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Stephan Lange (Universität Bielefeld) Wintersemester 2008/09Kasusabbau bei schwachen MaskulinaStephan Lange (Universität Bielefeld) 28. November 2012
Stephan Lange
Universität BielefeldFakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft
Kasusabbau bei schwachen Maskulina
Kasusabbau bei schwachen Maskulina 28. November 2012
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Stephan Lange (Universität Bielefeld)
• Im Deutschen werden traditionell drei unterschiedliche Deklinationstypen unterschieden:
• Schwache Substantive, ausnahmslos Maskulina, weisen das Suffix -(e)n im Singular in allen obliquen Kasus und im Plural in allen Kasus im auf.
Einleitendes zur schwachen Substantivflexion
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• Insgesamt lassen sich hier fünf verschiedene Gruppen unterscheiden:
• native Maskulina:1. belebte Nomina auf Schwa, vgl. Bote, Kunde, Affe, Falke2. belebte Nomina, vgl. Bär, Fink, Held, Mensch
• nichtnative Maskulina:
3. belebte Nomina auf Schwa, vgl. Experte, Sklave, Virologe, Kleptomane
4. belebte Nomina mit nichtnativem Wortausgang, vgl. Pilot, Demokrat
5. unbelebte Nomina mit nichtnativem Wortausgang, vgl. Automat, Komet
Einleitendes zur schwachen Substantivflexion
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• Entgegen dieser traditionellen Beschreibung existieren im Standarddeutschen der Gegenwart im Akk. u. Dat. Sg. aber zwei Varianten nebeneinander:• Schwache Maskulina können in den genannten Kasus
entweder mit oder ohne Kasussuffix -(e)n auftreten.
• Die zu beobachtende Variation legt nahe, dass im Bereich der schwachen Substantivdeklination ein Wandel stattfindet, vgl. etwa:
• [DPDat Dem Demokrat] gelang, woran etablierte Politiker regelmäßig scheitern. (focus.de 11/08)
• Carl von Linné, der Begründer der modernen botanischen und zoologischen Taxonomie, teilte [DPAkk den Bär] in nur zwei Arten ein. (br-online.de 03/08)
• Wo kann man [DPAkk den Komet] am Sternenhimmel finden? (welt.de 10/07)
Sprachwandelerscheinungen innerhalb der sw. Substantivflexion
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• Wie viele andere Grammatiken schreibt auch der Duden (2006), dass sich im Gegenwartsdeutschen eine gewisse Tendenz zeigt,
„das schwache Deklinationsmuster zugunsten des Standardmuster für Maskulina, der starken Flexion,
aufzugeben.“ (S. 218)
• Es zeigt sich jedoch, dass ein Kasusabbau im Akk. und Dat. Sg. keineswegs dazu führt, dass ein schwaches Substantiv stark flektiert.
• Von einem Wechsel zur starkem Flexionstyps lässt sich erst sprechen, wenn ein schwaches Maskulinum auch im Gen. Sg. und in allen Pluralformen das Suffix -(e)n abwirft.
Entwickeln sich sw. Maskulina zu st. Maskulina?
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• Die schwache Deklination lässt sich bis zu den rekonstruierbaren Strukturen des Indoeuropäischen zurückverfolgen.
• In dieser Sprachstufe lassen sich acht Substantivklassen feststellen, deren Klassifikation sich durch unterschiedliche stammbildende Suffixe ergibt.
• Nomina der -n-Klasse weisen im Ieur. einen relativ starken semantischen Bezug auf: Sie benennen Körperteile und insbesondere Lebewesen.
• Das Flexionsverhalten der morphologischen -n-Klasse im Ieur. wird damit durch die außermorphologische Eigenschaft [+belebt] motiviert.
Historische Entwicklung schwacher Maskulina (Ieur.)
Wurzelnomen st. b.Suffix Flexionsmorphemghost -i- skan -on- Ø
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• Während im Ahd. eine Klassenzuordnung einzelner Substantive noch auf Basis eines spezifischen vokalischen Wortausganges im Nom. Sg. noch möglich war, ist dieses im Mhd. nicht mehr der Fall.• Einige starke und alle schwachen Maskulina weisen im
Nom. Sg einen Wortausgang auf -e auf -ere-/-e bei st. Mask. und -e bei sw. Mask.
• Da die maskulinen Paradigmentypen damit kein eigenes außer-morphologisches Merkmal mehr aufweisen, wäre eine Vereinheitlichung beider Klassen durchaus erwartbar.
• Da aber der Erhalt morphologischer Klassen gerade an bestimmte außer-morphologische Merkmale gekoppelt ist, ergeben sich für die Entwicklung der sw. Maskulina im Mhd. folgende Möglichkeiten: • Das Flexionsverhalten einer msk. Klasse wird an and.
Merkmale geknüpft. • Die Klasse löst sich durch Übergang ihrer Substantive in
andere Paradigmentypen vollständig auf.
Historische Entwicklung schwacher Maskulina (Mhd.)
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Historische Entwicklung schwacher Maskulina (Mhd./Frnhd.)
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Kasusabbau sw. Maskulina im Gwd.
• Im Gegenwartsdeutschen lässt sich nun beobachten, dass schwache Substantive nicht im gleichen Maße vom Abbau der Kasusflexion betroffen sind.
• Nach Köpcke (1995) lässt sich der Abbau der Kasusflexion bei schwachen Substantiven anhand einer Prototypikalitätsskala vorhersagen:
• Je weiter die Merkmale eines Substantivs von denen des Prototyps entfernt sind, desto eher tendiert es dazu, im Akk. oder Dat. Sg. kein Kasussuffix zu tragen.
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Fragestellung II (Gebrauchsfrequenz)
• In der Sprachwandelforschung wird angenommen, dass die Gebrauchsfrequenz Einfluss auf den Wandel morphologischer Formen hat (z.B. Nübling 2006).• Diese Frequenz sieht Nübling (2006) als ein Motiv des
flexivischen Wandels an. • Hat ein Wort eine hohe Gebrauchsfrequenz, sind seine Formen
gut im mentalen Lexikon verankert. Daraus folgt, dass die Wortform eines Lexems stärker im
Lexikon verankert ist, je höher ihre Gebrauchsfrequenz ist.
• Daraus lässt in Bezug auf den Abbau der Kasusflexion bei schwachen Substantiven die folgende Vorhersage ableiten:• Schwache Substantive mit einer frequenteren nicht-
flektierten Form sind (im Akk. und Dat. Sg) stärker vom Abbau der Kasusflexion betroffen als solche mit einer frequenteren flektierten Form.
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Fragestellungen und Experimentbeschreibung
• In Anlehnung an die Überlegungen Köpckes (1995) und Nüblings (2006) stellt sich die Frage, inwiefern der Abbau der schwachen Kasusflexiona) von der Gebrauchsfrequenz einer Substantivform undb) vom Grad der Prototypizität eines schwachen Substantivs
beeinflusst wird.
• Die Überprüfung dieser Hypothesen erfolgte durch die Befragung kompetenter Sprecher. Dem hierzu durchgeführten Experiment lag folgende Struktur zu Grunde:• 40 Versuchspersonen bekamen je vier unterschiedliche
Texte vorgelegt.• In jedem Text wurden neben Ablenkerfehlern mehrere
schwache Substantive in ihrer flexionslosen Form integriert.• Die Versuchspersonen hatten die Aufgabe, sämtliche Wörter
im Text zu kennzeichnen, die ihnen als nicht korrekt erschienen.
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Experimentbeschreibung: Beispieltext
Textbeispiel:
Zuletzt hatten der damalige republikanischer Präsident Dwight Eisenhower 1957 der Todesstrafe gegen einen verurteilte Angehörigen der Streitkräfte zugestimmt. 1962 hatte es ein verurteilter Soldat dem überzeugten Demokrat und scharfen Gegnern der Todesstrafe John F. Kennedy zu verdanken, dass seine Hinrichtung in eine lebenslange Haftstrafe verwandelt wurde. Wann und wo Gray hingerichtet worden soll, war zunächst nicht bekannt. „Obwohl es eine ernster und schwierigen Entscheidung für den Präsident ist, ein Todesurteile gegen ein Mitglied der Streitkräfte zu bestätigen, glaubt er, dass die Fakten in diesem Fall kein Zweifel daran lassen, dass die Strafe gerecht und notwendig ist“, sagte Bushs Sprecherin Dana Perino in einer Erklärung. „Soldat Gray wurde wegen brutaler Verbrechens verurteilte, darunter zwei Morden und drei Vergewaltigungen. Die Opfer war eine Zivilistin und zwei Angehörige des Heer. Einen amerikanischen Held stellt man sich sicherlich ganz anders vor.“
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Experimentbeschreibung: Frequenzklassen
• Um eine entsprechende Aussage über den Einfluss der Gebrauchsfrequenz treffen zu können, wurde neben der Frequenz der flexionslosen Form auch die der flektierten Form berücksichtigt.
• Hieraus ergaben sich drei unterschiedliche Frequenzklassen:• GF (Grundform): Dieser Klasse gehören die Substantiv an,
deren flexionslose Form frequenter ist als deren flektierte Form.
• AF (abgeleitete Form): Dieser Klasse gehören alle Substantiv an, deren flektierte Flexion frequenter ist als deren flexionslose Form.
• egal: Dieser Klassen gehören die Substantive an, bei denen der Unterschied zwischen den Frequenzen der flexionslosen und der flektierten Form nur gering ist.
Grundform abgeleitete Form egalPräsident (513) Präsident-en (151)
Demokrat (9)Demokrat-en
(273)
Referent (30)Referent-en (33)
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Stephan Lange (Universität Bielefeld)• Ist die Gebrauchsfrequenz der flexionslosen Form (GF) höher
als die der flektierten Form (AF), tendiert das Lexem dazu, im Akk. und Dat. Sg. keine Kasusendung zu tragen.
Ergebnis I: Gebrauchsfrequenz und Kasusabbau
Demokrat (48%)GF: 9 AF: 273
Held (50%)GF: 105 AF: 155
Präsident (35%)
GF: 1151 AF: 513
Prinz (28%)GF: 309 AF: 75
Graf (33%)
GF: 423 AF: 96
Elefant (75%)GF: 8 AF: 48
Papagei (5%)GF: 13 AF: 7
Tend
enz z
um K
asus
abba
u
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Ergebnis II: Gruppenzugehörigkeit und Kasusabbau
mehrsilbig, [+ belebt](Elefant)
zweisilbig, [+ menschlich]
(Student)
zweisilbig, [- belebt](Planet)
einsilbig, [+ menschlich]
(Prinz)
einsilbig, [+ belebt]
(Bär)
Tend
enz z
um K
asus
abba
u
finales Schwa(Rabe)
mehrsilbig,[+ menschlich]
(Präsident)
mehrsilbig, [- belebt](Satellit)
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Ergebnis II: Gruppenzugehörigkeit und Kasusabbau
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• Hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen Gebrauchsfrequenz und der Tendenz zum Kasusabbau schwacher Maskulina lässt sich also Folgendes sagen:
• Das Kasussuffix am sw. Substantiv ist im Akk. u. Dat. Sg. eher erhalten, wenn die Gebrauchsfrequenz der flektierten Substantivform höher ist als die Gebrauchsfrequenz der kasuslosen Form.
Schlussbetrachtungen I: Gebrauchsfrequenz und Kasusabbau
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Stephan Lange (Universität Bielefeld)
• Hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen Gruppenzugehörigkeit und der Tendenz zum Kasusabbau sw. Maskulina lässt sich feststellen:• Die im Dt. beobachtete Tendenz zum Abbau von
Kasussuffixen bei (mehrsilbigen) sw. Maks. kann entlang zweier Kriterien erklärt werden:
1. durch das formale Kriterium des finalen Schwas
2. durch das semantische Kriterium [+ belebt, + menschlich]
• Unterscheiden sich zwei Substantive nur darin, dass das eine einsilbig und das andere zwei-/mehrsilbig ist, so bleibt die Kasusendung eher bei dem Substantiv erhalten, das mehr als eine Silbe hat.
Schlussbetrachtungen II: Gruppenzugehörigkeit und Kasusabbau