Post on 06-Feb-2018
Niedersächsisches Landesamt
für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit
Klimaerwärmung:
Neue Vektoren und neue
Krankheiten?
Dr. J.F. Freise (LAVES)
Dr. S. Olbrich (NLGA)
Niedersächsisches Landesamt
für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit
WHO, London, 1999:
„Es ist allgemein anerkannt, dass das
Klima auf die zeitliche und räumliche
Verteilung von Vektoren und
Krankheitserregern einen wichtigen
Einfluss hat.“
Niedersächsisches Landesamt
für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit
Niedersächsisches Landesamt
für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit
Zunahme der
Niederschläge in
Deutschland
Prognose:
stärkere Schwankungen
Niedersächsisches Landesamt
für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit
Trends der Lufttemperatur in D zeigen nach oben
Wärme im Sommer
fehlender Frost im Winter
höhere Luftfeuchtigkeit
Vektoren (hier: hämatophage Arthropoden):
wechselwarme Tiere
abhängig von äußeren Bedingungen
temperaturabhängige Entwicklungsdauer
temperaturabhängige Stechaktivität
Niedersächsisches Landesamt
für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit
Vektoren – taxonomische Einordnung Arthropoden Klasse Ordnung Familie Gattung/ Art Vektorpotenzial
Spinnentiere Milben +
MilbenZecken
(Ü-Familie) ++++
Insekten Schaben ++++
Tierläuse Haarlinge +
Tierläuse Menschenläuse Kleiderläuse ++
Kopflaus
Filzlaus +
Flöhe Menschenfloh +++
Katzenfloh +++
Hundefloh +++
ZweiflüglerMücken
(U-Ordnung) Stechmücke ++
Sandmücke +++
Kriebelmücke +++
Gnitzen +++Fliegen (U-Ordnung) Taufliege +
Bremsen ++
"andere Fliegen" ++
Niedersächsisches Landesamt
für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit
2 wichtige Begriffe
– aktive Vektoren: Organismen mit Erregerzyklus im Gewebe; z.B.: infizierte Tiere (Blauzungenkrankheit, Malaria) kompetenter Vektor
– passive Vektoren: Verschlepper von Krankheitserregern (mechanisch-taktil, exkretorisch, sekretorisch); z.B.: Fliegen, Schaben, kommensale Ratten und Mäuse
Niedersächsisches Landesamt
für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit
„Mitteldarm-Infektions-Barriere“:
Virus in der Blutmahlzeit, Vektor noch nicht infiziert.
Der kompetente Vektor für Arboviren
Niedersächsisches Landesamt
für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit
„Überwinden der Mitteldarm-Barriere“:
Infektion des Vektors auf das Mitteldarmepithel beschränkt.
Der kompetente Vektor für Arboviren
Niedersächsisches Landesamt
für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit
„Verteilung“, „Verbreitung“:
Im Darmepithel repliziertes Virus im Haemocoel (Leibes-
höhle) verbreitet, Speicheldrüsen sind noch nicht infiziert.
Der kompetente Vektor für Arboviren
Niedersächsisches Landesamt
für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit
Speicheldrüseninfektion:
Speicheldrüsen infiziert, Infektion kann bei nächster
Blutmahlzeit gesetzt werden.
Der kompetente Vektor für Arboviren
Niedersächsisches Landesamt
für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit
extrinsische Inkubationszeit
Zeitspanne zwischen der
Blutmahlzeit des Vektors und
der Fähigkeit, den Erreger über
die Speicheldrüsen auf andere
Wirte zu übertragen
(Entwicklungsdauer des
Pathogens im Vektor)
starke Temperaturabhängigkeit!
Der kompetente Vektor für Arboviren
Niedersächsisches Landesamt
für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit
Höhere Temperaturen beeinflussen nicht
nur die Entwicklungsgeschwindigkeit von
Pathogenen im Vektor positiv, sondern
können vermeintlich vektorinkompetente
Insekten zu Vektoren machen.
z.B. das Blauzungenvirus und das African Horse Sickness
Virus konnten in „eigentlich“ refraktären Gnitzenarten, die ihre
Larvalentwicklung bei höheren Temperaturen durchgemacht
hatten, unter Umgehung des Darmepithels direkt in die
Hämolymphe gelangen und schließlich übertragen werden
(‚leaky gut’-Phänomen).
Der kompetente Vektor für Arboviren
Niedersächsisches Landesamt
für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit
Höhere Temperaturen können aber
auch dazu führen, dass die
Entwicklungsgeschwindigkeit von
Pathogenen im Vektor so reduziert wird,
das Vektoren zu vektorinkompetenten
Insekten werden.
z.B. West-Nil-Virus vermehrt sich mit zunehmenden
Temperaturen langsamer in Culex univitatus (S. Paz, 2015)
Der kompetente Vektor für Arboviren
Niedersächsisches Landesamt
für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit
Vogel/Kleinsäuger
Arthropoden
Übertragungszyklus
Beispiel: West Nil,
Vektoren: v.a. Stechmücken
Hauptwirte erkranken
üblicherweise nicht
Menschen, Haustiere:
epidemiologisch
bedeutungslose
Zufallswirte
Niedersächsisches Landesamt
für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit
Beispiel: West Nil
Klimafaktor Temperatur: korreliert positiv mit
Virusreplikationsgeschwindigkeit
saisonale Phenologie der Vektorpopulation
Wachstum der Vektorpopulation
Übertragungseffizienz auf Vögel
geographische Ausbreitung der Humanerkrankungen
korreliert negativ mit
Intervall zwischen Blutmahlzeiten
extrinsische Inkubationszeit
Niedersächsisches Landesamt
für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit
Beispiel: West Nil
Klimafaktor Niederschlag: erhöhte Niederschlagsgeschehen führt zu
erhöhtest Vektorvorkommen (aquatische Entwicklung)
durch stärkere Durchspülung von Brutstätten werden
Vektorlarven und Larvennahrung beseitigt
gleichzeitig wird dennoch eine erhöhte humane
Erkrankungsrate erwartet
vermindertes Niederschlagsgeschehen führt zu
Massenentwicklungen bei bestimmten Vektorarten
wenige große Brutstandorte mit stehendem Wasser
ziehen konzentriert sowohl Vektoren als auch Vögel an
wodurch eine Verstärkung des epizootischen Zyklus zu
erwarten ist
Niedersächsisches Landesamt
für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit
Übertragung
humanpathogener Erreger
durch Aedes spec.
A. albopictus in D
A. japonicus in Nds.
Der erste Chikungunya-
Ausbruch in Europa in Italien
(Provinz Ravenna im Sommer
2007) mit rund 200 Erkrankten
geht auf die Tigermücke zurück
Niedersächsisches Landesamt
für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit
Invasive Stechmücken: Monitoring, NLGA
Gründe für Monitoring und ggf. Bekämpfung:
es ist davon auszugehen, dass invasive Stechmücken,
die in D überwintern, nicht mehr vollständig getilgt
werden können.
eine weitere Ausbreitung muss möglichst verhindert
werden
Niedersächsisches Landesamt
für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit
NLGA-BG-Traps an versch. Standorten in Nds.
2012 1 BG-Trap
2013 5 BG Traps
2014 1 BG-Trap
2015 3 BG-Traps
2016 4 BG-Traps
2016 zusätzlich
ca. 3000 Individuen aus 5 Gattungen: Keine neozoen Arten und auch keine
Infektion mit humanpathogenen Erregern (Untersuchung ZALF & FLI)
Niedersächsisches Landesamt
für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit
Handlungsempfehlungen der nat. Expertengruppe
„Stechmücken“: Tigermücke
bei nachgewiesener Reproduktion von z.B. Ae. albopictus Maßnahmen
ergreifen
Entscheidungen zu Maßnahmen liegt bei den lokalen bzw. Landesbehörden
Monitoring: – Fallenkontrolle ein- bis zweiwöchentlich
– Eiablagefallen (Ovitraps)
– Adultfallen (insektizidversehene ‚Gravid Aedes Traps‘)
– Artidentifizierung der gesammelten Mückenstadien
Bekämpfung: – Eliminierung von potenziellen Brutgewässern
– Behandlung von potenziellen Brutgewässern mit Bti-Produkten
– letalen GAT-Fallen (16/ha)
– mechanische Entfernung von überwinterndern Eiern im Frühjahr
Ausbildung der Mitarbeiter der Friedhofsämter und –gärtnereien
Weitergabe von Informationen an die lokalen Gesundheitsbehörden
Aufklärung der Bevölkerung
Niedersächsisches Landesamt
für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit
Empfohlene Schutzmaßnahmen
Auf die Bekämpfung von Stechmücken in Wohngebieten mit chemischen
Insektiziden sollte wegen Nebenwirkungen auf die Umwelt möglichst
verzichtet werden
persönliche Schutzmaßnahmen (Repellent), insbesondere Sprays
Mithilfe der Bevölkerung bei der Vermeidung von Brutstätten
Handlungsempfehlungen der nat. Expertengruppe
„Stechmücken“: Tigermücke
Niedersächsisches Landesamt
für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit
Zusammenfassung
Wie kommen „neue arthropodenassoziierte“
Pathogene zu uns?
Sind sie bereits da? Es werden derzeit Projekte durchgeführt
und initiiert um fehlende Daten zur Biologie
und Ökologie der möglichen kompetenten
Vektoren und vektorassoziierten Erreger zu
sammeln, die eine Risikoabschätzung der
Einschleppung und der Endemisierung in
ME erlauben.
Niedersächsisches Landesamt
für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit
Importszenarien für vektorübertragene Erreger
Import mit infiziertem warmblütigem (Haupt-)Wirt
Endemisierung möglich, wenn geeigneter
Arthropodenwirt vorhanden und Kontakt
möglich
Import mit Arthropodenwirt
Endemisierung möglich, wenn geeigneter
Säuger-/Vogelwirt vorhanden und Etablierung
des Arthropodenwirtes möglich
Endemisierung möglich, wenn geeigneter
Säuger-/Vogelwirt vorhanden und Übertragung
auf einen einheimische kompetenten
Arthropodenwirt möglich
Niedersächsisches Landesamt
für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit
Mögliche Wirkung klimatischer
Veränderungen auf Vektoren und
Viren:
– Etablierung in neuen Gebieten
– Befall anderer („neuer“) Wirte
– Nutzung neuer Reservoire
– Evolution
Verbreitung der Vektoren und der von Vektoren
übertragenen Viren ist nicht statisch!
Niedersächsisches Landesamt
für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit
N.B.:
Ausbreitung von Infektionskrankheiten
werden von verschiedenen Faktoren
in ihrer Kombination beeinflusst.
Vorhersagen zuverlässig?
Fernreiseverkehr und internationaler Handel spielen die
Hauptrolle bei der sprunghaften Weiterverbreitung
von Vektoren und Krankheitserregern!
Niedersächsisches Landesamt
für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit
Klimaerwärmung:
Neue Vektoren und neue
Krankheiten?
Ja, höchstwahrscheinlich,
vorbereiten müssen wir uns!
Niedersächsisches Landesamt
für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit
Also:
1. klassische biologische Grundlagenforschung
finanzieren und fördern
2. Untersuchungsmethoden etablieren
3. Monitorings durchführen
4. Einfuhruntersuchungen intensivieren
5. Risikoanalysen mit umfassenden Daten durchführen
(Wer hat an BT geglaubt???)
6. Maßnahmen planen:
– Habitatmanagement
– Informationsaufbereitung
– professionelle Schädlingsbekämpfung -
überhaupt möglich?