Post on 24-Jun-2015
description
Leben heißt handeln 2.95 € · ISSN 1437-7543 · Nr. 98/3.2008
Demos heute
TROPENWALD Schmierige Geschäfte mit Palmöl
TATORTE
Protest vorm Schacht
ENERGIE
Abschalten stattAtome spalten
magazin
inhalt
titel
tropenwald
Seite 8
Seite 6
Seite 18
6 „Wir sind gekommen, um zu bleiben“:
Hüttendorf gegen Flughafenausbau
Andere Länder, anderer Protest 8
Vom Elend der „Latschdemos“ 12
18 Schmierige Geschäfte mit Palmöl
20 Regenwald aufs Brot
22 Brasilien: Zuckerrohr in den Tank
24 Kambodscha: Kampf ums Paradies
26 Malawi: Ausbeutung für Glimmstängel
28 Den Schutz der Wälder gerecht gestalten
Nr. 98/3.08
tatort-hintergrund
Foto: NBA
Foto: Jan Becker
strömungen
Agro-Gentechnik unter Druck 16
2
Foto: Harald Schröder
3
inhalt
perspektiven
tatorte
Seite 45
Seite 33
Seite 30
Mobil ohne Auto 32
Lang lebe der Stuttgarter Kopfbahnhof! 33
Asse: Protest vorm Schacht 34
Keine Kohle für Klimakiller 35
bücher
42 Holz
43 ABC der Alternativen
44 Damit sich was bewegt
44 Wir sind überall
impressum46
internes
ROBIN WOOD-Treffpunkte 36
Nr. 98/3.08
Foto: Sortir du Nucléaire
post46
30 Cécile Lecomte:
Störfaktor Eichhörnchen
energie
Foto: ROBIN WOOD/LEGE
kleinholz
41 Free Your River
Energie-Spartipps 37
Der Richtungskampf: Atomkraft - Klimaschutz 38
EIB: Schatztruhe der Atomindustrie 40
merk-würdiges
45 „Strahlendes Klima“: Dokumentarfilm über Atomkraft
4
editorial
Nr. 98/3.08
Wann haben Sie das letzte Mal für mehr Umweltschutz
demonstriert? Oder sich bei einer kreativen Aktion für
wirksamen Klimaschutz eingesetzt? Im Titel dieser Aus-
gabe erfahren Sie mehr vom Elend der „Latschdemos“
und wie Protestbewegungen mit spektakulären Akti-
onen Stärke und Ausstrahlung gewinnen können. Und
wie viel AktivistInnen in Indien und Russland riskieren,
um auf Umweltskandale aufmerksam zu machen.
„Leinen los!“ hieß es am 25. Juli für die Crew der
ROBINA WALD. Zwölf ROBIN WOOD-AktivistInnen
sind in Dresden zu einer ungewöhnlichen PR-Tour für
Energiesparen und Ökostrom aufgebrochen. Auf einem
großen Holzfloß sind die Aktiven fünf Wochen auf der
Elbe unterwegs. Die Floßtour, die über Torgau, Barby,
Magdeburg, Wittenberge, Dömitz und Lauenburg bis
nach Hamburg führt, steht unter dem Motto „Saubere
Energie statt Kohle und Atom“. Die Menschen entlang
der Strecke sind herzlich zu einem Besuch auf dem Floß
eingeladen. An Bord der ROBINA WALD haben die Floß-
fahrerInnen reichlich Informationen rund ums Thema
Energie, Umweltfilme und Aktionsideen. BesucherInnen
des Floßes können Solartechnik ausprobieren, erfahren,
wie sie ihrem Stromanbieter durch den Stromwechsel
die Rote Karte zeigen und gemeinsam mit der Crew
das Flößerleben genießen. Auf dem Programm stehen
u.a. Rundfahrten, Floß-Kino unter freiem Himmel und
Mitmachangebote wie Schnupperklettern.
Die FlößerInnen wollen auf ihrer Fahrt deutlich machen,
wie verlogen die Klima-PR der Energiekonzerne ist. Sie
möchten dazu motivieren, sparsamer mit Energie umzu-
gehen und keinen Strom mehr von den Kohle- und
Atomkonzernen Vattenfall, RWE, E.on und EnBW zu
kaufen. Denn die vier Energie-Riesen setzen voll darauf,
den beschlossenen Atomausstieg zu kippen, die ältesten
Schrottmeiler länger am Netz zu lassen und obendrein
noch mehr AKW in Deutschland zu bauen. Am 29.
August wird das Floß Hamburg erreichen. Interessierte
können jederzeit im Internet unter www.flosstour.de
einsehen, wo sich das Floß gerade befindet.
Wenn Sie selbst gegen die unverantwortliche Atompoli-
tik aktiv werden möchten: Unter dem Motto Atomkraft?
Nein Danke! Castor stopp - Gorleben vermASSEln! wird
am 8. November eine große bundesweite Demons-
tration im Wendland stattfinden. Dann nämlich sollen
wieder 11 Castorbehälter mit hochradioaktiven Kokillen
aus La Hague ins Zwischenlager Gorleben rollen.
In diesem Sinne: Wir sehen uns im Herbst in Gorle-
ben! Bis dahin mit sonnenfreundlichen Grüßen für die
Schwedt/Berliner Redaktion Ihre
Liebe Leserinnen und Leser!
5
tatorte
Nr. 98/3.08
Kreative Aktionen sind das Marken-zeichen von ROBIN WOOD: Zwölf Ak-tivistInnen sind seit Ende Juli mit dem ROBIN WOOD-Floß unter dem Slogan
„Aktiv gegen Dreckstrom aus Kohle und Atom“ auf der Elbe unterwegs
Nr. 98/3.086
„Wir sind gekommen, um zu bleiben“
Die Fraport AG ist Eigentüme-
rin von 21 Quadratkilome-
tern Fläche. Am 28. Mai kündigt
Konzernchef Wilhelm Bender auf
der Hauptversammlung an, in den
nächsten sieben Jahren sieben
Milliarden Euro in den Frankfur-
ter Flughafen zu investieren. Der
Löwenanteil soll in den Bau eines
dritten Terminals und einer vierten
Landebahn gesteckt werden. 400
Hektar Wald soll die hessische
Kleinstadt Kelsterbach dafür
hergeben. Während Bender den
Aktionären die Wachstumszahlen
des Flughafenkonzerns verkün-
det, läuft über die Presseticker die
Nachricht, dass das Baugelände
der Landebahn über Nacht besetzt
wurde. Öko-NomadInnen, Feldbe-
freierInnen und andere Umwelt-
schützerInnen sind in das begehrte
Waldstück eingezogen. Sie instal-
lieren Hängematten, Feldbetten
und hölzerne Plattformen, richten
sich in den Kronen von Kiefern,
Eichen, Buchen und Kastanien
ein. Viele ROBIN WOODlerInnen
kennen das Gelände von früheren
Klettertrainings.
Im besetzten Wald prallen Lebens-
welten aufeinander. „Dreckische
Füß“ stören die einen, Leberwurst
tatort-hintergrund
Mit dem Kelsterbacher Stadtwald will die
Fraport AG 250 Hektar Mischwald noch in
diesem Jahr für den Bau einer vierten Lande-
bahn am Frankfurter Flughafen kahl schlagen
lassen. Laut Planfeststellungsbeschluss wird die
Fraport AG ihre Kapazitäten in Frankfurt auf
700.000 Flugbewegungen im Jahr steigern.
Faktisch wäre bei der jetzigen Planung nahezu
eine Verdopplung der Flugbewegungen auf
eine Millionen Maschinen im Jahr möglich.
Am Rhein-Main-Airport werden nach Unter-
nehmensangaben jährlich 5,6 Millionen Kubik-
meter Kerosin in die Flugzeugtanks gepumpt.
Bei der Verbrennung dieser Treibstoffmenge
entstehen knapp 18 Millionen Tonnen Kohlen-
dioxid, außerdem Stickoxid, Wasserdampf,
Sulfat-Aerosole und Ruß. Dadurch wird das
Klima mit der mindestens dreifachen Wirkung
als nur durch das Kohlendioxid belastet. Die
jährliche Klimalast durch Flüge ab Frankfurt,
berechnet aus der dortigen Betankung, ent-
spricht also 53 Millionen Tonnen Kohlendioxid.
Allein die heute geplanten und weitgehend
genehmigten Ausbauten der drei größten
deutschen Flughäfen Frankfurt, München und
Berlin würden deren Kapazitäten von jetzt
einer auf zwei Millionen Flugbewegungen
jährlich verdoppeln. Die Klimaschutzziele der
Bundesregierung sind damit das Papier nicht
mehr wert, auf dem sie stehen.
in der veganen Waldküche stinkt den an-
deren. „Was denkt das Kalb darüber?“
fragt ein Zettel über der Essenskiste.
Andere anders sein lassen kostet Nerven.
Das ungleiche Bündnis von Waldbeset-
zerInnen und AnwohnerInnen trägt mitt-
lerweile zwei Monate. Zahlreiche Klagen
gegen den Kahlschlag von Gemeinden,
AnwohnerInnen, Unternehmen und dem
Bund für Umwelt und Naturschutz sind
noch anhängig. „Der Widerstand ist
vielfältig“, sagt Andreas Kleinhans von
der ROBIN WOOD-Gruppe Rhein–Main.
„Aber die Schnittmenge an Gemeinsam-
keiten bleibt trotzdem groß.“
Es regnet in Strömen. Eine Plane schützt
die Dorfküche, unter einer zweiten
Nr. 98/3.08
versammeln sich WaldbesetzerInnen.
„Eine Hütte würde die Wärme besser
halten“, sagt einer. Das Dorf entwickelt
sich weiter. Seit Mai ist es erheblich
gewachsen, Bauten aus Lehm und Fund-
holz stehen zwischen den Zelten. Laut
Planfeststellungsbeschluss darf Fraport
am 1. September mit dem Kahlschlag
beginnen. Die Leute im Kelsterbacher
Walddorf richten sich auf einen stür-
mischen Herbst ein.
www.waldbesetzung.blogsport.de und
www.robinwood.de
7
HüttendorfbewohnerInnen im Kelsterbacher Wald
Fotos: Harald Schröder
Monika Lege ist Verkehrsreferentin
in der Pressestelle von ROBIN WOOD
verkehr@robinwood.de
tatort-hintergrund
titel
Nr. 98/3.088
Foto: argus/Fred Dott
Andere Länder,anderer Protest
9
titel
Nach den 80er Jahren sind große Protestbewegungen
in Deutschland selten geworden, abgesehen von den
Protesten gegen den Irakkrieg, der sich nicht gegen die ei-
gene Regierung richtete und den farbenfrohen G8-Protes-
ten durch mecklenburgische Rapsfelder im vergangenen
Jahr. Umweltbelange etwa werden vornehmlich durch
Nichtregierungsorganisationen vertreten, die oft hohe
Sachkenntnisse, aber nur sehr begrenzte Mobilisierungs-
fähigkeit haben. Der Protest ist institutionalisiert. Das mag
auch daran liegen, dass die Gesetzeslage Betroffenen in
vielen Fällen die Möglichkeit bietet, sich mit legalen Mitteln
zu wehren. Das ist bei weitem nicht überall so. Notgedrun-
gen greifen deshalb Betroffene wie auch Bewegungen
und Organisationen in anderen Ländern zu ganz anderen
Mitteln.
Indien: Alle Register gegen die Fluten ziehen
Zum Beispiel in Indien, wo der massive Ausbau der Wasser-
kraft zu einer breiten Anti-Staudamm-Bewegung geführt
hat. Im Narmadatal etwa wehrt sich seit 30 Jahren die
‚Narmada Bachao Andolan’ (NBA), die ‚Rettet die Narmada
Bewegung’, gegen neue Staudämme, die kleine Subsis-
tenzbauern von ihrem fruchtbaren Boden in eine ungewisse
Zukunft vertreiben. Zwar haben in Indien die Menschen, die
ihr Land verlassen müssen, um etwa einem Staudamm zu
weichen, Anrecht auf Ersatzland. Dieses steht jedoch meist
nicht zur Verfügung und wenn Ausgleichsland angeboten
wird, hat es deutlich schlechtere Qualität, die nicht aus-
reicht, um die Familien zu ernähren. Deshalb besetzen die
Betroffenen Baustellen über mehrere Wochen, lassen sich
bei der Räumung verhaften und haben auch schon spontan
das Gefängnis besetzt, wenn sie freigelassen werden soll-
ten, ohne dass auf ihre Forderungen eingegangen wurde.
Und sie setzen immer wieder ihr Leben aufs Spiel. Sowohl
durch Hungerstreiks als auch durch Ausharren im Überflu-
tungsgebiet, wie das Beispiel Omkareshwar zeigt: Für den
Bau dieses 520 MW Wasserkraftwerkes an der Narmada er-
hielt die Firma Voith Siemens 2003 den Auftrag. Bereits im
November 2003 warnte die NBA, dass sowohl die indischen
Behörden als auch der Staudammbetreiber NHPC (Natio-
nal Hydro Power Corporation) nicht bereit seien, die rund
50.000 Menschen, die im Überflutungsgebiet des Dammes
leben, umzusiedeln. Dies veranlasste potenzielle Finanzierer
wie Weltbank und Deutsche Bank, sich von dem Projekt
zurückzuziehen - Voith Siemens hielt jedoch daran fest. Im
Große Proteste wie 2007 gegen den G8-Gipfel in Hei-ligendamm sind in Deutsch-land selten geworden
Nr. 98/3.08
In Deutschland haben Friedensbewegung und breite Anti-Atom-Proteste unter anderem zur Gründung der Grünen Partei geführt, die es beim Marsch durch die Institutionen bis zur (Ex-) Regierungspartei gebracht hat. Protestie-rende in anderen Ländern wie zum Beispiel in Indien und Russland müssen notgedrungen zu anderen Mitteln greifen.
10
titel
Frühjahr 2007 wurde der Omkareshwar
Damm vollendet und laut Plan sollten im
April 2007 die Wehröffnungen geschlos-
sen und der Stausee gefüllt werden.
Ende März 2007 wandten sich jedoch
die betroffenen DorfbewohnerInnen
an das oberste Landesgericht Madhya
Pradeshs und erwirkten eine einstwei-
lige Verfügung gegen die Flutung des
Stausees. Denn entgegen dem Landesge-
setz hatte noch keine einzige Familie aus
dem Omkareshwar-Gebiet die zugesagte
Land-für-Land Entschädigung erhalten.
Das Landesgericht verbot bis auf weiteres
die Flutung und setzte im Juli einen Ter-
min für die Gerichtsverhandlung fest.
In der Zwischenzeit bewirkte der Be-
treiber NHPC jedoch eine Aufhebung
der einstweiligen Verfügung durch den
indischen Supreme Court und erhielt
somit grünes Licht, um die erste Teil-
Flutung des Stausees vorzunehmen. Die
Entscheidung, ob der Stausee vollständig
gefüllt werden darf, wurde jedoch vom
Supreme Court an das Landesgericht
von Madhya Pradesh zurücküberwiesen.
Daraufhin versammelten sich 12.000
Menschen in der Provinzhauptstadt
Khandwa, um bei den Behörden gegen
die Flutung zu protestieren. Anfang Juni
begannen zwei Aktivisten der NBA einen
unbefristeten Hungerstreik.
Eher ertrinken wir...
Mitte Juni wurden trotzdem die Wehr-
öffnungen des Dammes geschlossen.
NHPC hatte angegeben, dass nur fünf
angeblich bereits evakuierte Dörfer durch
die Teilflutung betroffen seien. Tatsächlich
jedoch weigerten sich BewohnerInnen
des Dorfes Ganjari, ihr Dorf zu verlassen,
und eine Gruppe von Frauen stand neun
Tage lang in den ansteigenden Fluten,
um auf das Umsiedlungsfiasko aufmerk-
sam zu machen. Um die Landesregie-
rung zum Handeln zu zwingen, zogen
12.000 DemonstrantInnen und die
beiden Hungerstreikenden am 25. Juni
nach Bhopal. Chittaroopa Palit von der
Russland: TeilnehmerInnen des Anti-Atomcamps besetzen den Rohbau eines Verwaltungsgebäudes, um gegen Pläne für ein Urananreicherungszentrum in Angarsk zu protestieren
Indien: Proteste und Sitzblockaden gegen den Omkareshwar Staudamm am Narmada Fluss 2007
Nr. 98/3.08
Foto: NBA
Foto: Ecodefense
11
titel
Nr. 98/3.08
Foto: Greenpeace
NBA begründet ihre Aktion: „Weder die Landesregierung
noch NHPC halten sich an Gesetze. Die 50.000 Einwoh-
nerInnen der Region werden für den Profit von NHPC und
Voith Siemens einfach aus ihren Dörfern geflutet. Vorher
waren diese Menschen selbstständige Bauern, nun werden
sie dem Verhungern preisgegeben. Wir hoffen, dass das
Landesgericht NHPC zwingt, die Wehre wieder zu öffnen,
denn diese Überflutung ist illegal und unmenschlich.“ Die
Narmada Bachao Andolan ist mit ihrer Strategie, sowohl
traditionelle Widerstandsformen aus dem Unabhängigkeits-
kampf als auch rechtliche Schritte anzuwenden, eine der
bedeutendsten zivilgesellschaftlichen Protestbewegungen
des modernen Indiens.
Russland: atomfreie Republik Baikal
Immerhin hat Indien eine lange Tradition des Widerstan-
des und der Proteste. Russische UmweltschützerInnen,
oder AtomkraftgegnerInnen hingegen operieren in einem
Land, dessen demokratische Freiheiten überaus bescheiden
sind. Da wünschen sie sich manchmal wohl einen anderen
Staat und haben im Sommer 2007 gleich eine ganz neue
Republik ausgerufen: die atomfreie Republik Baikal (Baikal
Nuclear-Free Republic, BNFR). In der Nähe der sibirischen
Stadt Irkutsk besetzten TeilnehmerInnen eines Anti-Atom-
camps kurzfristig den Rohbau eines Verwaltungsgebäudes,
um sich gegen Pläne für ein internationales Urananreiche-
rungszentrum in Angarsk, nahe Irkutsk, zu wehren. Diese
hat Russland im Rahmen der Verhandlungen um das ira-
nische Nuklearprogramm auf den Tisch gebracht. Ebenfalls
ging es um radioaktive Abfälle, die in der Region wenig
gesichert gelagert werden. Das Gründungsmanifest der
Republik besagt: „Die atomfreie Republik Baikal schließt
Atomabfallimporte, den Bau von Atomkraftwerken und
Gewalt durch die Regierung aus. JedeR, der/die diesen Prin-
zipien zustimmt, kann BürgerIn der Republik werden, die
vorherige Staatsbürgerschaft spielt keine Rolle. Leider hat
BNFR gemeinsame Grenzen mit Russland, das radioaktiven
Abfall importiert. Als BürgerInnen der atomfreien Republik
Baikal erklären wir, dass diese Praxis dumm, gefährlich und
unverantwortlich ist.“ Die Republikgründung war übri-
gens klar von bekannten Vorbildern beeinflusst, denn das
Manifest geht weiter: „BNFR erklärt seine Solidarität mit
der freien Republik Wendland und wird in naher Zukunft
daran arbeiten, einen visumsfreien Austausch zwischen den
BürgerInnen beider Republiken zu ermöglichen, um die
Anstrengungen für eine atomfreie Welt zu koordinieren.“
Separatistische Bewegungen sieht jedoch Russland nicht
gerne: Nach nur dreieinhalb Stunden verhaftete die Polizei
alle BürgerInnen der neuen Republik und hielt sie 20 Stun-
den fest. BNFR-Offizielle erklärten jedoch, dass die Regie-
rung der Republik auch im Exil weiterarbeiten und weiter
die Gefahren der Atomkraft bekämpfen werde.
Regine Richtern ist Biologin und arbeitet für die Um-
welt- und Menschenrechtsorganisation
urgewald in Berlin, regine@urgewald.de
titel
Nr. 98/3.0812
Allein in Berlin registrieren die
Behörden jährlich weit über 2000
„Versammlungen und Aufzüge“,
von denen die meisten landläufig als
Demonstrationen bezeichnet werden.
Offenkundig sind die Menschen nicht
nur mit vielem in Gesellschaft und Poli-
tik unzufrieden, sondern sie sind auch
bereit, ihre Unzufriedenheit kollektiv
und öffentlich auszudrücken. Ganz im
Sinne des lateinischen Wortes protestari
legen sie für ihre Haltung Zeugnis ab.
Fast immer geht es dabei um mehr als
die bloße Bekundung von Stimmungen
und Meinungen. Die Protestierenden
Heute ist Aufmerksamkeit ein knappes Gut: Nur wenige PassantInnen bleiben stehen, um die Botschaft einer Demo zu erfassenVom Elend
der »Latschdemos«Wer die Zeitung aufschlägt oder die Nachrichten verfolgt, wird mit Protesten aller Art konfrontiert. Beschäftigte wehren sich gegen Massenentlassungen, Klinikärzte verlangen höhere Gehälter, Nazis beschmieren jüdische Gedenkstätten, franzö-sische Studenten gehen gegen eine Änderung des Arbeitsgesetzes auf die Barrika-den, Arbeitslose wenden sich gegen Hartz IV, die Globalisierungsgegner begleiten G8-Gipfel und WTO-Tagungen rund um den Globus . . .
Foto: argus/Fred Dott
setzen sich gegen Zumutungen zur
Wehr, versuchen, in ihren Augen unge-
rechtfertigte Belastungen und Nachteile
abzuwenden oder auch Privilegien zu
verteidigen. Viele blicken über den
Tellerrand ihrer eigenen Lage hinaus,
setzen sich für Benachteiligte ein, die
keine oder nur eine schwache Stimme
haben. Andere wollen nicht nur das
Los bestimmter Gruppen verbessern,
sondern gesellschaftliche Verhältnisse
grundlegend verändern, sei es in klei-
nen, bedächtigen und am Ende doch
große Folgen zeitigenden Schritten, sei
es mit ungestümer und zorniger Geste,
sei es mit kühl kalkulierter Gewalt.
Fragt man die Protestierenden, so
geht es ihnen in erster Linie darum,
die Motive und Gründe ihres Handelns
darzulegen, die Verantwortlichen und
Schuldigen zu benennen, schließlich
die Dinge zum Besseren zu wenden.
Im Vordergrund steht das Warum und
Wozu. Hier wird jedoch eine andere
Perspektive eingenommen. Im Mit-
telpunkt stehen nicht einzelne und
konkrete Inhalte des Protests, sondern
das Wie, genauer: die instrumentellen,
funktionalen und interaktiven Aspekte
des Protests, vor allem (1) seine auf
Aufmerksamkeit zielende Inszenierung,
(2) seine auf Zustimmung und Empa-
13
titel
Nr. 98/3.08
thie gerichteten Techniken des Werbens
und Überzeugens, schließlich (3) seine
Selbstbezüglichkeit als Vergewisserung
kollektiver Identität und Stärke.
Diese soziologische Perspektive betont
die triadische Natur von Protest, der
neben seiner meist übersehenen Binnen-
funktion für die Demonstranten auch
und vor allem als Zeugnis oder Botschaft
für externe Gruppen konzipiert wird.
Dazu zählen zum einen diejenigen, an
die sich der Protest als Einspruch und
Widerspruch richtet, die als Verursacher,
Verantwortliche, Schuldige oder Gegner
identifiziert werden. Dazu zählen zum
anderen die »Dritten« im Konflikt, also
die (noch) Gleichgültigen oder Unent-
schiedenen, die interessierten Beobach-
ter und Berichterstatter, die möglichen,
aber noch nicht gewonnenen Bündnis-
partner, schließlich neutrale Vermittler,
Schlichter oder Schiedsrichter.
Sichtbarkeit
In den heutigen modernen Gesell-
schaften ist Aufmerksamkeit ein äußerst
knappes Gut. Dies ist besonders offen-
kundig für den massenmedialen Betrieb,
der aus der schier unendlichen Fülle von
Themen, Ereignissen und Meinungen die
relativ kleine Menge des ihm berichtens-
wert Erscheinenden rigoros auswählt
und dem Publikum anbietet. Aber auch
in den nicht medial vermittelten Sphären
des Alltags ist Aufmerksamkeit knapp.
Nur weniges kann jeweils beim Essen in
der Familie oder beim Treffen im Ortsver-
ein besprochen werden.
Nur wenige Passanten nehmen den
ihnen entgegengestreckten Werbezettel
in die Hand. Und nur wenige halten
inne, um einen Zug von Demonstranten
eingehend zu betrachten und alle ihrer
Botschaften zur Kenntnis zu nehmen.
Wer nicht schon qua Prominenz, Prestige
oder sonstiger herausragender Merk-
male einen Aufmerksamkeitsbonus hat,
wird also in einen regelrechten Kampf
um Sichtbarkeit eintreten und entspre-
chende Techniken der Aufmerksamkeits-
gewinnung entwickeln müssen. Dies löst
wiederum entsprechende Bemühungen
der Konkurrenten aus, so dass sich das
Spiel auf immer höherer Stufenleiter
fortsetzt.
Protestgruppen, sofern sie um öffent-
liche Aufmerksamkeit als Vorbedingung
ihrer weiteren gesellschaftlichen Wirk-
samkeit ringen, wissen um die Schwie-
rigkeiten, Aufmerksamkeit zu erzielen.
Bei manchen Gruppen führen vergeb-
liche Bemühungen, öffentliche Auf-
merksamkeit zu erringen, zu Resignation
und Rückzug. Die übrigen suchen nach
Mitteln und Wegen, die Hürden der sie
umgebenden Indifferenz zu überwinden.
Dabei stehen ihnen im Grundsatz vier
grundlegende Ressourcen zur Verfü-
gung: Masse, Radikalität, Kreativität und
Prominenz.
Masse dokumentiert, dass das Pro-
testanliegen breiten Rückhalt genießt
und somit seine Legitimität zumindest
prüfenswert erscheint. Jedenfalls können
die Anliegen von Massen, zumal wenn
sie sich zu gemeinsamer Aktion zusam-
menfinden, kaum auf Dauer ignoriert
werden, selbst wenn man die Massen für
ignorant oder verführt halten mag.
Radikalität, die nur selten mit Massen-
haftigkeit vereinbar ist, legt nahe, dass
die Protestierenden für ihr Handeln
starke Motive haben müssen, setzen sie
sich doch dem Risiko der sozialen Isolie-
rung, der politischen Ächtung und der
strafrechtlichen Verfolgung aus. Soweit
Radikalität auch mit der massiven Schä-
digung von Sachen und/oder Personen
verbunden ist, ist ihr – ebenso wie der
Masse – öffentliche Aufmerksamkeit,
jedoch kaum Zustimmung sicher. Am
deutlichsten offenbart sich dies bei terro-
ristischen Akten.
Kreativität ist eine Ressource, die ihre
Wirkung aus der Originalität der Aus-
sage, ihrem Neuigkeitswert oder ihrem
Verblüffungseffekt erzielt. Sie kann beim
Publikum Erstaunen oder, besonders im
Falle subversiver Proteste, auch Irritation
und Nachdenklichkeit auslösen. Sie steht
selbst kleinen Gruppen offen, erfordert
sie doch weder den hohen Aufwand der
Breitenmobilisierung, noch birgt sie die
Risiken der Radikalität. Aber sie bringt
die Gewissheit ihres raschen Verschleißes
mit sich. Kreativität verträgt sich nicht
mit Wiederholung.
Prominenz schließlich ist eine vierte
Ressource, die weder an die Botschaft
noch die Art der Aktion gebunden ist,
sondern einzelnen Gruppen und vor
allem Personen zukommt. Prominenz ist
ein Aufmerksamkeitskapital, das vorab
erworben und dann im Protest einge-
setzt werden kann. Wenn sich renom-
mierte Organisationen, Nobelpreisträger,
Filmstars und Popsänger an einem Pro-
test beteiligen – so ist zumindest diesem
Akt der Beteiligung – wenngleich nicht
notwendig dem Protest als solchem, öf-
fentliche Aufmerksamkeit gewiss. Kleine
Demonstrationen von Tierschützern in
Brüssel werden erst dann von den Me-
dien registriert, wenn sich Brigitte Bardot
beteiligt.
Diese vier Faktoren, die sich in Grenzen
auch miteinander verknüpfen lassen und
dann einen besonders hohen Nachrich-
tenwert aufweisen, bilden lediglich einen
Rahmen, innerhalb dessen spezifischere
Techniken zur Erregung von Aufmerk-
samkeit zur Anwendung kommen
können. Ein Beispiel dafür ist die bloße
Andeutung von Protestakteuren, dass
dieses Mal mit etwas Besonderem zu
rechnen sei. Das kann, sofern es sich
bereits um eine bekannte und als seriös
geltende Gruppe handelt, die Neugier
der Medien anstacheln. Zuweilen genügt
schon der Name des Protestakteurs, um
das Interesse zu wecken. Ein Beispiel
dafür ist Greenpeace. Nachdem die
Organisation eine öffentliche Reputation
für das garantierte Spektakel erworben
hatte, genügte es für eine Weile, den
Medienvertretern lediglich Zeit und Ort
des nächsten Coups mitzuteilen, um
diese in Scharen anzulocken. Damit ist es
inzwischen vorbei.
Eine weitere Technik der Aufmerk-
samkeitserregung besteht darin, das
Gegenwartshandeln mit einer weithin
bekannten Heroik oder Tragik aus der
Vergangenheit zu verbinden. So knüpfen
manche Protestgruppen an ein histo-
risches Datum an (den Geburtstag des
„Führers“, den Jahrestag der Ermordung
eines Demonstranten oder des „Aus-
bruchs“ einer Revolution), um damit
das Interesse potentieller Teilnehmer wie
auch der Massenmedien zu erregen.
Bei einer dritten Technik der Aufmerk-
samkeitserzeugung wird ein externes
und ohnehin stark beachtetes Ereignis
14
titel
Auszug aus Dieter Rucht „Vom Elend der Latsch-demos“ in: Und jetzt? Protest und PropagandaHeinrich Geiselberger (Hrsg) Suhrkamp Verlag, 2007364 Seiten, 12,- EuroISBN: 978-3-518-12500-7
Nr. 98/3.08
als Rahmen oder Bühne für den Protest
benutzt. So störten Feministinnen in den
USA das Ritual der Schönheitswettbe-
werbe oder veranstalteten Globalisie-
rungskritiker „Gegengipfel“ anläßlich
großer Konferenzen des Internationalen
Währungsfonds, der G8 und der WTO.
Ein viertes Muster der Aufmerksam-
keitserregung beruht auf der Erzeugung
„starker“ Bilder des Protests. So werden
etwa in einer viele Kilometer langen
Menschenkette zwei Orte miteinander
verknüpft, formen zahlreiche Menschen-
körper ein nur aus der Luft erkennbares
Peace-Zeichen, wird die Ungleichheit
des Kampfes durch die Konstellation
von David-gegen-Goliath symbolisiert,
werden Untergangsszenarien durch
Särge, Sensenmänner, auf fünf Minuten
vor zwölf stehende Uhren beschworen
oder Autoritäten durch entstellende oder
verfremdende Darstellungen ins Lächer-
liche gezogen.
Eine letzte hier genannte Technik der
Aufmerksamkeitserregung besteht in
der ostentativ dargestellten Risiko- und
Opferbereitschaft der Protestierenden,
die stundenlang im Regen ausharren,
wochenlang einen Bauplatz besetzt
halten, einen kollektiven Hungerstreik
durchführen oder mit ihrer Selbsttö-
tung ein letztes und an Dramatik kaum
zu überbietendes Zeichen setzen. Das
Bild des buddhistischen Mönches Thich
Quang Duc, der sich aus Protest gegen
den Vietnamkrieg öffentlich verbrannt
hat, wird immer wieder von den Medien
gezeigt. Warum dagegen Hartmut
Gründler, ein Lehrer, der sich 1977 aus
Protest gegen die Nutzung der Atomen-
ergie auf den Stufen einer Hamburger
Kirche auf gleiche Weise wie der Mönch
tötete, der Vergessenheit anheim gefal-
len ist, wäre einer gesonderten Analyse
wert.
Selbstvergewisserung
Proteste sind nicht nur Botschaften an
die Außenwelt, sondern auch nach
innen, an die Protestteilnehmer adres-
sierte Botschaften. Im Idealfall bekunden
Proteste interne Geschlossenheit, die
Hingabe an die Gemeinschaft (und nicht
nur die „Sache“), schließlich Stärke und
Zuversicht.
Nicht alle Protestierenden gehören einer
Gruppe an. Aber ohne organisierende
Kerne und Netzwerke sind größere und
länger anhaltende Proteste, geschweige
denn soziale Bewegungen, nicht mög-
lich. Eine Funktion der Gruppen und
Netzwerke besteht in organisatorischen
und logistischen Leistungen: Ort und Zeit
des Protests werden bekannt gemacht,
die Ordnungsbehörden verständigt, Geld
gesammelt, Plakate gedruckt, Trans-
parente gemalt, Lautsprecheranlagen
gemietet, Redner bestimmt, Absprachen
mit der Polizei getroffen.
Eine andere Sache ist es, die Gruppe als
Gruppe am Leben zu erhalten, um auch
in Zukunft weiterzuwirken. Das ist für
Protestgruppen keineswegs selbstver-
ständlich, haben sie doch kaum andere
Gratifikationen zu vergeben als Gemein-
schaftserlebnisse, soziale Anerkennung
durch Gleichgesinnte und die innere
Befriedigung, für eigene Überzeugungen
mit Wort und Tat einzutreten. Ein
wichtiges Moment dabei ist die Über-
zeugung, eine gemeinsame Wertebasis
und Zielvorstellung, einen gemeinsamen
Gegner zu haben. Somit ist Geschlos-
senheit der Gruppe nicht nur ein Faktor
in der strategischen Auseinandersetzung
mit Gegenkräften, sondern auch ein Bei-
trag zur inneren Stabilisierung und zur
Schaffung einer Gruppenatmosphäre,
die Rückhalt und Sicherheit vermitteln
soll.
Zum zweiten, und damit zusammen-
hängend, muss die Einheit und der Sinn
der Gruppe immer wieder durch Gesten
der Solidarität bekräftigt werden. Am
deutlichsten geschieht dies durch jene,
die viel Zeit und Energie für die Belange
der Gruppe opfern, die anderen, welche
weniger Zeit oder Geschick haben, be-
stimmte Aufgaben abnehmen, dadurch
aber auch in der informellen Hierarchie
der Gruppe einen höheren Rang einneh-
men. Es sind vor allem diese Mitglieder,
die bei Protesten vorangehen, mehr
Risiken als andere auf sich nehmen, sich
auch schützend vor andere Gruppenmit-
glieder stellen.
Zum dritten muss sich die Gruppe auch
als eine Einheit darstellen, von der Kraft
und Dynamik ausgeht und die damit
ihren Mitgliedern Energie und Zuver-
sicht verleiht. Auf der Stelle zu treten
bedeutet früher oder später den Zerfall
der Gruppe. All diese Anforderungen las-
sen sich am besten im Akt des Protestes
bekunden und bekräftigen. Damit ent-
steht kollektive Identität, die von innen
wie von außen zugeschrieben wird und
ein Gefühl der Zusammengehörigkeit
erzeugt.
Gratwanderungen
Der Protest hat sich mittlerweile in
unseren Gesellschaften veralltäglicht. Die
prinzipiell verfügbaren Mittel und Wege,
sich Aufmerksamkeit und Zustimmung
zu verschaffen, sind bekannt. Das gilt für
die Protestgruppen wie für ihre Gegner,
für die über Protest berichtenden Jour-
nalisten wie für einen Großteil des Publi-
kums. In manchen Fällen ist das schlichte
„Weiter-so“ Teil der Botschaft. Ein Bei-
spiel dafür bieten die Demonstrationen
am 1. Mai. Es geht darum zu zeigen,
dass man in einer Traditionslinie steht,
auf die man stolz ist und deren Preisgabe
einer Bankrotterklärung gleichkäme. In
der Mehrzahl der Fälle erfordern jedoch
15
titel
Nr. 98/3.08
Foto: argus/Schwarzbach
gelingende Proteste mehr als die Verlängerung einer Tradition.
Sie sind vielmehr Gratwanderungen, die schwerlich durch all-
gemeine Richtungsangaben und das Aufstellen von Warnschil-
dern zu bewältigen sind. Die Art solcher Gratwanderungen
kann gleichwohl in allgemeiner Weise umrissen werden:
Zum ersten ist deutlich, dass in einer immer stärker medial ver-
mittelten Welt der Protest seine Stärke und Ausstrahlung nicht
durch die bloße Fortsetzung bzw. Wiederholung eingespielter
Formen gewinnen kann. Das Elend der „Latschdemos“, des
Dahintrottens für wechselnde politische Inhalte, hat sich all-
mählich herumgesprochen. Wer es noch immer nicht glauben
will, betrachte aufmerksam das Verhalten der Umstehenden.
Aber auch andere und vermeintlich frechere Formen, man
denke etwa an die trillerpfeifenden Gewerkschafter in ihren
standardisierten Plastikwesten, nutzen sich in dem auf Neuig-
keiten getrimmten Medienbetrieb schnell ab. Gefragt sind also
Innovationen und Provokationen. Auf der anderen Seite kann
sich auch die ständige Suche nach Innovationen verselbständi-
gen und zur krampfhaften Attitüde werden, um im Ringen um
öffentliche Aufmerksamkeit mithalten zu können. Am Ende
dominiert die Form über den Inhalt.
Zum zweiten wäre auf die politische Sprache und das framing
zu achten. Auf der einen Seite brauchen Protestgruppen die
Vereinfachung und Zuspitzung, um Positionen zu markieren,
Alternativen aufzuzeigen und ihre eigene Richtung zu be-
zeichnen. Auf der anderen Seite laufen sie aber Gefahr, die
Welt nach schlichten Mustern von gut („wir“) und böse („die
Gegenseite“) aufzuteilen, platte Schuldzuweisungen vorzuneh-
men, überzogene Katastrophenmeldungen auszugeben und
sich als heroische Retter zu stilisieren.
Zum dritten besteht bei Protestgruppen vielfach die Neigung
sich als eine ständig aktive, vorwärtstreibende und Hoffnung
weckende Kraft darzustellen, zumal sie eine Außenseiter-
position einnehmen und gegen den Strom anzuschwimmen
haben. Jedoch verfügen sie nur über begrenzte Kapazitäten.
Mögliche Reaktionen sind dann die ruhelose, aber richtungs-
lose Hyperaktivität in einer Art Hamsterrad, der schnelle, jede
Kontinuität zunichte machende Sprung auf das jeweils aktu-
ellste und attraktivste Protestthema, schließlich der individuelle
oder kollektive burn out mit dem wahrscheinlichen Ergebnis
eines vollständigen Rückzugs aus der Protestpolitik.
Aus all dem folgt, dass sich Protestpolitik immer wieder neu
ihrer Voraussetzungen, Inhalte und Formen vergewissern muss.
Dafür gibt es keine Rezepte.
Dieter Rucht ist Ko-Leiter der Forschungsgruppe „Zivil-
gesellschaft, Citizenship und politische
Mobilisierung in Europa“ des Wissenschaftszentrums
Berlin für Sozialforschung (WZB)
Reichpietschufer 50, 10785 Berlin, rucht@wzb.eu
Wie können Protestbewegungen Aufmerk-samkeit erregen? Zum Beispiel durch Masse, Kreativität und starke Bilder
strömungen
Nr. 98/3.0816
Agro-Gentechnik unter Druck
30. März: Am Nachmittag rücken vier
Personen in den Wald am östlichen
Stadtrand Gießens ein. Getarnt als
Forstarbeiter wählen sie vom Orkan
„Emma“ umgewehte Bäume aus,
sägen sie auf die gewünschte 12
Meter Länge und entasten sie. Als es
dämmert, nähert sich ein Traktor. Auf
seinem Hänger: Ein 600 Kilogramm
schwerer Betonblock mit Erdanker,
Ketten, Seile und drei schwere Holzele-
mente, die als Straße für den eben-
falls mitgeführten Hubwagen dienen
werden. Drei Gestalten huschen am
Zaun des Gen-Gerstenfeldes entlang,
bücken sich hinter die Böschung und
schneiden den Zaun auf. Mit Spaten
graben sie die Böschung ab, so dass
eine senkrechte Kante entstehen.
Dann verschwinden sie.
Kurze Zeit später fährt der Traktor
heran. Abladen. Dann greift der Front-
lader den Betonblock und senkt ihn die
Böschung hinab auf den Hubwagen,
der dort auf den dicken Bohlen steht,
die ihn Stück für Stück zur Mitte des
Feldes bringen sollen. Der erste Schritt
ist geschafft. Weitere folgen: Die
Stämme werden zum Feld gebracht,
zur Mitte gezogen, passgenau hinge-
legt und verknotet. Löcher entstehen
für Stämme und Erdanker. Dann
stehen alle 20 Personen auf dem Feld:
Der Turm wird aufgerichtet – allein
mit Menschenkraft. Alles ist viele Male
geübt in den Wochen davor - und
klappt nun perfekt. Es ist noch immer
stockduster, als Turm und Betonblock
stehen. Polizei und Wachschutz haben
das Treiben nicht bemerkt. Erst als es
hell wird, rollen Streifenwagen heran.
Die ersten Zelte stehen, Transparente
verkünden die Gründe für die Aktion.
Nach vielen Jahren Pause ist wieder
ein Genfeld besetzt!
Sieben in einem Frühjahr
Vier Tage nach dem Start in Gießen
besetzten AktivistInnen ein Feld für
Maissortenprüfungen in Oberboihin-
gen. Mit schnellem Erfolg: Schon eine
Woche später sagte die FH Nürtingen
den Versuch ab und verkündete
ein fünfjähriges Moratorium. Dann
Northeim: Ökolandbau-StudentInnen
und UnterstützerInnen besetzten ein
Rübenfeld der KWS Saat AG.
Die Gentechniklobby wurde nervös.
Welt, FAZ und biosicherheit.de pro-
klamierten das Ende der Forschungs-
freiheit und des Gentechnikstandortes
Deutschland. Das motivierte zu mehr:
Während auch die Uni Gießen ihren
Gerstenversuch wegen der Besetzung
stoppte, entstanden neue Pläne: Zwei
weitere Maisfelder in Forchheim und
Groß Gerau wurden besetzt. Ersteres
wurde allerdings schnell polizeilich
geräumt – die Premiere für dieses
Jahr. Ein Patzer der BesetzerInnen
erleichterte den Uniformierten die
Arbeit, denn der Turm konnte nicht
rechtzeitig erklettert werden. Anders
in Groß Gerau: Die Besetzung wurde
von der örtlichen Bevölkerung und
sogar den sonst gegenüber direkten
Aktionen meist skeptischen Parteien,
Umweltverbände und Kirchen stark
unterstützt. Das wirkte: Die Uni Gießen
gab auf. Die BesetzerInnen jubelten:
Hessen war gentechnikfrei – alle vier
Felder konnten im Frühjahr durch
Bürgerinitiativen und Feldbesetzungen
verhindert werden.
Derweil versuchten weitere Aktivis-
tInnen die Besetzung eines BASF-
Kartoffelfeldes bei Dambeck. Doch
leider wurde die Fläche verfehlt. Der
kompliziert geplante Turmaufbau auf
zwei Stockwerken gelang durch den
nötigen Umzug nicht – die Polizei
räumte schnell und rüpelhaft. Genützt
hat es jedoch wenig: Einige Wochen
später machte eine Gegensaat den
Versuch unbrauchbar.
Besetzen, befreien, Gegen-saaten!
Feldbesetzungen sind eine schon früh
im Jahr passende und sehr kommuni-
kative Form der direkten Aktion. Aber
nicht die einzige. Schon vor der ersten
Besetzung hatten Gentechnikgegne-
rInnen in Falkenberg ein Kartoffelfeld
durch die Gegensaat anderer Kartof-
feln unschädlich gemacht. In Gaters-
leben gelang dann die erste Feldbe-
freiung des Jahres: Das umstrittene
Genweizenfeld wurde zu zwei Dritteln
umgehackt. Die AktivistInnen zeigten
sich öffentlich und begründeten ihr
Handeln offensiv. Währenddessen
Mitte der 90er Jahre hatten Feldbesetzungen das Thema Gentechnik in die Öffentlichkeit gespült. Dann trat eine lange Pause ein bis zum April 2007. Die erste Neuauflage, eine in-tensiv vorbereitete Besetzung des Genkartoffelfeldes bei Groß Lüsewitz, konnte die Polizei gerade noch verhindern. Nicht jedoch, dass das knappe Scheitern Lust auf mehr machte. Das Frühjahr 2008 brachte ein spektakuläres Comeback dieser kommunikativen Aktions-form: Sieben Besetzungen fanden zwischen dem 30. März und dem 15. Juni statt. Hinzu kamen Gegensaaten und Feldbefreiungen. Im sonst an direkten Aktionen eher armen Deutschland wehte der Wind von Widerstand - Ende nicht absehbar!
verkehr
entwickelte sich aus einer Mahnwache
im Wendland eine kleine und dann
wachsende Feldbesetzung. Das Maisfeld
in Laase wurde zum Endpunkt der Beset-
zungsserie – und zum Ort spektakulärer
Auseinandersetzungen und weiterer
Aktionen.
Ein Räumungs- und zwei Aussaatver-
suche später einigten sich BesetzerInnen,
örtliche LandwirtInnen und der Gen-
tech-Anbauer auf ein Ende des mehr-
wöchigen Saatgutkrimis: Gentechnik-
kritische Bauern säten konventionellen
Mais ein und gaben das Feld Mitte Juni
dem Besitzer zurück. Das Widerstands-
frühjahr war zu Ende.
Viele angemeldete Felder blieben gen-
technikfrei. Auf den anderen begann die
Zeit der Feldbefreiungen. Die BASF verlor
ihre gut beschützten Kartoffelanlagen in
ihrem Agrarzentrum bei Ludwigshafen
– Unbekannte hatten sich nachts in die
Höhle des Löwen geschlichen und 4000
Genpflanzen herausgerissen. Auch die
große Gendreck-weg-Aktion gelang
Nr. 98/3.08
wieder. Das jährliche Treffen vieler
FeldbefreierInnen zu einer gemeinsamen
Aktion überlistete die ständig höher
aufgerüstete Polizei, die BefreierInnen
gelangten schon früh morgens am 29.
Juni über Umwege auf eines der ausge-
wählten Felder.
Die Idee direkter Aktion zielt über das
jeweilige Feld hinaus. Debatten sollen
angezettelt, Kommunikation aufgebaut
und Wissen vermittelt werden. „Hunger
ist nicht die Folge von Nahrungsmittel-
knappheit, sondern dieser Mangel wird
künstlich erzeugt“, formulierte ein Feld-
besetzer auf der Maikundgebung des
DGB Groß Gerau. Patente auf Leben und
die damit verbundene Kontrolle der Le-
bensmittelproduktion würde diese Lage
verschlimmern: „Durch die künstliche
Verknappung sollen höhere Preise erzielt
werden. Konzerne gehen über Leichen,
um Profite zu erzielen. Die Forscher sind
dabei willige Helfer.“
Die Aktionen des Frühjahrs 2008 waren
ein ungewöhnlicher Anfang - die Aktivis-
17
Jörg Bergstedt, Reiskirchen-Saasen
tInnen hoffen nun auf mehr. Genfelder
gibt es noch in vielen Bundesländern.
Mehr Informationen:
www.gentech-weg.de.vu
AktivistInnen, die an den Feldbeset-
zungen und –befreiungen im Frühjahr
2008 teilgenommen haben, bieten
an, für einen Informationsabend oder
Workshop zu euch zu kommen. Sie
werden eine CD mit Bildern und kurzen
Filmsequenzen von den sieben Beset-
zungen und weiteren Aktionen zeigen.
In rund einer Stunde lässt sich so der
Flair direkter Aktion auf den Äckern in
eure Stadt tragen. Danach ist Zeit für
Diskussion – und je nach Interesse auch
weitergehender Informationsaustausch
über konkrete Handlungsmöglichkeiten
für 2009.
Kontakt: Projektwerkstatt
Tel.: 06401/90328-3, Fax –5
saasen@projektwerkstatt.de
Foto: Jörg Bergstedt
Besetztes Feld in Groß Gerau: Schon nach drei Tagen sagte die Uni Gießen den Versuch ab
tropenwald
Nr. 98/3.0818
Schmierige Geschäfte mit Palmöl
19Nr. 98/3.08
tropenwald
Hamburg: Am 29. April 2008 hin-gen ROBIN WOOD-AktivistInnen an einem Speicher der Palmöl-Raf-finerie des Agrar-Konzerns Archer Daniels Midland (ADM) im Ham-burger Hafen und protestierten mit einem 300 m² - Transparent gegen die Zerstörung von Regenwäldern für die Rohstoffversorgung Europas mit Palmöl.
Noch vor nicht all zu langer Zeit, war beim
Anflug auf den Flughafen Medan in
Sumatra, immergrüner, tausend Jahre alter
Regenwald zu sehen - so weit das Auge
reichte. Mittlerweile ist der Wald nicht mehr
da und das schachbrettartige Mosaik der
Ölpalmen-Plantagen prägt die Landschaft.
Vertrieben sind Menschen und Tiere, die den
Wald als Lebensgrundlage genutzt haben.
Kaum ein anderes Land hat seine Natur-
schätze in einem derart rasanten Tempo ge-
opfert wie Indonesien. Die letzten größeren
Tropenwaldflächen in Indonesien, die sich
zurzeit noch auf Kalimantan (Borneo) und
Westpapua befinden, geraten zunehmend
unter Druck. Auch sie sollen demnächst für
neue Monokulturen weichen.
Die schmierige Spur der Vernichtung führt
bis vor unsere Haustür. Die europäische
Lebensmittelindustrie ist Großkunde bei den
indonesischen Palmöl-Konzernen, zuneh-
mend wird das tropische Fett aber auch
in Blockheizkraftwerken für „Ökostrom“
verbrannt.
ROBIN WOOD ist den Profiteuren dieser
Entwicklung auf der Spur. Gemeinsam mit
indonesischen Partner-Organisationen wie
Walhi, Save our Borneo oder JASOIL wollen
wir diesen Wahnsinn stoppen. Branchengrö-
ßen wie ADM und Wilmar haben das jetzt zu
spüren bekommen, als ROBIN WOOD ihnen
aufs Dach gestiegen ist. Lesen Sie dazu auch
unter der Rubrik Tatorte auf Seite 35. Es wird
nicht der letzte ungebetene Besuch bei der
Palmölindustrie gewesen sein. ROBIN WOOD
wird seine Kampagne verstärkt vorantrei-
ben - in Solidarität mit den Menschen aus
Indonesien, Kolumbien und anderswo, die
den Preis für unseren Rohstoffhunger zahlen
müssen.
Peter Gerhardt ist ROBIN WOOD-
Tropenwaldreferent in Hamburg
Tel.: 040/38089218,
tropenwald@robinwood.deFoto: Jan Becker
tropenwald
Nr. 98/3.0820
Regenwald aufs Brot
Es ist schwer geworden verarbeitete Lebensmittel ohne Palmöl zu finden, auch in Bio-Produkte taucht auf der Zutatenliste immer häufiger Palmöl auf. Olaf Bartels hat Frau Manon Haccius von Alnatura gefragt, ob die VerbraucherInnen Bio-Produkte, die Palmöl enthalten, noch mit gutem Gewissen kaufen können.
? In vielen Lebensmitteln ist Palmöl zu finden. Warum ist Palmöl in der Le-bensmittelindustrie so weit verbreitet?
! Palmöl ist bei normalen Temperaturen
geschmeidig. Das ist günstig für die
Verarbeitung von Lebensmitteln. Es
ist nicht flüssig und nicht so hart wie
Kokosfett, denn das ergibt ein nicht
so angenehmes Mundgefühl und stört
den Geschmack. Deswegen ist Palmfett
das verarbeitungsfreundlichere und
geschmacklich angenehmere Fett.
? In welchen Produkten von Alnatura ist Palmöl zu finden?
! In verschiedenen Produkten in unter-
schiedlichen Anteilen. Wenn ich mich
auf die konzentriere, in denen etwas
mehr Palmöl enthalten ist, sind das die
vegetarischen Brotaufstriche.
Auch süße Aufstriche, wie der Schoko-
Nuss-Aufstrich, enthalten Palmöl,
damit er eine schöne cremige Konsis-
tenz erhält. Und in den Crunchies ist
Palmfett enthalten. Es wird zusätzlich
zu Getreide und Zucker gebraucht,
damit man die Crunchies backen kann.
Ansonsten halten sie nicht zusammen.
Das wären die wichtigsten. Dann
gibt es noch Palmfett in würzenden
Komponenten, die in geringer Menge in
Produkte kommen.
? Welche anderen Fette wurden früher für Lebensmittel genutzt?
! Das kann ich Ihnen nicht genau sagen.
Ich bin jetzt gut acht Jahre in diesem Be-
reich tätig und beschäftige mich mit der
Frage, was für Zutaten in Bio-Lebensmit-
teln enthalten sind. In der Zeit hat sich
beispielsweise die Palette der herzhaften
vegetarischen Brotaufstriche deutlich
ausgeweitet. Verschiedene süße Aufstri-
che gab es schon, aber das Sortiment an
Nussmus, Schokomus oder Mischungen
ist gewachsen. Darin war schon immer
Palmfett enthalten. Butter wird nicht
verwendet, weil sie leichter ranzig wird
als Palmfett. Außerdem versuchen wir
tierische Fette zu vermeiden, um Vegeta-
riern eine größere Palette verschiedener
Produkte anbieten zu können.
? Also ist es richtig, dass die Lebensmit-telindustrie nicht mehr ohne Palmfett auskommt?
! Ja, wenn ich die Vielfalt der Produkte
im Bio-Lebensmittelbereich anschaue,
insbesondere die, die keine tierischen
Komponenten enthalten. Dort ist Palm-
fett ein wichtiger Bestandteil.
? Woher kommt das bei Alnatura verar-beitete Palmfett?
! Alnatura ist ein Handelsunternehmen.
Wir verarbeiten unsere Produkte nicht
selbst, sondern arbeiten mit Bio-Her-
stellern zusammen, die die Rohwaren
einkaufen und uns die Rezepturen
vorschlagen. Sie kennen sich am
besten damit aus, was technisch und
geschmacklich geht. Unsere Hersteller
wiederum kaufen bei Vorlieferanten,
von denen wir wissen, dass sie entwe-
der durch Pro Rainforest zertifizert oder
im RSPO (Round Table for Sustainable
Palmoil) Mitglied sind. Die meisten Palm-
öllieferanten gehören diesem runden
Tisch an. Wir fragen das in regelmäßigen
Abständen ab. Zwei oder drei nennen
plausible Gründe, weshalb sie ihr Palmöl
aus anderen Quellen beziehen.
Für alle Zutaten, die Alnatura verwendet,
ist es Voraussetzung, dass sie ökologisch
erzeugt sind. Ich kann Ihnen die Länder,
aus denen das von unseren Herstellern
verarbeitete Palmöl stammt, nicht im
einzelnen nennen. Die Händler sind nicht
verpflichtet, uns das offen zu legen. Es
muss aber immer Bio sein.
? Der Anbau vor allem von konventio-nellem Palmöl führt zu katastrophalen
Foto: Jens Wieting
Nr. 98/3.08
Für Manon Haccius von Alnatura ist Bio-Palmöl zur Zeit die beste Alternative
Entwicklungen, wie Vertreibung und Zerstörung des Regenwaldes in den Anbauregionen. Kann sich ein Käufer von biologisch zertifiziertem Palmöl sicher sein, diese Entwicklung nicht zu unterstützen?
! Nach allem, was wir über die biolo-
gische Palmölgewinnung wissen, ja. Wir
haben keine gegenteiligen Auskünfte
und wissen, dass unsere Hersteller an
dieser Stelle ganz engagiert und wach
sind und ihre Vorlieferanten entspre-
chend verpflichten.
? Nach meinem Wissen garantiert die EG-Öko-Verordnung, für die das sechs-eckige Biosiegel steht, nicht, dass für Produkte, die mit diesem Siegel gekenn-zeichnet sind, kein Regenwald gerodet oder Menschen von ihrem Land vertrie-ben wurden.
! Das stimmt. Diese Verordnung regelt
die Anbauweise. Da geht es darum,
welche Betriebsmittel, welches Saatgut,
welcher Dünger und welcher Pflanzen-
schutz angewendet werden dürfen. Das
wird durch unabhängige Sachverstän-
dige zertifiziert. Die Produktion muss
nachhaltig sein. Dafür steht auch der
Round table for Sustainable Palmoil.
? Aber es existiert derzeit noch kein vom Round Table zertifiziertes Palmöl.
! Wir haben von unseren Herstellern
entsprechende Zertifikate und Berichte
erbeten. Daraus habe ich entnommen,
dass sich die Lieferanten von Palmöl auf
Regeln verständigt haben und darauf
achten, dass sie eingehalten werden.
? ROBIN WOOD recherchiert gerade zum Thema und wird sich, so wie es zur Zeit aussieht, bald sehr kritisch zum Runden Tisch für nachhaltiges Palmöl äußern.
! Kritik ist wichtig. Wenn die Kritikpunkte
bekannt sind, können wir die richtigen
Fragen stellen. Daher interessiert mich Ihre
Kritik sehr. Die Frage, die sich dann stellt,
ist, was denn alternativ empfohlen wird?
Wir wollen ja unsere Alnatura Produkte
weiter anbieten können.
? Hat Alnatura Standards, die über die EG-Öko-Kriterien hinausgehen?
! Ja, wir haben interne Richtlinien, die wir
bei der Produktentwicklung anwenden.
Ein Expertengremium, dem wir unsere
Produktprojekte und Rezepturen vorstel-
len, überprüft die Zutaten, Hilfsstoffe und
Verarbeitungsverfahren kritisch, und dann
sagen die Experten, ob das Produkt in
Ordnung ist. Wenn dies nicht der Fall ist,
dann gibt es das Produkt nicht.
? Welche Verantwortung haben Le-bensmittelproduzenten bezüglich ihrer Rohstoffe, die sie beziehen?
! Die Lebensmittelproduzenten sind nach
meiner Auffassung für die Qualität der
Produkte, die sie den Kunden anbieten,
verantwortlich. Sie sollten sich, so weit
es möglich ist, Gedanken machen und
anspruchsvolle Standards umsetzen.
Das Unternehmen Alnatura hat seit
24 Jahren Standards und es kommen
immer mehr Aspekte dazu. Produkte
und Rezepturen werden immer umfas-
sender geprüft. Es ist ein kontinuierlicher
Verbesserungsprozess.
? Was können Sie VerbraucherInnen raten, die kein Palmöl kaufen wollen, für das Regenwald vernichtet wurde?
! Nach meiner festen Überzeugung ist
ein Bioprodukt, das biologisch erzeugtes
und zertifiziertes Palmöl oder Palmfett
als Zutat enthält, die beste im Moment
verfügbare Alternative. Ich bin sehr
daran interessiert, was Sie uns zusätzlich
an Informationen zum Thema zukom-
men lassen können.
Olaf Bartels hat ein Praktikum bei
ROBIN WOOD in Hamburg absolviert,
tropenwald@robinwood.de
tropenwald
21
tropenwald
Nr. 98/3.0822
Der brasilianische Präsident Lula da Silva glaubt mit Agrotreibstoffen die wachsenden Energie-probleme lösen zu können. Der Anbau von Zuckerrohr für „Bio“-Kraftstoffe helfe dem Klima, sei nachhaltig und es stünden genügend Flächen zur Verfügung, so dass kein Regenwald für Plantagen zerstört werden müsse. Die Ausweitung der Flächen wäre sogar in dem Maße möglich, dass auch für den deutschen Markt genügend Agrarrohstoffe erwirtschaftet werden könnten.
Vor diesem Hintergrund unterzeichneten Präsident Lula
und Bundeskanzlerin Merkel am 14. Mai in Brasilia ein
bilaterales Energieabkommen mit dem Schwerpunkt Agro-
kraftstoffe. Das Abkommen weist allerdings gravierende
Mängel auf: Die von Umweltminister Sigmar Gabriel und
Bundeskanzlerin Angela Merkel viel gepriesenen ökolo-
gischen und sozialen Nachhaltigkeitskriterien sollen von
der EU-Kommission entwickelt und ein Zertifizierungsystem
entworfen werden. Dabei sind sich die Umweltverbände
einig: Ein funktionierendes Zertifizierungssystem wird es
nicht geben. Das haben andere Beispiele aus dem Holzbereich
bereits gezeigt. Auch ist es utopisch in Brasilien dafür sor-
gen zu wollen, dass im großflächigen Energiepflanzenanbau
ökologische und soziale Standards eingehalten werden. In
einem Land, in dem Korruption und Sklavenarbeit, besonders
im Zuckerrohranbau, an der Tagesordnung sind. Aufgrund der
vielen Bedenken gab es im Vorfeld des Energieabkommens
eine Protestflut von Nichtregierungsorganisationen aus Brasi-
lien und Deutschland, an der sich auch ROBIN WOOD beteiligt
hat. Nicht nur in Brasilien wird Agrosprit als Patentlösung
gehandelt, auch Gabriel und Merkel reden den Anbau von
Agrarkraftstoffen in Brasilien für den Import nach Deutschland
schön.
Ein Blick hinter die Kulissen der Zuckerrohrindustrie zeigt je-
doch, dass die Realität anders aussieht. Derzeit wird in Brasilien
auf ca. sieben Millionen Hektar Zuckerrohr angebaut, etwa die
Hälfte davon wird für die Herstellung von Ethanol verwendet.
Der Import von Agrarprodukten zur Herstellung von Energie
und Kraftstoffen nach Deutschland stachelt die ohnehin ehr-
geizigen Pläne der brasilianischen Regierung weiter an. Insge-
samt sollen die Zuckerrohrplantagen in Brasilien auf bis zu 30
Millionen Hektar ausgeweitet werden. Für die Ausweitung der
Agrarflächen in Brasilien werden nicht nur die Umwelt sondern
auch die Menschen vor Ort bezahlen.
Die Behauptung von Lula, der Anbau von Agroenergieplan-
tagen habe keinen Einfluss auf die nationale Nahrungsmit-
telproduktion, wird von Vertretern der Wirtschaftsseite gerne
übernommen. Jedoch sagen die Zahlen der Landesuniversität
in Sao Paulo etwas anderes: Die Anbauflächen von Grundnah-
rungsmitteln wie Reis, Bohnen, Maniok und Kartoffeln sind im
Zeitraum zwischen 2006 und 2007 um jeweils über 10 Prozent
zurückgegangen.
Die Energiepflanzen werden auf den fruchtbarsten Flächen in
pestizidintensiver Monokultur angebaut, während die Bohnen-
und Reisanbauflächen zwischen 1990 und 2006 landesweit
um 261.000 bzw. 340.000 Hektar verringert wurden – insbe-
sondere in den Gemeinden, die die größte Ausweitung der
Zuckerrohrflächen aufweisen. Brasilien ist eines der produk-
tivsten Länder der Welt. Trotzdem leiden 44 Millionen Men-
schen Hunger und sind von extremer Armut betroffen. Diese
Situation wird sich aufgrund des explodierenden Marktes für
Agrartreibstoffe immer weiter verschärfen.
Abgesehen von den Folgen des Anbaus von Monokulturen
für die Biodiversität und die lokale Bevölkerung kann bei den
Zuckerrohr in den Tank
Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Lula da Silva haben beschlossen, dass mehr brasilianisches Zu-ckerrohr in deutschen Autotanks landen soll...
Foto: pixelio/Frank Hüfner
23
tropenwald
vermeintlichen „Bio“-Kraftstoffen von
CO2-Neutralität keine Rede sein. Durch
Landnutzungsänderungen und Brandro-
dungen werden bei der Herstellung von
Ethanol mehr Treibhausgase freigesetzt,
als durch den Ersatz von herkömmlichen
Kraftstoffen eingespart werden können.
Der Anbau von Zuckerrohrplantagen
bedeutet besonders in trockenen Re-
gionen einen massiven Eingriff in den
Wasserhaushalt. Zur Herstellung eines
Liters Ethanol werden im Produktions-
prozess rund 13 Liter Wasser verbraucht:
im bewässerten Zuckerrohranbau steigt
der Wasserverbrauch auf ca. 600 Liter.
Zusätzlich entstehen mit jedem Liter
Ethanol 12 bis 13 Liter giftiges Abwasser.
Die Preise für „unproduktives“ Land
steigen aufgrund der erhöhten Nach-
frage nach Agrarrohstoffen an, wodurch
der Staat kaum noch den Landankauf
für Kleinbauern finanzieren kann.
Darüber hinaus pachten Inhaber von
Zuckerfabriken gezielt Landflächen, um
sie der Umverteilung im Rahmen der
Agrarreform zu entziehen. Dadurch wird
nicht nur eine Agrarreform verhindert,
sondern die Situation der kleinen Bauern
und der Landlosen erheblich verschlech-
tert. Die hohen und kontinuierlich
weiter ansteigenden Weltagrarpreise
wirken sich nicht nur negativ auf die
Ernährungssicherheit der Menschen
aus, sondern liefern zudem Anreize für
Landnutzungsänderungen.
In Brasilien wird von der Regierung und
der Zuckerrohrindustrie nur allzu gerne
betont, dass 100 Millionen Hektar Land
frei zur Verfügung stehen würden. Diese
könnten in industrielle Agrarflächen um-
gewandelt werden, ohne dass dafür Re-
genwald gerodet werden müsse. Daher
sei es kein Problem, die Agrarproduktion
für Kraftstoffe auszuweiten, betonte Luiz
Eduardo Goncalves, Botschaftssekretär
und Leiter der Wirtschaftsabteilung
der brasilianischen Botschaft, bei einer
Podiumsdiskussion zu dem Thema „Tank
UND Teller“, die Mitte Juni von Berlinpo-
lis veranstaltet wurde. In der Diskussion
ging es um neue Herausforderungen
für die globale Nahrungs- und Ener-
giesicherheit. Leider vertraten vier von
fünf der geladenen Gäste eindeutig die
Profitinteressen der EU, während sie die
Nahrungssicherheit der Bevölkerung und
Menschenrechte in Brasilien weniger
interessierte.
Die Vorträge bewiesen einmal mehr,
wie kurzsichtig der Blick aus der Wirt-
schaftsperspektive ist. Auch wenn die
Zuckerrohrplantagen nicht im Regen-
wald, sondern auf früheren Weideflä-
chen angebaut werden, tragen sie doch
indirekt zur Regenwaldvernichtung bei.
Denn die Bauern, die gewaltsam von
ihrem Land vertrieben wurden, ebenso
wie die Viehzüchter, die ihr Weideland
weggeben müssen, wandern in den
Regenwald hinein, um sich neues Land
zu erschließen.
Wirtschaftsvertreter sehen offensichtlich
nur den Profit. Denn sonst hätte Herr
Goncalves eine Antwort auf die Frage
gewusst, warum in Brasilien jedes Jahr
etliche Menschen aufgrund von Land-
rechtskonflikten ermordet werden, wenn
es angeblich soviel frei verfügbare Fläche
gibt. Der Indiandermissionsrat CIMI teilte
mit, dass der Bundesstaat Mato Grosso
do Sul die meisten Morde an Ureinwoh-
nerInnen zu verzeichnen hat. Im vergan-
genen Jahr wurden dort 53 Indigene er-
mordet und gerade hier die Anbaufläche
für Zuckerrohr stark erweitert. Gewalt
und Vertreibung gehen mit der Konver-
tierung von Weideland oder Savannen in
Agrarflächen einher. Aber es geht nicht
nur um die Menschenrechte.
Wenn Herr Goncalves oder die Zu-
ckerrohrindustrie von 100 Millio-
nen Hektar verfügbarer Fläche sprechen,
dann meinen sie auch wertvolle Öko-
systeme wie den Cerrado, auf den die
lokale Bevölkerung als Weideland oder
zum Sammeln von Nahrung, Medizinal-
pflanzen oder Brennholz angewiesen ist.
Diese Savannenlandschaften befinden
sich vor allem im zentralen Westen und
Nordosten Brasiliens. Die bisher beste-
henden Zuckerrohrplantagen haben
bereits zur Zerstörung dieser Ökosysteme
beigetragen. Und durch den steigenden
landwirtschaftlichen Wert dieser Regi-
onen nimmt auch hier die Gewalt zu.
Innerhalb des letzten Jahres hat sich
die Zahl der Menschen, die gewaltsam
vertrieben wurden, mehr als verdoppelt.
Die Ausweitung der Energiepflanzen-
Monokulturen bzw. die Verdrängung
Nr. 98/3.08
von Nahrungsproduktion und Vieh-
zucht in Wald- und Savannengebiete
verursacht gewaltige klimaschädliche
CO2-Emissionen. Das Forschungsinstitut
Imazon gab aktuelle Entwaldungszahlen
für die Bundesstaaten Mato Grosso und
Pará bekannt. So wurden allein von
Januar bis März 2008 trotz der Regenzeit
mindestens 21.400 Hektar Regenwald
zerstört, dreimal so viel wie im ersten
Quartal 2007. Doch bei der Diskussion
um Agrarenergien wird von Wirtschafts-
seite kein Wort darüber verloren.
Diese indirekten Folgen der Auswei-
tung von Agrarflächen, deren Produkte
für den Import nach Europa bestimmt
sind, werden gerne unter den Teppich
gekehrt. Es bleibt nur zu hoffen, dass
Lula das Zeichen der Umweltministe-
rin Marina Silva, die kurz vor Merkels
Besuch zurückgetreten ist, zum Anlass
nimmt, sich wieder für die Umwelt und
die lokale Bevölkerung einzusetzen.
Steph Grella ist in der ROBIN WOOD-
Tropenwaldgruppe akiv
treeactivist@gmx.de
... die gravierenden ökologischen
und sozialen Folgen für die Men-
schen in Brasilien werden unter
den Teppich gekehrt
Fo
to: p
ixelio
/Cla
ud
io L
ion
e
tropenwald
Nr. 98/3.0824
Einen blutigen Kleinkrieg trugen mittellose Fischer bis vor kurzem in der kambodschanischen Bucht von Kampong Som aus – ein Konflikt um Ressourcen und um den Zugang zum Meer. Durch die Vermittlung von Nicht-Regierungsorganisationen haben einheimische Fischer und solche, die von außerhalb kommen, ihren Konflikt vorerst beigelegt – doch noch immer herrscht Misstrauen.
Über einen schmalen, klapprigen
Steg balanciert Fischer San Yaung
zu seinem Holzboot. Der junge Mann
hält einen Moment inne und schaut
sich um: Vor ihm öffnet sich das Meer,
hinter ihm, keine hundert Meter ent-
fernt, duckt sich das Fischerdorf An Chi
Eut unter Kokosnuss- und Bananenpal-
men. In einer der schlichten Holzhütten
wohnt San Yaung mit seiner Ehefrau
und den beiden Kindern. Das ewige
Grün des Dschungels versorgt die Fa-
milie mit exotischen Früchten. Und das
Meer bietet ihnen ein schier endloses
Reservoir an frischem Fisch, an Mu-
scheln und Krabben. Es wirkt bald so,
als lebten San Yaung und die anderen
Dorfbewohner im Paradies auf Erden.
Ein Eldorado mitten im Nirgendwo.
Doch das Paradies weckt Begehrlich-
keiten und zieht immer wieder fremde
Fischer an, die in den Gewässern vor
der Küste fischen. Auch an diesem Tag.
Am gegenüberliegenden Steg machen
Fischer von außerhalb ihre Boote fertig.
Argwöhnisch schaut San Yaung hin-
über. „Sie kommen aus einem weiter
entfernt liegenden Dorf – aus Stung
Hav“, vermutet er.
Bis 2003 trugen die Fischer aus An Chi
Eut einen blutigen Kleinkrieg ge-
gen Eindringlinge aus. Immer mehr
Schiffskutter drangen damals mit ihren
Fangnetzen in die Bucht von Kampong
Som vor und überfischten die Gewäs-
ser. Es kamen nicht nur Kutter aus den
Nachbardörfern, sondern auch aus der
Küstenregion um die nahe gelegene
Tourismus-Hochburg Sihanoukville. An
Bord der Kutter heuerten mittellose
Menschen aus dem Landesinneren an:
Vertriebene, die ihren Grund und Bo-
den verloren haben, weil Investoren ein
Interesse an einem Stück Land anmel-
deten – bis heute ein typischer Vorgang
in Kambodscha, einem Land, in dem
Willkür, Korruption und Gewalt an der
Tagesordnung sind.
Die Konkurrenz um Ressourcen in der
Küstenregion verschärfte sich zu-
sätzlich, als Menschen aus dem nahe
gelegenen Mangrovendschungel in
die Küstenregion zogen – aus der Not
heraus. Sie hatten bis dato von der
Waldwirtschaft gelebt: von Früchten,
Honig und Einnahmen aus dem Verkauf
von Tropenholz. Als die kambodscha-
nische Regierung 1999 jedoch die
Abholzung untersagte, verloren die
Menschen einen wichtigen Teil ihres
Einkommens. Aus Mangel an Alter-
nativen wandten sie sich der Fischerei
zu – sehr zum Ärger von traditionellen
Fischern wie San Yaung. „Die Gewässer
vor unserer Küste waren nach kurzer
Zeit völlig überfischt, wir mussten in die
Mangroven ziehen, um dort Fisch und
Shrimps zu fangen.“
Um den zunehmenden Fischfang zu
stoppen, wandten sich die rund 600
Bewohner aus An Chi Eut an die kom-
munale Regierung in der nahe gele-
Kampf ums Paradies
Jetzt herrscht wieder Frieden in
dem Fischerdorf An Chi Eut ...
Fotos: Thomas Becker
25
tropenwald
genen Kleinstadt Sre Ambel. Vergeblich.
Polizei und Militär griffen nicht ein. Und
der Konflikt eskalierte: Beim Versuch, die
Fremdfischer von der Küste fernzuhal-
ten, starben um die Jahrtausendwende
mindestens 25 Menschen bei Kämpfen
in der Bucht von Kampong Som. Die
Folge eines Konflikts, in dem mittellose
Menschen untereinander einen blu-
tigen Kampf um Ressourcen austrugen.
Manche Fischer wagten sich damals
überhaupt nicht mehr in ihre Gewässer
vor. „Aus Angst kenterten Fischer aus
unserem Dorf ihre eigenen Boote und
suchten darunter Schutz, sobald sich
ihnen ein feindlicher Kutter näherte“,
erzählt San Yaung, der die blutigen
Kämpfe von damals noch allzu gut in
Erinnerung hat.
Es dauerte einige Jahre, bis sich die
Fischer organisiert und zu einem
friedlichen Umgang im Ressourcenstreit
formiert hatten. Die Bewohner aus An
Chi Eut richteten zunächst ein Schreiben
an Premierminister Hun Sen und wiesen
auf ihre hoffnungslose Lage hin. Eine
Antwort erhielten sie nie. Das verwun-
dert kaum: Denn Hun Sen steht laut
Transparency International an der Spitze
einer der korruptesten Regierungen
weltweit und schürt eher Konflikte als
sie zu entschärfen. Mehr Unterstützung
erhielten San Yaung und die Bewohner
aus An Chi Eut von Nicht-Regierungs-
organisationen, die sich seit 2000 in
der Küstenregion engagieren. American
Friends Service Committee (AFSC) und
Khmer Ahimsa werden vom Deutschen
Evangelischen Entwicklungsdienst unter-
stützt und haben sich den Zielen einer
aktiven Friedensarbeit verschrieben.
Auf ihr Anraten hin nutzten die Bewoh-
ner aus An Chi Eut schließlich ein offizi-
elles Rechtskonstrukt. Sie stellten einen
Antrag, in dem sie den Küstenstreifen
vor dem Fischerdorf als geschützte Zone
deklarierten, in der nur sie fischen dür-
fen. Das Ministerium für Landwirtschaft,
Wald und Fischerei in der kambod-
schanischen Hauptstadt Phnom Penh
erkannte den Küstenstreifen 2003 an.
Anspruch darauf hätten die Küstenbe-
wohner schon viel früher gehabt. Doch
für ihr Recht einzustehen, es aktiv zu
fordern und offiziell bestätigen zu lassen
– das war für den so abgeschieden le-
benden Fischer in An Chi Eut fremd. Die
meisten wussten lange gar nicht, dass
es solche Schutzgebiete überhaupt gibt.
Viele Einwohner aus An Chi Eut können
weder lesen noch schreiben und haben
ihr Dorf nur selten verlassen.
„Community protected area“ – dieser
Titel schützt die Fischer aus An Chi Eut
nunmehr seit fünf Jahren. Doch nur auf
dem Papier. Denn die Machthaber des
Distrikts scherten sich weiterhin nicht
darum, Vergehen gegen den offiziellen
Rechtsstatus zu ahnden. Die Bewohner
aus An Chi Eut schlossen sich deswegen
mit den umliegenden Fischerdörfern
zusammen. Sie richteten einen Patrouil-
ledienst ein – und schufen damit ihren
eigenen Schutzdienst. „Eindringlinge
wagen sich seitdem weitaus weniger
in unsere Gefilde vor. Sie wissen, dass
wir mit Nachbardörfern kooperieren“,
sagt San Yaung, der heute Sprecher der
Fischergemeinschaft in seinem Dorf ist.
„Der illegale Fischfang ist mittlerweile
um 70 bis 80 Prozent gesunken.“
Zudem haben die Dorfbewohner eine
verbindliche Satzung aufgestellt: Konfis-
zieren sie etwa das Boot eines illegalen
Fischers, erhält dieser es zurück, wenn
er einen festgesetzten Preis bezahlt.
„Wir könnten die Boote auch für einen
langen Zeitraum einkassieren, aber das
würde Unmut nach sich ziehen und
zu Gewalt führen“, sagt San Yaung.
In Zukunft werde die Patrouille illegale
Fischkutter deswegen mit friedlichen
Mitteln stoppen und sich an die Statuten
ihrer eigenen Satzung halten, versichert
Fischer Yaung.
Mittlerweile hat sich der Fischbe-
stand in der Bucht von Kampong
Som erholt. Krabben, Muscheln und
leckere Katzenfische gibt zur Genüge.
Das allerdings macht die Küstenregion
erneut interessant für Fremdfischer – ein
Teufelskreis, der im Februar 2005 dazu
führte, dass ein Konflikt mit Fischern
aus dem nahe gelegenen Fischerdorf
Stung Hav eskalierte: Deren Schiffskutter
fischten mit nicht zugelassenen Netzen
zum wiederholten Mal in den Gewässern
vor An Chi Eut. Eine Patrouille konfis-
zierte die Kutter. In der folgenden Nacht
drangen Fischer aus Stung Hav ins Ge-
meindehaus ein und brannten Häuser im
Nr. 98/3.08
Dorf nieder. So ist klar: Die Bemühungen
derjenigen, die Frieden unter den verfein-
deten Fischers schaffen wollen, stehen auf
labilem Fundament.
Immerhin: Seit jenem Zwischenfall vor drei
Jahren hat sich die Lage stabilisiert. Keine
offenen Kämpfe, kein Blutbad mehr. Auch
am heutigen Tag kehren Fischer aus An
Chi Eut mit vollen Netzen vom offenen
Meer zurück. Und auf dem Dorfplatz von
An Chi Eut präsentieren gut gelaunte und
gut genährte Fischer später ihre Beute. Sie
lachen. Sie wollen fotografiert werden.
Solch herzhaft lachende Gesichter sieht
man selten in Kambodscha, dem Land
des Lächelns, das vielerorts sein Lächeln
verloren hat – auch wegen der unzähligen
Konflikte um Ressourcen.
Wie die anderen Fischer im Dorf schaut
auch San Yaung zufrieden drein, als er
sein Boot am Steg anlegt. Er packt das
Fischernetz zusammen – und schaut noch
einmal argwöhnisch auf den benachbar-
ten Steg, als wolle er sagen: Die Zukunft
ist ungewiss und der letzte Kampf ums
Paradies noch nicht ausgetragen. Klar ist
für den jungen Mann nur: „Ich bin Fischer,
das ist mein Leben.“
Thomas Becker ist Journalist und
lebt in Düsseldorf
thomas-becker@hotmail.com
... und die Fischer kehren mit
vollen Netzen ins Dorf zurück
tropenwald
Nr. 98/3.0826
Die letzte Hand, die den Tabak einer Zigarette berührt hat, könnte die Hand eines Kindes oder einer Frau aus Malawi gewesen sein. Raphael Sandramu, Gewerkschafter aus Malawi, berichtet, dass es lebensgefährlich ist, sich für die Rechte der Arbeiter im Tabakanbau einzusetzen.
Sein Engagement gegen die Tabakbarone hätte Raphael
Sandramu beinahe mit dem Leben bezahlt. „Ja, das ist
sehr gefährlich. Schon zweimal wollte man mich töten“,
sagt Raphael. Wir fahren im Zug von Hamburg nach
Bremen und die Norddeutsche Tiefebene rauscht mit 200
Stundenkilometern an uns vorbei. „Die Landbesitzer sehen
es nicht gerne, wenn ich als Gewerkschafter zu den Arbei-
tern und landlosen Pächtern komme und diese über ihre
Rechte aufkläre. Einmal wartete ein aufgebrachter Eigen-
tümer mit einer Machete am Eingang seines Grundstücks
auf mich, ein anderes Mal wurde ich von drei Männern mit
einem Messer verfolgt.“
Raphael Sandramu ist Generalsekretär der Tobacco Tenants
and Allied Workers Union of Malawi (TOTAWUM). Das ist
die Gewerkschaft der landlosen Pächter und Arbeiter in
der Tabakindustrie Malawis. Die Organisation hat sich zum
Ziel gesetzt, für etwas mehr Gerechtigkeit in der Tabak-
produktion in dem ostafrikanischen Land zu sorgen. Das
ist schwer genug, denn die internationalen Tabakkonzerne
und die Grundbesitzer verdienen gut an der Ausbeutung
ihrer Arbeitskräfte. Die Grundsteine dafür wurden in der
britischen Kolonialzeit gelegt. „Die Briten installierten ein
Ausbeutungssystem in Malawi“, erklärt Raphael, „das in
erster Linie dazu dienen sollte, den Export von Tabak nach
Europa zu etablieren. Nach den Briten regierte Diktator
Banda das Land, mit dem die US-Tabakmultis glänzende
Geschäfte machten.“ Tabak ist nach wie vor das wich-
tigste Exportgut Malawis, das seit dem wirtschaftlichen
Zusammenbruch Zimbabwes zum zweitgrößten Tabakpro-
duzenten der Welt aufgestiegen ist.
In der Regel heuert ein landloser Pächter für eine Saison
bei einem Grundbesitzer an. Dieser räumt der Familie
Wohnrecht ein und teilt ihnen ein kleines Stück Land für
den Tabakanbau zu. Pflanzen, Dünger und Lebensmittel
gibt es dann auf Kredit vom Landbesitzer und wenn die
Pächter ihre Tabakernte an Ende der Saison abgeliefert
haben, wird abgerechnet. „Dabei werden die Menschen
oft um ihren gerechten Anteil gebracht“, klagt Raphael,
„denn Kredite gibt es oft nur zu Wucherzinsen. Und da
die meisten Arbeiter und Pächter Analphabeten sind, exis-
tieren auch keine schriftlichen Verträge, was die Menschen
vollkommen der Willkür der Grundbesitzer ausliefert. Für
uns als Gewerkschaften ist es ohne schriftliche Dokumente
sehr schwer, den Landeigentümern Betrug nachzuweisen.
Nicht selten werden die entrechteten Pächterfamilien
nach der Ernte zum sofortigen Verlassen des Grundstücks
aufgefordert.“
Eine Familie kann pro Saison auf drei Hektar den Tabak
für 100.000 Packungen pflücken, von den Gewinnen der
Tabakindustrie können sie nur träumen. Oftmals reicht es
nicht mal fürs nackte Überleben, selbst wenn die Kin-
der nicht zur Schule gehen und sich bei der Tabakernte
kaputt schuften. Manche Grundbesitzer verbieten gar den
Schulbesuch der Kinder, um auch noch das Letzte aus den
Familien herauszupressen. „Wer das Land hat, hat die
Macht“, fasst Raphael zusammen.
Der Tabakanbau ist aber auch eine ökologische Katastro-
phe. Um den Tabak in den gewünschten Exportqualitäten
Ausbeutung für Glimmstängel
Schon fünfjährige Kinder müssen zur
Erntezeit gesundheitsschädigende
Arbeiten verrichtenFoto: Marty Otanez, 2003
27
tropenwald
herzustellen, werden die letzten Wälder
Malawis dem Erdboden gleich gemacht.
Um Tabakblätter für ein Kilogramm
Tabak zu trocknen, werden mehr als
100 Kilogramm Feuerholz benötigt.
Nr. 98/3.08
Mittlerweile muss dieses Holz Hunderte
Kilometer weit heran geschafft werden.
Die ökologischen Folgen des Raubaus
sind überall sichtbar. „Erosion ist weit
verbreitet“, berichtet Raphael, „und
überall klagen die Menschen, dass die
Bodenfeuchtigkeit zurückgegangen ist.“
Und was soll jetzt geschehen? Wir sind
in Hamburg angekommen. Heute Abend
ist Raphael Sandramu wieder Haupt-
redner einer Veranstaltung. Das Publi-
kum wird mit Entsetzen zur Kenntnis
nehmen, wo und vor allem unter welch
unmenschlichen Bedingungen der Tabak
für Zigaretten eigentlich wächst. „Wir
könnten eure Unterstützung bei einer
Gesetzesinitiative gebrauchen. 1995
tauchte der erste Entwurf eines Gesetzes
zum Schutz der Pächter und Arbeiter
in der Tabakproduktion auf. Dann ist es
gleich wieder in der Schublade ver-
schwunden. Ein solches Gesetz wäre ein
echter Fortschritt“, sagt Raphael. „Es
wäre toll, wenn viele Menschen unsere
Fo
to: K
am
pag
ne R
au
chzeic
hen
Malawi ist eines der ärmsten Länder
der Welt. Von 1891-1964 war Malawi
britische Kolonie. Nach der Unabhän-
gigkeit schlidderte das Land in eine
Diktatur. 1994 kam es zu ersten freien
Wahlen. Malawi exportiert neben Tabak
vor allem Tee und Zuckerrohr. In den
Jahren 2001 und 2002 wurde das Land
von einer schrecklichen Hungersnot
heimgesucht, bei der Tausende Men-
schen ums Leben kamen.
Petition unterstützen würden, die noch
bis zum 1. September läuft.“
Online-Petition und viele Infos gegen die
Ausbeutung der ArbeiterInnen in der
Tabakproduktion Malawis unter:
www.unfairtabacco.org
Website des amerikanischen Anthropolo-
gen Marty Otanez mit vielen Filmen und
Hintergrundinfos:
www.sidewalkradio.net
Peter Gerhardt ist Tropenwaldrefe-
rent bei ROBIN WOOD in Hamburg
tropenwaldr@robinwood.de
Raphael Sandramu in Deutschland vor der Firmenzentrale von Philip Morris©: Wikipedia
Die Tabakbauern werden oft um
ihren gerechten Anteil an der
Ernte gebrachtFoto: Marty Otanez, 2003
tropenwald
Nr. 98/3.0828
Den Schutz der Wälder gerecht gestalten!
Im Rahmen des Klimaschutzabkommens kommt der Waldschutz endlich voran. Doch falsch eingeleitet, birgt dies enorme Risiken für den Klimaschutz, die biologische Vielfalt und vor allem für die lokale Bevölkerung. So demonstrierten während der Klimakonferenz in Bali zweitausend Menschen, um auf die Risiken aufmerksam zu machen. Gleichzeitig hoffen Waldbesitzer und waldreiche Staaten auf hohe Gewinne für den Schutz des Waldes.
Die Zerstörung der Wälder trägt mit ca. 20 Prozent
zu den weltweiten Treibhausgas-Emissionen bei.
Rodungen schreiten vor allen in den Entwicklungsländern
rapide voran. Mit dem Wald werden unzählige Tier- und
Pflanzenarten vernichtet. Doch Wald ist nicht nur ein
Holzreservoir, eine Kohlenstoffsenke oder Ökosystem,
sondern auch Lebens- und Wirtschaftsraum für viele
Menschen in den Entwicklungsländern. Sie sammeln hier
Früchte, Pilze oder Medizinalpflanzen. Bewaldung schützt
vor den Folgen extremer Wetterereignisse: sie nimmt
den Stürmen die Kraft, sichert Berghänge bei extremen
Regenfällen. Ein vielfältiges Ökosystem kann sich besser
an veränderte Umweltbedingungen anpassen - in Zeiten
des Klimawandels wird Wald damit wichtiger denn je.
Wenn Wälder gerodet und in Viehweiden oder Plantagen
umgewandelt werden, leidet vor allem die lokal ansässige
Bevölkerung. In vielen Fällen verlieren sie ihre Heimat und
ihren Lebensunterhalt. Wehren sie sich mit friedlichen
Mitteln gegen die Zerstörung ihrer Umwelt, werden sie
oft verfolgt, willkürlich verhaftet oder gar von Groß-
grundbesitzern umgebracht.
Internationaler Waldschutz
Trotz der großen Bedeutung der tropischen Wälder
für Klima, Mensch und die Vielfalt gibt es bisher kein
wirksames internationales Abkommen zum Schutz
des Waldes. Derzeit liegen alle Hoffnungen auf einem
effektiven Waldschutz innerhalb der internationalen Kli-
maschutzpolitik. Bisher sind hier lediglich Aufforstungen
sowie Wiederaufforstungen innerhalb des CDM (Clean
Development Mechanism) vorgesehen. Dieser ermöglicht
es den Industrienationen ihre Klimaschutz-Verpflich-
tungen auch in Entwicklungs- und Schwellenländern zu
erfüllen.
Seit der Klimakonferenz 2005 diskuieren die Regierungen
der Welt über den Schutz der Wälder. Im Verhandlungs-
fahrplan für die nächsten Jahre stellt die Vermeidung von
Entwaldung einen der großen Eckpfeiler dar. Derzeit wird
ausgelotet, ob der Waldschutz über einen Markt-Mecha-
nismus wie z.B. dem globalen Emissionshandel, finanziert
werden kann. Eine Alternative zu marktorientierten Me-
chanismen wäre der Aufbau eines neuen internationalen
Fonds zur Finanzierung von Waldschutzmaßnahmen.
Risiken
Werden nur vereinzelte Waldschutzgebiete finanziert,
nationale Waldschutzprogramme aber nicht umgesetzt,
besteht die Gefahr von Leck-Effekten (Leakage): Der
Wald wird einfach in anderen benachbarten Regionen
oder Nachbarländern abgeholzt. Dem Klima wäre nicht
geholfen. Aus diesen Gründen wurde auch der Wald-
schutz unter dem CDM nicht erlaubt. Im Rahmen eines
neuen Mechanismus ließen sich diese Risiken begrenzen,
wenn nicht einzelne Schutzgebiete honoriert, sondern
nationale Veränderungen berechnet würden.
Noch wird Wald im Rahmen des Klimaschutzabkommens
als eine zu 15 Prozent baumbestandene Fläche definiert,
weil auch die Wälder des hohen Norden darunter gefasst
werden sollen. Damit fallen Ölpalmplantagen, die den
artenreichen tropischen Regenwald verdrängen, in die
gleiche Kategorie wie intakter Regenwald. Eine neue,
nach Regionen differenzierte Definition ist vonnöten, die
verschiedene Standorte weltweit erfasst.
Konfliktfall Schutzgebiet
Die Menschen, die in Bali demonstrierten, befürchten,
dass der Waldschutz innerhalb des Klimaschutzabkom-
mens nicht als Lebens- und Wirtschaftsraum für die
lokale Bevölkerung angesehen wird, sondern als reiner
Kohlenstoffspeicher. Bisher wurden mit dem Schutz
von Wäldern und Aufforstungen sehr schlechte Erfah-
rungen gemacht. Aus Schutzgebieten werden Menschen
verdrängt, oft entstehen gewalttätige Konflikte. Einige
CDM-Projekte gefährden die Lebensgrundlagen der lo-
kalen Bevölkerung, obwohl sie eigentlich der nachhaltige
Entwicklung vor Ort dienen sollen.
Konfliktfall Schutzgebiet: Von einem besonders dras-
tischen Fall berichtet der MISEREOR-Partner BARCIC.
Der Nationalpark Modhupur Eco-Park Project im Netra-
Foto: Jens Wieting
Nr. 98/3.08
tropenwald
kona District Bangladesh wurde ohne Einbeziehung der
Lokalbevölkerung ausgerufen. Ein Teil der ansässigen
Bevölkerung, vor allem aus dem Volk der Garo, wurden
vertrieben, ein anderer durfte weiterhin in dem ummau-
erten Park wohnen. Allerdings gingen nachts die Tore zu.
Bei Protesten 2004 gegen den Nationalpark wurden 25
Personen verletzt, ein Mann getötet.
Konfliktfall CDM-Projekt: Rund um den Vulkan Mount
Elgon im östlichen Uganda an der Grenze zu Kenia
wurde ein Schutzgebiet errichtet. Über 10.000 Menschen
wurden für dieses Projekt vertrieben. Sie hatten den Wald
zur Jagd genutzt, weideten dort Vieh, sammelten Pilze,
Kräuter und Heilpflanzen - der Wald war Grundlage des
ländlichen Überlebens. Immer wieder entbrennen hier
gewalttätige Konflike. Rund um den Nationalpark wurde
ein Ring aus Eukalyptusplantagen errichtet, um den Wald
vor „Eindringlingen“ zu schützen. Diese als CDM-Projekt
umgesetzte Plantage, befeuert die Konflikte vor Ort,
obwohl CDM doch Nachhaltigkeit fördern soll.
Die internationale Gemeinschaft wird beim Schutz der
Wälder, wie beim CDM, auf Nachhaltigkeitskriterien
setzen. Projekte müssten der sozialen und ökonomischen
Entwicklung des Landes dienen und keine negativen
Umweltauswirkungen mit sich bringen. Doch die Verhält-
nisse vor Ort können so nur bedingt verändert werden,
da Nachhaltigkeitsstandards nach dem Souveränitätsprin-
zip durch die nationalen Regierungen festgelegt werden.
In Ländern mit ungeklärten Landrechtsverhältnissen
verhält sich die lokale Bevölkerung illegal, wenn sie sich
gegen die Errichtung von Schutzgebieten zur Wehr
setzt, und nicht diejenigen, die sie für Aufforstung oder
Waldschutzmaßnahmen von ihrem angestammten Land
vertreiben.
Gerechte Verteilung der Gewinne
Erhalten Landbesitzer und Konzerne mit der Lizenz
zum Abholzen Kompensationszahlungen, wenn sie ihre
Entwaldung einstellen, können weitere Gerechtigkeitslü-
cken entstehen. So könnte eine Firma finanzielle Anreize
erhalten, eine Kommunen, deren Bewohner keine Land-
rechte besitzen oder sowieso nachhaltige Waldnutzung
betreiben, hingegen keine.
Soll Entwaldung dauerhaft verringert werden, müssen
die Ursachen der Abholzung genau analysiert werden. In
Brasilien verdrängt der Ausbau von Infrastruktur und die
Rinderzucht den Wald. In Indonesien überwiegt hingegen
die Umwandlung von Wald in Plantagen für Papier sowie
der Anbau von Palmöl für Kosmetika, Nahrungsmittel
und Biokraftstoffe. Großkonzerne, Hand in Hand mit
lokalen Entscheidungsträgern, profitieren jeweils vom
Raubbau. Die Rolle der Kleinbauern bei der Entwaldung
ist regional sehr unterschiedlich. Armut und fehlender
Zugang zu Land sowie gezielte Umsiedlung oder Ver-
drängung durch Konzerne treiben die Menschen in die
Wälder und in neue Anbauzonen. Eine umweltgerechte
Landnutzung ist ihnen so kaum möglich. Zudem fehlen
diesen Menschen meist Landrechtstitel. Nur die geben
Anreize zu langfristig umweltgerechter Landwirtschaft.
Der britische Ökonom Sir Nicolas Stern, der einen der
meist beachteten Berichte zum Klimaschutz für die
britische Regierung verfasst hat, betont, dass Land-
rechtsreformen und die Errichtung und Stärkung von
Landrechtstiteln für bewaldetes Land entscheidend für
dessen Schutz seien. Auch die Pflichten und Rechte von
Gemeinden und Konzessionären sowie deren effektive
Umsetzung und Kontrolle nennt er als wirkungsvolle
Mittel zum Waldschutz.
Waldschutz unter dem Klimaschutzabkommen ist derzeit
der einzig sichtbare Weg zu einer internationalen Ver-
einbarung. Eine falsch eingeleitete Politik birgt allerdings
enorme Risiken - für das Weltklima, die lokale Bevölke-
rung und den Erhalt der biologischen Vielfalt.
Statt Menschen aus ihrer Heimat zu verdrängen, sollte
der Waldschutz den Menschen bessere Lebensbedin-
gungen und Rechte bringen und Entwicklungsländer da-
bei unterstützen, ihren Wald für die kommenden Genera-
tionen zu bewahren. Langfristige Waldschutzpolitik sollte
darauf zielen, dass keine Konzessionen zur Zerstörung
wertvoller Waldgebiete mehr vergeben werden und das
Land denen zugesprochen wird, die Gewohnheitsrechte
haben. Diese Menschen müssen darin unterstützt wer-
den, ihr Land umweltgerecht und ertragsreich zu nutzen.
Dies würde auch verhindern, dass einfach an anderer
Stelle abgeholzt wird. Die lokale Bevölkerung muss Mit-
spracherechte erhalten und voll informiert sein. Allerdings
darf nicht vergessen werden, dass der große Druck auf
den Wald besonders dem Konsum der globalen Konsu-
menten geschuldet ist. Dazu gehört insbesondere unser
hohe Fleischkonsum, sowie in zunehmendem Maße der
Anbau von „Bio“-Energie. Zudem forciert die Staatsver-
schuldung vieler Entwicklungsländer eine nicht-nachhal-
tige, exportorientierte Landwirtschaft, die zum Abholzen
der Wälder führt. In diesem Sinne sollte auch die Frage
nach Entschuldung neu gestellt werden.
Anika Schroeder ist Referentin für Klimawandel und
Entwicklung von MISEREOR, www.misereror.de.
Dr. Alexander Popp ist Mitarbeiter am Potsdam-Insti-
tut für Klimafolgenforschung (PIK) im Bereich „Ver-
änderung von Landnutzung“. Dr. Katrin Vohland
arbeitet ebenfalls am PIK im Bereich Klimawandel,
Biodiversität und nachhaltige Entwicklung,
www.pik-potsdam.de.
29
Nr. 98/3.0830
„Sie schon wieder!“ seufzte ein Polizist, als er die Umweltak-tivistin Cécile Lecomte, auch genannt „das Eichhörnchen“, bei der Blockade des Urantransportes von Gronau nach Russland in einer Seilkonstruktion über den Bahngleisen entdeckte. Céciles Leidenschaft ist das Klettern und sie stellt ihr Können seit vielen Jahren in den Dienst von sozialen und Umweltbewegungen.
Störfaktor Eichhörnchen
„Ich setze Sachen nicht so ein, wie
ich sie studiert habe,“ resümiert die
26-jährige Französin, die seit 2005 in
Deutschlands Norden, in Lüneburg,
lebt und arbeitet. Das Klettern zum
Beispiel: Ihre Mutter begeisterte die
Tochter so sehr für ihr Hobby Klettern,
dass Cécile es zur französischen Meis-
terin im Sportklettern brachte. Dass
„das Eichhörnchen“ seine besonde-
ren Fähigkeiten heute dazu einsetzt,
Bäume oder Strommasten zu besetzen,
Atomkonzernen aufs Dach zu steigen
oder in Seilkonstruktionen gefährliche
Atomfracht stundenlang zu blockieren,
war ursprünglich nicht vorgesehen.
Ähnlich erging es Cécile mit ihrem BWL-
Studium. Statt als diplomierte Betriebs-
wirtin dazu beizutragen, das System rei-
bungslos am Laufen zu halten, entschied
sie sich dafür, Sand im Getriebe zu sein.
Das Studium förderte Céciles konsum-
kritische Haltung. Worin liegt der Sinn,
dass die Wirtschaft ständig wächst, und
dieses Wachstum dann zwangsläufig
zum Krieg um Rohstoffe, zum Krieg um
Ressourcen führt? Eine Alternative dazu
stellt das antikapitalistische Konzept der
Décroissance (Schrumpfung) dar, mit
dem sie sich stattdessen beschäftigte.
Gleichzeitig wurde Cécile bewusst, wie
sehr Wirtschaft und Ökologie vernetzt
sind. 1999 engagierte sie sich daher in
der ökolibertären Gruppe Chiche. Das
war der Einstieg zu vielfältigen Aktivi-
Cécile Lecomte war franzö-sische Meisterin im Sport-klettern. Heute besetzt sie Strommasten und steigt den Atomkonzernen aufs Dach
Das Eichhörnchen blockiert den Urantransport von Gro-nau nach RusslandFoto: aaa-West
Foto: Sortir du Nucléaire
Nr. 98/3.08
grü
ne b
eru
fe
täten in unterschiedlichen sozial und
ökologisch bewegten Gruppen. Cécile
ist zur Zeit nicht nur bei ROBIN WOOD
aktiv, sondern unter anderem auch
bei Gendreck weg, Sortir du Nucléaire
(Netzwerk Atomausstieg), bei der LIgA,
einer Lüneburger Initiative gegen Atom-
anlagen und in weiteren informellen
Gruppen, z.B. gegen Rechtsextremismus.
Beruflich musste die Aktivistin wegen
ihrer politischen Arbeit zurückstecken.
Im Schuljahr 2005/2006 unterrichtete
sie in einer Lüneburger Waldorfschule
Französisch. Castorblockaden, Baumbe-
setzungen und andere Aktionen fanden
zwar nicht während der Arbeitszeit statt,
riefen aber trotzdem den Unmut der
Obrigkeit hervor. Eine – noch dazu relativ
neue – Lehrerin, über die häufiger in
der Zeitung zu lesen ist, wegen der die
Polizei in der Schule nachfragt oder die
sogar „präventiv“ von Spezialeinheiten
auf Schritt und Tritt begleitet wird,
entsprach so gar nicht den Vorstellungen
der zuständigen Behörden.
Obwohl die Eltern der SchülerInnen
keine Probleme mit Céciles Engagement
hatten, legte ihr der Vorstand der Schule
nahe, entweder den Beruf aufzuge-
ben oder die Politik.„Ich habe mich für
Selbstbestimmung und Politik entschie-
den“, erklärt Cécile und setzte fortan
auch dieses Studium anders als geplant
ein. Als Dolmetscherin und Übersetzerin
für Initiativen und Bewegungen sowie
als Journalistin ist sie nun regelmäßig
im Einsatz, denn internationale Vernet-
zung liegt ihr am Herzen. „Die Probleme
machen keinen Halt an der Grenze.“ Sie
unterhält und koordiniert Kontakte nicht
nur zwischen Deutschland und Frank-
reich, sondern auch in andere Länder,
wie z.B. Russland.
Cécile Lecomte leidet an einer schmerz-
haften chronischen Krankheit, Polyarth-
ritis, und ist zu 30 Prozent schwerbehin-
dert. Inzwischen, so meint sie, kann sie
manchmal besser Klettern als Laufen.
Eine Therapie bremst die Versteifung der
Gelenke, so dass die Hoffnung besteht,
dass das Eichhörnchen noch viele Jahre
klettern kann. Die Begeisterung dafür
wird von Cécile in Kletterkursen in Frank-
reich weitergegeben, um Erfahrungen zu
vermitteln und Multiplikatoren auszu-
bilden, denn diese Aktionsform ist im
Nachbarland längst nicht so etabliert wie
bei uns.
„Ich mag zivilen Ungehorsam, die
direkten Aktionen. Bilder und Öffentlich-
keit zu erzeugen ist sehr gut, aber der
Störfaktor ist auch wichtig. Man muss
Sand im Getriebe sein und den Verursa-
chern Probleme bereiten“, meint Cécile.
„Aber der Mensch steht im Mittelpunkt,
die Aktionen müssen gewaltfrei sein.“
Gerichtsverhandlungen nutzt die Akti-
vistin dazu, ihre Position noch einmal
unmissverständlich klar zu machen, das
ist Teil ihres politischen Konzepts. Für
RichterInnen ist das zu viel Systemkritik,
Cécile gilt als uneinsichtig und unbe-
lehrbar. Aber wie kann man ‚Einsicht’
und ‚Reue’ zeigen, wenn man von dem,
was man tut überzeugt ist? Weil Cécile
ihre Aktionen richtig findet, zahlt sie
keine Strafen: „Ich nehme auch Erzwin-
gungshaft in Kauf. Ich bezahle nicht oder
kreativ. Wenn viele Freunde je 2 Cent
überweisen, macht das eine Menge Pro-
bleme.“ Aus einer Gerichtsverhandlung
stammt übrigens auch ihr Spitzname: Als
sie wegen einer Baumbesetzung vor dem
Richter stand, forderte ein Freund im Saal
per Transparent „Freiheit für das Eichhörn-
chen!“
Eingeschüchtert ist Cécile Lecomte bisher
nicht. So können wir gespannt sein auf
weitere luftige Aktionen des Eichhörn-
chens für eine gerechtere Welt.
Mehr erfahren über das Eichörnchen
kann man hier:
www.bewegungsstiftung.de/lecomte.html
Sabine Genz lebt und arbeitet in
Berlin, genz@united-one.com
perspektiven
31
„Ich mag zivilen Ungehorsam und direkte Aktionen“
Foto: O. Samain
tatorte
Nr. 98/3.0832
Zum ersten Mal organisierte dieses Jahr auch in Köln ein Ak-
tionsbündnis aus ADFC, VCD, pro Bahn, ÖDP Köln/Bonn, den
Kölner GRÜNEN, KVB und ROBIN WOOD unter dem Motto
„Autofrei-Spaß dabei“ eine Sternfahrt in die Innenstadt. Trotz
sehr kurzer Vorlauf- und Werbephase nahmen über 300 Rad-
lerInnen teil, die von den fünf Startpunkten aus - mit verschie-
denfarbigen Luftballons gekennzeichnet - den Roncalliplatz am
Dom erreichten. Bei wunderschönem Sommerwetter hatten
die RadlerInnen großen Spaß daran, die Straßen ganz für sich
zu haben.
Mobil ohne Auto in Hamburg und Köln
Hamburg
Köln
15.06.08: Einmal im Jahr heißt es auch offiziell „Mobil ohne
Auto (MoA)“. Die dazugehörigen großen Fahrradsternfahr-
ten wurden in den 90er in Hamburg aufgegeben, da immer
weniger Menschen teilnahmen. Vor drei Jahren wurde die
Fahrradsternfahrt dann wieder ins Leben gerufen. Seit dem
radeln jährlich mehr als 10.000 Menschen in Hamburg mit und
demonstrieren damit eindrücklich ihr Engagement für eine an-
dere Mobilität. Buchstäblicher Höhepunkt war wieder die Fahrt
über die Köhlbrandbrücke, die den Rest des Jahres für Fahrrä-
der gesperrt ist. In der Nähe des Dammtorbahnhofs trafen sich
die kilometerlangen Strahlen des Sterns zur Abschlusskundge-
bung. Dort kritisierte ROBIN WOOD das Feigenblatt Agrosprit,
wie der angebliche „Biosprit“ eigentlich heißen müsste.
Foto: I. Kahl
Foto: J. Mumme
Bremen
Bremen,17.06.08: „Ick mog keen Salz“, verkündet die Krabbe
auf einem der Schilder. Auf einer Plane voller Salz winden sich
menschliche Fischskelette. ROBIN WOOD-AktivistInnen und
Unterstützer protestierten auf diese Weise in Bremen gegen die
hohe Salzeinleitung in die Flüsse Werra und Weser. Anlass war
die „Salzstaffel“, eine von Verbänden und Kommunen ins Leben
gerufene Schifffahrt gegen die Versalzung durch den Kasseler
Düngemittelhersteller K+S AG. Am 17. Juni kam die Salzstaffel
bei ihrer letzten Station in Bremen an, um dem Bremer Umweltse-
nator Loske (Grüne) symbolisch den „Stein des Anstoßes“, eine
Flasche Quellwasser, ein Salzfass und die Erklärung „Für eine
lebendige Werra, Fulda und Weser“ zu überreichen.
Salz in der Suppe
33Nr. 98/3.08
Lang lebe der
Stuttgarter Kopfbahnhof!Fo
to: M
ark
us
Karl 12. Juli
Stuttgart, 13.07.08: Der Hauptbahnhof feierte seinen 80. Geburts-
tag. Zur Feier des Tages seilten sich drei ROBIN WOOD-Aktivisten vom
Bahnhofsturm ab und spannten ein etwa 80 Quadratmeter großes
Transparent mit der Aufschrift „K21 statt S21“. Der Protest richtet sich
gegen das Bauvorhaben „Stuttgart 21“. Mit milliardenschweren Investi-
tionen soll ein neuer Hauptbahnhof entstehen, der leistungsschwächer,
unkomfortabler und nicht einmal behindertengerecht sein wird. Das
„Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21“ setzt sich für ein Alternativkon-
zept „Kopfbahnhof 21“ ein, bei dem der heutige Kopfbahnhof beste-
hen bleibt und durch Modernisierungen dem Zugverkehr der Zukunft
gerecht wird.
Vom 13.06. bis 15.06.08 hatten bereits 10 AktivistInnen mehrere
Bäume im Schlossgarten, dem benachbarten Stadtpark, besetzt. „Gebt
auf eure Bäume acht, sonst wird der Park platt gemacht – Stoppt Stutt-
gart 21“, war auf einem der Transparente zu lesen. Für das Bauvorha-
ben sollen über 250 Bäume im Stadtpark gefällt werden. Aufgrund der
Kessellage der Stadt haben die Bäume eine enorme Bedeutung für das
Stadtklima. Der Stadtmeteorologe Baumüller warnt bereits vor einer
Zunahme des Hitzestress für die Menschen in Stuttgart im Hochsommer.
Stuttgart, 13. JuniFoto: ROBIN WOOD/Lege
Planet Diversity Foto: S. Topp
Bonn, 12.05.08: Auftaktveranstaltung des internationalen Kongresses,
der begleitend zur Vertragsstaatenkonferenz „Biologischen Vielfalt
und Biologischen Sicherheit“ stattfand, war eine Demo in der Rhein-
aue unter dem Motto „Planet Diversity - lokal, vielfältig, gentechnik-
frei“. ROBIN WOOD hatte sich für diesen Tag ein besonderes Mit-
bringsel überlegt - die AktivistInnen verteilten Saatgut-Tütchen mit der
Aufschrift: „Gentechnik ist völlig ungefährlich“. Wer dieses Tütchen
neugierig öffnete, bekam schon mal einen Vorgeschmack auf die
Mogelpackung gentechnisch veränderten Saatgutes, die uns die Agro-
industrie unterschieben möchte. In dem Tütchen befand sich lediglich
ein Zettel mit der Aufschrift „Alles nur leere Versprechungen“.
tatorte
tatorte
Nr. 98/3.0834
Protest vorm Schacht
Wolfenbüttel, 24.6.08: Vor der Schachtanlage Asse 2 bei
Wolfenbüttel protestierten AktivistInnen von ROBIN WOOD
gegen die dortige verantwortungslose Lagerung von Atom-
müll. In dem weltweit ersten unterirdischen Atommülllager
droht eine Katastrophe. Das im Salzstock aufgefangene Wasser
ist schon jetzt weit über den erlaubten Grenzwerten radioak-
tiv verseucht. Der Betreiber der Asse, das Helmholtz Zentrum
München (HZM), hatte für den Tag MedienvertreterInnen zur
Schachtanlage eingeladen, um sein Konzept zur Schließung
des Bergwerks zu präsentieren.
Eine Million Jahre muss - nach Vorgaben der Internationalen
Atomenergie-Organisation IAEO - der radioaktive Atommüll
sicher gelagert werden. Doch in dem so genannten Versuchs-
endlager Asse, in dem rund 130.000 Fässer mit leicht- und mit-
telradioaktiv verseuchtem Müll liegen, ist es mit der Sicherheit
schon nach knapp 40 Jahren vorbei. In der Salzlauge, die auf
einer Sohle in der Nähe einer mit Atommüll gefüllten Kam-
mer aufgefangen wurde, haben sich Cäsium, Strontium und
sogar das hochgefährliche Plutonium gelöst. Laut Bundesamt
für Strahlenschutz könnte es bereits in 150 Jahren zu einer
radioaktiven Verstrahlung der oberirdischen Gewässer rund um
die Asse kommen, bei der die heute geltenden Strahlenschutz-
werte um das Vielfache überschritten würden.
Seitdem der Skandal um radioaktiv belastetes Wasser in der
Asse öffentlich bekannt wurde, ergehen sich das nieder-
sächsische Umweltministerium, das Landesbergbauamt in
Clausthal-Zellerfeld und das Helmholtz Zentrum darin, sich
gegenseitig die Schuld in die Schuhe zu schieben. Ein parla-
mentarischer Untersuchungsausschuss des niedersächsischen
Landtages soll demnächst Licht in diesen Dschungel der Unver-
anwortlichkeiten bringen.
Das Helmholtz Zentrum aber arbeitet daran, für immer zu
vertuschen, was in der Asse gelaufen ist. Es will den Schacht
fluten und ihn bis 2017 endgültig schließen. Die ROBIN
WOOD-Aktivisten hielten dagegen und forderten, dass in der
Asse nur noch Tätigkeiten durchgeführt werden, die
der akuten Gefahrenabwehr dienen. Die Rückholung des ge-
samten Atommülls müsse jetzt vorbereitet werden. Es sei keine
Zeit mehr zu verlieren!
Dabei sollte die Asse ein Vorzeigeprojekt für den Umgang mit
Atommüll werden. Das Ergebnis ist eindeutig. Es gibt keine
sichere Endlagerung des Atommülls.
Fotos: ROBIN WOOD
35
tatorte
Nr. 98/3.08
Brake,17.07.08: AktivistInnen von ROBIN
WOOD protestierten gegen den Ausbau der
Fettraffinerie des Wilmar-Konzerns im nie-
dersächsischen Brake an der Unterweser. Sie
kletterten auf ein Gebäude auf dem Werks-
gelände und entrollten dort ein Transparent
mit der Aufschrift: „Wenn Brake Palmöl
raffiniert, wird Regenwald zerstört“. ROBIN
WOOD fordert Wilmar auf, ab sofort auf
den Einsatz von Palmöl in seiner Raffinerie zu
verzichten, da für diesen Rohstoff die letzten
Wälder Südostasiens vernichtet werden.
Wilmar ist nach eigenen Angaben der
größte Palmölhändler der Welt und beliefert
zahlreiche bekannte Kunden in der Lebens-
mittelindustrie. Die Reaktion des Konzerns
ließ nicht lange auf sich warten. Wilmar hat
ROBIN WOOD zu Verhandlungen im Sep-
tember nach Rotterdam in die Europazent-
rale eingeladen. Über die Ergebnisse dieser
Gespräche werden wir im nächsten ROBIN
WOOD-Magazin berichten.
Schmierige Geschäfte mit Palmöl
Keine Kohle für Klimakiller...
... lautete das Motto der Demo gegen den geplanten Ausbau
des Mannheimer Kohlekraftwerks, zu der am 24.05.08 die Ini-
tiative ikema - Klima und Energie Mannheim aufrief, in der sich
lokale Gruppen wie ROBIN WOOD-Rhein-Neckar engagieren.
Über 500 Menschen zeigten durch bunte Vielfalt, was sie vom
neuen Block 9, der eine Leistung von 900 Megawatt haben soll,
halten. Nicht nur die TeilnehmerInnen, auch die Redebeiträge
waren vielfältig: Lokale Initiativen wie ikema, metropolsolar
und der BUND sprachen, sowie ein Mannheimer Arzt von der
lokalen Ärzteinitiative gegen das Kohlekraftwerk.
Ziel der Demonstration war die Mannheimer BürgerInnen zu in-
formieren, was vor ihrer Haustür geplant ist. Nicht nur Unmen-
gen an CO2 würden in die Luft geblasen, auch giftige Stoffe
wie Quecksilber und Stick- und Schwefeloxide sollen durch
einen hohen Schornstein möglichst weit verbreitet werden. Die
Argumente auf der anderen Seite sind die üblichen: Der neue
Kraftwerksblock sei viel effizienter als die alten, die Alternativen
seien noch nicht so weit und es müssten Arbeitsplätze abge-
baut werden, wenn kein neuer Block käme.
Am 11.06.08 hatte der Mannheimer Oberbürgermeister zu
einer Bürgerversammlung eingeladen, die teilweise eher an eine
Betriebsversammlung erinnerte. Dennoch behaupteten sich die
KritikerInnen des Projektes sehr gut. Nachdem nun auch der
Gemeinderat für das Projekt stimmte, obwohl viele Fakten noch
gar nicht vorliegen, organisiert das stetig wachsende Bündnis
gegen den Bau des Kohlekraftwerks ein Bürgerbegehren.
Nr. 98/3.08
internes
Bayreuth
Johannes Krug, 0921/5087165
bayreuth@robinwood.de
Berlin
Donnerstag, 20 Uhr (14-tägig)
im „Verwaltungsgebäude“ des RAW-
Tempels, Revaler Str. 99, 10245 Berlin-
Friedrichshain
berlin@robinwood.de
Braunschweig
Donnerstag, 20 Uhr
Ort bitte erfragen bei
Thomas Erbe: 0531/2505865
braunschweig@robinwood.de
Treffpunkte
Hier erfahren Sie, wann und wo die Aktiven von ROBIN
WOOD sich treffen. Schauen Sie doch mal bei uns vorbei!
Bremen
Geschäftsstelle: 0421/598288
Dienstag, 19 Uhr, (14-tägig,
gerade Wochen)
bremen@robinwood.de
Freiburg
Bei uns können sich alle Interessierten
aus Baden-Württemberg melden: c/o
Erik Mohr: 0162/7162536
freiburg@robinwood.de
Greifswald
Birger Buhl, Tel.: 03834/513138
greifswald@robinwood.de
Hamburg-Lüneburg
jeden 2. und 4. Mittwoch,
18.30 Uhr in der Pressestelle,
Nernstweg 32, 22765 Hamburg-Altona
Kathrin Scherer: 04131/206160
hamburg@robinwood.de
lueneburg@robinwood.de
Kassel
jeden 1. Donnerstag im Monat, 17 bis
19 Uhr im Umwelthaus Kassel, Infos bei
Klaus Schotte: 0561/878384
kassel@robinwood.de
Köln
Montag, 20.30 Uhr
Alte Feuerwache, Melchiorstr. 3
koeln@robinwood.de
Leipzig
Sebastian Vollnhals, c/o Infoladen Libelle,
Kolonnadenstr. 19, 04109 Leipzig
Tel.: 0341/2246650
leipzig@robinwood.de
Rhein-Main
Termine erfragen bei:
rhein-main@robinwood.de
Rhein-Neckar
jeden 2. und 4. Dienstag um 19 Uhr
im ASV, Beilstraße 12, Mannheim
Juliane Boß: 06221/589251
rhein-neckar@robinwood.de
München
jeden 2. und 4. Mittwoch, 20 Uhr
„Im Werkhaus“, Leonrodstr. 19
Tel.: 089/168117
muenchen@robinwood.de
36
Am 6. Juni 2008 sprach das Amtsge-richt Berlin-Tiergarten eine ROBIN WOOD-Aktivistin vom Vorwurf frei, sie hätte eine nicht angemeldete Protestveranstaltung gegen den Energiekonzern Vattenfall geleitet. Die Aktivistin war von der Polizei willkürlich herausgegriffen und zur Leiterin der Aktion erklärt worden. In der Polizeiakte wird als angeb-licher Beleg für die Versammlungs-leitung u.a. aufgeführt, es handle sich bei der Beschuldigten nicht um eine Mitläuferin, sondern um eine „engagierte Umweltschützerin“.
Nr. 98/3.08
Str
om
sp
are
n f
ür
Fo
rtg
esc
hri
tten
e
energie
Spülmaschinen
Nach einem guten Essen stapeln sich oft große Mengen
Geschirr in der Küche und warten darauf gespült zu werden
– und gerade jetzt hat niemand dazu Lust. Da benutzt man
gerne eine Geschirrspülmaschine. Der Abwasch wird einfach
hineingestapelt, der Rest geht automatisch. Aber wie sieht der
Energieverbrauch aus?
Spülmaschinennutzer können mittlerweile ein gutes Gewissen
haben. Moderne Spülmaschinen gehen deutlich sparsamer mit
Energie und Wasser um, als es bei einer Handwäsche möglich
ist. Die Einsparungen liegen bei rund 40%. Ein paar Tipps
helfen, diese Vorteile auch zu nutzen:
Warmwasser-Boiler
Warmwasser-Boiler gehen ins Geld. Sie stellen die ungüns-
tigste Variante zur Warmwasserbereitung dar, weil sie im
Betrieb am teuersten und am wenigsten umweltfreundlich
sind. Warmwasser-Boiler halten permanent eine bestimmte
Menge Wasser auf eine vorgewählte Temperatur. Diese
Wärme geht aber ständig aus dem Speicherbehälter verlo-
ren und muss über die Heizstäbe ersetzt werden. Gerade in
Mietwohnungen findet man häufig alte, schlecht isolierte
Geräte vor. Hier kann man mit einigen einfachen Tricks
versuchen, die Verluste zu minimieren.
Oft ist die Temperatur des Boilers viel zu hoch eingestellt.
Niedrigere Temperaturen führen zu geringeren Verlusten.
Stellen Sie darum die Wassertemperatur des Boilers so
niedrig wie möglich ein. Optimal wäre es z.B. wenn das
Wasser warm genug ist, wenn Sie beim Duschen nur heiß
aufdrehen. Sie brauchen dann auch nicht lange nach der
optimalen Mischtemperatur suchen und auch verbrühen
können Sie sich nicht mehr.
> Achten Sie beim Kauf einer Spülmaschine auf den Energie-
verbrauch und kaufen Sie nur Geräte der Klasse A.
> Spülen Sie das Geschirr nur, wenn die Maschine ganz gefüllt
ist, denn halb gefüllte Maschinen verbrauchen genau so viel
Strom und Wasser wie volle.
> Benutzen Sie Kurz- und Sparprogramme, wenn das Geschirr
nur wenig verschmutzt ist. Je kürzer das Programm läuft und je
niedriger die Waschtemperatur ist, desto sparsamer läuft Ihre
Maschine.
> Verzichten Sie auf Vorspülen von Hand und auch auf die Vor-
spülprogramme Ihrer Maschine, so oft wie möglich.
> Die meiste Energie verbrauchen Spülmaschinen zum Erwär-
men des Spülwassers. Wenn Ihr Warmwasser nicht elektrisch
erwärmt wird und schnell aus dem
Wasserhahn kommt, ist es sinnvoll, die
Spülmaschine an die Warmwasserleitung
anzuschließen. Auf alle Fälle sollten Sie
dies tun, wenn Sie Ihr Warmwasser solar
erzeugen. Aber auch Öl und Gas sind
als Energiequellen für warmes Wasser
deutlich billiger als Strom.
Das größere Problem von Spülmaschi-
nen aber sind immer noch oft umwelt-
schädliche Spülmittel, die das Abwasser
belasten können. Erst unlängst wurden
in einem Test in der Schweiz Phosphate
in Geschirrspülmitteln gefunden, die
dort schon lange verboten sind. Wer
umweltfreundlich spülen will, sollte auf
Phosphate verzichten und das Spülmittel
nicht zu hoch dosieren.
Foto: Miele
Stellen Sie den Boiler ab, wenn sie in der nächsten Zeit kein
warmes Wasser brauchen. Es genügt, das Wasser z.B. kurz
vor dem Duschen zu erwärmen und den Boiler nach dem
Duschen wieder auszuschalten. Falls Sie zu festen Zeiten
Duschen, kann Ihnen dabei eine Zeitschaltuhr gute Dienste
leisten.
Moderne Boiler sind wesentlich besser isoliert als ältere
Modelle und haben darum auch weniger Wärmeverluste.
Wenn Sie mit Ihrem Vermieter über einen Austausch der
Geräte sprechen, sollten Sie aber besser vorschlagen, dass
ein Durchlauferhitzer eingebaut wird, denn diese sind
deutlich sparsamer als Boiler. Und wenn Sie dann den
Durchlauferhitzer noch mit Gas anstatt mit Strom betreiben
können, haben Sie schon fast eine optimale Warmwasser-
versorgung.
Werner Brinker, Darmstadt
37
energie
Nr. 98/3.0838
Atomkraft – Klimaschutz: Der Richtungskampf
Der G 8–Gipfel in Tokio deklariert die Atomenergie zur Ökoenergie. Die Medien puschen die angebliche Renaissance der Atomkraft. Das Thema ist heiß, in etwa so heiß, wie der Atommüll der zwischen dem 7. und 9. November in den Castoren nach Gorleben transpor-tiert werden soll. Es erhitzt die Gemüter.
Krebsfälle im Umkreis von Atomkraftwerken, radioaktive
Suppe im Endlager Asse II und einstürzende Salzstollen
im Endlager Morsleben, frei erfundene Rechenparameter
und Sicherheitsmängel bei den Castorbehältern. Pleiten,
Pech und Pannen in den AKWs Brunsbüttel und Krümmel
– an Blamagen und Negativschlagzeilen fehlte es der Atom-
kraft noch nie. Trotz der schlechten Nachrichten wittert die
Atomlobby Morgenluft. Steigende Energiepreise, vor allem
die galoppierenden Öl- und Gaspreise und das mediale
Echo auf die Klimaveränderungen, sind in aller Munde. Die
Atomkraftbefürworter spielen mal die eine, mal die andere
Karte: abschmelzende Polkappen, steigender Meeresspie-
gel, steigende Benzinpreise, Klimaschützer, Kostendämpfer.
Wenn an der Tanke heute 1,60 Euro für einen Liter Benzin
abkassiert werden, dann liegt es am staatlich verordneten
Atomausstieg, oder? In dieser Legislaturperiode müssten
nämlich vier AKW´s vom Netz gehen: Biblis A und B, Neckar-
westheim und Brunsbüttel. Vattenfall und Co. schielen dar-
auf, dass sie die gesetzlich verankerten Laufzeiten über die
Bundestagswahl für ihre Pannen-AKW´s hinaus schieben,
um die Stilllegung zu blocken.
Der deutsche „Sonderweg“, der faule Atomkompromiss,
die Laufzeiten so zu dehnen, dass die Profitinteressen der
Betreiber nicht tangiert werden, reicht heute der Industrie
nicht mehr. CDU/CSU und die FDP setzen deshalb auf die
völlige Deregulierung, sprich unbegrenzte Laufzeiten. Welt-
weit fühlen sie sich bestätigt durch die Pro-Atom-Haltung
von Regierungschefs wie Berlusconi, Sarkozy oder ganz
aktuell, George W. Bush. Gefahr der Weiterverbreitung von
atomwaffenfähigem Material? Atomwaffensperrvertrag,
das Beispiel Iran? Kein Thema.
Noch sind es Absichtserklärungen, Verträge und Regie-
rungserklärungen. Die Renaissance der Atomkraft blieb bis-
her ein Medienhype. Rund um den Globus gibt es derzeit
439 Atomkraftwerke. Übrigens sind das fünf weniger als
2002! 34 Atommeiler, 15 davon in Asien, sind in Bau, aber
12 Kraftwerke sind schon seit 20 Jahren Dauerbaustelle
und werden von der Lobby mitgezählt… Von der anhal-
tenden Debatte um den Klimaschutz hat sich die Atom-
lobby sicher mehr Rückenwind versprochen. Die hohen
und langen Baukosten - nicht die Risiken- stehen gegen
den prognostizierten Run. Lutz Mez, Geschäftsführer der
Berliner Forschungsstelle für Umweltpolitik, hat gerechnet:
Die sog. Lead-Time, also der Zeitraum von der Planung bis
zur kommerziellen Inbetriebnahme eines Atomkraftwerks,
dauert 17 Jahre. Würden jährlich 32 Atomkraftwerke
gebaut, wäre nach 17 Jahren das Uran verbraucht. Der
Uranabbau würde sich zunehmend verteuern und die
komplizierte Gewinnung des Uran ließe die CO2 Belastung
für den Abbau, die Transportwege, die Anreicherung und
Brennelementfertigung hochschnellen. Schon heute ist eine
Kilowattstunde Atomstrom mit südafrikanischem Uran mit
126 Gramm CO2 belastet – ein modernes Gaskraftwerk mit
Kraft-Wärme-Koppelung bringt es auf 150 Gramm CO2
pro Kilowattstunde. Stephan Kohler, Geschäftsführer der
Deutschen Energieagentur, sagt deshalb bis zum Jahr 2030
einen weltweiten Rückgang der Stromproduktion durch
Atomkraft von 16 auf 10 Prozent voraus.
Die Debatte um das Atom wird äußerst aggressiv geführt
und äußerst einseitig. Das Profitinteresse wird notdürftig
verkleistert, das Atommülldesaster bleibt außen vor. Die
absaufende Atommülldeponie Asse II bei Wolfenbüttel
blamiert die Protagonisten des Atom bis auf die Knochen.
Jahrelang galt die „Asse“ als Prototyp für Gorleben, jetzt
kämpfen AnwohnerInnen der havarierten Atommüllde-
ponie dafür, den Strahlenmüll herauszuholen, bevor es
zu spät ist. Denn täglich fließen 12 Kubikmeter Wasser in
die Schachtanlage. Unkontrollierbar. Der Schacht droht
abzusaufen. Es gibt keine durchgehende Tonschicht im
Deckgebirge. Das gleiche Problem kann sich irgendwann
in Gorleben auftun, denn auch dort hat der Salzstock Was-
serkontakt. Die Asse wäre, sollte Gorleben nicht gekippt
werden, auch in diesem Punkt zweifelhafter „Prototyp“.
Das Wasser wird bisher aufgefangen und in den Gruben-
sumpf der Asse abgepumpt. Doch nun flog auf, die Laugen
sind kontaminiert. Die Gesellschaft für Strahlenforschung
(GSF) stapelte zwischen 1967 bis 1978 in den Stollen des
stillgelegten Salzbergwerks nahe Wolfenbüttel 124.494
schwachradioaktive Fässer und 1.293 mit mittelradioaktiven
Abfällen. Ein Großteil der Fässer wurde einfach abgekippt
und schon bei der Einlagerung beschädigt. Lauge sickert
seit 1988 in die Salzstöcke ein. Sollte die Schachtanlage
energie
Nr. 98/3.08
und damit die Atommüllfässer tatsächlich geflutet wer-
den, verrosten sie in wenigen Jahrzehnten. Kontaminierte
Salzlösungen würden ins Erdreich sickern. 1 Million Jahre
Sicherheit wird suggeriert, wenn Atommüll in Salz, Ton,
Erzgestein verbuddelt wird. Nach nur 40 Jahren Betriebszeit
steht die Asse vor dem GAU.
Überstürzt verfüllt und für den Weiterbetrieb geschlos-
sen wurde schon die DDR-Atommülldeponie Morsleben.
Angela Merkel, CDU-Umweltministerin in den 90er Jahren,
befand: „Die Standsicherheit des Endlagers und betrof-
fenen Versturzkammern, aber auch der Hohlräume darüber
und darunter, ist für die nächsten Jahrzehnte gegeben.“
Das war 1997, und am 6. April 1998 änderte die Ministerin
das Atomgesetz und verlängerte die Betriebszeit mit einem
Federstrich nochmals um fünf Jahre bis zum 30. Juni 2005.
In Morsleben krachte es 2001, doch auch dort lagern aus
DDR-Zeiten 14.430 Kubikmeter Nuklearmüll, und nach der
Wende kamen noch einmal 22.320 Kubikmeter gesamt-
deutscher Müll hinzu.
Ziel der Gorleben-AktivistInnen ist, die Fäden dieser
zerfaserten Debatte um den Klimaschutz, die angebliche
Renaissance der Atomkraft bzw. die Laufzeitverlängerung
der Reaktoren und das Atommülldilemma zu bündeln.
Wenn 11 Castorbehälter aus der französischen Plutonium-
fabrik Cap de la Hague nach einem Jahr Pause wieder nach
Gorleben rollen, dann verweist dieser – an und für sich
schon risikobehaftete – Transport auf andere Risiken: Ohne
Wiederaufbereitungsanlagen und deren massivem Ausbau
ist eine Renaissance der Atomkraft nicht denkbar. Ebenso
wenig wie ohne Weiterverbreitungsgefahr (Proliferation)
und die militärische Nutzbarkeit. Atommüll fällt unter Rot-
Grün, Schwarz-Rot und weltweit unvermindert an, ohne
39
Wolfgang Ehmke ist Vorstandsmitglied der BI Um-
weltschutz Lüchow-Dannenberg e.V. Bitte vormerken:
Bundesweite Demonstration gegen Atomkraft
am 8. November in Gorleben. Aktuelle Informationen
unter: www.bi-luechow-dannenberg.de
dass es belastbare und überzeugende Lagerkonzepte gäbe.
In Gorleben werden die hochradioaktiven Abfälle in einer
Lagerhalle abgestellt. Das ist keine Lösung, das ist verant-
wortungslos.
Die Endlagerbaustelle in Gorleben ist noch verwaist, seit
Oktober 2000 greift das Moratorium. Doch statt offen
einzugestehen, dass es massive Sicherheitsbedenken
auch hinsichtlich der Eignung des Salzstocks Gorleben als
Endlager gab – sonst wäre es nie zum Moratorium gekom-
men, geschah nichts, um eine vergleichende Endlagersuche
auf den Weg zu bringen. Ende Oktober lädt nun Sigmar
Gabriel in die Hauptstadt zu einem Endlagersymposium. Er
will neue Sicherheitskriterien für die Endlagerung präsentie-
ren. 2010 läuft das Moratorium aus, mangels Alternativen
wächst die Gefahr, dass Gorleben zu Asse II mutiert. Die
Gretchenfrage ist: Hält er an der Barriere Deckgebirge fest
oder weicht er die Sicherheitsbestimmungen auf? Sigmar
Gabriel lockt die CDU-Ministerpräsidenten mit dem Ange-
bot, in Gorleben ein Versuchslabor einzurichten, um dann
auch andere Endlagerstätten auszugucken… Zwei Altlas-
ten, Asse II und Morsleben, gibt es in Deutschland schon.
Das reicht – Atomkraft, nein danke!
Vor den Fenstern der Jahrestagung Kerntech-nik Ende Mai in Hamburg kommentierte ROBIN WOOD die Pläne der Atomlobby die Laufzeiten der AKW zu verlängern
40 Nr. 98/3.08
EIB: Schatztruhe der AtomindustrieWer hat die Atomkraftwerke Biblis, Brunsbüttel, Gundremmingen, Mülheim-Kärlich, Neckar-westheim und Philipsburg mitfinanziert? Die Europäische Investitionsbank. Wer hat 2007 einen Kredit an den Uranbrennstoffhersteller Urenco gegeben? Die Europäische Investitionsbank. Wer rechnet damit, für die Finanzierung des bulgarischen Atomkraftwerks Belene angefragt zu wer-den? Die Europäische Investitionsbank. Wer kennt die Europäische Investitionsbank? Niemand.
Die Bekanntheit der Europäischen
Investitionsbank verhält sich umge-
kehrt proportional zu ihrer wirtschaft-
lichen Bedeutung, denn kaum jemand
kennt die europäische Hausbank, ob-
wohl sie jährlich Kredite über 45 bis 50
Mrd. Euro vergibt. Das ist etwa doppelt
so viel wie die Weltbank. Damit soll die
EIB die Ziele der EU durch langfristige
Finanzierungen für solide Investitionen
fördern. Zu den Prioritäten, die die EIB
selbst formuliert hat, gehören zum Bei-
spiel die Förderung kleiner und mittlerer
Unternehmen, ökologische Nachhaltig-
keit, der Ausbau der transeuropäischen
Verkehrs- und Energienetze, wie auch
die Energieversorgung. Idealerweise soll
die EIB ihre Mittel für solche Projekte
verwenden, die zwar finanziell und sozial
tragfähig sind, aber aufgrund ihrer Ri-
siken für kommerzielle Kreditgeber nicht
attraktiv sind.
Tatsächlich stand und steht die EIB je-
doch immer wieder in der Kritik für ihre
Baustelle des AKW Belene: Protestieren Sie gegen die Kreditpläne der EIB!
energie
Finanzierung von Autobahnprojekten
durch Naturschutzgebiete in den neuen
EU-Mitgliedsländern oder umstrittener
Großstaudämme weltweit. Zwar schreibt
sich die Bank den Klimaschutz groß
auf die Fahnen, gleichzeitig finanziert
sie massiv den Ausbau des Flug- und
Autoverkehrs. Innerhalb der EU muss
sich die EIB an EU-Recht halten, bei ihren
Finanzierungen außerhalb der EU jedoch
fehlen ihr verbindliche Umwelt- und
Sozialstandards. Das führt immer wieder
dazu, dass sie sich an kontroversen und
problematischen Projekten beteiligt,
wie der Tschad-Kamerun Ölpipeline,
dem Bujagali Staudamm in Uganda und
Bergbauprojekten in der Demokratischen
Republik Kongo oder in Sambia.
Seit einem Jahr diskutiert die Bank
außerdem den Wiedereinstieg in die
Finanzierung von Atomkraftwerken, ein
Bereich, aus dem sie sich etwa zwanzig
Jahre herausgehalten hat. In der Ver-
gangenheit war sie bereits sehr aktiv in
dem Sektor: in den 60er, 70er und 80er
Jahren hat sie massiv bei der Finanzie-
rung von AKW in Deutschland, Italien,
Belgien, Frankreich und Großbritannien
geholfen. Im Jahr 2008 rechnet die EIB
damit, dass aus Bulgarien Kredite für den
Bau des AKW Belene beantragt werden.
Dieses AKW soll in einer Erdbebengegend
gebaut werden und wurde wegen öko-
logischen und wirtschaftlichen Bedenken
immer wieder gestoppt.
Sollte die Atomindustrie mit Belene wie-
der Zugang zur Schatztruhe EIB erhalten,
öffnet das gleich eine ganze Pandora-
büchse, wenn man bedenkt wie viel Geld
die EIB vergibt. Und viel Geld ist genau
das, was die Betreiber von Atomkraft-
werken für ihre Neubaupläne brauchen
und so schwer finden: Die Finanzierung
von Belene zum Beispiel ist bereits von
12 internationalen Banken abgelehnt
worden. Die bulgarischen, französischen,
finnischen, britischen und litauischen
Pläne für neue Atomkraftwerke sind nicht
zu realisieren ohne neue Subventionen
und ohne neue Geldquellen.
Ob Belene finanziert wird und die EIB da-
mit wieder in die Atomfinanzierung ein-
steigt, ist jedoch noch nicht entschieden.
In der EIB entscheiden die Anteilseigner
– die 27 Mitgliedsstaaten der Europä-
ischen Union sowie die Europäische Kom-
mission. Damit sitzen auch atomkritische
Länder wie Deutschland und Österreich
im Verwaltungsrat. Deshalb liegt diesem
Heft ein Flyer mit Postkarten bei: an den
deutschen Finanzminister, der für die
Bundesregierung im Verwaltungsrat sitzt
und an den Präsident der Europäischen
Investitionsbank. Wir bitten alle Lese-
rInnen die Postkarten abzuschicken, um
die EIB als Schatztruhe für die Atomindus-
trie verschlossen zu lassen.
Regine Richter arbeitet für urgewald
e.V. in Berlin, regine@urgewald.deFoto: Jan Haverkamp/Greenpeace
41
ben zu retten zu viel für einen zweistün-
digen Kurs in der Woche. Dafür wurde
mit viel Engagement und Kraft ein be-
nachbarter Stichgraben aufgeweitet, um
mehr Lebensraum und Aufzuchtmöglich-
keiten für Wasserbewohner zu schaffen.
Ein brütendes Teichhuhn konnte die
Fortschritte des Projektes kontinuierlich
beobachten.
Bei Regenwetter musste der Compu-
terraum herhalten. Denn das Projekt
„www. freeyourriver.net“ bietet ein
umfangreiches Internetportal. Hier kön-
nen sich Schüler- und LehrerInnen unter
anderem informieren, an welchen Schu-
len in Österreich, Deutschland, Belgien,
Slowenien und Italien ähnliche Projekt
durchgeführt werden.
Zum intensiveren interaktiven Arbeiten
können die Schulen eine Zugangsberech-
tigung bekommen. So ist es möglich,
eine Zusammenarbeit zwischen zwei
oder mehreren Schulen per Internet zu
organisieren und länderübergreifend
Nr. 98/3.08
jug
en
dse
ite
mit Jugendlichen zu kooperieren. Eben
ein wahrhaft europäisches Projekt.
Und nahe an der Realität vieler Flüsse
in Europa, deren Wirklichkeit durch
grenzüberschreitende Einflussnahme der
Menschen in den jeweiligen Ländern der
EU geprägt ist. Viele Dokumente liegen
in deutscher Übersetzung vor, einige
sind nur englischsprachig, so dass eine
Klassenstufe mit guten Englischsprach-
kenntnissen sinnvoll ist.
Die SchülerInnen können auf der Inter-
netseite ein „book of the river“ anlegen,
also alle Ergebnisse ins Internet stellen,
Formblätter für Untersuchungsprotokolle
herunterladen und vieles mehr. Eine
Sammlung guter Ideen kann abgerufen
werden, falls sich die Klasse überlegt, mit
ihren gewonnenen Informationen und
Wünschen für „ihren“ Fluss oder Graben
öffentlich zu werden und andere dafür
zu interessieren: „get active“ heißt der
Weg im Internet dorthin. Einen Wasser-
generationen-Vertrag mit der Gemeinde
abzuschließen, ist eine Möglichkeit. Er
verpflichtet dazu, sorgfältig mit Trink-
wasser oder dem Fluss umzugehen. Eine
andere Idee gibt Tipps für das Gelingen
eines Wasser-Straßentheaters.
Mehr unter www. freeyourriver.net
Annegret Reinecke ist Gewässer-
schutzreferentin in der Geschäftstelle
in Bremen, Tel.: 0421/5982894. Anna
Bernardt hat Anfang Juli in der
Magazinredaktion in Schwedt ein
Praktikum absolviert
Free Your River
Ein Graben in der Nähe der Schule
war ganz offensichtlich in einem
desolaten Zustand: Wasser war kaum
zu sehen, eher eine dünne Wasser-
schicht über einer verrottenden dicken
Laubschicht, die alles Leben zu ersticken
drohte. Leider war die Aufgabe den Gra-
Das Schul- und Internetprojekt „Free your River“ in fünf verschiedenen europäischen
Ländern veranlasst zu Phantasien mit wilden und rauschenden Flüssen. Ein schönes
Bild, aber wie häufig im Leben: Wir müssen etwas kleiner anfangen. Genau das tat
die Klasse 7c der Wilhelm-Kaisen-Schule in Bremen. Sie erkundete ganz verschiedene
Fluss- und Bachabschnitte in der Schulumgebung und lernte zu beurteilen, wie es
dem Gewässer gerade geht. Der Bewuchs am Ufer, die Tierbesiedlung und die che-
mischen Bestandteile spielten dabei eine wichtige Rolle.
Schulen für „Free Your River“Im Mai 2003 begann der WWF Öster-
reich nach Partnern für ein Projekt über
natürliche Flüsse und ihre Bedeutung zu
suchen. Das erste Treffen mit den zu-
künftigen Partnern fand im September
2003 in Innsbruck statt. Danach wurden
Vorschläge für das Projekt „Free Your
River“ bei der Europäischen Union ein-
gereicht. Im November 2004 konnte das
Projekt mit einem Treffen in Innsbruck
starten. Alle Projektpartner arbeiten seit
dem an einer gemeinsamen Website,
auf der sie ihre Flussprojekte vorstellen.
Das Projekt ist für Schüler von 10 bis 12
bzw. von 15 bis 17 Jahren vorgesehen
und möchte dazu anregen sich aktiv für
Flüsse einzusetzen.
Schüler der Bremer Wilhelm-Kai-sen-Schule schaffen mehr Lebens-raum für Wasserbewohner ...
... und müssen dabei sehr behut-sam vorgehen, um das brütende Teichhuhn nicht zu stören
42
Stoffgeschichten heißt die Serie, in der der
oekom Verlag das Buch von Joachim Radkau
zum Naturstoff Holz herausgebraucht hat - und
das ist in diesem Falle fast wörtlich zu nehmen.
Denn Radkau führt uns vor Augen, wie sehr
die Menschheitsgeschichte von der Nutzung
des Holzes geprägt ist und das tut er auf so
anschauliche und leicht lesbare Weise, dass
dieses Sachbuch durchaus zum Schmökern
einlädt. Interessant ist das Buch auch deshalb,
weil Holz als Vorläufer der fossilen Energieträ-
ger die Grundlage für die wirtschaftliche Pro-
duktion war und viele Parallelen zur heutigen
Energiediskussion bereits in der Geschichte der
Holznutzung zu finden sind.
Der wesentliche Teil des Buches beschäftigt
sich mit der Geschichte von Mensch und Holz
im Mittelalter. Damals fand das wirtschaftliche
Leben zum Großteil direkt im Wald statt, weil
Holz für viele Zwecke genutzt wurde und der
Transport schwierig und zeitraubend war. Im
Wald wurden die Schweine gemästet, Viehfut-
ter und Streu gesammelt, Brenn- und Bauholz
geschlagen, Eisen verhüttet, Salz hergestellt.
Viele Gewerbe, die auf Brennholz für die Pro-
duktion von Glas, Pottasche, Pech, Holzkohle
angewiesen waren, siedelten in der Nähe des
Waldes. Und wo viele Nutzergruppen auftre-
ten, gibt es auch viele, zum Teil konkurrierende
Interessen. So ist es nicht verwunderlich, dass
schon damals mit den ersten Forstordnungen
- die übrigens Teile der Bergordnungen waren
- die Bevölkerung zum Holz-, sprich Energiespa-
ren aufgefordert wurde, damit für die Großver-
braucher kein Engpass entstand.
Gerade das Verdeutlichen dieser Zusammen-
hänge macht das Buch spannend. So erfährt
die LeserIn beispielsweise, dass krumm gewach-
sene Bäume so lange als Bauholz v.a. für Schiffe
bevorzugt waren, wie die Biegetechnik noch
nicht erfunden war. Mit dem wirtschaftlichen
Wachstum und der allgemeinen Ökonomisie-
rung zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde es
wichtig, den Holzvorrat der Wälder zu berech-
nen - krumme Bäume waren „der Horror der
Forstmathematiker“ - ein Grund, warum man
nun gerade gewachsene Bäume haben wollte.
Radkau führt uns aber auch durch die Ge-
schichte der Bau- und Sägetechnik und macht
die Schwierigkeiten und Gefahren des Holz-
transportes deutlich. Auch den Blick auf aktu-
elle Diskussionen wie Waldsterben, nachhaltige
Waldnutzung und globaler Holzhandel vergisst
er nicht. Ein Glossar wäre allerdings hilfreich,
v.a. weil Radkau nicht alle Begriffe gleich bei
der ersten Erwähnung erklärt.
Amtsschweine wurden die Schweine der Be-
amten genannt. Auch ihnen stand der Wald zur
Fütterung zur Verfügung.
Riesenflöße: Holz wurde zu Flößen zusam-
mengebunden und so auf Flüssen transportiert:
Die Flöße waren bis zu 400 Meter lang.
Rutschbahnen: Für den Holztransport an Land
wurden Rutschbahnen gebaut.
Nr. 98/3.08
bücher
Von Amtsschweinen, Riesenflößen und Rutschbahnen
Joachim RadkauHolz – wie ein Naturstoff Geschichte schreibt Stoffgeschichten Band 3 oekom Verlag 2007 München 350 Seiten, 24,90 EuroISBN: 978-3-86581-049-6
Annette Littmeier, Berlin
anzeige
anzeige
Nr. 98/3.08
Ulrich Brand, Bettina Lösch und Stefan ThimmelABC der AlternativenVon „Ästhetik des Wider-stands“ bis „Ziviler Unge-horsam“ VSA-Verlag, 2007272 Seiten, 12,- Euro ISBN: 978-3-89965-247-5
Christiane Weitzel, Schwedt
Ästhetik des Widerstands und ziviler Ungehorsam
Welche gesellschaftlichen Alternativen gibt es? Fängt man erst einmal an
gemeinsam darüber nachzudenken, fallen einem im Nu zahlreiche his-
torische und aktuelle Projekte, Bewegungen, Institutionen und Forderungen
ein. Die HerausgeberInnen von „ABC der Alternativen“ hatten schnell mehr
als 250 Begriffe gesammelt. So finden sich in dem Band vertraute Begriffe
wie Emanzipation, Globalisierungskritik, Mindestlöhne und soziale Bewe-
gungen, aber auch Begriffe wie Multitude, Neo-Desarrollismo und Wissens-
allmende, die vielen LeserInnen erst einmal unbekannt sein werden.
Schließlich veröffentlichten die HerausgeberInnen in dem Nachschlagewerk
126 Begriffe, die 133 AutorInnen kritischer linker und internationaler Poli-
tik und Bewegungen beisteuerten. Diese standen vor der Herausforderung
die komplexen Begriffe auf nur zwei Buchseiten abhandeln zu müssen. Die
LeserInnen, denen das zu wenig ist, finden unter jedem Beitrag Literatur-
hinweise zum Weiterlesen.
Die Herausgeber wollten im „ABC der Alternativen“ vor allem Begriffe auf-
nehmen, die alternative Weltsichten eröffnen und für emanzipatorisches
Denken und Handeln wichtig sind. Dafür wurden die AutorInnen gebeten
in ihren Beiträgen auch den historischen Zusammenhang zu analysieren
und wichtige gesellschaftliche Widersprüche, auf die die Begriffe hinwei-
sen, zu beleuchten. So sind konkrete Bewegungen wie Attac, Via Campe-
sina und z.B. Tauschringe aus dem ABC herausgefallen.
Der Band ist ein lexikalischer Fundus der alternativen Bewegungen. Den
LeserInnen werden sicher viele Begriffe einfallen, die fehlen, aber aus ihrer
Sicht auch wichtig wären. Im Vorwort machen die HerausgeberInnen gleich
klar, dass sie nicht den Anspruch erheben mit dem ABC erschöpfend zu
sein, sondern dass sie vielmehr zu Diskussionen über alternative Perspekti-
ven an Küchentischen und Kneipenrunden anregen möchten.
Das ABC der Alternativen ist in Kooperation mit dem Wissenschaftlichen
Beirat von Attac, der tageszeitung und der Rosa Luxemburg Stiftung ent-
standen.
43
44
Soziale Bewegungen sind zu einem festen Bestandteil der politischen
Kultur in Deutschland geworden. In Reportagen, Interviews und Analysen
wird am Beispiel einiger Organisationen – darunter Urgewald, FoeBud und
LobbyControl – und BewegungsarbeiterInnen beschrieben, „wie soziale Be-
wegungen arbeiten und wirken.“ So erläutert z.B. Dieter Rucht „soziale Be-
wegungen als demokratische Produktivkraft.“ StifterInnen geben Aufschluss
über ihre Motive, Proteste zu finanzieren. Eine Einführung in progressive
Philanthropie und eine Kurzvorstellung der Bewegungsstiftung runden den
Band ab.
Nr. 98/3.08
bücher
Wie soziale Bewegungen und Protest Gesellschaft verändern
Felix Kolb/Bewegungsstif-
tung (Hrsg.)
Damit sich was bewegt - Wie
soziale Bewegungen und
Protest Gesellschaft verän-
dern
VSA Verlag, 2007
128 Seiten, 9,80 Euro
ISBN: 978-3-89965-252-9
Die Sonne geht immer von unten auf
Der praktische Protest-Ratgeber „Wir sind überall“ ist ein
inspirierendes Handbuch des neuen weltweiten Protests,
der dezentral für Deglobalisierung, Pluralismus und direkte
Demokratie eintritt. Subjektive Berichte, praktische Tipps und
zusammenführende Analysen machen dieses Buch zu einer
alternativen Weltreise. AktivistInnen aus aller Welt berichten
über die neue, kreative „Bewegung der Bewegungen“: Stra-
ßenkarnevalisten aus England, G-8-Protestierer aus Seattle und
Genua, gegen genmanipuliertes Saatgut kämpfende Bauern
aus Indien, die „Wasserkrieger“ aus Bolivien, Landbesetzer aus
Brasilien, afrikanische Sans-Papiers aus Frankreich, Gartengue-
rilleros aus New York ...
Das Buch fordert zum Mitmachen auf, es erklärt zum Beispiel
wie man eine Straßenblockade organisiert, wie man sich bei
Verhaftungen verhält und dass man Menschen in Abschie-
bungslagern mit internationalen Telefonkarten einen Gefallen
tun kann. Jeder kann etwas tun, lautet die Botschaft. Dieses
Buch ist eine Protestchronik gegen die „neue Weltordnung“,
gegen die Marktglobalisierung. Seine bestechenden Argu-
mente sind Humor, Fantasie, Hartnäckigkeit und eine gute
Portion Mut. „Notes from Nowhere“ ist ein Redaktionskollektiv
aus englischsprachigen AktivistInnen und AutorInnen, Künstle-
rInnen, FotografInnen, Indymedia-MitarbeiterInnen, die schon
viele Jahre in der Bewegung aktiv sind, viel umher reisen und
ihre Ausgangsbasis in England haben.
Das Buch, das in Pflastersteinformat eine Fundgrube an
Aktionsideen bietet, hat nur den einen Schönheitsfehler, dass
seine sehr kleine Schrift eher zum ausführlichen Nachschla-
gen als zum stundenlangen Schmöckern einlädt.
Notes from Nowhere (Hrsg.)
Wir sind überall
weltweit. unwiderstehlich.
Antikapitalistisch
Aus dem Englischen über-
setzt von Sonja Hartwig
Edition Nautilus, 2007
544 Seiten, 19,90 Euro
ISBN: 978-3-89401-536-7
merk-würdiges
Nr. 98/3.08
Anmeldung und Anregungen zum Film unter:
getthefilm@nukingtheclimate.com
Pirkko Bell, Berlin
Was passiert in Australien, damit bei uns das Licht angeht?
Jugendinitiative „Strahlendes Klima“ dreht Dokumentarfilm über Atomkraft und Uranabbau
Am Anfang des Atomstroms steht nicht etwa die Steck-
dose oder das Atomkraftwerk, sondern Uran. Bevor wir
Atomstrom nutzen können, ist viel passiert. Ohne Uran kein
funktionierendes Atomkraftwerk und die Steckdose können
wir uns dann auch gleich schenken. Doch woher kommt Uran?
Unsere Jugendinitiative „Strahlendes Klima“ hat sich aufge-
macht, um Licht ins Dunkel zu bringen. Unser Film zeigt den
allerersten Schritt der Atomwirtschaft, nämlich den Uranab-
bau. Wir berichten über seine verheerenden Folgen und
dokumentieren, was hierzulande kaum jemand weiß, weil wir
davon nicht direkt betroffen sind.
Seit mehr als einem Jahr arbeiten 15 Leute zwischen 20 und
30 Jahren an der Erstellung des Films. Er wird derzeit in un-
serem Projektbüro in Berlin fertig geschnitten und ab Herbst
2008 von uns verbreitet werden.
Anfang dieses Jahres ist ein kleines Team nach Australien
geflogen, um dort die Auswirkungen des Uranabbaus zu
dokumentieren. Wir haben uns die vom Minengiganten BHP
Billiton betriebene Uranmine „Olympic Dam“ angeschaut. In
wenigen Jahren soll sie die größte Uranmine der Welt sein.
Das beliebte Reiseland Australien ist dicht gefolgt von Kanada
bereits heute einer der größten Exporteure der strahlenden
Ressource, die unsere Atomkraftwerke am Laufen hält.
2007 exportierte der rote Kontinent 10.145 Tonnen Uran
(U308), sogenanntes Yellow Cake. Abnehmerländer wa-
ren vor allem die USA, Korea, Japan und Staaten innerhalb
der Europäischen Union. Australische Wirtschaftsvertrete-
rInnen sind stolz auf diese Exportzahlen. In ihren Augen
hilft australisches Uran der Welt beim Klimaschutz. Das Bild
vom sauberen Kernkraftwerk wird auch von der deutschen
Atomlobby gerne gezeichnet. Anders als im atomstrom-
freien Australien wissen wir hierzulande über die Risiken der
Atomkraft weitestgehend Bescheid. Viele von uns haben sich
arrangiert, mit dem Risiko Atomkraft direkt vor der Haustür
zu leben und hoffen, dass größere Unfälle ausbleiben.
Unsere Jugendinitiative „Strahlendes Klima“ hat den glo-
balen Produktionsweg von Atomstrom zurückverfolgt. Wie
funktioniert Uranabbau wirklich? Was sind die Folgen? Wer
ist verantwortlich? Wie kann ich mich selbst einmischen und
etwas verändern? Das gibt es ab Herbst diesen Jahres in
unserem Film zu sehen!
45
FilmpatInnen gesucht!
Da der Film ein nicht kommerzielles Projekt ist, sind wir auf
deine Hilfe angewiesen. Du kannst FilmpatIn werden und
den Film in deiner Stadt öffentlich zeigen. Lokale Netzwerke,
Privatpersonen und Gruppierungen, das sind die Menschen
die FilmpatInnen werden können.
Also, melde dich bei uns, wenn du uns helfen willst, den
Film zu verbreiten, egal ob im Kino oder bei dir zu Hause im
Wohnzimmer.
Dreharbeiten in der australischen Wüste, nahe der Uranmine Olympic Dam ...
... und am Atomkraftwerk Tricastin, Frankreich
impressum
post
Nr. 98/3.0846
Nummer 98/3.08
Magazin
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie
Erscheinungsweise vierteljährlich
Redaktion: Sabine Genz, Angelika Krumm, Annette
Littmeier, Christian Offer, Regine Richter,
Dr. Christiane Weitzel (V.i.S.d.P.)
Verantwortlich für Layout, Satz, Fotos und Anzeigen
ist die Redaktion
Verlag: ROBIN WOOD-Magazin
Lindenallee 32, 16303 Schwedt
Postfach 10 04 03, 16294 Schwedt
Tel.: 03332/2520-10, Fax: -11
magazin@robinwood.de
Jahresabonnement: 12,- Euro inkl. Versand
zu beziehen über: ROBIN WOOD e.V.,
Geschäftsstelle, Postfach 10 21 22, 28021 Bremen,
Tel.: 0421/59828-8, Fax: -72
info@robinwood.de, www.robinwood.de
Der Bezug des ROBIN WOOD-Magazins ist
im Mitgliedsbeitrag enthalten
Gesamtherstellung: Druckhaus Bayreuth,
www.druckhaus-bayreuth.de
Rollenoffsetdruck, Auflage: 10.000
Das ROBIN WOOD-Magazin erscheint auf 100% Altpapier
augezeichnet mit dem Blauen Engel
Titelbild: Bilderberg/Tobias Gerber
Art Direction: www.tangram-design.de
Spendenkonto: ROBIN WOOD e.V., Postbank Hamburg,
BLZ: 20010020, Konto: 1573-208
Kompliment!
97/2.08, Computerschrott & Energie
Liebe Redaktion!
Das Layout hat sich ja seit einiger Zeit positiv verän-
dert, aber auch die Inhalte sind wirklich hochinter-
essant geworden. Ich lese gerade die Nr. 97/2.2008
und tue hiermit das, was ich schon seit einiger Zeit
tun wollte : Kompliment!
Machen Sie weiter so!
Ralf Bremermann
anzeige
Unterschriften für den Regenwald
Die SchülerInnen der Klasse 4 a der Grundschule „Am Pappelhain“ in
Potsdam haben am Wettbewerb „Tesalino und Tesalina im Regen-
wald“ teilgenommen und sich während des Projekts intensiv mit tro-
pischen Regenwäldern beschäftigt. Der Höhepunkt war die Gestaltung
des Klassenraumes als Regenwald. Die Schulleitung und alle anderen
Klassen wurden eingeladen, um die Schönheit und die Zerstörung der
Regenwälder zu erleben. Auf selbst gestalteten Plakaten wurde gezeigt,
warum es wichtig ist, die Wälder zu schützen. Auf 15 Listen sammel-
ten die engagierten SchülerInnen von 186 Kindern und LehrerInnen
Unterschriften, die von der Naturschutzjugend Brandenburg und ROBIN
WOOD an den Papiergroßhändler Papier Union übergeben wurden, mit
der Forderung, kein Papier mehr aus Raubbau anzubieten.
Gute Aktionen brauchen neue Gesichter!
Neue Aktionen wie das „Pantomimen-Walk-In“ im Hamburger Hauptbahnhof waren nötig, um den Bahnraub an der Börse zu verhindern. Neue Aktivistinnen und Aktivisten, neue Ideen, neue Kräfte, neue Erfahrungen und Erfahrungsschätze waren nötig, um in Deutschland so viel Aufmerk-samkeit und Bewusstsein für unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu erzeugen.
Unsere Erfolge sind das Ergebnis jahrelanger Arbeit aller Beteiligten: der ehrenamtlichen AktivistInnen, der hauptamtlichen Fachleute und der Förderinnen und Förderer!
Was uns derzeit am meisten fehlt, um auch in Zukunft so erfolgreich zu sein, sind neue Förderinnen und Förderer.
Wir können noch mehr erreichen, wenn wir mehr Unterstützung gewinnen. Um dieses Ziel zu erreichen, brauchen wir Ihre Spende für genau diesen Zweck.
Bitte nutzen Sie den Überweisungsträger in diesem Magazin für dieses bedeutende Ziel. Für noch mehr Kreativität und noch mehr Erfolge!
Nr. 98/3.08 47
www.robinwood.de
Gute Aktionenfür den Schutz unserer Umwelt
brauchen immer wieder
neue Gesichter!Bitte blättern Sie um!