Natrium, welches in HCl Experimenten freigesetzt wird, ist niedriger als stöchiometrisches Na durch die Plagioklas-Lösung. Kalium ist ähnlich wie Ca in den Reinwasser Experimenten (~ 10 mg L-1) und hoch in verdünnter HCl (~ 300 mg L-1). K ist wie erwähnt sehr hoch in den Sole-Experimenten (bis 680 mg L-1). Sulfat SO4
2- ist niedrig in Reinwasser Experimenten (~ 6 mg L-1), etwa 40 mg L-1 in Sole Experimenten und 18 mg L-1 in 0.1 m HCl. Gelöstes SiO2 erreicht 233 mg L-1 in Reinwasser Experimenten, welches einer Quarz-Sättigungs-Temperatur von 191 °C entspricht (Verma and Santoyo 1997). HCl Experimente produzieren bis zu 394 mg L-1 gelöstes SiO2. Die Sole Experimente enthalten nur ~ 100 mg L-1 SiO2, klar unterhalb der Quarz-Sättigung. Alle Kies-Körner zeigten klare Effekte des chemischen Angriffs an den Oberflächen (Abb. 5.3). Vor dem Experiment zeigen die Kies-Körner überwiegend Feldspäte und Quarz. Vielen Korn-Flächen sind jedoch auch mit Biotit belegt. Nach den Experimenten sind die meisten Korn-Flächen mit einem rötlichen Eisenoxyhydroxyd-Überzug belegt. In diesen sehr feinkörnigen Oberflächen-Überzügen konnte neugebildeter Kaolinit mit Röntgenmethoden mit Sicherheit nachgewiesen werden. Weniger sicher ist die Anwesenheit von Illit und Na-Ton (z.B. Na-Smektit) in den Überzügen. Analcim oder Zeolite wurden in den Experimenten nicht vorgefunden im Gegensatz zu ähnlichen Experimenten mit Sandsteinen über die von Schmidt et al. 2017 berichtet wurde. Besonders stark angegriffen werden die Biotit-Pakete des Granits (Abb. 5.3). Die Pakete fächern auf, und der Glimmer wandelt sich in Chlorit und Tonminerale um. Dabei wird auch ein Teil des Eisens in Fe-Oxyhydroxyde umgewandelt, was zu den markanten rotbraunen Überzügen führt. Ein geringer Teil der Krusten wird auch von der Sulfidumwandlung in Sulfat und der dadurch verursachten Fe-oxydation verursacht.
5.3.1 Resultate der 0.1 n HCl Experimente
Die durchgeführten Experimente haben ergeben, dass die pH=1 Fluide sehr effiziente Hydrolysereaktionen auslösen, welche durch stark ansteigende pH-Werte angezeigt werden. Der pH stieg als Folge der ausgelösten Hydrolyse-Reaktionen bis auf 5,4. Nur bei diesen Experimenten geht Magnesium in Lösung (Abb. 5.2). Dieses stammt aus den Biotiten aber im Gegensatz zu den anderen verwendeten Fluiden wird das Mg nicht in neugebildeten Chlorit transferiert. Die Biotite werden echt gelöst und nicht chloritisiert.
44 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
Abbildung 5.3: Oben: Material vor dem Experiment, unten: nach dem Experiment. Die Umwandlung von 5 Vol % Biotit im Granitgneis in Chlorit ist an den Gesteinsoberflächen vollständig. Das Magnesium wird dabei vom entstehenden Chlorit quantitativ übernommen. Das Eisen wird zum Teil zu Fe-Hydroxyd oxidiert (= rote Überzüge) zum Teil ebenfalls im Chlorit eingebaut.
5.3.2 Resultate der 2 M NaCl Experimente
Die 2 M NaCl Experimente zeigen deutlich von den Reinwasser Experimenten abweichende Resultate (Abb. 5.2). Besonders markant ist die Freisetzung von Kalium aus den Kalifeldspäten und dem Biotit zu sehen. Aus dem Kalifeldspat wird das K durch Ionenaustausch mit der 2 M Na-Salzlösung freigesetzt. Das Kalium aus dem Biotit geht durch die Chloritisierung in Lösung.
Das bei 200 °C im 2 M NaCl Fluid gelöste Silika (als SiO2) ist auch in den Langzeitexperimenten (112 Tage) deutlich von der Sättigung mit Quarz entfernt (Abb. 5.4). Quarzsättigung wird erst in Experimenten mit einer extrapolierten Dauer von etwa 2,5 Jahren erreicht.
45 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
Abbildung 5.4: Gelöstes Silika (als SiO2) in den Sole-Experimenten bei 200 ˚C. ist auch in den Langzeitexperimenten (112
Tage) deutlich von der Sättigung mit Quarz entfernt.
Die Experimente mit 2M NaCl Salzwasser, dem Modellfluid für den Rheintalgraben, zeigen ein sehr interessantes Freisetzen vom Barium in die Lösung. Das Barium stammt aus den Kalifeldspäten des Granitgneises (sog. Celsian-Komponente) und auch aus dem Biotit. Die Kalifeldspäte werden durch die Wechselwirkung mit der 200 °C heißen NaCl Lauge albitisiert, d.h. in Na-Feldspat umgewandelt. Dabei wird auch die Celsian-Komponente und somit das Barium freigesetzt. Das Barium ist als BaCl2 sehr gut wasserlöslich. Probleme für die Tiefengeothermie ergeben sich bei diesem Prozess, wenn ebenfalls in Lösung gehender Sulfidschwefel zu Sulfat oxydiert wird und dann schwerstlösliches BaSO4 (Baryt, Schwerspat) in den obertägigen Anlagen einer TG Installation ausfällt. Schwerspat-Niederschläge sind in TG Installationen des Oberrheingrabens ein weit verbreitetes Problem. Auch hierzu sollen nach Projektende von „TG CHARMING“ weitere Experimente folgen.
5.3.3 Resultate der Experimente mit reinem Wasser
Die Experimente mit reinem Wasser zeigen eine frühe Lösung von etwas sekundärem Karbonat im Gneis (Abb. 5.5). Das freigesetzte Ca nimmt im Reaktionsverlauf ab, vermutlich als Folge von Ionen-Austausch an den Oberflächen der Körner (welche den Kluftflächen im TG Reservoir entsprechen). Die Fluide bleiben gering mineralisiert (~ 500 mg/l Gesamtmineralisierung nach 1 Monat). Gelöstes SiO2 ist mit Abstand der gelöste Hauptinhaltsstoff und erreicht bis > 70 % aller Inhaltsstoffe. Dies ist ein überraschender Befund und so nicht von den thermodynamischen Modelrechnungen vorhergesagt worden. Die Feinmechanismen der Quarz-Lösung sind offensichtlich schwierig realistisch zu modellieren.
46 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
Abbildung 5.5: Calcium in den Reinwasser-Experimenten bei 200 ˚C steigt zu Beginn stark an (Kurzzeitexperimente) und nimmt dann allmählich ab.
Die Kationen der Reinwasser-Experimente zeigen eine lineare Anordnung im Na-K-Ca Dreieck. Die Fluide der Kurzzeitexperimente haben wenig Na und relativ viel Ca (Abb. 5.6). Die Fluide der Langzeitexperimente werden Na-reich und Ca und K sind niedrig. Die 0.1 n HCl Daten fallen an das niedrig-Na Ende dieser Anordnung (Abb. 5.6). Auch ein Experiment mit dem Granit von den Tiefbohrungen in Soultz-sous-Forets (Abb. 5.6) liegt auf der Geraden. Jedoch das natürlich aus dem Kristallin aufsteigende salinare Tiefenwasser bei Ohlsbach E von Strasbourg enthält sehr wenig K und fällt nicht auf die Korrelationsgerade (Stober et al. 1999). Wir schließen daraus, dass das Ohlsbachwasser nicht aus einem granitischen Herkunftsgebiet stammt und nicht durch granitoide Gesteine geprägt wird, sondern durch K-feldspat-freies Grundgebirge fliesst (z. B. tonalitische Gneise, Paragneise, Amphibolite).
5.4 Diskussion Typisches granitisches Grundgebirge von EGS Wärmereservoiren reagiert chemisch mit salinaren Tiefenfluiden, welche in den Kluftsystemen bewegt werden. Verdünntes oberflächennahes Neubildungswasser und Mischungen beider Endgliedfluide lösen dabei Komponenten der Minerale der granitischen Reservoir-Gesteine in das thermale Tiefenwasser. Der Beitrag der Fluid-Gestein Reaktionen zum gesamten Lösungsinhalt der Fluide wird in den frühen Stadien der Reaktionen erworben (< 500 Stunden Experimente). Zwischen 1000 und 3000 Stunden ändert sich der Lösungsinhalt wenig und die Reaktionsraten sind viel niedriger als von kinetischen Modellen vorhergesagt, welche Ratenkonstanten für reine Minerale verwenden. Gelöstes SiO2 ist eine bemerkenswerte Ausnahme von diesem Muster. Die SiO2 Konzentration erhöht sich mit der Reaktionszeit, bis schließlich die Sättigung mit Quarz erreicht wird. SiO2 macht in den Kurzzeitexperimenten mit Reinwasser 45% der gelösten Inhaltsstoffe aus und wächst dann bis auf 70% aller Inhaltsstoffe mit zunehmender Reaktionszeit. SiO2 wird zunächst durch die Lösung von Feldspäten in den frühen Phasen der Reaktion erworben. Später bestimmt hauptsächlich die direkte Lösung von Quarz den Eintrag von SiO2. Dies ist in Übereistimmung mit direkt beobachteten Lösungs-Strukturen (etch pits) auf den Quarz-Oberflächen in verwandten Experimenten von Schmidt et al. (2018).
47 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
Abbildung 5.6: Kationen-Verhältnisse der experimentellen Fluide und eines Rheintalfluids (Ohlsbach). Die Reaktionszeiten variieren von 9 bis 112 Tagen.
Dies ist eine bemerkenswerte Beobachtung, weil publizierte, experimentell bestimmte kinetische Konstanten für die Quarz-Lösung mehr als eine Größenordnung kleiner sind als die Raten-Konstanten für die Feldspäte Albit und Kalifeldspat (Lasaga et al. 1994). Das beobachtete lineare Muster der freigesetzten Kationen (Abb. 5.6) ist charakteristisch für Reaktion mit Granit bei 200 °C. Es ist das Resultat der gleichzeitigen Lösung von Plagioklas An22 und Kalifeldspat. Geothermale Fluide aus Paragneis-Reservoiren ohne Kalifeldspat liegen abseits der Korrelationsgeraden. Bei der Reaktion von Granit und Granitgneis mit NaCl reichem Fluid, typisch für Tiefenwässer im kristallinen Grundgebirge (Bucher & Stober 2010), wird Na vom Fluid mit K vom Kalifeldspat (Kfs) ausgetauscht (Abb. 5.2). Dieser Albitisierungsprozess (Ab) ist auf die unmittelbaren oberflächennahen Bereiche des K-Feldspats beschränkt und ist nicht durch einen Lösung-Fällung Prozess verursacht, sondern durch Ionen-Austausch. Der Prozess ist jedoch nicht nur auf die unmittelbare Feldspatoberfläche beschränkt, sondern wandelt volumenhaft den Feldspat um (Kfs ⇒ Ab). Dabei werden K+-Ionen diffusiv an die Feldspat-Oberfläche gebracht. Der Prozess verlangsamt sich mit fortschreitender Dicke der albitisierten Zone. Berechnete Na/K Temperaturen aus den Sole Experimenten sind nach 120 Tagen Reaktionszeit immer noch viel höher als 200 °C. Die nachgewiesene Anwesenheit von Kaolinit in den Reaktionsprodukten belegt die Lösung von Feldspäten in den frühen Phasen der Gestein-Wasser Wechselwirkung. Die Reaktion ist an sich mit einem erheblichen Volumenverlust verbunden, weil das produzierte SiO2 in das Tiefenwasser übergeht. Weil aber die Reaktion insgesamt wenig Gesamtumsatz hat, ist die damit verbundene Zunahme an Permeabilität minimal. Biotit ist das wichtigste Mineral in der Gesamtreaktion Granit-Fluid. Biotit ist auf den Oberflächen der Kieskörnern dominanter als es seiner modalen Häufigkeit entspricht, weil die Körner entlang von den Biotit-Schichten spalten (Abb. 5.3 oben). Die Abwesenheit von Mg in Reinwasser und Sole Experimenten ist ein Resultat der Chloritisierung von Biotit. Der neugebildete Chlorit nimmt das freigesetzte Mg des Biotits quantitativ auf. In den HCl Experimenten wird der Biotit gewaltsam zerstört und das Mg erscheint im Fluid (Abb. 5.2). Die Biotit - Chlorit Reaktion setzt zusätzlich Fe2+ frei, welches umgehend zu Fe3+ oxydiert wird, das allerdings in neutralen Lösungen nahezu unlöslich ist und daher als Fe-Oxydhydrat ausfällt und die Kieskörner mit einem roten Belag überzieht (Abb. 5.3 unten). Diese Fe-Überzüge sind in allen experimentellen Gesteins-Rückständen vorhanden. Sie sind wesentlich verantwortlich für die beobachtete Verlangsamung der Granit-Wasser Reaktion gegenüber der modellierten Lösungskinetik der reinen Minerale.
CaNa
K
pure water
0.1 n HClmass ratios
Soultz granite
pure water
Streifengneiss
Ohlsbach deep water
48 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
5.5 Schlussfolgerungen Die chemischen Reaktionen zwischen granitischem Grundgebirge und thermalem Tiefenwasser in EGS Reservoiren ist generell langsam wegen der Bildung von schützenden Fe-Oxydhydrat-Überzügen auf den Kluftflächen. Die Fluid-Gestein Reaktionen verändern die Aperturen der Klüfte und damit die Permeabilität des Reservoirs nicht wesentlich. Der wirklich kritische Prozess ist die Lösung von Quarz und nicht die Feldspat-Lösung, welche das meiste gelöste SiO2 im geothermalen Wasser erzeugt. Das gelöste SiO2 kann als Quarz-Brücken in den wasser-leitenden Klüften ausfallen und letztlich bei der Abkühlung massive Quarz-Adern bilden. Deshalb ist die langsame Kühlung des Reservoirs mit einem Verlust an Permeabilität und damit an Ergiebigkeit verbunden.
5.6 Zitierte Literatur und bisherige Veröffentlichungen des Projekts Bucher, K., Stober, I. (2010) Fluids in the upper continental crust. Geofluids, 10, 241-253. Bucher, K., Stober, I., Seelig, U. (2012) Water deep inside the mountains: Unique water samples from the
Gotthard rail base tunnel, Switzerland. Chemical Geology, 334, 240-253. Lasaga, A., Soler, J., Ganor, J., Burch, T., Nagy, K. (1994) Chemical weathering rate laws and global
geochemical cycles. Geochimica Cosmochimica Acta, 58, 2361-2386. Schmidt, R.B., Bucher, K., Stober, I. (2014) Geochemical reactions of fresh granite with in-situ fluids under
geothermal reservoir conditions in the crystalline basement of the Upper Rhine Graben. – 3rd European Geothermal Workshop Karlsruhe, 15–16 October 2014.
Schmidt, R.B., Mundhenk, N., Bucher, K., Stober, I. (2015) Alteration of primary minerals from geothermal reservoirs in the Upper Rhine graben. – 4th European Geothermal Workshop Karlsruhe, 19–20 October 2015.
Schmidt, R.B., Seithel, R., Bucher, K., Stober, I. (2015) Fluid-Rock Interaction in Deep Fault Systems and the Influence on Permeability in Typical Rocks of the Upper Rhine Graben, Southwest Germany. – in: Proceedings World Geothermal Congress 2015. pp. 5.
Schmidt, R., Bucher, K., Drüppel, K., Stober, I. (2017) Experimental interaction of hydrothermal Na-Cl solution with fracture surfaces of geothermal reservoir sandstone of the Upper Rhine Graben. Applied Geochemistry, 81, 36-52.
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Stober, I., Richter, A., Brost, E., Bucher, K. (1999). The Ohlsbach Plume: Natural Release of Deep Saline Water from the Crystalline Basement of the Black Forest. Hydrogeology Journal, 7, 273-283.
Stober, I., Bucher, K. (2014) Hydraulic conductivity of fractured upper crust: insights from hydraulic tests in boreholes and fluid-rock interaction in crystalline basement rocks. Geofluids, 15, 161-178.
Stober, I., Bucher, K. (2014) Hydraulic conductivity of fractured upper crust: insights from hydraulic tests in boreholes and fluid-rock interaction in crystalline basement rocks. Geofluids, 15, 464-482.
Verma, S., Santoyo, E. (1997) New improved equations for Na/K, Na/Li and SiO2 geothermometers by outlier detection and rejection. Journal of Volcanology and Geothermal Research, 79, 9-23.
49 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
AP6: Bohrlochsimulationsmodellierung
• Projektleitung und Bearbeitung: Dr. R. Zorn, Dr. A. Dimier, EIFER, P. Orywall, KIT
6.1 Einleitung AP6 Die Verwendung von mathematischen Modellen ist oftmals zwingend erforderlich, da natürliche Versuche
nicht immer skalierbar sind oder sehr häufig gar nicht zur Verfügung stehen, um komplexe Zusammenhänge
im Bereich der Geothermie nachbilden zu können. Deshalb ist es Ziel des Arbeitspaketes einen Beitrag zur
leisten, effiziente Modellierungstools zur Simulation von Multi-Phasen Prozesse im Untergrund bereit zu
stellen. Das Tool ermöglicht die 3D Modellierung gekoppelter thermisch, hydraulischer, mechanischer und
chemische Prozesse (THMC) im geothermalen. Die Grundphilosophie besteht darin, Open Source Tools zu
verwenden, anzupassen und zu erweitern und schlussendlich die finale Version mit Hilfe einer Open Source
Lizenz zur Verfügung zu stellen.
Die Basis für den erweiterten Bohrlochsimulator ist eine bereits existierende Open Source Plattform zur 3D
Modellierung von THMC Prozessen, die bereits für einen gekoppelten Zweiphasentransport im Untergrund
mit einer Gas- und Wasserphase konzipiert wurde. Das bedeutet, dass die Plattform den Untergrund und die
darin ablaufenden Prozesse, wie den Gas- und Wassertransport in Aquifere und Formationen, prinzipiell
abbilden kann (siehe in Orywall et al 2015 und Nusiaputra et al 2016). Um auch komplexe Vorgänge im
Bohrloch simulieren und koppeln zu können und auch geochemische Prozesse bei höheren Temperaturen
nachbilden zu können, werden im Rahmen des Vorhabens die Software PhreeqC
(https://pubs.usgs.gov/tm/06/a43/) in der neusten Version für die geochemische Modellierung und die
Software openFOAM (https://www.openfoam.com/) insbesondere für die Vorgänge im Bohrloch
schrittweise integriert. Die prinzipielle Vorgehensweise besteht darin, den vorhandenen Code teilweise zu
wrappen, um ihn so über Python shared objects verwenden zu können. Python ist dabei die Umgebung, in
der die zu modellierende Fragestellung definiert und simuliert wird. Im Folgendem wird die Vorgehensweise
detaillierter betrachtet und ein generelles Flussdiagramm kann der Abbildung 6.1. entnommen werden.
6.2 OpenFOAM wrapping Mit Hilfe des in Python generierten shared object WOPenfoam wird die Simulation eines geochemischen
Transportes mit openFOAM ermöglicht. Auf das shared object als Modul kann unter Python zugegriffen
werden. Folgende Liste an Modulen stehen zur Verfügung:
['WOpenfoam', 'doc', 'file', 'getattr', 'name', 'package', 'setattr', 'version', 'darcy', 'darcycoupled',
'getConcentration', 'getCoordinates', 'getMoistureContent', 'getTemperature', 'getVelocity', 'init', 'initialize',
'mesh', 'oneACTimeStep', 'oneHeatTimeStep', 'oneUACTimeStep', 'onerichardstimestep', 'richardsinit',
'saturatedhydrauliccoupled', 'setConcentration', 'setTemperature', 'setTimeStep', 'steadynavierstokes',
'transientlaminarnavierstokes', 'transientnavierstokes', 'transientrichards', 'verbose'].
Wie schon erwähnt, ist die Kopplung bereits etablierter und damit getesteter und validierter
Simulationswerkzeuge unsere Grundphilosophie. Ermöglicht wird dies durch die Hauptmodule
getConcentration und setConcentration. Die beiden Module behandeln den chemischen Speziesreaktionen
und ermöglichen den spezifischen Transfer chemische Verteilungsfelder aus openFOAM zum einem
chemischen Solver und umgekehrt. In den Modulen oneACTimeStep (gesättigt) und oneUACTimeStep
(ungesättigt) wird der chemischen Speziestransport für gesättigte und ungesättigte Flüsse behandelt. In der
momentanen Version und generellen Erweiterung des Simulationswerkzeuges wird ein transienter
Zweiphasenfluss als Richards-Flow berücksichtigt.
50 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
Abbildung 6.1: Flussdiagramm der Operatorverteilung für chemischer Reaktionen und Speziestransport.
Dem Python Skript folgend, wird ein gekoppelter Prozess durch den Aufruf der folgenden Methoden
gestartet:
coupling.initialise() coupling.transportSolver.richardsinit() coupling.transportSolver.onerichardstimestep(1) while (simulatedTime < endSimulationTime):
coupling.oneChemTransportTimeStep()
coupling.transportSolver.onerichardstimestep(1)
Das preprocessing von OpenFoam wird über einer Python Modul geregelt, dass den Benutzer erlaubt die
notwendige Datenmodellstruktur für die Benutzung von OpenFoam zu erstellen, d.h. mit dem Modul werden
alle notwendigen OpenFOAM-Vorverarbeitungsdateien für den Initialisierungsprozess generiert. Es wird
51 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
zunächst eine Mesh-Datei kreiert, die dem gängigen Gmsh-Dateiformat entspricht (Geuzaine & Remacle
2009). Das so generierte Netz wird als Python-Objekt behandelt, wodurch man die Möglichkeit erhält,
benutzerdefinierte Netzbereiche mit chemischen Spezifikationen und Eigenschaften sowie physikalischen
Parametern zu verknüpfen. Anschließend kann der Benutzer in einem nächsten Schritt über das das
aufgerufene PhreeqC-Objekt, chemische Reaktionen (Gleichgewichtsreaktionen in der Regel) für jede
Netzregion bzw. Knotenpunkt zu berechnen und sie als Anfangs- und Randbedingungen in die OpenFOAM-
Datendateien festzulegen. Alle OpenFOAM-Dateien, die erstellt werden, erscheinen als Instanz innerhalb des
übergeordneten Python-Skripts.
Mit der sogenannten RichardsInit-Methode werden für den Richards-Solver spezifische Eingabe-
/Ausgabeobjekte generiert. Dann kann die Zeitschleife für gekoppelte Simulation der Prozesse alternierend
für das chemische Reaktionsmodell und den Richards-Flow für die jeweiligen Zeitschritte gestartet werden.
Die Berechnung über den Richards-Flow ermöglicht die zeitliche Simulation der Strömungs-,
Geschwindigkeitsfeld und Gesteinseigenschaften.
Anschließend kann der Kopplungsvorgang gestartet und im zeitlichen Wechsel zwischen der
Zeitschrittmethode für den chemischen Transport und der Richards-Zeitschrittmethode wiederholt werden.
Der Richards-Zeitschritt ermöglicht die Berechnung und Festlegung des Fluss- und Geschwindigkeitsfeldes
und Gesteinseigenschaften. Das chemische Transportmodul basiert auf der Kommunikation zwischen den
beiden gemeinsam genutzten Objekten OpenFOAM und PhreeqC. Er ermöglicht die Bewertung des
chemischen Gleichgewichts über die Zeit, den Transport der Komponentenspezies in der wässrigen Phase
und der Aktualisierung spezifischer Eigenschaften und der Speziesverteilungen.
Beim Solver für den Richards-Flow handelt es sich um eine modifizierte Version in Anlehnung an Lui (2013).
Im Python Datenmodell wird folgende hydraulische Formulierung der Richards Gleichung verwendet:
[𝐶(ℎ) + 𝑆𝑆𝑆𝑤]𝜕ℎ
𝜕𝑡= ∇ ∙ [𝐾(ℎ) ∙ ∇(ℎ + 𝑧)]+𝑄𝑠
Wobei 𝐶(ℎ) = 𝜕ℎ/𝜕𝜃 ist die spezifische Feuchtekapazität, (L-1), 𝜃 der Wassergehalt; ℎ die Druckhöhe (L), 𝑄𝑠
ein volumetrischer Quellterm (T-1), 𝑆𝑆 spezifische Speicherkoeffizient (L-1), 𝑆𝑤 die Sättigung (𝜃/𝜏), 𝜏 die
Porosität und K(h) der hydraulische Leitfähigkeitstensor (LT-1) darstellt.
Zudem wurde der Solver so modifiziert, dass mehrere Gesteinslagen betrachtet werden können. Diese
Version (wrapped) des Solvers wurde mit verschiedenen initialen Parameterverteilungen validiert. Die
Ergebnisse waren dabei in vollster Übereinstimmung ohne wesentliche Verzögerungen in der CPU
Rechenzeit.
6.2.1 Erstellen der Datenfiles
Das openFOAM preprocessing wird, wie bereits erwähnt, automatisch generiert. Die übergeordnete
Verzeichnungsstruktur folgt im Grunde den physikochemischen Prozessen, die adressiert werden. Im „0“
Verzeichnis werden die initialen Bedingungen und Werte gesetzt und. Im „Constant“ Verzeichnis werden
dann die Werte aus der Initialisierung und aus dem Datengrundmodell entnommen. The PhreeqC Solver
berechnet die zu betrachteten Spezies, die Unbekannten für das Transportmodel und die dazugehörigen
Initial- und Grenzbedingungen. Das preprocessing für das „System“ Verzeichnis verwendet a priori Python
Verzeichnisse. Nichtsdestotrotz kann der Nutzer verschiedene Methoden wählen, um seine eigenen
Parametersatz für die Bibliotheken, controlDict, fvSchemes und fvSolution, zu setzen. Es besteht dort die
Möglichkeit, die numerische Diskretisierung von den Differentialoperatoren und den dazugehörigen
algebraischen Solver zu wählen und zu ändern. Abschließend wird zur Prüfung eine Enchant-Methode
(request_pwl_dict) mit einem spezifischen Set von Wörtern verwendet. Beispielhaft ist in dem Wörterbuch
(Übersetzung der eigentlichen Eingangsparameter) der Schlüssel und der Wert für folgenden fvSchemes
Parameter enthalten,
laplacianC = "Linearlimited 0.33",
52 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
Der Laplace Term wird für den gelösten Transport gesetzt durch die Verwendung des Großbuchstabens C am
Ende. Momentan kann nur ein Gaus Schema im Allgemeinen gewählt werden und im konkreten Fall wird
eine lineare Interpolation mit einem Koeffizienten von 0,33 als Stabilisierungskriterium verwendet.
Für den Speziestransport unter ungesättigten Bedingungen, müssen noch folgende Gleichungssysteme gelöst
werden,
𝜃𝑝𝐶𝑖
𝜕𝑡+ 𝑢𝛻𝐶𝑖 = 𝛻(𝜃𝑝𝐷𝛻𝐶𝑖) = 𝑆𝐶𝑖
𝑆𝐶𝑖 ist der Quellenterm für Ausfällungsreaktionen, Lösungs- und Austauschvorgänge, 𝐷 ist der
Diffusion/Dispersion Tensor, 𝑢 das Geschwindigkeitsfeld und 𝐶𝑖 steht für die verschiedenen Unbekannten
vom Setup der chemischen Fragestellung.
Der hydrodynamische Dispersion Tensor ist,
𝜃𝐷𝐿𝑖
𝜔 = 𝛼𝑙
𝑢𝑖2
|𝑢|+ 𝛼𝑡
𝑢𝑖2
|𝑢|+ 𝜃𝐷𝑚𝜏
𝜃𝐷𝐿𝑖𝑗
𝜔 = (𝛼𝑙 − 𝛼𝑡)𝑢𝑖𝑢𝑗
|𝑢|
wobei 𝐷𝑚 ist die spezifische molekulare Diffusion (m2s-1), 𝛼𝑙 und 𝛼𝑡 sind die longitudinalen und transversalen
Dispersionkoeffizienten (L).
6.3 PhreeqC wrapping Das Python-PhreeqC-Wrapping, WphreeqC, ist eine Weiterentwicklung des PhreeqCRM Release von
Parkhurst & Wissmeier (2015). Sie haben die gleichen Kommunikationsfunktionen, befinden sich jedoch in
zwei verschiedenen Umgebungen. WphreeqC umfasst Kommunikationsmethoden sowie einen spezifischen
angepassten Teil des phreeqC Solver. Folgende geochemische Reaktionen können in der derzeitigen Version
berücksichtigt werden:
- Gleichgewichtsreaktionen (eH/Ph)
- Ausfällungen/Auflösung
- Kinematische Reaktionen
- Ionenaustauschreaktionen und Oberflächenkomplexierung
- Gasphasen im Gleichgewicht mit der wässrigen Phase
- solid solutions (Mischkristalle, feste Lösungen)
Mit Hilfe von PhreeqC werden die chemischen Unbekannten bestimmt und die jeweiligen
Spezieskonzentrationen unter der Annahme der Elektroneutralität berechnet.
6.4 Validierung Die verschiedenen beschriebenen hydraulischen und chemischen Methoden wurden anhand
Referenzlösungen sowie analytischen Lösungen validiert. Der gekoppelte Richards-Flow mit Berücksichtigung
chemischer Reaktionen (WPhreeqc Objekt) wurde validiert anhand eines von Wissmeyer & Barry (2011)
beschriebenen Falles. Es handelt sich dabei um einen räumlichen und kinetischen Abbau des Aldikarb-
Pestizids in einer vadosen Zone bestehend aus zwei verschiedenen Bodenschichten (Abbildung 6.2).
53 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
Abbildung 6.2: Geometrie für den simulierten Fall einer Aldikarb Injektion.
Aldikarb baut sich durch Umwandlung in die toxischen Verbindungen Sulfoxid und Sulfonat ab. In einem
weiteren Schritt können sich dann die Phasen in nicht toxische Aldikarb-Oximverbindungen umwandeln
(Abbildung 6.3).
Abbildung 6.3: Berücksichtigter Abbau von Aldikarb.
Um diesen Fall zu simulieren, wurde ein achsensymmetrisches Netz (Zelle mit einem Winkelsektor von 5°)
verwendet. An den äußeren Grenzen können dabei chemische Stoffe die Domäne frei verlassen oder
zugefügt werden. Die Aldikarb-Zersetzung wird durch folgende gekoppelte Differentialgleichungen erster
Ordnung bestimmt:
Aldikarb: 𝜕𝐶𝐴
𝜕𝑡= −(𝑟1 + 𝑟2)
Aldikarbschwefeloxid: 𝜕𝐶𝐴𝑠𝑥
𝜕𝑡= −(−𝑟2 + 𝑟3+𝑟4)
Aldikarbsulfonat: 𝜕𝐶𝐴𝑠𝑛
𝜕𝑡= 𝑟4 − 𝑟5
54 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
Die Zersetzungsrate 𝑟𝑖erfüllt dabei den Ausdruck:
𝑟𝑖 = 𝑘𝐶𝑆𝑝𝑒
Mit einem groben Gitternetz von zweitausend Zellen wurde die Wassergehaltsverteilung simuliert
(Abbildung 6.4). Die Infiltrationszeit wurde auf dreieinhalb Tage festgelegt, um die Ergebnisse aus Thiéry
(2015) nachbilden zu können. Die Simulationsergebnisse stimmen recht gut mit den dortigen Ergebnissen
überein (auf weitere Validierungsergebnisse wird an dieser Stelle verzichtet).
Abbildung 6.4: Wassergehaltsverteilung nach 3,5 Tagen.
Für die Kopplung zwischen dem transienten Richards-Fluss und den chemischen Reaktionsprozessen musste
ein feineres Netz aus etwa 1000 3D-Zellen gewählt werden. Dadurch erhöhte sich die Simulationszeit
erheblich. Im konkreten Fall dauerte bei gewählten Zeitschritten von 0,05 Tage und einem
Gesamtsimulationszeitraum von 5 Tagen die Simulation auf einer Standard-i5-6200U-CPU ungefähr eine
Stunde. Die wichtigsten Eingangsparameter sind in Tabelle 6.1 angegeben.
Tabelle 6.1: Eingangsparameter für den gekoppelten chemischen reaktiven Transportfall.
Parameter Wert Beschreibung EInheit
𝐷𝑚 3.74·10-3 Molekulare Diffusion m2/d
𝛼𝑙 5.00·10-2 Longitudinale Dispersion M
𝛼𝑡 1.00·10-2 Transversale Dispersion M
Für den konvektiven Term wurde hier ein van Leer-Schema verwendet. Die Simulationsergebnisse der
Aldikarbschwefeloxid- (Abbildung 6.5) und Aldikarbsulfonatverteilung stimmen mit den in der Literatur
beschriebenen Trends sehr gut überein (siehe z. B. in Wissmeyer & Barry 2011, Thiéry 2015). Sehr gut
erkennbar ist der heterogene Aldikarbschwefeloxidsverteilung entsprechend der einmaligen Eingabe von
Aldikarb (siehe „links oben in der Abbildung 6.2). Entsprechend der Zerfallsraten und den gewählten
hydraulischen Parametern sowie dem heterogenen Bodenaufbau ergibt sich eine klare Grenze in der
Konzentrationsverteilung beim Wechsel der Bodenschichten und die generelle Konzentrationsverteilung im
Gesamtkörper.
55 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
Abbildung 6.5: Aldikarbschwefeloxidverteilung nach 5 Tagen im Querschnitt.
6.5 Baryt-Ausfällung / -Lösung Ausfällungen von Baryt im Umfeld von Geothermieanlagen und/oder Erdgas- und -öl Bohrungen können
einen erheblichen Einfluss auf die Ergiebigkeit von Reservoiren bedingen. Zusätzlich werden und wurden am
KIT beispielsweise Durchflussexperimente mit Baryt unter unterschiedlichen Druck- und
Temperaturbedingungen durchgeführt und teilweise schon veröffentlicht (Orywall 2017). Deshalb wurde im
Rahmen des Projektes unter anderem die Voraussetzungen für Barytsimulationen bei unterschiedlichen
Fragestellungen geschaffen.
Kinetische Parameter für die Barytausfällung wurden der Arbeit von Bi Yun Zhen Wu (2016) entnommen.
Barytausfällung können demnach mit folgender Beziehung betrachtet werden:
𝑟 = 𝑆𝐴(𝛼𝐻+)𝑛𝐻 ∙ exp (−𝐸𝑎
𝑅𝑇) (1 − Ω𝑛)
𝑆 ist die spezifische Mineraloberfläche (m²), 𝐴 die sogenannte pre-exponentiale Fraktion (mol·m-2s-1), 𝐸𝑎 die
Aktivierungsenergie (kJ mol-1), 𝑅 die universelle Gaskonstante (kJ·mol-1K-1), 𝑇 die absolute Temperatur (K)
und Ω der Sättigungszustands des Baryts.
Um die Grenzen des Algorithmus in Bezug auf die CPU-Zeit zu untersuchen, wurde Durchflussverhalten
anhand einer Sierpinski-Teppich(Carpet)-Struktur simuliert. Mit der verwendeten i5-6200U-CPU wurde die
zweite Stufe des Sierpinski-Schwamms aufgrund der CPU-Anforderungen, die durch die Anforderungen an
die Netzqualität bedingt sind, nicht überschritten. Angemerkt werden muss, dass die Netzqualität ein
wichtiger Parameter des Simulationsprozesses ist. In konkreten Fall wurde ein Netz aus Tetraedern aufgebaut
(Abbildung 6.6).
Die nicht diskretisierten Bereiche stellen beispielsweise inerte Mineralphasen dar (z. B. Quarz), die nicht an
einer Reaktion teilnehmen und auch nicht durchströmt werden können. Im Profilschnitt (x = 0.0175 in der
Abbildung 6.6) erkennt man den Einfluss der zugewiesenen heterogenen Eigenschaften der gewählten
Struktur (Abbildung 6.7). Normalerweise müssten sich die simulierten Kurven an der Achse x = 0.0175
spiegeln. Diese Diskrepanz in der Simulation lässt auf Unregelmäßigkeiten im automatisch generierten
Netzgitter und numerischen Undulationen erklären. Es gilt zudem zu beachten, dass die Randbedingungen
das Strömungsmuster direkt beeinflussen. Hier wurde als Randbedingung eine konstante
Eintrittsgeschwindigkeit festgelegt. Eine periodische Randbedingung würde das Maximum der
Geschwindigkeitsgröße verändern.
Aus diesen Simulationen kann aus der Inhomogenität des Barytfeldes abgeleitet werden, dass die
hydraulischen Bedingungen der begrenzende Faktor für die Ausfällungsprozesse sind. In Bezug auf eine
Peclet/Damköhler-Analyse bedeutet dies, dass Pe/Da >> 1.
56 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
Mit dem nunmehr vorhandenen Simulationswerkzeug und –tools können z. B. über Dünnschliffe oder mit
Computertomographie erstellte Geometrien von Gesteinskörpern (vor, während und nach der
Durchströmung) prinzipiell in ein Simulationsgitter überführt werden und dann anschließend
Barytausfällungen bzw. -auflösungen nachgebildet werden.
Abbildung 6.6: Zweite Stufe eines Netzes einer Sierpinski Struktur folgend. Die nicht diskretisierten Bereiche (Quadrate
im Bild stellen inerte Bereiche dar (Strömungshindernisse).
Abbildung 6.7: Geschwindigkeitsverteilung des Fließfeldes (links) und dazugehörige Barytausfällung (rechts) im Schnitt
beim normalisierten Abstand x = 0.0175.
6.6 Zusammenfassung Im Rahmen des WP6 wurde die Integration der neuesten PhreeqC Version in die vorhandene Plattform
durchgeführt, so dass z. B. mit eigenen Anpassungen an der Datenbank nunmehr höhere Drücke bis zu
1000 bar und Temperaturen bis 375°C abgebildet werden können. Für hohe Salinitäten stehen nun Pitzer
und SIT (Specific ion Interaction Theory) Gleichungen zur Verfügung, um nicht ideale wässrige Lösungen
betrachten zu können.
ba
rite
co
nce
ntr
ati
on
(m
ol/
m³)
57 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
Für OpenFOAM als (CFD) Computer Fluid Dynamics Simulationstool wurde ebenso integriert, um nunmehr
z.B. auch turbulente Bedingungen nachbilden zu können. Um eine sinnvolle Anwendung im geothermalen
Umfeld zu ermöglichen, sind nunmehr transiente Navier-Stokes Simulationen möglich (z. B. als geochemische
Navier-Stokes Solver).
Aufgrund der nun vorhandenen Architektur, plant das EIFER in Zusammenarbeit mit Projektpartnern (u.a.
KIT) das mächtige Simulationswerkzeug in andern Bereichen der Geothermie, wie z. B. Modellierung von
Bohrvorgängen, die Simulation von Mehrphasenprozesse (z. B. im Bohrloch), bei der Simulation von
Korrosionsprozessen bei dynamischen Bedingungen, Biomasseanwendungen, etc. einzusetzen. Zu betonen
gilt, dass alle entwickelten Module und Methoden in der OpenSource Community (github) veröffentlich sind
oder werden.
6.7 Referenzen Liu X. (2013): Parallel Modeling of Three-dimensional Variably Saturated Ground Water Flows with
Unstructured Mesh using Open Source Finite Volume Platform.
Nusiaputra, Y. Y., Dimier, A., & T. Kohl (2016): A two-phase geothermal wellbore-simulator to model THC
behaviour using Elmer-Phreeqc, European Geothermal Congress 2016, Strasbourg, France, 19-24 Sept
2016, http://europeangeothermalcongress.eu/.
Orywall, P., Dimier, A, Kohl, Th., Kuhn, D., Place, J. & R. Zorn (2015): Experimental Validation of a Numerical
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Orywall, P., Düppel, K., Kuhn, D., Kohl, Th., Zimmermann, M. & Eiche, E. (2017): Flow-through experiments
on the interaction of sandstone with Ba-rich fluids at geothermal conditions. Geothermal Energy 5:20.
Parkhurst, D. & Wissmeier, L.: PhreeqCRM (2015): A reaction module for transport simulators based on the
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Thiéry D. (2015): Modélisation 3D du Transport Réactif avec le code de calcul MARTHE v7.5 couplé aux
modules géochimiques de PHREEQC, BRGM/RP-65010-FR 2015.
Wissmeyer & Barry D.A. (2011): Simulation tool for variably saturated flow with comprehensive geochemical
reactions in two- and three-dimensional domains, Environmental Modelling & Software 26 (210-218).
Wu Y. Z. (2016): A Combined Thermodynamic and Kinetic Model for Prediction of Barite Precipitation at Oil
Reservoir Conditions, PhD Dissertation, University of Copenhagen, 223 p.
58 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
AP7: Geologische Untergrundmodellierung am KIT Campus Nord
• Projektleitung und Bearbeitung: Prof. E. Schill, PD Dr. J.C. Grimmer, MSc E. Rodrigo Sosa Massaro, MSc F. Limberger,
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
7.1 Einleitung AP7 Hintergrund des AP7 ist ein neuartiges Konzept zur Optimierung der energetischen Nutzung
tiefengeothermischer Anlagen. Das auf den Oberrheingraben zugeschnittene Konzept beinhaltet eine Multi-
Niveau Nutzung mit einer Wärmegewinnung aus den mesozoischen geklüfteten Reservoirbereichen und
einer saisonalen Wärmeeinspeicherung in darüber liegenden tertiären Sandsteinen. Dieses Konzept stellt
einen Übergang von der Kohlenwasserstoffgewinnung aus den tertiären Schichten hin zur Speicherung
erneuerbarer Wärme aus den tieferliegenden Schichten dar. Insgesamt kann damit eine Reduzierung der
notwendigen Fließraten in der Wärmegewinnung erreicht werden. Dies soll neben der energetischen
Optimierung insbesondere der Reduzierung induzierter Seismizität dienen, die immer noch eines der größten
Hindernisse in der industriellen Entwicklung der Tiefengeothermie darstellt. Mit der angestrebten
Wärmegewinnung soll langfristig ein wesentlicher Teil der Wärme-Grundlast am KIT Campus Nord
klimaneutral abgedeckt werden.
Der KIT Campus Nord befindet sich auf der größten bekannten Wärmeanomalie Deutschlands mit
Temperaturen ≥100 °C in 2 km Tiefe. In Verbindung mit dem vorhandenen flächendeckenden Nahwärmenetz
bietet der KIT Campus Nord gute Voraussetzungen zur Gewinnung, saisonalen Speicherung und Verteilung
von Wärme aus Tiefengeothermie. Das AP7 bildet mit der Erstellung eines geologischen Untergrundmodells
anhand publizierter Daten einen ersten Meilenstein in der Umsetzung dieses neuartigen Konzeptes.
Dieses Untergrundmodell bildet die Grundlage für zukünftige Modellierungen und wird kontinuierlich
erweitert und verfeinert werden. Dazu wurden im Rahmen des AP7 bereits gravimetrische Daten an mehr
als 200 Punkten im Umfeld des Campus-Nord erhoben. Deren Auswertung erfolgt derzeit im Rahmen des
Projektes GEOTex, das aus dem Präsidialfond des KIT finanziert ist. Für petrographische Untersuchungen
hinsichtlich ihrer Eignung als Speichergesteine wurden aus einem Aufschluss im Rahmen von AP3 Sandsteine
der Meletta-Schichten beprobt und für petrographische Untersuchungen präpariert.
7.2 Ergebnisse
7.2.1 Geologisches Untergrundmodell
Die meisten der zahlreichen Erdölbohrungen der 1950/60er Jahre hatten die känozoische Grabenfüllung zum
Ziel, so dass das Untergrundmodell anhand von Bohrdaten bis in das stratigraphische Niveau der
Froidefontaine-Formation (ca. 31 Ma bis 28 Ma) – insbesondere im Umfeld des ehemaligen Erdölfeldes
Leopoldshafen – gut mit Daten belegt ist (Abb. 7.1, 7.2). Anhand publizierter geologischer 2D-Schnitte wurde
ein erstes Untergrundmodell des KIT Campus Nord erstellt (Abb. 7.3, 7.4). Diese Daten wurden in das
Modellierungsprogramm PETREL implementiert und mit weiteren Daten ergänzt. Das generelle strukturelle
Bild in den känozoischen Abfolgen ist durch annähernd grabenparallele NNE-streichende sowie schräg dazu
orientierte NW-streichende Störungen charakterisiert, deren Versätze jeweils im Streichen abnehmen. Die
Versätze der grabenparallelen Abschiebungen wurden über intern komplexe Akkomodationszonen auf
andere, subparallele Strukturen transferiert. Die prominenteste dieser NNE-streichenden Störungen ist die
hier mit ca. 50° nach Westen einfallende Leopoldshafen-Störung, die sich unmittelbar westlich des KIT
Campus-Nord befindet und von der pliozänen Diskordanz abgeschnitten wird (Abb. 7.2). Diese Beobachtung
deutet – im Rahmen der stratigraphischen Auflösung der Abfolgen – darauf hin, dass die Leopoldshafen-
Störung seit dem Pliozän nicht mehr aktiv war (Abb. 7.2). Das hochauflösende Digitale Geländemodell, das
aus AP 3 für dieses Arbeitspaket angepasst und verwendet wurde, zeigt zwei S-N-orientierte mäandrierende
Fließrinnen unmittelbar westlich des Campus Nord (Abb. 7.5), die sich in die ältere Aufschotterungsfläche
eingeschnitten haben. Mit Ausnahme dieser Fliessrinnen ließen sich im hochauflösenden Höhenintervall
zwischen 108 und 112 m ü. NN keine Lineamente nachweisen. Eine systematische und detaillierte Analyse
59 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
der plio-pleisto-holozänen Sedimentabfolgen im Umfeld des KIT Campus-Nord empfiehlt sich deshalb zur
Identifizierung und Charakterisierung möglicher neotektonischer Bewegungen.
Abbildung 7.1: Digitales Geländemodell des Campus-Nord (CN) Umfeldes mit den bekannten Bohrungen (rote Punkte). Das hier aufgelöste Höhenintervall liegt zwischen 100 m ü. NN und 120 m ü. NN. Der schraffierte Bereich markiert das Aufsuchungsgebiet für Erdwärme. Gut zu erkennen ist die flach nach NNE einfallende Aufschotterungsfläche der ehemaligen verflochtenen Fließrinnensysteme, die von reliktischen Dünenzügen überlagert wird, und in die sich die rezente mäandrierende Fließrinne des Rheins erosiv eingeschnitten hat.
Abbildung 7.2: Nicht-überhöhter (d.h. Maßstab Horizontal = Vertikal) geologischer Schnitt unmittelbar westlich des Campus-Nord, das anhand von Bohrungen in das ehemalige Erdölfeld Leopoldshafen gut dokumentiert ist (verändert nach Wirth, 1962). Die blauen Linien markieren die projizierten Bohrpfade der Bohrungen Leopoldshafen 1/1a, Leopoldshafen 5 und Leopoldshafen 13 (abgekürzt als „Leopold 5“, „Leopold 1/1a“, „Leopold 13“) in die Profilebene. Tiefenangabe auf der Ordinate ist in Meter unter der Oberfläche, die sich hier bei 110 m ü. NN befindet. Der Campus-Nord befindet sich wenige zehner Meter östlich der Bohrung Leopoldshafen 13. Punktsignaturen in den stratigra-phischen Einheiten markieren sandreiche Reservoir-gesteine, die als potenzielle Wärmespeicher in Frage kommen. Ölzuflüsse gab es aus den Sanden der Niederrödern-Formation und der Froidefontaine-Formation (Cyrenenmergel und Melettaschichten). Hinterlegte Temperaturen wurden aus Sauer (1981) kompiliert und vereinfacht unter der Annahme eines Gleichgewicht-Temperaturfeldes farblich abgestuft dargestellt.
Die Hauptaktivität der Leopoldshafen-Störung war während des frühen Miozäns (ca. 25-18 Ma) zur Zeit der
Ablagerung von Hydrobien-, Corbicula- und Cerithien-Schichten, da diese Abfolgen im Hangenden dieser
Abschiebung synsedimentär erhöhte Mächtigkeiten dokumentieren (Abb. 7.2). Die Vertikalkomponente
(„Sprunghöhe“) der Leopoldshafen-Störung nimmt im Streichen von Süden nach Norden von 300 m auf 600
m zu und nach Norden wieder leicht auf 550 m ab (Schad 1964). Man erkennt diese Variation der
Vertikalkomponente in Form von nach ESE abtauchenden offenen Syn- und Antiformen in der
Hangendscholle der Leopoldshafen-Störung (Abb. 7.4). Im Liegendblock tritt südöstlich des KIT Campus-Nord
eine Beckenstruktur auf, die nach SW von einer NNW-streichenden Störung begrenzt wird, die sich zwischen
der Leopoldshafen-Störung im Westen und der Stutensee-Störung im Osten erstreckt (Abb. 7.4). Die
Akkumulation von Öl erfolgte im Liegendblock in den sandigen Lagen der Froidefontaine- und Niederrödern-
60 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
Formation entlang der Leopoldshafen-Störung. Das ehemalige Erdölfeld Leopoldshafen konnte aus mehreren
Horizonten Ölzuflüsse in die Bohrung verzeichnen (s.o.) und wird deshalb als gestapeltes Reservoir („stacked
reservoir“) bezeichnet. Mit einer Feldesgröße von 2000 m x 500 m und einer Gesamtölförderung von 187.600
Tonnen war dieses Feld das siebtgrößte Erdölfeld im Oberrheingraben (Boecker, 2015). Die unterhalb vom
KIT Campus Nord in ca. 700±50 m Tiefe liegenden, flach nach NE einfallenden Bunten Niederröderner
Schichten (BNS bzw. Niederrödern-Formation; Abb. 7.3) enthalten, an deren Basis fluviatile Sandsteine
auftreten, die als potenzielle Reservoire für die Einspeisung und Speicherung von Überschusswärme in Frage
kommen. Weitere potenzielle Speicherhorizonte bilden Sandsteine der Froidefontaine-Formation, die in den
unter brackischen Bedingungen abgelagerten Cyrenen-Mergeln und den unter marinen Bedingungen
abgelagerten Meletta-Schichten auftreten.
Abbildung 7.3: Publizierte Profile als Datengrundlage für 3D-Untergrundmodellierung. Farbige Punkte markieren Bohransatzpunkte ehemaliger Explorations- und Produktionsbohrungen an der Erdoberfläche. Der KIT Campus Nord liegt im Verschneidungsbereich von drei Profilen. Westlich vom Campus Nord liegt das mit Bohrungen gut erschlossene Erdölfeld Leopoldshafen. Die Ziffern der X- und Y-Achse repräsentieren Gauss-Krüger-Koordinaten. Z-Achse: Tiefe in Meter. Grüner Pfeil: Nordrichtung. Profile wurden kompiliert und georeferenziert und von Schad (1962), Schad (1964), Wirth (1962), Sauer (1981) übernommen.
Abbildung 7.4: Modellierung der Oberfläche („formation top“) der
Niederrödern-Formation. Farblegende (links oben) gibt Tiefenlage
an, die von -100 m unter NN (grün) bis -1400 m unter GOK (rot)
variiert. Die Lage des KIT Campus Nord ist durch das rote Polygon
markiert. Die Oberfläche der Niederrödern-Formation befindet
sich ca. in 700 m Tiefe. Die sandreichen Lagen der Niederrödern-
Formation befinden sich an der Basis der Formation in ca. 900 m
Tiefe. Unmittelbar westlich davon ist die prominente NNE-
streichende Leopoldshafen-Störung gut zu erkennen. Die Ziffern
der X- und Y-Achse repräsentieren Gauss-Krüger-Koordinaten.
Grüner Pfeil: Nordrichtung.
Abbildung 7.5: Hochauflösendes Digitales Geländemodell der unmittelbaren Umgebung des Campus-Nord des Höhenintervalls 108 – 112 m ü. NN. Die SW-NE-orientierten Strukturen am rechten unteren Bildrand sind reliktische Dünenzüge. Zwei NNE-SSE-orientierte, mäandrierende Fliessrinnen haben sich westlich des KIT Campus Nord erosiv in die pleistozäne Aufschotterungsfläche eingeschnitten.
61 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
7.2.2 Gravimetrie-Meßkampagne
In Ergänzung des Untergrundmodells wurde eine Gravimetrie-Meßkampagne im Umfeld des KIT Campus Nord durchgeführt. Die Messungen wurden mit einem CG-6 Autograv (Scintrex) durchgeführt. Das Messgerät verfügt über einen Messbereich von über 8000 mgal, eine Genauigkeit von 0.0001 mgal und eine Standardabweichung der Messungen von < 0.005 mgal. Für die Höhen- und Koordinatenbestimmungen wurde ein GNSS-Empfänger verwendet. Insgesamt wurden über 200 Datenpunkte gemessen (Abb. 7.6). Regionale Bouguer-Schwerdaten wurden von den Landesämtern für Vermessung und Geobasisinformation, Rheinland-Pfalz, und Vermessung und Geoinformation, Baden-Württemberg, zur Verfügung gestellt. Die Auswertung der Daten erfolgt derzeit im Rahmen des aus dem Präsidialfond des KIT finanzierten Projekt GEOTex.
Abbildung 7.6: Datenpunkte (rote Dreiecke) für gravimetrische Messungen. Koordinaten sind Gauß-Krüger-Koordinaten
(DHDN3). Rotes Polygon markiert Grenze der Aufsuchungserlaubnis für Erdwärme.
7.2.3 Petrographie Meletta-Sandsteine
Im Rahmen strukturgeologischer Untersuchungen in AP 3 wurden in der Tongrube „Dammstücker“ bei Nußloch Sandsteine der unteren Meletta-Schichten für eine erste petrographische Untersuchung beprobt. Die Sandsteine der Meletta-Schichten treten hier in einer Grabenrandscholle auf und werden von quartären fluviatilen Sanden und Schottern diskordant überlagert. Es handelt sich um schwach verfestigte, dunkelgraue, glimmerführende, karbonatische, Feinsandsteine, die Mindest-Mächtigkeiten von 2 m aufweisen und sich in der äußersten Südwestecke auf der untersten Sohle der Tongrube befinden. Sie wurden nach Osten an einer Störung gegen graue siltige Tone versetzt. Nach Westen werden sie bereits zunehmend von anthropogenem Verfüllmaterial (i.e. Bauschutt) überdeckt. Die strukturgeologischen Daten sind in AP 3 dargestellt. Da die Sandstein-Probe aufgrund ihrer geringen Verfestigung absandete, wurde sie in Epoxydharz eingebettet, um als Probe für das Rasterelektronenmikroskop präpariert werden zu können.
62 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
Die Partikel der klastischen Gesteinsprobe bestehen überwiegend aus Quarz, Dolomit, Hellglimmer und Feldspäten (Kalifeldspat, Albit, Plagioklas) sowie untergeordnet aus Schwermineralen (Abb. 7.7). An Schwermineralen wurden Rutil, Ilmenohämatit, Allanit und Ca-Fe-Amphibol nachgewiesen (Abb. 7.7).
Abbildung 7.7: Rasterelektronmikroskopische Aufnahme der rückgestreuten Elektronen (backscatter electrons; BE) von einer Sandsteinprobe aus den unteren Meletta-Schichten aus der Tongrube „Dammstücker“ bei Nußloch. Qz: Quarz, Cc: Calcit, Dol: Dolomit, Pl: Plagioklas, Ab: Albit. Bildbreite (view field): 2,39 mm. Die meisten Partikel erscheinen mittel- bis dunkelgrau in einer hellgrau erscheinenden calcitischen Zementmatrix. Weiße Körner sind Schwerminerale; in diesem Fall Ca-Fe-Amphibol und Rutil. Identifizierung der Minerale erfolgte durch EDS-Analysen. Schwarze Bereiche markieren die mit Epoxydharz verfüllten Porenräume. Die Porosität dieser Probe beträgt 15-20%.
Rasterelektronenmikroskopische Untersuchungen zeigen, dass der Porenraum teilweise mit Calcit als dominierendes Zementmaterial verfüllt ist, teilweise aber auch offen bzw. aufgrund der Präparation mit Epoxydharz verfüllt ist (Abb. 7.7). Wenige µm-große authigene Pyrit-Framboide im calcitischen Zement deuten auf eine früh-diagenetische authigene Bildung von Pyrit in einer Calcitmatrix unter reduzierenden Bedingungen hin. Die texturellen Beobachtungen deuten auch darauf hin, dass die Permeabilitäten und Porositäten in diesen Sandsteinen von der Calcitzementation und möglicherweise sekundären Lösungsprozessen kontrolliert werden. Bruss (2000) gibt aus drei Bohrungen Porositäten von 8,7% – 25,6% und Permeabilitäten von 1,3 mD – 64 mD für die Sandsteine in den Meletta-Schichten an. Die große Spannbreite dieser Poro-Perm-Daten ist im Wesentlichen auf unterschiedliche Anteile an porositätsreduzierendem Calcit-Zement zurückzuführen. Weitere Untersuchungen an Bohrkernen von känozoischen Sandsteinen aus dem Oberrheingraben sind für das geplante LFZG-Nachfolgeverbundprojekt SENG geplant, um diese Beobachtungen und die Arbeiten von Bruss (2000) anhand von Isotopen- und Spurenelementanalysen sowie Kathodenlumineszenz-Untersuchungen weiter auszudifferenzieren und zu verfeinern.
63 Tiefengeothermie – Charakterisierung und Monitoring (TG-CHARMING) – Abschlussbericht
7.3 Literaturverzeichnis Böcker, J. (2015) Petroleum system and thermal history of the Upper Rhine Graben – Implications from
organic geochemical analyses, oil-source rock correlations and numerical modelling. Dissertation RWTH Aachen, 154 S.
Bruss, D. (2000) Zur Herkunft der Erdöle im mittleren Oberrheingraben und ihre Bedeutung für die
Rekonstruktion der Migrationsgeschichte und der Speichergesteinsdiagenese. Dissertation Forschungs-
zentrum Jülich, Berichte des Forschungszentrums Jülich, 3831, 222 S.
Ministerium für Umwelt Baden-Württemberg & Ministerium für Umwelt und Gesundheit Rheinland-Pfalz
(1988) Hydrogeologische Kartierung und Grundwasserbewirtschaftung im Raum Karlsruhe-Speyer.
Analyse des Ist-Zustandes. Aufbau eines mathematischen Grundwassermodells. Stuttgart – Mainz, 111 S.
Sauer, K. (1981) Geothermische Synthese des Oberrheingrabens zwischen Karlsruhe und Mannheim (Anteil
Baden-Württemberg). Geologisches Landesamt Baden-Württemberg, Freiburg, 72 S.
Schad, A. (1962) Voraussetzungen für die Bildung von Erdöllagerstätten im Rheingraben. Abhandlungen des
Geologischen Landesamtes in Baden-Württemberg, 4, 29-40.
Schad, A. (1964) Feingliederung des Miozäns und die Deutung der nacholigozänen Bewegungen im Mittleren
Rheingraben. Abhandlungen des Geologischen Landesamtes in Baden-Württemberg, 5, 1-56.
Wirth, E. (1962) Die Erdöllagerstätten Badens. Abhandlungen des Geologischen Landesamtes in Baden-
Württemberg, 4, 63-80.