Post on 29-Mar-2020
Machtentfaltung und –begrenzung von (Finanz)Märkten
Helene SchuberthBEIGEWUM, Österreich
WSI-HerbstforumGespaltene Gesellschaft24. November 2011Berlin
Man muss das ganze weltweite Finanz- und Währungssystem von Grund auf neu aufbauen, wie das nach dem Zweiten Weltkrieg in Bretton-Woods gemacht wurde´
‚Der Markt, der immer recht hat, das ist vorbei!´
´Mit dem Ende des Finanzkapitalismus geht eine Epoche zu Ende´
Nicholas Sarkozy, September 2008
‚An den gefährlichen Grundstrukturen, die zur Finanzkrise geführt haben, hat sich kaum etwas geändert‘
Raghuram Rajan, September 2010
RENDITESPREADS FÜR STAATSANLEIHEN
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Jän.07 Apr.07 Jul.07 Okt.07 Jän.08 Apr.08 Jul.08 Okt.08 Jän.09 Apr.09 Jul.09 Okt.09 Jän.10 Apr.10 Jul.10 Okt.10 Jän.11 Apr.11 Jul.11 Okt.11Österreich Belgien SpanienFrankreich Irland ItalienNiederlande Portugal FinnlandGriechenland (re Achse)Quelle: OeNB, Thomson Reuters.
Aufschläge auf 10 jährige deutsche Staatsanleihen in Basispunkten
Phase Ib. Solvenz-
kriseKonjunktur
Aktienmarkt
I. Finanzkrise II. "Große Rezession" III. Weltweite Erholung aber EU-Schuldenkrise &
weltweite WährungsschwankungenPhase Ia.
Liquiditäts-krise
Phase IIa. Vertrauens-
krise
Phase Ilb. Globale
Wirtschaftskrise
Interbankmarkt
STRUKTUR
Die Bedeutung von politökonomischen Faktoren in der Krisenanalyse
Initiativen der Machtbegrenzung
− Globale Regulierungsmaßnahmen
− Regulierungsinitiativen in der Europäischen Union
− Initiativen: bereits umgesetzt bzw. in Planung
− 2 Fallbeispiele: Privatsektorbeteiligung und Finanztransaktionssteuer
− Vergleich USA und Europäische Union
− Bewertung der Reformen
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DIE BEDEUTUNG VON POLITÖKONOMISCHEN FAKTOREN IN DER KRISENANALYSE
• Systemische Krisenanalye
• Regulierungsarchitektur
• Makroökononomische Ungleichgewichte, Ungleichheit bzw.
Inkohärenzen im Steuersystem
• Politökonomische Faktoren
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DIE BEDEUTUNG VON POLITÖKONOMISCHEN FAKTOREN IN DER KRISENANALYSE
• Regulierungsarchitektur
• Verbriefung von Bankkrediten
• Transfer von Kreditrisken aus der Bankbilanz
• Fehlbewertung durch Ratingagenturen
• Internationale Bilanzierungsregeln
• Unregulierte Schattenbanken
• Prozyklizität der Finanzmarktregulierung
• Managergehälter
• Komplexe Finanzprodukte
• Fragmentierte Aufsichtsstruktur, mikro-prudentiell orientiert
DIE BEDEUTUNG VON POLITÖKONOMISCHEN FAKTOREN IN DER KRISENANALYSE
Formen des Marktversagens im Finanzsystem
•Finanzsystem als Auslöser von Krisen• Verschuldungszyklus (‘Leverage Cycle’)• Vermögenspreisblasen (‘Irrational Exuberance Bubbles)
•Verschwendung von ökonomischen Ressourcen, globale Vernetzung, Komplexität
• ‘Too big to Fail’• Exzessive Renten• Störung der Intermediationsfunktion
•Ineffiziente Verteilung von Risken
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DIE BEDEUTUNG VON POLITÖKONOMISCHEN FAKTOREN IN DER KRISENANALYSE
• Makroökononomische Ungleichgewichte, Ungleichheit bzw. Inkohärenzen im Steuersystem
• Makroökonomische UngleichgewichteHohe Leistungsbilanzdefizite: USA, UK, Spanien, IrlandHohe Leistungsbilanzüberschüsse: Asien, Teile Europas (Deutschland, Österreich,
Niederlande)
• Ungleichheit von Einkommen und VermögenZwischen 2000 und 2007 hat sich das Weltanlagevermögen auf etwa 200 Billionen Dollar
verdoppelt Lohnquoten weltweit gesunken
• Inkohärenzen im Steuersystem
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Deutschland und Japan USA Ausgewählte Ölexporteure
Ausgewählte LBD-Länder Ausgewählte Schwellenländer Asiens Rest der W elt
Leistungsbilanzen
Quelle: IWF WEO World Database Oktober 2010.
in % des Welt-BIP
URSACHEN DER FINANZKRISE – MAKROÖKONOMISCHE FAKTOREN
“The political response to rising inequality – whether carefully planned or the path of least resistance – was to expand lending to households, especially low-income households. (…) More low-income housing credit has been one of the few issues on which President Bill Clinton’s administration, with its affordable-housing mandate, and that of President George W. Bush, with its push for an “ownership” society, agreed.”
Raghuram Rajan, University of Chicago
“There are remarkable correlations between bank failures (and financial crises), financial regulation/deregulation, and incomeinequality across U.S. history.”
David Moss, Harvard Business School
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DIE BEDEUTUNG VON POLITÖKONOMISCHEN FAKTOREN IN DER KRISENANALYSE
Fehlen einer effektiven internationalen FinanzmarktarchitekturEntdemokratisierung der Finanzmarktregulierung
• Rückzug staatlicher Bürokratien aus der Finanzmarktregulierung • Staatlich-private Netzwerke: unabhängige Finanzmarktaufsichtsbehörden,
Experten und auch Vertreter der Finanzindustrie. Es entsteht eine Struktur, in der sich nationalstaatliche und internationale, halbstaatliche und private Netzwerke überlagern,
• Finanzindustrie gewinnt bei Formulierung von Prinzipien von Regulierung als auch deren Umsetzung immer mehr an Bedeutung
RatingagenturenISDA (International Swaps and Derivatives Association)IASB (International Accounting Standard Board)
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DIE BEDEUTUNG VON POLITÖKONOMISCHEN FAKTOREN IN DER KRISENANALYSE
Angelsächsisches Selbstregulierungssystem Globale Diffusion des Prinzips der Selbstregulierung durch Gremien, Komitees und Arbeitsgruppen (‚epistemische Gemeinschaften‘)
• Abgeschlossenes, selbstreferenzielles Weltbild• Neue, neoklassische Synthese als Referenz• Dominanz der Effizienzmarkthypothese• Risikomodelle erzeugen Kontrollillusion• Selbstverständnis: objektiv, rational, nicht interessenbezogen
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DIE BEDEUTUNG VON POLITÖKONOMISCHEN FAKTOREN IN DER KRISENANALYSE
Regulatory Capture• Traditionelles Lobbying• Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes• ‚Control Fraud‘ (William Black)• ‚Regulatory capture by the knowledge base‘ (Warwick Commission)
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DIE BEDEUTUNG VON POLITÖKONOMISCHEN FAKTOREN IN DER KRISENANALYSE
• Regulatory capture by the knowledge base
„I don‘t care who writes a nation‘s laws – or crafts its advanced treaties – if I can write its economics textbooks“
Paul Samuelson
„The ideas of economists and political philosophers, both when they are right and when they are wrong, are more powerful than is commonly understood. Indeed the world is ruled by little else.“
John Maynard Keynes
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STRUKTUR
Die Bedeutung von politökonomischen Faktoren in der Krisenanalyse
Initiativen der Machtbegrenzung
− Globale Regulierungsmaßnahmen
− Regulierungsinitiativen in der Europäischen Union
− Initiativen: bereits umgesetzt bzw. in Planung
− 2 Fallbeispiele: Privatsektorbeteiligung und Finanztransaktionssteuer
− Vergleich USA und Europäische Union
− Bewertung der Reformen
INITIATIVEN DER MACHTBEGRENZUNGGLOBALE REGULIERUNGSMAßNAHMENInternationale Reformbestrebungen seit 2008 durch die G20 koordiniert und vorangetrieben
•Washington (Nov. 2008), London (Apr. 2009), Pittsburgh (Sept. 2009), Toronto (Juni 2010), Seoul (Nov. 2010)
Umsetzung in konkrete Reformvorschläge v.a. durch •Basel Committee on Banking Supervision (BCBS)•Financial Stability Board (FSB)•in der EU durch die Europäische Kommission
Zielsetzungen•Verbesserte Eigenmittel- und Liquiditätsstandards, Begrenzung des Leverage•Schärfere Regeln für Finanzprodukte und –märkte:
Hedge Fonds (sofern systemrelevant)Rating-AgenturenVergütungspolitiken in FinanzinstitutionenOver-The-Counter Märkte (insb. Derivate)
•Steueroasen•„Moral hazard“ Problematik bez. systemrelevante Institute •Insolvenz für Finanzinstitute
MACHTBEGRENZUNG - REGULIERUNGSINITIATIVEN IN DER EUROPÄISCHEN UNION
Bereits umgesetzt-Ratingagenturen-Hedge Fonds-Renumeration-Neue Aufsichtsstruktur
In Vorbereitung-Eigenkapitalvorschriften (Basel III)-Derivateregulierung-Bankeninsolvenzrecht-Krisenfonds (aus Bankenabgaben gespeist)
Regulierungsinitiativen Ziel Status Kontext
1. Ratingagenturen • Pflicht zur Registrierung und Beaufsichtigung dr. nat. Behörden• Registrierung und Beaufsichtigung durch ESMA, Rating strukturierter Produkte.• Haftung für Ratingagenturen, Verpflicthung für Finanzinstitute, eigene
Risikoanalyse zu erstellen, Offenlegung der Methodologie• Aber: keine Gründung einer Europäischen Ratingagenture, Krisenstaaten
dürfen weiterhin geratet werden
VO April 2009VO März 2011VO-Vorschlag der EK, 15.11.11
G20
2. Alternative Investment Fondsmanager (AIFM) Richtlinie
Regulierung der Fondsmanager von Hedge- und Private Equity Fonds auch offene Immobilienfonds, Spezialfonds, Infrastrukturfonds, Geschlossene Fonds (KG-Beteiligungsmodelle) und Institutionelle Fonds , Registrierungs- und Meldepflichten.
R Mai 2011 G20
3. Leerverkäufe (Short Selling) EU-weite Harmonisierung der Regeln für Short Selling und Credit Default Swaps (insb. Transparenz), vorübergehende Beschränkung.Abschluss ungedeckter Swap-Transaktionen bei Staatshaushalten (uncovered sovereign CDS transactions) wird begrenzt, Aufseher können Verbot aussetzen
VO-entwurf Mai 2011 (EU-Rat)Okt. 2011 Einigung ER EP
EU
4. European Market Infrastructure Regulation (EMIR)
• Abwicklung von Transaktionen über zentrale Gegenparteien (CCPs)• Datensammelstellen (trade repositories)
VO-entwurf Sept 2010 (EK)
G20
5. Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID II)
Regulierungsrahmen für sämtliche Wertpapierdienstleistungen (Transparenzvorschriften, Warenderivatemärkt, wie z.B. Positionslimits für Rohstoffhandel unter außergewöhnlichen Umständen, Sicherheiten (collateral) Hochfrequenzhandel, etc.)
R-entwurf und VO-Entwurf der EK Oktober 2011
G20, EU
6. Abwicklung Finanzinstitutionen
Abwicklungsmechanismen für große oder systemisch relevante Finanzinstitute, die Sanierungspläne vorlegen sollen, anhand derer sie in einer Krise rekapitalisiert werden können, ohne staatliche Unterstützung zu benötigen (Fonds)
Konsultation ab Jän. 2011 (EK)
G20, EU
Regulierungsinitiativen in der Europäischen Union
Regulierungsinitiativen Ziel Status Kontext7. Besteuerung
Finanzsektor• Bankenabgabe
• Finanztransaktionssteuer
Konsultation Sommer 2011Vorschlag der EK 4. Oktober 2011
EU
8. Eigenkapitalvorschriften für BankenÄnderungen der Kapitaladäquanzrichtlinie(Capital Requirement Directive, CRD)
• CRD II: Verbriefung: mindestens 5% Selbstbehalt, höhere Eigenmittel bei Wiederverbriefung
• CRD III: Regelung der Renumeration Orientierung der leistungsgebundenen Vergütungsbestandteile anlängerfristigem Erfolg; letzterer wird sowohl an quantitativen, als auch an qualitativen Kriterien gemessen) Beschränkung der Renumeration durch Regulatoren unter bestimmtenBedingungen
• CRD IV (Basel III): Probleme:
Exzessives Bilanzsummenwachstum ohne entsprechendes EigenkapitalProzyklizität in der KreditvergabeUnzureichende Risikoabdeckung im Handelsbuch Zu stark auf kurzfristiger Refinanzierung aufgebautes Liquiditätsmanagement
Maßnahmen:Quantitative Erhöhung der EigenmittelQualitative Erhöhung der EigenmittelHöhere Eigenmittelanforderungen für das HandelsbuchNationale „Countercyclical buffer“ - gegen exzessives Kreditwachstum Schrittweise Einführung der neuen Liquiditätsstandards und einer nicht-risikosensitiven Leverage Ratio
R April 2009
R November 2010
Konsultation Mai 2011,VO-entwurf Juli 2011
G20
Regulierungsinitiativen in der Europäischen Union
DIE NEUE EUROPÄISCHE AUFSICHTSARCHITEKTUR
ESRB(European SystemicRisk Board)
Makroprudentielle Aufsicht
Banken
Versicherungen
Finanzmärkte
ESFS(European System of Financial Supervisors)
MikroprudentielleAufsicht
Alle
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VERGLEICH USA UND EUROPÄISCHEN UNION
USA haben schneller reagiert
EU ist weitgehender bei • Basel III, • Besteuerung (Bankenabgabe, Finanztransaktionssteuer) und • Managergehälter.
USA sind weitgehender bei• Insolvenzrecht für Banken, • Markt- und Bankenstruktur• Unterschiede in Aufsichtsarchitektur spiegeln die komplexe
wirtschaftspolitische Koordinierungsarchitektur in der Europäischen Union wider
Regulierungsinitiativen US Dodd-Frank Act (Juli 2010) Europäische Union
1. Hedge Fonds Bedeutende Ausnahmen bei der Regulierung bleiben bestehen
Etwas weitgehendere Regulierung(AIFMD)
2. Marktinfrastruktur, Derivate, Datensammelstellen
Clearing durch zentrale Plattformen: Ausnahmen für bestimmte AuslandstransaktionenRohstoffe: Positionslimits können durch Aufsicht festgelegt werden (zahlreiche Ausnahmen für Finanzinvestoren)
EMIR, MIFID II
3. Basel III5% Selbstbehalt bei Verbriefung CRD II, CRD III, CRD IV
4. Bankstruktur Abgeschwächte Form der Volcker-Regel (Beschränkung des Eigenhandels)
Kein regulatorischer Eingriff
5. Besteuerung von Finanzinstitutionen Vorschlag für Finanzstabilitätsbeitrag (FSC) verworfen
BankenabgabeFinanztransaktionssteuer (Vorschlag der EK wird am 4. Oktober 2011 veröffentlicht)
6. Renumeration Kein regulatorischer Eingriff CRD III
7. Insolvenz von Banken Verstärkte Möglichkeiten der Aufsicht (FDIC) In Diskussion
8. Aufsichtsarchitektur
Financial Stability Oversight Council (FSOC)Instrumente: Empfehlungen und Eingriffsrechte (z.B. Aufbrechen von systemisch relevanten
Europäischer Rat für Systemrisken (ESRB)Instrument: Empfehlungen
Vergleich USA und Europäischen Union
Formen von Marktversagen des Finanzsektors
Regulierungsinitiativen Bewertung
1. Finanzsystem als Auslöser von Krisen
Verschuldungszyklus(Leverage Cycle)
Makroprudentielle Instrumente Basel III sowie weitere Instrumente (countercyclical capital buffers, loan to value ratios, loan to deposit ratios)
Fokus auf Bankensystem: Gefahr der Migration von systemischem Risiko
Vermögenspreisblasen(Irrational Exuberance Cycle)
Keine Regulierung (Ausnahme: Höhere Eigenmittel für Handelsbuch)
Dominanz der Theorie effizienter Finanzmärkte
2. Verschwendung von ökonomischen Ressourcen, globale Vernetzung, Komplexität
‘Too Big To Fail’ Kapitalzuschlag für systemrelevante Banken in Planung
Fokus auf Bankensystem, s.o.
Exzessive Renten Regulierung der Managergehälter Schwache Form der Regulierung
Störung in der Intermediationsfunktion
Keine Regulierung Optimalität der Allokation von Sparen und Investitionen durch Bankensystem wird nicht in Frage gestellt.
3. Ineffiziente Verteilung von Risken Derivateregulierung, CCPs, Datensammelstellen
Dominanz des angelsächsischen Selbstregulierungssystems
Bewertung der Reformen