Post on 06-Apr-2016
Soziale Ungleichheit und Gesundheit in Deutschland:
Müssen Arme früher sterben?
Uwe Helmert
Abteilung Gesundheitsökonomie, Gesundheitspolitik und
Versorgungsforschung
Zentrum für Sozialpolitik
Universität Bremen
Gliederung
Zwei wichtige Fragestellungen
Forschungsstand in Deutschland 1994
Forschungsstand in Deutschland 2007
Ökologische Studien
Längschnittstudien Lebenserwartungssurvey des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) 1984-1998 Routinedaten der Gmünder Ersatzkasse seit 1990 Augsburger MONICA-Studie seit 1984
Schlussbemerkungen
Zwei wichtige Fragestellungen
1. Sozialer Gradient bei der Gesundheit oder überwiegend arme Bevölkerung von schlechter Gesundheit betroffen?
2. Armut schlechte Gesundheit oder schlechte Gesundheit Armut?
arm reich
arm reich
Gesundheit
Sozialer Gradient
Armutseffekt
Buchtipp
Michael Marmot (2005)Status Syndrom – How your social standing directly affects your health.London: Bloomsbury, 312 Seiten
„In diesem inspirierenden Buch liefert der renommierte britische Epidemiologe Michael Marmot Antworten auf die Frage, warum das soziale Standing einen so umfassenden Einfluss auf die Gesundheit und die Langlebigkeit ausübt.
Basierend auf mehr als 30 Jahren internationaler sozial-epidemiologischer Forschungsexpertise zum Zusammenwirken sozialer Faktoren und der gesundheitlichen Entwicklung umreißt Marmot auch erfolgsversprechende Stategien, um das Problem der sozialen Ungleichheit der Gesundheit anzugehen.“
Armut
Hinnahme
krankmachender
BedingungenKrankheit
Behinderung
Die Armuts – Krankheits - Spirale
vorzeitiger Tod
vorzeitiger Tod
Soziale Ungleichheit: Unterschiede in Wissen, Macht, Geld und Prestige
Unterschiede in gesundheitlichen
Belastungen
Unterschiede in Bewältigungs-
ressourcen
Unterschiede in der gesundheitlichen
Versorgung
Unterschiede im Gesundheits- und Krankheitverhalten
Gesundheitliche Ungleichheit
Unterschiede in Morbidität
und Mortalität
Quelle: Ekeles & Mielck 1997
Forschungsstand in Deutschland 1994
Andreas Mielck (Hg.) (1994)
Krankheit und soziale UngleichheitSozialepidemiologische Forschung in DeutschlandOpladen: Leske und Budrich456 Seiten
Heinz Harald Abholz (1994)
Krankheit und soziale Lage
Einige Gedanken zu einem in (West-) Deutschland ausgesparten Thema
> Weltweit deutlicher Zusammenhang zwischen sozialer Lage und Morbidität/Mortalität
> In den Industrienationen beträgt die Differenz der mittleren Lebenserwartung zwischen der höchsten und niedrigsten Sozialschicht ca. 7 Jahre
> In Großbritannien, Skandinavien und den USA existiert eine differenzierte Forschung zu der Thematik. Umfangreiche Daten liegen über einen Zeitraum von etwa 80 Jahren vor.
> In Deutschland gab es nennenswerte Forschungsarbeiten im Zeitraum 1910 bis 1932
Beispiele Funk 1911: Die Sterblichkeit nach sozialen Klassen in der Stadt Bremen Mosse & Tugendreich 1913: Krankheit und soziale Lage
> Das Thema wurde in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg stark vernachlässigt
Die spärliche Bearbeitung erfolgte dabei nahezu ausschließlich außerhalb der Medizin, vorwiegend von Sozialwissenschaftlern
Nicht so in anderen Ländern
Beispiel Großbritannien: Hier werden seit 1980 viele wichtige und aufschlussreiche
Studien in renommierten medizinischen Journalen (The Lancet, British Medical Journal) publiziert und intensiv diskutiert
Was sind die Ursachen dafür?
Durch den Faschismus gebrochene Tradition der Sozialmedizin in Deutschland
Exodus vieler jüdischer Sozialmediziner
Tabuisierung des Themas im Rahmen der Systemauseinandersetzung zwischen Ost und West. Dies galt sowohl für West- als Ostdeutschland
Omnipotenzansprüche der west-deutschen Medizin
Andreas Mielck & Uwe Helmert (1994): Krankheit und soziale Ungleichheit: Empirische Studien in Westdeutschland 1975-1993
Publikationen zur Morbidität: 46 zur Mortalität: 19 zum Gesundheitsverhalten: 26
insgesamt: 91
Pro Jahr: lediglich 3 - 4 Publikationen
Problematisch: insgesamt nur 4 Längsschnittstudien
Befunde der empirischen Studien 1975 - 1993
Sozialer Gradient für Morbidität / Mortalität eindeutig 61 uneindeutig 9 invers 2
Sozialer Gradient für Gesundheitsverhalten eindeutig 15 uneindeutig 9 invers 2
Für nahezu alle Erkrankungen konnte die internationale sozialepidemiologische Forschung bis 1995 überzeugend nachweisen, dass die Inzidenz und Prävalenz mit abnehmendem sozialem Status deutlich ansteigt.
Aber es gibt Ausnahmen für zwei quantitativ sehr bedeutsame Erkrankungen!
???
Forschungsstand in Deutschland 2007
Matthias Richter & Klaus Hurrelmann (Hg.) (2006)
Gesundheitliche UngleichheitGrundlagen, Probleme und PerspektivenWiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften459 Seiten
1994 – 2006 erschienen basierend auf einer Zählung von Andreas Mielck in Deutschland etwa 600 Publikationen zum Thema „Soziale Ungleichheit und Gesundheit“
pro Jahr: etwa 45 Publikationen
im Vergleich zu nur 3 – 4 Publikationen pro Jahr im Zeitraum 1975 - 1993
Ökologische Studien
Sozialer Gradient der Entwicklung der Mortalität und der mittleren Lebenserwartung in Deutschland auf der Ebene der Bundesländer
Unteres Quartil des Haushaltsnettoeinkommens in % nach Bundesländern
(Mikrozensus 2003, N = 276132, Alter <= 60 Jahre)
Flächenstaaten West Flächenstaaten Ost Stadtstaaten
1. 17.4 Baden-Württemberg 2. 17.6 Bayern 3. 19.1 Rheinland-Pfalz 4. 19.9 Hessen 5. 22.5 Niedersachsen 6. 22.8 Schleswig-Holstein 7. 23.0 Nordrhein-Westfalen 8. 23.9 Saarland
9. 29.2 Brandenburg10. 30.3 Hamburg11. 30.5 Thüringen12. 30.9 Sachsen13. 31.2 Sachsen-Anhalt14. 32.9 Bremen15. 34.1 Mecklenburg-V.16. 36.2 Berlin
Mittel 20.7 31.2 33.1
Abb. 1: Verlorene Lebensjahre nach Einkommen in den Bundesländern im Jahre 2002 pro 100 000 Personen < 70 Jahre
3.000
3.200
3.400
3.600
3.800
4.000
4.200
4.400
4.600
4.800
5.000
1.000 1.100 1.200 1.300 1.400 1.500 1.600 1.700 1.800
mittleres Haushaltsäquivalenzeinkommen / Monat in Euro
verlo
rene
Leb
ensj
ahre
pro
100
000 MP
SAnBREMEN
Bra
ThüSa Nds
Ber Saar
HH NRWRP SHBay Hes
BW
Abb. 2: Verlorene Lebensjahre und Einkommen < 70 % in den Bundesländern im Jahr 2002 pro 100 000 Personen < 70 Jahre
3.000
3.200
3.400
3.600
3.800
4.000
4.200
4.400
4.600
4.800
5.000
20 30 40 50 60
Anteil Haushalte mit Äquivalenzeinkommen < 70%
verlo
rene
Leb
ensj
ahre
pro
100
000
BW
NRW
Saar
SH
Hes Bay
HHNds
Ber
RP
BREMEN
Bra
Thü Sa
MP
SAn
Mittlere Lebenserwartung der Männer 2004 und Arbeitslosigkeitsraten 2004
nach Bundesländern
72
73
74
75
76
77
78
5 10 15 20
Arbeitslosigkeitsrate in %
Lebe
nser
war
tung
in J
ahre
n
Korr-Koeff = -0.80
Mittlere Lebenserwartung der Männer 2004 und Arbeitslosigkeitsraten 2004
nach Bundesländern
72
73
74
75
76
77
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5 10 15 20
Arbeitslosigkeitsrate in %
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n
Korr-Koeff = -0.80
BW
SL
BLNSA
HB
MV
Längsschnittstudien
Valide Informationen über die Bedeutung von sozialschichtspezifischen Faktoren für die Sterblichkeitsentwicklung beruhen auf der Verknüpfung personenbezogener Daten zu Einkommen, Bildung und beruflischem Status mit der Sterblichkeitsentwicklung
Nur Längsschnittstudien können wissenschaftlich
abgesicherte Ergebnisse liefern!
Längsschnittstudien aus Deutschland
Lebenserwartungssurvey des Bundesinstitutes für Bevölkerungsforschung 1984-1998
Routinedaten der Gmünder Ersatzkasse (GEK) seit 1990
Augsburger MONICA-Studie seit 1984
Sozio-ökonomisches Panel (SOEP) seit 1984
Lebenserwartungssurvey des Bundesinstitutes für Bevölkerungsforschung 1984-1998 Mortalitäts-Follow-up 1998
des 1. Nationalen Gesundheitssurveys 1984/86durchgeführt von INFRATEST-Gesundheitsforschung im Auftrag des Bundesinstitutes für Bevölkerungsforschung Wiesbaden
Survey 1984/86repräsentative Stichprobe der deutschen Wohnbevölkerung alte Bundesländer31-69 JahreBeteiligungsrate 69 %N = 8474
Vitalstatus im Mortalitäts-Follow-up 1998lebend 6372 75.2 % verstorben 957 11.3 %lost-to-follow-up 1145 13.5 %insgesamt 8474 100.0 %
Mortalität und soziodemographische Merkmale altersadjustierte relative Risiken
Männer FrauenBerufsausbildung hoch (Ref.) 1.00 1.00 mittel 1.94 *** 1.62 niedrig 2.19 *** 1.52 sehr niedrig 2.44 *** 1.58
Familienstand verheiratet (Ref.) 1.00 1.00 ledig 1.24 1.37 geschieden 1.59 ** 1.67 ** verwitwet 1.70 ** 1.16
Multivariate Analyse I
Risikofaktoren und soziodemografische Merkmalealtersadjustierte relative Risiken
Männer Frauenstarker Raucher 2.22 *** 2.95 ***starkes Übergewicht 1.15 1.17 Bluthochdruck 1.52 *** 1.87 ***keine sportliche Aktivität 1.54 *** 1.56 ***hoher Alkoholkonsum 1.72 *** 2.65 ***
sehr niedrige Ausbildung 1.86 ** 1.25nicht verheiratet 1.41 * 1.06
Multivariate Analyse IIAnzahl Risikofaktoren und soziodemografische Merkmale altersadjustierte relative Risiken
Männer Frauenein Risikofaktor 1.88 *** 1.75 ***zwei Risikofaktoren 2.82 *** 2.85 ***drei und mehr Risikofaktoren 4.53 *** 5.07 ***
sehr niedrige Ausbildung 1.86 ** 1.19 ***nicht verheiratet 1.45 *** 1.24 ***
Routinedaten der Gmünder Ersatzkasse seit 1990
Anzahl der Versicherten in der GEK: 2.1 MillionenBerücksichtigt für die folgende Analyse: Altersgruppe 50-59 Jahren
Männer Frauen
Durchgängig versichert 1990-2003: 26612 83.1% 2120 86.0%Versicherungsende vor 2003 Kassenaustritt (zensiert): 1387 4.3% 199 8.1% verstorben: 4015 12.5% 147 6.0%
Gesamt: 32014 100.0% 2466 100.0%
0
0,02
0,04
0,06
0,08
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
Beobachtungsjahre seit 1990
Freiwillig versicherte Frauen
Freiwillig versicherte MännerPflichtversicherte Frauen
Pflichversicherte Männer
Mortalitätsanalysen: Gmünder Ersatzkasse 1990-2003
Abbildung 4
Augsburger MONICA-Studie seit 1994
Sven Schneider (2002): Lebensstil und Mortalität. Welche Faktoren bedingen ein langes Leben? Wiesbaden: Westdeutscher Verlag
Mortalitäts-Follow-up aus der Region AugsburgFollow-up Zeitraum: 1984-1998
Anzahl Studienteilnehmer: 8802 Männer und Frauen 25-74 J. alt Anzahl Verstorbener: 686 7.8%
Zusammenfassung der Ergebnisse (Schneider, 2002, S. 222/223)
Soziologische Dimension
Lebensbedingungen Vertikal strukturierende Variablen Einkommen - Bildung - Berufliche Stellung - Horizontal strukturierende Variablen Alter + weiblich - verheiratet - evangelisch - Lebenstil BMI o Sport - Rauchen + Alkohol u-förmig Netzwerkdichte -
Medizinische Dimension
Medizinische Risikofaktoren Gesamtcholesterin + HDL-Cholesterin o Diabetes mellitus + Hypertonie o Pulsfrequenz +
Gesundheitszustand subjektive Einschätzung des Gesundheitszustandes - Psychische Ausgeglichenheit -
Die Untersuchung von Sven Schneider bestätigt das von Heinz Harald Abholz 1994 formulierte Resumé:
„Medizin ist nicht die wesentliche Einflussgröße für Krankheit und Gesundheit. Unsere Lebensbedingungen, einschließlich der sozialen, sind hier entscheidender.“
„Die deutsche Medizin hat bis heute einen unübersehbaren Omnipotenzanspruch gegenüber anderen Berufsgruppen.“
„Eine eher selbstkritische Medizin dagegen – wie in England und Skandinavien – toleriert die Benennung von anderen Bereichen – so dem sozialen – mit deutlichem Einfluss auf Gesundheit und Tod.“
Aufgrund der theoretischen und methodischen Kompetenz der Gesundheitssoziologie und der Sozialepidemiologie sowie der absehbaren zunehmenden Brisanz der Sterblichkeitsentwicklung für unsere Gesellschaft resultiert eine wissenschaftliche Bringschuld, die eine gewichtige Chance für die Gesundheitssoziologie und die Sozialepidemiologie impliziert.
Warum sollen soziale Ungleichheiten der Gesundheit (SUG) verringert werden?
> weil SUG den Werten der Fairness und Gerechtigkeit widersprechen
> weil die Reduzierung der SUG zu einer allgemeinen Verbesserung der Gesundheit der Allgemeinbevölkerung führen kann
siehe dazu ausführlicher Mielck (2006)
Strategische Optionen zur Reduzierung der SUG
• Reduzierung von Ungleichheiten hinsichtlich Macht, Prestige, Einkommen und beruflichen Positionen
• Reduzierung der negativen Konsequenzen von schlechter Gesundheit für die soziale und wirtschaftliche Lage
• Reduzierung der gesundheitsabträglichen Effekte von niedrigen sozialen Positionen durch zielgruppenspezifische Gesundheitsförderungsprogramme
• Reduzierung der negativen gesundheitlichen Effekte, die durch eine niedrige soziale Position bedingt werden, durch zielgruppenspezifische Verbesserung der Gesundheitsversorgung
Übergreifende Interventionsstrategien
> ‚Upstream’, ‚midstream’ or ‚downstream’ Strategien
> Universalistische versus spezifische Startegien
Reduzierung des sozialen Gradienten der SUG oder Fokussierung primär auf niedrige soziale Schichten
Allgemeine Empfehlungen für Strategien zur Reduzierung der SUG
> vorab Erstellung einer Bedürfnisanalyse (need assessment), um sicherzustellen, dass kulturelle Werte adäquat berücksichtigt werden> Einbeziehung von Akteuren aus der Zielgruppe in die Planung und Durchführung> Verwendung von intensiven, vielfältigen und interdisziplinären Strategien> Berücksichtigung von face-to-face Interventionen mit Individuen und Kleingruppen aus spezifischen Settings (z.B. Schule, Arbeitsplatz)> Zugang schaffen zu Fähigkeiten, materiellen und sozialen Unterstützungen sowie Information und Beratung
Bielefelder Memorandum zur Verringerung gesundheitlicher Ungleichheiten (2006)• Wissenschaftliche Erkenntnisse belegen seit langem die enge Kopplung
von sozialen Lebensbedingungen und individuellem Gesundheitszustand. Die Wahrscheinlichkeit zu erkranken oder frühzeitig zu sterben ist in den unteren Sozialschichten überdurchschnittlich hoch. Gesellschaftliche Hierarchisierung schlägt sich darin nieder, dass gesundheitliche Risiken zu Ungunsten der Bevölkerungsgruppen verteilt sind, die über wenig eigene Ressourcen verfügen. Soziale Marginalisierung und Armut haben nach allen vorliegenden Befunden den stärksten negativen Einfluss auf eine gesunde Entwicklung. Ungleichheiten in der Lebenserwartung zeigen noch immer, dass sich auch in modernen westlichen Gesellschaften die Lebensdauer von Angehörigen der Ober- und Unterschicht um bis zu 10 Jahre unterscheidet.
• Die gesellschaftlichen Folgen gesundheitlicher Chancenungleichheit zeigen sich heute unumwunden: Durch gesundheitliche Ungleichheiten werden die Gesundheitssysteme übermäßig belastet. Chronische Erkrankungen und eine Vielzahl vermeidbarer gesundheitlicher Belastungen, von denen gerade sozial benachteiligte Gruppen betroffen sind, verursachen das Gros der Behandlungskosten. Noch bedeutsamer aber ist, dass der ungleiche Zugang zum Gut Gesundheit eine Verletzung von Gerechtigkeitsnormen darstellt. Damit ist sowohl die Stabilität als auch die Legitimität demokratischer Gesellschaftsentwürfe bedroht.
• Mit dem BIELEFELDER MEMORANDUM ZUR VERRINGERUNG GESUNDHEIT-LICHER UNGLEICHHEITEN wollen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gegen die voranschreitende soziale Polarisierung im deutschen Gesundheitssystem kritisch Stellung beziehen. Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner treten dafür ein, die Verhinderung zunehmender sozialer Spaltung zum obersten Ziel auf der Agenda einer kommenden Gesundheitsreform zu machen.
• Gesundheit gehört zu einem vorrangigen vitalen Bedürfnis aller Menschen. Gesundheitserhaltende und gesundheitsfördernde Lebensbedingungen können daher heute nur als das wertvollste individuelle Gut verstanden werden, von dem der Anspruch auf eine gerechte Verteilung ausgehen muss. Das gilt im weltweiten Maßstab für die so genannten Entwicklungsländer genauso wie für die soziale und gesundheitliche Spaltung in den westlichen, technisch hoch entwickelten Gesellschaften.
• Nationale wie internationale Gesundheitspolitiken müssen künftig auf Aktionsplänen basieren, die die Verringerung gesundheitlicher Ungleichheiten als Bestandteil einer umfassenden Gesellschafts- und Sozialpolitik definieren. Der auch in Deutschland verfassungsrechtlich garantierte Anspruch auf einen freien und gleichen Zugang zu Gütern der gesundheitlichen Versorgung muss vor seiner weiteren Aushöhlung bewahrt bleiben. Allen Bevölkerungsgruppen muss der Zugang zur Gesundheitsversorgung offen stehen, ohne dass herkunftsbezogene, finanzielle und/oder bildungsmäßige Barrieren gleiche Zugangschancen vermindern.
• Reformen, die dieses offenkundige Ziel verfehlen, sind keine Reformen. Sie sind dann lediglich ein Instrument, das zur Aufrechterhaltung sozialer und gesundheitlicher Ungleichheiten beiträgt. Sie sind Bestandteil einer Politik der gesellschaftlichen Polarisierung, die mit demokratischen Grundsätzen nicht vereinbar ist. Gesundheitliche Chancengleichheit zu schaffen, wird darum von den Unterzeicherinnen und Unterzeichnern des BIELEFELDER MEMORANDUMS als Messlatte einer anstehenden Gesundheitsreform angesehen.