Post on 05-Apr-2015
„New Economic History“
Eine Einführung
Uwe Fraunholz
Inhalt
• Was ist Wirtschaftsgeschichte ? • Vorteile der Wirtschaftsgeschichte • Begriffsklärung „New Economic History“ • Besonderheiten der Kliometrie • Vorteile der Kliometrie• Kritik an Kliometrie • Entwicklung der Kliometrie: Anfänge Nobelpreis1993 Heutige Situation• Weiterführende Literatur
Arbeiter um 1910
Was ist Wirtschaftsgeschichte ?
Wirtschaftsgeschichte beschäftigt sich mit vergangenen wirtschaftlichen
• Strukturen und Prozessen• Institutionen und Theorien
• Handlungen und Ereignissen• Sozialen Gruppen und Schichten
sowie ihren wechselseitigen Beziehungen und Konflikten
Ökonomisches Verhalten wird anhand historischer Daten untersucht
Wirtschaftsgeschichte als integraler Bestandteil der Ökonomie:Mit Gegenwartsfragen befasste Ökonomen finden großen Fundus an
Erfahrungen, um ökonomische Theorien und Methoden zu testen Rückschlüsse auf die Gegenwart sind möglich
Unternehmer um 1910
Vorteile der Wirtschaftsgeschichte
Wirtschaftsgeschichte bietet ein Experimentierfeld, auf dem wirtschaftswissenschaftliche Hypothesen und Theorien überprüft
werden können
Historische Bedingtheit und Offenheit von Entwicklungen werden betont, Relativierung von Sachzwängen:
Alternativen, Lösungsmöglichkeiten werden sichtbar
Heutige Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen können besser verstanden werden
AEG Spulenwickelei 1908
Begriffsklärung „New Economic History“
New Economic History =
Econometric History, Historical Economics, Cliometrics, Kliometrie
Clio = Muse der Geschichtswissenschaft
metrie = Einsatz ökonomisch-statistischer Mess- und Erklärungsverfahren
Kliometrie = Formulierung testbarer Hypothesen in der Geschichtswissenschaft mit Hilfe der ökonomischen Theorie und ihre
Verifikation unter Benutzung quantitativer Methoden
Besonderheiten der Kliometrie
Verbindung historischer Methodik mit ökonomischer Theorie
Werkzeuge der modernen Wirtschaftswissenschaften werden systematisch auf die Analyse des Wirtschaftsprozesses angewendet
Charakteristika: expliziter Gebrauch theoretischer Modelle („Denken in Modellen“)
Kontrafaktische Vorgehensweise Quantifizierung: Analyse grosser Datenmengen
Anwendung formaler statistischer Techniken („Messen von Geschichte“)Computereinsatz (z. B. Regressionsanalyse mit SPSS)
Ökonomische Modelle werden durch ökonometrische Methoden mit Daten aus der Vergangenheit getestet
Kolonialwarenladen um 1905
Generell: Der Vorteil formaler Theorie ist, dass sie ihre Annahmen explizit macht
und systematisch vorgeht: Hypothesenformulierung wird einer intersubjektiven empirischen Prüfung ausgesetzt
Vorteile der Kliometrie
Gegenüber der Ökonometrie: Steuergeheimnis erlischt nach 80 Jahren, Datenreservoir der
Wirtschaftsgeschichte
Gegenüber traditioneller Wirtschaftsgeschichte:empirische Methoden können zu einer den Naturwissenschaften
vergleichbaren Fundierung von Antworten führen(Experiment wird ersetzt)
Regressionsnr. 1 2 3 4 5
Stadt Stadt Stadt Stadt Bezirk
Konstante 2.39 4.80 4.59 1.13 1.40
(0.13) (0.00) (0.00) (0.38) (0.00)
Log Gründungsrate 0.45* - - 0.63* 0.56*
1874-96 (0.08) - - (0.02) (0.04)
Log % Klein- / 0.46* 0.64* 0.67* 0.50* 0.13
Mittlere Betriebe (0.05) (0.00) (0.01) (0.04) (0.51)
Log % Industrie u. -0.01
Dienstleistung (0.95)
Log % -0.37* -0.29* -0.29* -0.34*
Landwirtschaft (0.01) (0.00) (0.04) (0.02)
Log % Tourismus -0.69* -1.29* -1.27* -0.65* -0.23
(0.06) (0.04) (0.00) (0.08) (0.24)
Log % Unter- -0.31 - 0.38 -0.004 -0.11
nehmensmortalität (0.31) - (0.11) (0.90) (0.39)
Normalität 0.70 0.41 0.60 0.41 0.48
Gütemaß korrig. R² 0.43 0.46 0.63 0.68 0.45
Zahl der Fälle 34 45 37 35 46
Kritik an Kliometrie
von traditionellen Historikern:
kontrafaktische Vorgehensweise = ahistorisch
von „kritischen“ Wissenschaftlern:
Orientierung an neoklassischer Rationalität führt zur Einschränkung des Blickwinkels, Legitimation bestehender Verhältnisse
aber: jede Geschichtsschreibung beinhaltet kontrafaktische Elemente
aber: auch andere Modelle und Theorien können getestet werden, „Data Mining“ dient der Weiterentwicklung von Modellen,
auch wenn sich eine Theorie nicht verifizieren lässt, ist das ein Ergebnis
Kliometrische Pionierarbeiten:
Entwicklung der Kliometrie: Anfänge
• Gayer, Arthur D./ Rostow, Walt W./ Jacobson Schwartz, Anna: The Growth and Fluctuation of the British Economy, 1790-1850, An historical, statistical and theoretical study of Britain‘s economic development. Oxford 1953. • Conrad, Alfred/ Meyer, John: The economics of slavery in the antebellum South, in: JPE 66 (1958), 95-130.
Starken Einfluss auf die Wirtschaftsgeschichte in Deutschland übten aus:
• Rostow, Walt W.: Stadien wirtschaftlichen Wachstums. Eine Alternative zur marxistischen Entwicklungstheorie, 2. Aufl., Göttingen 1967 (engl. 1960).• Gerschenkron, Alexander: Economic Backwardness in Historical Perspective, Cambridge/Mass. 1966.• Landes, David S. : Der entfesselte Prometheus. Technologischer Wandel und industrielle Entwicklung in Westeuropa von 1750 bis zur Gegenwart, Köln 1973 (engl. 1969).• Kuznets, Simon: Modern Economic Growth Rate, Structure and Spread, New Haven 1966.
Entwicklung der Kliometrie: Nobelpreis 1993
Robert W. Fogel
Douglas C. North
“for having renewed research in economic history by applying economic theory and quantitative methods in order to explain economic and institutional change.”
• Railroads and American Economic Growth, Essays in Econometric History, 1964.• mit Stanley Engerman: Time on the Cross. The Economics of American Negro Slavery, 1974.
„Vater“ der "New Economic History“ kontrafaktische Modelle
Konzept der totalen Faktorproduktivität, Anreiztheorie
• mit Robert Thomas: The Rise of the Western World, 1973.• Theorie des institutionellen Wandels, Eine neue Sicht der Wirtschaftsgeschichte, 1988.
InstitutionalismusProperty Rights-Ansatz, Transaktionskostentheorie
Kliometrie ist in der US-amerikanischen Wirtschaftsgeschichte dominant(„Economic History“ meist bei Wirtschaftswissenschaften angesiedelt)
Entwicklung der Kliometrie: Heutige Situation
in Grossbritannien und Irland ist Kliometrie bedeutend
auf dem Kontinent wird ebenfalls zunehmend Kliometrie betrieben(Beispiele in Deutschland:
München, LMU – Berlin, HU – Münster - Tübingen)
aber: in Deutschland traditionell stärkere Bindung der Wirtschaftsgeschichte an Geschichts- als an Wirtschaftswissenschaften,
die meisten Lehrstühle kombinieren Wirtschafts- u. Sozialgeschichte
Forderung nach stärkerer Theorieorientierung, Quantifizierung und Aufnahme der Institutionenökonomik setzt sich langsam durch
• The Cliometric Society (Hg.): Two Pioneers of Cliometrics, Robert W. Fogel and Douglas C. North, Oxford/Ohio 1994.
• Dumke, Rolf: Clio's Climateric? Betrachtungen über den Stand und Entwicklungstendenzen der Cliometrischen Wirtschaftsgeschichte, in: VSWG 73 (1986), H. 4, S. 457-487.
• Eddie, Scott M.: Cliometrics: What is it, whither came it forth ?, in: Ders./ John Komlos (Hgg.): Selected Cliometric Studies on German Economic History, Stuttgart 1997, S.12-16.
• Pierenkemper, Toni: Gebunden an zwei Kulturen. Zum Standort der modernen Wirtschaftsgeschichte im Spektrum der Wissenschaften, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, 1995/2, S. 163-176. • Tilly, Richard: Einige Bemerkungen zur theoretischen Basis der modernen Wirtschaftsgeschichte, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1994/1, S. 131-149. • Wirtschafts- und Sozialgeschichte - Neue Wege? Zum wissenschaftlichen Standort des Faches, in: VSWG 1995/3, S. 387-422 und 1995/4, S. 496-510.
Weiterführende Literatur