Post on 03-Apr-2016
description
3. Juni 2014
„Was ist gerecht?“
Eine Veranstaltungsreihe derCDU-Fraktion des
Sächsischen Landtages
Schriftenreihe zu Grundlagen, Zielenund Ergebnissen der parlamentarischen Arbeitder CDU-Fraktion des Sächsischen Landtages
cdu-fraktion-sachsen.de
twitter.com/CDU_SLT
facebook.com/cdulandtagsfraktionsachsen
1
Inhaltsverzeichnis
EinführungSteffen Flath MdLVorsitzender der CDU-Fraktion des Sächsischen Landtages
„Was ist gerecht?“Stanislaw Tillich MdL Ministerpräsident des Freistaates Sachsen
2 – 5
6 – 13
SchlusswortDr. Fritz Hähle Ehrenpräsident des Johann-Amos-Comenius-Clubs Sachsen
14
cdu-fraktion-sachsen.de
twitter.com/CDU_SLT
facebook.com/cdulandtagsfraktionsachsen
2
Steffen Flath MdL
Einführung
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Freunde des Johann Amos Comenius- Clubs, recht herzlich Willkommen im In-ternationalen Congress-Center Dresden an diesem wunderschönen Sommerabend. Schön, dass Sie sich die Zeit nehmen und der Einladung gefolgt sind.
Ich möchte Sie ganz herzlich persön-
lich begrüßen, natürlich auch im Namen
der CDU-Landtagsfraktion. Wir sind
heute zahlreich vertreten, es sind 20 Ab-
geordnete des Landtages hier. Einige
möchte ich namentlich nennen. An der
Spitze unser Landtagspräsident Dr. Mat-
thias Rößler. Ich darf begrüßen meinen
1. Stellvertreter und Parlamentarischen
Geschäftsführer Christian Piwarz und
meine beiden Stellvertreter Uta Win-
disch und Thomas Schmidt.
Sie werden gleich merken, dass ich nicht
ganz protokollarisch vorgehe. Aber ich
freue mich, dass unsere Sozialministe-
rin Christine Clauß da ist. Ich darf weiter
begrüßen die Vertreter der kommunalen
Ebene. An der Spitze den Landrat des Erz-
gebirgskreises Frank Vogel sowie zwölf
Oberbürgermeister und Bürgermeister
aus unserem Freistaat – allen ein herzli-
ches Willkommen.
Ich begrüße die Präsidenten, Geschäfts-
führer, Direktoren, einen möchte ich na-
mentlich besonders hervorheben: Frank
Haubitz, er ist Vorsitzender des Philolo-
genverbandes. Weiter die Generalkon-
sulin unseres Nachbarlandes, der Tsche-
chischen Republik, Jarmila Krejcikova. Ich
darf Ihnen im Namen aller Anwesenden
gratulieren, denn Sie haben kürzlich die
Sächsische Verfassungsmedaille verlie-
hen bekommen.
Ganz stark vertreten sind immer im Co-
menius-Club unsere Kirchen. Und so ein
herzliches Willkommen Christoph Seele,
er ist der Beauftragte der Evangelischen
Landeskirche beim Freistaat Sachsen.
Ich begrüße Arnold Liebers, Superinten-
dent im Kirchenbezirk Leisnig-Oschatz,
Andreas Stempel, Superintendent im
Kirchenbezirk Meißen-Großenhain und
Johannes Schädlich, Superintendent in
Rente. Damit es katholisch ausgeglichen
ist, Horst Friese, Diözesanvorsitzender
beim Kolpingwerk im Bistum Dresden-
Meißen, herzlich willkommen.
Jetzt kommt eine ganz treue Gruppe – ich
begrüße die ehemaligen Mitglieder des
Europäischen Parlaments und die ehema-
ligen Mitglieder der CDU-Landtagsfrak-
3
tion. Es sind heute elf Vertreter hier, an
der Spitze steht Dr. Fritz Hähle, Ehrenprä-
sident des Johann Amos Comenius-Clubs.
Und so freue ich mich auch, dass ehema-
lige Minister und Staatssekretäre unter
uns sind, wie Friedbert Groß, Dr. Helmut
Münch und Dr. Rainer Jork. Er hat einen
ganz lieben Gast mitgebracht, Herrn Dr.
Bernhard Worms.
Dr. Bernhard Worms hat 1959 promoviert
und ich finde das Thema bemerkenswert.
Sie promovierten an der Universität Graz
zum Thema „Die schleichende Inflation
und das Problem der säkularen Geldent-
wertung“. Das wäre mal ein Extra-Thema
wert. Ich freue mich, weil sie auch Frak-
tionsvorsitzender 1983 – 1990 in Nord-
rhein-Westfalen waren, dann wechselten
Sie in den Bundestag und wurden Staats-
sekretär bei Norbert Blüm.
Ich will es deshalb erwähnen: Wir feiern
dieses Jahr 25 Jahre friedliche Revolution.
Damals musste das Problem gelöst wer-
den, wie man nach der Deutschen Einheit
mit Rentnern umgeht, die in der DDR ge-
arbeitet haben und nun Rentner in der
Bundesrepublik geworden sind. Wir ver-
danken Dr. Worms u.a., dass eine Lösung
gefunden worden ist, sicher auch für
viele hier im Raum. Das hat etwas mit Ge-
rechtigkeit zu tun. Die Lösung war eine
außerordentlich gerechte und ist keines-
wegs selbstverständlich. Ein herzliches
Dankeschön dafür.
Jetzt kommen wir zur Hauptperson die-
ses Abends. Er ist 55 Jahre, verheiratet
– nach wie vor mit Veronika. Sie haben
zwei Kinder, sind katholischer Sorbe. Seit
1990 war er zunächst über den Bundes-
tag Beobachter und später bis 1999 Mit-
glied des Europäischen Parlaments und
hatte sich eine sehr geachtete Stellung in
Brüssel und Straßburg erarbeitet, wovon
Sachsen auch heute noch sehr profitiert.
© P
atri
k D
ietr
ich
/ sh
utte
rsto
ck.c
om
4
Seit 1999 – das werden jetzt im Herbst
15 Jahre – ist er Mitglied der Staatsregie-
rung in Sachsen, zunächst als Minister
für Bundes- und Europaangelegenheiten,
dann Chef der Staatskanzlei, Umwelt-
und Landwirtschaftsminister, Finanzmi-
nister und seit Mai 2008, also seit reich-
lich sechs Jahren unser Ministerpräsident
im Freistaat Sachsen. Herzlich Willkom-
men Stanislaw Tillich.
Das Thema „Was ist gerecht?“ hat sich
Stanislaw Tillich selbst gewählt. Der Vor-
teil des Johann Amos Comenius-Clubs
besteht darin, dass das Veranstaltungs-
format ein bisschen altmodisch ist. Wir
geben Referenten die Gelegenheit, aus-
führlicher zu einem Thema zu sprechen,
ohne dass Jemand dazwischen ruft und
dass das Thema vorzeitig beendet wird.
„Was ist gerecht?“ – eine spannende
Frage. Wenn man sich in der Politik en-
gagiert, aber auch wenn nicht, wird man
dieses Thema wahrscheinlich nie mehr
richtig los. Es ist ein sehr emotionales
Thema.
Meine Frau und ich haben zwei Kinder.
Das Mädchen heißt Lucia, der Junge Her-
bert. Wenn ich sagte: „Lucia decke mal
bitte den Abendbrot-Tisch“, kam die Ant-
wort: „Und was macht Herbert?“
Oder Gerechtigkeit im Bildungssystem.
Da stehen zwei Jugendliche an der Bus-
haltestelle, der eine fährt ins Gymna-
sium, der andere in die Oberschule. Viel-
leicht kommt noch einer im Rollstuhl. Der
eine studiert, der andere wird Facharbei-
ter – wie ist das mit der Gerechtigkeit?
Oder 25 Jahre friedliche Revolution.
Meine Frau durfte in der DDR nicht stu-
dieren aus einem einzigen Grund. Sie war
katholisch erzogen und nicht bereit, ab-
zuschwören. Wie vielen Menschen ging
das so? Deren Lebensweg wurde bis
heute verändert. Soviel dazu, wenn uns
Kommunisten belehren wollen, was Ge-
rechtigkeit ist.
Oder die Bibel. Da gibt es die Gleichnisse.
Wie ist das mit den Arbeitern im Wein-
berg? Wie ungerecht fühlt man sich be-
handelt und doch ist es gerecht, wenn
man es von der anderen Seite her be-
trachtet.
Man könnte auch über Mindestlohn dis-
kutieren. Wie gerecht ist er oder wie un-
gerecht das, was wir jetzt haben? Ich
wünschte mir in unserem Land eine Dis-
kussion darüber, eine wirkliche Diskus-
sion.
Oder Gerechtigkeit im Steuersystem. Die
einen zahlen gar keine Steuern, die ande-
ren sind von der Steuerprogression be-
troffen. Herr Prof. Kirchhof, auch schon
Referent im Comenius-Club, schlägt gar
vor, es wäre gerecht, alle einheitlich mit
5
25 % ohne Ausnahme zu besteuern. Wie
ist das mit Steuersündern, auch eine ganz
aktuelle Diskussion.
Wie gerecht ist das alles? Ich freue mich
jetzt darauf, unseren Ministerpräsiden-
ten mal von einer ganz anderen Seite
kennen zu lernen. Wir kennen ihn als
freundlichen Menschen, als einen der ge-
würdigt wird, als einen, der sich auf inter-
nationalem Parkett für Sachsen sehr gut
in Szene setzt. Und heute erleben wir mal
einen nachdenklichen Stanislaw Tillich.
Ich freue mich darauf.
6
Lieber Steffen Flath, vielen Dank für
die freundliche Begrüßung und Einfüh-
rung in das Thema des heutigen Abends:
„Was ist gerecht?“. Du warst auch im
März 2010 mit dabei, als ich beim Jo-
hann-Amos-Comenius-Club in Anna-
berg-Buchholz über das Thema „Werte
für unsere Zivilgesellschaft“ sprach. Der
eine oder andere von Ihnen erinnert sich
vielleicht auch noch daran. Ich habe da-
mals über drei Leitwerte gesprochen:
Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.
Und natürlich habe ich dabei auch die
Gerechtigkeit gestreift. Das Thema will
ich heute vertiefen.
Ich tue das aus guten Gründen hier vor
dem Johann-Amos-Comenius-Club. Er ist
das Forum, wo Mitglieder und Freunde
der CDU-Fraktion über Grundwerte, über
den Kompass unseres politischen Den-
kens und Handelns diskutieren und den
Kompass justieren.
Nun kann man derzeit kaum eine Zeitung
aufschlagen ohne mit der Frage konfron-
tiert zu werden: Was ist gerecht? Dabei
geht es meist um die Verteilung von Ein-
kommen und Vermögen. Aber: Gerech-
tigkeit meint viel mehr, gerade im christ-
lichen Denken. Und Gerechtigkeit in
diesem viel weiteren Sinne ist uns in der
„Was ist gerecht?“Stanislaw Tillich MdL
Union Richtschnur unseres politischen
Denkens und unserer politischen Arbeit.
Aus meiner Sicht sind zwei miteinander
verbundene Ideen wichtig: Das Sozial-
staatsprinzip, das in unserem Grundge-
setz verankert ist, und das Prinzip der
Subsidiarität. Beide Prinzipien stammen
aus einer Tradition, die älter ist als die
Bundesrepublik Deutschland. Es ist die
Katholische Soziallehre. Sie hat das Ord-
nungsdenken der Union von Anfang an
geprägt – bis heute!
Schauen wir auf den ersten Leitbegriff
der Soziallehre: die Würde des Einzel-
nen. Jedem Menschen als Geschöpf Got-
tes kommt diese zu, sie ist im christlichen
Menschenbild unantastbar. Wer dieses
Menschenbild im Herzen trägt, für den
ist klar: Gerecht ist mein Handeln, wenn
es die Würde meiner Mitmenschen erhält
und mehren hilft.
Der zweite Leitbegriff ist die Solidarität.
Das ältere Wort dafür ist Brüderlichkeit.
Wir sind als Menschen, als Geschöpfe
Gottes einzigartig, aber wir können nicht
allein leben und überleben. Ein Beispiel:
Ein Neugeborenes wird in eine soziale
Beziehung hineingeboren, es erhält von
7
den Eltern Nahrung, Kleidung, Pflege
und Zuwendung. Aber nicht nur als Kin-
der sind wir auf unsere Mitmenschen an-
gewiesen. Keiner von uns könnte ohne
seine Mitmenschen gut leben. Sei es bei
der Arbeit oder im häuslichen Umfeld. Je-
der kennt die banale Situation, wo zwei
Hände nicht reichen, um eine Arbeit zu
erledigen.
Damit bin ich beim dritten Leitbegriff, der
Subsidiarität. Er besagt: Der einzelne soll
tun, was in seinen Kräften steht. Er wird
dabei unterstützt von der Gemeinschaft
um ihn herum: Familie, Nachbarschaft,
Kirchgemeinde, Kollegen, Sportkamera-
den und so weiter. Erst wenn dies nicht
mehr ausreicht, ein Leben in Würde zu er-
möglichen, dann muss der Staat mit sei-
nen viel größeren Ressourcen eingreifen.
Würde, Solidarität, Subsidiarität – das
sind aus christlicher Sicht die Leitbe-
griffe. Mithilfe dieser Begriffe können
wir uns nun konkreten Gerechtigkeits-
fragen zuwenden.
Sie kennen vielleicht die Kunstpostkarten
aus dem Maria-Laach-Verlag. Eine zeigt
einen Fingerabdruck und dazu den Satz:
„Jeder Mensch ist ein Gedanke Gottes.“
Unsere, diese Einzigartigkeit ist Teil un-
serer Menschenwürde. Sie zeigt sich un-
ter anderem darin, dass wir mit verschie-
denen Anlagen auf die Welt kommen. Wir
werden in verschiedene Familien hinein-
geboren. Und wir entwickeln im Laufe
des Lebens verschiedene Talente. Der
eine ist ein mathematisches Genie. Dem
Zweiten fällt es leicht, Sprachen zu ler-
nen. Der Dritte hat goldene Hände und
der Vierte einen grünen Daumen.
Wie gehen wir damit um? Man könnte
provokant formulieren: Müssen wir nicht
bei den ungleich verteilten Talenten eine
Umverteilung vornehmen? Das wäre die
von vielen geforderte Chancengleichheit.
Oder ist unsere Position nicht vielmehr
die: Diese Ungleichverteilung ist gerecht,
wenn jeder seine individuellen Kräfte und
Anlagen voll entfalten und in die Gesell-
schaft einbringen kann. Das ist die Chan-
cengerechtigkeit, für die wir in der Union
uns einsetzen.
Also: Wir in der Union haben uns für die
Chancengerechtigkeit entschieden. Wa-
rum? Weil wir glauben, dass Chancen-
gleichheit zu Uniformität führt. Das ver-
letzt unsere Menschenwürde, richtet sich
gegen unsere Einzigartigkeit. Die Chan-
cengerechtigkeit dagegen trägt unserer
Würde und Einzigartigkeit Rechnung.
8
Was folgt nun aus dieser Forderung
nach Chancengerechtigkeit? Es soll eben
nicht der Bildungshintergrund, die sozi-
ale Vernetzung oder der Geldbeutel des
Elternhauses darüber entscheiden, ob
jeder von uns ein Leben in Würde führen
kann. Nein, das Idealbild ist vielmehr: Je-
der soll durch gute Bildung seine Anla-
gen entfalten und sich gesellschaftlich
einbringen können. Das ist uns in Sach-
sen besonders wichtig. Deshalb haben
wir mit der Bildung nicht herumexpe-
rimentiert, sondern für Kontinuität ge-
sorgt. Aus guten Gründen – die Spit-
zenergebnisse unseres Bildungswesens
sprechen für sich.
Also: Es ist unstrittig, dass gute Bildung
nötig ist, um Chancengerechtigkeit her-
zustellen. Darüber gibt es einen breiten
Konsens. Aber wie so oft steckt der Teufel
im Detail. Ein Beispiel: Wie weit soll die
Schule mit ihren Bildungsangeboten ge-
hen? Da kann man sagen: das Recht und
die Pflicht zur Erziehung haben zuerst die
Eltern. Schulunterricht muss reichen. An-
dere meinen: Das reicht aber nicht, wenn
man will, dass Kinder aus allen sozialen
Schichten es auf die Universität schaf-
fen. Man weitet deshalb die schulischen
Bildungsangebote auf die Freizeit aus,
Stichwort: Ganztagsangebote.
So lange diese Angebote freiwillig wahr-
genommen werden, ist das kein allzu
großer Eingriff in die Erziehungshoheit
der Eltern. Das ist die Position der Säch-
sischen Union. Anderen geht das nicht
weit genug. Sie wollen verpflichtende
Ganztagsangebote, um den unterschied-
lichen Bildungshintergrund der Eltern
auszuschalten. Da stellt sich die Frage:
Respektiert eine solche Pflicht und ein
solch weitreichender Eingriff in die Er-
ziehungshoheit der Eltern die Einzigar-
tigkeit, die Würde des Menschen?
Eine andere Frage: Wer ist eigentlich da-
für zuständig, Chancengerechtigkeit her-
zustellen? Die Familien selbst können das
nicht immer. Sie brauchen im Sinne der
Subsidiarität Hilfe zur Selbsthilfe. Das
ist unstrittig. Aber: Soll diese Hilfe zur
Selbsthilfe nur der Staat leisten?
Nun bin ich – wie die meisten hier – in
der DDR aufgewachsen, wo es ein sol-
ches Denken gar nicht gab. Statt um Hilfe
zur Selbsthilfe ging es bei der Bildung
immer um die „staatliche Lufthoheit in
den Kinderzimmern“. Die demokratische
Bundesrepublik dagegen ist ein Staat, in
dem die Subsidiarität ein grundlegendes
Prinzip ist, und das heißt: Es gibt, ers-
tens, Hilfe zur Selbsthilfe, und sie kommt,
zweitens, nicht allein vom Staat, sondern
auch von der Zivilgesellschaft. Es gibt ein
großes Engagement von Vereinen und
Stiftungen, die sich um die Bildungswege
von Kindern und Jugendlichen kümmern.
Sie ergänzen die staatlichen Ressourcen
vor Ort, weil die Zivilgesellschaft Bildung
9
nicht nur anders macht als der Staat, son-
dern oft auch besser.
Doch bei allem Bemühen von Familien,
Staat und Zivilgesellschaft: Wir bleiben
Menschen mit unterschiedlichen Talen-
ten, mit unterschiedlichen Möglichkei-
ten! Das ist auch gut so, denn es macht
unsere Würde als Menschen aus. Deswe-
gen ist für uns als Christdemokraten klar:
Chancengleichheit ist eine Utopie, die
zu kollektivistischem Zwang führt. Will
eine Gesellschaft dagegen Chancenge-
rechtigkeit herstellen, darf sie das nicht
dem Staat allein überlassen. Das unter-
scheidet uns in der Union und unser po-
litisches Denken von Anderen.
Deswegen war für die Sächsische Union
von Anfang an klar: In der Verfassung
des Freistaats muss etwas über die Mit-
verantwortung der Zivilgesellschaft im
Bildungsbereich stehen. Deswegen ge-
währleistet Artikel 102 Absatz 3 der säch-
sischen Verfassung das Recht, Schulen in
freier Trägerschaft zu gründen. Sicher-
lich macht uns das aktuell bei der Schul-
netzplanung einigen Kummer. Aber unter
dem Gesichtspunkt der Chancengerech-
tigkeit ist diese Regelung nach wie vor
goldrichtig.
Liebe Freunde, ich habe vorhin beim
Stichwort Chancengerechtigkeit gesagt:
Es ist eine Frage der Menschenwürde,
dass jeder sich mit seinen Kräften ein-
bringen kann. Das führt mich zu meinem
zweiten Beispiel, der Leistungsgerech-
tigkeit. Wie gehen wir mit unterschied-
lichen Leistungen um? Sollen alle den
gleichen Lohn bekommen? So oder so
ähnlich kennen wir es aus DDR-Zeiten.
Die Lohnunterschiede damals waren im
Vergleich zu heute unwesentlich. Nun
werden Fragen nach dem gerechten Preis
und dem gerechten Lohn nicht erst seit
DDR-Zeiten, sondern schon seit Tausen-
den von Jahren diskutiert. Die Frage ist:
Wie beantworten wir sie heute?
Im Saurierpark in Kleinwelka habe ich ein
Bild gesehen, das uns der Antwort nä-
herbringt. Ein Bild, das arbeitsteiliges,
gemeinschaftliches Handeln darstellt.
Es zeigt, wie ein Mammut erlegt wird –
nicht von einem einzelnen Jäger, sondern
von einer ganzen Horde, die zusammen-
arbeitet: Sie haben das Mammut in eine
Felsschlucht getrieben, wo eine Grube
ausgehoben ist. Ringsherum werfen Jä-
ger ihre Speere auf das Mammut, um es
zu töten. Und von oben, vom Berg herun-
ter, werfen andere Mitglieder der Horde
große Felsbrocken auf das Tier. Das ist
ein archaisches Bild. Aber es ist bis heute
so: Wir wirtschaften gemeinsam und ar-
beitsteilig.
Für das Überleben der Steinzeithorde
war klar: Jeder muss einen Anteil am
Mammut bekommen. Nicht unbedingt
jeder den gleichen Anteil. Die Jäger, die
10
das Mammut in die Schlucht getrieben
hatten, waren größerer Gefahr ausge-
setzt als jene, die vom sicheren Berg Fels-
brocken herunterwarfen. Aber: Es wäre
für das Überleben der Horde nicht gut
gewesen, wenn die mutigen Jäger den
weniger Mutigen nicht genug zum Le-
ben übrig gelassen hätten, denn allein
mit ihren Speeren hätten sie das Mam-
mut nicht erlegen können.
Leistungsgerechtigkeit heißt also: Es
liegt im Eigeninteresse, mehr zu leis-
ten, weil man dann auch einen größe-
ren Teil des Sozialprodukts – in unserem
Bild: des Mammuts – als Lohn bekommt
als andere, die weniger leisten, weil sie
nicht können oder sich nicht trauen. Ich
glaube, über dieses Prinzip gibt es auch
heute keinen Streit, jedenfalls in unse-
rer Partei.
Ebenso gibt es keinen Streit darüber,
was Soziale Marktwirtschaft ist. Der Be-
griff macht deutlich, was Wirtschaften
ist: ein soziales Tun. Und soziales Tun
funktioniert nur, wenn es Leistungsge-
rechtigkeit gibt, wenn also, um im Bild
zu bleiben, jeder ein Stück vom Mammut
abbekommt. Kontrovers wird es freilich
bei der Frage: Welcher Lohn ist jetzt ge-
recht? Ist es ungerecht, wenn eine Fri-
seurin in Görlitz weniger verdient als
eine in Flensburg? Oder, ein aktueller
Fall, den die F.A.Z. publik machte: Das
Investmentbanking der Deutschen Bank
hat in den letzten Jahren riesige Verluste
produziert. Dennoch bekamen rund
1.000 Investmentbanker Boni von im
Schnitt mehr als 300.000 Euro. Hinge-
gen bekamen Mitarbeiter im Privatkun-
dengeschäft der Deutschen Bank, die
den größten Teil des Konzerngewinns
erwirtschaftet haben, vergleichsweise
kärgliche 6.000 Euro Bonus. Ist das leis-
tungsgerecht?
Zur Leistungsgerechtigkeit gehört aber
nicht nur die Einkommensverteilung.
Ein zweites Wesensmerkmal der Sozi-
alen Marktwirtschaft ist das Aufstiegs-
versprechen. Lange war das mehr als
ein Versprechen. Sozialer Aufstieg dank
Leistung war möglich. Ein Beispiel dafür
aus den Reihen der CDU ist Ronald Po-
falla, Vater Fabrikarbeiter, Mutter Putz-
frau. Dass er einmal Kanzleramtsminister
werden würde, war ihm wahrlich nicht in
die Wiege gelegt.
Aber: nach Berechnungen des Deutschen
Instituts für Wirtschaftsforschung hat
die soziale Mobilität deutlich abgenom-
men. Wer am unteren Ende der Einkom-
mensverteilung ist, der bleibt meist auch
dort, und wer sich am oberen Ende befin-
det, fällt selten nach unten. Nach allem,
was man weiß, haben aber nicht die Leis-
tungsbereitschaft und der Aufstiegswil-
len abgenommen. Es scheint also Markt-
kräfte zu geben, welche den Aufstieg in
der Einkommenshierarchie verhindern.
11
Nun ist die CDU die Partei Ludwig Er-
hards. Und außer seinem Kernsatz „Wohl-
stand für alle“ verbinden wir mit ihm die-
ses Versprechen des sozialen Aufstiegs.
Warum ist dieses Versprechen so wich-
tig? Weil es eine Frage der Menschen-
würde ist. Für Ludwig Erhard war klar:
Wirtschaftliche Macht, Marktmacht,
behindert nicht nur den Wettbewerb.
Sondern sie richtet sich auch gegen die
Menschenwürde all derer, die durch
Machtmissbrauch vom Markt ausge-
schlossen und um die Früchte ihrer Ar-
beit gebracht werden.
Ludwig Erhard setzte dagegen klare ord-
nungspolitische Überzeugungen und
Maßnahmen. Leistung muss sich lohnen,
und Wettbewerb wird über Leistung aus-
getragen. Sein Kartellgesetz verbot des-
halb leistungs- und wettbewerbsfeind-
liche Unternehmensabsprachen und
damit im Prinzip unfaire Marktmacht.
Der Wettbewerbsfähigkeit der deut-
schen Wirtschaft hat das gut getan. Und
das war längst nicht die einzige Stelle,
wo der Marktwirtschaft Zügel angelegt
wurden. Beispiele sind die Anerkennung
der Tarifautonomie, die Bildung von Ge-
werkschaften, die Arbeitsschutz-Gesetz-
gebung und die betriebliche Mitbestim-
mung, um nur einige wenige zu nennen.
Der gemeinsame Nenner dieser Maß-
nahmen ist: Sie stellen die Menschen-
würde in das Zentrum der Betrachtung.
Das heißt, auch beim Thema Leistungsge-
rechtigkeit müssen wir fragen: Was heißt
ein bestimmter Lohn, ein bestimmtes
Lohngefälle für die Würde des Einzelnen?
Liebe Freunde, ich komme zu meinem
dritten Punkt, zur Steuergerechtigkeit.
Warum zahlen wir Steuern? Der Staat
schafft unverzichtbare Voraussetzun-
gen dafür, dass wir unsere Chancen nut-
zen und Leistung bringen können. Er baut
Straßen, über die wir zu unserer Arbeit
pendeln können, er baut Schulen, an de-
nen wir Lesen, Schreiben und Rechnen
lernen, er schafft ein Gesundheitssystem,
in dem auch Menschen mit geringem Ein-
kommen auf dem Stand des moderns-
ten medizinischen Fortschritts behandelt
werden. Dafür braucht der Staat Geld
und nimmt von uns Steuern. Steuern sind
der finanzielle Beitrag des Bürgers zum
Gelingen des gesellschaftlichen Mitei-
nanders.
Prägend ist dabei der Gedanke: „Die star-
ken Schultern sollen mehr tragen als die
schwachen Schultern.“ Wie prägend,
das zeigt ein aktuelles Beispiel, das sich
nicht vermeiden lässt: Uli Hoeneß. In der
ganzen Diskussion um seine Steuerhin-
terziehung habe ich niemanden sagen
hören: Der verdient zu viel. Als Unterneh-
mer und ehrenamtlicher Präsident des
FC Bayern genießt er nach wie vor hohe
Anerkennung. Dass er aber Teile seines
Einkommens der Besteuerung entzogen
hat, das hat in der deutschen Öffentlich-
12
keit viele aufgeregt, ist meine Wahrneh-
mung. Warum? Wenn jemand weniger
Steuern zahlt, als er soll – dann entzieht
er uns als Gemeinschaft Mittel. Das emp-
finden die meisten von uns als ungerecht,
denn wir brauchen diese Mittel, um un-
sere schwachen individuellen Kräfte mit
Hilfe des Staates zu bündeln und durch
die Ressourcen des Staates zu stärken.
Andererseits hatte Uli Hoeneß offenbar
das Gefühl, seine Steuerbelastung sei
zu hoch, diese sei ungerecht. Ist also in
Wirklichkeit unser Steuersystem unge-
recht? Wohl eher aus der Sicht der Mit-
telschicht. Deren Lohnerhöhungen wer-
den durch Steuern und Inflation meist
wieder aufgefressen. Die Mittelschicht
fühlt sich als Lastesel der Nation. Kalte
Progression und Mittelstandsbauch
sind dafür die Schlagwörter. Wie wir
mit solch unterschiedlichen Sichtwei-
sen umgehen, ist eine spannende Ge-
rechtigkeitsfrage.
Liebe Freunde, das Wort „sozial“ habe ich
an diesem Abend schon oft benutzt, das
Wortpaar „soziale Gerechtigkeit“ dage-
gen noch nicht. Was ist soziale Gerech-
tigkeit? Man könnte sie beschreiben als
die Summe dessen, wovon ich gespro-
chen habe: Chancen-, Leistungs- und
Steuergerechtigkeit. Aber: So eingängig
der Begriff „soziale Gerechtigkeit“ ist,
so unbestimmt wird er oft verwendet.
Ein Beispiel. Jeder meint zu wissen: Die
25 Millionen Rentner von heute sind für
die Beitragszahler in der Rentenversiche-
rung eine viel größere Last als noch vor
40 Jahren. In der Tat kamen damals – vor
40 Jahren – auf einen Beitragszahler 1,69
Rentner. Heute sind es 1,76 Rentner je
Beitragszahler. Da kann man sagen: Das
ist doch ungerecht! Und dann soll diese
Rentenlast auch noch steigen! Die Rente
mit 63 ist jetzt durch, dazu kommt noch
die Mütterrente.
Ist also die Finanzierungslast der jetzi-
gen Generation in der Rentenversiche-
rung sozial gerecht? Oder anders formu-
liert: Ist unser heutiges Rentensystem
überhaupt generationengerecht? Die
Antwort lautet Nein, wenn man nur auf
die Zahllast schaut. Das Verhältnis von
Rentnern und Erwerbstätigen ist heute
ungünstiger.
Aber was ist eigentlich mit den Möglich-
keiten der Beitragszahler, diese Last zu
tragen? Auch da ist ein Blick in die Sta-
tistik hilfreich. Um 1900 kamen auf eine
deutsche Frau im Durchschnitt 5 Kinder.
In den 60er Jahren waren es noch etwa
2,5 Kinder je Frau. Das heißt: Die heuti-
gen Rentner aus der Babyboomer-Gene-
ration haben für jedes ihrer Kinder dop-
pelt so viel Zeit (und Geld) investieren
können wie ihre Großeltern. Das Ergeb-
nis ist: Die heutige mittlere Generation,
die wegen der großen Rentenlast stöhnt,
ist auch die bestausgebildetste deutsche
13
Generation aller Zeiten, die produktivste
und kreativste. Ihre Rentenlast ist zwar
größer als die der Vorgängergeneration
– aber auch ihre Möglichkeit, diese Last
zu tragen. Ganz so ungerecht ist die Ren-
tenlast also doch nicht!
Mit dem Beispiel möchte ich sagen: Wir
sollten Begriffe wie „soziale Gerechtig-
keit“ nicht leichtfertig verwenden, son-
dern immer erst einmal den Sachverhalt
aus allen Richtungen betrachten – und
nachdenken. Nachdenken vor allem über
Prinzipien und Normen wie die, welche
die Katholische Soziallehre hervorge-
bracht hat. Denn nur, wenn man klare
Begriffe hat, kann man sich überhaupt
sinnvoll über die Gerechtigkeitsfragen
unserer Zeit unterhalten. Das Bemer-
kenswerte ist: Das Denken der Katholi-
schen Soziallehre hat unser Grundgesetz
geprägt – und prägt damit bis heute auch
das Denken vieler Nichtchristen. Und das
ist gut so – denn sonst könnte Deutsch-
land kein sozialer Bundesstaat sein, wie
es im Grundgesetz steht.
Ich komme zum Schluss und damit zu
unserem Kompass, den wir hier beim Jo-
hann-Amos-Comenius-Club immer wie-
der diskutieren und neu justieren.
Die Menschenwürde ist das grundle-
gende Prinzip unseres Zusammenlebens.
Geht man von der Menschenwürde aus,
lassen sich folgende Grundsätze aufstel-
len: Wir handeln gerecht, wenn wir tun,
was aus Sicht der Menschenwürde un-
seres Nächsten notwendig ist. Wir han-
deln gerecht, wenn wir den Hilfsbedürfti-
gen mit seiner Würde in den Mittelpunkt
stellen. Das heißt: ihm nicht Almosen zu-
kommen lassen, sondern Hilfe zur Selbst-
hilfe bieten. Es ist eine Frage der Würde,
dass er sich selbst helfen kann. Wir han-
deln auch gerecht, wenn wir selbst hel-
fen, wo Hilfe gebraucht wird, statt erst
einmal nach dem Staat zu rufen. Wir han-
deln gerecht, wenn wir selbst anpacken,
um unsere Städte und Dörfer lebenswer-
ter zu machen. Und wir handeln gerecht,
wenn wir aufopfernde Eltern und Groß-
eltern sind, die sich bei der Kindererzie-
hung nicht vollends auf den Staat, auf
Krippe, Kindergarten, Schule und Hort
verlassen.
Kurzum: Wir handeln gerecht, wenn wir
uns auf unser christliches Menschenbild
besinnen und unser Leben, den Staat und
die Gesellschaft selbst mitgestalten. Das
tun wir: In den Familien, Unternehmen,
Parlamenten, Vereinen und nicht zuletzt
bei Wahlen – dazu haben wir am 31. Au-
gust wieder Gelegenheit. Lassen Sie uns
mit diesem Kompass in der Tasche hin-
ausgehen und unser sächsisches Heimat-
land ein Stück gerechter machen!
14
SchlusswortDr. Fritz Hähle
Ein abschließendes Wort zur Gerechtig-
keit: Ich sitze als Protestant zwischen
zwei katholischen Christen.
Ich erlaube mir deshalb darauf hinzuwei-
sen, dass wir im Jahr 2017 das 500. Refor-
mationsjubiläum feiern werden und dazu
habe ich noch ein Wort von Luther; er er-
klärte 1527 in einer Vorlesung über Jesaja:
„Merke auf die neue Definition der Ge-
rechtigkeit: Gerechtigkeit heißt Chris-
tus erkennen.“
Jetzt wird mancher sagen „Ich glaube
nicht an Gott“. Und ich sage: „Gott glaubt
aber an Euch“. Und diese kulturelle Prä-
gung lässt uns überhaupt erst nach Ge-
rechtigkeit fragen und nach Gerechtig-
keit streben. Und das nehmen Sie bitte
zusammenfassend mit aus diesem Co-
menius-Club.
Vielen Dank, dass Sie gekommen sind
und dass wir uns jetzt noch ein wenig un-
terhalten können.
Der nächste Comenius-Club findet
am 06. September 2014, 10.00 Uhr, in
Großenhain, anlässlich des Tages der
Sachsen statt. Es referiert Herr Staats-
minister Markus Ulbig.
15
16
Impressum
Was ist gerecht?Veranstaltung am 3. Juni 2014
HerausgeberCDU-Fraktiondes Sächsischen Landtages
RedaktionJan Donhauser
Satz, Gestaltung und DruckZ&Z Agentur Dresden
Dresden, Juli 2014
Diese Broschüre wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der CDU-Fraktion des Sächsischen Landtages herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlhelfern im Wahlkampf zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Den Parteien ist es gestattet, die Druck-schrift zur Unterrichtung ihrer Mitglieder zu verwenden.